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II

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Inhaltsverzeichnis

Etwa vierzehn Tage später waren die Kreise der Menschen, in denen das Leben des Tages nur ein langweiliges Verplempern von Zeit ist, vor Anbruch der Stunde des Spiels, in der die Nerven aus dem Blut Spannung, Leben und Kraft pumpen, mit der Märe eines Fremden erfüllt, der, wo er in einen Spielsaal eindrang, sich mit Geld belud.

Es war immer ein anderer. Es war bald ein junger Sportsmensch, bald ein gesetzter Provinzpapa, bald ein blondbärtiger, wie ein Künstler zurechtgemachter Mann, bald ein entsprungener Raubmörder ... bald ein entthronter Fürst ... heute Franzose, morgen aus Leipzig ... er verschob im Nebenberuf Steinkohlen von der Saar über die Schweiz nach Bayern oder machte Valutageschäfte mit Neuyork und Rio de Janeiro. Es war immer ein anderer, aber die Phantasie legte die verschiedenen Bilder übereinander und machte eines daraus.

Geschlossene Gesellschaften gab es ja nicht mehr. Das Geld war ein Schlüssel auf alle Schlösser, ein Pelzmantel bedeckte jeden Beruf, wenn man ihn anhatte, und eine Brillantennadel überstrahlte jeden Charakter. Man kam, in welche Gesellschaft man wollte.

So war keiner mehr vor dem anderen sicher, und in jeder Gesellschaft wurde der Sagenhafte, wurde der Glücksspieler an jedem Abend erwartet und gefürchtet. Jeder Nachbar konnte es sein.

Bei den Behörden liefen Klagen über räuberische Spieler ein. Es konnte ihnen wohl in keiner Weise Falschspiel nachgewiesen werden. Aber ihr Glück im Spiel war derart, daß man nicht glauben konnte, es ginge von allein.

Hull kam jetzt durch die Dame aus der Bonbonniere in mehrere Gesellschaften, in denen gespielt wurde. Er hörte viel von dem Spielräuber und von verschiedenen Seiten, denn die Kulissenleute beschäftigten sich gern mit solchen Erscheinungen, die, wie ihr eigenes Leben, den Rahmen des ans Alltägliche Gebundenen sprengten, und waren bedacht, es ins große Phantastische, aus unheimlichen Kräften sich Nährende abzuschieben.

Aber Hull hatte einen kleinen, alltäglich gescheiten Kopf. Er dachte wohl noch immer an die Geschichte seiner 20000 Mark, jedoch mehr von dem heiteren Punkt aus, daß er sie nach einer radikal anderen Richtung untergebracht hatte als derjenigen, zu der sie bestimmt gewesen waren. Er wußte heute, wo er sich gänzlich von dem Vergessen-Spuk befreit hatte und immer mehr zur Überzeugung gekommen war, seine Freunde hätten ihm mit jener Nacht einen konsequenten, aber schlechten Scherz serviert, daß sein Schuldschein und die 20000 Mark erledigt seien, und daß das einzig Anrüchige an der Sache jener Balling gewesen war, der irgendwie mit seinem Spielglück trotz des Dieners Emil sich nicht sicher gefühlt habe.

Um so mehr war er erstaunt, als sich bei ihm eines Tages ein Herr von Wenk meldete und ihm die Geschichte aus jener Nacht neu aufgewärmt auf den Tisch stellte.

Hull verhielt sich ablehnend.

Aber da sagte der andere, er sei Staatsanwalt. Der Herr von Wenk wurde in den höflichsten Formen sogar zudringlich und zog ein Schriftstück hervor. Das sei er gezwungen, in seiner Eigenschaft als Beamter vorzulegen, wie er sagte.

Hätte Hull sich wenigstens mit der Cara Carozza, der Freundin aus der Bonbonniere, besprechen können, statt allein da vor dem Mann zu sitzen und allein nachzugrübeln, was zu sagen oder wegzulassen für seine Bequemlichkeit am zuträglichsten wäre.

Er befand sich wohl in seinem Liebesglück mit Cara Carozza und hielt nicht im mindesten darauf, im Namen der Tugend des Landes von alten Speisen zu essen.

