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Eine Frau steigt aus einem Auto

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Gestatten Sie mir dieses Bild: Ich stelle mir vor, dass Sie hinter der Theke stehen. Natürlich ohne Ihnen nahetreten zu wollen. Denn ich bin sicher, dass Sie es für sich ausschließen, hinter der Theke einer Bar wie meiner zu arbeiten. Ich vermute, dass sie es am Ende dieses Buches ein bisschen weniger oder auch ein bisschen mehr ausschließen werden. Aber es muss ja nicht unbedingt die Theke eines Nachtlokals sein. Es kann jede Theke sein. Es geht mir nur darum, dass Sie auf der Seite stehen, auf der ich so oft gestanden bin. Ich sitze Ihnen gegenüber auf der anderen Seite und erzähle Ihnen meine Lebensgeschichte, zu der auch die Geschichte meiner Bar gehört, die ich vor wenigen Wochen zugesperrt habe. Nicht, dass Sie denken, ich hätte mein Etablissement freiwillig geschlossen, um mich in den Ruhestand zurückzuziehen. Nein, ich hätte noch so gern weitergemacht. Aber es gab schreckliche Querelen mit dem Hausbesitzer, die in einem Rechtsstreit mündeten, und letztendlich musste ich leider das Handtuch werfen und zusperren.

Ich selbst mag Geschichten. Ich habe schon immer gern zugehört. Ich verstand es stets als Vertrauensbeweis, wenn mir ein Herr Episoden aus seinem Leben anvertraute, oder wenn ein Mädchen das tat. Ich verstand den Herrn dann besser, wusste, was ihn bewegte, wie er reagierte, was er sich erhoffte. Das half mir dabei, ihm das zu bieten, was er erwartete. Auch die Geschichten der Mädchen waren mir dienlich, ich konnte etwa nachvollziehen, warum sie sich in gewissen Situationen auf ganz spezielle Weise verhielten. Es half mir auch bei meinen Versuchen, ihr Leben in eine vernünftige Bahn zu lenken, was mir zugegebenermaßen nicht immer gelang. Der Erfolg meiner Bar war also zu einem guten Teil auf den Geschichten der Menschen, die dort ein und aus gingen, begründet.

Mein Selbstbewusstsein schwankt wie bei wahrscheinlich jeder Frau. Manchmal fühle ich mich wie die Königin der Nacht, als die mich so viele Herren gefeiert haben, manchmal wie eine Frau, deren Wert davon abhängt, wie hart sie arbeitet, und manchmal fühle ich mich wie ein schüchternes kleines Mädchen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich mich, seit ich über dieses Buch nachzudenken begonnen habe, frage: Würden Sie sich die Geschichte, die ich Ihnen auf meinem Barhocker sitzend und an Champagner nippend erzähle, während Sie hinter der Theke stehen, anhören wollen?

Ich denke schon, und es hätte vermutlich auch etwas mit meinem Aussehen zu tun. Würde ich zum ersten Mal Platz an der Theke nehmen, bliebe es nicht aus, dass Sie mich unauffällig von der Seite mustern, während Sie die anderen Gäste bedienen. Sie würden sich fragen: Wer ist diese Frau? Vielleicht würden Sie sich auch fragen: Wer um Gottes Willen ist denn diese Frau? Denn ich muss schon sagen, ich bin eine Erscheinung, die Ihnen ganz bestimmt auffiele. Machen Sie sich also bitte ein Bild von mir, ehe ich damit beginne, Ihnen meine Lebensgeschichte zu erzählen.

Stellen Sie sich vor, ich komme irgendwo an. Jetzt steige ich aus einer schwarzen Limousine. Meistens ist es ein schwerer Mercedes in einer etwas verlängerten Version, damit ich genug Platz für meine Beine habe. Sobald der Wagen hält, sehen Sie einen unauffälligen Herrn mit grauen Haaren aussteigen, er geht um den Wagen herum und öffnet die Tür, hinter der ich sitze.

