Читать книгу Das ungeteilte Vertrauen - Norbert Johannes Prenner - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеIn der Redaktion
„Bitte etwas leiser!“ rief Carl, „wir können überhaupt nichts hören!“ Das Gemurmel im engen Sitzungszimmer verstummte. Alle lauschten gebannt der Stimme des Rundfunksprechers: „... die weiteren Verhandlungen im September dieses Jahres an die Generalversammlung der UNO zu überreichen. Marshall gab der Sowjetunion die Schuld an dem Scheitern der Verhandlungen über den Staatsvertrag, und zwar in erster Linie deswegen, weil Molotow sich weigerte, in der Frage des deutschen Eigentums in Österreich seine Ansicht auch nur im Geringsten zu ändern.“ „Na bitte, hab´ ich nicht gesagt, die Russen werden alles blockieren, was ihnen nicht in den Kram passt?“ rief Carl erzürnt. „Dreht doch endlich ab, wir kommen sonst gar nicht weiter“, forderte einer. „Noch nicht abdrehen, wartet noch“, rief Erich dazwischen, „... und nachdem Molotow erklärt hatte, dass lediglich die amerikanische Weigerung, die sowjetischen Abänderungsanträge zum Entwurf eines Viermächtepaktes in Erwägung ziehen .....“, fuhr der Sprecher fort, jedoch konnte man im allgemeinen Durcheinanderreden der Anwesenden nichts mehr verstehen.
„So, jetzt wissen wir alle, was uns erwartet, meine Herren“, sagte der Chefredakteur.“ „Na dann, Mahlzeit. Den Staatsvertrag können wir uns malen“, meinte Erich resigniert. Dr. Brock schlug mit dem Kaffeelöffel sanft an den Tassenrand und bat um Ruhe. „Darf ich Sie ersuchen, Platz zu nehmen, meine Herren. Wir haben noch viel vor heute Abend.“ Es begannen Sesselrücken und Papierrascheln. Alle hatten einen Sessel ergattert. In der Runde glimmte Zigarettenfeuer, dichte Rauchschwaden zogen unter den grünen Hängelampen des Konferenztisches ihre stummen Bahnen. Die Kaffeekanne kam nicht zur Ruhe. Plötzlich trat Stille ein im Sitzungszimmer. „Wie Sie wissen, hat sich die Salzburger Journalistengewerkschaft einstimmig gegen den Beitritt zu einer reinen Fachgewerkschaft ausgesprochen.“
Man vernahm deutliches Raunen und Räuspern im Zimmer. „Die Argumente der Salzburger Kollegen waren die, dass sie ihrer Über-zeugung nach nicht die für die Presse unbedingt notwendige Berufsvertretung darin sehen, die mit allem Nachdruck die Interessen der österreichischen Redakteure vertreten würden“, fuhr der Chefredakteur fort. „Und darf man auch erfahren, wieso nicht? fragte Dr. Brock. „Nun, weil sie der Auffassung sind, dass diese Sektion in der völlig unmöglichen Gemeinschaft mit Musikern, Bühnenangehörigen, Kettensprengern und was weiß ich noch immer die kleinste Gruppe darstellt, und daher als Minderheit gar nicht in der Lage wäre, mit dem nötigen Nachdruck unsere Interessen gegenüber allen Stellen zu vertreten.“ „Aber als standesmäßige Vertretung arbeitet die Sektion völlig unabhängig“, meinte Erich. Dem stimmten alle zu. „Immerhin hat man uns finanzielle Teilautonomie und völlige Selbständigkeit zugesichert“, entgegnete der Chefredakteur. „Also, warum dann nicht?“ fragte Dr. Brock erneut. „Sie haben es eben gehört. Man bezweifelt die Effizienz an der Vertretung der Interessen.
