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Kapitel 2

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Ein paar Tage später rief ich den Mann, den ich unterwegs mitgenommen hatte, an. Es war Abend. Ich war gerade dabei, mich vorzustellen, als er mich mit unverhohlener Freude unterbrach:

»Ich habe Ihre Stimme sofort erkannt. Wie geht es Ihnen?«

»Danke, gut! Und Ihnen selbst?«

»Mir geht es auch gut. Nur eine kleine Erkältung. Vielen Dank nochmals für die Mühe, die ich Ihnen bereitet habe! Haben sie den Sitz trocken gekriegt?«

Es war nicht nötig zu erwähnen, dass er sich erkältet hatte. Seine Stimme verriet, dass es eine schwere Grippe sein musste. Das Bild, wie er im Regen stand, wurde plötzlich vor meinen Augen wieder lebendig. Ich bedauerte ihn.

»Der Sitz ist von selbst getrocknet. Sie scheinen schwer erkältet zu sein. Waren sie schon beim Arzt? Nehmen Sie etwas ein?«

Er antwortete gelassen:

»Es ist nicht so schlimm. Ich gehe nie wegen einer Erkältung zum Arzt. Nach ein paar Tagen ist alles wieder vorbei.«

Obwohl ich ein wenig besorgt war, wollte ich diese Besorgnis nicht zeigen. Mehr aus Neugierde sagte ich daher vorsichtig:

»Wenn ich eine Erkältung bekomme, bleibe ich ein paar Tage zu Hause. Meine kleine Schwester kommt zu mir und kocht Suppe für mich. In solchen Fällen hilft es einem enorm, wenn man so jemanden hat!«

Er war cleverer als ich ahnte. Er merkte, dass ich mir Sorge um ihn machte, indirekt aber auch in Erfahrung bringen wollte, ob er solo ist oder zurzeit in einer Beziehung lebt.

»Vielen Dank für Ihre freundliche Aufmerksamkeit! Seit einigen Tagen bin ich nur zu Hause. Da keiner meiner Familienangehörigen in der Nähe wohnt, muss ich mir die Suppe selbst kochen. Zum Glück geht es mir nun wirklich besser. Morgen gehe ich wieder arbeiten! Okay. Wann habe ich denn nun die Ehre, mit Ihnen ins Restaurant zu gehen?«

»Dafür haben wir später sicher noch genügend Zeit. Kurieren Sie erst Ihre Erkältung richtig aus!«

»Wenn Sie Zeit hätten, dieses Wochenende würde mir gut passen! Das Restaurant suchen Sie bitte selbst aus. Irgendwo bei Ihnen in der Nähe …«

Nachdem ich den Telefonhörer aufgelegt hatte, spürte ich, dass ich wirklich um ihn besorgt war. Nicht aus einem bestimmten Grund, das heißt, ohne für ihn ein besonderes Gefühl zu hegen, machte ich mir Gedanken um ihn. Es war schon merkwürdig. Für mich machte es keinen Unterschied, ob er ein Mann oder eine Frau wäre; es war, als ob meine Schwester sich erkältet hätte und niemand da wäre, um sie zu pflegen. Ich selbst lebte seit Langem alleine. Obwohl meine Situation mir meistens gefiel und ich jede Menge Spaß an meinem Solodasein hatte, wünschte ich dennoch keinem, so zu leben. Das Alleinsein ist nur für Gott bestimmt, nicht für Menschen. Irgendetwas fehlt einem ständig in einem Leben dieser Art. Ein Teil eines solchen Menschen ist ganz hohl und leer, und egal wie sehr man sich auch bemüht, diese Leere zu füllen, es gelingt einem nicht. Durch das Alleinleben ändern wir uns allmählich unbewusst. Dies beginnt mit dem Bemängeln jeglicher Dinge, mit Unzufriedenheit und dem langsamen Rückzug, schließlich tückischem Versagen bei der Herstellung und Pflege einer intakten Beziehung zu Familienmitgliedern, Freunden, Kollegen, der Gesellschaft, und am Ende steht die völlige Vereinsamung. Dazu kommen dann seelisches und körperliches Leiden. Diejenigen, die davon betroffen sind, merken diese Veränderung selten, aber diejenigen, die einst davon betroffen waren und es geschafft haben, wieder in einer intakten Beziehung zu leben, wissen genau, was für ein qualvoller Zustand das ist.

Pünktlich stand er vor dem Restaurant. Genauso anständig und normal angezogen wie letztes Mal, zum Glück nicht mehr klatschnass! Im Gegensatz zu seiner Behauptung war die Erkältung noch nicht ganz abgeklungen.

