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Falco

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Ich liebte alle Herren, die zu mir kamen. Allein schon deshalb, weil sie kamen. Meine Gäste genossen also einen großen Sympathievorschuss. Bei näherer Betrachtung gab es allerdings nicht mit allen sofort ein herzliches Verstehen, obwohl die Herren, mit denen ich gleich eine Verbundenheit fühlte, in der Überzahl waren. Bei den anderen dauerte es eine Weile, bis wir uns mochten.

In erster Linie denkt man, dass die Chemie zwischen zwei Menschen stimmen muss, damit sie gut miteinander auskommen. Das mag schon stimmen, aber ich habe in den vielen Jahren in meiner Bar erkannt, dass der Beruf eines Herrn eine große Rolle dabei spielte, ob ich mich gut mit ihm verstand. So gab es nie Sympathieprobleme mit Gästen, die eine Führungsposition innehatten, wie Unternehmer oder Manager. Mit ihnen vertrug ich mich immer auf Anhieb. Weit schwieriger war der Umgang mit Künstlern. Oft fragte ich mich, woran das lag. Vielleicht daran, dass Führungskräfte klar und strukturiert denken, sie planen genau und verfolgen konkrete Ziele. Und so agieren sie auch im Privatleben. Das macht sie leicht einschätzbar, man kann ihre Reaktionen vorhersehen.

Künstler dagegen sind immer ein bisschen chaotisch, auch im Denken. Sie folgen ihrer Intuition, sie sind emotioneller und sprunghafter. Das macht sie kompliziert. Falco war einer der kompliziertesten.

Eines Abends kam er in die Bar. Nein, er kam nicht, sondern er erschien. Mit einer ganzen Entourage im Schlepptau. Mit hoch erhobenem Kopf, provokant- arrogantem Blick und kerzengeradem Rücken schob er sein Ego vor sich her. Er setzte sich hemmungslos in Szene, jede seiner übertriebenen Gesten schien zu rufen: »Schaut her, da bin ich! Der Größte! Der Beste!« Es war dieser inszenierte Auftritt, der ihn mir, wie soll ich sagen, ja, auf Anhieb unsympathisch machte.

Dabei hatte er natürlich guten Grund, stolz zu sein. Falco, der Wiener Popstar, der eigentlich Hans Hölzel hieß, hatte Hochsaison, er war am Zenit seines Erfolges. Es war noch nicht lange her, dass er es mit seinem Song »Rock Me Amadeus« als erster deutschsprachiger Musiker an die Spitze der amerikanischen und der englischen Charts geschafft hatte. Dieser Hit und andere seiner Lieder wie »Vienna Calling« liefen unentwegt im Radio, und meine Mädchen tanzten dazu, wenn einer der Songs bei mir in der Bar gespielt wurde.

Als nun Falco höchstpersönlich eines Nachts bei uns erschien, legten sie sich ordentlich ins Zeug, um ihm zu imponieren. Schnell wurde sein Hit »America« in die Musikanlage geschoben, und die Mädchen sangen aus Leibeskräften mit, um Falcos Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Das Typische an mir

I bin untypisch ganz und gar

Einmal hoch und einmal tief

Einmal gspritzt, dann wieder klar

Die Mädchen bemühten sich vergeblich. Falco würdigte sie keines Blickes.

Es war tief in der Nacht. Er wankte schon ein bisschen. Ob der genossene Alkohol oder etwas anderes der Grund dafür war, dass er nicht mehr ganz sicher auf den Beinen stand, weiß ich nicht. Sein Gleichgewichtssinn war jedenfalls nicht mehr der beste, doch von seiner arroganten Attitüde hatte er keinen Funken eingebüßt. Umgeben von seinem Gefolge lehnte Falco an der Theke und unterhielt sich mit nasaler Stimme mit seiner Entourage. Blasiert, hochnäsig, überheblich und selbstherrlich sind die Attribute, die mir heute einfallen, wenn ich an den Falco von damals zurückdenke.