Wenn Sie mich zum ersten Mal sehen, fällt Ihnen sicher sofort mein Strahlen auf, das ich wie teuren Schmuck im Gesicht trage. Ich strahle den Mann an, der mir die Tür öffnet. Dieses Strahlen habe ich mir bewahrt, auch über die Zeit meiner Bar hinaus. Es ist etwas Schönes. Es verändert die Menschen um mich. Es macht sie mir geneigt und großzügig. Es verändert auch mich. Wenn die Tage trüb sind, kann ich im Nu meine Stimmung verbessern, indem ich mein Strahlen aufsetze. Es hält mich glücklich. Es hält mich am Leben. Es stellt einen Wert für mich dar. Ich würde sagen, es ist so etwas wie mein Markenzeichen. Probieren Sie es einmal. Üben Sie, zu strahlen. Es ist gar nicht so schwer, und irgendwann haben nicht nur Sie dieses Strahlen, sondern es hat auch Sie. Es verändert Ihr Leben.

Wenn Sie mich beim Ankommen beobachten, werden Sie feststellen, dass ich eine Weile brauche, bis ich meine Füße auf die Straße gestellt habe. Betrachten Sie mich genauer, dann kennen Sie den Grund. Ich bin korpulent. Ich würde sogar sagen, ich bin ausgesprochen korpulent. Irgendwann einmal, so viel kann ich Ihnen schon jetzt verraten, war ich ein zierliches junges Ding. Als ich geheiratet habe, wog ich fünfzig Kilo. Jetzt mustere ich mich manchmal und frage mich, wohin dieses zierliche junge Ding verschwunden ist. Ich schaue meine Handgelenke an und denke, dass die Knochen darin noch immer so leicht und zerbrechlich sein müssen, wie sie es damals waren. Doch jetzt sind sie in Armen verborgen, die, so empfinde ich es jedenfalls, so viel wiegen, wie früher das ganze zierliche junge Ding.

Wenn ich bei meinem Arzt bin, rügt er mich oft wegen meines Gewichtes. Er hat natürlich recht, ich sollte abnehmen. Ich gebe zu, dass in der schwarzen Limousine immer öfter eine Krankenschwester mitfährt, in Zivilkleidung natürlich, damit nicht so auffällt, dass ich Betreuung brauche. Sie hilft mir in den Rollstuhl, der zusammengeklappt im Kofferraum liegt. Nicht nur mein Übergewicht drückt auf die Gelenke, ich habe seit einer Knieverletzung Probleme beim Gehen.

Das Essen ist schuld an meiner Korpulenz, ich weiß es. Ich esse gern, und ich esse viel, zu viel. »Herr Doktor«, sage ich zu meinem Arzt, wenn er mir wegen meines Gewichtes wieder einmal die Leviten liest, »früher einmal musste ich um jeden Bissen kämpfen, da ging es ums Überleben. Das habe ich verinnerlicht. Ich bewundere Menschen, die sich beherrschen können, aber ich kann es nicht.«

»Madame Nina«, antwortet er dann, »vielleicht gab es Zeiten, in denen es ihren Tod bedeutet hätte, wenn sie nicht gegessen hätten. Doch jetzt bedeutet es ihren Tod, wenn sie essen.«

Was soll ich machen, ich esse aber so gerne. Dabei war ich als Kind, als sechs- oder siebenjähriges Mädchen unterernährt, spindeldürr, ein Skelett. Aus irgendeinem absonderlichen Grund wollte ich damals nicht essen, obwohl wir wirklich reichlich hatten. Meine Eltern machten sich große Sorgen um mich, weil ich so dünn war, sie schickten mich wiederholt zur Kur in die Berge und ans Meer, damit ich dort ein bisschen zunehme.

Zu Hause saß ich dann bei Tisch, kaute mit leerem Mund und fütterte heimlich den Hund mit meinem Essen. Irgendwann waren meine Eltern wieder dermaßen beunruhigt wegen meiner Klapprigkeit, dass sie mich zum Arzt brachten. »Nina«, sagte er zu mir, »wenn du nicht essen willst, wirst du sterben.« Dieser Satz war eine Initialzündung und er hat sich in meinem Kopf eingegraben. Ich habe damals zu essen begonnen und ich habe nie mehr aufgehört. Nach und nach kam ich auf den Geschmack, ich wurde zur Genießerin und entwickelte einen Hang zu gutem Essen, zum besten, zum feinsten.

