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Mein neues Zuhause

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Meinen neuen Besitzer hatte ich noch nie in der Buchhandlung gesehen. Ich glaube nicht, dass er Stammkunde war. Und somit konnte ich ihn auch nicht kennen. Aber er schaute mich so liebevoll an, während er da in der Schlange stand, dass ich jetzt schon erkannte, ich würde es gut haben bei ihm. Die Schlange bewegte sich langsam weiter, denn viele Käufer hatten Bücher gekauft, die sie weiter verschenken wollten. Natürlich war es für sie sehr praktisch, ihre Geschenke gleich einpacken zu lassen. Um Himmels willen, schoss es mir durch den Kopf. Was hatte der Fremde mit mir vor? Wollte er mich vielleicht auch weiter verschenken? Würden Kinder mit mir spielen? Oder würden Sie wild an meinen Federn ziehen? War ich zu schnell gewesen mit meinem Traum, in eine Junggesellenwohnung einzuziehen? Und vielleicht ließ er es sogar zu, dass man mich in Papier einsperrte? Meine Hoffnung von meinen Bücherstapel nun in eine gepflegte schöne Wohnung umzuziehen, verwandelte sich in Panik. An die letzten Minuten in der Schlange kann ich mich nicht mehr erinnern. Und da war sie! - Die Frage der Kassiererin: „Ist es ein Geschenk? Soll ich ihn einpacken?“ Normalerweise hätte ich vor lauter Aufregung mit meinen Flügeln geschlagen. Aber das konnte ich nicht, weil mich der Fremde immer noch in seiner Hand hielt. Selten habe ich in meinem Leben so sehr das Gefühl gehabt: „Jetzt ist alles aus!“ wie in diesem Moment. Deshalb kann ich mich auch nicht mehr an den Moment erinnern, als er mit seiner wohl klingenden, sonoren Stimme sagte: „Nein, lassen Sie bitte. Der Rabe wird sein Zuhause bei mir finden“. Er öffnete die Einkaufstasche, mit der er ganz offensichtlich seine Wocheneinkäufe erledigt hatte und setzte mich oben drauf. Das war richtig praktisch. Nachdem ich mich von dem Schrecken erholt hatte und mein neuer Eigentümer - inzwischen hatte er meinen Preis bezahlt – den Laden verließ, wurde ich gewahr, dass ich mit einem Schlag in eine ganz andere Welt gelangt war. Oben auf den Buttermilchschalen sitzend, konnte ich meinen Schnabel auf die Kante der Tasche ablegen und in die Welt schauen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was ich da alles zu sehen bekam! Da ich noch nicht wusste, wo ich einmal zu Hause sein würde und auch nicht wusste, ob sich mein neuer Besitzer manchmal mit mir beschäftigen würde, war für mich nicht klar, ob ich je begreifen würde, was diese Welt da draußen ausmachte.

Während ich euch hier erzähle, habe ich inzwischen einige Jahre in dieser Wohnung gelebt. Mein neuer Besitzer wurde zu meinem Papa.

Das mit dem Namen ist auch eine eigene Geschichte. Lukas gibt sich regelmäßig mit mir ab, redet mit mir, versorgt mich gut. Und – das Beste ist: Ich bin auch tagsüber, wenn er bei der Arbeit ist, nicht allein. Denn ich bin nicht der einzige Rabe. Da sind noch der andere Rabe Grünschnabel, Kwautsch und Fridolin, der Hahn. Aber von den dreien erzähle ich später.

Zurück auf die Straße, als ich das erste Mal den Laden verließ.

Es war unbeschreiblich laut, und ich brauchte einige Zeit, um mich daran zu gewöhnen. In den ersten Minuten hielt ich mir mit meinen Flügelspitzen die Ohren zu. Der Verkehr, die quietschende Straßenbahn, die vielen Menschen. Ich bekam Angst, dass sie mir mit ihren Taschen ins Gesicht schlagen würden. Eigentlich hätte ich mich in die Tasche hinein verziehen können. Aber ich brauche wohl nicht zu sagen, dass ich viel zu neugierig war und meinen Schnabel weiterhin unvorsichtig über die Kante der Tasche streckte. Da ich die Gewohnheiten meines Besitzers noch nicht kannte, wusste ich auch nicht, was er noch alles tun würde. Dass er mich an einem Donnerstag von meinem Platz in der Buchhandlung befreite, wird mir immer in Erinnerung bleiben. Denn an diesem Tag holt er immer die Post aus dem Postfach, und die Post ist nicht weit von der Buchhandlung, in der ich früher lebte. Der Weg durch die Hauptstraße war eine einzige Herausforderung für meine Nase. Überall duftete es nach Pizza, Döner und Bratwurst. Wenn ich heute einmal, was selten vorkommt, mit Lukas oder Nina das Haus verlasse, dann stören mich diese Gerüche nicht mehr. Ich werde bei ihnen gut versorgt. Wir haben immer leckere Dinge zu essen, so dass ich nie mit Hunger an den Lokalen vorbeikomme. Damals dachte ich, es sei Zufall, dass mein Besitzer mit den gefüllten Taschen quer durch die Stadt lief. Aber ich lernte bald, dass er kein Auto, nicht einmal einen Führerschein besaß. Von den anderen Raben, mit denen ich es sonst zu tun hatte und die damals schon sehr viel welterfahrener waren als ich, hatte ich immer gehört, dass sie zur Sicherheit in einen Käfig gesetzt wurden, wenn man mit dem Auto von zu Hause wegfuhr. Das würde mir erspart bleiben.

An dem Hochhaus angekommen, in dem er wohnte, fiel mir sogleich auf, dass es viele Bäume gab und die Umgebung sehr grün war. Ich nahm es damals als ein gutes Omen. Als er den Schlüssel in das Schloss steckte und zweimal umdrehte, standen wir unmittelbar in dem kleinen Flur, der zu meinem neuen Zuhause gehörte. Ich hatte keinerlei Ahnung, was mich erwarten könnte. Es kam ganz anders, als ich es mir bei aller Fantasie hätte ausmalen können. Ich hatte ein ganz besonderes Zuhause bekommen.

Die Abenteuer des Raben Maximilian Semmelweis von Witzleben

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