Von meinen Mädchen, die sich immer wieder zu ihm drängten, nahm er keine Notiz. Erst Tanja schaffte es, mit Falco ins Gespräch zu kommen. Tanja war ein schlankes, blasses Mädchen. Sie sah so unschuldig aus, als hätte sie sich von der Betstunde kommend in die Bar verirrt. Doch das täuschte. Tanja war intelligent und schlagfertig. Manchmal übertrieb sie es auch und wurde richtig frech.

Es dauerte nicht lange, und sie setzte sich zu Falco an die Bar, begleitet von den neidvollen Blicken der anderen Mädchen. Ich kannte Tanja gut genug, um zu wissen, dass sie zu ihm passte. Denn auf seine herablassenden, snobistischen Sprüche würde sie mit stoischer Gelassenheit antworten.

Genau das tat sie auch. Sie hielt dagegen, aber nicht zu viel. Sie provozierte ihn, aber wohldosiert. Am Ende zogen sich die beiden in mein exklusivstes Séparée zurück, in den Roten Salon.

Falco kam immer öfter in die Bar. Ich hatte das intensive Gefühl, dass ihn mehr herzog, als die Lust aufs Nachtleben, auf schöne Mädchen und auf die Möglichkeit, sich hemmungslos zu inszenieren. Da war etwas, das über diese Dinge hinausging, etwas, das ihn an meiner Bar faszinierte. Doch was genau ihn hier so in den Bann zog, konnte ich nicht erklären.

Ich beobachtete ihn, wie ich alle Gäste beobachtete, um sicherstellen zu können, dass er sich wohlfühlte. Gleichzeitig hoffte ich, dadurch irgendeinen Anhaltspunkt zu bekommen, was ihn an meiner Bar so begeisterte.

Falco bestellte immer Jack-Daniel’s-Whiskey für sich, und für die Mädchen Champagner. An seiner herablassenden Art änderte sich nichts. Einige Nächte widmete er sich demselben Mädchen, um es dann ganz plötzlich links liegen zu lassen und nicht mehr zu beachten und sich ausschließlich mit einem anderen zu beschäftigen. Doch selbst dieses unverschämte, flegelhafte Verhalten verhinderte nicht, dass ein Mädchen nach dem anderen sein Herz an ihn verlor.

Wie kann man sich nur in einen Mann mit solchen Manieren verlieben, dachte ich. Ich verstand das zwar nicht, aber ich akzeptierte es. Der Gast war zufrieden, und die Mädchen waren selber schuld, wenn sie nicht professionell die Grenze zogen. Trotzdem konnte ich mir eines Abends ein Kopfschütteln nicht verkneifen, als er sich den Mädchen gegenüber wieder besonders rüpelhaft benahm.

Falco bemerkte meinen Unwillen. Er bat mich zu seinem Tisch. Ich wusste, warum. Trotzdem gab ich die Unwissende. Ich lächelte ihn an. »Was ist denn, Hans?«, fragte ich. »Ist bei dir alles in Ordnung?«

Er nahm einen kräftigen Schluck Jack Daniel’s, direkt aus der Flasche. Es war, wie zumeist, bereits die zweite an diesem Abend.

»Warum schüttelst du den Kopf?«, fragte er. »Was mache ich falsch?«

»Du solltest die Mädchen nicht so von oben herab behandeln«, hielt ich ihm entgegen. »Du lebst doch auch in gewisser Weise von ihnen. Sie kaufen alle deine Platten.«

Er nahm noch einen Schluck Whiskey. Es schien, als würde er sich meine Worte zu Herzen nehmen. »Du hast recht«, sagte er dann auch. »Könntest du bitte die Musik etwas leiser machen? Ich möchte dazu etwas sagen.«

Obwohl es mir seltsam vorkam, dass sich Falco, der in meiner Bar sonst eher unter seinen Freunden blieb, an alle Gäste wenden wollte, erfüllte ich ihm seinen Wunsch und machte die Musik leiser. Die Bar war voll, jeder Tisch besetzt. Alle Augen richteten sich auf ihn, als er sich erhob. Er stellte die Whiskeyflasche ab und ging zu unserer kleinen Bühne.

