Читать книгу Sharklove - Nola Nesbit - Страница 9

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Panne

„Das darf doch nicht wahr sein!“ Felix schlug mit den flachen Händen auf das Lenkrad.

„Was ist?“ Zerstreut sah Ethan auf. Auf seinem Schoß lagen Aufzeichnungen, die er mit zusammengekniffenen Augen konzentriert gelesen hatte. Ethan gab es nicht ohne Buch, ohne Zeitschrift, Zeitungen, ohne wissenschaftliche Literatur.

„Nur für den Fall, dass du es noch nicht bemerkt haben solltest: Wir stecken fest. Die Scheißkarre fährt nicht mehr.“ Wie zur Bestätigung drehte Felix mehrfach am Zündschlüssel. Der Wagen röchelte asthmatisch und gab schließlich völlig den Geist auf. In die Stille hinein sahen sich die Brüder gegenseitig an.

„Was ist?“ Ethan fragte es, als erwarte er die Antwort auf sämtliche Fragen des Universums.

„Was ist?! Woher soll ich das wissen? Bin ich Mechaniker? Das ist ein Haufen Schrott, kein Auto.“

„Das ist kein Schrott. Das ist mein Wagen.“

Felix Stimme dröhnte: „Oh, Entschuldigung! Das ist dein Haufen Schrott.“ Er verzog gequält das Gesicht. „Warum können wir nicht wie andere normale Menschen ein modernes Auto fahren?“

„Wenn du ein modernes Auto möchtest, kauf doch eins!“ Ethan runzelte die Stirn, bevor er sich wieder in seine Unterlagen vertiefte.

Felix schüttelte den Kopf. „Ich hasse es, wenn du das gegen mich verwendest.“ Felix hatte nie Geld. Schon gar nicht für einen anständigen Wagen. Ethan hingegen hatte immer genug Geld. Er verdiente es. Er teilte es wortlos und großzügig mit seinem Bruder. Eine bequeme Angelegenheit in den meisten Lebenslagen. Jetzt gerade verfluchte Felix seine Abhängigkeit.

Er öffnete die Tür und stieg aus. Bevor er zur Motorhaube ging, lehnte er sich nochmals in das Wageninnere hinein. Um seinem Bruder in die Augen sehen zu können, musste er seine riesige Gestalt hinabbeugen. „Ich sag dir was: Kein vernünftiger Mensch fährt einen Citroën DS. Kein Mensch. Weil diese Wagen alt sind. Und unzuverlässig.“ Er löste die Verriegelung der Motorhaube, zog seinen Kopf wieder aus der Tür und streckte sich. „Was zu beweisen war“, murmelte er missmutig und stapfte um das Auto herum.

Es ärgerte ihn, dass sein Bruder nicht nur dieses defekte Auto erstanden hatte, sondern auch noch jegliche Verantwortung für dessen unzählige Zusammenbrüche am Straßenrand ablehnte. Ethan war unfähig, einen Wagen zu reparieren. Nicht, weil er es nicht konnte, sondern weil es ihn schlicht und ergreifend nicht interessierte. Das stillschweigende Abkommen war: Ethan stellte den Wagen zur Verfügung und er, Felix, kümmerte sich um den Rest. Felix war Fahrer, Tankwart und Monteur zugleich, obwohl er von Letzterem nichts verstand. Dieses Auto erschöpfte ihn mehr, als er je für möglich gehalten hätte. Frustriert öffnete er die Motorhaube, klappte den Haltestab aus. Wenigstens brauchte er Ethans desinteressiertes Gesicht jetzt nicht mehr zu sehen.

Sie befanden sich auf dem Weg zur Universität, wollten zum Seminar. Es störte ihn nicht, dass sie nun zu spät kommen würden. Aber es wurmte ihn, von seinen Kommilitonen in einem fahruntüchtigen Wagen gesehen zu werden. Es wurmte ihn, am Straßenrand zu stehen, wieder einmal auf das Ersatzrad, den Motor und die Kabel starren zu müssen, ohne auch nur einen Schimmer davon zu haben, was jetzt schon wieder mit der alten Karre nicht stimmte.

Ein paar Defekte des Citroën DS konnte Felix mittlerweile bereits am Geräusch erkennen. Felix träumte manchmal nachts von einer Armada kaputter Auspuffe, die hinter ihm über die Straße schepperten. Sie hatten ihre Wagen verlassen und verfolgten ihn eigenständig wie von Geisterhand geführt. Ihr metallisches Gerappel klang wie ein Hohnlachen. Manchmal wachte er schweißgebadet davon auf.

