Читать книгу National Geographic Bildband: Vogelreich. 300 berührende Fotografien vom Aussterben bedrohter Vögel. - Noah Strycker - Страница 6

Оглавление

VORWORT / JOEL SARTORE

Die Vögel in diesem Buch gehören zu den erstaunlichsten Kreaturen, die mir je begegnet sind. Vor dem schwarzen oder weißen Hintergrund werden ihre wahren Farben und Körperformen rasch offensichtlich. Sie alle sind ungeheuer komplex und haben sich im Laufe der Zeit bis zur Vollkommenheit weiterentwickelt. Der Flügel des Honigfressers auf der folgenden Seite ist mit nicht einer Feder zu viel ausgestattet, ebenso wenig wie der Schwanz eines Fasans zu wenige Federn besitzt.

Und dennoch: Nachdem ich jahrelang über den Kasuar, den Kakadu und die Krontaube gestaunt habe, sind es die Vögel in meinem eigenen Garten, die mir am meisten ans Herz gewachsen sind.

Jedes Jahr im März stehe ich vor meinem Haus in Nebraska, das am Central Flyway, einer wichtigen Vogelzugroute, liegt, und hoffe auf einen kräftigen Südwind. Ich habe mich den ganzen Winter lang auf die Vögel gefreut. Und da sind sie, wie bunte Kometen stürzen sie sich vom Himmel auf die Gehölze, Wiesen, Weiden und Vororte Nebraskas herab. Unsere Futterstationen sind aufgefüllt und bereit, sie bieten Treibstoff für die bevorstehende Arbeit: den Nestbau, das Legen der Eier, das Bebrüten, das Flüggewerden, Angriff und Verteidigung. Und dann sind sie nach nur wenigen Wochen wieder weg.

Aber zum Glück nicht alle, manche Vögel bleiben den Sommer über. Distelfinken, auch als Stieglitze bekannt, Rotkehlchen und Rotkopfspechte. Kleiber und Goldspechte. Und es besteht sogar die Chance, dass die Vögel in meinem Lieblingswald keine Neulinge sind. Mitunter sind sie alte Freunde aus dem Vorjahr oder dem Jahr davor.

Das Erstaunlichste an diesem Schauspiel ist, dass viele der Vögel direkt von einem anderen Kontinent herübergeflogen sind.

Haben Sie sich je gefragt, wie sie das schaffen?

Im Großen und Ganzen ist uns das noch schleierhaft.

Natürlich wissen wir, dass langlebige Vögel wie Kraniche bestimmte Landmarken auf ihren Zugrouten von ihren Eltern beigebracht bekommen und dass sich andere Arten am Stand der Sonne, an den Sternen oder am Magnetfeld der Erde orientieren. Aber das war’s auch schon. Obwohl wir die Tiere seit Jahrzehnten studieren, ist uns die atemberaubende Präzision des Vogelzugs über unseren Planeten im Grunde immer noch ein Rätsel.

Nehmen wir als Beispiel nur einmal viele der Waldsänger. Biologen vermuten, dass die Vögel eine Himmelskarte im Kopf haben, nach der sie navigieren – und das auch noch in zweifacher Ausfertigung, zeigen sich im Frühling doch andere Sternbilder als im Herbst. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass die Wegbeschreibungen für einen Vogel, der zu einem bestimmten Punkt in Arkansas unterwegs ist, andere sind als für einen, der nach Nebraska will.

Oder die Fahlstirnschwalbe. Am Ende der Brutsaison erhebt sich der gerade einmal acht Wochen alte Vogel in die Luft und fliegt ganz allein zu einem bestimmten Ort in Argentinien, der Tausende von Kilometern entfernt ist.

Die kleinen Raketen, die da in unseren Gärten herumdüsen, wissen mehr, als wir uns je träumen lassen würden.


Blauohr-Honigfresser (Entomyzon cyanotis), nicht gefährdet

In den vergangenen zehn Jahren habe ich es zu meiner Mission gemacht, alle Tiere weltweit zu fotografieren, die sich in menschlicher Obhut befinden – seltene und häufig vorkommende Arten, um die man sich in Zoos kümmert, Arten in Not aus Auffangstationen und quasi ausgestorbene Arten aus der Hand privater Züchter. Zum jetzigen Zeitpunkt habe ich rund 6.500 der geschätzten 13.000 Spezies abgelichtet, die ich insgesamt an Bord der Photo Ark, meiner fotografischen Arche, bringen möchte. Und bei knapp einem Drittel der fotografierten Arten handelt es sich um Vögel. Für sie scheine ich eine Vorliebe zu haben. Vögel haben in meiner Sicht der Natur bereits eine besondere Rolle gespielt, als ich noch klein war. Wie sie da melodisch von irgendeinem hohen, verborgenen Zweig in den Kronen der Bäume sangen und schon wieder weg waren, bevor ich auch nur einen Blick auf sie erhaschen konnte. Sie waren gewissermaßen mein Heiliger Gral – mysteriös und unerreichbar.

