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Die Einführung

Nach dem Tod meiner Tante erbte ich ihre wenige Habe. Zwar hatte sie testamentarisch verfügt, mich nach ihrem Ableben in ein betreutes Wohnen zu geben, um mich von dieser ‘unlauteren Person‘, wie sie Susanne zuletzt nannte, fern zu halten. Doch da ich inzwischen volljährig war und man mir eine ‘beschränkte Geschäftsfähigkeit‘ bescheinigte, konnte ich diese Entscheidung erfolgreich anfechten. Also behielt ich meine Kammer und holte Susanne zu mir. Über einen Anwalt wurde sie zu meinem Betreuer bestimmt, da ich, wie es in dem amtlichen Schreiben hieß, ’nur bedingt geschäftsfähig sei und die Gefahr krankheitsbedingter, nicht zu überblickender Entscheidungen nicht ausgeschlossen werden könne.’

Ich hatte damals vom Arbeitsamt eine Stelle als Paketzusteller zugewiesen bekommen, eine Knochenarbeit, während Susanne allein mit meiner Betreuung beschäftigt war. Das verdiente Geld gab ich zu Hause ab. So lief auch alles recht gut, und eigentlich gab es nichts zu beanstanden, zumal sie mich mit aller nur erdenklichen Großzügigkeit bedachte. So brauchte ich niemals meinen Teller abzuspülen und durfte sogar unbegrenzt fernsehen. Auch der für mich immer so qualvolle Waschgang entfiel, bei dem ich bereits vier Tage im Voraus die Wäsche in einen großen Kessel einweichen musste, um sie danach auf einer quer durch den Flur gespannten Leine aufzuhängen (eine Waschmaschine konnten wir uns nicht leisten). Vielmehr lüftete sie nur noch aus. Sie hielt das für effektiver und schone zudem die Haushaltskasse. Nur das Nötigste, wie die Unterwäsche, wurde in kürzeren Intervallen gewaschen, wegen der Hygiene und so. Auch war es mit der allgemeinen Stille bald vorbei, worauf die Tante stets Wert legte. Nicht selten drehte sie das Radio bis zum Anschlag auf, ungeachtet des Gezeters der Nachbarn. Dann steppte sie vor Vergnügen, schwang ihre Hüften und reckte grazil die Arme in die Höhe, während ich dazu begeistert klatschte. Niemals sagte sie ein böses Wort, auch nicht, wenn es mal nötig gewesen wäre. Oder gibt es ein größeres Zeichen von Toleranz, als einen Kuss für eine Torheit oder einen Klaps für ein Versäumnis? Mochte man mich auch dumm nennen und mit Spott überziehen - Susanne verteidigte mich nach Kräften.

Gern erinnere ich mich der Sache mit der dicken Fleischerfrau von unten, die mich mal wegen eines Gerüchtes attackierte. Freilich hätte ich widersprechen müssen, zumal das Ganze völlig haltlos war. Doch aus irgendeinem Grunde tat ich es nicht und ertrug geduldig ihre Vorwürfe, wobei sie mich wiederholt einen Vollidioten nannte. Da hätte man Susanne erleben sollen. Unten im Flur war’s, und das ganze Haus hörte mit. Das hatte ich ihr gar nicht zugetraut, und ich schwöre, wäre die andere nicht auf der Stelle still gewesen, sie hätte ihr die Augen ausgekratzt.

Kein Wunder, dass sich meiner ein zunehmendes Glücks- oder besser Kraftgefühl bemächtigte mitsamt einer Begeisterung zu allem, was sie sagte und tat. Hinzu kam das Bewusstsein, ihr auch noch in anderer Hinsicht etwas zu bedeuten. Warum sonst ihre auffallende Garderobe? Dafür benötigte sie natürlich viele Dinge, die trotz unserer knappen Haushaltskasse immer reichlich vorhanden war. Voller Begeisterung zeigte sie mir den neuesten Nagellack und erläuterte mir die Vorzüge und Nachteile verschiedenster Kollektionen, obgleich ich davon nichts verstand. Aber das schien ihr nicht wichtig.