Die Bühne in meiner Bar war ein kleines Podest in einer Nische. Dort wurde oft und gern getanzt. Die Mädchen drehten sich allein zur Musik oder sie tanzten mit den Herren. Besonders am Donnerstagabend, dem traditionellen »Herrenabend«, an dem immer Boogie-Musik auf dem Programm stand, wurde die Bühne stark frequentiert.

Eines Abends war auf der Bühne der Teufel los. Eines meiner Mädchen tanzte mit einem Gast zu den Liedern des Musicals »Das Phantom der Oper«. Die beiden machten das wirklich gut. An einem der Tische saß ein Herr allein bei einem Glas Champagner und beobachtete die Darbietung. Ich ging auf ihn zu. »Sie sitzen so allein hier, mein Herr«, sagte ich. »Darf ich Ihnen eine Dame schicken, die Ihnen Gesellschaft leistet?«

»Nein, danke«, antwortete der nette Gast. »Ich warte, bis das Programm zu Ende ist.«

Er dachte tatsächlich, dass wir hier in der Bar auf der Bühne eine professionelle Show bieten.

In meiner Bar ging es ja auch um Unterhaltung. Es war nicht so, dass die Gäste sofort mit einem Mädchen im Séparée verschwanden. Es gab Herren, die sich davor stundenlang in der Bar amüsierten, die tanzten und sangen. Manchmal dachte ich, dass diese Männer ein recht unglückliches Leben haben mussten, wenn sie nur hier bei mir richtig Spaß haben konnten.

Nun stellte sich Falco auf die Bühne und ich nahm an, dass er nach meinen mahnenden Worten etwas Verbindliches sagen würde, vielleicht etwas Selbstkritisches, etwas in der Art, dass es ihm hier gefiel, dass er allen dankbar für das gute Service und die freundliche Behandlung war, und dass er sich bessern wolle. Doch Falco war ein Mann der Überraschungen.

Da stand er nun, alle schauten zu ihm und jeder wartete auf seine Rede. Doch es kam anders. Langsam knöpfte Falco den Hosenschlitz seiner Jeans auf. Dann holte er sein bestes Stück hervor, das, wie mir die Mädchen schon berichtet hatten, von ansehnlicher Größe war. Ja, und dann pinkelte Falco auf die Bühne.

Alle waren fassungslos. Ich auch. Doch im Gegensatz zu den anderen musste ich etwas tun. Schließlich war ich die Chefin. »Hans«, sagte ich, während er noch pinkelte, »was machst du da?«

Er schnauzte mich an. »Halt den Mund«, rief er. »Du kannst dir deine Huren in den Arsch schieben. Ich brauche euch alle nicht.«

Das war zu viel. Ich erteilte ihm Lokalverbot, was auch sonst. Eine so strikte Maßnahme war ungewöhnlich, denn ich hatte ein großes Herz und sah über Verfehlungen der Gäste eher hinweg, zumal dann, wenn sich ein Herr entschuldigte. Falco dachte aber nicht daran, um Verzeihung zu bitten. Und so blieb ich hart, auch wenn es sich bei ihm um einen international erfolgreichen Popstar handelte.

Mir war schon damals klar, dass Falco große Probleme hatte. Ich bin empathisch, ich fühle mich leicht in Menschen ein, deshalb ahnte ich, dass sich hinter seiner arroganten Maske eine verletzte Seele verbarg. Heilung suchte er nicht im Hellen und Positiven, ihn zogen das Dunkle, die Abgründe und die Exzesse an. Dazu gehörte Alkohol, der seine Schwierigkeiten noch verstärkte.

