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1.

Aroff

Der Raum lag im Halbdunkel. Aroff saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden. Er hatte die gefiederten Arme von sich gestreckt und atmete flach. Nur der leiseste Lufthauch strömte aus den Nasenlöchern oberhalb des großen, gebogenen Schnabels. Die Kosmokratenknechte von der SOL, die ihn zweifellos in diesem Moment beobachteten, sollten glauben, er verharre in Lethargie.

In Wahrheit war Aroff hellwach und hoch konzentriert. Sein Gehirn arbeitete wie eine Rechenmaschine. Mit hypersensiblen Sinnen sondierte er jede Ecke seines neuen Quartiers, erwog Optionen, verwarf sie wieder und suchte nach der kleinsten Gelegenheit, die sich ihm bot.

Aroff war ein Ganschkare, ein treuer Diener der Terminalen Kolonne TRAITOR. Das galt auch, nachdem die Solaner ihn gefangen genommen und einer perversen, gewalttätigen Operation unterzogen hatten. Sie hatten die Kralle des Laboraten in seinem Hirn eingekapselt und stillgelegt. Damit hatten sie ihn umpolen, zu einem der ihren machen wollen.

Doch er war ein freies Individuum, das sich freiwillig für die Kolonne entschieden hatte. Ihn durchströmte weiterhin ihr Geist, wie es sein ganzes Leben lang gewesen war. So, wie es richtig war.

Nun glaubten die Solaner, diese Schwächlinge, sie könnten ihn einlullen, indem sie ihn in diese lächerlich komfortable Gefängniszelle sperrten. Auf Zuruf konnte er sogar stufenlos die Umgebungsbeleuchtung verändern.

Solaner ketteten ihre Gefangenen nicht in faulige Kerker. Sie lieferten sie nicht Hunger, Durst und Folter aus. Dieser Raum war kaum kleiner als eines der Mannschaftsquartiere der SOL. Vom Hauptwohnbereich führten offene Durchgänge in Schlaf-, Ess- und Hygienezimmer. Ein süßlicher Geruch hing in der Luft, eine Schale mit Früchten stand bereit, und wenn Aroff wollte, konnte er sein Gefängnis mit Musik füllen, dem zwitschernden Gesang der Ganschkaren. Ihm standen Tische, Stühle und Schränke zur Verfügung, eingerichtet für die Bedürfnisse eines Ornithoiden.

Es gab sogar ein Kommunikationsgerät. Er konnte damit die frei zugänglichen Informationssysteme der SOL erkunden und eine Verbindung zum Leutnant der Bordsicherheit herstellen, der vor dem einzigen Zugangsschott Wache schob, zusammen mit mehreren TARA-Kampfrobotern.

Außerdem war die ganze Zimmerflucht in einen Paratronschirm gehüllt, der jegliche Interaktion mit dem Ricodin an Bord der SOL verhinderte. Dieser Werkstoff der Terminalen Kolonne hatte ihm schon einmal geholfen, die Solaner auf ihrem eigenen Raumschiff zu bekämpfen. Leider hatte die Besatzung daraus gelernt.

Trotz aller Annehmlichkeiten: Letztlich war es nichts anderes als ein finsterer Kerker. Aroff war jeglicher Handlungsmöglichkeit beraubt, jede seiner Bewegungen wurde vom Bordgehirn SENECA überwacht.

Daher wollte er den Solanern nicht die Genugtuung geben, sich daran zu ergötzen, wie er sämtliche Winkel der Zelle erkundete, auf der verzweifelten Suche nach einer Fluchtmöglichkeit. Er saß stattdessen nur da und machte seine Pläne im Geheimen. Wenn es so weit war, würde er erbarmungslos zuschlagen, ohne dass sie reagieren konnten.

Lautlos fuhr das Schott zur Seite, ein breiter Schatten fiel in den Raum.

Aroff registrierte es mit halb geschlossenen Lidern. Er blickte nicht einmal auf.

Der Geruch des Besuchers war kaum wahrnehmbar. Dennoch erkannte Aroff, wer zu ihm kam. Es war der subtile Eigengeruch eines Lebewesens, das nicht fremder sein konnte und ihm doch vertrauter war als jedes andere: Zerbone, sein Freund und Partner seit Jahrhunderten. Seine Schattenseite, sein Gegner.

»Schön haben es die Solaner dir hier gemacht, Flattermann«, dröhnte Zerbone. Sein massiger Körper füllte den Türrahmen beinahe vollständig aus. Noch ein Schritt, dann war er in Aroffs Zelle.

Der Paratronschirm hinter ihm flimmerte. Der Leutnant auf der anderen Seite hatte die Strukturlücke wieder geschlossen, durch die Zerbone in das Gefängnis gelangt war. Das Schott schloss sich. Sie waren allein.

