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KAPITEL 3: TRUMA SEYMOUR

Wenn June Seymour mit ihrer Enkeltochter Ophelia für zwei Stunden außer Haus war, konnte man Gift darauf nehmen, dass die beiden mindestens für drei Stunden fort waren. Zuerst würden sie eine Weile im Park spazieren gehen, über die wohl merkwürdigsten Dinge sprechen, die der kleinen Ophelia in den Sinn kamen. Dann würde Mrs. Seymour versuchen, mit ihrer Enkelin ein Spiel zu spielen. Oftmals war es Verstecken. Ophelia liebte es, sich zu versteckten. Sie besaß die Gabe, sich plötzlich im Nichts aufzulösen. Ich erinnere mich noch genau, als sie sechs Jahre alt war und wir auf ihrer Geburtstagsparty beschlossen, dieses Spiel mit ihr zu spielen. Keiner fand sie. Die Kinder, die Gäste, ihre Mutter, ihre Großmutter, meine Familie und ich, wir alle suchten nach ihr. Die Party endete damit, dass die gesamte Nachbarschaft nach diesem kleinen Mädchen suchte, ehe sie schlafend in einem ihrer zahllosen Geheimverstecke gefunden wurde. Um elf Uhr nachts.

Wenn sie zwei Stunden im Park verbracht hatten und noch zusätzliche zwanzig Minuten, weil Mrs. Seymour es nicht übers Herz brachte, ihrer geliebten Ophelia den Spaß zu nehmen, würden die beiden in den nächsten Supermarkt rennen, um noch rechtzeitig, alle Zutaten für das Abendessen einzukaufen. Ophelia würde dabei wie jedes Mal um den Gang schwirren, in dem tonnenweise Süßigkeiten lagen. Sie würde all ihren kindlichen Charme, ihre traurigen Augen und ihr Wimmern einsetzen, um ihre Großmutter doch noch dazu zu überreden, ihr ein, zwei oder drei Süßigkeiten mehr zu kaufen.

»Aber kein Wort zu deiner Mutter«, würde Mrs. Seymour sagen. »Das bleibt unser kleines Geheimnis. Versprochen?«

»Versprochen!«, würde Ophelia antworten.

Und noch bevor sie zu Hause ankommen würden, wo Junes Tochter, Ophelias Mutter, sehnsüchtig auf die beiden wartete, würden sie kurz meiner Mutter einen Besuch abstatten. So wie ich Mom kannte, würde sie die beiden bereits erwarten und sie mit Kaffee, Tee und zwei selbstgemachten Säften willkommen heißen. Ophelia würde die ganze Karaffe mit Saft alleine austrinken und anschließend noch eine Tasse Tee mit extra Zitrone und Zucker, während ihre Großmutter zwei Tassen Kaffee trinken würde. Ohne Milch und ohne Zucker. Erst wenn sie all ihre Getränke ausgetrunken und Mom und Mrs. Seymour sich noch eine weitere Stunde miteinander unterhalten hätten, würde June auf die Uhr blicken, aufschrecken und sagen, dass sie sofort nach Hause gehen müssten, da Truma sich sicher schon Sorgen machte. Mom würde sich von ihren beiden Gästen mit Umarmungen und Küssen verabschieden und sie in zwei Tagen wieder empfangen, erneut mit Kaffee, Tee und zwei neuen Säften.

Die Seymours waren gern gesehene Gäste in unserem Haus. Tatsächlich waren unsere beiden Familien seit Jahren eng miteinander befreundet. Ich lernte Truma bereits im Kindergarten kennen. Ich war ein schüchternes Kind. Ich wagte es nicht, in die Nähe von den anderen Kindern zu gehen, deshalb verkroch ich mich zumeist unterm Klettergerüst und spielte mit den alten und beschädigten Figuren, die ich ganz am Boden unserer riesigen Spielzeugkiste gefunden hatte. Eines Tages, ich weiß nicht, was genau der Grund war, blickte ein kleines Mädchen durch die Stäbe des Klettergerüsts und beobachtete mich beim Spielen mit meinen Figuren.

»Wieso kämpft der blaue Typ da gegen den in Grün?«, fragte sie mich.

Ich wirbelte herum. Ich war es nicht gewohnt, aus meiner eigenen Welt gerissen und plötzlich in die Realität gezogen zu werden. Die spottenden Rufe der anderen Kinder hatte ich ausgeblendet, deshalb war es für mich wie das bedrohliche Summen einer Wespe, als eine helle Stimme mich fragte, wieso ich die beiden Figuren gegeneinander kämpfen ließ.

»Der blaue Typ, wie du ihn nennst, hat etwas von dem Mann in Grün genommen, aber er braucht es, um die Welt vor den finsteren Zauberern zu retten, die seine Stadt bedrohen«, erklärte ich ihr und zeigte ihr dabei all die Figuren, die eine Rolle in meinem Theater spielten. »Aber der Grüne weiß nichts von den Hintergründen seiner Tat und er glaubt dem Typ in Blau kein Wort. Er behauptet, dass er ihn bestohlen habe. Und jetzt kämpfen sie, um zu sehen, wer nun recht hat.«

»So eine bescheuerte Geschichte«, sagte sie und kam langsam immer näher.

Aus der einst stillen Beobachterin wurde eine Mitspielerin.

»Wieso können sie sich nicht vertragen?«, fragte sie und setzte sich neben mich.

»Das tun Helden nicht«, antwortete ich. »Helden kämpfen, um das, was ihnen wichtig ist.«

»Das ist doch Unsinn«, warf sie ein.

»Woher willst du das denn wissen?«, fragte ich skeptisch und stützte meine Fäuste in meine Hüfte. »Zu deiner Information, mein Vater ist ein Held und ist sogar in einer Allianz. Aber nicht in irgendeiner Allianz, sondern in der, die von dem Helden Razor angeführt wird. Und du? Was kannst du vorweisen?«

»Ich bin eine Heldin«, sagte sie ernst.

»Ja klar«, spottete ich. »Wenn du wirklich eine Heldin bist, dann gebe ich dir sofort meine beiden Figuren und lasse dich die Geschichte weitererzählen.«

Mehr war nicht notwendig. Truma stand auf und zeigte mir ihre Superkräfte. Sie hatte nicht gelogen. Sie war tatsächlich eine Heldin. Truma hatte ganz eigenartige Fähigkeiten, die ich noch nie zuvor bei einem anderen Helden gesehen hatte. Sie hatte die Superkraft, aus ihrer Umgebung Farben zu absorbieren und sie dann in eine spezielle Art der Energie umzuwandeln, je nachdem welche Farbe sie aufgenommen hatte. Nahm sie die Farbe Rot auf, konnte sie diese kräftige Farbe bündeln und einen Laserstrahl erzeugen, der jede Metallstange oder jede Wand zerschneiden konnte, als wären sie aus Papier und sie eine glühend heiße Schere. Absorbierte sie Blau, konnte Truma eine Stoßwelle erzeugen, welche wie eine große Flutwelle über ihr Ziel rollte. Bei Gelb erschien ein kreisrunder, gelber Schutzschild, der sie vor jeglichen Angriffen schützen konnte.

Als wir noch Kinder waren, galt dies natürlich für Footballs, Spielsachen oder Dreck, die von dem Schulhofrowdy, Henry Desmond, oftmals als Wurfgeschosse verwendet wurden. Truma und ich hassten ihn sehr. Er war einer von jenen Kindern, die einem zum Brechen bringen konnten, sobald man sie in der Ferne auf ihren Fahrrädern in die eigene Richtung kommen sah. Blieb noch die Farbe Grün, die Truma aufnehmen und damit kleine oder mittelgroße Wunden heilen konnte. Sobald sie aus irgendeinem Objekt, wie einem T-Shirt, einem Plakat oder einem Auto die Farbe ausgesogen hatte, verfärbte es sich dunkelgrau. Für gewöhnlich kehrte die Farbe nach vierundzwanzig Stunden zurück. Truma bestand jedoch bis heute darauf, dass ihre sämtlichen »Farbspender« ihre Farben nach dreiundzwanzig Stunde, siebenunddreißig Minuten und fünfzehn Sekunden wieder zurückerhielten. Als sie sieben Jahre alt war, hatte sie dies einmal versucht, als sie ihrer Lieblingsbluse die Farbe ausgesaugt und dadurch einen Laserstrahl erschaffen hatte, der ihre gesamten Poster von der Wand gebrannt hatte. Noch immer, wenn ich sie besuchen kam, auch an jenem Abend, als Mrs. Seymour und Ophelia im Park waren, thronte ein schwarzer Brandfleck über ihrem Bett, wie ein übergroßer Schönheitsfleck auf dem Gesicht einer Dame auf einer alten Parfumflasche. Als sie diesen Versuch gewagt hatte, war sie ihrer Bluse keine Sekunde lang von der Seite gewichen. Sie hatte sich sogar einen Eimer in ihr Zimmer gestellt, um nicht auf die Toilette gehen zu müssen. Ständig hatte ihr Blick zwischen der Bluse und ihrer Uhr hin und her geschwankt. Mrs. Seymour war von dem Experiment ihrer Tochter alles andere als begeistert gewesen. Als sie davon erfahren hatte, hätte ich sogar schwören können, dass ich sie an jenem Tag schreien gehört habe und dass, obwohl die Familie Seymour am Ende der Straße lebte.

Truma absorbierte die blaue Farbe von einem der zahllosen Sprossen, die das Klettergerüst zu bieten hatte. Vor meinen Augen verwandelte sich das einst strahlende Metall in ein dunkles und trostloses Grau. In ihren Händen hielt sie einen Wirbel aus blauen Farben, welche wie kleine Funken aussahen, die in ihren Händen tanzten. Sie suchte sich ihr Ziel aus: Henry Desmond. Ich stand auf und schlich mich langsam an sie heran. Truma erhob ihre Hände und schoss eine Stoßwelle auf Henry. Ich zuckte zusammen. Der taffe Rowdy wurde schreiend von seinen Füßen gerissen und flog einige Meter, bis dieser mit einem dumpfen Knall auf dem Rasen wieder aufprallte. Erschrocken blickte er sich um, Tränen kullerten seine Wange hinab. Seine sogenannten »Freunde« fingen an, wie Hyänen zu lachen. Ich glaube bis zum heutigen Tage nicht, dass seine Freunde tatsächlich seine Freunde waren. Vielleicht mochten sie Henry nur, weil seine Familie vermögender als der Rest unserer Eltern war. Zumindest sah ich seine blutsaugenden Parasiten immer an ihn kleben und jeden Tag hatten sie entweder eine Packung Plätzchen oder neue Schokoriegel in der Hand. Als meinem Rivalen der Schreck ins Gesicht geschrieben stand, fing ich an zu lachen. Endlich hatte ihm jemand die Stirn geboten.

»Ich hab dir doch gesagt, dass ich eine Heldin bin«, sagte Truma stolz und drehte sich zu mir. Sie stemmte sich ihre linke Faust in ihre Hüfte und streckte ihre rechte Hand aus. »Und jetzt her mit den Figuren. Ich bin dran, die Geschichte weiterzuerzählen.«

Wir hatten eine Vereinbarung getroffen und ich hatte keine Wahl. Wenn mir Mom und Dad etwas beigebracht hatten, dann, dass man sich immer an eine Vereinbarung halten musste, wenn man eine getroffen hatte.

»Getroffene Vereinbarungen sind wie Versprechen, mein Schatz«, erklärte mir Mom immer. »Wenn du dein Wort gegeben hast, dann musst du es auch halten.«

Von jenem Tag an traf ich Truma jeden Tag, den ich im Kindergarten verbracht hatte unter diesem Klettergerüst und gemeinsam erzählten wir die Geschichte dieser Helden und Zauberer weiter und weiter. Ich weiß nicht, wann sie meine beste Freundin wurde, aber irgendwann wusste ich, dass sie es für mich war. Eine innige Freundschaft, fast wie zwischen Bruder und Schwester.

