Читать книгу Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten - Николай Лесков - Страница 4
EINE TEUFELSAUSTREIBUNG
IV
ОглавлениеMan meldete einen gewissen Iwan Stepanowitsch. Wie es sich später herausstellte, war er ein angesehener Moskauer Fabrikant und Großkaufmann.
Eine peinliche Pause trat ein.
»Ich hab ja gesagt: niemand darf herein,« erwiderte der Onkel.
»Der Herr läßt inständigst bitten.«
»Soll er sich nur dorthin begeben, wo er bisher war.«
Der Kellner ging hinaus und meldete nach einer Weile sehr kleinlaut:
»Iwan Stepanowitsch läßt sehr bitten.«
»Nein, ich will nicht.«
Die anderen schlagen vor: »Soll er ein Strafgeld zahlen!«
»Nein, jagt ihn hinaus, ich will sein Strafgeld nicht.«
Der Kellner kommt zurück und meldet noch kleinlauter:
»Er ist bereit, jede Strafe zu zahlen. Er sagt, daß es für ihn bei seinem Alter sehr kränkend ist, von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein.«
Der Onkel erhob sich mit funkelnden Augen von seinem Platz; im gleichen Augenblick ragte aber schon zwischen ihm und dem Kellner Rjabyka. Er stieß den Kellner mit der linken Hand wie ein Küken zurück und setzte mit der Rechten den Onkel wieder auf seinen Platz.
Unter den Gästen wurden Stimmen für Iwan Stepanowitsch laut: er solle hundert Rubel für die Musiker zahlen und hereinkommen.
»Er ist doch einer von den unsrigen, ein gottesfürchtiger Greis, – was soll er jetzt anfangen? Er wird vielleicht vor den Augen des ganzen Publikums Skandal machen. Man muß mit ihm ein Einsehen haben.«
Der Onkel ließ sich erweichen und sagte:
»Gut, es soll aber weder nach meinem, noch nach eurem, sondern nach Gottes Willen geschehen: Iwan Stepanowitsch darf herein, muß aber die große Pauke schlagen.«
Der Kellner ging hin und meldete wieder:
»Er möchte doch lieber eine Geldstrafe zahlen.«
»Zum Teufel! Wenn er nicht trommeln will, so soll er sich scheren, wohin er mag!«
Iwan Stepanowitsch hielt es aber doch nicht aus und ließ nach kurzer Zeit sagen, daß er bereit sei, die Pauke zu schlagen.
»Gut, soll er kommen.«
Ein großer Mann von ehrwürdigem Aussehen mit ernstem Gesicht, erloschenen Augen, gekrümmtem Rücken und zerzaustem und grün angelaufenem Bart tritt ein. Er will scherzen und die Gäste begrüßen, man weist ihn aber zurecht.
»Nachher, nachher,« schreit ihm der Onkel zu: »Jetzt sollst du die Pauke schlagen.«
»Die Pauke schlagen!« fallen die andern ein.
»Musik! Einen Marsch!«
Das Orchester stimmt einen dröhnenden Marsch an, der ehrwürdige Greis nimmt den hölzernen Schlegel und beginnt im Takt und auch nicht im Takt zu trommeln.
Ein Höllenlärm und ein Höllengeschrei. Alle sind zufrieden und schreien:
»Lauter!«
Iwan Stepanowitsch gibt sich noch mehr Mühe.
»Lauter! Lauter! Noch lauter!«
Der Greis trommelt mit aller Kraft, wie der Mohrenfürst bei Freiligrath. Schließlich erreicht er sein Ziel: man hört einen fürchterlichen Krach, das Trommelfell zerspringt, alle lachen, der Lärm wird ganz unerträglich, und Iwan Stepanowitsch muß den Musikern für die vernichtete Pauke fünfhundert Rubel zahlen.
Er zahlt, wischt sich den Schweiß aus der Stirne und setzt sich zu den andern. Während alle sein Wohl trinken, bemerkt er zu seinem Entsetzen unter den Anwesenden seinen Schwiegersohn.
Wieder erhebt sich ein Lachen und Lärmen, und das geht so, bis ich das Bewußtsein verliere. In den wenigen lichten Augenblicken, die ich noch habe, sehe ich die Zigeunerinnen tanzen und den Onkel, auf dem Stuhle sitzend, mit den Beinen zucken. Plötzlich taucht vor ihm jemand auf, aber im gleichen Augenblick ragt schon zwischen dem Onkel und dem andern Rjabyka. Der andere fliegt auf die Seite, der Onkel sitzt wieder auf seinem Platz, und vor ihm stecken in der Tischplatte zwei Gabeln. Nun verstehe ich Rjabykas Rolle.