In Wien ist es ja einfach, dieser Leidenschaft, gut zu essen, zu frönen. Mein Mann und ich waren und sind Stammgäste in den besten Restaurants der Stadt, bei den »Drei Husaren«, im »Sacher«, im »Schwarzen Kameel«, beim »Plachutta«. Den Verlockungen erstklassigen Essens kann ich einfach nicht widerstehen. Ich liebe delikat gewürzte Speisen, exquisit komponierte Zutaten. Ich liebe saftige Steaks, goldbraune Schnitzel, herrliche Jakobsmuscheln und köstliche Garnelen. Wie fein das ist, wie schmeckt mir das, ach, ich esse so gern. Am liebsten hätte ich immer von allem ein bisschen auf meinem Teller, was für eine Geschmacksexplosion.

Sie sehen, ich gerate ins Schwärmen, wenn es ums Essen geht. Diese Affinität zu deliziösen Speisen hat sich seit meiner Kindheit entwickelt. Denn der Satz des Arztes »Wenn du nicht isst, wirst du sterben« verfolgt mich bis heute. Ich muss essen. Wenn ich Hunger habe, schreie ich. Denn esse ich nicht, habe ich das Gefühl, zu sterben. Das ist ein psychischer Defekt.

Essen, gutes Essen, ist also ein wichtiger Teil meines Lebens, und wohl auch deshalb hatte ich lange Zeit direkt neben meiner Bar ein Restaurant, den »Rosa Elefant«. Das war ein hübscher kleiner Betrieb mit einem rund achtzig Quadratmeter großen Gastraum, in dem etwa fünfundsiebzig Besucher Platz hatten. Im Sommer kam noch ein riesiger Schanigarten dazu. Anfangs war das Restaurant täglich geöffnet, später sechs Tage in der Woche, außer Sonntag, von sechzehn Uhr bis zwei Uhr früh.

Im »Rosa Elefant« gab es eine Verbindungstür zu meiner Bar, die von den Herren gern benützt wurde. Denn so vermieden sie es, sich eventuellen neugierigen Blicken auszusetzen, wie das vielleicht der Fall war, wenn sie meinen Nachtclub direkt vom Bauernmarkt aus betraten. Schlüpften sie durch die Verbindungstür, setzten sie sich nicht dem Verdacht aus, etwas aus bürgerlicher Sicht Unanständiges im Sinn zu haben.

Das Restaurant lief vom ersten Tag an großartig. Die Gäste kamen in Scharen, nicht nur wegen der gemütlichen Atmosphäre, sondern vor allem auch wegen der herrlichen Speisen. Wir servierten klassische österreichische Hausmannskost, Pfannengerichte wie Eiernockerl und Schinkenfleckerl mit grünem Salat. Ach, wie herrlich das geschmeckt hat. Deftig, aber nicht zu fett und gut verträglich.

Die Spezialität im »Rosa Elefant« waren aber Spareribs, wir verkauften sie tonnenweise. Für diese Schweinerippchen, die in einer Mischung aus Öl, Honig, passierten Paradeisern, Tabasco und Bier mariniert und danach auf dem Holzkohlengrill gegart wurden, standen die Gäste Schlange. Dazu gab es alle erdenklichen Saucen, deren süß-scharfe Aromen perfekt mit dem Geschmack der Rippchen harmonierten und dem Gaumen schmeichelten. Unsere Spareribs waren so berühmt, dass sogar zwei amerikanische Piloten zu den Stammgästen des »Rosa Elefant« zählten. Immer, wenn die beiden in Wien waren, kamen sie ins Restaurant, um Spareribs zu essen, obwohl dieses Gericht eigentlich eine Spezialität der amerikanischen Küche ist und in ihrer Heimat am besten zubereitet wird.