Mit einem scharfen Luftzug fuhr ein Pontiac an ihm vorbei. Aus den heruntergelassenen Fensterscheiben vernahm Felix das Lachen einiger Biologiestudenten. „Na, Waterman? Sitzt ihr mal wieder fest?“ Der Satz zog mit nachlassender Lautstärke an Felix vorüber. Keiner stieg aus, um ihnen zu helfen.

„Ihr könnt mich mal, ihr Vollidioten!“, brüllte er dem schwarzen Kofferraum hinterher. Still betete er: „Lieber Gott, schick mir einen Pannendienst!“

Felix sah sich um: Sie standen auf einer viel befahrenen Straße mitten in Chicago, aber kein Mensch hielt mehr für ein defektes Auto an. Pannen gehörten der Vergangenheit an. 2027: Jeder fuhr Hybrid-, Solar- oder Eco-Boost-Technologie. Benzin und Öl gab es in rauen Mengen, seitdem sie niemand mehr dringend benötigte. Dafür war das Trinkwasser knapp geworden. Die Tsunamis hatten im Dezember 2018 dafür gesorgt, dass die Schmutzwolken aus Plastik und Dioxin über alle Weltmeere und Küsten verteilt worden waren. PET-Regen und Frischwasserrationierungen waren die Folgen. Sämtliche Industrienationen hatten gezögert und zu spät gehandelt. Die Umwelt war schon zu lange unter den Augen aller Menschen geschändet worden. Meere, Seen, Flüsse waren eine Gefahr für jeden Menschen. Jetzt musste jeder Tropfen Trinkwasser wiederverwendet und gefiltert werden.

Felix sah hinauf in den Himmel. Hatte der Citroën DS nicht ebenfalls irgendwelche Filter? Luftfilter, Kraftstofffilter … Zumindest die Namen sagten ihm etwas. Vielleicht war ja einer von ihnen an dieser Panne schuld. Felix verlangte es prompt nach einer Erfrischung. Nach einer Flasche Wasser. Er hatte leider keine dabei. Nicht mal vier Dollar, um im Supermarkt eine zu erstehen. Dennoch trank er in seiner Fantasie daraus, goss sich das Wasser wie früher die Footballspieler über den Kopf. Maßlos und verschwenderisch. Tropfen spritzten, als er sich schüttelte. Die Sonne blendete ihn und Felix blinzelte. Er atmete tief ein. Die Strahlen wärmten sein Gesicht. Ich könnte hier ewig stehen, dachte er. Ich muss hier ewig stehen, wenn ich nicht bald etwas unternehme, stellte er gleich darauf resigniert fest. Aber was?

„Täusche ich mich oder machst du gerade Urlaub am Straßenrand? Oder habt ihr zwei Komiker wieder mal eine Panne?“

Felix senkte den Kopf und öffnete die Augen. Keine zwei Schritte neben ihm stand – wie hieß sie noch mal? – diese Alex. Wie immer kaute sie Kaugummi. Plopp. Schon wieder zerplatzte eine stattliche Blase vor ihrem Gesicht. Ihre braunen glatten Haare hatte sie hochgesteckt. Ihre langen Beine steckten in zerschlissenen, engen Jeans. Sie wippte auf den Hacken ihrer alten Cowboystiefel vor und zurück. Vor und zurück. Auf ihrem T-Shirt stand der doppeldeutige Aufdruck „Help yourself!“ Felix kam nicht umhin, sich darüber zu wundern.

„Was willst du?“, stieß er unleidlich hervor.

„Ich?“ In ihrer Stimme lagen unendlicher Langmut und jede Menge Belustigung. Lächelnd sah sie ihn an. „Die Frage ist doch, was du willst?“

Felix seufzte. „Du nervst.“ Er wandte sich dem Inneren des Motorraums zu. Nichts hatte sich geändert. Wie auch? Er fummelte willkürlich an einem Kabel herum. Er hatte wirklich keine Ahnung, was hier nicht stimmte.

„Geh mal zur Seite!“ Mit einem Nicken ihres Kopfes unterstützte sie die Botschaft.

Felix sah sie skeptisch an. Alex war eine Nervensäge. Obercool, wusste alles besser, obwohl sie nicht viel sprach. Sie saß mit ihm und Ethan im Biologie-Hauptseminar. Felix trat beiseite und beobachtete, wie Alex sich über den Motor beugte. „Hat er noch ein Geräusch gemacht?“

„Wer?“, fragte Felix konsterniert.