Zum Fenster wehte der erste frische Hauch des Moskauer Morgens herein; ich kam wieder zum Bewußtsein, aber wohl nur, um an der Klarheit meiner Vernunft zu zweifeln. Ich sah eine wilde Schlacht und das Abholzen eines Waldes: ich hörte ein Dröhnen und Krachen und sah die riesengroßen exotischen Bäume schwanken und fallen. Hinter ihnen drängte sich ein Haufen seltsamer Gestalten mit braunen Gesichtern. An den Wurzeln der Palmen funkelten schreckliche Äxte; mein Onkel fällte die Bäume, auch der alte Iwan Stepanowitsch tat mit … Eine mittelalterliche Vision! …
Die Zigeunerinnen, die sich in der Grotte hinter den Bäumen versteckt hielten, sollten »gefangen genommen« werden; die Zigeuner verteidigten sie nicht und überließen sie ihrer eigenen Energie. Scherz und Ernst waren hier nicht mehr auseinanderzuhalten: durch die Luft flogen Teller, Stühle und Steine aus der Grotte; die Feinde drangen aber immer tiefer in den Wald ein, und am mutigsten zeigten sich Iwan Stepanowitsch und mein Onkel.
Die Festung wurde schließlich genommen: die Zigeunerinnen wurden ergriffen, umarmt und abgeküßt, und eine jede bekam einen Hundertrubelschein in das Mieder gesteckt. Damit war die Sache erledigt …
Ja, auf einmal war alles still … Alles war zu Ende. Es war keine Störung von außen, aber alle hatten genug. Wenn es vorher, wie mein Onkel gesagt hatte, »gar kein Leben« war, so fühlten wohl jetzt alle einen Überfluß an Leben.
Alle hatten genug und alle waren zufrieden. Vielleicht hatte auch die Bemerkung des Schulmeisters, daß es für ihn Zeit sei, in die Schule zu gehen, einige Bedeutung. Jedenfalls war die Walpurgisnacht zu Ende, und »das Leben« trat wieder in seine Rechte.
Die Gäste verdufteten ohne Abschied einer nach dem andern; das Orchester und die Zigeuner waren längst verschwunden. Das Restaurant bot das Bild vollständiger Verwüstung: keine einzige Draperie, kein einziger Spiegel war ganz; selbst der große Kronleuchter lag zertrümmert am Boden, und die Kristallprismen zerbrachen unter den Füßen der Kellner, die sich vor Müdigkeit kaum auf den Beinen hielten. Der Onkel saß ganz allein mitten auf dem Sofa und trank Kwas. Ab und zu schwebten ihm wohl irgendwelche Erinnerungen durch den Sinn, und er zuckte mit den Beinen. Vor ihm stand Rjabyka, der in seine Schule eilte.
Man reichte ihnen die Rechnung. Es war eine kurze »Pauschalrechnung«.
Rjabyka studierte die Rechnung sehr aufmerksam und verlangte einen Nachlaß von fünfzehnhundert Rubeln. Man widersprach ihm nicht viel und zog das Fazit: die Endsumme machte siebzehntausend, und Rjabyka erklärte, daß die Rechnung jetzt stimme. Der Onkel sagte einsilbig! »Zahl’s!«, setzte den Hut auf und bedeutete mir durch ein Zeichen, ihm zu folgen.
Zu meinem Entsetzen merkte ich, daß er mich nicht vergessen hatte und daß ich ihm nicht entrinnen konnte. Er flößte mir eine unheimliche Angst ein, und ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie ich mit ihm nun allein unter vier Augen bleiben würde. Er hatte mich ja so ganz zufällig mitgenommen, hatte mir noch keine zwei vernünftigen Worte gesagt und schleppte mich überall mit sich herum. Was werde ich noch alles erleben? Vor Entsetzen wurde ich auf einmal ganz nüchtern. Ich fürchtete dieses schreckliche, wilde Tier mit der zügellosen Phantasie und den furchtbaren Einfällen. Im Vorzimmer umringte uns eine Menge Kellner. Der Onkel befahl: »Je fünf!«, und Rjabyka zahlte; die Hausmeister, Nachtwächter, Schutzleute und Gendarmen, die irgendwelche Dienste geleistet haben wollten, bekamen etwas weniger. Alle diese Leute wurden befriedigt. Das machte eine Riesensumme aus. Im Parke draußen drängten sich aber, so weit das Auge reichte, zahllose Droschken. Die Droschkenkutscher warteten auf ihr »Väterchen« Ilja Fedossejewitsch, »ob Seine Gnaden sie nicht irgendwie brauchen könnten.«
Man stellte ihre Zahl fest und gab einem jeden von ihnen drei Rubel. Der Onkel und ich stiegen in den Wagen, und Rjabyka reichte dem Onkel seine Brieftasche.
Ilja Fedossejewitsch nahm aus der Brieftasche einen Hunderter und gab ihn Rjabyka.
Dieser drehte die Banknote in den Fingern und sagte unwirsch:
»Zu wenig.«
Der Onkel gab ihm noch zwei Fünfundzwanziger.
»Auch das genügt noch nicht: es hat ja keinen einzigen Skandal gegeben.«
Der Onkel gab ihm noch einen dritten Fünfundzwanziger, der Schulmeister reichte ihm nun auch seinen Stock und verabschiedete sich.