„Sie unterhalten, verübeln Sie mir die Einmischung in so persönliche Verhältnisse nicht, Beziehungen zu Fräulein Cara Carozza von der Bonbonniere,“ sagte nun gar der Besucher.

„Uff, mein Gott!“ seufzte es in Hull.

„Können Sie mich mit der Dame zusammenbringen? In Erfüllung meines Amtes, das mir der Staat übertrug. Wenn ich Sie freilich bitten dürfte, dem Fräulein gegenüber mich als Privatperson gelten zu lassen. Unnütz, Ihnen zu versichern, daß ich Sie für einen durch und durch makellosen Mann halte, der vollkommen unverdächtig ist. Auch über die Dame ist mir Nachteiliges nicht bekannt. Sie erweisen aber dem Land und wahrscheinlich sich selber einen Dienst. Sie stehen von heute an unmittelbar unter dem Schutz der Polizei. Beunruhigen Sie sich nicht. Noch ist das nichts anderes als eine vielleicht übertriebene Vorsicht. Sie sollen jedoch sicher sein, in keiner Weise an den Diensten zu Schaden zu kommen, die Sie Volk und Staat zu erweisen in der Lage sind.“

„Wie soll ich das alles verstehen, Herr Staatsanwalt?“ fragte Hull unsicher.

„Sie werden sich doch Gedanken über Ihren glücklichen Gegenspieler gemacht haben?“

„Ganz offen gesagt, ich hatte eine Weile Angst, Herr Staatsanwalt. Es schien mir etwas Unheimliches bei der Sache zu sein. Schließlich habe ich mein vermutliches Vergessen, daß ich selber jenen Herrn mitgebracht hätte, auf einen schlechten Spaß meiner Freunde geschoben.“

„Aber dieser Herr Balling, der im Hotel ein anderer war als abends zuvor im Klub?“

„Der ist mir noch heute unklar. Man gibt sonst falsche Adressen an, um zu prellen. In diesem Fall aber war es geschehen, um 20000 Mark nicht zu bekommen.“

„Könnten Sie es sich nicht so erklären,“ fuhr der Staatsanwalt fort, „der fremde alte Herr muß in irgendeiner Weise falsch gespielt haben? Er begnügte sich, vorsichtig oder gewarnt durch einen Zufall, dessen Kenntnis sich Ihnen entzieht, mit dem Geld, das er in bar gewonnen hatte. Er nannte einen Namen, der ihm gerade einfiel und von dem er durch irgendeinen Zufall Kenntnis hatte. Wenn nicht der Herr Balling vom Nachmittag im Excelsior nichts anderes als eine Ummaskierung des Herrn Balling aus Ihrem Klub war. Aber Sie sagen ja, der erste sei ein kleiner, dicker Mann gewesen, der andere aber von auffallender Körperform ... Spielen Sie noch, Herr Hull?“

„Ein bißchen, so dann und wann!“

„Zusammen mit Fräulein Carozza? Ich bin mit einem Ihrer Kameraden befreundet. Mit Karstens! Er wird mich Ihnen vorstellen, und wir werden eine Bekanntschaft gesellschaftlich erneuern, der amtlich vorgegriffen zu haben mir nicht allzu sehr verübelt werden möge. Ich hoffe, Sie auf meine Seite zu bekommen.“

Dann ging Wenk. Er begab sich in sein Amtszimmer.

*

Wenk hatte einen Monat vor diesem Besuch in einem Prozeß, in dem er als Staatsanwalt wirkte, zum ersten Male gesehen, wie die Spielwut als eine Seuche die Stadt fiebern machte. Er selber liebte den Anreiz, den das Hasardspiel der Phantasie und den Nerven und die Abwechslung, die es seinem Beruf zwischen Anwälten, Richtern, Angeklagten gab. Früher hatte er regelmäßig gespielt. Nicht aus Leidenschaft, aber mit einer eifrigen Liebe, im Spiel die Macht über eigene Beherrschung ausprobierend, Menschen beobachtend und dem reizvollen, nervenbadenden Zickzack des Glückes anheim gegeben.