»Kannst du dir vorstellen, wie die Terminale Kolonne dich behandelt hätte, wenn du ihr Gefangener geworden wärst?« Zerbone hatte breite Schultern, kräftige Arme, den Kopf einer Schlange und langes, silbernes Haar. Er war ein Mor'Daer, der Angehörige eines Volkes, das ebenso wie die Ganschkaren zu den treuen Dienern der Terminalen Kolonne TRAITOR gehörte. Doch Zerbone war zum Überläufer geworden, einem Feind der Kolonne. Das gefährlich aussehende Reptilwesen hatte sich als schwächer erwiesen als der dürre Flattermann.

Gemächlich erhob sich Aroff und begrüßte auf diese schlichte Weise den alten Freund. »Du bist irregeleitet, Schlange. Die Kosmokratenknechte haben deinen Kopf aufgeschnitten und dir alles genommen, was deinem Leben einen Sinn gegeben hat. Wer bist du jetzt, da du nicht mehr mit dem Geist der Terminalen Kolonne verbunden bist? Du bist vom Weg abgekommen, mein Freund. Du musst zu uns zurückfinden! Es ist deine Pflicht!«

Der Mor'Daer machte einen beherzten Schritt auf Aroff zu. Der zarte Duft der Schlangenhaut wurde intensiver. »Ich treffe meine Entscheidungen aus freiem Willen und habe keine Pflicht mehr gegenüber der Terminalen Kolonne TRAITOR. Du bist derjenige, der den rechten Weg nicht findet. Nicht die Solaner waren es, die unsere Klonkörper auseinandergeschnitten und auf widernatürliche Weise zusammengefügt haben, sondern die Anatomen der Terminalen Kolonne TRAITOR. Sie haben uns wie Sklaven behandelt und uns ihren Experimenten unterworfen. Erst seit die Solaner die Kralle des Laboraten in unseren Köpfen desaktiviert haben, sind wir freie Wesen. Auch du bist ein freies Wesen, Aroff!«

»Und du bist ein Narr, Zerbone! Haben die Solaner dich etwa nicht einem grausamen Gewaltakt unterworfen, gegen deinen Willen? Würden sie wahrhaftig jemals zwei ehemalige Kolonnenoffiziere an ihrer Seite akzeptieren? Glaubst du, dies ist Freiheit?« Mit einer leichten Armhebung deutete Aroff um sich.

Zerbone trat noch einen Schritt näher und damit beinahe auf Armlänge an Aroff heran. »Du bist gefangen, weil du dieses Raumschiff in die Luft sprengen wolltest. In den Augen der Solaner bist du ein Terrorist, und ich kann sie verstehen.«

Mitleidig blickte Aroff den alten Gefährten an. »Ich habe verhindert, dass die SOL TRAITOR angreift. Ohne mein Eingreifen hätte sie längst das Sphärenlabyrinth und TRAZULS Dorn zerstört. Ist das eine gute Sache?«

Zerbone wechselte zu einem milderen Ton. »Du hast damit die Vielen Einen gerettet, deren Lebensraum das Sphärenlabyrinth ist. Das kann ich anerkennen.« Er hob die Stimme um eine Nuance. »Aber die Terminale Kolonne hat das Sphärenlabyrinth nicht für die Vielen Einen geschaffen, sondern um Krieg in viele Universen zu tragen. «

Er zögerte kurz, sprach dann umso entschiedener weiter. »Die Operation hat dir stärker zugesetzt als mir. Sobald du erkennst, dass du nun wirklich frei bist, kannst du immer noch auf unsere Seite kommen. An meine Seite, Aroff!« Das letzte Wort sagte Zerbone beinahe zärtlich, und es schmerzte Aroff, den Freund so reden zu hören.

Traurig wiegte Aroff den Federkopf hin und her. »Wie konntest du nur so die Orientierung verlieren, Zerbone?«

Abrupt wich der Mor'Daer die zwei Schritte wieder zurück, die er Aroff entgegengekommen war. Sein Körper straffte sich. »Dann werden wir nie wieder Seite an Seite stehen und für eine Sache kämpfen, die wir beide für gut und gerecht halten?«

Ohne auf Aroffs Antwort zu warten, drehte sich Zerbone um. Mit ein paar schnellen Schritten erreichte er das Schott, das sich sofort vor ihm öffnete. In gleichbleibendem Tempo durchdrang der Mor'Daer den Paratronschirm, in dem sich passgenau eine Strukturlücke auftat.

Nachdenklich sah Aroff ihm eine Weile nach. Er überlegte, ob er soeben einen Freund verloren hatte ...

... und kam zu dem Schluss, dass darüber das letzte Wort noch nicht gesprochen war. Nur, wer würde wen auf seine Seite ziehen?

Mission SOL 2020 / 11: Anker der Superintelligenz

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