Truma und ich hatten unsere beiden Familien zusammengeführt. Die Frenchs und die Seymours. Ich hatte Truma damals zu meiner Geburtstagsparty eingeladen, Mom, Dad und Daisy hatten weder sie noch ihre Familie bis zu jenem Tag gesehen. Wenn es so etwas gibt, wie Freundschaft auf den ersten Blick, dann trat dieses Phänomen bei uns ein. Kaum standen sich unsere Eltern von Angesicht zu Angesicht gegenüber, waren sie schon die besten Freunde. Damals hatte Trumas Vater Rayvan noch gelebt. Er war ein sehr freundlicher Mann, einer der Nettesten, den ich meinem ganzen Leben kennenlernen durfte. Ich weiß noch genau, dass Rayvan Seymour unglaublich gerne scherzte. Jedes Mal, wenn ich Truma besucht hatte oder wenn sich unsere Familien zum Abendessen trafen, erzählte er einen Witz. Sein Humor war vielleicht nicht der Witzigste und seine Anekdoten waren auch nicht die Neusten, aber es war sein Lachen, das die Stimmung hob. Er war einer dieser Menschen, bei denen ihr Gelächter über ihre eigenen Geschichten witziger ist, als der Witz selbst. Aber dann kam dieser Unfall. Es war ein schrecklicher Tag. Für June, für Truma, selbst für unsere ganze Familie. Daisy und ich hatten bittere Tränen geweint, als Mom den Anruf bekommen hatte und sie und Dad uns bestürzt die Nachricht mitteilten. Sie sagten uns, dass Mr. Seymour nicht mehr da sei, aber dass er in einem anderen Leben auf uns warten würde. Wir wussten sofort, was dies zu bedeuten hatte. Auch Mom kullerten die Tränen über ihre Wangen und Dad nahm all seine Kraft zusammen, um ja nicht vor seinen Kindern zu weinen. Doch seine Augen waren rot und ich sah, wie die Tränen darum kämpften, endlich in die Freiheit gelassen zu werden, um über Dads Gesicht ein Wettrennen zu veranstalten. Mr. Seymour starb, als er in seinem Wagen saß, und das Gebäude, neben dem er geparkt hatte, einstürzte. Eine Lawine aus roten, schweren Ziegeln, hatte ihn unter sich begraben. Die Polizei behauptet bis zum heutigen Tag, dass die Ursache für diesen tragischen Vorfall ein Heldeneinsatz war. Offensichtlich hatte eine Heldenallianz gegen einen Zaubererzirkel gekämpft, so stand es zumindest im Polizeibericht. Für Truma und Mrs. Seymour war dies jedoch kein Trost. Sie hatten ihren Ehemann und Vater verloren.

Seit jenem Tag hatte Truma eine gewisse Abneigung gegen die Arbeit als Held. Während viele Kinder mit Superkräften davon träumten eines Tages in die Fußstapfen ihrer geliebten Helden treten zu können, wehrte sich Truma gegen die Fortführung dieser Tradition. Als wir in der Grundschule waren und jeder ein Referat darüber halten sollte, was jeder Schüler einmal werden möchte, wenn er erwachsen ist, hatte sie einen Vortrag darüber gehalten, wieso man lieber kein Held werden sollte. Wieso diese Aufgabe keine Ehrenhafte wäre, sondern eine, die einem nur die Hände mit Blut benetzte. Als sie begann, von ihrem Vater zu erzählen und mir und der gesamten Klasse ein Foto von ihm zeigte, fing sie an, zu weinen. Ihre Knie gaben nach und sie saß auf dem Boden. Vor ihr das Foto von ihrem verstorbenen Vater.

Ich klopfte an ihre Tür. Exakt dreimal schnell hintereinander und dann zweimal mit einem längeren Abstand. Truma wusste sofort, dass ich es war. Dies war unser geheimes Klopfsignal, was wir hatten, seitdem wir uns im Kindergarten kennengelernt hatten. Aber so geheim, wie wir taten, war es nicht mehr, denn unsere Familien hatten unseren Code schon vor Jahren entziffert.

»Truma, Schatz, Marcus ist da!«, hörte ich Mrs. Seymour jedes Mal durch das Haus rufen.

Aber nun war sie nicht da.

»Im Wohnzimmer hab ich dir schon etwas zum Trinken hingestellt«, sagte Truma in dem Moment, als sie mir die Tür öffnete. »Mach es dir bequem, ich habe mein Getränk in der Küche vergessen. Falls ich vergessen sollte, über was ich mit dir reden will, dann sag mir einfach das Wort ›Heldenarbeit‹, dann weiß ich Bescheid.«

So schnell wie sie gekommen war, so schnell war sie auch wieder dahin. Ich stand nach wie vor wie angewurzelt vor der Eingangstür, während Trumas Schritte immer mehr in der Ferne verschwanden und leiser wurden.

»Dir auch ein schönes Hallo«, scherzte ich, verbeugte mich vor meiner nicht anwesenden besten Freundin und trat ein.

Im Wohnzimmer mein Glas bereits auf dem gläsernen Couchtisch. Es war ein Eistee mit drei Eiswürfeln, zwei Pfirsichspalten und einer halben Zitronenscheibe, die sich aufgeschnitten an meinem Glas festgebissen hatte, wie ein fruchtiger Blutegel. Kaum setzte ich meinen Hintern auf die weiche, beige Couch, in der ich jedes Mal so tief einsank, dass ich Angst bekam, ich würde ohne die Hilfe der Feuerwehr oder Trumas Laserstrahl, nie wieder das Licht der Welt erblicken, hüpfte meine beste Freundin zu mir. Ich schrie auf, als ich daraufhin einen halben Meter in die Luft geworfen wurde, ehe das Möbelstück erneut versuchte, mich aufzufressen. Truma stellte ihr Getränk neben meines. Das Glas war bereits halb leer, doch ich wusste, was sie sich eingeschenkt hatte. Ein sprudelndes Mineralwasser mit einem einzigen Eiswürfel und am Boden des Trinkglases lagen, wie ein versunkener Schatz, zwei Erdbeeren, eine Scheibe Kiwi und die zweite Hälfte meiner Zitronenscheibe.

Fragend blickte sie mich an und kräuselte dabei ihre Lippen.

»Heldenarbeit«, sagte ich ihr, wohlwissend, dass sie vergessen hatte, über was sie mit mir sprechen wollte.

»Danke«, sagte sie und kniete sich auf die Couch, um auf mich herabblicken zu können. »Was hast du dir dabei gedacht?«

»Truma, hör zu«, begann ich zu erzählen und versuchte, mich so gut es ging, aufzusetzen, doch die weiche Couch ließ mich kaum aus ihrem Maul heraus. »Ich weiß, wie das auf dich wirken muss. Aber, ich habe das nicht getan, um dir wehzutun …«

»Ein nobler Gedanke, mein Bester«, unterbrach mich Truma und griff nach ihrem Glas. »Aber, völlig bescheuert umgesetzt.«

Sie nahm einen kräftigen Schluck, sodass die Früchte ihre Lippen berührten und darum kämpften, wer als Erster durch diese Barriere aus Fleisch dringen konnte, um in ihren Mund zu gelangen.

»Ich musste es tun«, fuhr ich fort und versuchte, mein Glas zu erreichen. Es gelang mir nicht.

»Was um alles in der Welt hat dich bloß geritten, dieses idiotische Ziel zu verfolgen?«, fragte sie mich wütend. »Etwa Schulden?«

»Nein«, antwortete ich.

»Oder bist du es leid, ein sicheres Leben zu führen?«

»Natürlich nicht.«

»Oder hast du schlicht und einfach den Verstand verloren? Ist es das? Wirst du langsam wahnsinnig?«

»Nein Truma!«

»Wieso also schließt du dich ausgerechnet den Helden an?«, ihre Stimme schwankte von wütend in besorgt um. »Wieso willst du dein Leben riskieren? Ausgerechnet du! Der einst schüchterne Angsthase, der sich lieber unterm Klettergerüst versteckt und mit seinen Spielfiguren spielt, als gegen Henry Desmond Ball zu spielen.«

»Wie gesagt, Truma, ich musste es tun«, sprach ich ruhig. »Ich habe es mir genau überlegt und ich hatte keine andere Wahl. Ich tat es nicht freiwillig, um ehrlich zu sein, wurde jeder Zelle in meinem Körper speiübel, als ich nur den Gedanken daran hegte, dem Pfad eines Helden zu folgen. Aber …«

»Ich verstehe dich nicht, Marcus«, unterbrach mich Truma erneut. »Du hast doch gesehen, was dieser ehrenvolle Dienst meinem Vater angetan hat. Meinem Dad. Wenn wir nicht so sehr von Kampfeslust und dem Willen, der stärkere Stamm zu sein, zerfressen wären, dann hätten die Helden an jenem Tag nicht versucht, einem Zaubererzirkel zu bekämpfen, und Dad wäre heute noch am Leben. Ich habe Angst, Marcus. Angst, ein weiteres Mitglied meiner Familie zu verlieren. Und jetzt, wo du dich freiwillig ihnen angeschlossen hast, bin ich drauf und dran wieder an einem Begräbnis teilzunehmen. Doch dieses würde mich zerstören, wenn ich den einzigen Bruder, den ich nie hatte, beerdigen müsste.«

»Truma …«, ich wagte einen letzten Versuch, sie zu besänftigen.

»Es tut mir leid, Marcus, aber du musst dich entscheiden«, sagte sie und stellte mir entschieden ein Ultimatum. »Wenn du töricht allein diesen Weg weiter beschreiten willst, dann tu es. Aber zwing mich nicht, erneut dabei zusehen zu müssen, wie ich erneut jemanden durch die Hand eines Helden oder eines Zauberers verlieren werde. Du musst wählen zwischen deiner Arbeit als Held und mir, deiner besten Freundin.«

»… ich kann nicht anders, Truma. Ich muss diesen Weg weitergehen. Ich muss ein Held des Ranges A werden, damit ich mein Ziel erreichen kann. Tut mir leid, aber ich habe meine Entscheidung getroffen. Und ich bitte dich, als bester Freund und als Bruder, den du nie hattest, lass mich nur diesen einen Plan zu Ende führen und dann lege ich meine Waffen nieder.«

»Was ist das schon für ein wichtiges Ziel, wenn du so leichtfertig bereit bist, unsere jahrelange Freundschaft dafür zu riskieren?«, Truma wurde rasender.

Ich zwängte mich aus den Fängen des Sofas, nahm einen kräftigen Schluck von meinem Getränk und setzte mich auf die Couchlehne, um nicht erneut in dieses weiche Gefängnis abzusinken.

»Ich will Razor töten.«

Truma, die soeben ihr Glas noch in Händen hielt, um die letzten Stücke an Obst in ihren Mund rutschen zu lassen, ließ ihr Getränk fallen und das Glas zerbrach in viele winzige Stücke, als es aufprallte.

»Wie bitte?«, fragte sie mich mit einer Erdbeere im Mund. »Du willst was? Das ist doch … Das kann doch nicht … Bist du verrückt geworden?«

»Fast genauso hat auch Daisy reagiert, als sie von meinem Plan Wind bekommen hat«, lachte ich. »Und jetzt lass mich einmal ausreden und hör mir zu. Ich bin kein Held geworden, um mich zu beweisen oder um Ruhm und Ehre einzukassieren. Sondern ich bin bewusst diesen Weg gegangen, um meine Familie, vor allem Mom und Daisy, vor dem einzigen, großen Übel zu beschützen, welches vor vielen Jahren auf uns losgelassen wurde, nämlich Razor. Solange er lebt, werden alle, die ich liebe, von ihm bedroht werden und solange er atmet und sein Herz schlägt, wird niemand sicher vor ihm sein. Ich muss dir dazu eine kleine Geschichte erzählen …«

Ich erzählte Truma, was vor einigen Jahren geschehen war, als Razor Mom gewürgt und sie durchs Wohnzimmer geworfen hatte. Sie erfuhr auch von meinem geheimen Treffen mit Daisy, bei dem sie mir auf dem Dachboden erklärt hatte, sie würde eines Tages an einen sicheren Ort gehen, um etwas in dieser Welt zu verändern. Truma, meine beste Freundin, erfuhr jedes Detail über meine Vergangenheit, das mich zu dem gemacht hatte, zu dem ich geworden war: ein Held, dessen Ziel nicht der Schutz der Unschuldigen war, sondern Rache an einem anderen Helden, der mir und meiner Familie Unrecht getan hatte.