Aber, meine Herren, trotz dieser kleinen Niederlage sollten Sie nicht vergessen, dass dieses große Werk des Aufbaues nur gelingen kann, wenn alle Beteiligten positiv mitarbeiten. Wir müssen, koste es was es wolle, unsere Kraft auch weiterhin in den Dienst unserer schwergeprüften Heimat stellen. Ich hoffe, Sie sind sich darüber im Klaren, und bedenken Sie bitte eines, nur in einem gesunden Staat kann sich eine mächtige Presse entwickeln.“ Lautes Beifallsgeklatsche. „Nachdem uns die Vertreter der Siegermächte aufgefordert haben, die Presse-freiheit im Lande möglichst rasch wieder herzustellen, und sie alle von ihnen selbst verfügten Maßnahmen zur Einschränkung der Pressefreiheit wieder aufgehoben haben, können wir nur eines tun – nämlich arbeiten!“ Abermals lauter Beifall.
„Damit wir unsere Aufgabe jedoch zur Befriedigung aller erfüllen können, wurde der Rat der Alliierten, aber auch die österreichische Bundesregierung gebeten, dass alle Zeitungen der politischen Meinungspresse, und zwar unabhängig von ihrer Auflage, für die Dauer der Papierknappheit die gleiche Papiermenge zur Verfügung gestellt erhalten wird, und dadurch eine Erhöhung der Auflage erreicht werden kann.“ „Das geht wohl an die Adresse der Sowjets, die in ihrer Zone die Volksstimme bei der Papierzuteilung eindeutig bevorzugen, oder etwa nicht?“ raunte Carl Erich zu. „Ich weiß“, antwortete Erich, „es wird langsam Zeit für einen massiveren Vorstoß in Sachen Wettbewerbs- und Rechtsgleichheit! Die Herrschaften glauben, sich nicht an österreichische Gesetzte und unser Presserecht halten zu müssen.“ „Meine Herren, bitte“, ermahnte der Chefredakteur die beiden, „ es wird Sie ferner interessieren, dass Ihre Forderung auf eine 30%ige Gehaltserhöhung vom Verlegerverband akzeptiert worden ist!“ Bravo-Rufe.
„Sie könnten nun sagen, werte Kollegen, dass das Verhältnis zwischen der Sektionsführung und der Salzburger Landesführung unter den Gefrierpunkt abgesunken ist. Das würde ich auch so sehen. Aber – es gibt auch Positives zu berichten, nämlich dass wir erstmals Kontakte mit internationalen Journalistenorganisationen aufgenommen haben, und wir demnächst Mitglied der I J O sein werden. Na, was sagen Sie jetzt?“ Die Radakteure waren begeistert. „Jetzt müsste Sekt her“, rief einer. „Genau“, stimmten alle ein und Erich durchsuchte den Kühlschrank der kleinen Kaffeeküche nach Trinkbarem. Es fanden sich zwei Flaschen Weißwein und vier halbe Liter Bier. Immerhin, besser als gar nichts. Und so stieß man hoch motiviert auf die neuen Zeiten an. Nachdem man sich ausreichend zugeprostet hatte, bat der Chefredakteur noch einmal ums Wort. „Meine Herren, lassen Sie mich noch eines hinzufügen. Wir Österreicher sind Optimisten. Vielleicht ist dies das Geheimnis unseres Wesens. Ich denke, es hängt mit unserem Glauben an die Gerechtigkeit in der Welt zusammen. Wir glauben, dass Recht in der Weltpolitik auch Recht bleiben muss. Wir können nur hoffen, dass das österreichische Parlament jetzt endlich vor der ganzen Welt in demonstrativer Form neuerlich seinen Glauben an die Weltgerechtigkeit bezeugt und vielleicht auch für andere Nationen zum Prüfstein dafür wird, ob es sich weiter lohnt, für den Neuaufbau im Sinne der wahren Demokratie zu arbeiten.
Sehen Sie, was ich hier gesagt habe, als einen Trinkspruch für uns alle und lassen Sie uns noch einmal die Gläser heben. Prost!“ Die Gläser klirrten abermals. „Darf ich noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit bitten? Es gibt bereits einen Entwurf für den Kollektivvertrag. Allerdings dürfte der Termin für die Unterschrift erst im November feststehen. Wenn wir von der Salzburger Kritik daran einmal absehen wollen, dürfen wir uns darauf freuen, zum ersten Mal in der Geschichte unseres Berufsstandes auf so einen Vertrag zurückgreifen zu können. Carl, ich möchte dich bitten, wenn es so weit ist, mit den Verlegern und einem Kollegen diese Sache durch deine Unterschrift zu fixieren. Den genauen Termin gebe ich dir noch bekannt.“ „Oh, ich fühle mich tief geehrt“, antwortete Carl verschmitzt. „Es wird uns allerdings nicht erspart bleiben, dass wir mit einer ganzen Reihe von in- und ausländischen Presse- und Nachrichtendiensten und mit den Zeitungen unserer Besatzer getrennt verhandeln werden müssen.
