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Ich schäme mich für meinen Hals

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Ich schäme mich für meinen Hals. Oh, und wie. Wenn Sie ihn sehen würden, würden Sie sich vielleicht auch für ihn schämen, aber wahrscheinlich wären Sie so höflich, es zu überspielen. Wenn ich Ihnen gegenüber etwas zu dem Thema sagen würde, beispielsweise »Ich finde meinen Hals furchtbar«, würden Sie sicher etwas Nettes erwidern, beispielsweise »Ach was, so ein Unsinn«. Das wäre natürlich gelogen, aber ich verzeihe Ihnen. Lügen wie diese kommen mir ständig über die Lippen, meist bei Freundinnen, die aufgelöst sind, weil sie kleine Tränensäcke unter den Augen haben oder hängende Wangen oder Falten oder Speckröllchen, und wissen wollen, ob ich nicht auch fände, dass sie eine Lidstraffung oder eine Gesichtsstraffung oder Botox oder eine Fettabsaugung bräuchten. Meiner Erfahrung nach ist der Satz »Ach was, so ein Unsinn« ein Code für »Ich sehe, was du meinst, aber glaub ja nicht, dass ich mich in die Sache hineinziehen lasse«. Wie wir alle wissen, ist es gefährlich, sich in solche Themen verwickeln zu lassen. Denn wenn ich sagen würde: »Ja, ich sehe, was du meinst«, zieht meine Freundin vielleicht los und lässt sich zum Beispiel die Augen machen, und vielleicht klappt es nicht, und vielleicht endet sie dann wie die Leute aus der Klatschpresse, die ihren Schönheitschirurgen verklagen, weil sie die Augen nicht mehr schließen können. Außerdem, und das ist der Punkt, wäre es Alles meine Schuld. Ich bin ein gebranntes Kind, was diesen Alles meine Schuld-Aspekt angeht, da ich einer Freundin nie verziehen habe, dass sie mir 1976 davon abgeraten hat, eine völlig passable Wohnung in der East 75th Street zu kaufen.

Manchmal treffe ich mich zum Mittag mit den Mädels – an der Stelle ertappe ich mich. Ich meine natürlich meine Freundinnen, allesamt gestandene Frauen. Wir sind keine Mädels mehr, und das schon seit über vierzig Jahren. Jedenfalls treffen wir uns manchmal zum Mittag, und wenn ich dann einen Blick in die Runde werfe, merke ich, dass wir alle Rollkragenpullover tragen. Manchmal tragen wir auch alle Tücher wie Katharine Hepburn in Am goldenen See. Oder wir tragen Mandarinkragen und sehen aus wie die weiße Version der Ladys aus Töchter des Himmels. Irgendwie ist es lustig und irgendwie auch traurig, denn wir sind nicht neurotisch, was das Alter betrifft, keine von uns gibt sich jünger aus, als sie ist, und keine von uns zieht sich unpassend an. Wir haben uns alle gut gehalten für unser Alter. Bis auf den Hals.

Ach, Hälse! Es gibt Hühnerhälse und Truthahnhälse und Elefantenhälse. Es gibt Hälse mit Lappen und Hälse mit Falten, die bald zu Lappen werden. Es gibt dürre Hälse und dicke Hälse, schlaffe Hälse und kreppartige Hälse, wulstige Hälse und zerfurchte Hälse, sehnige Hälse, schlabbrige Hälse, wabblige Hälse und fleckige Hälse. Und es gibt Hälse, die eine erstaunliche Kombination aus all dem Genannten sind. Meiner Hautärztin zufolge fängt der Hals mit dreiundvierzig an, sich zu verabschieden, und dann ist es vorbei. Man kann Make-up auftragen und Abdeckstift unter den Augen verteilen, man kann sich die Haare färben und sich Kollagen, Botox und Restylane in die Falten spritzen lassen. Aber es gibt absolut kein Mittel gegen einen alternden Hals, es sei denn, man begibt sich unters Messer. Der Hals ist ein verräterisches Indiz. Unser Gesicht lügt, aber unser Hals sagt die Wahrheit. Einen Mammutbaum muss man aufschneiden, um zu sehen, wie alt er ist; hätte er einen Hals, müsste man das nicht.

Meine eigene Geschichte mit meinem Hals begann kurz vor meinem dreiundvierzigsten Geburtstag. Ich hatte eine Operation, von der ich eine schreckliche Narbe zurückbehielt, direkt über dem Schlüsselbein. Es war ein Schock, denn ich lernte auf die harte Tour, dass eine Ärztin zwar eine berühmte Chirurgin sein kann, deshalb aber noch lange keine Expertin im Zunähen sein muss. Wenn Sie von der Lektüre dieses Essays irgendetwas mitnehmen, dann bitte das: Lassen Sie sich niemals an irgendeinem Teil Ihres Körpers operieren, ohne einen Schönheitschirurgen hinzuzuziehen, der das Geschehen im OP überwacht. Denn selbst wenn man wegen etwas Ernstem oder etwas potenziell Ernstem an Ihnen herumoperiert, selbst wenn Sie tatsächlich glauben, dass Ihre Gesundheit wichtiger ist als Eitelkeit, selbst wenn Sie im Krankenhauszimmer aufwachen, unendlich froh, dass es kein Krebs war, selbst wenn Sie sich beschwingt fühlen, dankbar, am Leben zu sein, voller verblendeter Einsichten darüber, was wirklich zählt und was nicht, selbst wenn Sie sich schwören, auf ewig beglückt darüber zu sein, auf dieser Erde wandeln zu dürfen, und beteuern, sich nie wieder über irgendetwas zu beschweren, verspreche ich Ihnen, dass Sie irgendwann, und zwar schneller, als Ihnen lieb ist, in den Spiegel schauen und denken werden: Ich hasse diese Narbe.