»Verstehst du jetzt, Truma?«, fragte ich sie verzweifelt. »Wenn ich nichts unternehme, dann wird dieses Monster sich wieder an Mom vergehen und vielleicht sogar auch an Daisy. Dad kann uns nicht beschützen, er ist aus irgendeinem Grund Razors treues Schoßhündchen und Mom beschützt ihn auch noch! Wenn ich nichts unternehme, dann wird der Tag kommen, an dem ich auf dem Friedhof Särge in die Tiefen der Erde hinabsinken sehen werde. Vielleicht Mom, Daisy oder sogar dich. So wie ich Razor einschätze, würde er jeden eliminieren, den ich auch nur freundlich erwähnt habe, wenn er Wind davon bekommen würde, dass ich mich an ihm rächen will.«

»Marcus …«, stotterte Truma.

»Verzeih mir, Truma«, unterbrach ich sie mit einer sanften Stimme. »Aber, hättest du nicht den gleichen Weg gewählt, wenn es um deine Mutter oder Ophelia ging? Und hättest du nicht denselben Weg gewählt, wenn du die Möglichkeit gehabt hättest, deinen Vater zu retten?«

Beschämt blickte sie zu Boden.

»Doch das hätte ich«, sagte sie entschlossen. »Und ich glaube, es ist nun an der Zeit, dass ich mich bei dir entschuldige, Marcus.«

»Wieso?«, fragte ich sie erstaunt.

»Ich habe dich für das gefühllose Monster gehalten«, erzählte sie. »Ich dachte mir, dass dir meine Gefühle egal sind und du aus Geldsorgen oder aus einem anderen selbstsüchtigen Grund diesen Weg gewählt hättest, nur um dich über mich lustig zu machen. Aber jetzt, wo ich all das gehört habe, erkenne ich, dass nicht du das gefühllose Monster bist, sondern Razor. Das einzige Verbrechen, was du begangen hast, war es, sich um deine Familie zu sorgen. Und du bist bereit, zu dem zu werden, was du verabscheust, nur um sie zu beschützen. Das ist eine wahre Heldentat, Marcus. Nicht das, was Razor tut. Deshalb entschuldige ich mich bei dir.«

»Schon in Ordnung«, sagte ich und lächelte ein wenig.

»Nichtsdestotrotz muss ich gestehen, dass ich immer noch voller Sorgen und Kummer bin, wenn ich daran denke, dass du diesen Weg alleine gehen musst«, fuhr Truma fort und ihre Stimme war erneut von Elan und Freude erfüllt. Für gewöhnlich hatte sie diesen Tonfall nur, wenn sie etwas im Schilde führte. »Und ich würde es nicht übers Herz bringen, eines Tages in der Zeitung deine Todesanzeige zu lesen und dann jeden Monat dein Grab zu besuchen. Es würde mir mein Herz brechen. Deshalb kann ich, obwohl ich deinen Plan und deine Absichten verstehe und obwohl ich zu neunundneunzig Prozent ebenso die gleichen Entscheidungen treffen würde, dein Ziel nicht gutheißen. Tut mir leid.«

»Truma«, zischte ich. »Ich hatte dir doch erklärt, dass ich keine andere Wahl …«

»Außer natürlich …«, unterbrach sie mich.

»Truma? Was hast du vor?«, fragte ich sie skeptisch.

»Außer natürlich ich wüsste, dass du jemanden an deiner Seite hast, bei dem du sicher bist«, antwortete sie. »Wenn du alleine gegen diese Horde an Bösewichten, Verbrechern, Schurken und finsteren Zauberern kämpfst, jagt es mir einen kalten Schauer über meinen Rücken, wenn ich nur daran denke. Ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie du in die Ecke getrieben wirst. Ein Entkommen ist unmöglich und die Schurken kommen Schritt für Schritt näher. Aber wenn du jemanden hättest, der dir den Rücken freihält und der dir aus so einer verzwickten Situation helfen könnte, dann wäre ich ein weniger ruhiger, und würde deine Entscheidung vielleicht akzeptieren. Nicht gutheißen, nur akzeptieren.«

»Nur leider, habe ich weder einen Handlanger noch bin ich Mitglied in einer Allianz«, erklärte ich ihr. »Ich kann mir keine Helfer leisten, dafür verdiene ich viel zu wenig und wer würde schon mit jemanden wie mir eine Heldenallianz gründen wollen?«

»Ich glaube, ich kenne da eine geeignete Person für diesen Job«, kicherte sie.

»Du meinst doch nicht etwa …?«

»Doch! Mich!«, jubelte Truma.

Ich blickte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Wenn ich in dem Moment einen Schluck aus meinem Glas genommen hätte, dann läge dieses nun ebenfalls zersplittert auf ihrem Fußboden. Mit offenem Mund blickte ich meine beste Freundin an, die mir nun stolz ihre Hilfe anbot, nachdem sie mich einige Minuten zuvor wegen meiner Taten verurteilt hatte. Stille trat in den Raum, jedoch nicht die von der angenehmen Sorte.

»Nein«, sagte ich matt.

»Wie bitte?«, fragte Truma nach, die ihren Ohren nicht trauen konnte.

»Ich kann deine Hilfe nicht annehmen, Truma«, gab ich ihr als Antwort.

»Wenn du ernsthaft glaubst, ich lasse dich alleine gegen diese Horde wildgewordener Helden und …«, sie setzt zu einem starken und präzisen Konter an und ich war mir sicher, dass jedes Wort einen Nerv in meinem Körper getroffen hätte. Doch bevor sie überhaupt die Chance bekam, unterbrach ich sie.

»Es ist nicht so, dass ich deine Hilfe nicht brauche. Ich könnte nur nicht mit dem Wissen leben, dass eines Tages ich vor einem Grab stehen werde und das bloß, weil ich zugelassen habe, dass du mir hilfst. Dies ist mein Kampf und ich trage die Verantwortung. Es sind schon genug Menschen in diese Tragödie involviert, bevor Razor etwas von meinem Plan erfahren konnte. Ich mag es mir gar nicht ausmalen, was er wohl machen wird, wenn er herausfindet, dass du meine Komplizin bist. Er würde dich töten. Er würde deine Mutter töten. Er würde Ophelia töten. Tut mir leid Truma, aber ich kann nicht dein Leben und das deiner Familie riskieren. Ihr seid schon in größter Gefahr und das nur, weil ihr ein Teil meiner Familie seid.«

Truma stand auf und blickte mich ernst an. Ihre Augen verwandelten sie von der einst gütigen und verständnisvollen jungen Frau, in eine rachsüchtige Furie. Sie verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust und blickte mich mit ihrem beschämenden Blick an.

»Wenn du ernsthaft glaubst, ich lasse dich alleine gegen eine ganze Horde von wildgewordenen Verrückten kämpfen, dann hast du dich geschnitten«, fauchte sie mich an. »Ich bin mir durchaus bewusst, welches Risiko ich eingehe, wenn ich mit dir eine Heldenallianz gründe. Ich weiß, dass ich mein Leben damit riskieren und auch das von Mom und Ophelia. Aber wenn ich nichts tue und einfacher nur den Dingen ihren Lauf lasse, dann erwartet uns schon bald ein viel schlimmeres Schicksal. Wer weiß, was dieses Monster dir, deiner Familie oder gar meiner Tochter antun wird, wenn er weiterhin wütet und ihm nicht Einhalt geboten wird? Wenn wir diesen Tyrannen nicht aufhalten, sondern nur Tee trinken und abwarten, dann unterschreiben wir genauso unser Todesurteil, als würden wir in diese dunkle Welt hinausziehen und kämpfen. Ich kämpfe dabei nicht für Ruhm oder Ehre. Ich kämpfe für Mom. Für meine kleine Ophelia. Für Tante Sheila. Für Daisy. Ja, ich kämpfe sogar für Onkel Steven. Und ich kämpfe mit dir, Seite an Seite, mit meinem Bruder, den ich nie hatte. Dad hätte das so gewollt. Er hätte darauf bestanden, dass ich dafür kämpfe, was mir wichtig ist. Und ich lasse mir euch nicht wegnehmen. Ich werde nicht noch ein Familienmitglied an einen machthungrigen Helden verlieren. Sieh es endlich ein Marcus, du wirst mich nicht los.«

Ich wusste nicht, was ich ihr sagen sollte. Ich brachte kein Wort aus meinem Mund heraus. Also stand ich langsam auf und umarmte sie. Ihre verschränkten Arme, die wie ein altes Schloss vor einem rostigen Tor waren, lösten sich und wanden sich wie Ranken um meinen Körper.

»Danke«, flüsterte ich in ihr Ohr.

So sehr mich der Gedanke auch beängstigte, eines Tages Razor gegenüberzustehen und mit ihm bis zum Tod zu kämpfen, so fielen dennoch zahllose Steine von meinem Herzen, als ich erfuhr, dass ich dies nicht alleine tun musste. Ich war froh, jemanden wie Truma als meine beste Freundin zu haben. Jedes Mal, wenn wir uns trafen, erinnerte ich mich immer wieder aufs Neue, weshalb sie wie eine Schwester für mich war. Ich bin dankbar, dass sie damals den schüchternen, zurückgezogenen Jungen unter dem Klettergerüst beim Spielen mit seinen Actionfiguren beobachtet hat.

Ihre Arme wanden sich eilig von meinem Rücken und mit einem fröhlichen Satz, sprang sie zurück auf das Sofa.

»Wir haben noch mindestens eine Stunde Zeit, bevor Mom und Ophelia zurückkommen«, begann sie und zog ihre Beine an ihren Körper heran. »Du musst mir unbedingt erzählen, wie man ein Held wird und was man alles dazu braucht. Vor allem, wie sieht dein Kostüm aus? Ist es schwarz? Oder dunkelblau? Oh! Vielleicht doch eine Mischung aus verschiedenen Grüntönen? Und deine Superkraft! Wie verteidigst du dich, Marcus? Du hast ja keine Superkräfte. Dann musst du eine Waffe haben, aber was für eine? Mit was kämpfst du dich durch die Straßen von Cherryhome? Und bevor ich es vergesse, also erinnere mich daran, falls ich es vergessen sollte, du hattest irgendetwas von einem Rang erwähnt?«

Ihre Fragen schienen kein Ende zu nehmen und im ersten Moment war ich mir nicht sicher, ob ich alle beantworten konnte, ehe Mrs. Seymour und Ophelia durch die Tür kommen würden. Ich deutete ihr mit meinen Händen, dass sie sich beruhigen sollte.

»Immer mit der Ruhe«, sprach ich sanft, selbst meine Stimme hatte sich beruhigt. »Ich beantworte dir all deine Fragen, doch bevor ich dies tue, musst du wissen, dass dies alles andere, als eine spannende Geschichte sein wird.«

»Du hattest recht«, sagte sie, exakt siebenundfünfzig Minuten und zweiundvierzig Sekunden später. »Das war wohl die langweiligste Geschichte, die ich je gehört habe. Dabei habe ich mir gedacht, dass ausgerechnet Helden ein aufregendes Leben führen. Da haben uns aber die Comics und ihre Filme eine gewaltige Lüge aufgetischt!«

Ich hatte mir einige Tage vom Heldendienst freigenommen, um Truma bei ihren Vorbereitungen zu unterstützen. Obwohl ich ihr auch von den dunklen Seiten meiner Abenteuer erzählte und ihr sogar die Geschichte mit den beiden maskierten Schurken die während meiner letzten Mission gestorben waren, anvertraute, weigerte sie sich, von meiner Seite zu weichen.

