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Fragulinchen’s Geburtstag

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Hundert Jahre hatte Fragulinchen auf diesen Tag gewartet - zumindest hundert Jahre müssen es gewesen sein und dann ging dieser besondere Tag so schnell vorbei. Nach all den Geschenken, bunten Luftballons und Süßigkeiten kam noch etwas ganz besonderes auf sie zu. Seit Wochen hatte sie nachgedacht, was sie denn an ihrem Geburtstag fragen sollte worüber sie gern eine Geschichte hören würde. Und weil heute ein so außergewöhnlicher Tag war, schlüpfte Fragulinchen schnell ins Bettchen und wartete. Dann sprang sie nochmals aus dem Bett, lief zu ihrer Schatztruhe und holte einen kleinen Zettel hervor, den sie schnell unter ihrem Kopfkissen versteckte. Kaum lag Fragulinchen unter ihrer Decke, ging die Türe ihres Zimmers auf und Fragulinchens Eltern kamen herein, um ihr gemeinsam eine Geschichte zu erzählen. „Nun Fragulinchen, bestimmt hast du heute wieder 100 Fragen!"

„Nein Mama, heute habe ich nur eine Frage - nur glaube ich, dass es eine sehr dumme Frage ist und ich traue mich gar nicht sie auszusprechen!"

Papa Klug dachte für einen Moment nach, was er alles über dumme Fragen wusste und das war nicht eben viel, eigentlich kannte er überhaupt keine dumme Frage. Papa schaute sehr verlegen - dachte Fragulinchen - wahrscheinlich hatte er die Antwort verlegt - und dabei kicherte es unter die Decke. Vielleicht konnte Papa Klug nicht zugeben, etwas nicht zu wissen, vielleicht konnten alle Papis der Welt nicht zugeben, etwas nicht zu wissen.

Inzwischen war Mama Klug neugierig geworden und so bat sie Fragulinchen um die Frage. Fragulinchen sagte kein Wort, sondern krabbelte mit ihren kleinen Fingerchen unter den Polster, holte den kleinen Zettel hervor und reichte ihn Mama Klug. Diese las die mühsam hingemalten Buchstaben, hob eine Augenbraue und fühlte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Dann reichte sie Papa den Zettel, der noch komischer guckte.

Mit einem Mal wusste Fragulinchen, dass Mama und Papa heute etwas mehr Zeit brauchen würden, um die Frage durch eine Geschichte zu beantworten.

„Es war einmal", begann Mama, „ein ganz kleines Mädchen. Es hieß Michaela und lebte bei seiner Mutter. Seinen Papi hat das Mädchen niemals kennengelernt. Mami erzählte auch nichts von Papi, der in einem weit entfernten fremden Land lebt und gar keine Zeit für Michaela hatte. Für das Mädchen war das nicht schlimm, denn es hatte ja seine Mami, die ihm alle Fragen beantwortete, mit ihm spielte und für es da war."

„Eines Tages", fuhr Papi fort, „machte die kleine Michaela mit ihrer Mutter einen Besuch bei einer Tante. Michaela fand das zwar nicht so interessant, wie mit Mami allein zu sein, aber einmal in der Zeit einen Ausflug zu machen, war auch eine prima Idee und so reiste sie mit Mami zur Tante. Die Mami unterhielt sich mit der Tante lange, sodass es Abend wurde. Michaelas Mami reiste gar nicht gern wenn es draußen finster war und so beschlossen sie, einfach bei der Tante zu schlafen und erst am nächsten Tag nach Hause zu fahren." Als Papa Klug dies erzählte, sah er Mama Klug sonderbar an und dann erzählte Mama Klug mit zitternder Stimme weiter:

„Am nächsten Morgen erwachte Michaela und wollte Mama einen Guten-Morgenkuss geben. Sie lief durch das Haus um ihre Mama zu suchen, konnte sie aber in keinem Zimmer finden. Bestimmt, so dachte Michaela, würde sie draußen im Garten sein oder gerade den Reiseproviant einkaufen - aber so viel sie auch suchte und wartete, Mama war verschwunden."

Mama Klug konnte kaum weiter erzählen und es liefen ihr sogar einige Tränen über das Gesicht. Papi nahm sie bei der Hand, streichelte sie und erzählte weiter. „Die Tante erzählte Michaela, dass Mama abreisen musste und Michaela für eine Weile bei ihr bleiben würde. Ihre Mama hatte so wenig Geld, dass sie jetzt auf einem Fahrrad durch die Lande reisen würde, um Stoffe zu verkaufen. Michaela war darüber sehr traurig. Sie war aber auch ein bisschen zornig - nein eigentlich sehr zornig, weil Mama sich von ihr wenigstens verabschieden hätte können. Alle Fragen Michaelas blieben unbeantwortet, sie verstand die Welt nicht mehr!