Bereits zwei Nächte später konnte sich Falco nicht mehr an seinen skandalösen Auftritt und dessen Konsequenz erinnern. Er klopfte wieder am Portal meiner Bar. Die schwere Eingangstüre, außen in dunklem Schönbrunner-Grün lackiert und innen rot tapeziert, war stets verschlossen. Erst nach einem Blick durchs Guckloch entschieden die Mädchen oder ich, ob ein Herr eingelassen wurde. Als Falco draußen stand, schickte ich ihn weg. Er gebärdete sich wie ein abgewiesener Liebhaber, raunzte und bettelte, war beleidigt und verletzt. Das war Falco in einer völlig neuen Rolle. Und zum ersten Mal war er mir sympathisch. Ich fühlte mit ihm, und ich war sicher, dass ich mit meiner schon lange gehegten Vermutung recht hatte. Er war nicht wie die anderen Gäste, die in meine Bar kamen, um Spaß zu haben, sich wohlzufühlen und sich mit den Mädchen zu vergnügen. Falco zog noch etwas anderes hierher.

Aber ich konnte ihn nicht hereinlassen. Er hatte Lokalverbot. Aus gutem Grund, er hatte auf meine Bühne gepinkelt. Es musste Grenzen geben, vor allem im Nachtleben, und die Einhaltung dieser Grenzen musste kontrolliert werden. In meiner Bar sorgte ich dafür. Hätte ich Falco seine Entgleisung durchgehen lassen, wären vielleicht andere Gäste auf die Idee gekommen, sich auch so schlecht zu benehmen. Wer weiß, welche Gespenster ich da geweckt hätte.

Ein halbes Jahr später, als Falcos empörender Bühnenauftritt einigermaßen in Vergessenheit geraten war, stand er wieder in meinem Etablissement. Ein neues Mädchen, das nichts von dem Vorfall wusste, hatte ihn eingelassen. Er war also wieder da, und das war in Ordnung. Ich hob das Lokalverbot für ihn auf, und von nun an zeigte er bessere Manieren.

Zwar schien er auf den ersten Blick immer noch sehr arrogant, doch es schwang jetzt auch ein Hauch von Demut in seinem Verhalten mit, Dankbarkeit dafür, dass er hier sein konnte, dass wir ihn in unsere Show aufnahmen, dass wir ihn liebevoll umsorgten. Vielleicht spielte auch mit, dass Falco dabei war, sich in eines meiner Mädchen zu verlieben. Sie hieß Evelyn und hatte kurze, platinblonde Haare.

Evelyn hatte eine schwierige Kindheit und Jugend. Sie lebte mit ihrer Mutter eine Zeit lang im Ausland und hatte dort viel Leid erlebt, bittere Armut und Vernachlässigung. Daran war sie fast zerbrochen, sie hatte jeden Respekt vor sich selbst verloren. Als sich Evelyn bei mir bewarb, zeigte sie keine Spur von Selbstsicherheit. Ich hatte schon immer ein gutes Händchen für derart vom Leben gebeutelte Mädchen. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst keine Kinder habe, vielleicht konnte ich bei ihnen meine Muttergefühle ausleben. Auf jeden Fall bin ich stolz, dass ich es zumeist schaffte, diesen Mädchen zu helfen, ihren Selbstwert zu stärken, damit sie wieder zu sich selbst finden konnten. Bei Evelyn war das auch so.

Sie war einer von den rohen Edelsteinen, das war mir klar, als ich sie zum ersten Mal sah. Groß, schlank und sportlich, mit wunderschönen langen schwarzen Haaren. Perfekt, müsste man eigentlich denken. Aber es gab viele schöne Mädchen mit langen schwarzen Haaren. Ich musste Evelyn zu einem anderen Typ machen, dann wäre sie ein Brillant.

Damals war die Dänin Brigitte Nielsen mit ihrer platinblonden Kurzhaarfrisur der Traum vieler Männer. Nielsen, groß, durchtrainiert und immer ein wenig von der Aura der Unnahbarkeit umgeben, war Model für Giorgio Armani, Gianni Versace und Gianfranco Ferré, und der italienische Produzent Dino De Laurentis hatte sie für den Film »Red Sonja« mit Arnold Schwarzenegger unter Vertrag genommen.

