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3 / IM KÖNIGREICH DER WÖRTER (DIE HÜTERINNEN DER SIEBENSPRACHIGEN)

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KINDERGARTEN GRÜNDERINNEN

1 Müde?

2 Was meinen Sie damit.

3 Ihr Kind ist müde?

1 Wollen Sie damit sagen, Theo hat Burn-Out?

2 Mit drei Jahren?

3 Nach drei Tagen?

1 Wissen Sie, dass mir sowas allen Ernstes schon vorgeworfen worden ist: Bei mir bekämen die Kinder Burn-Out.

Ich sag Ihnen mal was, Müdigkeit ist eine Erfindung von Erwachsenen.

Ein Kind ist nicht müde. Ein Kind ist wach oder ein Kind schläft.

Dass Kinder quengelig sind oder schwierig hat meist einen ganz einfachen Grund: sie langweilen sich.

Kinder sind in unserer Gesellschaft grundsätzlich unterfordert.

Kinder sind hochleistungsfähige Wesen, deren Konzentration und Kapazität statt genutzt, systematisch gestört, zurechtgestutzt und schließlich zerstört wird.

2 Die große Sehnsucht ist zwar heutzutage: Frühförderung.

Die größte Angst aber: Überforderung.

Reizüberflutung! Das Reizwort.

Ein Kind kann gar nicht mit Reizen überflutet werden, weil das Gehirn automatisch abschaltet. Vorausgesetzt, dass man es: lässt.

Genauso wie das Kind alles aufsaugt, was es verarbeiten kann, schläft es einfach ein, sobald es an Sinneseindrücken gesättigt ist, im größten Getümmel, im ärgsten Krach, vielleicht gerade dann. Der größte Fehler, den man machen kann, ein Kind zum Einschlafen in der Stille zu isolieren. Trotzdem wird das üblicherweise getan.

3 Weil man meint, als der überlegende, ergo überlegene Erwachsene die Kinder steuern zu müssen. Mit seinem Wissen über sie bestimmen zu können.

Meint sogar, bestimmen zu müssen, wann es wie viel aufnehmen kann.

Was für eine Anmaßung!

Meinen Sie, Ihr mickriges Bewusstsein, Ihr kleinliches Kalkül wüsste über das Kind besser Bescheid als sein untrügliches Gefühl?

Wenn ihm sein als Kleinkind noch perfekt funktionierendes Sättigungsgefühl sagt, ich bin satt, zu sagen, iss doch noch einen Biss, komm hier, komm her, komm noch einen kleinen Bissen, hier kommt der Hubschrauber angeflogen, jetzt noch einen Haps für die Oma, für den Opa, für den Onkel, für die Katz –

1 Einem Neugeborenen können Sie noch nichts einreden, zum Glück nicht!

Sonst würde es im ersten Lebensjahr wahrscheinlich weder sitzen, noch stehen, noch gehen, noch das Gleichgewicht, die Gesetzte der Schwerkraft, noch mindestens eine ganze Sprache gelernt haben.

Und wieso soll das Kind später plötzlich unselbständiger lernen können als als Neugeborenes? Wieso erlauben wir uns, die Kinder beim Lernen völlig ihrer Autonomie zu berauben, wie Ureinwohner eines Landes, das wir glauben, besiedeln, kultivieren und dominieren zu müssen?

Sie meinen, Ihr Kind hat mit eins noch nicht mehr als zwei Worte gesprochen?

Ja, aber es hat schon alles verstanden, es hat sich schon einen kompletten Wortschatz angeeignet. Grammatik, Formen, Farben, Chemische, Physikalische, Mathematische Grundlagen, von Kunst aller Gattungen ganz zu schweigen. Und das alles ohne eine einzige belehrende Lektion, ein einziges erklärendes Wort. Völlig unbemerkt von der Erwachsenenwelt. Sonst hätte man das bestimmt reguliert. Angst gehabt, dass es dem armen kleinen Baby alles zu viel wird. Dass es sich überanstrengt, wenn es so viel lernt.

Aber das Gehirn lernt immer. Es ist seine größte Freude, seine einzige Befriedigung, seine eigentliche Bestimmung.

