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Heute spricht kaum noch ein Historiker vom »finsteren Mittelalter«. Sie wissen, dass der Dichter Petrarca in der Frühen Renaissance, genauer in den 1330er-Jahren, diesen Ausdruck prägte, und empfinden den zugrunde liegenden Gegensatz zwischen dem »Licht« der antiken Welt und der angeblichen »geistigen Finsternis« der späteren Zeit als ahistorisch.9 In der britischen Geschichte wird das Konzept der »Dunklen Jahrhunderte« nur für die zwei oder drei Jahrhunderte verwendet, die mit dem Rückzug der römischen Legionen begannen und für ihre Quellenarmut berüchtigt sind. Genau in diesem Zeitraum herrschen die Herren von Alt Clud, dem Königreich von Dumbarton Rock.

Unklarheit ist damit also das Kennzeichen der Zeit. Zusammenhängende Darstellungen sind nur unter großen Schwierigkeiten möglich, und historische Untersuchungen bieten eine Spielwiese für alle, die gern spekliheren. Fakten bilden winzige Inselchen sicheren Wissens in einem riesigen Meer aus Leerstellen und Chaos. Die wenigen Quellen sind oft in ausgefallenen Sprachen geschrieben, mit denen nur sehr wenige Spezialisten etwas anzufangen wissen. Alle Urteile würden profitieren, wenn man sie in unbestrittene (sehr wenige), abgeleitete, durch Analogien gebildete oder vorläufige (die meisten) einteilen würde.

Außerdem gibt es da noch das tief sitzende Problem der Parteinahme. Die frühe Geschichte der Britischen InselnD war durch einen Überlebenskampf zwischen den alten Briten, den irischen Gälen, den Skoten, den Pikten und einer bunten Mischung einwandernder germanischer »Angelsachsen« geprägt. In der Moderne haben einige dieser Gruppen begeisterte Anhänger gefunden. Die Engländer, die heute die beherrschende Mehrheit stellen, haben – wenigstens in der populären Geschichtsschreibung – den Triumph ihrer Vorfahren oft als gegeben vorausgesetzt. Sie bewundern die imperialistischen Römer und identifizieren sich mit den Angelsachsen, aber sie verachten die Kelten. Sie schätzen Beda, der ein germanischer Northumbrier war und den sie Venerabilis (»verehrungswürdig«) nennen, und lassen seine Historikerkollegen außer Acht. Sie mögen die keltischen Quellen nicht, die sie nicht lesen können, und lassen sie regelmäßig als fantastisch oder unzuverlässig unter den Tisch fallen. Die Schotten, deren Vorfahren letztlich in Schottland triumphierten, können ebenso egozentrisch sein. Heute gibt es nur noch wenige Menschen, die für die Sache des »Alten Nordens« eintreten.

Dieser Begriff – die Waliser sprechen von Yr Hen Ogledd – erfordert eine Erklärung. Die alten Briten, Dutzende regionaler Stämme, die ganz Großbritannien vor der römischen Eroberung beherrschten und der Insel ihren Namen gaben, wurden allmählich vertrieben oder in nachrömischer Zeit integriert, und ihre frühere Vorherrschaft in allen Teilen der Insel ist weitgehend vergessen. Ihre offensichtlichsten Nachkommen, auf Englisch als die »Welsh«, die »Fremden« bekannt, bewohnen heute nur eine Ecke ihres früheren Heimatlandes, ein Überbleibsel, das die herandrängenden Engländer »Wales«, das »Fremde Land«, nannten.E Das war einmal anders. Nach dem Ende des römischen Britannien und dem Zustrom von »Angelsachsen« hielten sich die Briten in drei Hauptregionen besonders lange. In einer davon, dem heutigen Wales, haben sie überlebt. In den anderen beiden, dem heutigen Cornwall und dem »Alten Norden«, haben sie es nicht geschafft. Und doch war ihre Präsenz dort sehr real und hatte über Jahrhunderte Bestand. Alt Clud war der langlebigste Rest der Vormacht der alten Briten im nördlichen Britannien, der Region, die schließlich zu Schottland werden sollte.

Man sollte deshalb vielleicht mit einer unbestrittenen Tatsache beginnen: Dieses Reich gab es wirklich. Seine Geschichte spiegelt sich in archäologischen und linguistischen Belegen, in den Chroniken seiner Nachbarn, in Königslisten und in Anspielungen aus Dichtung und Sagen; es existierte sechs- oder siebenhundert Jahre lang. Sein ursprünglicher Name und seine genauen Grenzen sind unbekannt. Aber wir wissen mit absoluter Sicherheit, dass es da war. Zwischen der Abenddämmerung des römischen Britannien und dem Morgengrauen Englands und Schottlands gab es verschiedene keltische Reiche im nördlichen Britannien. Alt Clud ging als Letztes unter.

Die Kelten der Britischen Inseln teilten sich in römischer Zeit – wie auch heute noch – in zwei unterschiedliche Sprachgruppen. Auf der Grünen Insel, Éire, sprachen die gälischen oder goidelischen Kelten eine Sprache, die Linguisten als »Q-Keltisch« bezeichnen. Ihr Wort für »Sohn« war mac. Auf der größeren Insel Prydain (Britannien) sprachen die britischen Kelten Brythonisch oder »P-Keltisch«. Ihr Wort für »Sohn« war map. Für den Uneingeweihten klingen der goidelische und der brythonische Zweig des Keltischen unterschiedlich und sehen auch so aus, aber ein guter Lehrer kann die Lautverschiebungen von den gemeinsamen Wurzeln her schnell erklären. Die charakteristische Satzstellung mit Prädikat–Subjekt–Objekt blieb unverändert, und morphologische Verschiebungen folgten oft parallelen Mustern. Goidelische wie brythonische Kelten nahmen zum Beispiel neue Systeme der Silbenbetonung an, doch während die goidelischen sich für den Akzent auf der ersten Silbe des Wortes entschieden, ging man im Brythonischen dazu über, die vorletzte Silbe zu betonen. Beide Sprachgruppen schwächten die Konsonanten zwischen Vokalen ab. Im Goidelischen verwandelte sich t zu th, im Brythonischen zu d, sodass ciatus (Schlacht) zu cath (Irisch) und cad (Walisisch) wurde. Der w-Anlaut wurde im Goidelischen durch f und im Brythonischen durch gw ersetzt, sodass »wahr« im Irischen fir und im Walisischen gwir heißt. Englische Ohren sind an diese Laute nicht gewöhnt. Da aber das Goidelische/Gälische wie auch das brythonische »Altwalisisch« auf Dumbarton Rock zu hören waren, klingt ihr Nachhall, allerdings nicht immer richtig und vollständig verstanden, noch deutlich in der Hintergrundmusik mit.10

In den vier Jahrhunderten unter römischer Herrschaft waren die Romano-Briten in der Provinz Britannia deutlich weniger latinisiert als ihre keltischen Verwandten in Gallien oder Iberien. Manche waren sicher zweisprachig und griffen bei Kontakten mit Römern auf das Lateinische zurück, während sie untereinander Brythonisch sprachen; andere konnten womöglich gar kein Latein. Als das Westreich zusammenbrach, gingen sie nicht wie die Franzosen oder Spanier zu einer neulateinischen Mundart über, sondern kehrten zum Brythonischen zurück, bis sie neue linguistische Herausforderungen in Gestalt der fremden Sprachen germanischer Invasoren, gälischer »Skoten« aus Irland und später Nordisch sprechender Wikinger meistern mussten.

In der Moderne haben sich alle daran gewöhnt, Britannien in England, Schottland und Wales zu unterteilen. Aber diese moderne Landkarte muss man aus seinem Denken verbannen, wenn man den früheren Aufbau der Insel wirklich verstehen will. Damals, als die Provinz Britannia zusammenbrach, gab es kein England, da die angelsächsischen Vorfahren der Engländer gerade erst ankamen. Es gab kein Schottland, weil die Schotten noch gar nicht da waren, und es gab kein klar umrissenes Wales. Die früheren Romano-Briten und ihre P-keltische Sprache verbreiteten sich über den größten Teil, wenn über ganz Prydain, und während sich das ethno-linguistische Puzzle verschob, konnte man »Wales« in jedem Winkel finden, in dem sich Briten halten konnten.

Man kann mehrere Stufen der Romanisierung im nachrömischen Britannien ausmachen. Die Städte und das sie umgebende Hinterland in der früheren Provinz Britannia blieben stark romanisiert. Die Stämme weiter im Norden, vor allem jene auf der anderen Seite des Hadrianswalls, waren bestenfalls teilweise romanisiert worden, und die noch weiter nördlich lebenden »Pikten« blieben praktisch unberührt von römischer Kultur und Lebensart.

Im 5. und 6. Jahrhundert fielen die »Angelsachsen« in Britannien ein. Bei ihrem Vordringen nach Westen trieben sie in den Midlands einen Keil zwischen die Briten auf beiden Seiten. Nach der Schlacht von Chester im Jahr 616 sicherten sich die Angeln im mächtigen Staat Mercia ein Territorium, das vom Humber zum Mersey und damit von Küste zu Küste reichte. Seit damals waren die Briten im Norden von den größeren Ballungen ihrer Landsleute in anderen Gebieten abgeschnitten (obwohl es weiterhin Kontakte entlang der westlichen Seestraßen gab). Auch die Unterschiede zwischen den Walisern in »Wales« und den Nordwalisern, deren bedrängte britische Gemeinschaft langwierige Rückzugsgefechte führen musste, wuchsen.

Trotz seiner verschwommenen Umrisse kann der »Alte Norden« allerdings nicht nur als Fußnote des großartigen Spektakels der britischen Geschichte abgetan werden. Er umfasste wenigstens sieben bekannte Reiche, deren Taten nicht weniger heldenhaft waren als jene ihrer angelsächsischen Pendants. Er hinterließ sehr viele Ortsnamen und ein Literaturkorpus – im Walisischen als Yr Hengerdd oder die »alte Dichtung« bekannt –, neben dem der Beowulf wie ein schnöseliger Nachzügler wirkt.11

Die Sprache des Alten Nordens wird gewöhnlich in die Kategorie des Cumbrischen eingeordnet. Das ist eine Unterguppe des P-keltischen Brythonisch und daher mit dem Walisischen, Kornischen und Bretonischen verwandt. Natürlich liegt für Historiker ein großes Problem darin, dass Kumbrisch selten niedergeschrieben wurde und von Linguisten nur aus ziemlich mageren Informationsschnipseln erschlossen werden kann. Ein solcher Schnipsel ist der Name Cumbria (»Land der Waliser«) selbst, der einst ein weit größeres Territorium umfasste als heute. Einen weiteren Schnipsel liefern die Zählsysteme cumbrischer Hirten. Es ist gut belegt, dass Menschen, deren Muttersprache verloren geht, vor allem an zwei Dingen festhalten: den Zahlen, mit denen sie zählen gelernt haben, und den Gebeten, in denen sie zu ihrem Gott sprechen. Einen verblüffenden Beleg für dieses Phänomen findet man in einigen Hochlandgemeinden der Borders im heutigen Nordengland und Südschottland. Die Anglisierung setzte sich in jenen Gebieten vor Jahrhunderten in Gestalt der Nordengländer oder der Lowland-Schotten durch, doch die Hirten dort zählen ihre Schafe noch immer mit den Zahlwörtern ihrer brythonischen Vorfahren. Die Ähnlichkeiten sind unübersehbar, und sie spiegelten sich noch in einigen Inschriften wider, die bis vor nicht allzu langer Zeit am alten Schafmarkt in Cockermouth zu sehen waren.12 Hier finden wir die allerletzten Echos des Alten Nordens.

Das Christentum saß im spätrömischen Britannien fester im Sattel als weithin angenommen. Erst im Jahr 380 machte Kaiser Theodosius I. das Christentum offiziell zur Staatsreligion, und so blieb ihm kaum Zeit, vor dem Rückzug der Legionen alle Schichten der Gesellschaft zu durchdringen.13 Allerdings starb der hl. Alban schon um 304 in Verulamium den Märtyrertod. Das Edikt von Mailand garantierte den Christen im Jahr 313 religiöse Toleranz, und an manchen Orten sind christliche Riten belegt. In der Zeit darauf waren Lateinkenntnisse und das Bekenntnis zur christlichen Religion die beiden Marksteine der Romanitas, die zivilisierte Briten im Angesicht der heidnischen Eindringlinge schätzten.

Tabelle 1: Zahlwörter in Nordenglisch, Lowland-Schottisch und modernem Walisisch


Die Römer hatten den Begriff Picti für jene Stämme benutzt, die an den alten Sitten und Gebräuchen – am Tätowieren, an der überkommenen Religion und an einer dezidierten Abneigung gegenüber jeglicher römischer Bildung – festhielten, und Iren wie Briten waren gewohnt, die Pikten als ein eigenes Volk zu betrachten.14 Die irischen Gälen nannten sie Cruithne, ein Begriff, mit dem sie vielleicht einst alle Bewohner Britanniens bezeichnet hatten. Die walisische Bezeichnung Cymry, gewöhnlich als »Gefährten« oder »Landsleute« übersetzt, war eine Selbstbezeichnung der Briten des Westens (des heutigen Wales) ebenso wie ein Name für die »Männer des Alten Nordens«, aber offenbar nicht für die Pikten. Man kann deutliche Anklänge an die cives Romani heraushören.

