Читать книгу Der Mann, der einmal einen Wal gewann - Ole Engelhardt - Страница 8
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ОглавлениеWarum? Ja ich glaube, das kann Ihnen heute keiner mehr sagen. Schon damals wahrscheinlich nicht einmal. Die Wahl stand damals kurz bevor, es waren nur noch wenige Tage bis wir unseren Kandidaten öffentlich machen wollten. Alles schien klar und alle waren entspannt. Doch dann, wir saßen gerade nach einem anstrengenden Tag zusammen in der Parteizentrale und genehmigten uns ein paar Bier, da sagte unser designierter Kandidat schon leicht angeheitert, Sie wissen ja sicher, wer das war, dass er es sich nicht hätte erträumen können einmal Kanzlerkandidat zu werden, „ wo es mir doch noch wie gestern vorkommt, als ich unserer dörflichen Rechtspartei ‚Vereinigtes Deutschland‘ vorstand. Aber“, und dabei, das weiß ich noch genau, ploppte er sich noch ein Pils auf, „wie sagte schon Kollege Goebbels, das ist halt Demokratie. Cheers Freunde!“ Wir starrten uns an. Wir, das waren ich, unser Parteichef und ja, er halt, der baldige Kanzler. Roland, der Parteichef, ebenfalls schon gut angeschwippst, stand dann auf, haute noch beim Aufstehen auf den Tisch, lief sofort knallrot an und schrie, „raus du verdammtes Nazischwein!“ Rainer, so hieß er, stammelte dann irgendwas davon, dass das doch Ewigkeiten her sei und dass er soweit weg war vom Nazisein wie Hitler vom lebendig sein. Roland ließ nicht mit sich reden, vielmehr sagte er, „wer in Vergleichen Nazinamen benutzt, beweist noch viel mehr, dass er ein Nazischwein ist.“ Nach einigem Hin- und Herdiskutieren stand Rainer dann auch irgendwann auf und ging. Die Tür knallte zu. Wir haben ihn dann nie wieder gesehen. Theorien sagen, er sei in Argentinien, in Chile oder in Peru und arbeite da im Untergrund, um eine paramilitärische Naziarmee aufzubauen, die dann von Südamerika aus die Welt einnehmen würde. Das ist die Theorie meines Freundes. Er ist Filmregisseur und hatte schon lange keine gute Idee mehr.
Das war also die Situation. 8 Tage vor Präsentation unseres Kanzlerkandidaten. Wir waren eine Volkspartei ohne Mann, der das Volk repräsentierte. Wir hatten noch 6 Biere zu trinken. „Wenn der Kasten leer ist“, sagte Roland, „haben wir einen Kanzlerkandidaten. Ist noch Wurst auf dem Grill?“ Gunnar lief raus und kam bejahend wieder herein. Roland grinste, „Sie waren mir schon immer sympathisch.“ Während wir mampften und tranken, legten wir gefühlt tausende Namenskarten auf den Boden, die als Kandidaten in Frage kamen. Einer nach dem anderen fiel heraus. Zu dick, zu klein, zu kleines Vokabular, zu hohe Stimme, zu sexistisch, zu idealistisch, will zu viel. Wir schienen eine Partei aus Freaks, Strebern und Unförmigen zu sein. Langsam machte sich Panik breit. Warum bin ich eigentlich in so einer scheiß Partei fragte ich mich. Roland, der knieend auf dem Boden eine Karte nach der anderen entfernte, fing mittlerweile fürchterlich an zu schwitzen. Die Wurstfetzen, die noch aus seinem Mund hingen, seine schweißgetränktes rotes Gesicht, auf dem hier und da noch einige Büschel Haare wuschen und sein durchnässtes pinkes Hemd, das ihm hinten halb heraushing, ließen ihn wie ein Schwein aussehen. Ich fing mich an zu ekeln und wollte einfach nur, dass es vorbei war. Ich wollte raus hier, raus zu meiner Frau, mich unter die Decke legen und hoffen, dass morgen alles ganz anders aussehen würde. Warum ich mich nicht selbst vorgeschlagen habe? Ich war nie wirklich ein Mann für die erste Reihe, ich sehe nicht gut aus, stottere, wenn ich aufgeregt bin, was ich ziemlich häufig bin und ehrlich gesagt hatte ich keine Lust gerade in der Zeit als Kanzler zu kandidieren, in der unsere Partei in diesem desaströsen Zustand war, sodass ich unsere Siegchancen sowieso auf maximal 10% schätzte. Was wir brauchten, war ein Platzhalter. Einer der uns nicht wehtat, den wir ruhig verpulvern konnten und der uns dann vier Jahre Ruhe beschaffen würde, um den ultimativen Kanzler zu backen. Vor mir krabbelten ein Schwein und ein addrett aussehender, gutgebildeter Mann in seinen besten Jahren, der mir mit seiner ruhigen Art als ideale Variable in meinem Masterplan erschien. Roland sah mich dennoch ungläubig an als ich es ihm vorschlug. „Der?“ fragte er mich und sah dabei Gunnar an. „Immerhin hat er dir gerade astrein gegrillte Würstchen serviert oder nicht? Ist es nicht das, was der Kanzler ist, ein Diener, der am Grill steht, während das Volk Spaß hat?“ Roland stand auf, das dauerte einen Augenblick und benötigte, obwohl erst abgewehrt, am Ende doch Gunnars tatkräftige Unterstützung.