Ich denke, wir werden wie bisher mit der „Welt am Abend“, mit der „Österreichischen Zeitung“, dem „Wiener Kurier“ und der „Weltpresse“ Kontakt aufnehmen. Ferner habe ich die Agenturen „International News Service“, den „Amerikanischen Nachrichtendienst“ und den „ACA-Pressedienst“ gedacht. Die APA wird den Vertrag sicher anerkennen, da kann nicht viel schief gehen, würde ich sagen. Und beim Rot-Weiß-Rot- Sender hat es ohnehin nie Schwierigkeiten gegeben. Überdies werden wir, und dafür sprechen mehrere Gründe, unsere Räumlichkeiten von der Werderthorgasse auf den Schubertring verlegen, schon einmal aus Platzgründen, aber es ist auch eine Frage des Angebotes, möchte ich hinzufügen, dass wir hier über wesentlich bessere Bedingungen verfügen werden. Nun, im Großen und Ganzen, das wär´s.“ Beifall. „Ach“, fügte Brock hinzu, „da wäre noch etwas. Leider ist es, wenn ich es zynisch sagen darf, kaum drei Jahre nach dem Ende des „Tausendjährigen Reiches“, zu einem weiteren Störfall nazistischer Agitationen gekommen, und zwar in Kärnten. Wie ich gehört habe, musste die Klagenfurter Staatsanwaltschaft gegen drei Kollegen vorgehen, die mit ihren Artikeln eine, wie soll ich das ausdrücken, gewissen Aneiferung zu verbotener nationalsozialistischer Betätigung bewirken wollten.
Den Angeklagten wurde zur Last gelegt, sich durch ihre Artikel mehrfach der Störung der öffentlichen Ruhe schuldig gemacht zu haben. Zwar konnte ihnen ein Verhalten im neonazistischen Sinne nicht nachgewiesen werden, aber immerhin wurden zwei bedingte und eine unbedingte Strafe über die Herrschaften verhängt. So was wirft wahrlich kein gutes Licht auf unseren Neuanfang. Ich kann nur an Sie alle appellieren, reduzieren Sie Ihre Arbeit auf die Disziplinierung des Sagbaren. Sie wissen, was ich meine“. „Ist dir von denen einer bekannt?“ fragte Dr. Brock. Erich, der sich bis dahin im Hintergrund gehalten hatte, verneinte. „Also ich kenn´ niemanden von den Unterkärntner Nachrichten, aber ich hab´ auch gehört, dass ihnen kein Verhalten im neonazistischen Sinn tatsächlich nachgewiesen werden konnte“, meinte Carl. „Immerhin ist der Vorfall ein guter Grund, für ein besseres Presserecht zu plädieren, denn die Gerichte gehen langsam dazu über, bei Verurteilungen wegen Pressedelikten unbedingte Freiheitsstrafen zu verhängen“, sagte der Chef-redakteur.“
„Ja, wenn du die Währungsreform bekrittelst, gehst´ ins Gefängnis!“ Carls Wortmeldung rief einen wahren Lachsturm hervor. „Also witzig finde ich das nicht“, meinte Kurt Gruber, „meine Frau hat mir schon prophezeit, dass sie in Zukunft alles vorher lesen möchte, was ich schreibe. Schließlich bin ich der Ernährer unserer Familie und kann es mir nicht leisten, im Gefängnis zu sitzen.“ Gelächter. Und so leerte man noch eine Zeit lang die schwach gefüllten Gläser, um sich schließlich gegen Mitternacht voneinander zu verabschieden. Bald danach trat jeder für sich den Heimweg an.