Читать книгу Piv - und das Geisterhaus - Nina Sahl - Страница 5

Kapitel 3

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„Hast du gut geschlafen, dort unten in den Katakomben?“, scherzt Vater, als die Familie zwischen unzähligen Umzugskisten und Chaos im Wohnzimmer sitzt und an aufgebackenen Gewürzbrötchen knabbert.

„Ganz gut“, antwortet Piv gleichgültig. Schließlich hat sie ja ganz gut geschlafen, bevor Mille sie aufgeweckt hat. Viel besser sogar, als sie gedacht hätte, als sie sich gestern Abend ins Bett gelegt hatte.

„Das war lecker!“, brummt Vater schließlich zufrieden und schlürft aus seiner Kaffeetasse. Mutter kratzt die letzten Cornflakes in Milles Schüsselchen mit einem Löffel zusammen und füttert das kleine Mädchen damit.

„Wie sehen denn unsere Pläne für heute aus, Vimme?“, fragt er dann an Mutter gerichtet und Piv weiß, dass mit dieser Frage das Ende des Sonntagsfrühstücks eingeläutet wird. Jetzt wird wieder geschuftet. Schnell bedankt sie sich fürs Essen und stiehlt sich vom Frühstückstisch davon. Ihren Teller und die Kakaotasse trägt sie in die Küche und stellt alles in den Geschirrspüler. Dann tapst sie in ihr Kellerreich, um sich anzuziehen. Immer noch stehen alle ihre Kisten herum, die darauf warten, ausgepackt zu werden. Hoffentlich ist es hier unten nicht mehr so gruselig, wenn draußen erst einmal die Sonne richtig aufgegangen ist.

***

Im Laufe des Vormittags kommt Oma wieder vorbei, zusammen mit Tante Berit, Onkel John und Pivs Cousine Sabine.

„Hör mir auf, Vimme, wie schön ihr es euch hier machen könnt!“, jauchzt Tante Berit, als Mutter sie durch die untere Etage des neuen Hauses führt. Vater und Onkel John stehen im Wintergarten und sehen bestürzt auf den vom Unwetter umgestürzten Baum. Er ist so riesig, dass er beinahe den ganzen Garten bedeckt. Vater war alles andere als begeistert, als er ihn früh am Morgen dort liegen sah. Aber Onkel John beruhigt ihn mit den Worten, mit einer Motorsäge in Windeseile Klarschiff zu machen.

Piv hat keine Lust, sich groß mit den Erwachsenen zu beschäftigen. Am liebsten will sie ihre Cousine Sabine mit auf ihr Zimmer schleifen und somit vermeiden, ihren Eltern bei irgendwelchen Arbeiten unter die Arme greifen zu müssen.

„Ach herrje, was für ein entzückender kleiner Raum!“ Tante Berit plappert immer noch ganz aufgeregt, während Mutter sie durch die anderen Zimmer führt. „Wie wunderschön! Wie ein kleines Prinzessinnenzimmer! Genau das Richtige für euren kleinen süßen Spatz. Und wo schlaft ihr?“

Piv zieht Sabine energisch aus der Küche fort und schnappt im Vorbeigehen eine Keksrolle aus dem Regal. „Komm, ich zeig dir mein Zimmer“, verkündet sie. Sabine nickt eifrig.

„Ja, verdammt nochmal!“, ruft sie erleichtert und springt vom Küchentisch herunter auf dem sie gesessen hat.

Gerade, als die beiden Mädchen sich auf den Weg in den Keller machen, kommen Oma und Mille aus dem Badezimmer.

„Hallo Oma!“, rufen Piv und Sabine im Chor. Oma lächelt die beiden milde an, doch Mille wirft Sabine einen giftigen Blick zu.

„Meine Oma!“, krakelt sie sofort und zeigt entzürnt mit ihrem kleinen Wurstfingerchen auf ihre große Cousine. Piv und Sabine müssen kichern und Oma nickt schmunzelnd, während sie Milles Strumpfhose zurechtzupft.

„Das ist auch meine Oma“, entgegnet Sabine salopp; dann springen die beiden Mädchen leichtfüßig die Kellertreppe hinunter.