Die römischen Legionen stießen zwar mehrmals über die Grenzen ihrer Provinz Britannia hinweg nach Norden vor, besetzten aber nie die ganze Insel. Das Land zwischen dem Hadrians- und dem Antoninuswall, das Intervallum, war noch nicht einmal dreißig Jahre lang Mitte des 2. Jahrhunderts unter ihrer Herrschaft. Dennoch blieben sie lange genug, um enge Bindungen mit den kooperativeren Stämmen aufzubauen und bei ihnen die wesentlichen Informationen über Nordbritannien zu sammeln. Ptolemäus, der Geograf des 2. Jahrhunderts, der in Alexandria lebte, hatte mit Soldaten und Seeleuten gesprochen, die aus Britannien zurückkehrten, und zeichnete nach ihren Angaben eine Karte mit vielen Fluss-, Stadt-, Insel- und Stammesnamen. Im hohen Norden jenseits des Antoninuswalles verzeichnete er die Caledonii. Im Gebiet zwischen den Wällen siedelte er vier Stämme an – die Damnonii, die Novantae, die Selgovae und die Votadini. In Damnonien lokalisierte er sechs oppida oder »Städte«: Alauna, Colanica, Coria, Lindon, Victoria und Vindogara (Colanica findet man auch in einer anderen Quelle, die dem sogenannten Geografen von Ravenna zugeschrieben wird). Lindon, das Llyn Dun oder »Seefort«, ist unter Vorbehalten mit Balloch am Loch Lomond gleichgesetzt worden. Alauna jedoch ist weniger unsicher. Der Name bedeutet »Landspitze« oder »Sporn« und passt wunderbar zur Lage von Dumbarton Rock.15

Die Römer hatten meist ursprünglich keltische Bezeichnungen britischer Stämme latinisiert, und moderne englische Wissenschaftler übersetzen die Stammesnamen selten. Aber man kann es versuchen. Die Caledonii waren vielleicht die »harten Menschen«, die Selgovae waren die »Jäger« und die Novantae die »tapferen Menschen«. Die Votadini (bei Ptolemäus fälschlich Otadini geschrieben) waren die »Untertanen oder Anhänger Fothads«. Die Damnonii waren irgendwie mit dem keltischen Wort für »tief« verbunden; »Menschen des Meeres« lautet die wahrscheinlichste Übersetzung. Sie passt auch gut zu ihrem Siedlungsgebiet und erklärt, warum andere Küstenstämme in Britannien und Irland, wie etwa die Dumnonii im späteren Devon, ähnliche Namen trugen. Jedenfalls war Damnonia der früheste bekannte Kleinstaat auf oder nahe dem Dumbarton Rock. Und es ist kaum zu bezweifeln, dass es auch ein Seefahrerstaat war: Eine spätere irische Quelle erwähnt ein nicht identifiziertes Schlachtfeld in Irland, auf dem ein gewisser Beinnie Britt den Art, Sohn des Conn, tötete. Beinnie war ein »Brite« von jenseits des Wassers. Die Damnonier konnten offenbar Krieger über das Meer transportieren.

Dumbarton Rock lag nur ein paar Kilometer entfernt vom Westende des Antoninuswalles am Fluss Clota, wo die römische Flotte stationiert war, um die Piraten aus dem Norden zu kontrollieren und den Transfer gallischer Hilfstruppen zu erleichtern, die am Antoninuswall mitarbeiteten. Deren Anwesenheit ist durch eine Inschrift auf einem Altar bezeugt, der in einem Fort am Wall nur ein paar Kilometer von Brittanodunum (Dunglass) aufgestellt war: »CAMPESTRIBUS ET BRITANNI QP SETIUS lUSTUS PREF. COH IIII GAL VS LLM« (Den Gottheiten der Felder und Britanniens hat Quintus Pisentius Justus, Präfekt der 4. Kohorte der gallischen Hilfstruppen, gern, bereitwillig und zu Recht sein Gelübde eingelöst.) Datiert war die Inschrift auf das Jahr 142 n. Chr. nach heutiger Zählung. Doch nach nur wenigen Jahrzehnten zogen sich die Legionen schon wieder zurück, und ihre Rückkehrpläne wurden nie in die Tat umgesetzt. Immerhin richtete Kaiser Caracalla (reg. 209–217) ein System von vorgeschobenen Reiterpatrouillen (sogenannten areani) nördlich des Hadrianswalls ein, und es ist denkbar, dass die Clota der weströmischen Flotte weiterhin als Landemöglichkeit diente.16


Mitte des 4. Jahrhunderts wurden die Verteidigungsanlagen im Norden der Provinz Britannia von einer großen confoederatio barbarica, wie die Römer sie nannten, überrannt. Wir wissen nicht, ob Damnonia daran beteiligt war. Fest steht, dass die Ordnung der Provinz zwei Jahre lang, von 367 bis 369, völlig in sich zusammenbrach. Marodeure und Fahnenflüchtige verwüsteten das Land, nahmen den höchsten Offizier gefangen und töteten den Kommandanten der befestigten »sächsischen Küste«, der Ost- und Südküste der Provinz. Ein erfahrener Soldat, der römische General Theodosius, stellte die Ordnung wieder her. Er sicherte den Hadrianswall und richtete eine Reihe abhängiger Pufferstaaten im Westen und im Norden ein. Im späten 4. Jahrhundert schuf sich der spanische General Magnus Maximus im Westen eine Machtbasis und wurde schließlich als »Macsen Wledig« zum sagenhaften Gründer mehrerer walisischer Dynastien. Gleichzeitig trat ein gewisser Paternus oder Padarn Pesrut (Paternus vom roten Mantel) als Herrscher der Votadini auf. Sein roter Mantel verwies auf einen hohen römischen Rang; in seiner mutmaßlichen Hauptstadt Marchidun (dem heutigen Roxburgh Castle) wurden große Mengen römischer Münzen aus der Zeit zwischen 369 und 410 gefunden. Für das Jahr 405 erwähnt ein Eintrag in einem irischen Annalenwerk eine Schlacht im strath Cluatha, »die Schlacht im Clydetal«. Dies ist höchstwahrscheinlich der Moment, in dem die schattenhaften nachrömischen Staaten des Nordens ins Licht der Geschichte treten. Die Lehensstaaten, die Theodosius als Puffer eingesetzt hatte, wurden jetzt zu richtigen einheimischen »Königreichen«.17

Natürlich ist der Begriff »König«, wie ihn Quellen und Historiker gleichermaßen verwenden, ein ziemlich hoch gegriffener Titel. Diese Herrscher waren keine gekrönten Monarchen, sondern Anführer von Kriegerscharen, die ihren Willen mit Gewalt durchsetzten und Tribute forderten. Ihr schwankendes Vermögen beruhte auf der Zahl der Siedlungen, von denen sie Tribute eintreiben konnten.

Nachdem sich die römischen Truppen aus Britannien zurückgezogen hatten, also 410 oder vielleicht ein bisschen später, beherbergte das Intervallum fünf, vielleicht auch sechs oder sieben einheimische Königreiche. Manche sind besser belegt als andere. »Galwyddel« (Galloway) nahm die Länder der Novantae in Besitz. »Rheged« mit dem Zentrum Caer Ligualid (dem früheren Luguvalium und heutigen Carlisle), dehnte sich auf beiden Seiten des Hadrianswalls aus. Es verfügte über eine ganz und gar römische Hauptstadt inklusive Stadtmauer, Bischof, Aquädukt und Stadtbrunnen, der noch 250 Jahre später in Betrieb war. Irgendwann im 5. Jahrhundert wurde es von Coel Hen, dem eigentlichen »Old King Cole«, regiert, der viel Zeit auf Feldzügen in Aeron – dem späteren Ayrshire – verbrachte und dessen Name am Anfang der walisischen genealogischen Liste steht, die unter dem Namen »Die Abstammung der Männer des Nordens« (Bonedd Gwyr y Gogledd) bekannt ist.18 An der Ostküste beherrschten »Manau« (Clackmannan) und »Lleddiniawn« (Lothian) die einander gegenüberliegenden Küsten des Firth of Forth. Es ist unklar, ob es sich hier um zwei Reiche handelt, zusammen jedenfalls gelten sie als die Heimat der »Guotadin«, wie die Votadini auf Keltisch eigentlich heißen. Dieses »Land der Gododdin« (um eine modernere Form des Namens zu verwenden) könnte durchaus ebenfalls unter der Herrschaft von Coel Hen gestanden haben, bevor es sich lossagte. Wie Rheged wurde es schon früh vom Christentum beeinflusst. Auf dem Friedhof seiner Hauptstadt Dun Eidyn fanden sich zahlreiche christliche Gräber. Das benachbarte »Bryneich« umfasste die Küsten südlich von Gododdin und auf beiden Seiten des Hadrianswall. Im Vergleich zu diesen Reichen verharrte Alt Clud noch eine Zeit lang im Schatten der Geschichte.19

Im 5. Jahrhundert rückten die Ereignisse im Intervallum durch die Aktivitäten dreier Männer, die Aufmerksamkeit auch von außen auf sich zogen, zumindest ein wenig ins Licht: Cunedda, Patrick und Ninian. Cunedda ap Edern, der »Gute Führer«, war ein Krieger aus Gododdin, der um 425 einen Feldzug ins ferne Gwynedd in Nordwales führte, um eine nicht willkommene Kolonie irischer Siedler zu vertreiben. Nachdem er diese Mission erfolgreich beendet hatte, zog er als einer der frühen walisischen Helden und Urvater des Herrscherhauses von Gwynedd in die Geschichte ein. Seine Expedition, wie sie sich in der Historia Brittonum darstellt, einem späteren historischen Werk, das am Hofe eines Nachfolgers entstand, könnte von einem Solidaritätsgefühl unter den Cymry angeregt worden sein.20

Cuneddas Geschichte zeigt, dass die schlechte Quellenlage mehr Fragen aufwirft, als beantwortet. Die Interpretation der Königslisten ist noch immer ebenso schwierig wie rätselhaft. Die frühesten Kompilationen dieser Epochen finden sich in den Harleian Genealogies, einer Handschriftensammlung der British Library aus einer Zeit lange nach der Regierung der dort genannten Könige. Die Texte stammen vor allem aus Wales, nicht aus Nordbritannien, und dürften ein Versuch der mittelalterlichen Waliser sein, die Erinnerung an ihre untergegangenen nördlichen Verwandten zu bewahren. Sie enthalten nur wenige verlässliche Daten und sind voller sich wiederholender Namen und außergewöhnlicher Schreibungen, die man kaum bestimmten Individuen zuordnen kann.

Die Wissenschaftler, die sich mit diesen Listen beschäftigen, müssen auf eine Zählung der Generationen, auf gründliche Quellenvergleiche und endlose Vermutungen zurückgreifen. Überdies haben sie die Praxis der sogenannten tanistry anstelle der Primogenitur zu berücksichtigen, also die Ernennung eines geeigneten Nachfolgers, der nicht notwendigerweise der Sohn des Herrschers ist. Man fühlt sich an die Situation früher Ägyptologen erinnert, die die Regierungszeiten und Dynastien der Pharaonen zusammenstellten.

Patrick ist die am besten dokumentierte und am intensivsten erforschte historische Gestalt dieser Epoche. Er war ganz sicher ein Brite aus dem Norden, der als Junge von irischen Piraten entführt und in die Sklaverei verkauft wurde. Er flüchtete, bekam in Gallien eine geistliche Ausbildung und kehrte dann als Leiter einer Mission zur Bekehrung Irlands dorthin zurück. Leider sind die Daten und Orte jenes Abschnitts seiner Biografie, in dem es um Britannien geht, sehr umstritten. Sein Geburtsort, in seinen Schriften als villula oder »kleines Landgut« nahe eines vicus Bannevem Taberniae beschrieben, ist »überzeugend« einem Dorf etwa zwanzig Kilometer landeinwärts von Caer Ligualid (Carlisle) zugeordnet worden.21 Eine alternative Lokalisierung, ein Dorf, das Patricks Namen trägt, nur einen Steinwurf von Dumbarton Rock entfernt, wird häufig außer Acht gelassen,22 ebenso wie eine Lokalsage über den Jungen »Succat«, der von Piraten mitgenommen wurde, als er an der Clota fischte. Fakt bleibt aber, dass einer der beiden erhaltenen Briefe aus Patricks Feder an die milites Corotici adressiert ist, die er dafür tadelt, dass sie sich mit den Pikten verbündet haben und auf eine Art und Weise Krieg führen und plündern, die Römern und Christen nicht geziemt:


Ich, Patrick, ein Sünder, sehr schlecht ausgebildet, erkläre, dass ich ein Bischof in Irland bin … Ich lebe unter barbarischen Stämmen als Exilant und Flüchtling um der Liebe Gottes willen … Ich habe mit eigener Hand diese Worte geschrieben und festgehalten, die feierlich den Soldaten des Coroticus gegeben, zugetragen und gesandt werden sollen. Ich sage nicht: »An meine Mitbürger« … sondern: »An die Mitbürger des Teufels« wegen ihres üblen Verhaltens.

An dem Tag, nachdem die Neugetauften, noch das Chrisam tragend, noch in ihrem weißen Gewand … gnadenlos massakriert und hingeschlachtet worden waren, sandte ich durch einen heiligen Presbyter gemeinsam mit anderen Geistlichen einen Brief. Sie wurden ausgelacht.

Hier wurden Deine Schafe zerfleischt … durch Verbrecher auf Geheiß des Coroticus. Jemand, der Christen verräterisch in die Hände von Skoten und Pikten gibt, ist der Liebe Gottes entfremdet. Gierige Wölfe haben die Herde des Herrn in Irland aufgefressen, die durch harte Arbeit so schön gewachsen war …

Es ist der Brauch der römischen Gallier, die Christen sind, den Franken Botschaften zu senden … und Getaufte, die in Gefangenschaft geraten sind, freizukaufen. Du dagegen ermordest sie und verkaufst sie an fremde Menschen, die Gott nicht kennen. Du lieferst praktisch die Glieder Christi einem Bordell aus …

Deshalb trauere ich um dich, mein Liebster … Andererseits aber freue ich mich für jene getauften Gläubigen, die diese Welt für das Paradies verlassen haben … Die Guten werden feiern in der Gemeinschaft mit Christus. Sie werden über Völker richten und über gottlose Könige herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.23

Übereinstimmend wird dieser Coroticus mit Ceredig Gueldig bzw. Ceretic Guletic gleichgesetzt mit dem frühesten bekannten Herrscher von Dumbarton Rock. Was wäre also für Patrick natürlicher gewesen, als den Fürsten seines Heimatlandes anzusprechen, nachdem er Bischof geworden war? Die Soldaten des Coroticus hätte er als »meine Mitbürger« angesprochen, wenn sie nicht so viele Schandtaten begangen hätten. Die Anrede civis, »Bürger«, war die höchste Achtungsbezeigung unter den damals römischen Briten. Auf jeden Fall war, so viel ist ganz sicher festzuhalten, der hl. Patrick wie auch der hl. David ein Waliser.