Frauen, die aussahen wie Brigitte Nielsen, waren damals im Nachtleben selten. Und ich dachte mir, dass Evelyn genau dieser Typ sein könnte, dass ihr die Frisur von Brigitte Nielsen stehen würde. »Du hast so ein hübsches Gesicht und so einen schönen Körper«, sagte ich zu ihr. »Ich habe eine Idee. Lass deine Haare schneiden und platinblond färben.«

Danach sah Evelyn fantastisch aus. Sie strahlte eine große Kühle aus, während ihre Augen von Toleranz, von Geduld, Verständnis und Nachsicht sprachen. Tugenden, die sie in den Jahren ihrer Kindheit und Jugend beim stetigen Blick in die Abgründe des Lebens erworben hatte. Evelyn umgab etwas Rätselhaftes, und die Männer liebten sie.

Sie war es auch, die mir erklärte, was Falco wirklich bei mir in der Bar suchte. Er wollte sich in der Fantasiewelt, die wir alle unter meiner Regie Nacht für Nacht schufen, nicht bloß bedienen, um sich zu belohnen und sich etwas zu gönnen, er wollte ein Bestandteil von ihr sein. Kein Außenstehender, nicht bloß ein Gast, sondern ein Mitglied der Familie, er wollte die Seiten wechseln. Falco suchte nach Geborgenheit und hielt dieses inszenierte Märchen des Barbetriebes für das reale Leben, er konnte offenbar nicht zwischen Illusion und Wirklichkeit unterscheiden.

Zuerst verlor Evelyn ihr Herz an ihn. Sie kokettierte mit ihm. Wenn ich die beiden zusammen sah, ahnte ich immer, dass Liebe zwischen diesen beiden nicht ausgeschlossen war. Denn in gewisser Weise konnten sie auf Augenhöhe miteinander umgehen. Im realen Leben trennten Falco und Evelyn zwar Lichtjahre, er war ein Weltstar, sie eine Prostituierte, aber im Inneren waren sie beide verletzte Kinder, sensibel genug, um ein Leben lang darunter zu leiden, und mutig genug, um ein Leben lang gegen ihren Schmerz zu kämpfen. Falcos Verwundung kam vielleicht daher, weil sein Vater die Familie verlassen hatte. Die Ursache von Evelyns Verletzung waren vermutlich die Erfahrungen, die sie in ihrer Kindheit und Jugend machte. Aber ich weiß es nicht, und es steht mir auch nicht zu, darüber Vermutungen anzustellen. Denn obwohl manche in mir eine Psychotherapeutin sahen, hatte ich gar keine diesbezüglichen Qualitäten. Ich war eher gut darin, zu zeigen, wie man trotz seelischer Verletzungen lebt und das möglichst gut.

Wie die anderen Mädchen auch servierte Evelyn die Getränke, schenkte Champagner aus und arbeitete ab und zu hinter der Theke. Das tat sie besonders gern, wenn Falco da war. Denn Barfrauen haben im Nachtleben den Status der Unberührbarkeit und sind deshalb für die Jäger unter den Herren, zu denen Falco gehörte, besonders interessant.

Der Popstar war zu dieser Zeit bereits auf gewisse Weise ein Teil von uns. Er war zwar noch immer ein Gast, der die Show, die wir inszenierten, konsumierte, aber als besonders geschätzter Besucher zählte er gleichsam zur Familie. Meinem Mann, der mir während der gesamten dreißig Jahre, in denen ich die Bar betrieb, sowie davor und danach immer zur Seite stand und steht, und der vom Hintergrund aus viele Dinge lenkte, vertraute Falco besonders. Falcos Vater hatte, wie ich schon erwähnte, die Familie verlassen, als er noch ein Kind war, sodass er unter der Obhut seiner Mutter und seiner Tante aufwuchs. Offenbar hatte er das Weggehen des Vaters nie verwunden, dieser Verlust war vermutlich eine der Ursachen seines Schmerzes und seiner unstillbaren Sehnsüchte.