1, 2, 3 Guck hier, guck da. Schau dies, schau das. Sieh mal hier, nein jetzt nicht mehr. Erst hier, da dann, oh guck, oh komm, oh ja, oh nein, nein, nein. Da, da da, sieh her hier, hierher nicht dorthin, das nicht, das da, fass mal das, ja das macht man, nein, das nein, lass das sein –

1 Ich krieg das Kotzen.

3 Ich werd sowas von wütend.

2 Wissen Sie, was ich mir tagtäglich für Vorwürfe anhören muss?

Ja, wir sind ein Siebensprachiger Kindergarten.

Sieben Wochentage gibt es, sieben Sinne, sieben grundlegende Emotionen und sieben Weltwunder. Sieben Planeten neben der Erde, sieben Zwerge – sieben Todsünden? Ja, das hält man mir tatsächlich vor: Maßlosigkeit!

Dass ich maßlos sei! Und warum? Weil es bei uns sieben Sprachen gibt, aus den Mündern von Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern aus aller Damen und Herren Länder! Oh dieses Gegender. Andere Sprachen kennen dieses Problem überhaupt nicht, aber wir mit unserm Überbürokratismus müssen ja die Überkorrekten markieren statt zu kapieren, dass die Begrenztheit nicht in irgendeinem Innen oder Nicht-Innen liegt, sondern in unserem kleinkarierten deutschen Denken, konserviert in einem Bildungssystem, das noch dem Preußentum entstammt. Eingeführt – und seitdem nie revolutioniert – als Ableger der preußischen Heeresreform, als infolge von Napoleon neue Soldaten herangezogen werden mussten.

Und mir werfen diese evolutionär betrachtet bildungspolitisch noch in den Schützengräben liegenden Leute vor, ich züchte hier multitaskende Multi-Talker heran, stehle den Kindern die Kindheit. Die Kindheit stiehlt ihnen, wer sie vom sechsten Lebensjahr an plötzlich sechs Stunden lang still auf einem Stuhl sitzen lässt, notfalls medikamentös ruhiggestellt. Das ist nicht nur skandalös, das ist kriminell!

3 Lernen hat nichts, rein gar nichts mit dem „Ernst des Lebens“ zu tun, das ist preußisch protestantisch Freude verteufelnder Meinungsterrorismus, dieser Spasshass.

Lernen ist Lust! Rein von den biochemischen Prozessen aus gesehen, die beim Lernen vor sich gehen. Da nehm ich gerade auch an einem spannenden Forschungsprojekt teil. Wenn die Darmbakterien wirklich das Gehirn beeinflussen, was die Dopaminausschüttung angeht, da frag ich mich natürlich, inwieweit sie sich auch für das Lernen, insbesondere den Spracherwerb mitverantwortlich zeichnen, ich mein, vielleicht ist unser Darm längst globalisiert, klobalisiert, wie mein fränkischer Schwager immer sagt, wo waren wir stehengeblieben?

Ach ja, die unersättliche Neugier, der älteste, im Ausprobieren, Vorstellen, Nachspielen stets nach Befriedigung suchende Trieb – Lernen ist ein Kinderspiel, im allerwahrsten Sinne des Wortes!

Und mein Siebensprachiger Kindergarten ist der Beweis dafür, dass das ganz ohne Lehrplan funktioniert, ohne eine einzige Lektion nach Stundenplan, wie von allein. Allein im gemeinsamen Umgang.

1 Mit den Sprachen, und zwar gesprochen, anstatt in eine Schulbank geklemmt als Diktat oder Testat oder gar Aufsatz aufgeschrieben, aber mündlich oder schlimmer noch umgangssprachlich, das hat bei uns immer gleich sowas Zweitklassiges, dabei heißt es doch ausdrücklich Sprache und nicht Schreibe, meine Mutterschreibe, und Sprechen ist es auch, was wir seit Urzeiten tun, uns hinstellen und unsere Meinung kundtun. Der ganze Organismus, bis hin zu den allerkleinsten Mikroorganismen (schüttelt ihre Stuhlproben-Röhrchen) überall wird kommuniziert, nur bei uns hohen Tieren hat es sich eingebürgert, dass niemand mehr frei spricht –

Siegfried simulieren

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