»Du kannst mir all deine finsteren Geschichten mit deinen grausamen Details erzählen«, sagte sie immer wieder aufs Neue. »Ich werde trotzdem eine Heldin. Ich kann es nicht fassen, dass ich tatsächlich diesen Satz laut ausgesprochen habe.«

Mrs. Seymour hatte sie kein Wort von ihrem Plan erzählt, selbst ihrer Tochter Ophelia nicht. Aber am Tag nach unserem Treffen holte sie mich von zu Hause ab und wir fuhren gemeinsam zum Friedhof von Cherryhome. Dort besuchten wir das Grab ihres Vaters, Rayvan Seymour. Wenn sie schon keiner Menschenseele, außer mir, ihr Geheimnis anvertrauen konnte, dann wollte sie es zumindest ihrem Vater erzählen.

»Glaubst du, dass er von mir enttäuscht sein wird, wenn ich ihm erzähle, dass ich, ausgerechnet ich, eine Heldin sein werde?«, fragte sie mich während wir einem schmalen, gepflasterten Pfad bis zu dem Grab von Mr. Seymour folgten.

»Er wird stolz auf dich sein, Truma«, beruhigte ich sie. »Da bin ich mir sicher. Er hat dich geliebt und dein Vater wird bestimmt verstehen, was dich zu diesem Entschluss bewegt hat. Reihe zweiundsiebzig Ost, hier sind wir richtig.«

Nervös atmete Truma ein und aus. Mr. Seymours Grab war mit frischen weißen Narzissen, gelben Tulpen und einem kleinen Strauß Rosen geschmückt. Bis auf die Tulpen waren alle anderen Blumen bereits leicht verwelkt und ließen müde ihre Köpfe hängen.

»Hallo Dad«, sagte sie und streichelte den dunkelgrauen Grabstein aus Marmor. »Ich habe Marcus mitgebracht.«

»Hallo Mr. Seymour«, sagte ich und tätschelte leicht die kühle und glatte Oberfläche.

»Daddy, ich muss dir etwas sagen, ich weiß nicht, ob es dir gefallen wird aber, so, wie ich dich kenne, weißt du bereits alles. Du hast damals schon immer alles gewusst, noch bevor ich es dir gesagt habe. Nein, ich bin nicht wieder schwanger, aber ich werde eine Heldin. Ich weiß, ich hatte geschworen, nie eine zu werden, aber jetzt ist alles anders. Es ist etwas geschehen. Nicht mit mir oder mit Ophelia oder Mom, aber mit Tante Sheila.«

Sie erzählte ihrem Vater alles, was ich ihr erzählt hatte. Während sie ihre Worte sprach, schweifte mein Blick ab und ich blickte in die Kronen der zahllosen Laubbäume und Trauerweiden, die verstreut am Friedhof standen. Ein sanfter Wind wehte mir eine überraschend kühle Luft um die Nase und die Blätter der Bäume schwangen sanft hin und her. Es war eine fast hypnotische Bewegung, eine die mich innerlich beruhigte. Für einen kurzen Moment hatte ich all meine Sorgen vergessen. Es war ein schönes Gefühl, frei von Angst, frei von Hass, befreit von meinen grausamen Rachegedanken.

»Ich hoffe, du bist mir nicht böse, Daddy, aber ich bin mir sicher, dass du genau so gehandelt hättest wie ich«, sagte Truma und kämpfte damit, ihre Tränen zurückzuhalten. »Ich wollte es dir nur persönlich sagen, nicht, dass du es von irgendjemand anders erfährst. Ich liebe dich, Dad. Bitte sei immer bei mir, wenn ich als Heldin die Menschen beschütze, die ich liebe.«

Sie stand auf und umarmte den Grabstein. Eine Träne schaffte es, sich aus den Fängen hinter ihren Augen zu befreien und floss über ihre Wange. Truma stand auf und wischte sie sich weg.

»Auf Wiedersehen, Daddy«, sagte sie und warf dem Grabstein einen Kuss zu.

»Auf Wiedersehen, Mr. Seymour«, sagte ich und winkte ihm zu.

Ich legte meinen Arm um Truma, während wir langsam den gepflasterten Pfad wieder zurück zum Auto folgten.

»Ich bin so stolz auf dich, Truma«, sagte ich ihr.

Sie lächelte.

Die kommenden Tage beschritt Truma den gleichen Pfad, den ich einst gegangen war, und so begann ihre langsame und ebenso langweilige Transformation in eine Heldin. Genauso wie ich besorgte sie ihr Kostüm bei den Levwoods. Noch am selben Abend rief sie mich aufgeregt an.

»Whoa, whoa«, sagte ich ihr und versuchte sie zu beruhigend. Auch ich senkte meine Stimme, während ich in meinem Zimmer saß und mein Mobiltelefon stark gegen mein rechtes Ohr presste. Das Letzte was ich wollte, war, dass Mom oder noch schlimmer, Dad mich gehört hätten. »Immer mit der Ruhe, Truma. Und senke deine Stimme! Wo sind deine Mutter und Ophelia? Sind sie bei dir?«

»Ophelia schläft bereits und Mom sitzt vor dem Fernseher und sieht sich die neueste Folge ihrer Serie an«, flüsterte Truma. »Ich bin hinaus in die Garage gegangen. Keine Sorge, ich sehe regelmäßig durchs Schlüsselloch, damit keiner lauschen kann.«

»Dann bin ich ja beruhigt«, sagte ich ihr und blickte bei dem Wort ›lauschen‹ sofort in die Richtung meiner Tür. Ich drehte sanft den Drehknopf und spähte für einen kurzen Moment hinaus. Im Wohnzimmer leuchtete ein zartes Licht und ich hörte, wie die Stimme des Nachrichtensprechers in der Ferne ertönte. »Wie war's? Haben dich die Levwoods auch fast mit ihren Maßbändern erwürgt, so wie mich damals?«

»Es war brillant«, kicherte sie. »Ich sag’s dir, dieser Theodore ist vielleicht ein Scherzkeks und Stella, du meine Güte, die hat immer die neuesten Nachrichten. Falls irgendetwas im verborgensten Winkel von Cherryhome geschieht, dann weiß sie es als Erste. Und Virginia, oh Marcus, diese Frau ist noch süßer als die Zuckerwatte, die man alljährlich auf dem Jahrmarkt kaufen kann.«

»Es freut mich, dass du Spaß hattest«, ich versuchte mit aller Kraft, Interesse zu heucheln. Meine Erinnerungen an die Fertigung meines Kostüms waren nicht annähernd so berauschend wie die von Truma. »Und wie sieht dein Kostüm nun aus? Doch was viel wichtiger ist, wie viel haben sie dir dafür verlangt?«

»Na gut, das Kostüm ist nicht ganz so elegant, wie ich es mir vorgestellt habe«, flüsterte Truma und anhand ihrer Stimme konnte ich erkennen, dass sie langsam begann auf und ab zu gehen. Wenn wir miteinander telefonierten, ging sie oftmals mehrere Meilen auf und ab. »Aber stell dir eine Rüstung vor, eine die auf meinen Körper zugeschnitten ist. Sie ist in den vier Farben bemalt, die ich für meine Superkräfte absorbieren kann, also Gelb, Rot, Blau und Grün. Sie hatten sogar die brillante Idee, ein paar violette Elemente einzubauen, als ich ihnen gesagt habe, dass ich mit meiner Superkraft auch kombinierte Farben wieder trennen kann, um so ihre Fähigkeiten zu nutzen. Außerdem haben sie einen weichen, aber dennoch elastischen Stoff in meine Rüstung eingearbeitet. Stella behauptet, dass sie kugelsicher ist, doch das will ich ihr nicht so ganz glauben. Ich habe die drei Geschwister sogar danach gefragt, ob sie das so genau wissen, weil sie es getestet haben. Nichts. Sie schwiegen. Aber der wohl schönste Moment war, als sie mir eine handgefertigte Maske überreicht haben. Sie sieht aus wie eine Ballmaske, die die Form von Feenflügel hat. Sie ist von allen möglichen Regenbogenfarben überzogen. Sie sagten mir, dass sie diese Maske bewusst mit allen möglichen Farben gestaltet hätten, um mir genügend Munition zu geben, falls ich irgendwann einmal in einer Zwickmühle sitzen würde. Ist das nicht freundlich?«

»Und wie viel haben sie von dir verlangt?«, fragte ich sie ungeduldig.

»Für all den zusätzlichen Schnickschnack, den ich haben wollte, rechnete ich mit mindestens tausendfünfhundert Dollar«, begann Truma. »Aber, dann erwähnte Virginia etwas von einem außergewöhnlichen Rabatt. Keine Ahnung, wie er heißt, also frag mich bitte nicht und so zahlte ich am Ende nur sechshundert Dollar.«

»WAS?!«, platzte es aus mir heraus und hielt mir sofort meine Hand vor den Mund.

»Offensichtlich hatten sie vor ein paar Tagen einen jungen Mann als Kunden, der ihnen so gar nicht zugesagt hat«, spottete Truma nichtwissend, dass dieser junge Mann ich war. Denn immerhin hatte ich ihr die Schneiderei nur empfohlen, aber ihr nie gesagt, dass ich vor einigen Tagen bei ihnen Kunde gewesen war. »Merkwürdig nicht wahr?«

Ich schwieg.

»Gut Truma«, sagte ich nach einer kurzen Pause. »Jetzt, da du dein Kostüm hast, kannst du gleich weiter zum Rathaus gehen, da du den Schritt mit der Waffe überspringen kannst. Immerhin besitzt du Superkräfte. Hast du dir schon Gedanken über deinen Heldennamen gemacht?«

»Oh natürlich«, lachte sie. »Und ich habe sogar schon ein paar Favoriten. Wenn es dann schwarz auf weiß auf meinem Zertifikat steht, werde ich dir sagen, wer gewonnen hat.«

»Abgemacht«, willigte ich ein.

Ein oder vielleicht auch zwei Tage später, war Truma auch eine Heldin von Cherryhome. So wie ich.

Sie gab sich den Namen Fairy.

Als Truma und ich uns gemeinsam auf den Weg in unsere zugeteilte Gegend machten, schlug mein Herz mit einer derartigen Kraft, dass ich das Gefühl hatte, dass es jeden Moment aus meinem Brustkorb springen würde. Jetzt ging es nicht nur um meinen eigenen Kopf, sondern auch um den meiner besten Freundin. Truma hingegen war aufgeregt. Sie freute sich schon auf ihre erste Mission.

Als sie im Rathaus erfuhren, dass Gentleman Pain und Fairy eine Heldenallianz gebildet hatten, wurden wir sofort in eine neue Gegend verfrachtet. Weit weg von der sterbenden Straße, die, wie ich am eigenen Leib hatte erfahren müssen, nicht so tot war, wie zuerst angenommen. Ich hatte bereits drei Missionen erfolgreich erfüllt und war nur wenige Aufträge davon entfernt, einen Rang aufzusteigen: Rang E.

Unser neues Einsatzgebiet lag im östlichen Teil der Stadt, ganz am Stadtrand, nur wenige Meilen von unserem großen Ortsschild entfernt, das unser bescheidenes, großgewordenes Örtchen ankündigte.

CHERRYHOME – EIN ORT, AN DEM WUNDER ZU HAUSE SIND

Bürgermeister Crawhall hatte dort mehrere Gebäude errichten lassen. Allesamt waren es neue Bürogebäude, Kaufhäuser, Läden, eine Polizeistation, ein Pflegeheim und sogar ein paar Wohnanlagen, die idyllischem von riesigen Nadelbäumen umgeben waren. Ein Leben mitten in der Natur, umringt von zahlreichen Betonbauten und einem Meer aus Asphalt.

Wenn ich den Anblick zahlreicher leerstehender Gebäude vor mir hatte, die noch leblos und ohne Seele waren, fragte ich mich immer wieder aufs Neue, wieso wir unsere ganzen Gelder für den Aufbau einer neuen Existenz zum Fenster hinauswarfen, Gebiete und belebte Orte wie die »sterbende Straße« jedoch verschwinden ließen, ohne ihnen noch eine weitere Chance zu geben, sich aus dem Staub zu erheben.

