Читать книгу Im Schatten der Hexe - Norman Dark - Страница 3
PROLOG
ОглавлениеDas Verlies war dunkel und feucht. Ein Ort, an dem man jegliches Gefühl für Raum und Zeit verlor. Es war unmöglich festzustellen, ob es Nacht oder Tag war.
Die gemarterte Frau konnte nur noch ein Wimmern von sich geben. Zum Schreien hatte sie weder Kraft noch Stimme. Außerdem wusste sie, dass sie ohnehin nicht erhört werden würde. Ängstlich lauschte sie nach jedem Geräusch, denn Schritte und das Öffnen der Tür bedeuteten noch mehr Pein und keine Hilfe. Kam da jemand? Nein, das waren nur die Ratten, die mit trippelnden Schritten umherliefen, gierig darauf bedacht, bei jeder erneuten Ohnmacht mit ihren kleinen spitzen Zähnen Fleisch aus den Wunden zu reißen.
Durst, dachte sie, ich habe solchen Durst. Man gab ihr nichts zu trinken und zu essen, höchstens schimmliges Brot und fauliges Wasser. Beides verschlimmerte ihren Zustand, denn es verursachte Rumoren in den Därmen und dass sie sich noch mehr beschmutzte.
Unter Qualen versuchte sie, den Kopf zu drehen, um etwas Wasser von den rauen Steinen zu lecken. Es gelang ihr schließlich, aber sie hatte nicht bedacht, dass ihre Zunge nur noch ein rohes Stück Fleisch war, das bei jeder Berührung schmerzte.
Ihr ganzer Körper war eine einzige offene Wunde. Sie konnte ihre Arme nicht mehr bewegen und nicht mehr laufen. Man musste sie halb tragen, halb schleifen, wobei Arme und Beine wie nutzlos gewordene Anhängsel an ihr hingen.
Aber beinahe schlimmer als die körperliche Qual war die seelische. Warum tut man mir das an? Warum sind alle so abgrundtief böse und grausam zu mir? fragte sie sich immer wieder in den Momenten, in denen sie bei Bewusstsein war. Ich habe doch niemandem etwas angetan. Man hat Rat und Hilfe bei mir gesucht, und ich habe geholfen, wo ich konnte. Und das soll jetzt der Dank sein?
Wenn sie an ihr Kind dachte, fuhr es ihr wie ein glühender Stachel ins Hirn. Mein armer, kleiner Junge. Wenn sie ihn doch wenigstens verschonen würden. Er hat doch noch gar nicht richtig gelebt und hat noch alles vor sich. Aber eine immer wiederkehrende Stimme in ihrem Innern sagte, dass sie auch an ihm ihre grenzenlose Wut und ihren Hass auslassen würden.
Morgen ist alles vorbei. Morgen lässt man mich endlich sterben – mein einziger Trost. Nur denkt nicht, dass ihr schadlos davonkommen werdet. Ich kann meine Kräfte auch zum Negativen wenden. Bevor ihr mich am Hals aufhängt, werde ich euch und eure Nachkommen verfluchen. Ihr glaubt, dass ihr euer schändliches Werk vollendet habt, wenn ich im Feuer brenne, aber ihr und euresgleichen werdet keine Ruhe finden, niemals mehr. Dieser Gedanke gab ihr für einen Moment Kraft, bis sie wieder eine gnädige Ohnmacht erlöste.