In der Tat war ihr Geschmack in vielen Dingen recht ausgefallen. So war es ein Fest, sie in knallengen Jeans vor dem Spiegel posieren zu sehen, dabei die große Dame mimend, die sie irgendwann einmal sein wollte. Zwar hielt sie manchmal inne und sah mich, wie mir schien, recht zweifelnd an; doch spätestens, wenn sie meine naive Verwunderung bemerkte, kehrte ihr spöttisches Lächeln zurück, das doch sehr verletzen konnte. Nicht, dass sie es absichtlich tat, Gott bewahre, denn kaum hatte sie meinen Kummer bemerkt, nahm sie mein Gesicht in die Hände und schmiegte es an ihre Brust, während ich mich nicht zu rühren wagte, aus Angst diesen wundervollen Anflug vorschnell zu zerstören. Wollte ich dennoch mal aufschauen, drückte sie mich nur noch fester an sich, um ihre Tränen zu verbergen, die ich längst bemerkt hatte. Jene Momente, in denen wir so eng umschlungen schweigend beieinander verharrten und ich mich beschützt und glücklich wähnte; in denen unser Verstehen keiner Worte bedurfte und mein gequältes Wesen allmählich zur Ruhe kam, waren für mich die glücklichsten. Viel zu früh holte sie mich in die Wirklichkeit zurück, wenn sie beklagte, dass sich in letzter Zeit vieles verändert habe. Das Leben sei schwerer geworden, um im selben Atemzug das Beispiel von Leuten anzuführen, die ihre Sorgen einfach ignorierten. Deshalb seien Hopfen und Malz aber noch nicht verloren, manchmal geschähen noch Wunder. Dazu lachte sie, doch jetzt anders, geradezu hysterisch, als wolle sie sich selbst verspotten. „Du glaubst mir nicht? Besser kann ich es dir nicht erklären. Mir genügt kein Mittelmaß, ich lebe jetzt und hier und möchte auf nichts verzichten.“

Ich war über diesen Vorwurf erschrocken. Sie bemerkte meine Verwirrung und wurde gleich wieder sanft. „Ach, du Dummchen. Wann begreifst du endlich, dass vieles von dem, was ich sage, nur an meinen überreizten Nerven liegt. Mal denke ich so, dann wieder so, aber so bin ich halt.“ Und dann brach sie in Tränen aus und bekannte; ich hätte ja recht, tausendmal und sei das Beste, was ihr begegnet wäre; eigentlich hätte sie mich gar nicht verdient; nur müsse ich Geduld haben - alles wäre noch so neu, so fremd, aber gemeinsam würden wir es schaffen. (Damit meinte sie ihren Traum, 100.000 DM und ein Häuschen im Grünen). Dann raufte sie mir das Haar und bat mich, wieder lieb zu sein.

Doch diese Reue war nur von kurzer Dauer. Spätestens nachdem unser letztes Geld verbraucht war, begann alles von neuem. Voller Unruhe lief sie hin und her, redete vor sich hin und starrte mich vorwurfsvoll an. Man sah, wie sie nach Lösungen suchte. Doch was ihr auch einkam erwies sich als unbrauchbar. Und als der Pfänder Vollbrecht bei uns auftauchte, ein vierschrötiger, feister Kerl, mit Bierbauch und Glatze, muss sie völlig den Verstand verloren haben. Die Sache war die, dass schon am nächsten Tag die Kommode wieder dastand, die er tags zuvor erst mitgenommen hatte. Wie das von statten ging, blieb mir ein Rätsel, doch die Art, wie sie sich danach gab, diese scheuen, ausweichenden Blicke, dieses aufgesetzte, verstörte Lächeln, ließen mich Schlimmes ahnen.

