Читать книгу Sharklove - Nola Nesbit - Страница 8
ОглавлениеProlog
Heißer, es musste noch viel heißer sein. Ihre Fingerspitzen berührten das Wasser. Alex schob den Hebel weiter nach links, fühlte auf dem Handrücken, wie die Temperatur langsam anstieg. Feine Tropfen sprangen von ihrer Haut. Sie betrachtete die Armada von Badezusätzen auf dem Wannenrand: Sandelholz, Rosmarin-Limette, Alge-Meeresbrise in aufwendig gestalteten Flaschen und Tiegeln. Beth liebte Kosmetik, hatte haufenweise Geld in teure Produkte investiert. Auch Alex mochte Schaum, viel davon. Dennoch entschied sie sich gegen Seife, gegen Schaum.
Ein Vollbad war heutzutage der pure Luxus und die Menge an Wasser dem Anlass angemessen.
Dampf füllte den Raum, zog bis zum Panoramafenster hinüber. Der Blick über Chicago war atemberaubend. Die Stadt glitzerte mit ihren Lichtern, als hätten Himmel und Erde einfach die Positionen getauscht. Die Mahagoni-Holzdielen auf dem Fußboden, die frei stehende Wanne aus Sichtbeton, Armaturen aus schlichtem Edelstahl: Beths Eltern hatten einfach zu viel Geld. Sie finanzierten dieses Apartment.
Alex dimmte das Licht, lächelte wegen der Kerzen, die Beth vor dem Fenster aufgestellt hatte. Romantischer Quatsch, so bezeichnete sie es abfällig. Aber jetzt ging sie hinüber, griff nach dem Feuerzeug und zündete jede einzelne an. Die Flammen flackerten wie unstete, kleine Irrlichter.
Nachdem sie das Wasser abgedreht hatte, war es still, ganz still. Ihre Lieblingsplatten hatte sie vorhin noch gehört. Beasty Bat, Arab Notion. Laut und hart. Aber jetzt wollte sie alles loslassen. Sie zog sich aus. Ihre Kleidung glitt zu Boden, das graue T-Shirt mit dem roten Aufdruck „Widow“, die enge Jeans, der schwarze knappe Slip. Barfuß ging sie zum Spiegel, betrachtete ihren Körper. Sie mochte sich. Die schlanken, langen Beine, ihre vollen, festen Brüste, die braunen, glatten Haare. Sie trug sie wie immer hochgesteckt. Aber etwas fehlte neben ihr im Spiegel. Schon seit zu langer Zeit.
Noch immer meinte sie, Beth zu riechen, wenn sie abends in ihre gemeinsame Wohnung kam. Immer noch hörte sie ihre Stimme: „Hi, Babe, wie war dein Tag?“ Aber tatsächlich blieb es still, denn Beth war nicht mehr da. Noch immer streckte sie automatisch nach dem Aufwachen die Hand nach ihr aus. Aber die linke Bettseite war so kühl wie der unbenutzte Kissenbezug, so kalt wie der Kühlschrank, wie ein harter Winter in Chicago. Irgendwann wurde das Wichtigste im Leben so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen, wie die Unterwäsche, die jeder täglich trug, wie früher frisches Wasser, das es im Überfluss gab. Wie hatte sie sich nur so sehr an Beth gewöhnen können, dass sie sie kaum noch bemerkte?
Sie wandte sich um, nahm das schwarze Brillengestell ab und legte es vorsichtig auf den Wannenrand, gleich neben alles andere, was sie vorbereitet hatte. Sie erschrak, denn die Whiskyflasche schepperte auf der steinernen Oberfläche. Vorsichtig stieg sie ins Wasser, zuckte kurz zurück, weil es wirklich heiß war – brühend heiß –, zwang sich aber, trotz des stechenden Gefühls auf ihrer Haut in eine sitzende Position. Als das Brennen nachließ, lehnte sie den Kopf an den Wannenrand und atmete tief aus. Ihre Hände lösten sich und glitten ins Wasser neben ihre Schenkel.