»Dieser Crawhall hat bestimmt wieder Schmiergelder von seinen Kollegen in den benachbarten Städten und riesigen Konzernen angenommen«, zischte Truma, als sie die riesigen Bauten betrachtete, die, wie aus dem Nichts, in den Himmel schossen.

Bürgermeister Crawhall hatte in der Vergangenheit mehrmals wegen angeblicher Korruption und Bestechung im Licht zahlreicher Ermittlungen gestanden. Wieso er weiterhin unsere Stadt regierte, blieb mir ein Rätsel.

»Das liegt bestimmt daran, weil er allen Helden so viele Begünstigungen und Steuerschlupflöcher bietet«, sagte Truma, während sie ihren Blick von einem der Gebäude zu den anderen schwanken ließ. Ihr Kopf wippte umher wie einer von diesen Plastikhunden mit den Wackelköpfen. »Und auch bei den Zauberern schleimt er sich ein wie kein anderer. Er ist kein Politiker, wohl eher ein schlechter Schauspieler mit guten Rollen.« Truma schwieg für einen Moment. »Was müssen wir jetzt eigentlich machen?«

»Wir sollen uns hier in diesem Gebiet aufhalten und …«, ich hielt kurz inne und nahm aus meiner Hosentasche das neue Schreiben aus dem Rathaus, auf welchem all unsere Aufgaben für unser neues Areal standen. »… die teuren Gebäude davor beschützen, zerstört, beschädigt oder zu einem Ort krimineller Machenschaften zu werden. Diese neuen Tempel und Bauten sollen nicht unter dem Fluch grauenhafter Publicity oder dem schlechten Ruf, dies sei der Ort, an dem zahlreiche Kriminelle mit Waffen und Drogen gehandelt oder den Zauberer mit ihren Zirkeln verflucht haben, leiden. Minimale Schäden an den Gebäuden können wir ohne Weiteres beheben, aber bei größeren Beschädigungen werden wir dies von ihrem Lohn abziehen.«

»Haben sie neuerdings Poeten im Rathaus?«, fragte Truma sarkastisch. »Um es nochmal auf eine Sprache zu übersetzen, die jeder Mensch versteht: wir sollen also diese Betonmonster hier beschützen und sicher gehen, dass keiner sie anrührt, beschädigt oder krumme Dinge in ihnen gedreht werden, damit diese neue, jungfräuliche Gegend keinen schlechten Ruf bekommt?«

»Sieht so aus«, sagte ich und faltete das Papier wieder so oft, dass es wieder in meine Hosentasche passte.

Wir drehten unsere Runden, die immer länger und größer zu werden schienen. Die unheimlichen Gebäude blickten uns mit ihren zahlreichen Öffnungen, in denen später Fenster und Türen hineinkommen würden, an. Sie wirkten wie ein Porträt, das einen mit seinen Augen verfolgte.

Nach fünf Stunden, in denen nichts geschah und nachdem uns langsam der Gesprächsstoff ausging, passierte etwas. Obwohl ich kein Fan von Ärger oder Konfrontation war, war ich dennoch froh, dass diese langweilige Nacht sich endlich zu einem aufregenden Abenteuer entwickelte.

Vier Personen schlichen sich zu einer der leerstehenden Wohnanlagen. Sie trugen keine Masken, doch sie hatten Kapuzen über ihre Köpfe gezogen. Mit ihren gesenkten Köpfen verschwanden all ihre Gesichter im Schatten der Nacht.

»Sehen diese vier verdächtig aus?«, fragte mich Truma naiv.

»Das ist das Paradebeispiel von Personen, die man zwar sieht, die aber nicht wollen, dass man ihnen folgt«, flüsterte ich. »Komm mit. Wir schleichen uns rein.«

Ich kannte diese Routine und wusste genau, was ich zu tun hatte. Wie ich stehen, wann ich liegen und wann ich mich an die Wand drücken musste. Das Anschleichen an den Gegner war ein wohlbekanntes Spiel, das ich nun Truma zeigen musste. Sie klebte an mir, folgte jedem meiner Schritte. Sie wurde fast zu meinem zweiten Schatten. Wir schlichen langsam den vier Unbekannten hinterher. Sie traten in das Treppenhaus ein und ständig blickte einer wild suchend um sich. Das Gebäude hatte zahlreiche Zimmer, Wohnungen, Türrahmen, leere Räume und Ecken, in denen man sich verstecken konnte. Überall standen Kisten, Laken und Werkzeuge, die von sämtlichen Bauarbeitern wohl sortiert liegen gelassen worden waren.

»Keiner darf etwas davon erfahren, habt ihr verstanden?«, hallte die Stimme von einem der Unbekannten durch das Treppenhaus. Truma und ich schlichen ihnen hinterher und schlängelten uns der Wand entlang. Es waren immer zwei Stockwerke zwischen uns und den Verdächtigen. »Wir verstoßen gerade gegen unzählige Regeln des Bundes. Wir müssen alle schwören, dass unser Plan nicht an die Öffentlichkeit gelangt.«

»Ich sage es dir nicht nochmal«, ertönte eine Frauenstimme. »Wir wissen genau, auf was wir uns eingelassen haben. Wir wissen, was die Konsequenzen sind, wenn sie uns erwischen.«

»Und falls alles klappt, dann sind wir Helden!«, sagte eine weitere Stimme.

»Ja!«, rief die vierte Person. »Dann wird uns der Geheimbund bestimmt nicht mehr böse sein. Wie könnten sie auch, wenn wir die Welt von diesen Ekeln befreit haben, die die Welt in Ruinen sehen wollen?«

»Habt ihr den Verstand verloren?!«, fragte die erste Stimme erzürnt. Die Stimmen wurden immer leiser. Sie hatten das Treppenhaus verlassen und gingen in den siebten Stock des Gebäudekomplexes. Truma und ich liefen auf Zehenspitzen die Treppen hinauf, um kein Wort zu missen. »… uns nie verzeihen! Wie könnten sie auch, wenn wir gegen eines der obersten Gebote verstoßen. Also noch einmal, um alles abzuklären. Keiner und ich meine KEINER, weder aus dem Geheimbund noch sonst irgendwer, darf etwas über unseren Plan erfahren. Nicht davor, nicht während und vor allem nicht nach unserem Plan. Ein falsches Wort, selbst dreißig Jahre danach und sie werden uns dennoch verfluchen. Und falls ihr es nicht schaffen solltet, dieses Geheimnis mit euch ins Grab zu nehmen, dann werde ich eure Zungen einfach mit einem Zauber belegen.«

Es handelte sich um vier Zauberer. Aber was sie planten, wussten wir beide nicht. Offenbar hatten sie etwas Großes vor.

Truma und ich hatten unseren Abstand zu den Unbekannten wieder verringert. Sie versteckte sich einige Meter in einem leeren, schmalen Raum ohne Tür und ich kauerte mich hinter einem Stapel Kisten. Ich umklammerte meine Machete und sah, wie Truma ihre Hände in Position brachte und die Farben ihrer Rüstung zu vibrieren begannen.

»So eine Chance kriegen wir nie wieder«, sagte eine der Stimmen. Sie hatten inzwischen weitergesprochen.

»Jetzt müssen wir immerhin nicht jeden einzeln auflauern und sie umbringen. Mit etwas Glück erwischen wir alle drei auf einmal«, sagte die Frauenstimme.

»Ich habe gehört, dass sie hier stattfinden soll. Kann das sein?«

»Es wird wohl eher hier stattfinden, vor dem Rathaus. Dort finden immer solche Zeremonien statt.«

»Wo ist doch unwichtig. Wir sind doch alle flexibel und ich habe übrigens in der ganzen Stadt Fluchtpunkte verteilt. Wir sollten also in Nullkommanichts an den richtigen Standort sein, falls wir uns an einem Falschen niederlassen. Viel wichtiger ist es, wann sie stattfindet? Die Zeit können wir nicht zurückdrehen und wenn uns diese Chance entgeht, dann können wir weitere Jahre diesen Vollidioten und seinem willenlosen Bund folgen.«

»Mir wird nur schlecht, wenn ich nur an sie denke.«

»Sie sind alle widerlich. Und solche Verräter. Keiner tut auch nur irgendetwas gegen diese Mistkerle und das, obwohl sie eindeutig kaltblütige Mörder sind.«

»Was er nicht schafft, das werden wir tun und alle Generationen nach uns werden es uns danken.«

Ich wollte mich näher an sie heranschleichen. Ich kroch auf meinen Knien den Kistenstapel entlang und spähte über die hölzernen Quadrate. Alle vier Zauberer beugten sich über eine Karte und zeigten mit ihren Fingern auf sie. Einer von ihnen blickte ständig auf seine Armbanduhr und dann wieder zurück auf die Karte. Ich musste näher heran. Als sie alle vertieft die Stadtkarte studierten, bedeutete ich Truma, dass sie sich näher zu mir schleichen sollte. Ich zeigte auf einen Punkt, eine Ecke, in welche sie sich hineinpressen konnte, ohne dass man sie sehen würde. Sie blickte mir in die Augen und nickte. Langsam, fast schon wie eine Heldin, die das ihr ganzes Leben lang gemacht hatte, schlich sie weiter in Richtung Ecke.

Plötzlich begann ein blauer Kreis unter ihr zu leuchten und ein helles, blendendes, hellblaues Licht erfüllte das gesamte Stockwerk. Truma wurde schreiend von ihren Füßen gerissen und einige Meter zurückgeschleudert. Die Wucht der Magie hatte mich gegen die Wand hinter mir geworfen. Kisten fielen um oder brachen auf. Gestelle fielen in sich zusammen. Schrauben, Schlüssel und Bohrmaschinen flogen wie Konfetti durch die Luft. Die Zauberer hatten uns eine Springfalle gestellt, einen Zauber, der auf unbekannte Eindringlinge reagierte und sie weg sprengte. Fast wie eine magische Landmine.

»Hier ist jemand!«, schrie eine der Stimmen.

»Helden!«, rief die Frauenstimme. »Tötet sie! Sie dürfen es niemanden erzählen!«

Ich griff nach meiner Waffe und kroch hinter einen kleineren Stapel von Kisten. Ich blickte hinter mich, Truma taumelte auf ihren Beinen und warf sich hinter eine Betonmauer. Zwei Zauberer ließen ihre pechschwarzen Adern erscheinen und feuerten ihre Zauber auf uns. Ein knisternder Blitz traf eine Kiste über mir und sie zersplitterte. Ich riss meine Arme in die Höhe und verdeckte mir meine Augen, um sie vor den Splittern zu schützen. Der zweite Zauberer schoss Feuerbälle auf Truma.

»Gentleman!«, schrie Truma und formte mit der gelben Farbe ihres Kostüms einen Schutzschild. »Geht es dir gut?!«

»Mach dir keine Sorgen um mich!«, rief ich ihr zu und öffnete nur eines meiner Augen, um zu sehen, ob es ihr gut ging. »Greif an.«

Ein weiterer Blitz schlug ein und die Kiste neben mir zerschellte. Truma rannte mit ihrem gelben, kreisrunden Schutzschild zu mir. Die Feuerbälle platzten wie explosive Luftballons, als sie auf den Schild trafen und mit jedem Treffer wurde er kleiner und kleiner.

»Was sollen wir tun?«, fragte Truma.

»Blau!«, rief ich ihr zu. »Nutzte die blaue Farbe!«

Truma rollte sich zur Seite. Das dunkle Blau ihres Kostüms vibrierte und verwandelte sich in kühle Funken. Truma absorbierte sie, sog sie auf und dann entlud sie ihre Stoßwelle auf die beiden Zauberer. Sie flogen schreiend von ihren Füßen. Einer von ihnen knallte sogar gegen die Wand.

Das ist meine Chance!

Ich sprang auf, hechtete zu ihm nach vorne und schlug mit meiner Faust auf seinen Kopf ein. Er sackte bewusstlos zu Boden.