Ich glaube, er sah in meinem Mann so etwas wie einen Ersatzvater, und ich gönnte ihm das Gefühl dieser Vertrautheit und des Aufgehobenseins von Herzen. Denn abseits dessen schien Falco wenig zu haben, das seiner Seele gut tat. Er hatte zwar seinen großen Erfolg als Musiker, aber der machte ihn auch nicht glücklich, und er hatte den Alkohol.

Falco war ein Mann mit zwei Persönlichkeiten. Der private Hans war verletzlich und liebevoll, immer auf der Suche nach Zuneigung und stets von der Angst besessen, nicht gut genug zu sein. Die Kunstfigur Falco, die er kreiert hatte, war sein zweites Ich, unsympathisch, arrogant und immer danach strebend, zu provozieren. Dieser Kunstfigur erlaubte er es auch, den Schmerz, unter dem Hans litt, mit Exzessen aller Art zu betäuben.

Eines Abends erzählte mir ein Mädchen hinter vorgehaltener Hand, dass Falco von Evelyn regelmäßig Geld forderte, und dass sie es ihm auch gab. Das Mädchen, das mir diese Geschichte hinterbrachte, war eine Wienerin mit einem ziemlich losen Mundwerk und einer ausufernden Fantasie. Als sie in der Bar zu arbeiten begann, tischte sie mir am laufenden Band Unwahrheiten auf. Ihr Vater, sagte sie, lebe am Genfer See und sei mit Ölgeschäften reich geworden, ihre Mutter sei eine Schönheit, sie verbringe die Hälfte ihrer Zeit in Paris und sei dort die Muse junger Künstler. Tatsächlich hatte ihr Vater eine Trafik in einer Wiener U-Bahnstation und ihre Mutter, eine typische Wiener Matrone, arbeitete bei ihm. Deshalb nahm ich die Dinge, die mir Uschi erzählte, nicht unbedingt für bare Münze. »Wie meinst du das?«, fragte ich sie. »Falco bezahlt doch für Evelyn, und nicht umgekehrt.«

Uschi schüttelte den Kopf. »Ich war dabei, als er sie gefragt hat, wie viel sie verdient hat. Es war ihm zu wenig und er hat sie angeschrien, dass sie gefälligst ihren Hintern bewegen und mehr Geld heimbringen soll. Er hat ihr sogar zwei Ohrfeigen gegeben, eine links und eine rechts.«

»Hör mal, Uschi«, sagte ich, »was ist denn das wieder für eine Geschichte?«

Ich fragte sie vorsichtig, weil sie immer, wenn ich sie auf die Unwahrheiten, die sie verbreitete, ansprach, zu toben begann und wegrannte. Doch diesmal beharrte sie darauf. »Nein, es stimmt wirklich«, sagte sie. »Ich war dabei.«

Ich glaubte ihr trotzdem nicht. Aber ich war alarmiert und beobachtete Falco und Evelyn mit Argusaugen. Mir fiel auf, dass er jetzt jedes Mal anrief, bevor er die Bar besuchte, und immer fragte, ob Evelyn auch da sei.

»Was läuft da zwischen euch?«, fragte ich Evelyn.

»Ich weiß es nicht genau«, sagte sie.

»Nimmt er Geld von dir?«

»Das würde ich so nicht sagen.«

»Was heißt das?«

»Frag mich nicht. Das verstehst du nicht.«

»Ach Schätzchen«, sagte ich, »hast du eine Ahnung, was ich alles verstehe.«

Ich beließ es dabei. Aus meiner Sicht lief ja alles gut. Falco kam regelmäßig, er war ein guter Gast, der Geld ins Haus brachte und sich mittlerweile ordentlich benahm, und Evelyn sorgte dafür, dass er zufrieden war. Alles weitere ging mich ja eigentlich nichts an.

Das änderte sich eines Nachts, als mich ein Krachen und Klirren zusammenschrecken ließ. Ich ging gerade strahlend durch die Bar, eilte von einem Gast zum anderen, begrüßte einen Herrn, erkundigte mich beim nächsten, ob alles nach seinen Wünschen sei, und fragte einen weiteren nach seiner Familie, weil er mir bei seinem letzten Besuch von ihr erzählt hatte.