„Wie cool, dass du den ganzen Keller hier für dich hast!“, stellt Sabine fest, als sie am Fuß der Treppe angekommen sind und in Richtung Pivs Zimmer gehen. Mit großen Augen schaut sie sich um. „Sollen wir mal deine Sachen fertig einräumen?“

Piv zuckt mit den Schultern. Es wäre eigentlich gar nicht so schlecht, ein bisschen Gesellschaft beim Auspacken zu haben. Doch Sabine hat schon längst etwas anderes entdeckt.

„Was ist das dort?“, will sie wissen und deutet mit dem Zeigefinger aus dem Zimmer hinaus den Kellergang hinab. „Zeig mir mal, was da ist!“

Piv steht auf und führt ihre Cousine den dunklen Kellergang hinab. Sie beginnt ihre kleine Kellerführung am Ende des Ganges beim Badezimmer.

„Was ist hier so drin?“ Sabine öffnet neugierig die Tür und drückt auf den Lichtschalter. Das Bad liegt genau gegenüber der vollgerümpelten Abstellkammer. Das Licht aus dem Badezimmer wirft einen schmalen hellen Streifen in den dunklen Flur. Piv stöhnt auf. Wieso hat sie gestern Abend nicht einfach das Licht im Bad angemacht, statt hier im Dunkeln umherzutasten? Dann hätte sie vielleicht auch erkannt, ob wirklich noch jemand außer ihr hier gewesen ist.

„Du Glückliche!“, ruft Sabine jauchzend und betritt das Kellerbad. „Und das hier hast du alles für dich selbst. So etwas hätte ich auch gern!“

Aus ihrer Stimme kann man neben dem fröhlichen Klang ein kleines bisschen Neid heraushören. Doch Piv würde nur zu gerne ihr Kellerverlies gegen Sabines Zimmer tauschen. Sie hat eine eigene Terrasse und einen begehbaren Kleiderschrank. Und keine nervigen Geschwister weit und breit.

„Das ist gar nicht so lustig, wie du denkst“, meint Sabine und dreht den Wasserhahn auf. Nach heiserem Stottern und Gurgeln spuckt er ein paar Spritzer Wasser in das staubige Waschbecken.

„Wenn man das einzige Kind zu Hause ist, haben die Alten viel zu viel Zeit, sich mit dir zu beschäftigen. Dann stecken sie ihre neugierigen Nasen überall hinein und wollen immer wissen, was man macht. Hier unten hast du wenigstens deine Ruhe. Ich finde, du hast ein Riesenglück!“

Sabine wirbelt herum und verlässt das Badezimmer in Richtung Rumpelkammer. Die Tür klemmt immer noch, aber das hält Sabine nicht zurück. Mit aller Kraft stemmt sie sich gegen die alte Tür, bis sie mit einem lauten Knirschen und Quietschen aufgeht und eine dichte Staubwolke aufwirbelt.

„Oh, wie toll! Soviel alter Krempel!“, jubelt sie und betritt ohne zu zögern den düsteren Raum. Piv hingegen steht unschlüssig im Türrahmen und tritt von einem Fuß auf den anderen. Eigentlich wollte sie vermeiden, dass Sabine da drinnen herumstöbert. Aber dazu ist es nun wohl zu spät.

„Wie spannend!“, fährt Sabine begeistert fort und klingt plötzlich genauso wie ihre Mutter, Tante Berit. „Du hast hier deinen eigenen Flohmarkt! Warst du hier schon drinnen und hast dir das Alles mal angesehen?“

Das hat Piv natürlich noch nicht und sie verspürt auch keinerlei Lust dazu. Sie möchte am liebsten umkehren und sich in einen Teil des Hauses zurückbegeben, in dem sie sich nicht so fremd und unbehaglich fühlt wie hier. „Dieses Zimmer gehört gar nicht uns“, murmelt sie. „Die Sachen hier drin gehören alle dem toten Mann.“ Sie verknotet ihre Finger, während sie spricht, was typisch ist für Piv, wenn sie sich unwohl fühlt oder nervös ist.

