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O wê, der babest ist ze juncHilf, herre, diner Kristenheit* Eine übernatürliche Reportage oder noch ein Beitrag zur Realismusdebatte
ОглавлениеPfingst-Dienstag, 08.35, * Stoss-Seufzer des Walther von der Vogelweide, als der 37jährige Lothar dei Conti zum Papst gewählt wurde (Innozenz III.). In Anlehnung an den Dichter könnte man von Wojtyla sagen, dass er vielleicht nicht ze junc, aber ze robust und ze unangelkränkelt sei von jedem Zweifel. Flughafen Kloten, Zuschauerterrasse. Zwei Tage nach dem Heiligen Geist wird der Heilige Vater erwartet. Er ist jetzt noch in der Luft, sieht die Berge von oben; blättert ein wenig im Brevier; nippt an einer BLOODY MARY – andern Quellen zufolge an jenem mit polnischem Wodka geläuterten Tomatensaft, welchen ihm sonst die polnische Nonne Kathinka regelmässig zum vatikanischen Mittagessen kredenzt –, findet eine hilfreiche Stelle im Brevier: DOMINE AD ADJUVANDUM ME FESTINA, Herr, eile mir zur Hilfe; findet noch eine weitere Stelle: SUPER ASPIDEM ET BASILISCUM AMBULABIS ET CONCULCABIS LEONEM ET DRACONEM, über Schlangen und Basilisken wirst Du schreiten und zermalmen den Löwen und den Drachen, und die Stellen kann er brauchen, denn die christlichen Politiker warten im ganzen Land auf SEINEN Besuch und wollen sich in SEINEM Glanze sonnen und SEINE geistlichen Kraftströme auf ihre weltliche Mühle lenken. Wyer wird ihn empfangen, das überragende walliserische Schlitzohr, auch Furgler, Egli, Schürmann, Wiederkehr, Cottier – die geballte politische Unchristlichkeit.
Der Papst seufzt. Er hat kurz nach dem Abflug in Rom/Fiumicino in den Reden geblättert, die er spontan überall in der Schweiz halten wird. Er weiss jetzt schon, dass ihm die Freiburger Jugend «ernsthafte Fragen», die er noch nicht gehört hat, stellen wird, und hat die Antworten darauf sicherheitshalber bereits in Rom formuliert. Im Frachtraum der päpstlichen Al-Italia-Maschine liegen ein paar hundert Kilo hektographierte Papstreden bereit, dt. frz. engl. span. ital., die werden in den verschiedenen Pressezentren entlang der päpstlichen Route in schönster Auslegeordnung zu finden sein. Über der Lombardei hatte der Papst einen Lachanfall. Eine Ansprache, die er vor kurzem den Papuas in Neuguinea gehalten hat, war durch ein Versehen seines Sekretärs in das schweizerische Reden-Konvolut geraten, und zwar an jener Stelle, wo der Bundesrat im Landgut Lohn begrüsst werden sollte – «Und so entbiete ich denn Eurer alten Stammeskultur, Euren Speeren und Schildern, Euren prächtigen Bemalungen und Eurer unangekränkelten Urwüchsigkeit meinen brüderlichen Gruss.» (Applaus.)