Aber nicht, dass Sie jetzt denken, ich hätte vielleicht selbst im »Rosa Elefant« gekocht. Nein, nein, dafür reichten meine diesbezüglichen Künste bei Weitem nicht aus, beim Essen bin ich besser. Ich habe auch keine Tipps gegeben oder Rezepte geliefert. In der Küche des Restaurants regierte ein hervorragender Koch, ein Waldviertler, der dreiundzwanzig Jahre lang bei uns war. Er hat mit der Qualität der Speisen dafür gesorgt, dass der »Rosa Elefant« so stark frequentiert war, dass wir in diesem kleinen Restaurant fünf Kellner beschäftigten. Manchmal war der Andrang der Gäste enorm, sie mussten sich anstellen und warten, bis ein Tisch frei wird.

Auch die Besucher meiner Bar liebten das Essen des »Rosa Elefant«. Hatten die Herren Hunger, konnten sie dort bis Mitternacht bestellen, die Speisen wurden in mein Etablissement gebracht. Zum Essen zogen sich die Gäste dann in einen kleinen Extraraum zurück, der mit einem Vorhang geschlossen wurde. Ich wollte verhindern, dass sich die Gerüche der Speisen ausbreiten, dass sie sich mit dem so schön komponierten Duftbouquet in der Bar mischten und die anderen Gäste störten.

Die Herren hatten aber nicht nur bis Mitternacht Appetit, sie verlangten oft bis in die frühen Morgenstunden nach einem Imbiss. Dann bereitete ich ihnen in der kleinen Küche meines Etablissements selbst eine Kleinigkeit zu. Die Gäste schätzten es, wenn Madame höchstpersönlich ihr Bedürfnis nach Essen befriedigte. Es ist ja tatsächlich so, dass Liebe durch den Magen geht.

Ich servierte den hungrigen Herren Schinkenbrote und Speckbrote, Schinken- und Käsetoast und Würstel, eine leichte Mahlzeit für zwischendurch eben.

Erst als es mein Restaurant, den »Rosa Elefant«, nicht mehr gab, brachte ich regelmäßig Selbstgekochtes mit in die Bar. Nichts Großartiges, vielleicht ein Kalbsgulasch, nicht zu scharf, fein und leicht gewürzt, dazu mit dem Löffel ausgestochene Nockerl. Manchmal waren es auch Krautrouladen. Den Gästen hat es stets geschmeckt.

Wurden in der Bar große Feste gefeiert, ließ ich die Speisen, wie Muscheln und Lobster, aus einem der ersten Restaurants der Stadt anliefern. Denn es war ja nicht so, dass ich ständig in der Küche stand. Ich war in meinem Etablissement die Gastgeberin und nicht die Köchin. Wenn’s ums Kochen ging, hatte ich auch nie große Ambitionen. Als Kind sagte meine Mutter immer wieder zu mir: »Raus aus der Küche, Nina. Weg vom Kochlöffel.« Das habe ich mir zu Herzen genommen. Aber was ich koche, das kann ich Ihnen verraten, schmeckt herrlich.

Aber sie sind ja noch dabei, mich zu beobachten, wie ich aus der schwarzen Limousine steige. Sie sehen eine ausgesprochen korpulente Frau, der ein unauffälliger Herr mit grauen Haaren die Tür aufhält. Jetzt fällt Ihnen sicher der opulente Goldschmuck auf, den ich trage. An meinen Handgelenken, in denen sich noch immer diese zarten Knochen des jungen Dings, das ich einmal war, verbergen, hängen schwere goldene Armbänder, die klimpern, sobald ich mich bewege. Vielleicht trage ich gerade jenes mit den vielen alten goldenen Medaillons, die ich über die Jahre gesammelt habe, Andenken, die mir mein Mann auf Reisen geschenkt hat. Dazu eine prachtvolle breite Kette und wippende Ohrgehänge, natürlich ebenfalls aus massivem Gold und mit Edelsteinen besetzt. Schauen Sie auf meine Hände. Sehen Sie die kostbaren Ringe? Etwa diesen schweren Jugendstilring mit schwarzer Emaille, die von funkelnden Diamanten umgeben ist?

Jetzt denken Sie eventuell, dass ich aufgeputzt bin, aufgeputzt wie ein Christbaum, wie man im Wienerischen sagt. Sie meinen womöglich, dass ich es mit dem Schmuck übertreibe. Aber ich mag das. So bin ich, ich habe ein Faible für Schmuck. Ich glänze so gern. Schmuck verleiht mir etwas Prächtiges, etwas Königliches. Es kann nie genug Schmuck sein.