Längst hatte ich bemerkt, dass sie mir etwas verheimlichte. Wiederholt, meistens dienstags, hatte ich in ihrem Zimmer einen absonderlichen Geruch vernommen - einen Geruch von abgestandenem Rauch. Aus irgendeinem Grunde hatte ich niemals nachgefragt, redete mir ein, mich zu irren und glaubte am Ende sogar daran. Doch jetzt wurde es offenbar. Als dieser Gedanke in meiner Vorstellung Gestalt annahm, bekam ich keine Luft mehr. Da packte ich sie, riss sie herum. Sie aber verstand sofort und lächelte nur still, bereit, selbst das Schlimmste zu ertragen, wenn ich ihr nur verzieh. Da sank meine Hand herab, und ich schämte mich meiner Unbesonnenheit, die ohnehin nichts mehr hätte ändern können. Oh, ich schwöre; nur einmal, ein einziges Mal war ich schwach geworden. Danach hatte ich mich in der Gewalt.

Eines Abends kamen Leute zu uns, die ich nie zuvor gesehen und von denen Susanne auch noch nie gesprochen hatte. Und doch mussten sie dem Benehmen nach bestens miteinander bekannt sein. Das war auch meine erste Begegnung mit Kurtchen, den sie mir als alten Jugendfreund vorstellte. Er wäre nicht nur ein großartiger Mensch, sondern vor allem erfolgreicher Unternehmer, erklärte sie, wozu er eine gewichtige Miene schnitt, dann aber höchstlich lachte. Mir waren sofort sein goldenes Kettchen und die vielen Ringe aufgefallen. Auch stand es mit seinen Manieren nicht zum Besten, denn die Art, wie er dasaß, oder besser flegelte, ließ einiges vermissen.

Er mochte um die fünfzig sein, war groß und stattlich, hatte ein breites, gelbliches Gesicht und eine fleischige Nase, die ihm etwas Grobes, beinahe Vertrotteltes gab. Den Gipfel der Absurdität bildete jedoch seine Frisur, die im Wesentlichen nur aus einem tiefsitzenden Scheitel bestand, von wo aus sich lange, pomadisierte Strähnen quer über seine Glatze legten und dadurch den Kopf sonderbar abplatteten. Hinzu kam seine unmögliche, auf jugendlich getrimmte Garderobe, bestehend aus einer ‚Hodenmumps‘ genannten Jogginghose mit Gummizug und darüber lappenden dunklen, viel zu engen Hemden mit Glitzerbesatz. Alles in allem machte er einen komischen, wenn nicht gar lächerlichen Eindruck, obgleich seine aufgeblasene Gestalt auch irgendwo bedrohlich wirkte.

Er war in Begleitung dreier Frauen, die alle sehr geschminkt waren und nach süßlichem Parfüm rochen. Zudem rauchten sie und gaben sich recht ungezwungen. Während mich eine Blondine mit durchaus sympathischem, wenn auch etwas schläfrigen Gesicht fortwährend anstarrte, nahmen die beiden anderen, eine Dunkle und eine Brünette, von mir keine Notiz. Stattdessen ereiferten sie sich über etwas, was Kurtchen mit derben Zoten kommentierte. Komisch, dass die sich für so was hergeben, dachte ich, ohne zu wissen, warum. Natürlich schwieg ich, aber nicht aus Mangel an Gesprächslust, sondern weil es mir Susanne verboten hatte. Es wäre nicht schicklich, sich in fremde Gespräche zu mischen, außerdem könne man sich als Kavalier am besten schweigend empfehlen.

So saßen sie bis spät abends beisammen und schwatzten, während ich mich in der Rolle eines Zuhörers begnügte. Worum es dabei ging, weiß ich zwar nicht, aber es war irgendwie lustig. Es begann immer damit, dass eine etwas sagte und die anderen das Gegenteil behaupteten - schon aus Prinzip, wie mir schien. Am Ende schaltete sich Kurtchen schlichtend ein, was den Streit nur noch mehr entfachte. Einmal jedoch - ich erinnere mich noch genau, weil es so unerwartet geschah - fragte er mich plötzlich nach meiner Meinung. Ich war so frappiert, dass ich nur ratlos die Schultern hob, worauf alles lachte. Komisch war das, zu komisch, auch wenn ich es gar nicht so komisch fand. Er wurde auch getrunken und gekokst, ich trank nichts und ich kokste auch nicht. Nur Kurtchens fortwährende Schweinigeleien störten mich.