Unterdessen in Einsiedeln –
«Schweissgebadet kam der bekannte Telefönler Franz Lüönd, Rothenthurm, am Mittwoch ins Dorfzentrum. Eben habe er eine Arbeit erledigt, die er noch nie gemacht und auch nie wieder tun werde: Er habe für den Papst in dessen Zimmer im Kloster das Telefon eingerichtet. Mit dem grauen Tastapparat kann der Papst direkt nach Rom telefonieren! Er besitzt eine Nummer, die noch niemand hatte. Aber von draussen kann man den Papst nicht direkt erreichen, der Anruf geht über die Zentrale des Klosters. Sichtlich ergriffen schilderte der FKD-Betriebsmeister sein Erlebnis: Das Zimmer des Papstes sei sehr einfach, ein ganz normales Bett und eine praktische Waschvorrichtung ohne jeden Pomp stehen dem Gast zur Verfügung. (…)
Zwar drücke die Verantwortung, die auf ihm laste, schon ziemlich stark. Aber es sei doch ein einmaliges Erlebnis, wenn er denken könne, nun telefoniert der Papst mit meinem Telefon! Hoffen wir für den rührigen Telefönler, dass alles ohne Panne abläuft!» (EINSIEDLER ANZEIGER vom 15.6.84)
Flughafen Kloten, 08.46, Zuschauerterrasse, Herr Cahannes von der Kirchenpflege Opfikon/Glattbrugg ist mit seinem Feldstecher, den er sonst ausschliesslich für die Jagd in Graubünden benützt, erschienen. In ca. 400 Meter Entfernung scharrt ungeduldig das Empfangskomitee. Vorn am roten Teppich die zürcherische Regierung, deutlich erkennbar der borstige Wiederkehr (cvp), der unter Papst Pius XII. und Johannes XXIII. in Disentis geformt und unter Papst Paul VI. zum Regierungsrat gewählt worden war. Dann ist der rote Teppich kurz unterbrochen, ein wenig Flughafenboden scheint hervor, den wird der Papst dann küssen, schmeckt er nach Esso- oder Shell-Flugbenzin?, dann kommen die Bischöfe mit ihrem Gruss, und hinten rechts steht ein Rednerpültchen, dort wird der Papst den Gegengruss entbieten, nachdem er von Bundespräsident Schlumpf begrüsst worden ist. Jetzt werden von italienisch sprechenden Männern zahlreiche Fähnchen in den vatikanischen Farben auf der Zuschauerterrasse verteilt, damit wird gewedelt, sobald die päpstliche Maschine in Erscheinung tritt. Die fährt in einem grossen Bogen zum roten Teppich, und zwar dergestalt, dass den Zuschauern auf der Terrasse der Anblick des aussteigenden Papstes nun jählings entzogen wird. Das Fernsehen und die Journalisten und die Prominenten sind so postiert, dass sie die feierliche Seite der päpstlichen Maschine sehen können, den Zuschauern auf der Terrasse bleibt der Blick auf die Logistik: Kisten und Gerätschaften werden aus dem Bauch der Maschine entladen, Tausende von Medaillen, Rosenkränze, die päpstliche Garderobe sind darin enthalten, Kelche und was es noch braucht. Ein ganz beträchtliches Frachtgut! Eine grosse Geschäftigkeit! Herr Cahannes ist enttäuscht, er hat den Papst nur kurz im Fadenkreuz gehabt. Dessen Stimme zittert jetzt über die Piste. Die Verstärkeranlage ist weniger gut als jene in Fribourg, welche für 38'000 Franken bei der Scientology-Sekte gemietet worden ist. Fluglärm und Musik.
Unteressen in Einsiedeln –
«Dass die vielen teuren, technischen Apparate und Installationen wie auch das ganze Innenleben des Dorfzentrums bewacht werden müssen, ist klar. Die Securitas hat die nicht leichte Aufgabe übernommen und garantiert mit Mann, Funk und Hund für optimale Sicherheit. Sämtliche Notausgänge sind verschlossen, jedoch so, dass sie im Brandfall leicht geöffnet werden könnten. Alp-Jösy als alter Fuchs bei der Securitas hat seine Augen überall und war massgebend beim Überwachungskonzept beteiligt. Nach menschlichem Ermessen ist also für alles vorgesorgt.» (EINSIEDLER ANZEIGER, 15.6.84)
Pfingst-Dienstag, 22.20, Fribourg. Der Papst ist in dieser bemerkenswerten Stadt angesagt; hat vermutlich von ihrer Schönheit gehört. Anstatt direkt von Zürich nach Fribourg zu reisen, macht er einen zeit- und kräfteraubenden Umweg über Lugano und Genf, wo ihm von den Neugläubigen eine Pendule geschenkt wird, und über Lausanne, wo ihm nochmals eine Pendule geschenkt wird (von der Regierung). Die letzte Uhr wird ihm später in der Klosterkirche Einsiedeln geschenkt werden, es ist eine Gabe der Firma Landis & Gyr; mit der Inschrift: ZEIT IST GNADE. Die buchstäblich Hunderte von Gaben, die dem Papst dargeboten werden, Käse, Edelweiss, Absinth und Bücher, nimmt dieser selbst in Empfang, reicht sie dann fast unbesehen seinem Truchsess weiter, der sie dem Mundschenk weiterreicht, der sie dem Leibarzt überreicht; während die symbolischen Präsente, die der Papst verschenkt, auf einen je nach Geschenk anders modulierten Pfiff des Papstes, einen murmeltierartigen, nur den Eingeweihten vernehmbaren Pfiff, von drei andern Hofschranzen an den Papst weitergereicht werden, der sie dann eigenhändig übergibt. (Vollautomatische Rosenkränze, irisiernde Medaillen etc.) Von seiner Hand reicht er den Schüttelnden, wie man in Fribourg gut beobachten konnte, zwecks Schonung nur den vordersten Teil, etwa einen Drittel, also die beiden ersten vier Fingerglieder der rechten Hand, während er nicht selten mit dem Handballen seiner linken Hand etwas väterlich über den Handrücken seines Händeschlagpartners fährt. Kinder streichelt er sowohl übers Haar wie auch direkt am Gesicht, dieses meist von oben nach unten. Küsse werden auf dem Haar der kleinen Gläubigen angebracht, manchmal auch auf Stirn und Wangen (immer tonlos). Von den Männern haben nur die Kleriker Anrecht auf den Bruderkuss; bei diesen aber nicht nur die Römisch-Katholischen, sondern auch die Griechisch-Orthodoxen, Kopten, Russisch-Orthodoxen, Maroniten, Eremiten, Leviten, Styliten, Anachoreten, Zoenobiten. Die Frauen werden, in kussmässiger Hinsicht, wie Kinder behandelt, ein väterlicher Schmatzer auf die Stirn, ein schnelles Übers-Haar-Streicheln.