Das Krachen und Klirren kam von dem Tisch, an dem Falco im Kreis seiner Freunde mit Evelyn saß. Er hatte gerade mit der Faust so fest auf die Tischplatte gedroschen, dass die Gläser und die Aschenbecher aneinander geschlagen waren. Der Tumult ging weiter. Falco wedelte mit einem Geldschein und schrie Evelyn an: »Das soll alles sein? Dafür schicke ich dich anschaffen?«

Ich nahm Evelyn danach beiseite. »Meint er das ernst?«, fragte ich sie.

»Das weiß ich nicht«, sagte sie. »Ich glaube, er weiß es auch nicht.«

Ich sah zu Falco hinüber, der sich im Kreis seiner Entourage mit blasiertem Gesichtsausdruck, großspurigen Gesten und nasaler Stimme wieder einmal als arroganter Schnösel produzierte. »Da könntest du recht haben«, sagte ich.

Ich gab ihr ein kleines Bündel Geldscheine, alles in allem eine überschaubare Summe, damit sie etwas hatte, das sie ihm abliefern konnte. Bei den Umsätzen, die Falco brachte, war das allemal drin.

Ihn selbst wollte ich nicht darauf ansprechen. Als Puffmutter ging es mich nichts an, welche Spiele er mit meinen Mädchen spielte, solange die Mädchen das Spiel in Ordnung fanden. Doch eines Tages kam er selbst auf mich zu. »Als ich jung und arm war, wusste ich immer, dass ich eines Tages reich sein würde«, sagte er. »Ich wusste auch immer, wie mir das gelingen würde.« Er goss sich sein Glas halb mit Jack Daniel’s voll. »Ich wollte Zuhälter werden.«

Falco lebte in meiner Bar also eine seltsame Fantasie aus, die Erfüllung eines verrückten Traumes. Es war ein Spiel, das ich auch von anderen Herren kannte. Ein nobler Gast, ein Bankdirektor, der stets die feinsten Anzüge trug, schlüpfte bei mir in die Rolle des Strizzis. Das ging so weit, dass er eines Abends in die Kassa griff und brüllte: »Jetzt ist Schluss! Ab heute kassiere ich.« In diesem Moment meinte er das vollkommen ernst, er identifizierte sich mit seiner Rolle. Ich stoppte ihn mit einer schallenden Ohrfeige, und er fand rasch wieder zurück in die Wirklichkeit. Bei Falco aber war ich mir nicht sicher, ob eine solche Maßnahme reichen würde, damit er Theater und Realität wieder auseinanderhalten konnte.

Für mich und für meinen Mann war immer klar, wo die Wirklichkeit endete und wo die Show begann. Ich arbeitete in der Bar, mein Mann half mit. Das war unser Geschäft, unser Privatleben hatte damit nichts zu tun. Wir waren nicht gefährdet, die Dinge zu verwechseln. Bei den Mädchen war das schon anders. Viele hatten Illusionen über die Gäste, sich selbst und das Leben insgesamt. Sie träumten davon, dass sich ein reicher Herr in sie verliebte und sie heiratete, oder davon, ein Star zu werden, in welcher Branche auch immer. Doch so lange ihre Fantastereien und Träume in einem einigermaßen professionellen Rahmen blieben, war das ihre Sache.

Die Gäste, die in mein Etablissement kamen, verließen absichtlich die Wirklichkeit, wenn sie die Schwelle zur Bar übertraten, und gaben sich für ein paar Stunden bewusst der Täuschung hin, die Welt sei heil, unterhaltsam, gemütlich und liebevoll. Das war es ja, was ich verkaufte. Brachte einer von ihnen die Dinge durcheinander, war mir das nicht recht, denn am Ende waren wir Geschäftspartner, und unter Geschäftspartnern sind klare Verhältnisse immer von Vorteil. Trotzdem griff ich nicht ein. Denn das Gleichgewicht aus Fantasie und Realität, mit dem viele Herren leben, ist sehr empfindlich und Schaden ist dort schnell angerichtet. Zumal, wenn es sich um eine komplizierte Persönlichkeit wie Falco handelte.

