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Chor der Darmbakterien II – Siegfrieds verletzliche Stelle
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Oho
Habt ihr gehört
Konntet ihr das hörn
Schwörn, Geschwister
Jetzt will er es mit uns beschwörn
Wie wir hier liegen
Auf dem Armaturenbrett
Auf das die Sonne brennt
In der Plastikröhre wie in einem gigantischen Riesensolarium
Mehr sind wir da drinnen, als Menschen drumrum auf dem Erdenrund
Ja, so viele von uns Bakterien sind in einem Gramm Stuhlgang
Vom Verhältnis der Zellen, aus denen ihr besteht
Seid ihr zu neunzig Prozent Mikrobe
Neunundneunzig Prozent davon im Darm
Und neunzig Prozent davon sind wir Bakterien
Insgesamt haben Ihre Darmbakterien 150 Mal mehr Gene als Sie!
Das heißt unsere Entschlüsselung
Die des Mikrobioms
Wird ein weitaus größeres Ding
Als die Entschlüsselung eures dagegen mickrigen Genoms
Jetzt habt ihr eine Vorstellung von unseren reichen Mikrobenkönigreichen
Den in euren Därmen errichteten Imperien
Der Familien der Bacteroiden, der Prevotellas und der Ruminococcus
Deren Thronfolger stolze Namen tragen
Bifidobacterium infantis oder Lactobacillus plantarum
Trotzdem glaubt ihr euch mächtig
Die Krönung der Schöpfung!
Nein, sie fühlen sich hilflos, verletzlich
Sie wärn gern wie Siegfried
Strahlender Held
Dem auf seinem Weg durch die Welt
Alles zufällt, völlig zufällig:
Das schärfste Schwert, der größte Schatz, die schönste Braut
Und durch das Bad im Blut des besiegten Drachen eine Haut
Hart wie Horn
Die ihn schützte
Vor jeder Schwertspitze
Jedem giftigen Dorn
Da es in ihrer Welt keine Drachen mehr gibt
Lebende, noch zu tötende
Bauen sie sich rauchende, rußende, Erdöl verbrennende
Metallene Drachen, deren Kraft sie in Pferdestärken messen
Und in deren Stahlschicht sie sich sicher wägen
Wie in einem Panzer aus Drachenblut
Dass die Sicherheit auch sicher ist
Und nicht nur eine Eventualität
Werden die Drachenwägen überwacht
Vom Technischen Überwachungsverein
Bestehen sie das regelmäßig von höchsten Amtswürden ausgerichtete
TÜV-Turnier mit Bravour
Bekommen sie eine Gravur auf die Stoßstange
Denn den Menschen heute ist bange
Am liebsten ließen sie sich alles
Alles, alles, alles
Abstempeln, beglaubigen, bescheinigen
Im Bemühen perfekt zu erscheinen
Makellos und unangreifbar
Sie sind ja gescheit
Und wissen um die Torheit
Die Siegfried beging
Aus seinem kindlichen Leichtsinn
Als er preisgab, dass ihm beim Bad
Im Drachenblut ein Lindenblatt
Zwischen die Schulterblätter gefallen war
Und es sich so ergab, dass er auf der Jagd
Seiner letzten, nach dem Hetzen der Herden
An einer Quelle stand, Engelgleich auf der Lichtung, im weißen Leinengewand
Von liebender Hand zwischen den Schultern mit einem feinen Kreuzchen bestickt
Zum Trinken gebückt, konnt ihn der Speer seiner Neider und Rächer
Durch das mit dem Zeichen versehene Lindenblattmal
Von hinten ungehindert durchstechen
Darum banget ihr Menschen je älter ihr werdet
Wie ihr eure Lindenblattmale am besten verberget
Und nähert euch bei eurem planenden Plagen
Im Verhalten
Einer ganz andern Gestalt an
Der des Hagen