Um 22.25 ist er im Salonwagen angekommen, auf Perron 1. Vom frei zugänglichen Perron 2 aus, wo sich im Moment der Ankunft keine Polizei befand, hätte man ohne Schwierigkeit ein Attentat unternehmen können, um so mehr, als die ganze Bahnhofbeleuchtung gerade rechtzeitig aussetzte. Welche Schande für Fribourg wäre das gewesen: ein toter Papst auf Perron 1. Die Regierung des Kts. Fribourg, die ihn begrüsst hatte, wird begrüsst. Der Papst spricht ein leidliches Franzesisch mit einem hart rollenden r, auch sein Deutsch ist passabel, er pflegt auf polnische Art das ö durch ein e zu ersetzen: Erlese uns von dem Besen. Italienisch soll er auch kennen, dazu etwas Englisch und Lateinisch. Unter den Begrüssenden war Regierungsrat Marius Cottier, der begabte Mirage-Pilot. Er ist Chef der Erziehungsdirektion, und als Cottiers hervorstechendste Eigenschaft wurde von seiner Partei (cvp) während der Wahlkampagne die Tatsache erwähnt, dass er Mirage-Pilot gewesen sei. Ein bekannter Christ und Familienvater. Er hat mit mir in Fribourg studiert, war, wie ich, in einem philosophisch-theologischen Club, den Hans-Urs von Balthasar inspirierte. Was für eine liebe Schlafmütze ist Marius doch immer gewesen! Überall während dieser Reportage die Hände meiner ehemaligen Gschpänli, Regierungsratshände, die von Wiederkehr in Kloten, die von Cottier in Fribourg: die haben Anrecht auf eine Knetung durch den Papst. Nachdem die Regierung begrüsst war, winkte der Heilige Vater oder très Saint Père, wie sie in Fribourg sagten, vom erhöhten Perron 1, eingerahmt durch die Inschriften LA GENEVOISE ASSURANCE und BUFFET PREMIERE CLASSE, dem Volk zu und formte seine Hände zu einem Trichter und rief dem Volk etwas zu, während einige ultramontane Schreihälse immer wieder HALLELUJAH! HALLELUJAH! krähten. Dann preschte die stattliche Wagenkolonne hinauf ins stacheldrahtgeschützte, von Hund und Mann und Funk bewachte, verbunkerte, hochsicherheitstraktmässig geschützte Priesterseminar; wo der Stellvertreter Christi – wieviel Polizei hatte der Religionsgründer bei seinem Einzug in Jerusalem gebraucht? – neuen Händeschüttelungen ausgesetzt und dann nach der Einnahme eines leichten Abendmahls (Fondue Moitié Vacherin, Moitié Gruyère) und dem Aufsagen des kirchlichen Nachtgebets TE LUCIS ANTE TERMINUM/RERUM CREATOR POSCIMUS und der Verabfolgung eines Bruderkusses durch den vampirhaft dreinschauenden Bischof Mamie in den kurz bemessenen Schlaf sank. (Die letzen Worte von Bischof Mamie am Abend des 12. Juni waren: Dormez bien, très Saint Père; die letzten Worte des Papstes: Et vous aussi, cher frère, et soyez prudent avec votre Saugtherapie.)