„Der Motor, du Idiot!“

„Er hat gestottert. Dann war plötzlich Schluss.“

Interessiert sah Alex ihn an. „Hat er so gemacht?“ Aus ihrem Mund kamen ein paar abgehackte Laute. „Oder war es eher so?“ Jetzt produzierte sie ein zischendes Keuchen.

Felix dachte nach. „Ich glaube eher das Erste.“

Alex nickte wissend, als hätte er ihr die Lottozahlen der letzten Woche korrekt aufgesagt. „Steig mal ein und versuch, den Wagen zu starten.“

Felix machte, was sie verlangte. Auf eine verrückte Art und Weise schien sie zu wissen, was sie tat. Felix quetschte sich auf den Fahrersitz.

Ethan sah nicht mal auf. „Alles okay?“

Felix verdrehte die Augen, verkniff sich einen Kommentar und startete den Wagen. Ein kurzes Röcheln ertönte, dann erstarb der Motor von Neuem. Von draußen vernahm er für einen Augenblick nur das Rauschen der vorbeifahrenden Autos, dann plötzlich das Kommando: „Noch mal!“

Der DS ruckte, röchelte, röhrte. Dann ertönte auf einmal das erfreulich normale, regelmäßige Brummen des Motors.

Ethan sah auf. Er blickte kurz auf die Motorhaube, die immer noch aufgeklappt war und ihm die freie Sicht auf die Straße raubte. Eine hellblaue Wand aus Blech. „Wie hast du das hinbekommen?“

Bevor Felix antworten konnte, fiel die Motorhaube plötzlich zu.

Alex rieb sich den Schmutz von den Händen und kam zur Fahrerseite. „Die Zündkerzen waren verrußt. Würde ich bei nächster Gelegenheit mal austauschen.“ Und mit einem Blick auf Ethan: „Oder austauschen lassen.“

„Hi, Alex!“, grüßte Ethan verhalten.

„Hallo, Superhirn“, gab Alex zurück.

„Sollen wir dich mitnehmen?“, erkundigte sich Felix.

„Nee, lass mal. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich zu Fuß unterwegs bin? Mein Wagen steht dort vorn. Im Vergleich zu euch komme ich gern pünktlich an.“

„Na dann! Gute Fahrt.“

„Ebenso. Vielleicht schaffen wir es ja noch rechtzeitig zum Seminar.“

„Alex!“

„Was?“

Felix legte den Gang ein. „Danke. Das war echt nett von dir.“

Alex sah Felix an. Dann produzierte sie eine wirklich große Kaugummiblase, die sich blähte und blähte. Felix und Ethan blickten wie hypnotisiert auf das Wunder aus zarter Gummihaut, bis es auf ihrer Nase zerplatzte.

Felix hätte schwören können, dass ein paar weiße Fetzen noch auf dem schwarzen Brillengestell haften blieben, hinter dem ihre Augen funkelten.

Sie lachte. Dabei konnte man die Lücke zwischen ihren Vorderzähnen sehen. „Ich bin doch immer nett. Wahnsinnig nett sogar.“

Ethan stieß empört die Luft aus.

Felix lehnte sich aus dem offenen Fenster. „Wenn wir dir mal einen Gefallen tun können …“, rief er Alex’ schwindender, aufreizend mit dem Po wackelnder Gestalt hinterher.

Alex hob den rechten Zeigefinger in die Luft. Dann formulierte sie laut und deutlich, ohne sich dabei umzusehen: „Komme garantiert darauf zurück!“

„Krass, die Frau!“ Felix war beeindruckt.

„Blöde Kuh!“ Ethan wandte sich wieder seinen Unterlagen zu.

„Du bist so ein Snob. Du würdest in die Hand beißen, die dich füttert“, wies Felix seinen Bruder zurecht.

„Ich füttere mich selbst. Und dich mit. Und jetzt fahr bitte. Wir sind schon spät genug dran.“

Felix schüttelte den Kopf und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Weiter vorn entdeckte er Alex’ Wagen: einen betagten Saab. Ihre Vorliebe für Oldtimer war vermutlich die einzige Eigenschaft, die sie mit Ethan teilte. Man konnte über Alex sagen, was man wollte. Aber mit alten Autos kannte sie sich verdammt gut aus.

Sharklove

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