Gleiches gilt für den hl. Ninian, der laut Beda von Carlisle ausgesandt wurde, um die südlichen Pikten zu missionieren. Leider gibt es keinen Hinweis auf ein Datum (allerdings spricht man sich allgemein für das 5. Jahrhundert aus) und keine genauere Spezifizierung der »südlichen Pikten«. Falls der Ausdruck sich auf die Novantae und Selgovae bezieht, könnte die Gründung der christlichen Gemeinschaft in Candida Casa (heute Whithorn) in Galloway auf Ninian zurückgehen. Der dort gefundene »Stein des Latinus«, ein christlicher Grabstein, stammt aus der Zeit um 450 n. Chr. Wenn die Caledonier von Fortriu gemeint waren, hätte er das Gebiet des Königreichs Strathclyde durchqueren müssen, um dorthin zu kommen.24

Die Geografie wie die Chronologie der beiden nachgewiesenen nördlichen Könige des 5. Jahrhunderts, Coel Hen und Ceredig Gueldig (Coroticus), ist unsicher. Es ist möglich, dass Coel Hen anfangs über ein Territorium vom Clyde bis nach Eboracum (York) herrschte. Doch nachdem Coel Hen um 420 in einem Sumpf bei Tarbolton in Aeron ertränkt worden war, kann man durchaus damit rechnen, dass sich Alt Clud von Rheged lossagte, etwa so, wie es Gododdin wohl getan hatte. In diesem Szenario wird Ceredig zu einem Nachfolger und möglicherweise zu einem Nachkommen von Coel Hen und zum Gründer der Dynastie von Dumbarton Rock. Ceredigs vermutete Nachfolger – Erbin, Cinuit, Gereint, Tutagual und Caw – sind nichts als Namen.

Die Historizität von Ceredig Gueldig basiert auf entsprechenden Hinweisen in den Harleian Genealogies und wird durch eine weitere Erwähnung in den Annalen von Ulster gestärkt, wo er im Zusammenhang mit Patricks Abenteuern als Coirtech rex Aloo auftaucht.25 »Aloo«, das mehrfach genannt wird, ist offenbar eine Kurzform von Alauna. Die frühmittelalterlichen Annales Cambriae (Annalen von Wales), die in St David’s zusammengestellt wurden, nennen ihn »Ceretig Guletic map Cynlop« (Ceredig der Reiche, Sohn des Cynloyp).26 Er bleibt zwar schattenhaft, ist aber klarer zu identifizieren als sein weitaus berühmterer Zeitgenosse König Arthur.

Bis zu diesem Punkt kann man die Geschichte von Alt Clud ganz und gar im Zusammenhang der nachrömischen britischen Stämme erzählen. Im 6. Jahrhundert jedoch verändert sich die Situation radikal. Zunächst einmal fassten die germanischen Angeln, ein weit vorausziehender Teil jener Angelsachsen, die sich anschickten, Südbritannien zu übernehmen, an der Küste von Gododdin und Bryneich Fuß. Dann gründeten die gälischen Skoten aus Dalriada in Ulster einen ähnlichen Außenposten an der nordwestlichen Küste in der Nähe, aber etwas oberhalb von Dumbarton Rock. Seitdem hing die Zukunft des Intervallum vom Ergebnis der Auseinandersetzungen zwischen vier Völkern ab: den ansässigen Briten und Pikten und den neu angekommenen Angeln und Skoten. Dreihundert Jahre später traten als fünfte Partei in der Endphase dieses Gerangels die Wikinger als wichtiger Katalysator auf.

Laut Beda »trat Ida seine Herrschaft im Jahr 547 an«. Nach Auskunft des walisischen Mönches, der nach Beda lebte und im fernen Gwynedd die Historia Brittonum zusammenstellte, »vergrößerte Ida Berneich um Din Guauroy«.27 Ida Flamdwyn (der Flammenträger) war ein Angelsachse aus dem Süden. Berneich oder Bryneich war der ursprüngliche britisch/keltische Name des Reiches, das er und seine Nachkommen regierten und anglisierten und das allgemein unter seiner lateinischen Bezeichnung Bernicia bekannt ist. Din Guauroy war der britische Name der beeindruckenden und praktisch uneinnehmbaren Burg in Bamburgh.

Zunächst gründeten Idas Angeln einen kleinen, isolierten Vorposten. Anders als andere Angelsachsen vermischten sie sich schnell mit den einheimischen Briten – »die einzige erkennbar germano-keltische kulturelle und politische Verschmelzung in Britannien«.28 Langfristig verfolgten sie, ausgehend von ihrer günstigen Position an der Küste, die Strategie, Verbindungen zu ihren Verwandten im Königreich Deur oder Deira im Süden zu knüpfen und ein vereinigtes Reich der Angeln in Northumbria (also »nördlich des Humber«) zu schaffen. Gleichzeitig eroberten sie weiterhin kleine Gebiete auf Kosten der umgebenden britischen Reiche Rheged und Gododdin.

Die gälischen Skoten an der Westküste gingen ähnlich vor. Die Theorie, dass sie in einer einzigen Massenbewegung von Irland her eingewandert seien, ist heute widerlegt: Es ist durchaus möglich, dass es schon sehr viel früher »skotische« (also irische) Siedlungen auf beiden Seiten des North Channel gab. Politisch wichtig jedoch war die Ausweitung des gälischen Königreichs Dalriada von Ulster auf die britische Küste, ein Territorium, das in der Folge »Argyll« oder »Küste der Gälen« genannt wurde und in dem Aedan macGabrain 574 die Regierung antrat. Die groben Umrisse dieser Herrschaft kennen wir, weil der hl. Columban (um 521–597) kurz zuvor eine christliche Gemeinschaft auf der Insel Jona gegründet hatte und dessen Biograf Adamnan eine gut informierte und ausführliche Quelle ist.29 Die strategischen Anliegen der Gälen von Argyll sind nicht schwer zu erraten: Einerseits zielten sie sicher darauf, die Verbindung zwischen Argyll und Ulster zu stärken, insbesondere indem sie ihre Seemacht entwickelten. Andererseits versuchten sie, ihr Territorium auf Kosten der benachbarten Reiche – vor allem der Pikten im Binnenland und der Briten von Alt Clud – auszudehnen, wurden aber immer wieder in ihre Schranken gewiesen.

Das ist der Kontext eines der vielen Handlungsfäden im großen Rätsel um König Arthur. Wir können es sicher nicht auf diesen wenigen Seiten lösen. Die Literatur zum Thema ist gewaltig, und die dort gezogenen Schlüsse widersprechen einander manchmal vollkommen. So mag es genügen festzustellen, dass es zwei Könige dieses Namens gab, eine schwer greifbare, aber historische Gestalt aus dem 6. Jahrhundert und einen sagenhaften mittelalterlichen Helden, dessen Taten von Barden und Märchenerzählern einer viel späteren Zeit ausgeschmückt wurden. Insgesamt gibt es eine deutliche Tendenz von Arthur-Fans aus England, davon auszugehen, dass er in England lebte und kämpfte, und von Arthur-Fans aus den Grenzregionen, zu beweisen, dass er aus Marchidun alias Roxburgh stammte. Arthur-Fans aus Glasgow lokalisieren ihn entschlossen in Drumchapel, und Arthur-Fans aus dem Clan MacArthur prahlen so sehr, dass es des verstorbenen Generals Douglas MacArthur würdig ist.30 Allerdings schweigen Beda und Gildas zu dem Thema, während die Historia Brittonum dreizehn Schlachtfelder eines »berühmten dux bellorum« nennt, die man noch nicht identifizieren konnte. Der historische Arthur war sicher Brite, da er sich durch den Widerstand gegen die Feinde der Briten einen Namen machte. Alles Weitere ist die Suche nach ähnlich klingenden Ortsnamen in einem Wust halbhistorischer Überlieferungen. Dennoch kann man vom jüngsten Lobbying zugunsten der Ansicht, dass Arthur ein Held des Nordens – im Gegensatz zu Südbritannien – sei, nur beeindruckt sein. Die Verwirrung rund um Damnonia und Dumnonia oder die falsche Zuschreibung walisischer Legenden aus dem »Alten Norden« durch Geoffrey von Monmouth im 12. Jahrhundert kann jeder nachvollziehen. Darüber hinaus kann man nur sagen, dass der Felsen von Dumbarton kaum weniger plausibel ist als Tintagel. Alt Clud war Antiquaren als Castrum Arturi bekannt, und in der Nähe findet man heute noch einen Arthur’s Stone und einen King’s Ridge.31

Lokalhistoriker waren da weniger zurückhaltend.32 In seinem Buch Glasgow and Strathclyde schreibt James Knight überaus anschaulich:

Sorgfältige Forschung scheint zu zeigen, dass wir, wenn wir die Arthur-Legenden zu ihren Ursprüngen zurückverfolgen, bei einer realen historischen Person landen … dem Anführer eines britischen Bündnisses in Strathclyde im Jahrhundert nach Ninian. Seine Feinde waren die heidnischen Skoten im Westen, die Pikten im Norden und die Angeln im Osten … Als Folge eines Sieges am Bowden Hill (West Lothian) im Jahr 516 teilte er die eroberten Territorien unter drei Brüdern auf, Urien [von Rheged], Arawn … und I lew oder Loth, König der Pikten … Loth war der Vater von Thenaw … der Mutter von Kentigern oder Mungo, dem eigentlichen Gründer von Glasgow und Schutzheiligen der Stadt … Im Jahr 537 bildete sich ein neuer heidnischer Bund unter Modred, Arthurs Neffen, und bei Camelon nahe Falkirk wurde eine große Schlacht ausgefochten, in der beide Anführer fielen und in deren Folge das Christentum in Schottland eine ganze Generation lang unterdrückt wurde.33

Was auch immer wir davon halten, jedenfalls kommt hier der hl. Mungo ins Spiel, auch Kentigern, der »Oberste Herr«, genannt. Als einer der beliebtesten Heiligen des mittelalterlichen Britannien lebte er im 6. Jahrhundert und starb als »sehr alter Mann« um 613. Wenn die Catholic Encyclopedia mit dem dort angegebenen Geburtsjahr 518 recht hat, könnte er fünfundneunzig Jahre alt geworden sein. Festeren Boden unter den Füßen hätten die Historiker, wenn seine Vita, im 12. Jahrhundert von einem Mönch verfasst, nicht einfach eine konventionelle Heiligengeschichte wäre – eine bunte Mischung aus Fakten, unglaubwürdigen Geschichten und zweifelhaften Berichten von Wundertaten.34

Angeblich wurde der Heilige am Strand von Culross in Fife geboren. Seine Mutter Tenew, Königin von Lleddiniawn, war in einem kleinen Ruderboot ausgesetzt worden – so wollte ihr Ehemann sie für einen Ehebruch strafen. Sie wurde irgendwie vom hl. Servanus gerettet, der zwar eigentlich ein Jahrhundert später lebte, aber dennoch das Kind sah und es auf Altwalisisch Mwn gu, »Mein Lieber« nannte. Nach seiner Ausbildung durch die Mönche in Culross kam Mungo entweder nach Rheged oder nach Dumbarton Rock. Einem Bericht zufolge soll er zu Fuß zum Clyde gewandert sein, um den Leichnam eines alten Mannes auf einem von zwei wilden Stieren gezogenen Karren zum christlichen Friedhof am Bach Molendinar am Fuße des Felsens in Dumbarton zu bringen, wo er den unbekannten Titel eines »Bischofs von Nordbritannien« annahm.

Seine wichtigsten Jahre verbrachte Mungo in Gwynedd, wohin er auf Einladung des hl. Dewi oder David kam, des Schutzpatrons von Wales und Begründers des walisischen Klosterwesens. Mit Davids Hilfe gründete er eine Kirche in Llanelwy, in der der hl. Asaph als Diakon diente; Llanelwy ist das heutige St. Asaph in Flintshire. Um 580 wurde Mungo von Roderick oder Rhydderch Hael, einem König von Alt Clud in der 5. oder 6. Generation nach Ceredig, nach Clydeside zurückgerufen. Auf Rhydderchs Bitte hin gründete er eine Kirche in Glas-gau, der »blau-grünen Wiese«, starb in einem gesegneten Alter und wurde in der Krypta beigesetzt. Sein Grab wurde – wie nicht anders zu erwarten – zur Pilgerstätte.

Mungos Wunder, die in der Überlieferung der folgenden Jahrhunderte ihre endgültige Form bekamen, kann man sich am besten mit Hilfe eines Reims merken: »Hier ist der Vogel, der nie flog, hier ist der Baum, der sich nie bog. Hier ist die Glocke, die nie klang, hier ist der Fisch, der niemals schwamm.«35 Die vier Symbole Vogel, Baum, Glocke und Fisch finden sich im modernen Stadtwappen von Glasgow wieder. Der Vogel steht für den zahmen Spatzen des hl. Servanus, den Mungo wieder zum Leben erweckte. Der Baum repräsentiert einen toten Ast, dem Mungo die Fähigkeit verlieh, in Flammen aufzugehen. Die Glocke brachte Mungo angeblich von seiner Reise nach Rom mit, und der Fisch ist ein Lachs, unsterblich geworden in der Sage »Vom Lachs und dem Ring«:

Vor langer, langer Zeit nahm sich König Rhydderchs Königin Languoreth einen heimlichen Geliebten, einen jungen Soldaten. Als Unterpfand ihrer Liebe gab sie dem Soldaten dummerweise einen Ring, den ihr Ehemann ihr zuvor geschenkt hatte. Als der König den Ring am Finger des Soldaten sah, gab er ihm Wein und entwaffnete ihn. Er nahm den Ring an sich und warf ihn in die Fluten des Clyde. Dann verurteilte er den Soldaten zum Tode und warf die Königin in ein Verlies.

In ihrer Verzweifelung wandte sich die Königin an den hl. Mungo um Rat. Der Heilige schickte sofort einen Diener los, der den ersten Fisch, den er im Fluss fangen würde, zu ihm bringen sollte. Er kam mit einem Lachs zurück, in dem man, als man ihn aufschnitt, den fehlenden Ring fand. Der Zorn des Königs war besänftigt. Er begnadigte den Soldaten und vergab der Königin.36

In manchen Berichten tragen Rhydderch und Languoreth die Bezeichnung »Herren von Cadzow«, einer Ortschaft südlich von Glasgow, in der später eine königliche Burg stand und die in moderner Zeit der Sitz der Herzöge von Hamilton war. Mungo taucht auch in manchen Geschichten der Arthur-Sage auf; man hat bei Textanalysen Ähnlichkeiten zwischen der Sage »Vom Lachs und dem Ring« und der Liebesgeschichte von Lancelot und Guinevere gefunden.

Es steht allerdings außer Frage, dass Urien, der König von Rheged, zu Mungos Zeit der mächstigste Herrscher war. Uriens lateinischer Name lautete Urbigenus oder »Stadtgeborener«, was auf einen gewissen Grad an Romanitas hindeutet. Er herrschte über ein Reich, das sich von den südlichen Rändern Glas-gaus bis zur Umgebung von Mancunium erstreckt, wo ein Vorposten namens Reged-ham (das heutige Rochdale) seine Macht bezeugte. Der Königssitz befand sich in Dun Rheged (Dunragit) in Galloway; die wichtigste Stadt war Caer Ligualid (Carlisle), die wichtigste Kommunikationsader der Solway, der aufs offene Meer und nach Irland führte. Urien verdiente sich den altwalisischen Beinamen Y Eochydd, »Herr der Kabbelung«, was vermuten lässt, dass Rheged ebenso wie Alt Clud und Dalriada eine bedeutende Seemacht war.