Diese Leidenschaft für Pretiosen reicht in meine Kindheit zurück. Meine Mutter trug gern Schmuck, ich erinnere mich vor allem an ihre wunderschönen Perlenketten. Denke ich an meinen Vater, fällt mir sofort sein auffälliger Siegelring ein, den er immer an der Hand hatte. Von ihm bekam ich auch mein erstes wertvolles Schmuckstück. Er überreichte mir zum achtzehnten Geburtstag einen Allianzring, einen massiven Goldring mit einem Rubin in der Mitte und zwei Brillanten.

Bis heute kaufe ich Schmuck nicht selbst, ich lasse mich verwöhnen und ihn mir schenken. Mein Mann hat mich, seit wir uns kennen, immer mit Gold und Edelsteinen überhäuft. Auch mein liebstes Schmuckstück bekam ich von ihm. Eine schwere goldene Halskette, mittellang, mit einem brillantbesetzten Elefanten als Anhänger. Das war ein besonderes Geschenk zu einem besonderen Anlass. Ich bekam die Kette zur Eröffnung unseres Restaurants »Rosa Elefant«. Das Besondere war, dass der Elefant einen aufgestellten Rüssel hatte, und das gilt als Glücksbringer. Lange Jahre brachte er mir tatsächlich Glück. Dann wurde er mir leider gestohlen.

Auch mein teuerstes Schmuckstück, ein kostbarer Jugendstilring meiner Mutter, gehört nicht mehr zu meiner Schmucksammlung. Er wurde mir auf einer Amerikareise zusammen mit einigen anderen Juwelen aus der Wohnung geraubt. Jetzt bin ich klüger, all mein Schmuck liegt hier in Wien sicher aufgehoben in einem Bankschließfach.

Aber Sie betrachten mich ja noch immer, während ich aus der schwarzen Limousine steige. Es ist kühl, trotzdem trage ich keinen Pelz. Nur ein kleines bisschen davon, mein schwarzer Umhang aus feinem Kaschmir ist schmal pelzverbrämt. Hätten Sie mich früher gesehen, wäre Ihnen sofort mein Pelzmantel aufgefallen. Aber all die schönen Stücke hängen schon jahrelang ungetragen und gut verwahrt bei meinem Kürschner. Viele, viele herrliche Pelze, Zobel und Nerze. Jeder Mantel ist für mich wie ein Juwel. Mein Mann schenkte sie mir immer zu Weihnachten, ich habe die Pelze über viele Jahre gesammelt. Jetzt ist schon lange kein neuer dazugekommen. Denn die Zeiten haben sich geändert. Pelz zu tragen, gehört sich jetzt nicht, und ich will niemanden provozieren, indem ich meine Pelzmäntel ausführe. Bin ich böse, weil ich meine Pelze so liebe? Verurteilen Sie mich bitte nicht.

Ich lege großen Wert auf meine Kleidung. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Herren nicht so sehr darauf achten, was eine Frau trägt. Sie haben zwar ihre Vorlieben, aber selten kann ein Mann genau sagen, was eine Frau, die eben den Raum verlassen hat, anhatte. Doch wenn Sie eine Frau sind, werden Sie sich bei meinem Anblick wahrscheinlich auch über meine Kleidung Gedanken machen. Denn ich habe eine sehr expressive Art, mich anzuziehen, meine Garderobe ist ausdrucksstark, ich falle auf. Mein Erscheinungsbild ist aber nicht von lauten, schrillen Farben geprägt. Die setze ich nur bei meinen auffälligen Brillen ein, ich trage sie in allen Nuancen, von Beige über Blitzblau bis Rot. Bei der Garderobe erreiche ich diesen ausdrucksvollen Effekt, indem ich mich vorzugsweise in Schwarz und Weiß kleide, dazu trage ich blutroten Lippenstift. Das sieht immer sehr dramatisch aus. Ich habe ja einen Hang zur Theatralik.

