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DAS TIER
XVI

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Der Lehnstuhl für den Onkel war auf einem kleinen Perserteppich in der Mitte des Zimmers vor dem Weihnachtsbaum aufgestellt. Er setzte sich schweigend in den Sessel und nahm aus Justins Händen das Tuch und die Schnupftabaksdose. Die beiden Windspiele legten sich sofort zu seinen Füßen nieder und streckten ihre langen Schnauzen vor sich aus.

Der Onkel trug einen blauseidenen, reichgestickten, mit silbernen Filigranschnallen und großen Türkisen verzierten Hausrock. In der Hand hatte er einen dünnen, doch kräftigen Stock aus kaukasischer Weichsel.

Diesen Stock brauchte er diesmal als Stütze: von der allgemeinen Panik, mit der die Bärenjagd geendet hatte, war selbst die vorzüglich zugerittene »Modedame« angesteckt worden; sie hatte sich in wilder Angst auf die Seite geworfen und das Bein ihres Herrn fest gegen einen Baum geklemmt.

Der Onkel fühlte heftigen Schmerz im Bein und hinkte sogar ein wenig. Dieser neue Umstand war selbstverständlich nicht dazu angetan, um sein ohnehin aufgebrachtes und erbostes Herz milder zu stimmen. Auch machte es einen schlechten Eindruck, daß wir alle beim Erscheinen des Onkels plötzlich verstummt waren. Wie alle argwöhnischen Menschen, konnte er so etwas nicht leiden, und P. Alexej beeilte sich, das Wort zu ergreifen, um die unheimliche Stille zu brechen.

Der Geistliche wandte sich an uns Kinder, die um ihn standen, mit der Frage, ob wir den Sinn des Chorals »Christ wird geboren« auch verstünden? Es stellte sich heraus, daß dieser Sinn nicht nur uns Kindern, sondern auch den Erwachsenen nicht recht klar war. Der Geistliche begann uns den Sinn der Worte »Preiset«, »Lobsinget« und »Erhebet euch« zu erklären; als er bei diesem letzten Worte angelangt war, »erhob er sich« selbst mit Herz und Geist. Er sprach von den »Gaben«, die heute ebenso wie damals auch der Ärmste vor die Krippe des göttlichen Knäbleins bringen könne und die würdiger und wertvoller seien, als das Gold, der Weihrauch und die Myrrhen der heiligen drei Könige. Die schönste Gabe sei ein durch seine Lehre bekehrtes Herz. Der Alte sprach von Liebe, Verzeihung und von der Pflicht eines jeden, Freund und Feind »im Namen Christi« zu trösten … Seine Worte waren wohl ungemein eindringlich … Wir alle verstanden, was er damit bezweckte und hörten ihm mit einem eigentümlichen Gefühl zu: wir beteten gleichsam, daß seine Worte ihren Zweck erreichten, und manchem von uns waren Tränen in die Augen getreten …

Plötzlich fiel etwas hin … Es war Onkels Stock … Man hob ihn auf, er rührte ihn aber nicht an: er saß tief gebückt, seine Hand hing über die Sessellehne herab, und seine Finger hielten einen der großen Türkise … Er ließ den Stein fallen, doch niemand beeilte sich, ihn aufzuheben …

Alle Blicke waren auf sein Gesicht gerichtet. Etwas Ungewöhnliches bot sich unseren Augen: er weinte!

Der Geistliche schob uns Kinder sanft zur Seite, ging auf den Onkel zu und erteilte ihm den Priestersegen.

Der Onkel hob das Gesicht, ergriff die Hand des Alten, küßte sie ganz unerwartet und sagte leise: »Danke!«

Dann blickte er Justin an und ließ Ferapont rufen.

Dieser erschien, bleich, mit verbundenem Arm.

»Hierher!« befahl ihm der Onkel, auf den Teppich vor seinem Sessel zeigend.

Chraposchka kam näher und fiel in die Knie.

»Steh auf!« sagte der Onkel. »Ich verzeihe dir.«

Chraposchka fiel wieder in die Knie. Der Onkel begann mit nervöser, aufgeregter Stimme:

»Du liebtest das Tier so, wie nicht jedermann einen Menschen zu lieben versteht. Du hast mich damit gerührt und in Großmütigkeit übertroffen. Höre nun meine Gnade: ich lasse dich frei und gebe dir hundert Rubel auf den Weg. Geh, wohin du willst.«

»Ich danke, werde aber nirgendwohin fortgehen,« rief Chraposchka aus.

»Was?«

»Ich gehe nirgendwohin fort,« wiederholte Ferapont.

»Was willst du denn?«

»Für Ihre Gnade will ich Ihnen jetzt als freier Mann noch treuer dienen, als ich bisher als Leibeigener diente.«

Der Onkel drückte mit der einen Hand das weiße Foulardtuch an seine Augen, durch die ein Zucken ging, und umarmte mit der anderen Ferapont … Wir alle erhoben uns von unseren Plätzen und verhüllten gleichfalls unsere Augen … Uns genügte das Gefühl, daß hier dem höchsten Gott die schönste Ehre erwiesen wurde und an Stelle der drückenden Angst der Friede Christi erblühte.

Dasselbe fühlten auch alle Leute im Dorfe, denen der Onkel einige Fässer Bier schicken ließ. Überall wurden Freudenfeuer angezündet, und die Menschen sprachen im Scherze:

»Heute haben wir erlebt, daß auch das Tier in die heilige Stille gegangen ist, um den Heiland zu preisen!«

Sganarells Spuren wurden nicht weiter verfolgt. Ferapont, der die Freiheit bekommen hatte, ersetzte bald den alten Justin und war nicht nur der treueste Diener, sondern auch der treueste Freund meines Onkels bis an dessen Ende. Er drückte ihm mit eigenen Händen die Augen zu und beerdigte ihn auf dem Waganjkow’schen Friedhofe zu Moskau, wo sich sein Grabstein bis zum heutigen Tage erhalten hat. Zu seinen Füßen ruht Ferapont.

Es gibt heute niemand, der diese Gräber mit Blumen schmücken könnte; aber in den Moskauer Kellerwohnungen und Asylen gibt es noch Menschen, die sich an einen schlanken, weißhaarigen Greis erinnern, der immer zu erraten wußte, wo echtes Leid verborgen war und rechtzeitig zu Hilfe eilte oder seinen guten Diener mit reichen Gaben schickte.

Diese beiden echten Wohltäter, von denen noch vieles zu sagen wäre, waren mein Onkel und Ferapont, den er im Scherze den »Tierbändiger« zu nennen pflegte.

Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten

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