Das Alter mag seine Nachteile haben, aber es hat auch seine Vorteile. Zum Beispiel weiß ich jetzt als Frau von fast siebzig Jahren, wohin das Schicksal manche Menschen, die ich während der Zeit in meiner Bar kennengelernt habe, geführt hat. So kann ich Ihnen auch erzählen, wie die Geschichte mit Falco und Evelyn geendet hat.

Die beiden spielten das Zuhälterspiel noch eine Weile, dann hörte Evelyn auf, bei mir zu arbeiten. Falco hatte tatsächlich sein Herz an sie verloren. Sie wurde seine Freundin. Ich erfuhr aus den Zeitungen, dass er ihr den Song »Jeanny«, der wie ein Liebeslied klingt, aber von einem Mädchenmörder handelt, in einem Hotelzimmer dutzende Male vorsang, als er daran feilte.

Jeanny, quit livin’ on dreams

Jeanny, life is not what it seems

Such a lonely little girl in a cold, cold world

There’s someone who needs you

Knapp ein Jahr waren Falco und Evelyn ein Paar. Während dieser Zeit sprach er einmal in einem Interview darüber, dass er sie bei mir kennengelernt hatte, und dass diese Zeit die beste seines Lebens gewesen sei.

Für Evelyn ging die Sache gut aus. Nach der Beziehung mit Falco hatte sie offenbar genug von ihren wilden Zeiten als platinblonde Schönheit im Nachtgeschäft, dorthin wollte sie nicht zurück. Sie fasste in einem bürgerlichen Leben Fuß, heiratete und gründete mit ihrem Mann, einem Manager aus Salzburg, eine Familie. Jetzt erinnert, abgesehen davon, dass sie noch immer schön ist, nichts mehr an die Evelyn von damals. Ihre Haare sind zwar noch immer kurz, aber jetzt wieder dunkel, sie kleidet sich gut, aber unauffällig, und sie wirkt sehr natürlich.

Für Falco endete die Sache nicht so gut, wie jeder weiß. Als mein Mann und ich 1998 aus dem Fernsehen erfuhren, dass sein Geländewagen auf der Straße zwischen den Städten Villa Montellano und Puerto Plata in der Dominikanischen Republik von einem Bus gerammt worden war und Falco noch an der Unfallstelle starb, wussten wir, dass dieser Unfall kein schrecklicher Zufall war.

Ehe Falco zum letzten Mal in die Dominkanische Republik aufbrach, besuchte er mich in der Bar, um sich zu verabschieden. »Hast du einen Fotoapparat, Nina?«, wollte er wissen.

»Warum brauchst du einen, Hans?«, fragte ich ihn überrascht.

»Ich möchte, dass es ein Bild von uns beiden gibt, und ich will, dass du es in die Auslage stellst. Alle sollen sehen, dass ich gern bei dir bin.«

Ein Mädchen machte das Foto von uns beiden. Danach fragte er nach meinem Mann, der aber an diesem Tag nicht in die Bar kam. Das machte Falco unglücklich. »Nina« sagte er, »ich wollte mich aber auch von deinem lieben Mann verabschieden.«

»Du kommst ja wieder, Hans«, hielt ich ihm entgegen.

»Wer weiß, ob wir uns in diesem Leben noch einmal sehen werden«, sagte er mit einem Lächeln, während er mich umarmte. Mit diesem Lächeln im Gesicht verließ er meine Bar. Ich sah ihn nie wieder. Das Foto, das ihn mit mir zeigte, stellte ich nach seinen Wünschen in die Auslage.

Warum ich sicher bin, dass er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hat? In seiner Welt, in der sich Illusion und Realität vermischten, hatte Falco keine Chance gehabt, je zu gewinnen, je ein normales, zumindest einigermaßen zufriedenes Leben führen zu können. Als dann noch sein Ruhm als Musiker, der sein Ego gestützt hatte, zu zerbröckeln begann, war ihm nur noch der Alkohol geblieben.

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