„Quatsch mit Soße!“, ruft Sabine fröhlich. „Natürlich gehört das jetzt euch! Und es sind alles unglaublich spannende Sachen!“ Und schon ist sie dabei, einen Berg von Möbeln zu erklimmen. Seufzend sieht Piv sie hinter einem Haufen Kisten verschwinden. Die ganze Sache ist ihr nicht so recht geheuer, aber Sabine ist nicht mehr zu stoppen, wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hat. Genau wie Pivs Mutter und ihre Tante Berit.

„Wenn du uns ein paar Schokokekse holst, dann befrei ich uns mal zwei Stühle aus dem Gerümpel, damit wir es uns hier gemütlich machen können“, beschließt sie und ruckelt an dem nächsten Stuhl, den sie zu greifen kriegt.

Piv gehorcht widerwillig und zwängt sich kurz darauf mit Gänsehaut am Leib und einer Packung Kekse in der Hand durch die marode Tür.

„Was wollt ihr mit diesem Raum anstellen, weißt du das?“, fragt Sabine Piv, als sie wenige Augenblicke später nebeneinander in einer gemütlichen Kuschelecke sitzen, die Sabine für sie aus dem Gerümpel gezaubert hat. Ein feiner Strahl Sonnenlicht fällt durch das schmutzige Fenster direkt unter der Zimmerdecke, das nun nicht mehr von Kisten verdeckt ist. Piv reicht ihrer Cousine die Kekse.

„Ich weiß eigentlich gar nicht, was wir hier drin vorhaben.“ Piv zuckt mit den Schultern. Sie lässt ihren Blick über die Dinge schweifen, die in dieser Rumpelkammer kreuz und quer versammelt stehen. So ein Krempel überall. Selbst an der Decke hängen irgendwelche merkwürdigen Dinge. Sogar vertrocknete, von Spinnweben verklebte Pflanzen.

„Ihr solltet einfach alles ausräumen und draußen in eurem Garten einen kleinen Flohmarkt veranstalten“, schlägt Sabine vor. „Also, vielleicht, wenn es etwas wärmer geworden ist. Das wäre doch was, oder? Macht bestimmt richtig viel Spaß. Und ihr könntet eine Menge Geld verdienen!“

Sabine steht auf und knibbelt mit ihren Fingern an der Kommode, die direkt neben ihr steht.

„Was machst du denn da?“, entfährt es Piv. Wie angestochen fliegt sie von ihrem Stuhl hoch und springt an die Seite ihrer neugierigen Cousine. „Du kannst doch nicht einfach in den Sachen anderer Leute herumwühlen, Sabine! Das gehört uns nicht! Das gehört dem Toten!“

„Ach, komm schon!“, lacht Sabine laut auf und öffnet die oberste Schublade der Kommode mit einem starken Ruck. „Da, wo er jetzt ist, braucht er diese Dinge hier wohl kaum. Also können wir ja wohl genauso gut nachsehen, was es hier so gibt. Außerdem gehört das Alles hier jetzt deinen Eltern.“ Sie fährt mit der Hand in die verklemmte Schublade und wühlt suchend darin herum.

„Na, schau doch mal!“, ruft sie schließlich und zieht einen dicken braunen Briefumschlag hervor.

„Was ist das?“, fragt Piv und versucht, den kleinen Funken Neugier in sich zu unterdrücken, der langsam in ihrem Bauch zu kribbeln beginnt.

Sabine schlängelt sich zwischen den Kisten zurück in die Kuschelecke und lässt sich mit einem Plumps fallen. Ohne zu zögern öffnet sie den Umschlag und steckt ihre neugierigen Finger hinein. Einen kurzen Augenblick später hält sie einen Stapel aus vergilbtem Papier in den Händen.

Piv sitzt wie angefroren vor ihrer Cousine, während Sabine durch die Seiten blättert.

„Ach, das sind nur irgendwelche alten Formulare oder so etwas in der Art“, seufzt sie enttäuscht und reicht Piv einige Seiten hinüber. „Nichts Spannendes. Vielleicht ist noch etwas in den anderen Schubladen? Vielleicht etwas...“ Plötzlich hält sie sich die Hand vor den Mund und sieht Piv mit großen Augen an. „Was?“, fragt Piv verwirrt. Sabine hält für einige Sekunden den Atem an. Dann huscht ein breites Grinsen über ihr Gesicht. Sie lehnt sich nach vorn, um ihrer Cousine tief in die Augen zu gucken.