Im späten 6. Jahrhundert erkannten die Briten des Nordens die von den Angeln ausgehende Gefahr, und Urien schmiedete eine große Koalition gegen die Eindringlinge. Zu seinen Verbündeten gehörten Rhydderch Hael von Alt Clud, Guallauc aus Lennox, Morgant von Süd-Gododdin, Aedan macGabrain von Argyll und König Fiachna von Ulster. Im Jahr 590 machten sie sich auf, Bernicia von der Landkarte zu tilgen. Die Iren erstürmten irgendwie die Höhen von Bamburgh, und die verbliebenen Reste der Garnison fanden Zuflucht auf Medcaut, der »Insel der Gezeiten«, wie die Angeln Lindisfarne nannten. Urien begann eine Belagerung der Insel. Er stand kurz vor einem völligen Sieg, als er einem Hinterhalt des eifersüchtigen Morgant zum Opfer fiel. Die Einheit der Briten löste sich auf, und die Ambitionen des Königreichs Rheged endeten.

Auch die Königslisten für das 6. Jahrhundert, etwa Bonedd Gwyr y Gogledd, »Die Abstammung der Männer des Nordens«, enthalten für Alt Clud nur einen einzigen eindeutig zuzuordnenden Namen und eine Handvoll zweifelhafter. Genau wie die Historizität des Ceredig (Coroticus) durch Verbindungen zum hl. Patrick belegt ist, wird die Existenz Rhydderch Haels durch seine Bande zum hl. Columban bestätigt. Adamnan berichtet, der hl. Columban habe den Königshof von Dumbarton Rock besucht, und er macht Rhydderch zum Gegenstand einer Prophezeiung des Heiligen:

Eines Tages schickte der König, ein Freund des heiligen Mannes, Lugbe moccu Min zu diesem mit einer Art Gelieimbotschaft … da er wissen wollte, ob er von seinen Feinden niedergemacht würde oder nicht. Als Lugbe vom Heiligen über den König und seine Herrschaft und sein Volk befragt wurde … sprach der Heilige: »Niemals wird er den Händen seiner Feinde ausgeliefert werden, vielmehr wird er zu Hause auf seinem eigenen Federbett sterben.« Diese Vorhersage über König Roderc wurde voll erfüllt. Denn gemäß dem Wort des Heiligen starb er in seinem eigenen Bett einen friedvollen Tod.37

Rhydderch Hael kommt in Bonedd Gwyr y Gogledd vor, und seine Regierungszeit wird üblicherweise mit um 580 bis 618 angegeben, damit sie mit den Lebensdaten des hl. Columban in Einklang steht. Adamnan beschreibt ihn als filius Tothail und gibt damit für Rhydderchs Vater Tutagual eine Regierungszeit irgendwo zwischen 560 und 580 vor. Alle weiteren Identifizierungen jedoch sind hoffnungslos. Und auch bei Rhydderchs Nachfolgern stochern die Historiker weitgehend im Nebel. Dumnagual Hen, Clinoch und Cinbellin sind Namen ohne Daten und Gesichter. Es werden nicht weniger als fünf Fürsten namens Dumnagual aufgeführt. Einer von ihnen, der offenbar drei Söhne hatte, könnte möglicherweise der Vater des Chronisten Gildas gewesen sein.38

Im 7. Jahrhundert wurde der Alte Norden durch religiöse Dispute wie auch durch schwere Kämpfe erschüttert. Die Deutungen gehen zwangsläufig auseinander, aber alle Kommentatoren stimmen darin überein, dass die Schlachten von Catraeth, Whitby und Nechtansmere wichtige Meilensteine der Geschichte der Region waren.

Die Schlacht von Catraeth um das Jahr 600 war ein Nebenprodukt der fortgesetzten Feindschaft zwischen Briten und Angeln. Verschärft wurde der Konflikt noch durch die Befürchtungen der keltischen Kirche, die sicher von der römischen Mission des hl. Augustinus von Canterbury in Südbritannien erfahren hatte.39 Die Krise spitzte sich nur zehn Jahre nach Uriens Ermordung wieder zu. Diesmal war es Yrfai, Sohn des Wulfsten, Herr von Nordgododdin, der das Bündnis zusammenrief. Er lud dreihundert Krieger nach Dun Eidyn, bewirtete sie monatelang festlich und zog dann mit ihnen in die Schlacht. Fürsten aus Piktland und Gwynedd schlossen sich ihm an. Gleiches tat auch Cynon, Sohn von Clydno Eidyn, Herr von Alt Clud, dessen Name eine Verwandtschaft mit Yrfai vermuten lässt. Das Bündnis schickte eine berittene Elitetruppe weit nach Süden, über Bernicia und über den Hadrianswall hinaus in die östlichen Länder Rhegeds. Sie nannten sich selbst Y Bedydd – »die Getauften« – und nahmen für sich in Anspruch, den alten Glauben gegen die anglischen Gynt oder »Heiden« zu verteidigen. Ihre Heldentaten sind im größten aller frühen altwalisischen Epen aufgezeichnet. Der Anfangssatz in der einzigen erhaltenen Handschrift, dem sogenannten Buch Aneirins, gibt den Namen des Gedichts und seines Autors an:

Hwn yw e gododdin, aneirin ae cant. 40

(Dies ist das Gododdin, Aneirin sang es.)

Es folgt eine lange Sammlung von Elogien auf die gefallenen Krieger. Einer von ihnen wurde Madauc oder Madawg genannt:

Ni forthïnt ueiri molüt nïuet,

ractria riallü trin orthoret,

tebïhïc tan teryd druï cïnneüet.

Dïu Maurth guisgassant eü cein dühet

Diu Merchyr bü guero eü cïtunet …

Die Anführer wahrten den Lobpreis der verdienten Ehre

wie ein helles Feuer, das gut angefacht wurde.

Am Dienstag legten sie ihre dunkle Deckung an.

Am Mittwoch war ihr gemeinsames Ziel bitter.

Am Donnerstag wurden Gesandte als Pfand geschickt.

Am Freitag wurden Leichen gezählt.

Am Samstag handelten sie rasch gemeinsam.

Am Sonntag wurden ihre roten Klingen neu verteilt.

Am Montag sah man einen Strom von Blut, hoch bis zum Oberschenkel.

Ein Mann von Gododdin erzählt, dass, als sie zurückkamen

vor Madawgs Zelt nach dem erschöpfenden Ende der Schlacht,

nur einer von hundert zurückkehrte.41

Wie viele Fachleute festgestellt haben, besitzen Kriegerethos, poetische Überspitzung und der konkret erfahrbare Kult des Todes und des Blutbads eine zeitlose Qualität. Dies sind Kelten, die gegen Angeln kämpfen, aber ohne allzu viele Veränderungen könnte es sich auch um die Schar Agamemnons vor Troja handeln. Der Herr von Alt Clud ritt in der Vorhut:

Moch arereith ï – immetin

pan – crïssiassan cïntäränn i-mbodin …

Er erhob sich früh am Morgen

Als die Anführer der Hundertschaften sich eilten, das Heer aufzustellen,

Bewegte sich von einer vorgeschobenen Stellung zur anderen.

An der Spitze von einhundert Männern sollte er der Erste sein, der tötete.

So groß war seine Sehnsucht nach Leichen

Wie nach Met oder Wein.

Es war mit blankem Hass,

Dass der Herr von Dumbarton, der lachende Krieger, Den Feind tötete.42

Doch diesmal blieb ihm das Lachen im Halse stecken. Die Vorhut der anglischen Truppen hatte sich zurückgezogen und ihre Gegner in die Marschrichtung einer zweiten anglischen Armee gelockt, die von Deira heraufzog. Bei Catraeth (dem heutigen Catterick) stießen sie aufeinander. Es war ein entsetzliches Blutbad, selbst für eine Gesellschaft, die vom Krieg lebte, und das nordbritische Heer wurde aufgerieben: nur einer der dreihundert Anführer kehrte zurück. Yrfai und Cynon und die meisten ihrer Gefährten wurden erschlagen:

E tri bet yg Kewin Kelvi …

Die drei Gräber auf den Höhen von Celvi,

Die Eingebung hat sie mir bezeichnet:

[Sie sind] das Grab Cynons mit den wilden Brauen,

Das Grab Cynfaels und das Grab Cynfelis.43

Damit war der Weg frei für die Angeln, die ihren unerbittlichen Vormarsch wieder aufnahmen.

Die politischen Folgen der Schlacht bei Catraeth zeigten sich in den nächsten Jahrzehnten. Die Angeln von Bernicia strömten nach Norden und überrannten Gododdin – schon 631 war aus Dun Eidyn Edinburgh geworden (burgh mit der Bedeutung »Festung« war einfach eine Übersetzung des keltischen dun). Und sie nahmen den Angriff auf Rheged wieder auf, den Urien hatte bremsen können. In einer früheren Auseinandersetzung hatten die Männer von Deira den Bewohnern von Luguvalium bei Aderydd (dem heutigen Arthuret nahe Longtown in Cumbria) eine ähnliche Niederlage wie in Catraeth beibringen können und hatten Myrddin (Merlin), den Barden der Stadt, angeblich gezwungen, Zuflucht im »Wald von Cellydon« (was sehr nach Caledonia, der lateinisch-keltischen Bezeichnung für Schottland klingt) zu suchen. Jetzt konnten die Angeln mit doppelter Heeresmacht nach Rheged einziehen und furchtbare Rache üben. Ihnen folgten Siedler, die sich auf Dauer dort niederließen.

Uriens Königslinie verschwindet aus der Geschichte. Der letzte König von Rheged, der vertriebene Llywarch Hen, findet am walisischen Hof von Powys Aufnahme, und Rheged selbst geht unter. Binnen kurzem ist die Präsenz der Angeln im Norden von einer Küste bis zur anderen gesichert; Bernicias Expansionsdrang lebt wieder auf; und die Briten von Dumbarton Rock sind noch immer von ihren Landsleuten abgeschnitten.

Der religiöse Konflikt spitzte sich in den 660er-Jahren zu. Auslöser waren oft religiöse Riten oder theologische Fragen, wie etwa die Berechnung des Osterfestes, doch im Grunde ging es um einen brutalen Machtkampf. Der Norden war von keltischen Missionaren bekehrt worden; von Ninian, Columban und Rhun, dem Sohn Uriens und Bischof von Luguvalium, der angeblich Edwin von Northumbria getauft hatte, und von dem Iren Aidan, der um 635 den Bischofssitz Lindisfarne einrichtete. Doch die römische Mission, die eng mit der Expansion der angelsächsischen Macht verbunden war, setzte sich unerbittlich durch. Im Jahr 664 rief Oswy von Northumbria, der weitaus stärker war als seine Vorgänger, die Synode von Whitby zusammen. Trotz seiner persönlichen Beziehungen zum keltischen Christentum entschied er sich zugunsten der römischen Partei und ernannte den hl. Wilfrid zum Bischof von Northumbria. Von diesem Zeitpunkt an marschierte die anglische Regierung Hand in Hand mit dem römischen Glauben. Nach nur fünf Jahren behauptete Wilfrid, er sei »Bischof von Piktlandes«. »Es stellte sich heraus, dass Gott neben Latein auch Englisch sprach, aber nicht Gälisch.«44

Es stellte sich auch heraus, dass Wilfrid allzu optimistisch gewesen war. Nechtansmere, der anglische Name einer Stätte, die die Briten entweder Llyn Garan, »Reiherteich«, oder Dunnicken, die »Festung des Nechtan« nannten, liegt ein gutes Stück nördlich des Firth of Forth, nahe Forfar in der heutigen Grafschaft Angus. Beda erwähnt den Ort in Verbindung mit dem Beginn des Niedergangs von Northumbria, denn dort in Nechtansmere wurde um drei Uhr am Samstagnachmittag, dem 20. Mai 685, das Heer des Ecgfrith, Sohn des Oswy, König von Northumbria, durch die verbündeten Truppen von Piktland und Alt Clud unter einem Kriegerhäuptling mit dem großartigen Namen Bridei map Bili aufgerieben. Ecgfrith und seine gesamte königliche Leibgarde wurden niedergemacht. »Als der König … im darauffolgenden Jahr unüberlegt ein Heer in das Land der Pikten führte, um es zu verwüsten, wurde er durch die Feinde … in die Enge unzugänglicher Berge geführt und mit dem größten Teil der Truppen, die er mitgebracht hatte, … getötet.«45 Die Angeln sah man in dieser Gegend nie wieder.46

Brideis Sieg wurde, ungewöhnlich für die »Dunklen Jahrhunderte«, sogar mit einem erhaltenen Denkmal, dem sogenannten Skulpturenstein von Aberlemno, gefeiert. Er steht auf einem Friedhof nur knapp zehn Kilometer vom Schlachtfeld entfernt und zeigt als einziger piktischer Symbolstein eindeutig eine Schlacht:

[Die Darstellung] liest sich wie ein Comicstrip in einer Zeitung mit vier von oben nach unten angeordneten Szenen. In der ersten jagt ein Berittener, der vielleicht Bridei sein soll, einen anderen Krieger zu Pferde. Auf der Flucht hat der Letztere Schild und Schwert weggeworfen. Dieser Mann könnte Ecgfrith sein … der sich umwendet und flieht in dem Moment, als ihm klar wird, dass er in einen Hinterhalt geraten ist. Durch seinen Helm ist der flüchtende Krieger als Northumbrier zu identifizieren. Bei Ausgrabungen am Coppergate in York wurde ein sehr ähnliches Exemplar, abgerundet mit langem Nasenschutz, gefunden.“47

Die zweite Szene zeigt Ecgfrith oder einen anderen Northumbrier zu Pferde mit der gleichen Art Helm, wie er eine Gruppe piktischer Fußsoldaten angreift. Der Bildhauer verstand offenbar etwas von Kriegstaktik, denn er stellte die Männer sorgfältig in der richtigen Schlachtformation in drei Reihen dar. Vorn stand ein Krieger mit Schwert und einem runden, gebogenen Schild mit vorspringendem Buckel. Wenn die Reiterei der Gegner angriff, musste er der Wucht des Zusammenpralls standhalten. Zu seiner Unterstützung stand ein weiterer Mann direkt hinter ihm mit einem langen Speer, der weit über die erste Reihe hinausragte. Hinter den beiden Kriegern, die den Feind angriffen, stand ein dritter Speerträger in Reserve. Die ganze langgezogene Schlachtlinie entlang sollte eine Reihe blitzender Speerspitzen die Angreifer abschrecken und die Pferde dazu bringen, dass sie scheuten oder den Angriff verweigerten. In einer dritten Szene im unteren Teil des Steins stehen Bridei und Ecgfrith einander zu Pferde gegenüber. Ecgfrith scheint gerade seinen Speer zu schleudern, während Bridei sich bereit macht, ihn abzuwehren. Und in einem letzten Akt, ganz unten in der rechten Ecke, liegt Ecgfrith tot auf dem Schachtfeld. Ein Aas fressender Rabe, das Symbol der Niederlage, pickt an seinem Hals.