Meine Mutter und mein Vater lehrten mich zwar die Vögel schätzen, die um mich herumflatterten, wenn ich mit meinem Rad unterwegs war oder Ball spielte, aber es waren Bücher wie das, das Sie gerade in Händen halten, die mich die geflügelten Wunder erstmals wirklich wahrnehmen ließen. Bei den wunderbaren Farbabbildungen, den verheißungsvollen Namen und den detailliert dargestellten Zugrouten bekamen die Seiten meines Vogelführers für Anfänger bald jede Menge Eselsohren.

In den 1960er-Jahren kaufte meine Mutter mir dann das Time-Life-Buch The Birds. Ganz hinten fand sich eine grobkörnige Schwarz-Weiß-Aufnahme von Martha, der allerletzten Wandertaube. Ihre Art, einst milliardenfach vertreten, war für den Tierhandel bis zu diesem letzten Vogel bejagt worden, der nun einsam in einem Käfig im Zoo von Cincinnati saß.

Dieses Foto ließ mich nicht los. Wieder und wieder sah ich es mir an, ebenso wie die Schwarz-Weiß-Zeichnungen auf den anderen Seiten, die weitere inzwischen ausgestorbene Vögel darstellten: das Heidehuhn, die Labradorente, den Riesenalk und den Karolinasittich. Wie um alles in der Welt kann es geschehen, dass der Mensch einen Vogel absichtlich zum Aussterben verdammt? Darüber kam ich schon als Kind nicht hinweg und komme es auch heute noch nicht.

Weshalb ich mir keine Chance entgehen lasse, eine weitere Vogelart zu fotografieren. Ich möchte den Vögeln eine menschliche Stimme geben und die Welt wissen lassen, wie einzigartig jeder von ihnen ist, damit das Aussterben eines Tages vielleicht selbst der Vergangenheit angehört.

Fotos für die Photo Ark zu machen, ist mir die größte Ehre im Leben – aber auch eine große Verantwortung. Viele Vogelarten werden dabei das erste und einzige Mal gut dokumentiert; die Photo Ark ist ihre einzige Chance, der Welt ihre Geschichte zu erzählen. Und dabei lässt uns das Buch erst erahnen, welch erstaunliche Vogelvielfalt es auf Erden gibt.

Ob es diese Arten in die Zukunft schaffen, hängt von jedem Einzelnen von uns ab und beginnt mit etwas so Simplem wie der Photo Ark, die zahlreichen Menschen die Gelegenheit gibt, Tausende atemberaubender Spezies zu betrachten – eine Gelegenheit, die sie sonst nicht haben. Wir können die Tiere nicht retten, wenn wir nicht wissen, dass sie existieren.

Wenn der Gesang der Vögel bei Sonnenaufgang erklingt, gehen die uralten Rufe weit über die Balz und das Verteidigen des Reviers hinaus. Was wir da hören, ist tatsächlich die Stimme der Wildnis. Vögel singen aus vollstem Herzen, unverwüstlich und entschlossen. Und das werden sie auch weiterhin tun … vorausgesetzt, wir schützen sie.

Wie Sie das tun können? Den örtlichen Naturschutzbund zu unterstützen ist schon einmal ein guter Anfang, aber auch darüber sprechen hilft. Lassen Sie andere wissen, dass Sie keine Chemikalien in Ihrem Garten verteilen und wollen, dass Wälder, Wiesen, Marsche und Flüsse erhalten bleiben.

Solcherlei Schutzmaßnahmen machen Mühe – die sich aber unendlich lohnt. Die Zukunft der Vögel ist mit der unseren enger verwoben, als wir bislang ahnen. Wir steigen gemeinsam auf oder gehen gemeinsam unter.

DIE ABKÜRZUNGEN DER IUCN

Die weltweite Organisation International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) hat sich der Nachhaltigkeit verschrieben. In ihrer Roten Liste gefährdeter Arten sind zahlreiche Tier- sowie Pflanzenspezies nach ihrem Aussterberisiko verzeichnet, bewertet und einer bestimmten Kategorie zugeordnet. In diesem Buch sind alle abgebildeten Arten nicht nur mit ihrem Namen, sondern auch mit ihrem jeweiligen IUCN-Status versehen.

EX: Extinct, ausgestorben
EW: Extinct in the Wild, in der Natur ausgestorben
CR: Critically Endangered, vom Aussterben bedroht
EN: Endangered, stark gefährdet
VU: Vulnerable, gefährdet
NT: Near Threatened, potenziell gefährdet
LC: Least Concern, nicht gefährdet
NE: Not Evaluated, nicht beurteilt
National Geographic Bildband: Vogelreich. 300 berührende Fotografien vom Aussterben bedrohter Vögel.

Подняться наверх