„In Vietnam habe ich einiges über die Demokratie gelernt… “, sagte Roland. Ich rollte innerlich mit den Augen, denn es ging mir langsam auf den Sack, wie er ständig seine Storys mit „in Vietnam begann“, um damit zu klingeln als wäre er ein alter verachteter Kriegsheld, obwohl er dort lediglich vor einigen Monaten einen Fickurlaub gemacht hat und das auch nur, dachte ich, weil sie ihn in Thailand nicht mehr hereingelassen haben. Nein, ich wäre mit meinen stereotypischen Südostasienansichten sicher kein geeigneter Kandidat. „Und weißt du, du könntest sogar Recht haben Martin“, sagte er. Ich wusste, was jetzt kommen würde. Eine Spirale aus hin- und hergewendeten Argumenten, garniert mit abstrusen Beispielen und am Ende war er dann selbst am allermeisten davon überzeugt, dass dieser „grandiose Vorschlag“ von ihm ganz persönlich gekommen war. Roland musste alles besitzen, er war ein ziemlich diktatorischer Demokrat. Gefragt nach seinen Lieblings-, benutzte er so viel erste Person- Possessiv, dass man glauben musste, er hätte die –Lieder („MEIN Song singt von Sehnsucht“ ), -Bücher („MEIN Buch spricht über Abenteuer“ ) und – Filme ( „MEIN Film spielt mit wilder Sehnsucht“ ) erfunden. Und er glaubte das wirklich.
„ Demokratie“, sagte er, „ist vielleicht die schlauste Form ein Volk zu regieren. Das heißt aber nicht, dass das Volk auch schlau ist, sondern eher im Gegenteil, es klappt am besten, wenn das Volk dumm ist. Dann reicht es vielleicht ihm das zu geben, was es selbst sein will. Ein smarter, nicht hässlicher, studierter Mann, der gerade Sätze sprechen kann. Ich fange an diese Idee zu mögen, wie kamen wir noch darauf? Ach ja. Lass uns das mal Punkt für Punkt durchgehen.“ In den folgenden Minuten setzte Roland zu einem Monolog an, Monolog ist für ihn die bessere Form eines Dialogs, in dem er erklärte, was der zwei Meter neben ihm sitzende Gunnar angeblich sei. Ein „unbeschriebenes Blatt“, „jung, dynamisch“, „studierter Weltbürger“, „ein einfacher Mann des Volkes“, „ein du und ich“, „ein Feingeist“, „einer, der anpacken kann“. Ein Schizo fragte ich mich? „Schreiben Sie sich das alles auf, das können wir für die Plakate verwenden später!“ Gunnar saß mit verschränkten Armen auf diesem kleinen Stuhl, während Roland ihn in immer engeren Zirkeln umkreist und ihm weiter gutklingende Attribute an den Kopf warf.
„Sprechen Sie mehrere Sprachen als deutsch?“, wollte er wissen.
„ Ja, Englisch und …“
„ Ein Sprachengenie! Ein Poly… wie heißt das noch!“
„Poly …“
„Polygam!“ Sie sind ein sprachliches Polygam !“
Gunnar nahm das zur Kenntnis.