Der Skulpturenstein von Aberlemno ist Ausdruck des piktischen Nationalstolzes. Er entstand ein Jahrhundert nach dem großen Sieg und verkündete eine ebenso schlichte wie kraftvolle Botschaft: Piktland ist anders. Und im Jahr 685 »war diese einzigartige Identität durch Waffengewalt bewahrt worden«.48

Es gibt keinen Grund, die Kontinuität von Alt Clud im 7. Jahrhundert infrage zu stellen, doch alle Königsnamen sind zweifelhaft, und man kann gewisse Überlappungen mit den Herrschern von Piktland feststellen. Rhydderch Hael scheint keine Söhne gehabt zu haben. Der Thron ging auf Nwython (Neithon, Nechtan) über, der möglicherweise mit Nechtan, König des piktischen Fortriu, identisch ist († um 621), nach dem vielleicht Nechtansmere benannt wurde. Nwython war der Vater von Beli (oder Bili I.) und Großvater von Ywain (Owen, Owain) wie auch von Brude (Bridei). Owen von Dumbarton Rock ging im Jahr 642 als Sieger aus der Schlacht von Strathcarron hervor, in der der König von Dalriada fiel, während sein Bruder oder Halbbruder Bridei map Bili, der in Fortriu regierte, bei Nechtansmere siegte.49 Hinweise auf eine weitere Reihe zweifelhafter Namen tauchen von Zeit zu Zeit in den Annalen von Ulster auf, was zeigt, dass die Monarchen von Alt Clud in ihrer Rivalität mit Dalriada nicht zögerten, den Krieg auch über das Meer nach Irland zu tragen.

Nechtansmere hatte bleibende Folgen. Die Schlacht beendete eine Phase, in der das Kriegsglück an der anglisch-piktischen Grenze mal diesem, mal jenem hold gewesen war und das Grenzland mehrmals den Besitzer gewechselt hatte. Doch nach Nechtansmere wichen sowohl die Pikten wie auch die Briten von Dumbarton Rock nicht mehr von der Stelle. Die Angeln ließen sich dauerhaft im Süden des Firth of Forth nieder und wagten sich nicht über ihre Festung in Stirling hinaus. Sie kolonisierten Galloway und das frühere Aeron (Ayrshire) im Südwesten, aber sie kamen nicht bis zum Clyde. In ihrem Siedlungsgebiet führten sie ihren besonderen Dialekt des Altenglischen ein, der gemischt mit lokalen Dialekten zur Entstehung einer Sprache namens »Lallans« oder »Lowland Scots« führte.50 Fortan trugen nördlich und westlich der Angeln die gälischen Skoten, die Pikten und die Briten einen neuen dreiseitigen ethnischen Wettstreit aus. Grob gesagt gewannen die Skoten darin die Oberhand über die Pikten, bevor die Piktoskoten die Briten übermannten. Das Ganze dauerte vielleicht 250 Jahre.

Das 8. und die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts sind die dunkelsten überhaupt. Historische Aufzeichnungen über die langen Jahrzehnte zwischen Nechtansmere und den Einfällen der Wikinger sind dünn gesät. Trotz gelegentlicher Lichtblicke ergibt sich keine durchgehende Geschichte. Während die northumbrischen Angeln sich südlich von ihnen verschanzten und die sich bekriegenden Skoten und Pikten im Norden allmählich zusammenwuchsen, waren sich die Briten am Clyde selbst genug. Es gab keine berühmten Herrscher, keine gewaltigen Schlachten, keine im Gedächtnis haftenden Gedichte, keine erhaltenen Chroniken. Die Quellen bieten keine Anhaltspunkte etwa zum Thema Seemacht. Man hört nichts von Expeditionen über das Meer. Man weiß nichts über die Größe der bewaffneten Patrouillen, die womöglich am Firth of Clyde aufgeboten wurden, um die Schifffahrt zu überwachen und die Steuereintreiber des Königreichs zu schützen. Nichts von alledem hat überlebt, wenn man von gelegentlichen Bemerkungen in Texten, die das Handeln anderer beschreiben, einmal absieht. Von den verschiedenen Völkern, die an der Entstehung Schottlands beteiligt waren, »sind es die Briten, über die man am wenigsten weiß und über die am wenigsten geschrieben worden ist«.51

Über die territoriale Ausdehnung des Königreichs von Alt Clud kann man für einen Großteil dieser Zeit deshalb nur spekulieren. Nach dem Fall von Rheged und Gododdin blieben die Nachbarn des Königreiches dieselben. Im Westen und Nordwesten kontrollierten die Skoten von Dalriada die meisten Inseln und Landzungen. Der außergewöhnliche Senchus oder das »Register« von Dalriada – eine Art Vorläufer des Domesday Book – zeigt, dass Kintyre zu den wichtigsten Regionen zählte.52 Es lässt im Umkehrschluss auch vermuten, dass die Steuereintreiber von Alt Clud nicht weiter als bis Bute und Arran kamen.

Die Hauptsorge war wohl darauf gerichtet, die Seewege des Firth zu sichern. Im Norden markierte der Clach nam Breatan oder »Britische Stein«, der noch immer in Glen Falloch über der Nordspitze von Loch Lomond zu sehen ist, die traditionelle Trennlinie zu den Pikten. Jenseits davon lagen das fruchtbare Strathearn-Tal und die piktische Provinz Fortriu. Im Osten und Süden grenzte Alt Clud an Northumbria. Es umfasste die Täler der Zuflüsse und die umliegenden Höhen des Clyde-Beckens, aber nicht viel mehr. Ein wichtiger Grenzposten befand sich wahrscheinlich in der Nähe des heutigen Kelvinhead, ein anderer in der Nähe von Beattock. Die internen Kommunikationswege waren kurz, sei es über den Fluss oder über das Meer. Es gab Land für den Ackerbau und die Viehzucht, außerdem Wald. Der Ring der Hochlandhügel bot ein geschütztes Klima und gute Verteidigungslinien.

Doch im Großen und Ganzen verfügte das Königreich nicht über die gleichen Ressourcen wie die Nachbarstaaten. Northumbria war mindestens doppelt so groß. Der Zusammenschluss der Pikten und der Skoten sollte eine weitere große Macht hervorbringen. Im Laufe der Zeit wurde es für das Königreich von Alt Clud immer schwerer, Schritt zu halten. Alles weist darauf hin, dass Dalriada über beträchtliche Seefahrtskapazitäten verfügte.53 Man darf annehmen, dass die Herren von Dumbarton Rock ähnliche Vorkehrungen zu treffen suchten, aber nicht mithalten konnten.

Zur Zeit der Schlacht von Nechtansmere war Piktland noch heidnisch gewesen, und das Christentum im Norden fand erst allmählich zu einer gewissen Form. Eine Zeit lang konkurrierten die northumbrischen Angeln bei der Bekehrung der Pikten mit den Skoten von Dalriada, und das Ende ihrer eigenen territorialen Expansion bedeutete noch nicht das Ende ihrer religiösen Ambitionen. Die ersten beiden Amtsinhaber eines northumbrischen Bistums in Whithorn waren Penthelm, »Anführer der Pikten«, und Pentwine, »Freund der Pikten«. Whithorn grenzte nicht an Piktland, aber eine gewisse christliche Mission gehörte offenbar zum Auftrag des Bistums. Zur gleichen Zeit vertrieb Nechtan, König der Pikten (reg. 706–724), die Mönche von Iona und bat Bedas Vorgesetzten, den Abt von Jarrow, um Rat, wie man eine Kirche nach römischem Vorbild gründen könne. Später schrieb man ihm pauschal die Bekehrung von Piktland zu. Tatsächlich aber führte er wahrscheinlich nur flächendeckend den römischen Ritus ein. Sein Nachfolger Oengus I. (reg. 729–761) ging einen Schritt weiter, holte die Reliquien des hl. Andreas aus Byzanz und errichtete ihnen eine Kultstätte an der Küste ganz im Osten seines Landes. Für die Menschen in Alt Clud, die den hl. Mungo verehrten, änderte sich dadurch allerdings wohl nichts.

Das Jahr 731 ist das Datum des eindeutigsten Hinweises auf Alt Clud überhaupt. In seiner Kirchengeschichte des englischen Volkes erwähnt Beda, der nur vier Jahre später starb, den Firth of Clyde »ubi est civitas Brettonum muniüssima usque hodie quae vocatur Alcluith«, »wo sich eine Stadt der Briten befindet, die bis zum heutigen Tag stark befestigt ist und Alcluith heißt«. An anderer Stelle nennt er »urbem Alcluith, quod lingua eorum significavit Petram Cluit; est enim iuxta fluvium nominis illius«, »die Stadt Alcluith, was in ihrer Sprache Felsen des Clyde heißt; sie liegt nämlich am Fluss dieses Namens«. Er hält auch fest, dass sich das Westende des Antoninuswalls in der Nähe befindet. Beda lebte in Jarrow, nicht einmal 300 Kilometer entfernt. Seine Aussage, dass Alcluith »bis zum heutigen Tag« stark befestigt war, ist ein schlagender Beweis dafür, dass Dumbarton Rock bewohnt war und aktiv verteidigt wurde.54 Zwanzig Jahre später finden wir einen weiteren kurzen, aber eindeutigen Hinweis im walisischen Brut y Tywysogion, der »Fürstenchronik«:

DCCL. Deg mlyned a deugeint a seith cant oed oet Crist pan vu y vróydyr róg y Brytanyeit ar Picteit yg góeith Maesydaóc, ac lladaód y Brytanyeit Talargan brenhin y Picteit. Ac yna y bu uaró Teódór map Beli.

Siebenhundertfünfzig war das Jahr Christi, als die Schlacht zwischen den Briten und den Pikten stattfand, der Kampf bei Maesydog, und die Briten Talargan, den König der Pikten, töteten. Und dann starb Tewdwr, Sohn des Beli.55

Diese kryptische Nachricht stimmt mit anderen Informationsschnipseln walisischer wie irischer Herkunft überein. Teudebur map Beli, Sohn von Beli II., König von Alt Clud, kommt in den Harleian Genealogies als ein Zeitgenosse des Oengus macFerguson von Piktland vor, dessen Bruder Talorgen in Maesydaóc/Mygedawc – wohl das heutige Mugdock auf halbem Weg zwischen Dumbarton und Stirling – starb. Die irischen Annalen von Tigernach notieren den Tod von »Taudar mac Bili, ri Alo Cluaide« auf das Jahr 752.56 Mit dem Tod von König Teudebur/Taudar begann eine Zeit dynastischer Unruhen. Den umkämpften Thron sicherte sich zunächst der Sohn des verstorbenen Königs, Dynfwal (Dumnagual) map Teudebur, doch fast sofort fielen die verbündeten Krieger der Pikten und Angeln wie Aasgeier in sein Königreich ein. Am 1. August 756 übergab König Dynfwal Dumbarton Rock an Oengus, König der Pikten, und Eadberht, König von Northumbria; die Bedingungen dieser Unterwerfung kennen wir nicht. Nur zehn Tage später wurden Eadberht und sein Heer auf dem Rückmarsch »zwischen Ouania und Niwanbrig« plötzlich vernichtend geschlagen. Der einzige mögliche Übeltäter war Oengus, den ein Nachfolger Bedas als »tyrannischen Schlächter« bezeichnet, ohne ihn allerdings direkt dieses hinterhältigen Verbrechens anzuklagen. Der Fluss Ouania oder Avon, ein walisischer Name, war wohl der Avon in West Lothian, und Niwanbrig oder »Newbridge«, ein anglischer Name, lag irgendwo jenseits der Grenze zu Northumbria. Die piktisch-northumbrische Allianz war dahin, und das Königreich Alt Clud bekam noch einmal eine Atempause.

Eine ständige Bedrohung stellte allerdings das Bündnis zwischen Pikten und gälischen Skoten dar, dem zweifellos auch die letzte Christianisierungsphase des Piktlandes Vorschub leistete. Es ging dabei um drei parallel ablaufende Vorgänge. In der kulturellen Sphäre lieferten die gälisch sprechenden Skoten, die schon lange Christen waren, den gebildeten Klerus, der die Bekehrung vorantrieb. Es fiel ihnen vermutlich nicht schwer, ihren piktischen Konvertiten nicht nur ihre religiösen Überzeugungen, sondern auch ihre Sprache zu vermitteln. (Ihren Erfolg kann man vielleicht mit dem der angelsächsischen Geistlichen vergleichen, die später die heidnischen Dänen des Danelag christianisierten und zugleich anglisierten.) Zeitgleich wanderten in der geografischen Sphäre die Gälen ostwärts, mischten sich mit den Pikten und bildeten einen stabilen skotischen Siedlungsgürtel von Argyll bis Fife. Als die erste erhaltene Liste der Provinzen Piktlands geschrieben wurde, trugen zwei von ihnen gälisehe Namen. Atholl, was »Neuirland« bedeutet, liegt östlich der gebirgigen Wasserscheide; Gobharaidh oder »Gowrie« liegt nördlich des Tay rund um das heutige Perth. In der politischen Sphäre entstanden noch engere Beziehungen zwischen den Herrscherhäusern Dalriadas und Piktlands, bis sich die Unterschiede völlig verwischten. Da Edinburgh noch lange in northumbrischer Hand blieb, entstand die Hauptstadt des aufstrebenden Königreichs in Dunkeld. Der heilige Krönungsstein wurde in der nahe gelegenen Abtei Scone untergebracht.57 Aus Sicht der Nordbriten entstand hier durch die Verbindung zweier alter Feinde ein neuer und noch gefährlicherer Rivale.