Zu fortgeschrittener Stunde schickte mich Susanne in meine Kammer. Ihr Klaps auf meinen Po löste eine weitere Lachsalve aus. Kurz darauf rief sie mich wieder heraus, und ich wurde von den Gästen erneut betrachtet, jetzt jedoch anders. Die Blondine nahm meine Hand, zog mich ungeniert zu sich herab. Dann sollte ich mich drehen, das Kinn heben und vornüber beugen. Mir war das sehr peinlich, da ich genau fühlte, wohin man schaute, blieb aber folgsam. Meinte ich doch zu ahnen, dass das von Bedeutung wäre und darum bemüht sein müsse, so unbefangen wie möglich zu bleiben.

Nach einer Weile hörte ich ein leises Kichern und jemanden flüstern: „Nicht möglich, so was gibt es doch gar nicht.“ Es war die Brünette mit dem Rouge auf den Wangen. Sie hauchte den Qualm ihrer Zigarette gekünstelt in die Luft und kicherte aus unerfindlichen Gründen. Dann schien ihr etwas einzufallen und sie tuschelte, worauf mich die anderen recht ungläubig betrachteten. Susanne erwiderte zwar nichts, aber ihr Gesicht verriet großes Unbehagen. Kurtchen fand das eine ‚fabelhafte Idee‘, um danach verdutzt zu mir aufzuschauen. Schnell zwinkerte er der Blonden zu, die mich daraufhin wie auf Kommando anlächelte.

Noch am selben Abend trat sie in meine Kammer und setzte sich auf mein Bett. Ich erschrak, obgleich ihr Profil im schrägen Schein des hereinbrechenden Flurlichtes durchaus madonnenhaft erschien. Sie meinte, es ginge schon in Ordnung, Susanne wisse Bescheid, und ich solle wie sonst sein. Ich verstand zwar nicht, aber was sie danach tat, war eindeutig. Sie hieß Joceline und sagte, sie habe Erfahrung; ich müsse keine Angst haben, nicht verkrampfen, und wenn es nicht ginge, solle ich die Augen schließen und an etwas Schönes denken, an weiße Pferde zum Beispiel, die mit gereckten Hälsen und wehender Mähne über eine grüne Weide jagen. Das habe bei ihr immer funktioniert.

Als ihre Hand unter meine Decke glitt, glaubte ich zu verbrennen. Was tat sie da? Ihr nackter Körper schmiegte sich an mich, dabei durchdringende Ausdünstungen verbreitend. Ihre geschwellten Lippen näherten sich mir in glutendem Verlangen, ihr ganzer Leib bebte. Aber das war Routine, wie alles, was danach geschah, die zärtlichen Liebkosungen, ihr Zungenspiel.

Schon küsste sie mich, während ich vor Schreck erstarrte. Doch ich fügte mich. Ich kann nicht sagen, was mich dabei bewog, denn obgleich ich nicht wirklich wollte, war meine Furcht zu versagen größer als meine Scham. Konnte ich mich doch des unbestimmten Empfinden nicht erwehren, dass Susanne mit mir renommiert hatte und nun so etwas wie eine Probe folgte. Und plötzlich – ich wunderte mich über mich selbst – dachte ich mit absonderlicher Genugtuung an den kalten Rauch und das Parfüm in ihrem Zimmer und wusste, dass ich damit nur Gleiches mit Gleichem vergalt. Folglich fand ich meine Skrupel absurd und musste unversehens lachen. Jocelin sah mich verwundert an, drückte mir dann aber erneut einen Kuss auf die Lippen. Also schloss ich die Augen, entspannte mich und zwang mich durch Konzentration in den dafür nötigen Zustand.