»Cloud!«, schrie der andere Zauberer. »Cloud hat’s erwischt! Sie haben Cloud erwischt!«

Schreiend und mit seinen Adern fuchtelnd, rannte, schoss der Zauberer einen Blitzstrahl auf mich. Die Wand hinter mir wurde durchschossen und winzige Steine schnitten mir mein Kostüm auf.

Truma lud ihre Kraft mit ihrer roten Farbe auf und plötzlich schoss ein heißer Laser durch die Luft. Alle Zauberer gingen zu Boden. Auch die beiden anderen, die irgendwelche Symbole und Kreise auf den Boden zeichneten.

»Lasst diesen verdammten Schutzkreis und kommt her!«, schrie er die beiden anderen an, während er mich mit weiteren knisternden Blitzen beschoss. »Sie entkommen uns! Und sie haben Cloud erledigt!«

In dem Moment, während eines kurzen Zeitfensters, erkannte ich, was sich in einer der zahlreichen, zerstörten Kisten befand. Spiegel! Wenn ich eines von Dad und Professor Nollten gelernt hatte, dann, dass Spiegel die perfekte Möglichkeit waren, Zauberer von ihrer eigenen Medizin kosten zu lassen.

»Fairy!«, rief ich Truma zu. »Gib mir Rückendeckung!«

Truma absorbierte weitere blaue und rote Farben und Stoßwellen und Laser schossen durch die Luft. Ich sprang auf, rollte mich auf den Boden und wich einem heißen, roten Strahl nur knapp aus. Ich ergriff einen Spiegel. Der Zauberer richtete seine Adern auf mich und ein Blitz zischte wie eine zackige Schlange heraus. Ich fiel zu Boden, umklammerte den Spiegel und versteckte mich hinter ihm. Ich spürte einen starken Druck, als hätte mich der Zauberer mit einem Medizinball aus Metall beworfen. Meine Arme zitterten, doch ich wagte es nicht, den Spiegel loszulassen.

»Aaaaargh!«, schrie er. »Helft mir!«

Der Zauber wurde zu ihm zurückgeschossen und traf ihm mitten auf die Brust. Er flog seinen beiden »Freunden«, oder wohl eher Anhängern, vor die Füße.

»Wir müssen weg«, sagte der Zauberer, dessen Stimme ich zuvor als Erstes im Treppenhaus gehört hatte.

»Aber, wir sind noch nicht fertig!«, protestierte die weibliche Zauberin. »Sonst entkommen sie und sie verraten unseren Plan!«

»Keine Zeit! Komm jetzt.«

Er packte seine Komplizin am Handgelenk. Truma und ich rannten auf sie zu. Der Zauberer ballte seine Hand zu einer Faust und als er seinen Kopf, immer noch im dichten Stoff seiner Kapuze gehüllt, zu uns drehte, öffnete er sie. Liegende Bretter, eine Werkzeugkiste und ein paar Betonsteine, die im Raum verteilt lagen, schienen plötzlich auf uns zu zufliegen, als wären sie von einer fremden Macht besessen worden.

Dieser Zauberer beherrschte offenbar die Macht der Telekinese.

Ich richtete meine Machete auf sie, wehrte einige der fliegenden Geschosse mit meiner Klinge ab und sprang über einen umgekippten Tisch. Truma feuerte ihren letzten Laser ab und ich hechtete auf die beiden zu, bereit ihnen mit einem kräftigen Schwung die Köpfe abzuschlagen. Und plötzlich waren sie weg. Es sah so aus, als wären sie in einen kleinen Punkt mitten in der Luft gezogen worden.

War dies dieser Fluchtpunkt, über den sie gesprochen hatten?

Die Klinge meiner Waffe raste auf den Boden. Anstatt sich in das warme Fleisch dieser hinterhältigen Zauberer zu bohren, biss sich meine Machete ihre Schärfe am kalten und harten Betonboden aus.

Ich atmete schwer. Meine Lunge fühlte sich an, als würde sie jeden Moment platzen. Ich blickte mich um und sah die Zerstörung, die wir angerichtet hatten. Zersplitterte Kisten, Löcher in den Wänden, zerstörte Spiegel, zerstreute Werkzeuge und umgekippte Tische. Das einst organisierte Durcheinander hatte sich zu einem unübersichtlichen Chaos entwickelt und mitten auf dem Schlachtfeld lagen zwei bewusstlose Zauberer.

»Was machen wir jetzt?«, fragte Truma und ihr Kopf schwankte zwischen den beiden Besiegten hin und her.

»Ruf die Polizei«, keuchte ich und ging in die Hocke.

Ich zog meine Maske nur wenige Millimeter hoch, um die kalte Nachtluft auf meiner Haut zu spüren. Meine Knie zitterten und ich hatte das Gefühl, jeden Moment in Ohnmacht zu fallen.

Die Polizei kam wenige Minuten später. Sie nahmen die zwei Zauberer fest. Die einst bedrohlichen Gegner, die mit Feuer und Blitzen auf Truma und mich gefeuerten hatten, saßen nun besiegt und in Ketten gelegt in einem großen, gepanzerten Streifenwagen der Polizei.

»Das entspricht nicht gerade dem, was in Ihrer Vereinbarung stand«, kritisierte einer der Polizisten, als er mit einer Taschenlampe bewaffnet den siebten Stock inspizierte. Der Lichtkegel schwankte von einem beschädigten Objekt zum nächsten. »Ich glaube, ihr müsst damit rechnen, dass dieser Schaden von eurem Lohn abgezogen wird.«

»Ich kann damit sehr gut leben«, scherzte Truma.

Der Polizist warf ihr einen missbilligenden Blick zu, als würde er ihre Aussage für eine Beleidigung halten.

»Das geht schon in Ordnung, Officer«, sagte ich und versuchte, unserer Heldenallianz nicht noch einen Feind zu machen. »Aber wir haben Informationen, die sie vielleicht interessieren könnten.«

»Die da wären?«, fragte er desinteressiert.

»Es waren insgesamt vier Zauberer, doch die anderen beiden sind plötzlich im Nichts verschwunden«, begann ich ihm zu erzählen. »Als ob sie in irgendeine unsichtbare Öffnung gesogen worden wären.«

»Das nennt man einen Fluchtpunkt, Kleiner«, sagte er und nahm ein kleines Notizbuch mit einem Kugelschreiber in Metallicblau heraus. »Hast du noch nie einen Fluchtpunktzauber gesehen?«

»Und dann haben sie noch von einem Plan gesprochen«, ich tat so, als hätte ich seine sarkastische Bemerkung und seine neunmalkluge Art nicht wahrgenommen. »Sie haben irgendetwas Großes vor, etwas, bei dem sie eine Menge an Leuten umbringen wollen.«

»Ja«, warf Truma ein und stemmte ihre Hände in ihre Hüften. »Sie sagten, dass sie so ihre Zielpersonen nicht Einzeln umbringen müssten, sondern dass sie alle auf einmal erledigen könnten.«

»Außerdem erwähnten sie einige Orte in der Stadt, wie das Rathaus und es wurde auch von einer geplanten Zeremonie gesprochen«, setzte ich fort. »Ich konnte die anderen beiden nicht erkennen, aber es handelte sich um einen Mann und eine Frau. So wie sie gesagt haben, sind sie angeblich Mitglieder eines Geheimbundes.«

Der Polizist, dessen Namen ich zum Glück nicht in mein Erinnerungsvermögen eingespeichert hatte, grinste nur und tat so, als hätten wir ihm nichts weiter als Unsinn erzählt.

»Das sind zwar gute Informationen, aber eindeutig zu wenig, um weitere Schritte erkennen zu lassen«, sagte er monoton und kritzelte etwas auf seinen Notizblock.

»Das ist doch nicht Ihr Ernst?«, schoss es entsetzt aus Truma. »Es ist doch offensichtlich, dass sie etwas planen und dass mehrere Menschen in Gefahr sind. Sie haben das Rathaus und eine Zeremonie als Anhaltspunkt, das sollte doch reichen, um weitere Schritte in Betracht zu ziehen.«

»Pass auf, was du sagst, Heldin!«, die Stimme des Polizisten, den ich in diesem Moment Officer Donkey getauft hatte, wurde herrisch und bedrohlich. »Ich lasse mir nicht von irgendwelchen Amateuren wie euch, die zufällig mit Kräften gesegnet sind, erklären, wie ich meinen verdammten Job zu erledigen habe! Ihr seid nichts weiter als ein paar Witzfiguren in Kostümen! Also nehmt eure lächerlichen Vermutungen und bringt sie jemanden, den es interessiert und lasst die richtigen Leute an diese Aufgabe heran!«, steckte seinen Notizblock weg und leuchtete uns mit seiner Taschenlampe an. Seine Stimme wurde zwar wieder leiser, doch sie war mit genauso viel Wut geladen, wie zuvor. »Ihr kommt für den entstandenen Schaden auf und dann will ich, dass ihr diesen Ort hier verlasst. Eure Schicht wird vorzeitig beendet. Geht nach Hause und hindert nicht ehrwürdigen Menschen daran, ihre Arbeit zu machen.«

»Sie können uns doch nicht einfach von unserer Mission befreien«, fuhr es aus mir heraus. »Wir haben einen Eid geleistet, dass wir …«

»ICH habe die Befugnis, euch jederzeit von eurem aktuellen Dienst zu befreien, wenn ihr eine Gefahr für mich, meine Mitarbeiter, das Wohl der Stadt oder eines anderen Unschuldigen darstellt. So, wie ich es sehe, seid ihr wohl aktuell eine weitaus größere Gefahr für die Stadt, als zwei entflohene Zauberer, die es nicht einmal geschafft haben, euch zwei Flaschen im Kampf zu besiegen. Also dreht euch nun um und VERSCHWINDET VON HIER!«

Die Sonne hatte sich noch nicht gezeigt und doch wurde ein schmaler Streifen am Horizont in ein angenehmes aquamarinblau getaucht, während der restliche Himmel noch schwarz zu sein schien. Truma und ich gingen zu Fuß durch die noch schlafenden Straßen der Stadt. Eine unheimliche Stille erfüllte Cherryhome und ich war mir sicher, dass wenn ich eine Nadel mitten auf der Straße hätte fallen lassen, im Umkreis von einer halben Meile jede noch wache Person den zarten Klang des Metalls gehört hätte.

»Was glaubst du, haben diese Zauberer mit ihrem Zirkel heraufzubeschwören versucht?«, fragte Truma, während ihr Blick auf die verblassenden Sterne am Himmel gerichtet war.

»Wie meinst du das?«, fragte ich Truma viel zu müde und abgelenkt, um auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.

»Der eine Zauberer hat etwas von einem Schutzzauber gefaselt, während die Zauberin davon gesprochen hat, uns aufhalten zu müssen und dass sie deshalb diesen Zauber vollenden mussten«, sagte Truma und blickte mich nicht an. »Da frage ich mich, wer von ihnen nun gelogen und wer die Wahrheit gesagt hat.«

»Truma«, begann ich erschöpft. »Ich habe jetzt keine Kraft mehr, mir wegen solch winziger Lappalien Gedanken zu machen. Es war eine harte Nacht und vor wenigen Minuten hat uns ein Polizist noch als Lügner und Amateure bezichtigt.«

»So eine Lappalie ist es gar nicht«, endlich blickte mich Truma an, nachdem die Sterne endgültig verblasst waren und der tiefschwarze Himmel eine dunkelblaue Farbe annahm. »Es ist ein wichtiger Unterschied, ob ein Zauberer ein Schutzzauber kreieren will oder eine weitere Springfalle. Solche Unterschiede können uns in Zukunft das Leben retten oder uns vor viel Ärger bewahren. Ich habe mir das unvollendete Muster ihres Zirkels genau angesehen. Wenn wir wissen, was es bedeutet, können wir in Zukunft vielleicht unangenehmen Überraschungen vermeiden. Ich bin nicht so scharf darauf, in eine weitere Springfalle zu treten.«

»Truma, ich bitte dich …«, ich wollte meine letzten Kräfte sammeln, um Truma zum Schweigen zu bringen oder sie zumindest davon zu überzeugen, ihre Theorien ein anderes Mal mitzuteilen, aber plötzlich drangen Schmerzensschreie an mein Ohr und ein raues Lachen. »Hast du das gehört?«

Truma zuckte zusammen und blickte erschrocken in die Ferne, wie ein Reh, das in das Scheinwerferlicht eines Autos starrte.