Die Manöver, durch die sich die gälischen Dynasten von Dalriada mit ihren Pendants in Piktland zusammenschlossen, kann man heute nicht mehr genau nachvollziehen. Ein piktischer König, Oengus I. macFerguson, stammte angeblich aus Argyll. Ein anderer, Oengus II. (reg. 820–834), schuf ein Jahrhundert später für kurze Zeit ein gemeinsames Reich, das sich von einem Meer bis zum anderen erstreckte. Doch dann kam es wegen eines Thronfolgestreits zum Bürgerkrieg; und es verging ein Jahrzehnt, bevor der gälische Prätendent, Cinaed mac Alpin, besser bekannt als Kenneth macAlpin (810–858), sich den Thron als »König der Pikten« sicherte. Später schrieb man macAlpin im Allgemeinen die Schaffung des ersten vereinigten »Königreichs Schottland« zu, doch dieser Ruhm gebührt ihm vielleicht gar nicht. Unter seinem Sohn Konstantin I. (reg. 863–877, Gründer von Dunkeld) wurden Argyll und Piktland noch immer als getrennte Einheiten regiert, und womöglich wurde der Zusammenschluss dauerhaft erst unter Konstantin II. (reg. 900–943) vollzogen. »Alba«, der gälische Name des Königreiches, taucht in macAlpins Zeit noch nicht auf; der Name »Schottland« wurde nur von Außenstehenden verwendet.

Irgendwann im Laufe der piktisch-gälischen Verschmelzung wurde der Apostel Andreas zum Schutzpatron des Königreichs Alba. Der Legende zufolge bekam ein König Oengus die Reliquien des Heiligen geschenkt; das Kloster Cennrigmonoid (der Kern des heutigen St Andrews), das zum Zentrum der Verehrung des Heiligen wurde, stammt aus der Mitte des 8. Jahrhunderts. Die Flagge des Königreiches Alba zeigt das weiße Andreaskreuz auf blauem Grund.

Seine Stabilität erlangte der Zusammenschluss vor allem unter dem Druck der Wikingereinfälle. Seeräuber aus Skandinavien drangen gegen Ende des 8. Jahrhunderts unter lautem Getöse ein. Sie segelten von Norden her die Küsten entlang, zerstörten 793 Lindisfarne und 795 Iona, eroberten dann die Isle of Man und siedelten in Irland, Sutherland, Orkney und Shetland. Jener erste Angriff auf Lindisfarne fand einen ähnlichen Widerhall wie die Ankunft Idas des Flammenträgers 250 Jahre zuvor. Der Autor der Angelsächsischen Chronik berichtet angsterfüllt:

AD 793. In diesem Jahr kamen entsetzliche Vorwarnungen über das Land der Northumbrier, die die Menschen ganz jämmerlich erschreckten: das waren große Lichtwände, die durch die Luft sausten, und Wirbelwinde und wilde Drachen, die über das Firmament flogen. Diesen furchtbaren Vorzeichen folgten kurz darauf eine Hungersnot und am sechsten Tag vor den Iden des Januar … grauenvolle Überfälle heidnischer Männer, die in der Kirche Gottes auf der Heiligen Insel eine elende Verwüstung anrichteten, dann Plünderung und Gemetzel.

Die Wikinger wollten – wie schon die Skoten und die Angeln vor ihnen – bleiben.

Der Nordwesten Britanniens war besonders verwundbar. In den 830er-Jahren machten die eindringenden Wikinger das unter der Herrschaft Dalriadas stehende Argyll unsicher, verheerten die Küstensiedlungen und drangen plündernd tief ins Binnenland vor. Im Jahr 839 marschierte ein Trupp Wikinger in das piktische Kernland Fortriu ein und tötete die beiden Söhne Oengus’ II. Die Nordmänner ließen sich nicht dort nieder, schufen jedoch die nötigen Voraussetzungen für die Thronfolge Kenneth macAlpins, des damaligen Herrschers von Argyll.

Ein noch größeres Durcheinander sollten die Wikinger im benachbarten Königreich Alt Clud anrichten. Kommentatoren schreiben, das Reich von Dumbarton Rock habe in jener Zeit »offenbar unter fremder Herrschaft gestanden« oder sei »anscheinend in den Hintergrund gedrängt worden«.58 Die näheren Umstände allerdings werden nirgendwo beschrieben. Die »Fremdherrscher« könnten Wikinger oder Pikten gewesen sein, aber auch »Skoten« aus Dalriada, oder vielleicht eine Kombination verschiedener fremder Mächte. Ein einzelner Zwischenfall ist für die Zeit um 849 festgehalten: »Die Briten brannten Dunblane nieder.« Dunblane liegt in Piktland, nahe Stirling. Unter anderem besteht die Möglichkeit, dass die Briten aus Dumbarton Rock sich schon gegen die wachsende Macht einer piktisch-gälischen Vereinigung zu wehren begannen, die in den folgenden Jahrzehnten nur noch stärker werden sollte.

Gegen Ende der 860er-Jahre bestand die Gefahr, dass die Wikinger die gesamten Britischen Inseln überrennen würden. Sie hatten sich eine wichtige Ausgangsbasis in Dublin geschaffen, von wo aus sie nach ganz Irland und an die Westküste Britanniens ausschwärmten. Auch London, East Anglia und Humberside in späteren Danelag standen unter ihrer Herrschaft. Unter den angelsächsischen Reichen leistete nur Wessex ernsthaften Widerstand. König Alfred von Wessex (reg. 871–899) entkam ihnen nur mit Glück. Weiter im Norden hatten die skandinavischen Plünderer, die den Mersey, den Solway und den Humber hinaufsegelten, eine nordische Gemeinde im Lake District im früheren Königreich Rheged und ein Wikingerreich in York gegründet. Und sie hatten den gesamten hohen Norden Britanniens, den sie ihr »Südland« (Sutherland) nannten, eingenommen. Das frühere Machtgleichgewicht war zerstört, die Zukunft ungewiss. Falls sich die Wikinger durchsetzten, würde sich ganz Britannien in ein weiteres nordisches Reich wie Dänemark oder Norwegen verwandeln. Falls Wessex im Süden oder Alba im Norden wieder erstarkte, konnte vielleicht ein neuer Modus vivendi gefunden werden.


Alle erhaltenen zeitgenössischen Quellen berichten übereinstimmend, dass Dumbarton Rock 870 oder 871 von den Wikingern zerstört wurde. Das genaue Datum kann wegen des Chaos in der jeweiligen Jahreszählung um ein oder zwei Jahre abweichen. Doch die Chronisten in Ulster, in St Davids und in drei Fassungen der Annalen von Wales verwenden alle denselben Namen für das Ziel der Angriffe: Alt Clud (die britische Form); und sie alle verwenden Verben, die eine völlige Vernichtung bezeichnen:

869 …. die Schlacht von Cryn Onen [Ash Hill] fand statt.

870. Achthundertsiebzig war das Jahr nach Christus, und Caer Alclut wurde von den Heiden zerstört.

Deg mlyned athrugeint ac wythgant oed Krist, AC Y TORRET KAER ALCLUT Y GAN Y PAGANYEIT

(Hl. Carodog von Llancarvan, Brut y Tywysogion

[Fürstenchronik])

869 an Cat Brin Onnen

870 an Arx Alt Clut a gentilibus fracta est.

871 an Guoccaun mersus est, rex Cereticiaun

(Nennius und die Annalen von Wales)

870 an Cat Brionnen annus. Cant Wrenonnen (Ashdown)

871 an Arx Alclut a Gentilibus fracta est Alclut fracta est.

872 an Guoccaun mersus est Gugan, rex Cereticiaun rex Ceredigean mersus est

(Annalen von Wales)

Obsesio Ailech Cluathe a Nordmannis, i.e. Amlaiph et Imhar ii regis Nordmannorum obsederunt arcem illam et destruxerunt in fine 4 mensium arcem et predaverunt.

Die Belagerung von Ailech Cluathe durch die Nordmänner; d.h. Olaf und Ivar, zwei Könige der Nordmänner, belagerten jene Burg, und zerstörten und plünderten sie nach vier Monaten.

(Annalen von Ulster)59

Wenn wir diese verstreuten Informationen zusammensetzen, können wir eine relativ plausible Geschichte konstruieren:

Es war im Jahr 870, als der nordische König von Dublin, Olaf der Weiße … sich zu einer militärischen Expedition entschloss, um das Königreich der Briten in Strathclyde zu plündern. Er segelte mit einer großen Flotte von Dublin los, fuhr den Firth of Clyde hinauf und belagerte Alclut. Ein weiterer Wikingerherrscher schloss sich ihm an: Ivar Ragnarsson (genannt »Ivar Beinlause« oder »der Knochenlose«) zog von York, das er 867 eingenommen hatte, nach Norden. Die Garnison von Alclut hielt vier Monate lang stand, doch schließlich sah sie sich zur Aufgabe gezwungen, nachdem der Brunnen auf dem Felsen ausgetrocknet war … Die Burg wurde zerstört, und das Königreich der Briten stand den Eindringlingen offen, die über den Winter in Strathclyde blieben, [bevor] sie mit einer Flotte von zweihundert mit Sklaven und Beute beladenen Schiffen zurück nach Dublin segelten. Der König von Strathclyde wurde kurz darauf getötet, und das Reich fiel eine Zeit lang unter die Herrschaft benachbarter Könige.60

Die Wikingerflotte segelte mit ihrer Beute davon, zweifellos in Richtung auf den Dubliner Sklavenmarkt. Allerdings verweisen »Hogback«-Grabsteine im Wikingerstil im nahen Distrikt Govan darauf, dass womöglich einige Wikinger zurückblieben.61 Zudem gab es auch einheimische Überlebende, und die gedemütigte Monarchie von Dumbarton Rock wurde nicht völlig ausgelöscht. Das genaue Schicksal von König Arthgal ist schwer zu rekonstruieren. Ein Historiker nimmt an, dass er als Gefangener nach Dublin gebracht wurde.62 Die meisten anderen akzeptieren die Aussage des Chronisten, dass »Arthgal, König der Briten, im Jahr 872 auf Anraten Konstantins, des Sohnes von Kenneth [macAlpin], erschlagen wurde«. Sicher ist, dass der Sohn des britischen Königs, Rhun map Arthgal, mit der Schwester König Konstantins I. verheiratet war oder kurz vor der Eheschließung stand. Die naheliegendste, wenn auch nicht sichere Erklärung wäre, dass Konstantin Rhun während der Abwesenheit seines Vaters als Herrscher eingesetzt hatte und die Dubliner Wikinger dann womöglich mit Hilfe finanzieller Zuwendungen dazu überredete, Arthgal zu töten.63 Jedenfalls ist klar, dass die Schotten unter Konstantin I. in den frühen 870er-Jahren ihre Vorherrschaft über Alt Clud errichteten, in dem Rhun als abhängiger Unterkönig regierte.

Das walisische Brut y Tywysogion drückte es so aus: »Die Männer von Strathclyde, die sich weigerten, sich mit den Engländern zusammenzuschließen, mussten ihr Land verlassen und nach Gwynedd gehen«. Wahrscheinlich verwendete der walisische Chronist das Wort »Engländer« so, wie die Engländer den Begriff »Waliser« benutzten – in der Bedeutung »Fremder«. Die Episode zeigt, was in den »Dunklen Jahrhunderten« geschah, wenn eine einheimische Gesellschaft von einer anderen überrannt wurde. Einige Mitglieder der unterlegenen Bevölkerung wurden in die Sklaverei verkauft. Einige, wahrscheinlich die meisten, blieben, bestellten das Land und gingen mit der Zeit in der Gesellschaft der Sieger auf. Die herrschende Elite jedoch musste ersetzt werden. Wenn sie Glück hatten, ließ man ihnen die Wahl, sich der Herrschaft der Sieger zu unterwerfen oder das Land zu verlassen. Wenn nicht, mussten sie sterben. Dies erklärt, wie Sprache und Kultur sich in Gebieten verändern, in denen der menschliche Genpool im Grunde derselbe bleibt. Ein Musterbeispiel ist die Verwandlung des nachrömischen Britannien in das angelsächsische England; die Verwandlung der Briten des Nordens in gaelische Strathclyder ist ein weiteres.

Die Stammesältesten von Dumbarton Rock, die beschlossen hatten, sich lieber wieder ihren britischen Verwandten anzuschließen, als sich mit den neu einwandernden Gälen zu arrangieren, können das ferne Gwynedd nur über das Meer erreicht haben. Ihre Schiffe segelten mit der Ebbe, ließen den Felsen hinter sich, glitten an Bute und Arran vorbei (die sie sicher ganz anders nannten), fuhren um die Küste von Aeron hinaus durch die kabbelige See an der Mündung der Ituna. Sicher nahmen sie ihre Barden und Schreiber mit, die ihren walisischen Gastgebern das Wissen über die Gwyr y Gogledd weitergaben. Sie müssen gespürt haben, dass hunderte, ja sogar tausende Jahre Geschichte mit ihnen segelten. Man kann nicht genau sagen, wann diese Reise stattfand, doch im Jahr 890 tauchten die Exilanten schon in den Annalen von Wales auf und halfen, wie dort berichtet wird, dem König von Gwynedd, die »Sachsen« zurückzuschlagen.64

Die verbliebenen Briten von Dumbarton Rock waren seit 870/71 direkte Untertanen des aufstrebenden Königreichs Alba. Noch gab es dort keine formelle Lehnsherrschaft, wie sie sich damals langsam in Europa verbreitete, doch der Machtwechsel war deutlich zu spüren. Die Herren von Alt Clud handelten fortan in Abstimmung mit ihren Oberherren. Das Verwaltungszentrum wurde auf die andere Seite des Flusses von Dumbarton Rock nach Govan verlegt; und der Name Cumbria bezeichnete immer öfter das Unterkönigreich als Ganzes. Die Kontrolle über Dumbarton Rock und das tributpflichtige Territorium half, so kann man annehmen, den Söhnen und Enkeln von Kenneth macAlpin, ihr Erbe aufzuwerten.