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Am andern Morgen ging es zeitig aus den Federn (05.30). Nach einer kurzen Waschung (kalt) und einer Anrufung der Vereinigten Müttergottes von Tschenstochau & Einsiedeln wurde, wie jeden Tag, dem Brevier gefrönt. (DOMINE AD ADJUVANDUM ME FESTINA). Dann Gabelfrühstück; reichlich Aufschnitt, Eier, spanische Nierchen, Hafermus, Corn Flakes, kaltes Poulet, Ovomaltine (heiss), Gruyère, Vacherin, Butter, dazu Vollkornbrot und, von den Berner Katholiken dargereicht, Berner Züpfe (aus Kemmeribodenbad). Morgens isst der Papst, so darf man wohl sagen, immer wie ein polnischer Drescher.
Dann ab in die Kathedrale Saint Nicolas zur Begrüssung des Domkapitels (08.00) und schon um 8.30 hinübergesaust in die benachbarte Kirche der Cordeliers, wo ein Kastratenchor den Papst begrüsst. Kastraten sind eine alte römisch-päpstliche Spezialität. Die Päpste hatten jahrhundertelang etliche von den sangeswilligen, singbegabten Untertanen noch vor dem Stimmbruch kastrieren lassen, damit sie ihre schönen Sopranstimmen das ganze Leben lang behalten konnten; und in Fribourg, dem päpstlich gesinnten, hat sich dieser Brauch insofern erhalten, als jedes Jahr, seit dem Attentat auf den Papst, eine Anzahl von besonders idealistisch gesinnten Vätern ihre Söhne verschneiden lassen, um dem Papst ihre spezielle Wertschätzung auszudrücken. Diese ödipal konstellierte Opfergabe, welche in ihrer gemilderten Form auch als Zölibat, d.h. freiwillige Ehelosigkeit bei weiterbestehender Zeugungsfähigkeit, auftritt, soll dem Vernehmen nach von Johannes Paul II. besonders geschätzt werden.
09.30 sodann Fahrt im Papamobil zur Universität. Das Papamobil ist ein umgebauter Range Rover, den hintern Teil bildet so etwas wie ein senkrecht stehender, gläserner Sarg oder Reliquienschrein, wohinein der Papst sich nun begibt, damit er, als eine Statue, dem Volk vorgeführt werden kann, hinter schusssicherem Glas. Zwei Seitenfenster stehen offen, damit er winken kann. Neben dem Papst stehen links und rechts zwei Prälaten, die auch ins Volk hinaus winken, obwohl ihnen niemand gewinkt hat. So geht es nun hinauf zur Universität, unter begeisterten Vivats und Acclamationen des Volkes. Das Papamobil ermöglicht eine optimale Zurschaustellung des Nachfolgers Christi. Der Papst besetzt sein Territorium, der ist hier ganz zu Hause, mehr als im heidnischen Rom. Wie kleidsam doch seine weisse Soutane mit dem papstwappenverzierten Zingulum wirkt. So freundlich, ein angenehmer Kopf, und schöne Bewegungen macht er mit seinen Händen, gleich wird er eine Handvoll Bonbons aus den Fenstern werfen (sogenannte Feuersteine).
Leut-Selig, das ist er. Und wegen der Rede, die er jetzt sofort im Hof der Universität halten wird, mussten für 26'000 Franken neue Schlösser an sämtlichen Türen der Universitätsräumlichkeiten angebracht werden, weil nämlich einige Nachschlüssel im Laufe der Jahre verlorengegangen waren und die Polizei damit rechnete, dass der Attentäter mit traumwandlerischer Sicherheit einen dieser Schlüssel hätte behändigt haben können –. Und dann mit dem Zielfernrohr aus dem germanistischen Seminar –. Im grossen Hof der Universität waren etwa 500 Leute, davon 150 Journalisten, fast keine Studenten, wenig Professoren versammelt. Der Papst erzählt langfädig einen Mummenschanz, abgestandene neoscholastische Spekulationen: dass Wissenschaft und Glaube kein Widerspruch seien; dass der Glaube die Wissenschaft befruchte etc. Die Rede ist wirklich keine 26'000 Franken wert, und solche Sprechblasen hat man an dieser Uni jahrzehntelang von einfachen dominikanischen Mönchen hören können, dazu braucht es keinen Papst. Aber die Leute klatschen. Sie würden auch klatschen, wenn der Papst zwei Seiten aus dem Vorlesungsverzeichnis rezitierte. Die Rede ist wie die andern 52 Papstreden, die in der Schweiz noch gehalten werden: flach, glanzlos, diplomatischer Slalom, konservative Repetition. Eine interessante Enzyklika, das heisst ein intellektuell befriedigendes Rundschreiben wie PACEM IN TERRIS, das der stets ruhig in Rom verweilende (und nicht nervös herumdüsende) Johannes XXIII. verfasste, wird man von Johannes Paul II. wohl nicht erwarten können, bei dieser Manager-Agenda.