»Komm mit.«

Nicht einmal eine halbe Meile entfernt, sahen wir beide die Quelle des Schreis. Wir wagten es nicht uns zu nähern und obwohl keiner der winzigen Akteure in dem Kampf einen Blick auch nur in unsere Richtung warf, kauerten wir hinter einem überladenen Müllcontainer. Es musste ein heftiger Kampf getobt haben, aber Truma und ich sahen nur die Kapitulation. Vor einem prunkvollen, alten Gebäude, auf dessen Fenstern und Dächern in Marmor gehauene Männer und Frauen, die mit Schwertern, Morgensternen, Dreizacks und Speeren bewaffnet waren, thronten, lagen mindestens acht oder vielleicht sogar neun oder zehn tote Zauberer. Einer, ein einziger Überlebender, kroch schwer verwundet auf die Straße. Er suchte nach Hilfe. Truma schnappte nach Luft und wollte ihm schon zur Hilfe eilen. Aber ich packte sie an ihrem Arm und zog sie mit aller Kraft wieder hinter den Müllcontainer.

»Wir müssen ihm helfen!«, rief sie panisch. »Er braucht unsere Hilfe!«

»Ssssshhhhht!«, zischte ich und presste meinen Zeigefinger auf meine Lippen. »Sie doch«, flüsterte ich ihr ins Ohr.

»Bitte!«, rief der Zauberer, der wie ein verwundetes Tier immer weiter und weiter kroch. »Hilfe! Irgendjemand! Helft mir!«

Eine große Gestalt erschien plötzlich hinter ihm. Mit seinem großen, schwarzen Stiefeln, stieg er dem fliehenden Zauberer auf den Rücken. Der Verwundete schnappte nach Luft. Er zappelte und versuchte, sich zu befreien, wie ein Fisch der auf trockenem Sand lag. Der große Mann beugte sich lachend zu ihm hinunter und zog ihm, am Hals fest gepackt, wie ein totes Kaninchenkadaver in die Höhe. Die Beine des Zauberers hingen in der Luft. Er versuchte, zu atmen, doch die Finger des Mannes drückten sich immer mehr um seine Kehle.

»Razor!«, rief ein zweiter Mann, der aus dem Gebäude gestürmt kam. »Nicht! Lass uns die Polizei rufen. Es ist heute bereits zu viel Blut vergossen worden. Lassen wir ihn verhaften, er wird seine gerechte Strafe schon bekommen. Aber töte ihn nicht. Er hat heute Nacht schon alles verloren.«

Der Mann, der sprach, war ein Held. Es war Dad.

»Weißt du, was der Unterschied ist, zwischen einem wahren Helden und einem Verräter?«, fragte Razor hämisch und presste seine Hand wie eine Schraubzwinge fester um den Hals des verwundeten Zauberers. »Ein wahrer Held ist bereit, bis an die Grenzen seiner Macht zu gehen, um das zu tun, was richtig ist. Ein echter Held schreckt nicht davor zurück seinen Feind zu vernichtet und ihm alles zu nehmen, was er hat. Seine Lieben. Seine Hoffnung. Sein Leben. Es ist wichtig, damit der Feind dem Helden nicht bei der erst besten Gelegenheit ein Messer in den Rücken stößt. Ich bin ein wahrer Held, Warrior, das solltest du wissen und ich bin bereit für dich und für diese verdammte Stadt, bis ans Äußerste zu gehen.«

»Razor! Nicht!«, schrie Dad.

Plötzlich brach Razor das Genick des Zauberers. Truma unterdrückte einen Schrei und presste ihren Mund mit ihrer Hand zu. Ich brachte keinen Schrei heraus. Meine Stimme verschwand, als ich sah wie Razor den Hals des Mannes ohne Anstrengung brach. Als würde man ein großes Kind dabei beobachten, wie es mit einer Hand verdorrte Zweige in zwei Hälften schnippt.

»Alles, was ich heute getan habe, war nötig, um euch alle zu schützen«, fuhr Razor fort, nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte und damit vor Dads Gesicht herumfuchtelte wie ein forscher Lehrer mit seinem Stock. »Ich bin bis zum Äußersten gegangen. Für diese Stadt. Für euch. Für dich. Und so dankst du es mir? Dass du mich und meine Entscheidungen in Frage stellst?!«

»Das ist Mord, Razor«, sagte Dad ruhig. »Wir haben heute Nacht gemordet. Wir sind nichts weiter als gut bezahlte Mörder, die legal in diesen Straßen herumlungern und jeden einsperren lassen können, der uns nicht zu Gesicht steht. Das hat nichts mehr mit Heldentum zu tun.«

»Scheiße!«, schrie Razor und stampfte mit seinem Fuß auf. Der Müllcontainer begann zu zittern und Truma und ich wurden von unseren Füßen geworfen. Der harte Aufprall auf den Asphalt zog wie ein brennender Blitz durch meinen Körper. Ich hielt mir den Mund zu, biss mir sogar auf meine Hand, nur um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Truma und ich pressten uns gegen das kalte Metall des Containers und vorsichtig spähten wir um die Ecke, des dunkelgrünen Behälters. »Du weißt doch sehr gut, Warrior, dass es zwei Dinge gibt, die ich hasse. Wenn mir keiner den Respekt erweist, den ich verdient habe und wenn meine engsten Verbündeten mir nicht loyal sind. Und du schmeißt nicht nur meinen verdienten Respekt in den Dreck, sondern trittst auch noch deine Loyalität mir und der Allianz gegenüber mit den Füßen. Vielleicht muss ich dir wieder zeigen, was es heißt, mich zu respektieren. Ich war eindeutig zu weich mit dir. Alle anderen, habe ich vor jeder Mission abgerichtet und jetzt sind sie loyale Handlanger. Aber dir habe ich viel zu viele Freiheiten gelassen. Das werde ich ab jetzt ändern. Und was den Respekt angeht, wenn du mir nicht den verdienten Respekt geben willst, dann prügle ich ihn einfach aus deinen Kindern oder aus deiner Frau. Sie werden brechen wie kleine Porzellanfigürchen. Dann werden wir sehen, wie viel Stolz du noch haben wirst, wenn sie mich auf Knien anflehen werden, aufzuhören.«

»Das würdest du nicht wagen«, drohte Dad.

»Oder was?«, zischte Razor und pustete meinem Vater den Dampf dieser stinkenden Zigaretten in sein Gesicht. »Du bist kein Held. Du bist ein wertloser Amateur, ein Fan, mehr nicht. Ohne Superkräfte. Du willst mir drohen? Nur zu. Droh mir.«

Dad blickte ihn mit einem wütenden Blick an. Seine Augen schienen zu glühen und sein Kopf wurde purpurrot. Dads Lippen kräuselten sich und er versuchte jedes Wort, das versuchte, aus seinem Mund zu hüpfen, wieder herunterzuschlucken. Dad atmete tief durch und senkte seinen Blick. Wie ein beschämter Hund blickte er seinem Herrchen nicht in die Augen. Er bat um Vergebung.

»So ist’s gut«, sagte Razor. »Gehorchst du mir nicht oder stellst du meine Entscheidungen wieder in Frage, wird deine Familie den Preis dafür bezahlen. Also, ich frage dich erneut. Bist du bereit für mich, für diese Allianz und für diese Stadt ans Äußerste zu gehen? Dich bis an die Grenzen deiner Macht zu stoßen?«

»Ja, bin ich«, antwortete Dad und sein starrer Blick richtete sich auf Razors dunkle Stiefel.

»Glaubst du, dass die heutige Nacht eine ehrenvolle Nacht voller Heldentaten und ruhmreichen Errungenschaften war? Oder war dies eine Nacht, in der wir gemordet haben?«

Dad blickte Razor angewidert in die Augen.

»Es war eine ruhmreiche Nacht«, antwortete Dad. »Wir sind die wahren Helden dieser Stadt.«

»Und eine Frage habe ich noch«, Razor ging provokativ auf und ab, wie ein schlechter Schauspieler. »Glaubst du, dass es richtig von mir war, diese widerwärtige Ratte von einem Zauberer zu töten? Oder hätte ich ihn am Leben lassen sollen? Oder noch schlimmer, hätte ich ihn wie ein Verräter von der Polizei verhaften lassen sollen?«

Sag nichts, Dad. Bitte, sag nichts.

»Du hast die richtige Entscheidung getroffen, Razor«, es bereitete Dad sichtlich Schmerzen, diese Worte auszusprechen. »Jeder hätte so handeln müssen, wie du es getan hast. Du solltest ein Beispiel für alle Helden sein.«

»Verdammter Schleimer«, lachte Razor. »Aber, siehst du? Das war doch nicht so schwer. Also, komm jetzt in meine Arme, mein Freund. Ich verzeihe dir!«

Razor riss seine muskelbepackten Arme auseinander und lachte Dad an. Seine Zähne sahen aus wie winzige Perlen und während sein Gebiss dem eines reichen Schauspielers aus Hollywood ähnelte, ließ ihn der Qualm, der ihm aus seinem Mund stieg, aussehen wie ein Dämon aus den Tiefen der Hölle. Dad fiel in die Umarmung des großen Grizzlybären, der ihn knurrend und rau lachend tätschelte.

»Es ist wieder alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen«, sagte Razor und dämpfte seine Zigarette auf dem Boden aus. »Aber dieser kurze Zwischenfall hat mich auf eine Idee gebracht.«

»Und was ist dir eingefallen?«, fragte Dad, dessen Stimme von Angst erfüllt war. Angst davor, was für kranke Fantasien diesem Monster wieder durch den Kopf gingen.

»Ich finde wir müssen ein Zeichen setzen«, Razor wirkte wie einer von diesen Politikern von den Tagen der Wahl, in welchen er mit hochgehaltener Nase und sanfter Stimme zu seinen Wählern sprach.

Zumindest kannte ich diese Angewohnheit von Bürgermeister Crawhall.

»Von dem heutigen Abend an werden wir jeden Feind der uns bekämpft umbringen und es ihm nicht erlauben unsere schöne Stadt und diese herrliche Welt, mit seiner bloßen Anwesenheit zu beschmutzen. Ausnahmslos.«

Dad blickte seinen Freund mit geöffnetem Mund an. Razor hat mit nur einem Satz, seiner gesamten Allianz den Befehl erteilt, keine Gefangenen mehr zu machen, sondern jeden zu ermorden, der sich ihnen in den Weg stellte. Aus der Gruppe von einstigen, glorreichen Helden, wurde eine Bande kaltblütiger Mörder. Dad hatte recht und er war in diesem stählernen Käfig gefangen. Denn der Einzige, der den Schlüssel für sein Gefängnis besaß und ihm somit auch die Freiheit verwehrte, war Razor.

»Du hast doch nichts entgegenzusetzen, oder?«, Razors prüfender Blick fiel auf Dad, der ihn immer noch mit offenem Mund anstarrte.

»N-nei-nein«, räusperte Dad.

»Gut.«

Ich dachte, ich würde nie einschlafen können. Während Truma und ich, schweigend und fast wie lebende Tote den Weg nach Hause folgten und uns nicht einmal von einander verabschiedeten, kreisten meine Gedanken um Dad. In all der Zeit hatte ich ihn für einen Feigling gehalten, für jemanden, der nichts Manns genug war, seinem besten Freund die Stirn zu bieten und seine Familie zu beschützen. Aber er hatte Angst. Nicht um sein Leben oder um seinen Ruf als Held, sondern um uns. Um mich, Mom und Daisy. Razor legte jedem von uns die Klinge an den Hals und falls Dad nicht Männchen machte, würde er, ohne mit der Wimper zu zucken, jeden von uns dreien die Kehle durchschneiden. Und Dad würde weinend und mutterseelenallein zurückbleiben, mit seiner Frau und seinen beiden Kindern unter der Erde. Razor wusste, dass dies Dads größte Schwäche war. So konnte er ihn dazu zwingen, still zu bleiben und sich schützend vor ihn zu stellen, anstatt uns mit nur einem einzigen Wort zu schützen.