»Oh! Sie sind immer noch total erkältet! Unter diesen Umständen hätten Sie mich heute wirklich nicht zum Essen einzuladen brauchen! Wir hätten das auch verschieben können!«

»Doch, doch! Die Erkältung habe ich schon längst hinter mir. Wenn die Nase nicht mehr läuft, Fieber, Halsschmerzen und Erschöpfung verschwunden sind und man arbeiten gehen kann, heißt es, dass die Erkältung für dieses Mal beendet ist. Wie geht’s Ihnen? Es freut mich, Sie wieder zu sehen!«

»Danke. Mich auch!«

»Wo ist Ihre Schwester? Ist sie noch unterwegs oder sitzt sie schon im Restaurant?«

»Sie konnte leider nicht mitkommen. Bitte gehen wir hinein! Es ist hier draußen so kalt wie im Winter, obwohl wir noch Herbst haben!«

»Schade!«, sagte er, und wir gingen hinein.

Während des Essens hatte ich die Möglichkeit, ihn näher kennenzulernen. Sein Vater war vor Jahren gestorben. Seine Mutter lebte mit einem Mann zusammen. Seine Schwester und sein Bruder waren beide verheiratet und führten ihr eigenes beschauliches Familienleben. Seine Exfrau war nach der Scheidung mit ihrem gemeinsamen Sohn nach Kanada ausgewandert. Offensichtlich vermisste er seinen Sohn sehr und litt dementsprechend stark darunter. Ich weiß nicht warum ich kein Mitleid mit ihm hatte, als er mir all diese Dinge aus seinem Leben erzählte. Normalerweise bedauere ich denjenigen, der jemanden verloren hat. »Das arme Wesen!«, sage ich zumindest in solchen Fällen im Stillen bei mir, oder ich breche in Tränen aus, wenn ich von Fällen erfahre, in denen ein Elternteil nach der Scheidung das gemeinsame Kind nicht mehr sehen darf. Anscheinend war seine Situation noch schlimmer. Seine Exfrau war mit dem Kind auf der anderen Seite der Welt, ja auf einen anderen Kontinent ausgewandert, bloß damit ein Vater richtig gequält wurde! Oh, was für eine harte und niederschmetternde Rache! Trotzdem hatte ich kein Mitleid mit ihm. Bestimmt nicht aus dem Grund, weil ich als Frau grundsätzlich für die Mutter Partei ergreife. Ich weiß nicht warum, ich bedauerte ihn einfach nicht. Ich stellte mir nur vor, dass sein Sohn wahrscheinlich wie er aussehen würde, als er selbst ein Kind und Junge war.

Es war ein angenehmer Abend. Das Essen war gut, die Bedienung freundlich und aufmerksam, kurz: ein durch und durch gelungener Abend. Wir sprachen miteinander über vieles. Im Gegensatz zu meinen Erfahrungen mit anderen Männern, war die Atmosphäre nicht verschlossen oder beklemmend. Ich fühlte mich frei und musste nicht darauf achtgeben, was ich sagte. Vielleicht, weil ich einiges über ihn bereits im Voraus wusste und daher die anfängliche Vorsicht einem Gefühl des Vertrauens wich. Auf jeden Fall beunruhigte mich seine Anwesenheit kaum und raubte mir keine Energie. All dies natürlich nicht wegen meiner Naivität, die meine Schwester mir immer vorwirft. Wenn es angebracht ist, bin ich misstrauisch, feige und vorsichtig genug. Selbst bei diesem Treffen stellte ich ihn häufig auf die Probe. Zum Beispiel beäugte ich ihn manchmal, um festzustellen, wie er sich verhielt, wenn ich kurz abwesend oder unaufmerksam war. Er starrte mir nicht, wie typischerweise die anderen Männer, in den Ausschnitt und machte keine nichtssagenden Komplimente. Beim Gang zur Toilette ließ ich bewusst meine Handtasche vor ihm stehen und prüfte, ob er vermeintlich unbemerkt meinen Hintern betrachtete und ihn insgeheim für sich bewertete. Doch er bestand alle diese kleinen Prüfungen mit Bravour. Auch meine Tasche blieb unberührt.

Kurz gesagt entstand diese vertraute Atmosphäre vielleicht auch deswegen, weil wir beide ohne Erwartung zu diesem Treffen kamen, und nicht beabsichtigten, irgendeinen Profit daraus zu schlagen. Wir diskutierten über Gott und die Welt, dann, wie mir meine Schwester nahegelegt hatte, ging ich weder zu ihm nach Hause, noch lud ich ihn zu mir ein. Ich erwähnte überhaupt nicht, wo ich wohnte und gab ihm noch nicht einmal meine Rufnummer. Natürlich hätte ich sie ihm gegeben, wenn er mich danach gefragt hätte.

Die Ziegennovelle

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