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Aber physisch ist der Papst recht gmögig. Man kann nicht sagen, dass er unsympathisch wäre. Sein Lächeln ist nicht schlecht. Es ist kein gelogenes Furgler-Lächeln. Man glaubt ihm sogar, dass er glaubt. Sonst wäre er längst umgekippt bei den Anstrengungen. Aber er kann den Glauben nicht vermitteln, oder höchstens: einen Köhlerglauben. Am Abend wird er bei der sogenannten Begegnung mit der Westschweizer Jugend sagen: er fordere sie auf, zu glauben, dann sei alles wieder gut. An der Uni-Veranstaltung am Vormittag dürfen sich zwei Studentinnen und zwei Studenten mit hoch brisanten Fragen melden, z.B.: Wie können wir besser studieren? Der Papst gibt nichtige Antworten. Er ist kein Kirchenlicht.
Die vier sind aus den insgesamt 10 (zehn) Studenten, welche sich auf den entsprechenden Aufruf der Studentenschaft gemeldet haben, herausfiltriert worden. Einer, der im vorbereitenden Komitee schliesslich niedergestimmt worden ist, wollte den Papst wegen der obligatorischen Ehelosigkeit der Priester interpellieren; er hat dann seine nicht gefragte Frage an den Papst schriftlich der Presse weitergereicht. 11.30: Begegnung mit den Ordentlichen Professoren der katholischen Theologischen Fakultäten im Senatssaal der Universität. Natürlich hinter geschlossenen Türen. Hier sollen, so hört man nachher, ausnahmsweise harte Fragen gestellt worden sein – der kluge Alois Müller aus Luzern z.B. hätte wissen wollen, ob nicht endlich in der Kirche ein «Pluralismus der Theologie» möglich wäre. Darauf wieder keine Antwort. Als ihm der Alt-Testamentler Othmar Keel vorgestellt wurde, soll der Heilige Vater bass erstaunt gewesen sein, dass ein Laie an der Theologischen Fakultät unterrichte, und erstaunt war er auch, als Othmar Keel ihm geradeheraus sagte: SIE SIND EIN PARTEIISCHER VATER.
Dann wieder ab ins Papamobil, Papaperpetuummobil, dreimal beschwörend ums Kantonsspital gefahren, segnenderweise. Krankheits-, Dämonenaustreibung. Zwecks Erzielung eines maximalen quantitativen papalen Effekts vor dem Hospital Aufstellung genommen, alle aus den Fenstern gestreckten, von der Polizei selektionierten und observierten Krankenköpfe mit einer Ansprache bedacht. Für die Kranken war es kein Erfolg, Heilungen konnten nicht verzeichnet werden. Aber die Polizei war glücklich: schon wieder kein Attentat.
Dann Mittagspause.
Dann wieder Papamobil. Aus dem Schlosspark des Barons de Graffenried sieht man es nahen. Die Reise von der Aristokratie zum einfachen Volk. Ben Hur, jetzt voll motorisiert und religiös, nur etwas langsam. Er fährt ein Oval durch die Menge. Was geht in diesem Papst-Kopf vor, dem proletarischen Kopf, wenn ihn 20'000 bejubeln? Ist ja eigentlich nicht sehr christlich. Offensichtlicher Personenkult. Sie möchten ihn berühren, den Magier, den grossen weissen Vater Bhaghwan. Ein Halbgott fährt vorbei (un ange passe). Imperator Rex, Pontifex.
Stalinistische Elemente (auch in der Sprachregelung: was der Papst «Dialog» nennt, ist immer ein Monolog – so wie die «Schauprozesse» nur Schau, aber keine Prozesse waren). Vor 20'000 Menschen eine Schau-Messe, Schau-Frömmigkeit zur höheren Ehre des Fernsehens. (Aber vielleicht ist er wirklich fromm? Er macht einen sehr konzentrierten Eindruck. Aber er weiss doch, dass die EUROVISION überträgt?) Etwa hundert polizeilich streng selektionierte Gläubige dürfen die Kommunion direkt aus SEINER Hand empfangen, Eucharistie mit Polizei, haben irgendein Erkennungszeichen angeheftet, so dass die Polizei sie die Stufen der Pyramide hinaufgehen lässt, wo der Papst ganz oben steht mit dem hostiengefüllten Ziborium in der Hand. Wir sind einen Moment bei den Inkas oder Mayas. Das ist doch eher gigantisch, diese Bilder vom Hohenpriester. Wie wär’s mit einem Menschenopfer? Und dazu die Musik, Orgel, Trompeten und Pauken. Und klagende Oboen.