Wenn Sie mich nach dem Namen meiner liebsten Designermarke fragen, rufe ich laut Chanel, Chanel, Chanel. Auch als ich noch dieses schlanke, junge Ding war, trug ich mit Vorliebe Chanel-Kostüme. Diese schlichten, fast biederen Kostüme verleihen jeder Frau eine subtile Sinnlichkeit, die sie erotischer macht als das größte Dekolleté. Ich liebe Chanel-Kostüme auch, weil sie zu jeder Gelegenheit passen, zu jeder Tageszeit, sie können beim Frühstück ebenso getragen werden wie abends beim Ausgehen. Ich liebe die Qualität der Stoffe und der Verarbeitung, die feinen Bleikettchen in den Jackensäumen, die für den guten Fall und den perfekten Sitz sorgen. Ich wollte schon immer gekleidet sein wie eine Prinzessin, wie eine stilsichere, moderne Prinzessin, wie Caroline von Monaco. Jetzt hängen meine vielen Chanel-Kostüme allerdings seit Jahren ungetragen in den Schränken. Um reinzupassen, müsste ich ja fünfzig Kilo abnehmen. Aber ich werde sie nie weggeben. Sie sind so schön, ich schaue sie immer wieder gern an.

Seit ich korpulent bin, näht eine Schneiderin meine Garderobe. Den schlichten, zeitlosen Schnitten und Schwarz und Weiß bin ich aber treu geblieben. So wie der Marke Chanel. Heute kaufe ich dort meine Taschen und Schuhe, Broschen und Tücher.

Sie sehen, ich mag Klassisches. Hin und wieder kommt ein Tupfen Leoprint dazu, vielleicht ein Schal oder ein Umhang mit diesem Muster. Ich bin ja eine Katze, eine korpulente Katze, ein Löwe.

Während der Zeit, in der ich meine Bar betrieb, trugen nicht nur die Mädchen eine Uniform, sondern auch ich hatte meine Dienstkleidung. Allerdings unterschied sich meine grundsätzlich von den transparenten Bodys der jungen Damen. Ich trug stets hochgeschlossene schwarze Kleider oder Jacken mit schneeweißem Kragen. Man hätte mich für eine Nonne oder für eine Lehrerin an einer Klosterschule halten können. Meine langen Haare hatte ich immer streng aus dem Gesicht zurückgekämmt, hoch am Kopf wurden sie mit einer Chanel-Spange oder -Schleife zusammengehalten, und der Pferdeschwanz war zu einem dicken Zopf geflochten. Ich sah also ganz anders aus als die Mädchen. Ich wollte seriös wirken und ihnen auch nie Konkurrenz machen. Sie lachen jetzt? Vergessen Sie nicht, dass ich jung war, Mitte dreißig, als ich mein Etablissement eröffnete.

Weil wir gerade bei meiner Frisur sind, wage ich die Frage. Fallen Ihnen meine Haare auf, wenn Sie mich beim Aussteigen aus dem Wagen beobachten? Sehen Sie, dass jede Strähne makellos sitzt? Ich bin so furchtbar penibel, auch bei der Frisur. Alles muss immer picobello sein, das ist mein Tick.

Jetzt trage ich lange Stirnfransen, immer zur Seite gelegt, die Spitzen ein bisschen nach außen wie zu einer kleinen Tolle geföhnt, und einen dicken Dutt auf dem Kopf. Im Lauf der Jahrzehnte habe ich meine Haarfarbe immer wieder geändert, auch auf Rot, dafür hatte mein Mann eine Vorliebe. Jetzt bin ich wieder blond, so wie ich es als Kind war.

Eine strahlende blonde Frau von fast siebzig Jahren, ausgesprochen korpulent, in klassischer schwarz-weißer Garderobe, mit klimperndem Gold an Hals, Armen und Ohren, die in einer Limousine vorgefahren ist, sitzt jetzt also an der Theke, hinter der Sie stehen. Jemand hat Ihnen bereits zugeraunt, dass sie dreißig Jahre lang eine große Nummer im Wiener Nachtleben war. Nun fasst sie sich ein Herz und erzählt Ihnen ihre wahre Geschichte.

Madame Nina weiß alles

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