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III Die erste und zweite Bestimmung der Tugend (71d–74b)

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Der erste Hauptteil des Menon (71d–79e) ist – unterbrochen durch eine methodologische Reflexion auf die Natur von Begriffsbestimmungen überhaupt – der Frage danach gewidmet, was die Tugend ist. Bei seiner Interpretation ist zu berücksichtigen, dass die uns vertraute Unterscheidung zwischen semantischen und ontologischen Fragen bei Platon noch nicht vorgenommen wird.1 Ob die in den platonischen Frühdialogen gestellten ti-esti-Fragen („Was-ist-Fragen“) des Sokrates – etwa nach der Tapferkeit, der Frömmigkeit, der Besonnenheit oder eben auch der Tugend selbst – als ontologische Fragen nach dem Wesen der jeweiligen Tugend oder als semantische Fragen nach der Bedeutung von Ausdrücken wie „Tapferkeit“ und „Besonnenheit“ aufzufassen sind, ist, da Platons Texte beide Lesarten zulassen, nicht entscheidbar. Deutlich ist aber, dass Sokrates mit der ti-esti-Frage, insofern sie auf die Bedeutung eines Ausdrucks wie „Tapferkeit“, „Frömmigkeit“, „Besonnenheit“ oder „Tugend“ bezogen ist, nicht etwa nur auf eine bloße Nominaldefinition, sondern auf eine Realdefinition, also eine Wesensbestimmung der in Frage stehenden Sache, abzielt.2 Die gängige Bezeichnung der sokratischen ti-esti-Frage als eine „Definitionsfrage“ ist daher irreführend, wenn man sich vom Verständnis von „Definition“ als einer stipulativen Bedeutungsfestsetzung leiten lässt. Sokrates zielt nicht auf Bedeutungsfestlegungen, sondern auf – als solche zumindest ihrem Anspruch nach von Stipulationen unabhängige – Begriffsanalysen ab, deren Ziel es ist, durch die möglichst genaue Ermittlung der Bedeutung eines Ausdrucks das dadurch Bezeichnete zu verstehen. „Benennen muss man so und vermittels dessen, wie es in der Natur des Benennens und Benannt-Werdens der Dinge liegt, nicht aber so, wie wir es etwa möchten“, heißt es im Kratylos (387d). Benennen ist für Sokrates keine bloße Willkürentscheidung, und darum ist auch die Frage nach der Bedeutung von Ausdrücken als der Versuch aufzufassen, vermittelt über eine sprachliche Reflexion das Wesen eines Dinges bestimmen zu können.

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