Faschistisch ist das aber auch wieder nicht, dazu fehlt die Aggressivität, das Ableiten der Wut nach aussen. Hier gibt es keine Wut, alle Worte sind friedlich, die Gefühle lieb & sanft. Für viele wird diese Messfeier der einzige Glanzpunkt in einem mühseligen Leben sein. Manche weinen. Hier wird ihnen nicht zu ihrem Recht, aber zu ihrem Ausdruck verholfen (nachdem alle 20'000 durch die Polizeikontrolle gegangen sind: abgetastet).
Unterdessen in Einsiedeln – wird jetzt vor dem Hauptportal so etwas wie ein Altar aufgebaut. Und darauf ein 4 cm dickes Panzerglas, damit der Papst während des Segengebens nicht erschossen wird. Ist ein Altar mit Panzerglas noch ein Altar? Ein Showbusinessaltar.
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Am Abend des 13. Juni, nachdem ER noch eine Begegnung mit dem Diplomatischen Corps hatte im College Saint-Michel (17.30) und nach der «kurzen Begegnung mit dem Schw. Israelitischen Gemeindebund im Bischofshaus» (18.45) und nach dem Nachtessen (19.00) kommt dann wieder eine der berühmten «Begegnungen», jetzt im Eisstadion. Begegnet wird jetzt der welschen Jugend (20.30). Eine junge Frau versucht, mutig und hartnäckig, vor etwa 5000 jungen Leuten ihr Missbehagen in der männerbeherrschten Kirche zu formulieren. («Nous sommes TOUTES des frères.») Sie nimmt IHM gegenüber Aufstellung und klagt die Männerherrschaft an, den Ausschluss der Frauen vom Priesteramt, und wird sofort niedergedröhnt von schreienden Frauen und Männern (Buben und Mädchen), und diese gehören zu den reaktionären Eiferern der COMMUNIONE E LIBERAZIONE, aber auch zur Schönstatt-Bewegung und zu den Focolarini, oder zum stark vertretenen Opus Dei. Die Rechten haben Aufwind und können sich auf den Papst berufen. ER hat das Opus Dei gefördert. Hexensabbat im Stadion. Dann ein bisschen religiöse Schubidu-und-Judihui-Musik, dass die Ohren wackeln, früher hat man diese Klebrigkeiten von Kaplan Flury oder Sœur Sourire gehört. Heilsarmee-Stimmung ungefähr auf der Welle von Steig-ins-Wägelein-hinein-lass-den-lieben-Heiland-Fuhrmann-sein. So jung und schon so reaktionär und hysterisch. ER antwortet wieder nicht auf die Fragen, gibt nur den Ratschlag, die Fragen zu «vertiefen». Die Antwortrede auf die Fragen hat ER schon in Rom gemacht, die kann man nicht mehr approfondieren. Dann wird wieder einmal gebetet. Dann werden noch die Kerzchen in den Händen der Jugend entzündet. Viva il papa!, schreien die Tessiner von COMMUNIONE E LIBERAZIONE.
UNTERDESSEN in Einsiedeln – Pater Othmar Lustenberger, Presse-Officer des Klosters, wird von BLICK-Reportern gefragt, wie teuer das Fotografieren des päpstlichen Bettes im Kloster den BLICK zu stehen käme. Sie wären bereit, zweitausend zu bieten. Achtzehntausend möchte Pater Lustenberger haben. Soviel möchte der BLICK auch wieder nicht zahlen. Also kein Bett im BLICK.
Später. Der päpstliche Superpuma ist im Studentenhof des Klosters gelandet. Georg Holzherr, Abt, begrüsst IHN. Holzherr ist der Nachfolger von Abt Tschudi, welcher das Zölibat nicht mehr ertragen und einer Frau zuliebe sein schönes Amt aufgegeben hat, seinerzeit. Aber im Haus des Gehenkten möchte ER schon gar nicht vom Strick reden, auch wenn das Kloster grosse zölibatäre Nachwuchs-Schwierigkeiten hat. Es wird sich bald einmal entvölkern, wenn der Mönchsschwund so weitergeht. Tant pis. Vor zehntausend Frauen und Männern wird ER sagen: «Liebe Freunde.»