Es waren die Könige von Alba und ihre gälischen Landsleute, die den Namen Strath Cluaith oder »Strathclyde« einführten, unter dem Alt Clud in späterer Zeit vor allem bekannt war. Sie hatten gute Gründe, die Menschen von Dumbarton Rock einigermaßen gnädig zu behandeln; aus ihrer Sicht waren die Herrscher von Strathclyde nur ein jüngerer Zweig ihrer Familie in mütterlicher Linie. Eochaid map Rhun (reg. 878–879) scheint sich sogar als Kenneth macAlpins Enkel um den Thron von Alba beworben zu haben. Eine Quelle nennt ihn »den ersten Briten, der über die Gälen herrschen sollte«. Er wurde von dem schattenhaften Giric MacRath oder »Sohn des Glücks« abgesetzt, der in seinem Hause Briten, Nordmänner und Engländer als Sklaven hielt. Doch das Zerwürfnis zwischen dem älteren und dem jüngeren Zweig der Herrscherfamilie führte nicht zu einem längeren Streit. Der unerwartete Zusammenbruch der Wikingerherrschaft jenseits des Hadrianswall zog die Herren von Strathclyde und Schottland bald in einen weiteren Wirbel von Machtkämpfen hinein, in dem sie zusammenstehen mussten.

Im 10. Jahrhundert trat das wieder erstarkende Wessex in Südbritannien in den Vordergrund. Innerhalb von nur zwanzig Jahren nach König Alfreds Tod im Jahr 899 deutete sich an, dass es nicht nur die Dänen und Wikinger unterwerfen, sondern auch ein vereinigtes »Königreich von ganz Britannien« schaffen würde. Athelstan (reg. 924–939), Alfreds Enkel, trat die Thronfolge im Königreich Mercia wie auch in Wessex an und startete im Jahr 927 einen Blitzfeldzug in den Norden, bei dem er das Wikingerreich in York zerstörte, Northumbria bis hin zum Forth überrannte und Konstantin II., König der Schotten, zwang, um Frieden zu bitten. Bei einer Zusammenkunft von fünf Königen bei Eamont Bridge in Cumbria setzte Athelstan die Anerkennung seiner Oberherrschaft durch. Neben Athelstan und Konstantin nahmen der König von »Westwales«, der »König von Bamburgh« und Ywain map Dynfwal von Strathclyde, auch »Owen von Cumbria« genannt, daran teil. Der Unterwerfungsakt signalisierte nicht nur das Vordringen der angelsächsischen Macht vom Tyne bis zum Forth; er markierte auch den ersten Schritt eines langfristigen Hegemoniestrebens der englischen Könige über ihre nördlichen Nachbarn.

Dennoch erlaubte die Demütigung der Wikinger von York und Northumbria den Herrschern von Strathclyde, einen Teil des entstehenden Vakuums zu füllen und viele historische Territorien des »Alten Nordens« wieder unter ihre Fittiche zu nehmen. In den folgenden Jahrzehnten stießen sie nach Süden in die früheren Gebiete von Rheged und tief in die Pennines vor. Als abhängiger Staat schoben sie die Grenze Albas mit England weit über die heutige Grenzregion hinaus nach Süden. Ein Stein bei Stainmore – auf halbem Weg zwischen Penrith und Barnard Castle –, bekannt als Rere Cross, Rear Cross oder Rey Cross, markiert wahrscheinlich die Grenze der Herrschaft von Alba und Strathclyde. Eine Ansammlung von cumbrischen, dem hl. Mungo/Kentigern geweihten Pfarrkirchen vor allem in Dearham nahe Cockermouth bezeugt die fortdauernden Einflüsse der Clydeside. In dieser Zeit kamen die Bräuche und die Sprache der brythonischen Bevölkerungselemente, nicht zuletzt der cumbrischen Schafzähler, sicher wieder stärker zum Tragen, obwohl die etablierte Dominanz der anglischen und nordischen Elemente nicht völlig verloren ging. Die große Mehrheit der Ortsnamen im Lake District etwa, wie Bassenthwaite, Langdale oder Scafell, sind eindeutig nordischen Ursprungs, und nur einer Minderheit wie Derwent, »Oak Valley«, oder Helvellyn, »Gelbes Moor«, merkt man ihre brythonische Herkunft an. Der Gebirgspass Dunmail Raise an der Straße zwischen Keswick und Grasmere, wo in späteren Zeiten ein Cairn die Grenze zwischen Cumberland und Westmorland markieren sollte, war nach einem der drei gleichnamigen Unterkönige von Strathclyde benannt. Im frühen 10. Jahrhundert könnte der Cairn von Dunmail ein südliches Gegenstück zum Rere Cross bei Stainmore gewesen sein.


Doch die Atempause währte nicht lange. Im Jahr 937 fand eine für die Geschichte der Britischen Inseln entscheidende, aber häufig unbeachtete Schlacht bei Brunanburh statt, einer nicht näher bekannten Stätte irgendwo in Merseyside.65 Die Angelsächsische Chronik schildert diese Begegnung in Versform, und Alfred, Lord Tennyson übersetzte das Gedicht unter dem Titel The Battle of Brunanburh:

Athelstan King, Lord among Earls, Bracelet-bestower and Baron of Barons, He with his brother Edmund Atheling, Gaining a lifelong Glory in battle, Slew with the sword-edge There by Brunanburh, Brake the shield-wall, Hew’d the lindenwood, Hack’d the battleshield … König Athelstan Herr unter Grafen, Geber des Ehrenbandes und Baron der Barone, Er mit seinem Bruder Edmund Atheling, Sie errangen ewigen Ruhm in der Schlacht, Schlugen mit der Schwertklinge Dort bei Brunanburh, Durchbrachen die Mauer aus Schilden, Zerhauten das Lindenholz, Zerhackten den Kampfschild …

In Brunanburh stand Athelstan von Wessex, seines Zeichens »König von ganz Britannien«, einer Koalition von Walisern, Schotten, und nordischen Königen gegenüber, die ganz offenbar durch den plötzlichen südenglischen Machtgewinn aufgescheucht worden waren und ihre Soldaten in Athelstans Territorium geführt hatten. Unter ihnen war auch der König von Strathclyde, wahrscheinlich Ywain map Dynfwal. An diesem Punkt hätten die nichtenglischen Truppen, wenn ihnen das Schlachtenglück hold gewesen wäre, Wessex die Flügel stutzen können. England war nicht stärker als Schottland, und das Schlachtenglück immer wieder ungewiss. Doch letztendlich triumphierte Athelstan, und die antienglische Koalition zerbrach. Der angelsächsische Chronist (wieder von Tennyson übersetzt) verkündete einen endgültigen Sieg über die »Wahser«:

Never liad liuger Nie war ein gewaltigeres
Slaughter of heroes Heldengemetzel,
Slain by the sword-edge – Erschlagen durch die Schwertklinge –
Such as old writers Wie es die alten Schreiber
Have writ of in histories – in Geschichten geschildert haben –
Hapt in this isle, since geschehen auf dieser Insel seit
Up from the East hither hierher vom Osten herauf
Saxon und Angle from Sachsen und Angeln von
Over the broad billow Jenseits des weiten Meeres
Broke into Britain with Nach Britannien eingefallen waren mit
Haughty war-workers who Stolzen Kriegsarbeitern, die
Harried the Welshman, when die Waliser hetzten, als
Earls that were lured by the Grafen, durch die Ruhmsucht
Hunger of glory gat herbeigelockt, das Land
Hold of the land. in ihre Macht bekamen.

Die Folgen von Brunanburh – von den Engländern als die »Große Schlacht« bezeichnet – zeigten sich nicht sofort. Athelstans früher Tod führte vielmehr dazu, dass seine Feinde wieder Morgenluft witterten und die Erben hart um seine Eroberungen kämpfen mussten. Im Jahr 944/945 marschierte zum Beispiel Athelstans Halbbruder und Nachfolger Edmund der Ältere in das durch zusätzliche Territorien erweiterte Königreich Strathclyde ein, schlug dessen Unterkönig Dynfwal III. – den die Angelsächsische Chronik »Dunmail« nennt – und bestand als Teil einer allgemeinen Abmachung darauf, dass Strathclyde sich formell Alba unterstellte. Den Herrschern von Alba befahl er, die Zügel bei ihren Unterkönigen anzuziehen. Die unabhängige Existenz des früheren Alt Clud näherte sich ihrem Ende.

Ein einzelner Satz des walisischen Brut y Tywysogion ist bemerkenswert. Nachdem dort der Tod des Bishof Emerys von St Davids im Jahr 944 vermeldet worden ist, heißt es völlig kommentarlos: »Ystrat Clut adiffeithóyt y gan y Saeson« (»Ystrat Clut wurde von den Sachsen verheert«). Es muss wenigstens das vierte Mal gewesen sein, dass Alt Clud verwüstet wurde, und die Täter können nur die Soldaten oder Verbündeten Edmunds I. gewesen sein. Aber es war das erste Mal, dass die Waliser den traditionellen brythonischen Namen Alt Clud durch Ystrad Clut oder »Tal des Clyde« ersetzten – eine einfache Übersetzung des gälischen Namens. Der brythonisch/cumbrische Charakter des Reiches schwand fortan; das gälisierte »schottische« Strathclyde tauchte auf, und die Waliser waren sich dessen bewusst.66 Die Briten des Alten Nordens wurden nicht einmal mehr erwähnt.

In der nächsten Generation wurden, wie die Angelsächsische Chronik berichtet, sechs reguli oder »Kleinkönige« gebraucht, um das Boot von Edmunds Nachfolger in einem rituellen Akt der Unterordnung nach Wikingerart, der auch als »Unterwerfung von Chester« bekannt ist, über den Fluss Dee zu rudern. Einer der späteren Dynfwals nahm als Ruderer daran teil, was ihm eine gewisse Stellung verlieh. Die Zeitgenossen waren sich des Symbolgehalts dieses Aktes wohl durchaus bewusst. Strathclyde hatte von einer kurzfristigen geografischen Expansion profitiert, und sein politischer Status war noch immer beachtlich. Die Zeit der Unabhängigkeit war zwar vorbei, doch das frühere Alt Clud war nicht einfach eine weitere Provinz Albas. Die Nachkommen Ceredigs bewahrten sich ihre Identität und blieben sich, wie man an der Verwendung alter britischer Namen sieht, offenbar ihrer Herkunft bewusst, doch ihr Handlungsspielraum war begrenzt. Wenn sie in den Krieg zogen, kämpften sie und ihre Männer unausweichlich an der Seite Albas.67

Im 11. Jahrhundert schwand die britische Kultur in Strathclyde weiter, auch wenn es bis zu einem gewissen Grad davon profitierte, dass in England wie in Alba andere Probleme in den Mittelpunkt rückten. Die Britischen Inseln wurden durch ein letztes Aufbäumen der Wikinger erschüttert. In England wurde die angelsächsische Monarchie von Knut dem Großen (reg. 1018–1035) gestürzt, der kurzzeitig an ein englisch-skandinavisches Großreich denken ließ. Im Jahr 1066 landeten dann voneinander unabhängig zwei feindliche Militärexpeditionen in England. Die erste unter der Führung von Harald Sigurdsson »Hardrada« segelte im September von Norwegen her den Tyne hinauf und wurde in der Schlacht von Stamford Bridge zurückgeschlagen. Die zweite unter der Führung von Herzog Wilhelm von der Normandie, dem Enkel normannischer Wikinger, überquerte im Oktober den Ärmelkanal und errang nach der Schlacht bei Hastings die Herrschaft über England. In den Jahren nach 1066, als das Land zu einer normannischen Kolonie wurde, verbrachte Wilhelm der Eroberer viel Zeit mit dem sogenannten »Harrying of the North« – der Unterwerfung Northumbrias und dem Einmarsch in Schottland. Der Vertrag von Abernethy (1072) zwischen England und Schottland schloss einen Huldigungsakt ein, der die englische Rechtsposition, wonach Schottland jetzt ein Lehen Englands war, weiter stärkte.

Nordbritannien nahm in dieser Zeit eine Gestalt und Prägung an, die im ganzen Mittelalter erkennbar bleiben sollten. Orkney und Shetland, Sutherland und die Äußeren Hebriden blieben zwar in den Händen der Nordmänner, doch die große Masse des Territoriums wurde unter einem Herrscher vereint. Darüber hinaus führten die Könige von Alba immer häufiger den Titel des rex Scottorum oder »König der Schotten« und stärkten damit das Konzept eines einigen »Schottland«; die Eroberung des Nordens von Northumbria nach der Einnahme von Edinburgh 1020 erzeugte einen weiteren Identitätswandel. Die Eingliederung der Lallans sprechenden Lowlands, deren Adel jetzt enge Kontakte zu Engländern und Normannen pflegte, stellte die vorherige Dominanz des Gälischen infrage.

Dennoch kontrollierte das Haus macAlpin das Königreich Alba/Schottland fast das ganze Jahrhundert lang. Im Jahr 1031 unterwarfen sich Malcolm I. und seine Verbündeten ohne weitere Kämpfe dem Wikinger Knut, als der in den Norden kam. Die einzige Unterbrechung in der Thronfolge der macAlpins begann 1040, als Donnchad I. (Duncan) durch die Hand von MacBethad mac Findlaich (reg. 1040–1057), Herr von Moray – den Zeitgenossen als Ri Deircc oder »Roter König« und Shakespeare-Lesern als Macbeth bekannt – den Tod fand. Fast alle Historiker, die sich mit dieser Zeit beschäftigen, heben hervor, dass Shakespeares Stück ein großes Drama, aber schlechte Geschichtsschreibung sei.68 Kein einziger zeitgenössischer Bericht beschreibt Macbeth als Tyrannen. Er herrschte am Vorabend der normannischen Eroberung und gewährte Exilanten aus England Zuflucht. Als letzter König von Alba stand er einem gälisch sprechenden Hof vor. Schließlich töteten ihn Soldaten Malcolms III. Canmore (reg. 1058–1093), der ein Sohn des ermordeten Donnchad war.

Das war das Umfeld der letzten Phase der politischen Geschichte von Strathclyde. Das Königreich erstreckte sich bis tief in die zwischen Schottland und England umkämpfte Zone hinein und wurde unweigerlich in diese englischschottische Rivalität mit hineingezogen. Lange ging man davon aus, dass Eogan II., auch als Owain der Blinde († 1018) bekannt, der Letzte seiner Linie gewesen sei. Seine Teilnahme an der Schlacht von Carham nahe Durham zwischen den Schotten und den Engländern im Jahr 1016 oder 1018 ist sicher belegt. Das gilt aber nicht für seinen Tod auf dem Schlachtfeld. Tatsächlich hatten die Unterkönige von Strathclyde und ihr Staat noch einige Jahrzehnte vor sich. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Donnchad Strathclyde als königliche Apanage übertragen bekam, bevor er den Thron von Alba bestieg; und es bestehen kaum Zweifel, dass die Engländer Strathclyde in den letzten Jahren von Macbeth’ Herrschaft angriffen. Im Jahr 1054 führte Siward, der mächtige Graf von Northumbria, der zu Knuts Zeit nach Britannien gekommen war, eine große Flotte und ein riesiges Heer nach Norden und richtete in der bisher nicht lokalisierten Schlacht am Siebenschläfertag ein gigantisches Blutbad an. Macbeth wurde in die Flucht geschlagen, Siwards Sohn getötet. Vor allem aber »machte« Siward nach Aussage eines englischen Chronisten »Mael Coluim, den Fürsten der Cumbrier, zu einem König«.69 In der schottischen Überlieferung wurde dieser Fürst zumeist mit Macbeths Feind Malcolm Canmore gleichgesetzt; wahrscheinlicher ist jedoch, dass er ein Cumbrier aus Strathclyde mit demselben Namen war, der von Siward das Land seiner Vorfahren übertragen bekam.70 In diesem Fall hätte Strathclyde im 11. Jahrhundert abwechselnd Phasen schottischer und englischer Oberhoheit erlebt.