Die Tante, bei der Michaela wohnte, war schrecklich alt, musste schon lange nicht mehr arbeiten gehen und auch ihr Mann konnte so gar nicht mit der kleinen Michaela spielen." Inzwischen hatte sich Mama Klug die Tränen aus ihrem Gesicht gewischt und mit einer etwas unfreundlicheren Stimme als sonst, setzte sie die Geschichte fort: „Nach einer furchtbar langen Zeit - Michaela war mindestens um einen oder zwei Zentimeter gewachsen – klingelte es plötzlich an der Türe und als Michaela öffnete, stand ihre Mama draußen. Michaela fühlte sich aber so zornig, dass sie so tat, als würde sie ihre Mutter nicht wieder erkennen."

Fragulinchen fühlte sich bei dieser Geschichte überhaupt nicht wohl und so fiel sie Mama ins Wort: „Solch eine dumme Geschichte gibt es doch gar nicht!" „Oh doch Fragulinchen, diese Geschichte ist wirklich passiert und ich will sie dir jetzt zu Ende erzählen."

„Ich will diese Geschichte nicht hören, denn sie macht mich traurig und zornig" und dabei stampfte sie mit dem Fuß drei Mal fest auf das Bettchen. „Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht!"

Papi Klug schaute Fragulinchen an und begann mit ruhiger Stimme zu sprechen: „Aus der kleinen Michaela ist später deine Mama Klug geworden, aber sie hat noch viele Jahre bei der Tante verbracht, ehe sie zurück zu deiner Oma durfte." Fragulinchen war entsetzt. Ihre Oma soll so böse gewesen sein und Mama das angetan haben? „Wieso war Oma so garstig zu dir Mama, ich kann mir das gar nicht vorstellen!" Mama Klug hatte wieder ihr gütiges Gesicht aufgesetzt und sagte zu Fragulinchen: „Weißt du, du darfst die Dinge im Leben nicht nur in dem Moment beurteilen, wo sie passieren, sondern du musst auch später versuchen, die Probleme aus der Sicht des anderen zu sehen.

Oma Klug war überhaupt nicht glücklich über das, was damals geschah, aber sie wollte zugleich Papa und Mama sein und das war eben zu viel für sie. So wurde sie in ihrem Herzen einsam, verbittert und hat sich damals nicht anders zu helfen gewusst. Vielleicht wollte sie mich auch nicht weggeben, aber die Tante hat ihr solange zugeredet, bis sie schließlich einverstanden war. Ich bin sicher, sie hätte ihr Leben auch gern anders gelebt und hätte ihrem Kind mehr geboten."

„Aber darauf kommt es doch gar nicht an, dass die Eltern ihren Kindern mehr bieten, es genügt doch einfach wenn sie ein wenig für ihre Kinder da sind!" rief Fragulinchen aus. „Mein kluges Fragulinchen, genau das hätte die Oma damals wissen sollen, aber sie wusste es nicht und hat auch nicht danach gefragt, sie hat nur gedacht etwas zu wissen", sagte Papa Klug. Fragulinchens Augen begannen wieder zu glänzen, als es sagte: „Ich glaube ich weiß jetzt die Antwort auf meine Frage: Wenn Mami und Papi einmal gestorben sind, dann wird mir mein Leben meine Fragen beantworten, mir Geschichten erzählen und mich lieb haben, aber nur wenn ich auch frage und das Leben lieb habe."

Nun war es auch für Mama und Papa Klug ein besonderer Tag geworden, denn das was sie erst als Erwachsene verstanden hatten, wusste ihr kleines Fragulinchen jetzt schon. Fragulinchen hatte sich die Frage auf dem Zettel selbst beantwortet und so wussten die beiden, dass wenn sie eines Tages in ein ganz fernes Land reisen würden, ihr Fragulinchen den Weg durchs Leben liebevoll gestalten würde. Fragulinchen war inzwischen eingeschlafen.

Papa Klug nahm Mama an der Hand. Sie verließen das Kinderzimmer und weinten im Wohnzimmer weiter, aber aus Freude, denn heute hatte Fragulinchen auch eine ihrer Fragen beantwortet und auf so einen Moment wartete Mama Michaela schon seit dem Ausflug zur Tante - und das musste mindestens schon 100 Jahre her sein.

Fragulinchen

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