In dem Spielerprozeß hatte er erlebt, welche Gefahr dem Volk durch das Spiel drohte. Das Auslaufen des Krieges in den keineswegs abspannenden Zustand, den die Bedingungen von Versailles dem deutschen Volk brachten, hatte die Phantasie nicht beruhigt, sondern hielt sie angestachelt.

Die Heeresberichte waren vielleicht die erste Schuld gewesen. Sie waren, oft wochenlang, monatelang, wie eine Lotterie fürs ganze Volk gewesen. Dann hatte bald jene verhängnisvolle Bewegung eingesetzt, mit der von den Kriegsbehörden ganze Kreise des Volles systematisch in Spielwut versetzt wurden, um sie für die Zwecke der Heeresleitung gut gestimmt zu halten: die gesteigerten Löhne der Kriegsarbeiter und das Nachwerfen von Geld an die Industrie. Der Handel hinkte nicht lange nach. Überall wurden Schleusen geöffnet, und in dem Maße, als die Waren seltener wurden, begann das Geld über alle Dämme zu schwemmen. Es war Wenk klar, daß jene Menschen in den hohen Stellen der vergangenen Zeit, die glaubten, die Seele des Volkes mit Geld zu kaufen, schuld an dem verhängnisvollen Ausgang des Krieges für Deutschland und so auch schuld an der politischen Entwickelung waren.

Sie hatten an Stelle der unvergänglichen, zu aller Entsagung, zu voller Pflichterfüllung gegen die Allgemeinheit bereiten Seele einen Götzen — das Geld gesetzt. Der Tanz um ihn erfaßte das ganze Volk.

Der Krieg hörte auf. Das Geld hatte an Wert verloren und beherrschte doch mehr als jemals das Leben eines Volkes, dem der äußere Erfolg, der äußere Glanz genommen worden war.

Hunderttausende waren durch den Krieg an ein untätiges Leben gewöhnt worden. Dies Leben war durch Jahre nichts anderes gewesen als eine Lotterie um Sein oder Nichtsein. Es hatte sich in nichts anderem betätigt als einesteils im Bewußtsein der Macht über Nebenmenschen und andernteils rein in den Nerven. Hirn wie Gemüt waren verhängt worden.

Sie brachten in die von nun an lebenssicheren Verhältnisse, in die sie aus dem Krieg herauskamen, die immer zum Spiel gespannte Phantasie. Sie waren immer gewohnt und entschlossen, auf eine Karte zu setzen. Sie führten das ehemalige Leben weiter, indem sie die Atmosphäre der Zufälle, der rasch aber hastig und vorübergehend die Nerven betäubenden Zustände aus der Kriegszone in das ganze zum Frieden zurückgekehrte Volk warfen, sein Klima zu ihren Bedürfnissen umschufen.

Das war begreiflich, gewiß! Aber die bestimmt waren, die Geschicke des Volkes über den laufenden Tag hinaus zu leiten, müßten nun mit letzter Selbstverleugnung am Werk sein. Dann wäre eine Genesung zu erhoffen.

Der Spielerprozeß hatte Beispiel über Beispiel gezeigt, wie die Entwickelung sich gemacht hatte.

Dieser Prozeß hatte Wenk weit herum in den Gesellschaften geführt, die in dem neuen Laster — im Spiel — lebten und auch von ihm lebten. Seine Überzeugungen waren verankert, seine Kenntnis und sein Erkennen der Gefahr schreckhaft vergrößert worden.

Man spielte im Sous-sol um fünf und im ersten Stock um Fünftausende von Mark. Man spielte straßein, straßaus, hausauf und -ab. Man spielte mit Karten, mit Waren, mit Gedanken und mit Genüssen, mit der Macht wie mit der Schwäche, mit dem Nächsten wie mit sich selber.

Heute spielten auch die Menschen, deren Natur das Spiel nicht lag, die, bequem und gelassen, gewohnt waren, Gelegenheiten abzuwarten und nicht sich ihnen entgegenzuwerfen.

Wenk war ein Beamter gewesen, der sein achtunddreißigstes Jahr in einer ebnen und gut temperierten Karriere erreicht hatte. Im Krieg hatte er sich bei den Fliegern als Freiwilliger gestellt, weil er Liebe zum Sport hatte und von seiner lebhaften Jugend her die Erinnerung an den Reiz der Gefahr in sich bewahrte. Diese Tätigkeit hatte ihn aufgepulvert, und er ging in seinen Beruf mit heftigeren Gefühlen zurück, als er ihn verlassen hatte. Der Spielerprozeß und was er in seiner Atmosphäre gesehen, hatte ihn aufs leidenschaftlichste aufgerührt.