Eines steht jedenfalls fest: Der gälische Druck auf die britische Kultur Strathclydes und auf die cumbrische Sprache wurde noch durch gleichzeitigen Druck aus England verstärkt. Die ständige Gälisierung seit der Zerstörung von Alt Clud durch die Wikinger in den Jahren 870/71 konkurrierte nun mit einer Anglisierung. Die sprachlichen Veränderungen sind schlecht dokumentiert, aber sie vollzogen sich wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten und Milieus unterschiedlich schnell. Von Rhun map Arthgal (der eine gälische Ehefrau hatte) an waren die Unterkönige von Strathclyde wohl zweisprachig gewesen, wobei das Gälische das Brythonische immer mehr zurückdrängte. Dank der englischen Invasion von 1054 hatten sie nach der Mitte des Jahrhunderts wahrscheinlich immer stärker auf das Lallans zurückgegriffen, genau wie der Hof von Macbeth. Die brythonischen Untertanen der Kleinkönige hatten diesen sprachlichen Wandel sicher nicht so schnell übernommen. Als Erste hatten sich wahrscheinlich die Bewohner der nördlichen Distrikte in der Nachbarschaft zu Argyll angepasst, wo der Einfluss des Gälischen am stärksten war, oder die Einwohner der wenigen winzigen städtischen und kirchlichen Zentren wie Glasgow. Da die Zuweisungen von Kirchenpfründen durch die herrschenden Kreise beeinflusst und die Bildung von der Kirche kontrolliert wurde, folgte die kleine gebildete Schicht vermutlich den Moden bei Hofe. Die Bauern und Hirten auf dem Land waren da schwerer zu erreichen. Es könnten Jahrhunderte vergangen sein, bevor die alten Dialekte wirklich verschwanden.

Auch im 12. Jahrhundert führte das Schwinden des Brythonischen bei den Bewohnern von Strathclyde nicht zur Aufgabe ihrer Identität. Strathclyde erinnerte sich noch lange an seine Wurzeln, und das Volk unterschied sich noch lange durch besondere Bräuche, besondere Gesetze und zweifellos auch durch einen besonderen Akzent von seinen Nachbarn. Es ist zum Beispiel kaum daran zu zweifeln, dass die brythonische Identität noch bis in die Zeit der schottischen Highland-Clans überdauerte. Verschiedene Clan-Namen sind eindeutig brythonischen Ursprungs, und einige Clan-Genealogien rühmen sich brythonischer Vorfahren. Das deutlichste Beispiel ist der Clan Galbraith, dessen gälischer Name »britischer Fremder« bedeutet und dessen Stammburg auf der Insel Inchgalbraith im Loch Lomond stand. Die Galbraiths führen ihren Stammbaum auf Gilchrist Breatnach, »Gilchrist den Briten«, zurück, der im späten 12. Jahrhundert eine Tochter des Earl of Lennox heiratete. Ihr Emblem, ein Keilerkopf, gleicht dem der früheren Könige von Strathclyde. Die Colquhouns aus Luss, die Kincaids, die MacArthurs und der Clan Lennox haben ähnliche Beziehungen zu diesem Territorium, in dem einst Gälen wie Briten zu Hause waren.71

Im Jahr 1113 erhielt David, der Sohn von Malcolm Canmore und der hl. Margaret (1045–1093), der enge Kontakte zu den Engländern pflegte, den Titel eines »Fürsten der Cumbrier«. Dieser Ehrentitel mag wenig mehr als eine Aufmerksamkeit vonseiten des Königs gewesen sein (wie der des Fürsten von Wales am mittelalterlichen englischen Hof), aber man kann ihn auch als Hinweis darauf sehen, dass Strathclyde noch immer eine getrennte Verwaltungseinheit war und dass die Könige von Schottland die Besonderheiten der Region anerkannten. In seinen Jahren als cumbrischer Fürst errichtete David sein Jagdschloss in Cadzow (heute Hamilton), und die Glasgower Bischöfe des Mittelalters nannte ihre Diözese gewöhnlich »Cumbria«.72 Zwanzig Jahre später brachte David, nachdem er den schottischen Thron bestiegen hatte, normannische Barone und damit, sicher ganz im Sinne seiner verstorbenen Mutter, eine weitere politische und sprachliche Kulturschicht nach Strathclyde. Seit dem Fall von Alt Clud im Jahr 870/871 hatten Govan und seine aus Steinen errichtete alte Kirche als Strathclydes Kultur- und Regierungszentrum gedient. Der Ort war Sitz der königlichen Residenz und Stätte einer Großproduktion keltischer Kreuze gewesen. Jetzt aber musste er hinter Glasgow zurücktreten, wo David I. den Kult des hl. Mungo förderte.

Man könnte durchaus vermuten, dass die nicht weit von Glasgow entfernt liegenden Inseln des Firth of Clyde die hartnäckigsten Hochburgen der brythonischen Kultur waren. Doch ganz offenbar hatte sich das Gälische dort bereits durchgesetzt, und irische Dichter der Zeit sprachen vom Firth als einem Teil ihrer eigenen Welt. Im berühmten Acallam na Senórach, der »Unterhaltung der Alten«, schildert ein gälischer Dichter des 12. Jahrhunderts ein fiktives Treffen zwischen dem hl. Patrick, dem Briten, der Irland bekehrt hatte, und Caílte, einem Schüler von »Fingal«, dem berühmtesten der sagenhaften Helden Irlands. Das Treffen ist völlig unhistorisch; der hl. Patrick gehört in das nachrömische Britannien, während Fingal zu verschiedenen Zeiten bis hinein in die Wikingerzeit immer wieder auftauchte. Die späteste Legende berichtet, dass er Glencoe gegen einen Trupp Nordmänner verteidigte, der in den Loch Leven hineingesegelt war, was ihn zu einem Zeitgenossen des Wikingerangriffs auf Alt Clud machen würde. Jedenfalls geht das Gedicht davon aus, dass die beiden Männer ihre Ansichten über alles Mögliche austauschen. In einem Abschnitt fragt Patrick Caílte, ob die Jagdgründe an der irischen oder der schottischen Küste besser seien. In der Antwort wird eine Insel in Sichtweite des White Tower Crag genannt:

Arran blessed with stags, encircled by the sea,

Island that fed hosts, where black spears turn crimson.

Carefree deer on its peaks, branches of tender berries,

Streams of icy water, dark oaks decked with mast,

Greyhounds here and beagles, blackberries, fruit of sloe,

Trees thick with blackthorns, deer spread about the oaks,

Rocks with purple lichen, meadows rich with grass,

A fine fortress of crags, the leaping of fawns and trout,

Gende meadows and plump swine, gardens pleasant beyond belief,

Nuts on the bough of hazel, and longships sailing by.

Lovely in fair weather, trout beneath its banks,

Gulls scream from the cliffs, Arran ever lovely.73

Arran, gesegnet mit Hirschen, vom Meer umkreist,

Insel, die Rudel nährte, wo schwarze Speere blutrot werden.

Sorgloses Wild auf ihren Spitzen, Zweige mit reifen Beeren,

Bäche mit eiskaltem Wasser, dunkle Eichen voller Mast,

Windhunde hier und Beagle, Brombeeren, die Frucht des Heckendorns,

Bäume voller Schlehen, Wild, das sich unter den Eichen verteilt,

Felsen mit purpurroten Flechten, Wiesen mit üppigem Gras,

Eine schöne Klippenfestung, das Springen der Kitze und Forellen,

Sanfte Weiden und fette Schweine, Gärten, unvorstellbar schön,

Nüsse am Haselstrauch und Langboote, die vorbeisegeln.

Lieblich bei schönem Wetter, mit Forellen, die unter den überhängenden Ufern stehen,

Möwen, die von den Felsen schreien, Arran, immer wunderschön.

Als dieser Zauber beschworen wurde, verschwanden Alauna, Aloo, Alt Clud und das cumbrische »Königreich Strathclyde« gerade in den Tiefen der Geschichte.

Dumbarton Rock selbst gerät außer Sicht. Dun Breteann, die »Festung der Briten«, findet sich zwischen 944 und dem Spätmittelalter nicht in der Geschichtsschreibung. Archäologische Befunde lassen vermuten, dass sie nie völlig aufgegeben wurde, aber bestenfalls ein rückständiges Bauerndorf war. Das aktive Leben von Strathclyde fand jetzt anderswo statt. Andere Häfen dienten dem Verkehr auf dem Fluss.

Schiffe segelten vorbei, ohne anzulegen. Ein Stück flussaufwärts florierte die Stadt Glasgow; und auf der anderen Flussseite diente die Baronie von Renfrew einer großen normannischen Familie, den fitzAlan-Stewarts, als Sprungbrett in eine königliche Zukunft.74

Einigen Schätzungen zufolge zog sich die Endphase der cumbrischen Sprache bis ins 13. Jahrhundert hinein, also bis in die Zeit von William Wallace, Robert Bruce und Schottlands Kampf um die Unabhängigkeit. Dank seiner Heldentaten in den Kriegen gegen England stieg Wallace zum schottischen Nationalhelden auf. Doch seine Herkunft liegt völlig im Dunkeln, und Historiker zweifeln schon lange an den Angaben zu seiner Geburt und Abstammung. Man räumt bereitwillig ein, dass Wallaces Ruf »sagenumwoben«75 und »sein frühes Leben ein Rätsel« sei.76 Dennoch hält eine Gruppe von Fachleuten an seinem Geburtsjahr 1272 und dem Geburtsort im Dorf Elderslie nahe Paisley fest, wo heute ein beeindruckendes Denkmal steht.77 Eine andere Gruppe gibt Riccarton Castle in Ayrshire den Vorzug.78 Eines der wenigen harten Fakten dieser Geschichte ist, dass der Nachname Wallace – Uallas auf Gälisch – »Waliser« oder »Brite« bedeutet. Wie die englische Bezeichnung für Wales ist auch dies eine Variante der gängigen germanischen Bezeichnung für »Fremder« und wurde von englischsprachigen Bewohnern des Grenzlandes zwischen England und Wales wie auch in den cumbrischen Bezirken weiter nördlich so verwendet. In der Folge gab es im Mittelalter viele Menschen namens Wallace, nicht nur in englischen Countys wie Shropshire, sondern auch in Teilen Südschottlands. Früher erklärte man den Nachnamen des Helden mit der genialen Vermutung, dass seine Vorfahren im Gefolge der fitzAlans aus Shropshire eingewandert seien. Doch diese Annahme entbehrt jeder Grundlage. Es war der Doyen der schottischen Namensforschung, George Fraser Black, der als Erster die Idee in Umlauf brachte, dass William Wallace väterlicherseits Briten aus Strathclyde im Stammbaum gehabt haben könnte.79

Der geografische Kontext spielt dabei eine große Rolle. Der für Wallace überlieferte Geburtsort Elderslie, heute ganz in der Nähe der südlichen Startbahn des Flughafens Glasgow, liegt buchstäblich in Sichtweite von Dumbarton Rock und lag vor der Ankunft der fitzAlans in den 1130er-Jahren mitten im früheren britischen Kernland. Zudem befinden sich alle Stätten, die mit den frühen Jahren des Helden verbunden sind, sei es Elderslie, Riccarton oder Lanark (wo er 1297 den englischen Sheriff tötete), in derselben einst brythonischen Gegend. Da das Gälische dort das Cumbrische weitgehend ersetzt hatte, verleiht diese Verortung dem Bericht Glaubwürdigkeit, demzufolge Wallace unter seinen gälisch sprechenden Gefährten als Uilleam Breatnach oder »William der Brite« bekannt war. Das beweist noch nicht, dass Wallace selbst Kumbrisch sprach. Aber es verweist auf die vage Möglichkeit, dass »Braveheart« eine ähnliche Verbindung zum Schottentum gehabt haben könnte wie der hl. Patrick zum Irentum.80

Ähnliche Fragen umgeben auch die Ursprünge des mächtigsten Highland-Clans überhaupt, der Campbells. Ihre ältesten bekannten Besitzungen konzentrierten sich im Distrikt Cowal, direkt gegenüber der Insel Bute; und ihr späteres Kernland rund um Loch Awe und den oberen Loch Fyne liegt in fußläufiger Entfernung zum Loch Lomond. Ihr gälischer Name MacCailinmor leitet sich von einem berühmten Krieger des 13. Jahrhunderts ab, von »Colin Campbell dem Großen«, doch der Clan MacArthur Campbell von Strachur kann eine parallele Abstammung vorweisen, und dessen Beiname Campbell kommt vom gälischen caim beil oder »verzerrter Mund« und wird gewöhnlich übersetzt mit »eine Person, deren Rede nicht zu verstehen ist«. Sie waren mit anderen Worten keine gälisch sprechenden Schotten. »Der Clan Campbell«, so liest man in einer neueren historischen Arbeit über die Clans, »stammte wahrscheinlich von den altwalisischen Verwandten im alten Königreich Strathclyde ab.«81

Man könnte also annehmen, dass irgendwo im Schatten von Dumbarton Rock die alten Sitten und Gebräuche fortbestanden. Vielleicht plauderten die alten Leute in ein paar bescheidenen Tavernen und Fischerhütten noch in der alten cumbrisch-brythonischen Sprache, sangen die alten Lieder und erzählten die alten Geschichten über Ceredig und Patrick, über Mungo und den Lachs, über die großen Schlachten bei Catraeth, Nechtansmere und am Siebenschläfertag.

Sie fragten sich sicher, was aus ihren Verwandten geworden war, die ins Exil gesegelt und nie zurückgekommen waren. Und sie brachten ihren Kindern bei, an den Fingern abzuzählen: yinty, tinty, tetheri, metheri, bamf

Verschwundene Reiche

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