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Norbert Wickbold

Denkzettel Nr. 72


Backe, backe Kuchen, Friede, Freude, Eierkuchen, der Bäcker hat gerufen!

Friede, Freude – aber warum ausgerechnet Eierkuchen? Wenn wir uns über den Frieden, den wir irgendwann mal geschenkt bekamen, freuen wollen, dann werden wir plattgemacht und gleich in die Pfanne gehauen. Und dann verpasst man uns ein Eierkuchengesicht. Wenn auch ein Lachendes. Das lacht, weil es lachen soll. Und warum soll es lachen? Damit es die Macher zufriedenlässt und froh ist, wenn es vom Eierkuchenbäcker verbraten wird.

Und dann hat der Bäcker uns gerufen. Neulich hatten wir in unserer Firma ein ganz besonderes Ereignis. Der oberste Chef hatte seine Arbeitstiere zu sich geladen. Nein, der kam sogar zu uns. Ich war beeindruckt, wie besorgt der um uns war. Das war nach 20 Jahren meiner Betriebszugehörigkeit die erste Begegnung. Sicher hatte er es geahnt, wie schwer es uns fallen würde, unserer geliebten Arbeit für diese Zeit fernbleiben zu müssen. Auf jeden Fall hatte er sich eine ganze Stunde Zeit genommen. Solch eine Stunde ist einerseits schon lang, aber nicht so lang, dass einem die wichtigen Fragen einfallen. Die Einfälle kommen meist erst viel später, wenn alles vorbei ist. So saßen wir die meiste Zeit da und warteten erst einmal ab, was passieren würde. Aber viel passierte da nicht. Der Chef wartete nämlich auch ab, ob wir ihm vielleicht etwas zu sagen oder zu fragen hätten.

Für die anwesenden Mitarbeiter war diese Stunde effektiv eine Überstunde, die jeder/r von ihnen mit ca. 15 € Stundenlohn vergütet bekam. Der Chef, der bekanntermaßen unentwegt Spitzenleistung vollbringt, hatte in dieser Zeit seinen Spitzenstundensatz verdient. Und der beträgt, – das weiß ich aus Erzählungen – in manchen Fällen das 300 oder gar 400-Fache. Wie hoch der bei unserem Chef tatsächlich ist, weiß ich natürlich nicht. Wer weiß schon, was sein Chef verdient? Obwohl ihn die gesamte anwesende Belegschaft beobachtet hatte, war niemandem aufgefallen, dass er in dieser Zeit irgendetwas Wertvolleres vollbracht hätte, als irgendein anderer der Anwesenden. Wie war das noch mal? Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Unser Chef hat selbstverständlich jederzeit die Möglichkeit, sich einen genauen Überblick über den Verdienst seiner Mitarbeiter und somit auch über meinem Verdienst zu verschaffen. Als ein ihm unterstellter Mitarbeiter habe ich jedoch keinerlei Chance zu erfahren, welches Einkommen ihm von der Firma gewährt wird. Außerdem frage ich mich, wieso sind wir eigentlich »seine« Mitarbeiter? Wenn ich überhaupt jemandem gehöre, dann nur mir selbst.

Bei diesem Treffen wollte unser Chef mit uns ins Gespräch kommen, um seinen Angaben zufolge etwas über uns zu erfahren. Doch so richtig wollte sich kein Gespräch entwickeln. Bisher war es tatsächlich so, dass sich die hohen Tiere nur in die Niederungen der schmutzigen Arbeit gewagt hatten, wenn sie uns direkt über die, über unsere Köpfe hinweg, entschiedenen Änderungen, in Kenntnis setzen wollten oder dies nunmal mussten. Denn schließlich wollten diese Herrschaften ja etwas von uns. Wir sollten gleich dafür unterschreiben, dass wir uns dazu verpflichten, fortan ihre Vorgaben eins zu eins, also wie sie sich das ausgedacht hatten, umzusetzen. Denn wir sind im übertragenen Sinne der Kompost für die geistigen Abfälle der Küchenchefs. Was auf unserem Haufen landet, müssen wir umsetzen. Wir sorgen dafür, dass am Ende was Gescheites rauskommt und wenn wir es richtig umsetzen, stimmt auch beim Chef der Umsatz. Auch wenn bei der geistigen Arbeit auch nur sprödestes Stroh abfällt, müssen wir, wie die arme Müllerstochter im Märchen Rumpelstielschen es zu funkelndem Gold verarbeiten. Doch mit dem Gold umzugehen, dafür sind unsere Hände bei Weitem nicht chic genug. Bei alledem sollen wir auf jeden Fall immer friedlich und fröhlich sein. Deshalb bekommt jeder Einzelne von den Herrschaften da oben ein einheitliches Eierkuchengesicht verpasst.

In unseren Händen sieht das Gold nicht würdevoll aus. Das ist eher etwas für Personen in Amt und Würde. Bei uns steht die Würde durchaus hoch im Kurs. Sagt unser Chef. Und das sagt auch das Leitbild, das der Chef für uns gemacht hat. Würde hat bei uns ein hohes Ansehen. Deshalb würde bei uns jeder Kollege, was im Leitbild steht, ohne Weiteres unterschreiben: »Ich achte die Würde eines jeden Menschen.«

Und dennoch bleibt die Frage: Wer achtet unsere Würde wirklich? Wer achtet meine Würde ? Wer achtet Ihre Würde? Achten Sie ihre Würde? Achte ich meine eigene Würde ? Was gibt Ihnen Würde ? Wer gibt Ihnen Würde? Was macht Sie würdevoll? Wodurch werden Sie würdevoll ?