Er war sofort zum Minister gegangen, hatte geschildert, was er gesehen und erkannt, und ihm dargestellt, daß gegen diese neue Cholera gekämpft werden müsse, sonst zermürbe sie den Volkskörper. Bei der Wertlosigkeit des Geldes und den gesteigerten Bedürfnissen könne sich das Volk nicht anders helfen, als die zahllosen Papierscheine rastlos immer wieder aus einem Besitz in den andern zu jagen. Der normale Produktions- und Vertriebsverkehr ergäbe dazu aber nicht das nötige Tempo und beanspruche auch Arbeit. So geschehe es nach und nach, daß das Spiel den Herzschlag hergeben müsse, in dem das wirtschaftliche Leben pulsiere.

Der Minister lächelte. Er war ein neuer Mann. Er sagte: „Unser Volk ist gesund. Sie sind ein Pessimist!“

Aber Wenk fuhr gegen ihn an: „Es ist durch und durch krank! Woher kann es gesund sein — nach solchen Jahren und einem solchen Leben?“

Da gab der Minister, der sich unsicher fühlte und nichts unversucht lassen wollte, nach und schuf einen neuen Posten, den Wenk einnahm.

Der ehemalige Staatsanwalt und Beamte wurde wie in einem Wirbel in sein neues Amt aufgerissen. Er widmete ihm alle Anstrengung und Energie. Er schaffte sich nicht zu seinem Titel einen Klubsessel und ein bequemes Bureau, sondern bildete sein Amt vom geringsten auf, ward Spitzel und Detektiv, unermüdlich immer sich selber hinausstellend, sammelnd, was er erreichen konnte. Alles tat er selber. So war er bald, da er das geringe Ausmaß seiner Kräfte im Kampf gegen die Ausdehnung des Lasters früh erkannte, auf den Gedanken gekommen, aus den Kranken selber eine Garde zu schaffen.

Und er fing bei jenen Menschen an, deren Reichtum nicht wie ein zugelaufener Hund im Haus herumlief, sondern die durch ihren Zusammenhang mit der Gesellschaftsordnung, die gestürzt war, politisch und menschlich in die Opposition gedrängt worden waren.

Er wußte: Keines Schuld an den bestehenden Verhältnissen war stärker als die dieser Menschen, weil sie zu einer Zeit, wo Widerstand nötig gewesen wäre, feig sich versteckt hatten. Aber er wußte auch, daß in ihnen eine neue Entschlußkraft emporwollte, daß sie gut zu machen sich sehnten, was sie gesündigt hatten.

Das waren vor allem die reichen jungen Männer ohne Beruf. In der Formlosigkeit, in die die Entwertung und Verschiebung des Geldes das Land gestürzt hatte, war es ihnen verwehrt, ihr bisheriges Leben fortzuführen. Ihre Gesellschaft hatte sich mit neuen Reichen durchsetzt, die sie gebrauchten, weil sie sich von ihnen gebrauchen ließen.

Der Staatsanwalt von Wenk hatte sich an ehemalige Korpsbrüder gewandt, von denen das unterschiedliche Leben seines Amts ihn seit langem getrennt hatte; und den er zuerst wiedergefunden und auch gewonnen hatte, war Karstens gewesen. Von ihm hatte er Hulls sonderbares und verdächtiges Spielabenteuer mit allen Einzelheiten erfahren.

Er verglich die Geschichte Hulls mit dem Material, das sich rasch bei ihm gesammelt hatte. Es kamen immer neue Klagen über räuberische Spieler, die so ausgezeichnet arbeiteten, daß ihnen ein Makel nicht nachgewiesen werden konnte, so andauernd aber gewannen, daß nichts anders denkbar war, als daß sie dem Glück nachhalfen.