UNTERDESSEN schützt die Einsiedler Feuerwehr die Mauer des Studentenhofes, in welchem schon wieder der Jugend begegnet werden soll, von aussen. Entlang der Mauer hat es Bäume. Eine Leiter liegt dort. Darf man sie an die Mauer stellen und besteigen, um journalistisch den Überblick zu behalten? Nein, sagt die Feuerwehr, da könnte jeder kommen. Wozu dient denn die Leiter? Um Jugendliche, welche sich in den Bäumen versteigen könnten, herunterzuholen. Aber da gibt es doch die Stelle im Evangelium vom Zöllner, der so kleinwüchsig war, dass er SEINE Reden nur mitbekam, wenn er auf einen Baum stieg? Aber an diesem Papstabend will die Feuerwehr nichts vom Evangelium wissen.
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Nach reiflicher Meditation ist der Reporter zur Überzeugung gekommen, dass es sich bei der weissen Person, welche sich, magneten- und kometengleich vom 12. bis 17. Juni 1984 durch die Schweiz bewegte, nicht um das Original handeln konnte. Da der Papst bekanntlich keinen Pass besitzt, konnten auch die Personalien in Kloten nicht überprüft werden – das weisse Gewand und eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Original genügten, um ihm Zutritt in das Land und die Herzen zu verschaffen. Tatsächlich ist nicht anzunehmen, dass ein 64jähriger, von Attentatsfolgen schwer angeschlagener Mann auch nur den Stress des Fribourger Aufenthalts ohne Kollaps überlebt hätte. Der Vatikan hat denn auch wirklich einen Stunt-Man geschickt, der seine Sache sehr glaubwürdig machte, für einen Tagessatz von Dollar 3000,– und die Gewährung eines prophylaktischen Vollkommenen Ablasses. Der wirkliche Papst hat unterdessen in Castel Gandolfo, seiner Sommerresidenz, der Schwimmkunst gefrönt und abends die Eurovisions-Sendungen aus der Schweiz goutiert.
PS I: Aus dem fernen Afrika schickt Pater Hildebrand Meienberg osb, Missionar – zur Oktroyierung des Namens Hildebrand vgl. «Wach auf du schönes Vögelein» – einen Brief bzw. ein Hildebrandslied:
«Rift Valley, Kerio-Tal, Äquator, drei Wochen nach dem Heiligen Geist und einen Tag nach der lectio disgustata über den Heiligen Vater, den Du in Deiner Schreibmaschine plattgewalzt hast. Die Magna Mater selbst, Grossackerstr. 8, 9000 St. Gallen, hat mir Dein letztes opusculum zukommen lassen. Das letzte, tatsächlich!
Als einer, der mit Dir den einen und gleichen Bauch geteilt hat (wie man in Afrika so ungeniert sagt, namlich tumbo moja), allerdings zehn Jahre früher, denn zwei sottigi gleichzeitig hätte die Mutter nicht geschafft, möchte ich Dir meine Meinung sagen, sine ira et studio, einfach so. Journalisten schreiben ja nur, weil man sie liest und kommentiert.
Dass man zum Schweizer Besuch des Papstes von Dir keinen theologischen Kommentar erwarten musste, war zum vornherein klar. Aber hätten wir nicht auch hoffen dürfen, dass Du mit mehr Fairness und weniger zynisch und sarkastisch hinter Deine Arbeit gegangen wärest? Hätte Dich dieser Besuch nicht jucken müssen, kritisch und positiv, ernsthaft und humorvoll, listig und lustig, mit (vielleicht versteckter) Sympathie Deinen Kommentar zu geben? Einfach mehr Honig und weniger Essig. Dann hättest Du nicht nur die linken Leute, sondern auch die ein wenig mehr rechts stehenden Christen auf Deiner Seite (denn für die schreibst Du doch Komplet-Psalmen auf Latein). Leute, die mit Dir sachlich oft einig gehen würden, die Dich aber nicht ernst nehmen, wenn es Dir an mâze fehlt. Eben Walther von der Vogelweide.