„Ich wollte es dir vorhin nicht sagen, als meine Mama dabei war...“, flüstert sie mit geheimnisvoller Stimme und rückt ihren Stuhl noch etwas dichter an Pivs, „aber das Haus hier wird unten im Ort auch Geisterhaus genannt!“

Piv spürt, wie ihr Herz ihr in den Magen rutscht.

„Wie bitte?“, murmelt sie, als hätte sie ihren Ohren nicht getraut. „Wie wird es genannt?“

Rasch schaut Sabine sich um. Dann legt sie den Zeigefinger auf ihre Lippen und zischt Piv zu: „Schhhh! Ich habe versprochen, dir nichts zu sagen, du darfst es niemandem verraten, okay? Sonst bekomm ich mächtig Ärger!“ Ihre Augen strahlen, während sie auf dem Stuhl herumrückt.

„Dieses Haus wurde schon immer das Geisterhaus genannt. Alle, die ich kenne, haben Angst, hier in die Nähe zu kommen. Und jetzt habt ihr es gekauft. Ich finde das total aufregend!“

Seufzend sinkt Piv in ihrem Stuhl zusammen. „Aber das ist sicherlich kein echtes Geisterhaus?“, haucht sie heiser. Aber Sabine nickt eifrig und sieht Piv immer noch mit den großen, abenteuerlustigen Augen an.

„Doch doch! So ist es“, wiederholt sie. „Also, ich kenne nicht die ganze Legende, weil sie mir bisher niemand erzählen wollte. Aber es stimmt schon. Das hier ist ein Geisterhaus. Und du wohnst jetzt hier. Ist das nicht großartig?“

Aufgeregt klatscht Sabine in die Hände wie ein kleines Mädchen und fällt dabei vor Begeisterung fast vom Stuhl. Piv hingegen findet das nicht im Geringsten großartig. Tatsächlich ist dies beinahe das Furchtbarste, was sie je gehört hat.

„Aber warum zum Teufel soll das hier denn ein Geisterhaus sein?“, fragt sie verärgert und verschränkt die Arme vor der Brust. Sabine ist nicht nur ihre Cousine, sondern auch ihre beste Freundin, manchmal aber kommt sie wirklich auf die haarsträubendsten Ideen.

„Wie gesagt, ich habe keine Ahnung“, lautet Sabines Antwort. „Aber das können wir ja herausfinden! Wollen wir? Das wird soooo spannend und cool!“ Ihre Augen funkeln. „Ich weiß nur...“, beginnt sie, als Piv sich herunterbeugt und ihre dicken Socken hochzieht, „dass hier einmal ein sehr komischer Mann gewohnt haben soll, vor dem alle Angst hatten. Eines Tages ist er dann gestorben und niemand wollte das Haus haben. Also, nicht, bevor ihr es schließlich gekauft habt.“

Piv stöhnt.

„Warum hatten die Leute Angst vor ihm?“, fragt sie. Sabine zuckt jedoch nur mit den Schultern.

„Das ist es ja gerade – ich weiß es nicht!“, entfährt es ihr. „Vielleicht war er verrückt! Hat Selbstgespräche geführt oder so etwas in der Art. Ein komischer Kauz eben.“

Einen Moment lang sitzen die beiden Mädchen ganz still in ihrer Ecke. Dann öffnet Sabine die zweite Schublade. Sie klemmt ebenfalls und Sabines halber Arm verschwindet in ihr, als sie nach ihrem Inhalt tastet.

„Vielleicht finden wir heraus, was mit ihm los war“, schlägt sie vor und stöhnt zerknirscht auf, als sie feststellen muss, dass die Schublade leer ist. Enttäuscht schiebt sie sie wieder zu. „Irgendwo in diesem ganzen Trödel muss es ja persönliche Dokumente geben, Briefe oder Bilder oder so etwas. Meinst du nicht auch? Komm, lass uns ein bisschen suchen und stöbern!“

Resigniert lässt Piv sich in ihren Stuhl zurückfallen. „Such du mal“, stöhnt sie nur und holt sich einen Schokokeks aus der Packung. „Aber pass auf, dass du nichts kaputt machst.“

Piv - und das Geisterhaus

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