Wenk war geneigt, aus einigen, wenn auch sehr weitläufigen Ähnlichkeiten alle diese Fälle auf eine zusammenarbeitende Bande zurückzuführen. Ja, er hatte den Eindruck, als sei hier ein einzelner Mann am Werk. Aber dieser Eindruck war nur gefühlsmäßig. Hulls Erlebnis war nun in dieser Reihe das sonderbarste, rätselhafteste und gefährlichste. Aber Wenk witterte, daß in ihm dafür auch der Schlüssel zu den andern läge.

*

Als Wenk gegangen war, stritt Hull lange Zeit mit sich. Die unnachsichtige Form, in der Wenk bei aller Höflichkeit bei ihm auftrat, hatte auf ihn gewirkt. Er ahnte, was der Staatsanwalt wollte. Denn er selber mußte sich oft unzufrieden erklären mit seinem Leben, wenn auch meist die Bequemlichkeit derartige Gedanken von ihm fern hielt.

Er hätte in gewöhnlichen Zeitläuften hemmungslos und ohne Bedenken sein genießerisches Leben so lange geführt, bis seine Gesundheit ihm das übliche Ende gesetzt hätte, oder bis es in eine der herkömmlichen oder unvorhergesehenen Ehen ausgegangen wäre.

Hull stimmte nicht überein mit dem Verlauf, den die Dinge in Deutschland nach Versailles genommen hatten. Zugleich fragte er sich: Wo warst du 1918, als die Wendung kam? Und früher, als sie sich vorbereitete? Bist du nicht mit schuld, du, Hull und ihr alle? ... Das meinte der Staatsanwalt.

Aber Hull sah in sich nicht das geringste jener Persönlichkeit, die zur Rettung fehlte, und er schüttelte das Bedenken von sich ab, fuhr zu Cara Carozza und erzählte ihr vom Besuche Wenks. „Um Gottes willen, bringe uns nicht in die Tinte mit deinem Staatsanwalt, lieber Gardi,“ sagte die.

„Aber ... aber ... spielen wir falsch? Betrügen wir? Wuchern wir, schieben wir? Wir lassen uns doch nur leben. Wo denkst du hin, Maidscherl?“

„Gardi, ein aufgefaltetes Spiel Karten ... ein Bankhalter ... geschlossene Türen und ein Staatsanwalt! Das kann einen an den Galgen bringen!“

„Ich versprach’s ihm aber!“

„Dumm!“ sagte sie nur mehr. „Du hättest dich anders herausziehen können. Die Escha bringt heute ihren Freund mit. Wir gehen zu Schramms. Karstens telephonierte vorhin, er komme auch.“

„Dann kommt Wenk sowieso. Also gut, es ist nun einmal so!“

Der Oberkellner des kleinen Weinrestaurants von Schramms, das sich kürzlich in einer der vornehmen Villenstraßen aufgetan hatte und von einem raffinierten Kunstgewerbler in einem verschrobenen Geschmack ausgestattet worden war, führte Karstens und Wenk nach dem Nachtmahl in einer Loge nach hinten und eine Wendeltreppe hinauf in ein Zimmer, das keinen anderen Ausgang und überhaupt keine Fenster zu haben schien.

In der Mitte des Sälchens stand ein Tisch von einigem Umfang, oval, aber bei jedem Sessel zu einer Nische ausgehöhlt, in die sich der Platzinhaber hineinsetzen konnte, so daß die Tischplatte rechts und links unter seinen Ellbogen ihn umfloß. Die Platte war aus einem barock geäderten, flammigen Kiefersfeldener Marmor. Nur in der Mitte war ein vollkommen weißes Oval eingelassen. Um den Tisch herum, hinter den Sesseln der Spieler erhöhte sich der Fußboden, aber die Wände waren mit verdehnten Liegediwans ganz angebaut, auf denen mild himbeerfarbene Polster mit schwarzen Ornamenten aufquollen. Eine gläserne geschliffene Tonne hing an Messinggestäng tief über den Tisch und erstrahlte von elektrischen Birnen, die aus silbernen Armen niedergriffen. Die Wände oberhalb der himbeerfarbenen Polster waren mit demselben freudigen Marmor belegt, aus dem die Tischplatte bestand.

Wenk wurde der Carozza vorgestellt.