Und auch Mom hatte recht.

Ich erinnerte mich zurück, als ich nach dieser furchtbaren Nacht Mom angefleht hatte, mit mir und Daisy zu verschwinden. Aber sie hatte sich geweigert. Während ich vor Wut rasend über Dad herzog und ihn nicht einmal mehr als meinen Vater ansah, schützte ihn Mom. Sie sagte, dass wenn es eine Person gäbe, die Schutz brauchte, dann wäre es Dad. Ich konnte es nicht glauben. Ich wollte es nicht glauben. Aber als ich sah, wie Dad versuchte, einen verwundeten Zauberer, den größten Feind eines jeden Helden, zu beschützen und ihn mit dem Leben davonkommen zu lassen, geschah etwas in mir. Ich fühlte mich erleichtert, aber auch beschämt. Ich war froh, dass Dad immer noch tief in seinem Inneren und hinter all den Kostümen, Kodizes und Masken versteckt, der gleiche Mann war, zu dem ich seit meiner Kindheit aufblickte. Doch, wenn ich daran zurückdachte, mit welcher Leidenschaft ich Dad ins Exil verbannt oder ihn ohne einem Abschiedsbrief verlassen hätte, schämte ich mich.

Ich hätte es besser wissen sollen. Ich hätte ihm vertrauen sollen. Nach all diesen Tagen und all dieser Zeit war er immer noch mein Vater. Der Mann, der Mom, Daisy und mich von dem ersten Tag an, seitdem er ein Held war, beschützte. Er tat es wieder und wieder, jenen Tag, ohne dass ich es wusste, verborgen und im Schutz des Geheimen und Unbekannten. Dad wusste bestimmt gar nicht, dass ich alles gesehen hatte. Dass ich jedes seiner Worte gehört hatte. Wäre ich in jener Nacht nicht Zeuge dieser wahrhaftigen Heldentat gewesen, hätte ich weiterhin mit Verachtung auf ihn herabgeblickt und mich für ihn geschämt. Ich hätte mich nicht als sein Sohn gesehen und wahrscheinlich hätte ich irgendwann Mom und Daisy davon überzeugt, mit mir wegzulaufen. Wir hätten uns vor ihm versteckt und Dads gesamte Welt, wäre vor seinen Augen zerbrochen. Und was hätte ich getan? So wie ich mich kenne, hätte ich keine Reue und keine Scham empfunden. Ich glaube, dass ich nach Razors Tod, dies am allermeisten herbeigesehnt hätte. Dad für seinen Verrat büßen zu lassen. Mein Vater tat alles aus einem bestimmten Grund und ich war zu naiv gewesen, um es zu verstehen. Wenn sich einer schämen sollte, dann war es ich.

Ich versteckte mich in einem toten Winkel hinter unserem Haus, zog mein Kostüm aus und schlich mich hinein. Jede Nacht, wenn ich aufbrach, um mich auf eine Mission zu begeben, sperrte Daisy exakt um halb zwei Uhr morgens die Hintertür auf, damit ich mich hineinschleichen konnte, ohne dass mich jemand bemerkte. Langsam flog ich die Treppe hoch, versteckte mein Kostüm und setzte mich auf mein Bett. Ehe ich mich versah, blinzelte ich noch meine dunkle Wand an, auf welcher ich das Schattenspiel sah, dass mir jede Nacht die Straßenlaterne ins Zimmer warf. Die Äste der Bäume, die im gleichen Abstand vor unseren Häusern aufgereiht standen, waren die perfekten Schattenspieler. Doch schon im nächsten Moment wurde es dunkel und ich schlief.

»Das ist ja wunderbar!«, rief Mom begeistert.

»Das ist super, Dad!«, jubelte Daisy.

Ich schoss in die Höhe. Ich wusste nicht, wie spät es war, aber die grellen Sonnenstrahlen, strichen mein Zimmer in ein stechendes Gelb. Ich verdeckte meine Augen und taumelte hinaus auf den Flur. Während ich die Treppe hinunter torkelte, kamen mir all die schrecklichen Bilder, die ich den Tag zuvor gesehen hatte vor wie ein schlechter Traum: ein Tagalbtraum.

Ich ging ins Wohnzimmer und sah wie Mom in Dads Armen lag und lachte. Daisy hüpfte aufgeregt durch das gesamte Zimmer und sogar Dad strahlte übers ganze Gesicht. In seinen Armen hielt er einen Brief. Seine Finger hatten in wie Zangen, die ein Stück Holz festhielten, fest umklammert.

»Haben wir in der Lotterie gewonnen?«, scherzte ich.

»Oh, Marcus!«, rief Mom und blickte mich freudig an.

»Dad! Erzähl’s ihm!«, sagte Daisy aufgeregt und tippte mir mit ihren dünnen Fingern auf meine Schulter. »Das wirst du nicht glauben.«

»Erzähl’s ihm, Steven«, sagte Mom und lehnte sich gegen Dads Brust.

Die beiden sahen aus, wie ein verliebtes Paar auf einem Filmposter eines Liebesfilms aus den zwanziger oder dreißiger Jahren. »Steven und Sheila – ich liebte einen Helden«.

»Beruhigt euch«, Dad versuchte, die beiden zu beruhigen, doch auch er lachte bei jedem zweiten Wort. »Ich sag’s ihm.«

»Was ist passiert?«, bei all der Euphorie wurde ich langsam skeptisch.

»Etwas wundervolles«, warf mein ein.

»Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass du diesen Preis mal erhalten wirst«, lachte Daisy und sprang Dad in die Arme.

»Preis?«, fragte ich Dad. »Was für ein Preis denn?«

»Weißt du, Marcus … Sheila, Daisy, beruhigt euch«, Dad lachte erneut. »Beruhigt euch, bitte. Schon gut, schon gut.«, Dad räusperte sich. »Nun Marcus, dies hier ist ein Brief vom Bürgermeister persönlich. Gestern hatten wir unsere fünfhundertste Mission erfolgreich beendet. Das ist ein Rekord! Zumindest hier in Cherryhome. Und«, Dad begann aus dem Brief vorzulesen. »Aufgrund unserer überragenden und ehrenvollen Leistungen für diese Stadt und deren Einwohner erhalten wir die Ehrenmedaille von Cherryhome.«

Ich blickte Mom und Daisy überrascht und mit weit aufgerissenen Augen an. Die beiden grinsten und kicherten. Sie hatten auf genau diese Reaktion von mir sehnsüchtig gewartet. Wie wenn ein Baby endlich das Wort »Mama« oder »Dada« sagt.

»Dad«, stotterte ich. »Das ist … w under-wunder- ich meine wunderbar.«

»Es soll eine Verleihungszeremonie vor dem Rathaus stattfinden«, fuhr Dad begeistert fort und wechselte seinen Blick zwischen mir und dem Brief hin und her. Immer wieder einmal blickte er zu Mom und Daisy, welche wie zwei Cheerleader bei jedem seiner Worte jubelten. »Es ist eine ganz große Feier. Die gesamte Stadt ist eingeladen und sogar das Fernsehen wird kommen!«

»Ich bin so stolz auf dich Dad!«, prustete Daisy.

»Ich auch, Steven«, Mom versuchte, ihre Freudentränen in Zaum zu halten, und presste Dad einen riesigen Kuss auf seine Wange.

»Dad, ich weiß gar nicht was ich sagen soll«, sagte ich und versuchte, das Wortgewirr in meinen Gedanken zu einem richtigen Satz zu bilden. »Ich bin stolz auf dich.«

»Danke, mein Sohn«, Dad lächelte. Er kam auf mich zu und umarmte mich.

Für einen kurzen Moment schien alles in Ordnung zu sein. Dad war glücklich. Mom hatte ihre Ängste hinter sich gelassen. Daisy hatte ihre Freude wieder gefunden und ich war froh, dass Dad wieder ein Teil meiner Familie war.

»Dad?«, fragte ich ihn und löste mich von der Umarmung. »Was hast du nochmal gesagt? Es findet eine Verleihungszeremonie vor dem Rathaus statt?«

»Ja«, antwortete Dad. »Stimmt irgendetwas nicht?«

Rathaus. Zeremonie. Die Worte stachen wie Nadeln durch meine Haut und trafen einen Nerv tief in mir. Genau diese beiden Worte hatten die Zauberer bei meiner letzten Mission erwähnt. Es überkam mich wie ein böser Geist, der versuchte von mir Besitz zu ergreifen. Sie hatten etwas Großes vor und sie sagten, dass sie nicht jeden einzeln töten mussten, sondern alle auf einmal umbringen könnten. Die Bilder zogen vor meinem Auge vorbei wie eine alte Diashow. Truma und ich hatten zwar zwei Zauberer unschädlich gemacht und dafür gesorgt, dass sie eingesperrt worden waren, aber zwei weitere sind entkommen. Sie sind einfach durch den Fluchtpunkt gesprungen und sind vor meinen Augen verschwunden. Ich konnte sie nicht einmal verwunden, sodass sie ihren Plan verschieben musste. Und die Polizei glaubte weder Truma noch mir. Für sie waren wir nur Amateure und Möchtegernhelden, die versuchten ihnen ihre Jobs abspenstig zu machen. Was würde sie daran hindern, ihren grausamen Plan in die Tat umzusetzen? Keiner glaubte uns und die einzigen beiden, die von ihren Machenschaften wussten, waren Truma und ich. Die üble Prophezeiung drohte wahr zu werden und das Schlimmste war, dass, egal wie ich es drehte oder verformte, egal welche Theorien ich noch versuchte aus diesen Sätzen herauszuziehen, dies schien die einzige, logische Schlussfolgerung zu sein.

War es das, was die Zauberer vorhatten? Wussten sie von der Verleihungszeremonie? Wollten sie Dad umbringen? Planten sie einen Angriff?

Tausend Gedanken strömten wie ein gewaltiger Tornado durch meinen Kopf. Ich hoffte, dass ich mich irrte. Hoffte, dass die Zauberer von etwas völlig anderem sprachen. Eine andere Zeremonie, in einer anderen Stadt. So sehr ich auch den Tod von Razor herbeisehnte, so sehr fürchtete ich mich auch davor, meinen Vater zu verlieren. Jetzt, wo ich ihn erst wiedergewonnen hatte, war ich nicht bereit, ihn wieder gehen zu lassen.

»Marcus?«, fragte Dad besorgt. Auch Mom und Daisy blickten mich mit besorgter Miene an. »Alles in Ordnung? Sag doch was?«

»Dad«, begann ich. »Es ist alles in Ordnung.«

»Bist du dir sicher?«

»Ganz sicher. Ich bin nur von all den guten Neuigkeiten überwältigt. Dad?«

»Ja, mein Sohn?«, fragte mich Dad und legte mir seine Hand auf die Schulter.

»Wann findet diese Zeremonie statt?«, ich hatte gehofft, mir mehr Zeit kaufen zu können. Wenn die Verleihung erst in einer Woche wäre, hätten Truma und ich noch genug Zeit die Zieher der Fäden ausfindig zu machen.

Dad blickte erneut auf den Brief. Seine Augen überflogen jede Zeile und seine Lippen formten jedes Wort in einer unglaublichen Geschwindigkeit nach.

»Am dreißigsten«, antwortete Dad und lächelte, dann ließ er den Brief senken und sah mich wieder an. »Also mit anderen Worten…«

»Morgen«, beendete ich den Satz.

»Genau.«

Ein Tag. Das war zu wenig Zeit.

Heroes vs. Wizards

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