Doch wie klopfte mein Herz angesichts dieser ganzen Szenerie. War das wirklich? Als sie sich zu mir herab neigte, stockte mir der Atem. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Aber während mich ihr heißer Atem streifte und ihre Lippen liebkosten, wölbte sich mein Leib unter ihren zärtlichen Berührungen, bereit, ihr in allem zu folgen, wohin sie mich auch führte. Wie war das nur möglich? Konnte ich mein tiefstes Empfinden an diese Frau verschwenden? Scheinbar ja - aber nur scheinbar, denn alles begann sich in mir zu drehen, und obgleich ich mich noch immer sträubte, verweigerte mein Inneres jeglichen Widerstand, machte mich gefügig für etwas, das ich nicht wirklich wollte und dennoch duldete. Einen Moment vermeinte ich zu träumen, doch dieser Traum war erschreckend real. Denn da war diese Wärme, diese Nähe, dieser süße, schier unerträglichen Duft von Moschus, der ihre Gier nach Lust entsprang, indes sie sich in selbstherrlicher Schamlosigkeit darbot. Gott, wie es mich schauerte, als sie mir ihren Steiß entgegenreckte und nach mir verlangte. Ich presste die Lippen zusammen, um nicht zu schreien, umklammerte den Bettgiebel und stemmte mich ihr entgegen. Doch sie lachte nur, nannte mich einen Dummkopf und stieß mich zurück. Dann grätschte sie über mich und hieß mich, still zu halten. Ihre wilde Verdorbenheit war schrecklich. Sie war so ganz anders als Susanne. Da war keine Harmonie, kein Taktgefühl, schon gar keine Wärme. Alles erfolgte mechanisch, ohne irgendeine Emotion oder Sinnlichkeit, allein auf körperliche Entspannung gerichtet. Ich glaubte zu verbrennen, wagte jedoch nicht zu intervenieren, aus Furcht, von Blamage.

So blieb ich völlig konzentriert, den in mir tobenden Kampf mit Macht unterdrückend, allein darauf bedacht, nur ihr zu folgen. Aber gerade das schien ihr zu gefallen, ja zu erregen. Ab und an konnte ich im Halbschatten ihr Gesicht erkennen, das einen benommenen, beinahe berauschten Ausdruck annahm, sich dann wieder sanftmütig verklärte, bis ihr ein leises Stöhnen entfuhr und sich ihre Nägel in meine Brust krallten. Erneut sank sie auf mir nieder, fuhr im selben Moment wieder auf, taumelte wie in Trance, um sodann mit Macht über mich zu kommen. Bald wurde sie grob, als wolle sie etwas erzwingen, dann wieder zärtlich, wie um mich zu umgarnen. Doch je mehr sie kämpfte, je schwächer wurde sie, indes ich im Gleichtakt des knarrenden Bettes ihren abklingenden Rhythmus austarierte. Und mit Verwunderung bemerkte ich, wie schnell es gelang, dieses Treiben mit dem Gedanken an weißen Pferde und das Kopulieren mit der fertilen Stute, die sich über mir in Wonnen wand, nicht nur zu steuern, sondern zu beherrschen.

Wie lange es dauerte, weiß ich nicht. Ich habe mir in der Folge abgewöhnt, die Qualität nach ihrer Dauer zu bemessen. Aber am Ende sank sie erschöpft neben mir nieder und flötete mir etwas Liebes ins Ohr. Dann zog sie sich an und verschwand.

Ich lag wie tot. Noch lange betrachtete ich den kleinen Lichtspalt unter der Tür und lauschte beklommen dem gleichmäßigen Wispern der alten Wanduhr. Erst nach und nach kehrten meine Gedanken zurück und mit ihnen das dumpfe Gefühl einer erlittenen Schmach, einer Demütigung ob etwas Schmutzigem, Unerhörtem, wozu ich mich hergegeben hatte. Diese Vorstellung kränkte mich, auch wenn sie mir irgendwo schmeichelte. Mit Erstaunen fühlte ich mich bestätigt. Das war sehr angenehm, wenn auch nicht unbedingt anständig. Aber das störte mich nicht, war ich doch von meiner Unschuld überzeugt.