*
Bis zum ersten Sternchen Deiner Reportage würde ich Dich gelten lassen, trotz den ziemlich blöden «vollautomatischen Rosenkränzen». Vieles ist chogeglatt; als ehrlicher Schwizzer hast Du ruhig frech schreiben dürfen, vide Schlangen und Basilisken, Jagdfeldstecher, präpariert spontane Reden und Antworten (auch in Nairobi hätte mein oberster Chef besser einiges nicht gesagt), römischer Klimbim, päpstliches Wappen am Zingulum, die unangenehmen Fragen, Othmar Keel und Opus Dei, Alois Müller und Zacchäus, Papst-Bett und -Telephon, seine Leut-Seligkeit. Da bist Du unübertroffen!
Doch hängt es mir aus, wenn Du Werturteile fällst und andere fertig machst: das ‹gelogene Furgler-Lächeln›, den Papst, der ‹kein Kirchenlicht ist›. Wirklich? Oder kannst Du im Ernst von einem ‹Stunt-Man› oder einem ‹64jährigen, von Attentatsfolgen schwer angeschlagenen Mann› erwarten, dass er auf jede von langer Hand vorbereitete und kritische Frage gleich die träfste Antwort aus dem Ärmel schüttelt? Und was verstehst Du unter seinem ‹Köhlerglauben›? Warum die primitive Assoziation Stufenaltar–‹Menschenopfer›? Warum die ‹Vereinigten Müttergottes›? Oder ist es menschlich und journalistisch eine Leistung, in den alten Wunden eines Klosters und eines Mannes herumzustochern? (Warum eines ‹Gehenkten›? Niemand hat ihm je einen Strick gedreht.) Oder wie stellst Du Dir ein Kloster ohne Ehelose vor? Tant pis pour toi. Die Höhe jedoch: ‹Diese ödipal konstellierte Opfergabe (Du meinst Kastration) … soll dem Vernehmen nach von Johannes Paul II besonders geschätzt werden.› Soll dem Vernehmen nach – warum diese saumässige Unterstellung, anstatt sauber zu recherchieren, wie wir das sonst von Dir gewohnt sind?
Gäbe es nicht auch ein Erbarmen mit den sogenannten Grossen, oder sind sie nichts als Freiwild, das man beliebig abschiessen darf – zu dumm, wenn sie sich nicht wehren!
Noch einmal: ich anerkenne Deine Unerschrockenheit, ich (vogel-)weide mich an Deinen Formulierungen, aber ich wünschte mir zugleich ein wenig Humor (oder auch nur ein nachsichtiges Lächeln) statt so viel sterilen Zynismus.
Di het ich gern in einen srin!
Ja leider, des mac nict gesin
daz mout und menlich ere
und rechte mâze mere
zesamen in din zitig komen …
(Stoss-Seufzer von der Grossen Weide 8, Sanggale)
Next time try harder, please!
Dein Herz-Bruder Peter, ordinis sancti benedicti»
PS II: «An den Chef-Redaktor der WOCHEN-ZEITUNG Postfach, 8042 Zürich. Sehr geehrter Herr Redaktor, Die Juni-Nummer 25 Ihrer WOCHEN-ZEITUNG, vom 22. 6. 84 ist mir durch den Titel des Zeitungsanschlages aufgefallen: ‹Vatikan schickte Double in die Schweiz› (bezüglich der Papstreise). Dies veranlasste mich, die betreffende Nummer zu kaufen; der Artikel, von Niklaus Meienberg, wird durch ein Postskriptum ergänzt, worin es wörtlich steht: ‹Der Vatikan hat denn auch wirklich einen Stunt-Man geschickt … Der wirkliche Papst hat unterdessen in Castel Gandolfo … und abends die Eurovisions-Sendungen aus der Schweiz goutiert.›
Sie werden verstehen, dass für Katholiken eine solche Behauptung keine Bagatelle bedeutet. Daher erlaube ich mir die Anfrage, ob der Journalist ganz sichere Beweise anführen kann; in diesem Falle möchte ich sie kennen. Oder ist ihm ein ‹lapsus pennae› unterlaufen? Hat er sich ‹verschrieben›, so bitte ich Sie um Berichtigung in Ihrer Zeitung und um Zusendung der Belegnummer.
Sie werden vielleicht erstaunt sein, dass ich so spät reagiere, aber, da der Artikel kurz vor Beginn der Sommerferien erschien, fand ich es ungeeignet, zu diesem Zeitpunkt einen Leserbrief einzusenden; daher die Verzögerung. Ich möchte noch hinzufügen, dass ich von dieser Information noch keinen Gebrauch gemacht habe.
In der Erwartung Ihrer Aufschlüsse danke ich Ihnen im voraus bestens und grüsse Sie recht freundlich.
Daniele K., Fribourg.»