„Ich konnte den Mund nicht halten, Herr Staatsanwalt. Meine Freundin ist unterrichtet. Verübeln Sie mir das nicht, bitte!“

Wenk machte eine leichte Verbeugung, in der ein Bedauern nicht unterdrückt war.

Für Karstens und Wenk waren Plätze am Tisch zurückbehalten worden. Sie setzten sich mit Verbeugungen, aber ohne daß jemand sie weiter vorstellte.

Man spielte Bakkarat.

Karstens neigte sich zu Wenk: „Nur der junge Mann mit dem blonden Vollbart ist fremd. Die andern spielen immer hier.“

Wenk warf einen Blick auf den Genannten und traf dessen Augen. Er sah, daß auch sie ihn anschauten, und er blickte gleich über sie weg in die Höhe. Aber er fühlte, daß der andere gemerkt hatte, man habe von ihm gesprochen. So oft in der Folge er nun zu dem Fremden hinüberblickte, fand er dessen Augen wie aufpassend auf sich liegen.

Der Fremde spielte kühl und zurückhaltend. Er verlor oft. Da ließ Wenk seine Aufmerksamkeit von ihm und wandte sich den andern zu, die er der Reihe nach beobachtete. Sie waren alle mit ihren Blicken in dem weißen Oval, auf das die Karten aufgeschlagen wurden. Selten kehrte einer den Blick ab. Es waren Herren in Frack und Damen, dekolletiert und übermäßig modisch gekleidet. Das Spiel hatte sie ins Genick gebissen und ritt auf ihnen.

Da ist niemand, sagte Wenk sich. Es sei denn der mit dem blonden Vollbart. Er begann wieder, ihn zu beobachten. Aber es fiel ihm nichts anderes auf, als daß jener seine Blicke erwiderte. Wenk widmete zugleich der Carozza seine Aufmerksamkeit. Er sah sie hingegeben spielend neben Hull sitzen, aus dessen Kasse sie sich bediente, wenn sie verlor. Gewann sie, so häufte sie aber das Geld vor sich auf. In einem Spieler zu ihrer andern Seite glaubte er einen bekannten Tenor der Staatsbühne zu erkennen, dessen Bild oft in den Schaukästen hing.

„Ist das Märker?“ fragte er Karstens.

Der nickte.

Wenk gewann etwas. Er spielte nicht länger, als bis er sich überzeugt hatte, daß für ihn nichts los sei. Dann überließ er seinen Platz einem älteren Herrn, der schon eine Weile hinter ihm saß und ihm mit Bemerkungen über seine Art zu spielen lästig gefallen war. Er setzte sich in eines der Polster und schaute noch ein Stündchen dem Spiel zu. Dann empfahl er sich. Karstens ging mit. Hull blieb mit der Carozza. Als Wenk schon einige Stufen hinuntergegangen war, blickte er nochmals zum Tisch zurück.

Da war es ihm, als ob der Blondbärtige mit seinen großen mausgrauen Augen gierig sein Fortgehen verfolgte und dann blitzschnell, wie in einer bezwingenden Drohung die Augen auf die Carozza richtete. Aber es mochte auch eine Täuschung des Lichts sein. Als Wenk unten an der Treppe angekommen war, stand er unversehens einen Blutschlag lang Brust an Brust mit einer Dame, die die Hand schon auf das Treppengeländer gelegt hatte. Er sah ihr mitten in die Augen. Betroffen trat er zurück, indem er sich tief wie zu einer Huldigung verneigte, und ging. Er wollte zu Karstens sagen:

„So schön sah ich nie eine Frau!“

Dann aber kam ihm das wie ein Verrat vor, und er trug, mit Wünschen umbrennend, das rasche Bild ihrer Erscheinung schweigsam durch die Nachtgassen. Zu Hause geriet er bald in Schlaf. Doch die zwei mausgrauen Augen, die viel älter waren als der gepflegte leuchtende Bart, hockten ihm im Schlaf auf die Brust und versuchten, das rote As unmittelbar aus seinem Herzblut herauszumischen.

Als er am Morgen erwachte, empfand er jedoch nichts als eine weite Sehnsucht, die Frau an der Wendeltreppe wiederzusehen.

Dr. Mabuse, der Spieler

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