Am nächsten Morgen fand ich Susanne völlig verändert, ja geradezu verstört vor. Sie wich mir aus, wirkte scheu und verlegen, wobei sie diesen Eindruck durch übertriebene Lässigkeit zu überspielen suchte. In ihren Bewegungen blieb sie fahrig und aufgekratzt, wie immer, wenn sie mit etwas unzufrieden war. Ich wusste längst, dass sie eine Erklärung erwartete und mein Schweigen sie quälte.

„Was ist? Nun sag was!“, fuhr sie mich an, schlug dann aber die Augen nieder und wurde ganz leise: „Ich weiß, dass ich dir das nicht aufzwingen kann, und wenn du mich jetzt verachtest, muss ich damit leben.“

„Aber warum, ich meine, warum sollte ich dich verachten?“ antwortete ich verwundert. „Ohne dich hätte ich es nie begriffen.“

„Was begriffen, was meinst du?“

„Na das ...“ Ich reckte ihr den Schoß entgegen. „Bisher dachte ich immer, es sei nur so, das hätte mich enttäuscht. Doch dann fiel mir ein, wie du mich gegen die anderen verteidigt hast und mir wurde klar, dass ich dafür etwas tun muss. Da kam sie mir grade recht. Sie hat bestimmt gedacht, es sei echt, ich meine, so richtig mit dem Herzen, um dich zu kränken. Aber das war es nicht, nicht eine Sekunde. Ist das nicht komisch? Und wenn ich mich jetzt schäme, dann nur, weil ich darüber nicht mal traurig bin, was ich doch eigentlich sein sollte, oder?“

Da legte sie die Fäuste an die Schläfen und schrie mich an, endlich den Mund zu halten, das wäre doch nicht normal! Ich aber versicherte ihr sogleich, völlig normal zu sein, und wenn sich jemand schäme müsse, dann wohl ich.

Da brach sie in Tränen aus, umschlang mich und erstickte mich mit Küssen. An diesem Tag ging ich nicht zur Arbeit, und wir verbrachten die ganze Zeit im Bett. Und obgleich sie sich bemühte, wie immer zu sein, konnte sie ihre Nervosität nicht unterdrücken. Wiederholt versicherte sie mir, dass ab morgen alles anders würde - sie wolle ihr Leben von Grund auf ändern, wolle arbeiten und selbst auf teure Make-ups verzichten. Doch als sie versuchte, ihren Nagellack in die Toilette zu werfen, hielt ich sie zurück. Oh, wie zappelte sie in meinen Armen, dass ich alle Mühe hatte, sie zur Vernunft zu bringen. Erst als ich sie an ihren Traum vom Glück erinnerte, den wir gemeinsam erleben wollten, erlahmte sie.

Ich weiß, dass ich manchmal etwas blockiert bin, doch nun wurde mir alles klar. Sie war nur deshalb so, weil ich sie nicht anders ließ. Zweifellos hatten meine Passivität und duldende Genügsamkeit ihre Verwirrung nur befördert. Sie wollte mich nicht wirklich opfern, sondern nur glücklich sehen. So etwas ist ohne tiefere Gefühle nicht möglich. Demnach bedeute ihr Verhalten keine Gleichgültigkeit oder gar Missachtung, sondern war nichts weiter als ein Akt der Ohnmacht und Verzweiflung. Dieser Gedanke beschämte mich. Dabei war ich die ganze Zeit blind gewesen, wollte diese Flecken an ihrem Hals nicht sehen, dazu das geschwollene Gesicht. Dieser Kerl, der dienstags immer kam, war brutal. So einer zahlt dafür, und das nicht schlecht. Und ich Jämmerling wollte die unterdrückten Schreie nicht hören, lauschte statt dessen an der Wand, jede Minute das Ende ersehnend, während sie es tapfer ertrug. Ich stand tief in ihrer Schuld. Spätestens jetzt stand fest, - 100.000 und ein Häuschen im Grünen, das war sie mir wert, koste es, was es wolle.

Der gepuderte Pfau

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