Um das abschließend richtig beurteilen zu können, beantworten Sie bitte die folgenden Fragen. Sie müssten mindestens 25 Fragen ankreuzen, um einen positiven Bescheid zu bekommen.

❍ Würden Sie so gut sein?

❍ Würden Sie so frei sein?

❍ Würden Sie mir einen Gefallen tun?

❍ Würden Sie so liebenswürdig sein?

❍ Würden Sie es mir zu liebe tun?

❍ Würden Sie sich für mich einsetzen?

❍ Würden Sie für mich ein gutes Wort einlegen?

❍ Würden Sie sich für diese Sache einsetzen?

❍ Würden Sie das auf sich nehmen?

❍ Würden Sie sich das trauen?

❍ Würden Sie mir das zutrauen?

❍ Würden Sie mir vertrauen?

❍ Würden Sie mir das anvertrauen?

❍ Würden Sie sich auf mich verlassen?

❍ Würden Sie gern ein gutes Werk tun?

❍ Würden Sie das auch noch machen?

❍ Würden Sie so weit gehen?

❍ Würden Sie bis zum Äußersten gehen?

❍ Würden Sie alle Schranken fallen lassen?

❍ Würden Sie für mich einspringen?

❍ Würden Sie sich dazu erweichen lassen?

❍ Würden Sie etwa Nein sagen?

❍ Würden Sie sich dazu herablassen?

❍ Würden Sie mir bitte mal zuhören?

❍ Würden Sie sich bitte nicht so anstellen?

❍ Würden Sie sich bitte ganz hinten anstellen?

❍ Würden Sie es auch für weniger machen?

❍ Würden Sie das mit sich machen lassen?

❍ Würden Sie hier bitte unterschreiben?

Wenn wir Ihnen Ihre Würde noch nicht zukommen lassen, würden Sie das akzeptieren? Das würden Sie sicherlich verstehen. Wie wahren Sie Ihre Würde? Ist Ihre Würde unantastbar? Oder ist Ihre Würde unbegreifbar? Was ist unter Ihrer Würde ? Oder sogar unter aller Würde ? Sieht das wirklich würdevoll aus ? Was ist würdevolles Altern? Wann ist das Maß der Würde voll? Wie hoch ist die Hürde zur Erlangung der Würde ? Warum bleibt am Ende hauptsächlich eine Bürde ?

Hätte mir noch vor einem Jahr jemand das erzählt, hätte ich ihm nicht geglaubt. Aber wer würde es auch glauben, dass der oberste Chef kommt und fragt: Was würden Sie dazu sagen? Wenn Sie was zu sagen hätten, was würden Sie dann sagen? Was würde geschehen, wenn Sie etwas zu sagen hätten? Was würden Sie tun, wenn man es Ihnen erlauben würde? Wissen Sie was? Wenn mein Chef kommen würde, um mich zu fragen, was ich machen würde, wenn…, dann wüsste ich nicht einmal, was ich dann sagen würde. Ich wüsste gar nicht, ob mir dann das Richtige einfallen würde. Ja und so war das dann auch. All die Kolleginnen und Kollegen, die sonst, wenn sie zu zweit oder zu dritt waren, schimpften wie die Kesselflicker, die wussten, als der Chef da war und sie den Mund aufmachen konnten, allesamt nichts zu sagen. Selbst die, die immer auf Krawall gebürstet sind, waren jetzt völlig friedlich. Schließlich haben sie doch etwas gesagt. Sie haben gesagt, dass sie sich freuen, den Chef persönlich begegnet zu sein und vor allem, dass sie hier arbeiten dürfen. Es sei der schönste Arbeitsplatz und sie seien stolz, hier zu arbeiten. Ich dachte, wie schnell die plötzlich alle ihren Frieden gemacht hatten. Und so ging der Chef in der Gewissheit nach Hause, dass hier alle glücklich und zufrieden ihre Arbeit mit Freude tun. Am Ausgang bekam jeder eine Plakette mit einem Eierkuchengesicht und dem Spruch:

Friede, Freude Eierkuchen, der Bäcker hat gerufen.1

Ist das die Wahrheit, die uns Würde gibt ? Oder bin ich zu romantisch, wenn ich an Novalis denke:

Der Mensch besteht in der Wahrheit.

Gibt er die Wahrheit preis, so gibt er sich selbst preis.

Wer die Wahrheit verrät, verrät sich selbst.

Bleibt zu fragen: Wenn alles, was sonst nie geschehen »würde«, endlich wahr würde, würde dann auch die Würde wahr? Fühlen Sie sich manchmal auch so würdeleer? Wie werden Sie dann wieder würdevoll? Zu guter Letzt tragen wir mit uns die größte Bürde in Frieden und mit Stolz und Würde.


1 Ich würde möglicherweise Ärger bekommen, wenn ich es unterlassen würde, darauf hinzuweisen, dass, sollten hier beschriebene lebenden Person oder Institution Ähnlichkeit mit solchen im realen Leben aufweisen, dies einen reinen Zufall darstellen würde.

Norbert Wickbold Denkzettel 8

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