Vorausgesetzt natürlich, dass Sie überhaupt in den Spiegel schauen. Das ist noch so eine Sache ab einem gewissen Alter, die ich bemerkt habe: Ich versuche, so wenig wie möglich in den Spiegel zu schauen. Wenn ich an einem Spiegel vorbeikomme, schaue ich weg. Wenn ich doch hineinschauen muss, kneife ich die Augen zusammen, damit ich sie, falls irgendwer ganz Schlimmes zurückschaut, möglichst schnell wieder schließen kann, um den Anblick abzuwehren. Und wenn das Licht gut ist (was ich nicht hoffe), tue ich oft das, was so viele Frauen meines Alters tun, wenn man sie vor den Spiegel zwingt: Ich ziehe sanft die Haut an meinem Hals zurück und starre wehmütig auf die jüngere Ausgabe meines Ichs. (Im Übrigen habe ich noch etwas bemerkt: Wenn Sie sich wegen Ihres Halses mal so richtig in Depressionen stürzen wollen, setzen Sie sich in einem Auto direkt hinter den Fahrer und betrachten Sie sich im Rückspiegel. Was es mit Rückspiegeln auf sich hat? Ich weiß nicht, warum, aber für den Hals ist es der gemeinste Spiegel überhaupt. Es ist zweifellos eines der faszinierenden Rätsel des modernen Lebens, dicht gefolgt von der Tatsache, dass kaltes Wasser im Bad kälter ist als kaltes Wasser in der Küche.)

Aber zurück zu meinem Hals. Schließlich dreht sich dieser Essay um ihn. Und ich weiß, was Sie denken. Warum geht sie nicht zum Schönheitschirurgen? Ich erzähle Ihnen, warum. Wenn Sie zu einem Schönheitschirurgen gehen und sagen, ich möchte, dass nur mein Hals in Ordnung gebracht wird, wird er Ihnen unmissverständlich sagen, dass er das nicht tun kann, ohne auch Ihrem Gesicht ein Lifting zu verpassen. Und das ist nicht gelogen. Es ist nicht der Versuch, Ihnen mehr Geld aus der Tasche zu ziehen. Tatsache ist, es hängt alles zusammen: Wenn man den Hals strafft, muss man auch das Gesicht straffen. Aber ich will kein Facelifting. Wenn ich ein Muffingesicht mit runden, vollen Zügen hätte, würde ich es riskieren: Frauen mit vollem Gesicht sind die perfekten Kandidatinnen für eine solche OP. Aber ich habe leider ein Vogelgesicht, und wenn ich mir die Haut straffen lassen würde, sähe mein Hals zweifellos besser aus, aber mein Gesicht wäre zum Zerreißen gespannt. Lieber schiele ich im Spiegel auf meinen bedauernswerten Hals, als einer Fremden gegenüberzustehen, die verdächtig aussieht wie ein Drum Pad.

Hin und wieder lese ich ein Buch übers Altern, und egal von wem es stammt, es heißt immer, es sei großartig, alt zu sein. Es sei ein Gewinn, weise und klug und milde zu sein; es sei ein Gewinn, sich im Leben an einem Punkt zu befinden, wo man wisse, was wirklich zähle. Ich kann Leute nicht ausstehen, die so reden. Was denken die sich? Haben die keinen Hals? Haben sie diese ganze Kaschiererei nicht satt? Stört es sie nicht, dass neunzig Prozent der Kleidung, die sie normalerweise kaufen würden, allein wegen des Ausschnitts wegfällt? Macht es sie nicht traurig, dass sie sich Chokers zulegen müssen? Am meisten bedaure ich – mehr noch, als mir die Wohnung in der East 75th Street nicht gekauft zu haben, mehr noch als meine schlimmste Beziehungskatastrophe –, dass ich in meiner Jugend nicht ständig liebevoll auf meinen Hals geschaut habe. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, dankbar dafür zu sein. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, dass ich irgendwann wegen eines Körperteils wehmütig sein könnte, den ich als absolut selbstverständlich betrachtet habe.

Natürlich ist es wahr, dass ich jetzt im fortgeschrittenen Alter weise und klug und milde bin. Und es ist auch wahr, dass ich inzwischen ernsthaft verstanden habe, was im Leben wirklich zählt. Aber wissen Sie was? Es ist mein Hals.

Was nie im Trend lag, kommt auch niemals aus der Mode

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