Sie schloss die Augen und dachte: Wasser. Siebzig Prozent der Erdoberfläche bestehen daraus. Mein eigener Körper besteht zu mehr als siebzig Prozent aus Wasser. Warum also Asche zu Asche? Staub zu Staub? Es war ihr unbegreiflich. Musste es nicht heißen: Tropfen zu Tropfen, Nass zu Nass? Es klang selbst in ihren Ohren nicht besonders rund, obwohl es doch den Tatsachen entsprach. Wasser. Sie liebte es, würde es immer lieben, brauchen. Es war ihr Element, samt und weich, auch wenn es vergiftet war. Verschmutzt durch Plastik, Dioxine und Schwermetall. Niemand konnte retten, was einmal verloren war.
Sie setzte sich auf, um einen Schluck aus der Flasche zu nehmen. Brennend bahnte sich die Flüssigkeit einen Weg durch ihre Speiseröhre. Außen heiß und innen heiß: Sie mochte das Gefühl. Auf dich, Beth! Klirrend setzte sie die Flasche ab. Glaub bloß nicht, dass ich heule!
Es war absurd, wie sehr sie sich gewünscht hatte zu leben. Sie hatte alles aufgegeben, war fast gestorben, um zu leben. Es hatte sich als die beste Entscheidung ihres Lebens herausgestellt. Ihr neues Dasein war wunderbar, besser, als sie es sich je erträumt hatte. Bis Beth sie einfach verlassen hatte. Ein paar lächerliche Jahre waren vergangen, und jetzt wollte sie dieses Leben nicht mehr. Kein Stück davon. Sie setzte die Flasche wieder an, zwang sich, Schluck für Schluck, ihre Fingerspitzen kribbelten, ihr Kopf fühlte sich plötzlich wie benebelt an. Der Dampf legte sich auf ihr Gesicht wie ein Klebefilm.
Sie griff nach dem Skalpell, das sie aus dem Labor der biologischen Fakultät entwendet hatte, betrachtete ihr linkes Handgelenk, auf dem sich zwei blaue Adern fast unter ihrer Haut berührten. Ohne zu zögern, machte sie einen glatten Schnitt direkt an der Stelle, an welcher die Arterien durchschimmerten. Blut quoll über ihren Arm, erst langsam, dann mit einem ganz eigenen Puls. Hellrote Striemen ballten sich im Wasser zu farbigen Wolken. Fast so wie die, die noch vor Kurzem am Abendhimmel über Chicago zu sehen gewesen waren.
Ihr Herz schlug schneller, als hätte es ihr Blut plötzlich eilig, frei zu fließen. Tropfen zu Tropfen, Nass zu Nass. Sie war aus dem Wasser gekommen und dorthin kehrte sie nun zurück. Das hier ist kein Hilferuf, dachte sie, bevor sie sich mit dem letzten bisschen Konzentration auch die Arterie am rechten Handgelenk ritzte. Es fiel ihr mittlerweile schwer, das Skalpell überhaupt zu halten. Es rutschte ins Wasser, sank bis zum Grund. Blut rann über ihre Brust. Es fühlte sich seltsam klebrig an. Der Geruch nach einer metallischen Substanz überlagerte die Erinnerungen an Beth. Verzweiflung und Angst krochen in ihr hoch, aber die Verzweiflung überwog. Das Leben war beschissen ohne Beth. Es war schon lange kein Leben mehr, verdiente den Namen nicht. Das Wasser färbte sich jetzt dunkelrot. Sie hörte ein Geräusch, undeutlich und schwach, und ließ sich tiefer in die Wanne sinken. Ihr war schlecht, etwas flackerte vor ihren Augen. Alles verschwamm noch mehr als vorher schon durch den heißen Dampf. Bevor sie schneller atmete, weil ihr Herz jetzt häufiger schlug, und dem unwiderstehlichen Ziehen in ihrem Kopf endlich nachgab, murmelte sie müde: „Das hier ist kein Hilferuf!“ Der Tod kam leise. Er war tatsächlich schwarz, und das gefiel ihr.