„Irgendwas Immigrantenmäßiges im Stammbaum?“ – „Mh, meine Großgroßeltern sind aus Bessarabien eingewandert.“
„ Das reicht. Unverheiratet?“ – „Ja“
„Kinderlos?“ – „Ja“
Roland rieb sich die Hände, „das wird ja immer besser! In der Kirche sind Sie wahrscheinlich auch nicht?“ – „Nein“.
Roland hüpfte vor Freude in die Luft. Ich hielt vorsichtshalber mein Bier fest.
Dann blieb er stehen und beugte sich runter zu ihm. Jetzt, so schien es, wollte er sein letztes Ass spielen. Der Trumpf, der bei richtiger Beantwortung nichts anderes als den Wahlsieg bedeuten würde.
„Sie wissen wie die Menschen ticken, kaum ist man in einem neuen Jahrtausend, werden sie immer fordernder, wollen immer was Neues, ein roter Kanzler, ein grüner Kanzler, ein blauer Kanzler. Und vielleicht… ich sags einfach gerade aus Herr… Herr… sind sie zufällig schwul?“
Nun wurde es still im Raum. Ich spürte, dass Gunnar nicht wusste, welche Antwort nun richtig sein würde. Zugegeben, Roland könnte auch als homophober Lumberjack aus Texas durchgehen, aber ich kannte ihn besser und wusste, dass er im Endeffekt nur ein machtgeiler Stratege war. Anders ist besser, sagte er oft. „Stellen Sie sich das doch mal vor, ein schwuler Kanzlerkandidat! Mehr 2000 geht doch gar nicht. Sehen Sie die Plakate? Sie hängen überall, ‚Schwulsein heißt Kuhlsein‘, die Wahl wäre so gut wie gewonnen. Kommen Sie, Sie sind doch bestimmt schwul, oder nicht?“
Gunnar wusste nun was er antworten müsste. Er blickte auf den Boden und dann zu Roland, der ihn grinsend ansah, als säße er vor einem süßen Hündchen, das ihm gleich seine Pfote reichen würde. Doch Gunnar reichte ihm nicht seine Pfote, stattdessen schüttelte er den Kopf und murmelte fast beschämend, „nein tut mir leid, leider nicht schwul.“ Roland säufzte, Gunnar hatte gerade einen Elfmeter verschossen. Aber er lag immer noch in Führung. Roland sah mich an, minutenlang. Ich war mir nicht sicher, was ich tun sollte, blickte ihn erst erstarrt zurück, dann bekam ich jedoch Durst und nahm den letzten Schluck aus meiner Bierflasche. Als ich die Flasche auf dem Tisch abstellte, schallte Rolands Stimme durch den Raum. „Heureka, wir haben ihn, wir haben unseren Kanzlerkandidaten!“ Das ist Demokratie, der Kanzler ausgewählt vom dicken Mann mit dem Senffleck auf dem Hemd.
Er riss Gunnar vom Stuhl, umarmte ihm, schüttelte ihm die Hand, als würde er ihn gerade vereidigen. Gunnar sagte nichts, er sah verwirrt aus. Verwirrter als sonst. Aber irgendwas strahlte er aus, irgendwas, das ich nicht beschreiben konnte in dem Moment. Irgendwas, das ich auch die vier Jahre lang, in denen ich täglich mit ihm zusammen war nie fassen konnte.
Er, das war mir in diesem Moment klar, würde Kanzler werden. Er würde vier Jahre lang unser Land regieren. Und das alles wusste er in diesem Moment noch nicht. Leicht versuchte ich noch Roland davon abzukriegen, warnte ihn vor Gunnars fehlender Erfahrung und seiner fehlenden Kanzlability. Doch Roland schüttelte nur den Kopf und murmelte irgendwas von wegen, wir würden etwas um ihn herumbauen, ich glaube er sagte „Gremien-Team“, aber es klang eher wie ein hamburgerisch verschlungenes „Klementinen“. Mich schüttelte es bei dem Gedanken an diese ekligen Dinger. Ich hasste sie. Ich schaute zu Gunnar, er hatte keine Ahnung, was auf ihn zukommen würde. Und oft frage ich mich, was er getan hätte, wenn er es gewusst hätte.
Ich glaube, er hätte sich nie darauf eingelassen.