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THE LEMON DROP COFFEE SHOP

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The Lemon Drop Coffee Shop ist unser zweites Wohnzimmer, das hippste, schickste und originellste Etablissement diesseits und jenseits des Flusses. Und verdient hat es sich dieses Konglomerat an Superlativen durch die schlichte Tatsache, dass es sich hierbei um zwei Lokale in einem handelt. Morgens um 5 Uhr öffnen sich die Pforten des Lemon Drop Coffee Shops, um den Morgenstund-hat-Gold-im-Mund-Fanatikern bei Klassischer Musik und einer reichhaltigen Frühstückskarte den Start in den Tag zu versüßen. Im Laufe eines Tages findet sich hier alles ein, was irgendwie mit New Economy, Hochfinanz und Kunst zu tun hat. Oder Leute, die einfach nur Bock auf einen guten Kaffee haben. Aber das Sensationellste kommt abends: Um Punkt 19.45 Uhr wechseln die Kellner zuerst ihr Outfit, dann die Tischdeko und die Kartenauswahl. Und um Punkt 20.00 Uhr dreht sich das über dem Eingang hängende 3 Meter breite 50er-Jahre-Retro- Emaille-Schild mit der Aufschrift "The Lemon Drop Coffee Shop" automatisch um und kommt mit der Aufschrift "The Lemon Drop Martini Bar" wieder zum Vorschein. So geil, echt. Ich vergleiche das gerne mit Bruce Wayne, der mit einem Chevy in irgendeinen Berg fährt, kurz darin verweilt, um dann höchst lässig als Batman im Batmobil wieder aus der Höhle heraus zu jetten.

Aber zurück zur Martini Bar: Die musikalische Untermalung kommt dann von Francis Albert Sinatra und Kollegen, Ella Fitzgerald, Dizzie Gillespie und dem ganzen bis heute unerreichten Rest der ersten Garde des Jazz. Dazu gibt es von kleinen süßen Leckereien bis hin zum Filetsteak für 30 Euro so einiges, um dem BAföG-gesponserten Studenten bis hin zum Was-kostet-die-Welt-Gourmet was für's Geld zu bieten. Ich liebe diesen Laden, nicht zuletzt, weil die Besitzerin eine gutaussehende-um-die-Fünzigjährige ist, die mich, und das weiß ich aus einer sicheren Quelle, genauso heiß findet, wie ich sie. Der Grund, warum es zwischen uns bis heute zu keiner Kohabitation kam, ist ihr Ex-Ehemann. Ja, ich weiß, Ex klingt doch ganz gut. Aber im Kontext mit Gerüchten, in denen Begriffe wie Mafia, Schutzgelderpressung und geladene Waffen Erwähnung finden, klingt Ex eben nicht gut. Aber egal, man kann sie halt nicht alle haben. Der Laden ist jedenfalls heiß und wenn's ginge, würde ich hier sofort einziehen. So, und bevor ich dafür sorge, dass meine beiden Freunde einen qualvollen Erstickungstod durch einen Blaubeer-Muffin erleiden, möchte ich doch noch eines wissen:

"WARUM ILSE???"

Mickey schluckt besorgt, wohl wissend, dass ein Maximilian Sturm in diesem Zustand nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Dann wagt er es aber doch tatsächlich, das Wort an mich zu richten:

"Siehst du, genau das ist der Grund, warum ich es dir nicht gesagt habe. Ich wusste, dass du austickst! Außerdem musste ich Ilse versprechen, dir nichts zu erzählen."

"Äh ... was??? Sag mal, soll das ein Witz sein??? ... nur weil du den Namen eines Komikers trägst, bedeutet das noch lange nicht, dass du auch einer bist!!! Und überhaupt: Seit wann halten wir denn Versprechen, die uns irgendwelche Frauen abverlangen?"

Mickey starrt verstört in seine Espresso-Tasse, in der er seit ca. 10 Minuten herumrührt, und ich habe nicht den Eindruck, als wäre er gleich damit fertig.

"SUCHST DU DA DRIN NACH GUTEN ERKLÄRUNGEN, ODER WAS? HÖR AUF DAMIT! ..."

Mickey lässt augenblicklich den Löffel fallen und sein Blick zuckt quer durchs Café, fast so, als suche er den Notausgang.

"Also wann war das? ... und wie kam es überhaupt dazu? ... ich will das jetzt wissen!!!"

"Es ... es war nach dir, ok? Du weißt genau, dass ich mich darauf nicht eingelassen hätte, wenn du noch was mit ihr gehabt hättest!"

"Darauf eingelassen??? Was ist, hat sie dich mit 'ner Knarre bedroht, damit du dich auf sie legst?"

"Nein, natürlich nicht."

"Also was dann???"

"Nachdem du das damals mit Ilse beendet hattest, hast du mich doch gebeten, ihr ein paar Sachen vorbeizubringen, ... na ja, sie hat mich hereingebeten und mir einen Kaffee angeboten ..."

"Aha. Hast du da auch 'ne Viertelstunde lang den Kaffeesatz umgegraben?"

"Witzig, Herr Sturm, witzig. Sie hat mich verführt, ok!? Ich schwör's! Sie sah ja auch irgendwie echt heiß aus und außerdem war es halt mal was ganz anderes."

"Ach so! Na, wenn das so ist! Soviel also zum Thema: Wir machen bei jeder Gelegenheit dumme Witze über Sturms Affinität zu älteren Damen."

Ich kann Mickey ja verstehen. Nicht, dass er das jetzt wissen müsste, aber ja, ich verstehe ihn. Ilse war wirklich heiß. Ich weiß noch gut, wie ich sie kennenlernte. Das war in einem Supermarkt. Sie stand an der Kasse vor mir und ihr Parfum, Scherrer No. 2, wie ich später erfuhr, brannte mir mein kleines bisschen Verstand weg. Dann fiel ihr der Schlüsselbund runter und sie bückte sich vor mir. Da streckte sie mir ihre ganz und gar unglaubliche Rückseite entgegen und ich bekam einen Blutrausch in den südlicheren Gefilden meines Körpers, mit dem ich alle Bösewichte der Filmgeschichte hätte erschlagen können. Scheiß zivilisierte Welt, echt! Nur ein paar Milliönchen Jahre früher, und ich hätte meine Keule ausgepackt, der Trulla damit ein Angebot gemacht, das sie nicht hätte ablehnen können, mit den Fäusten auf meine Brust getrommelt und sie an den Haaren auf mein Bärenfellgezogen. Aber nein, so was darf man ja heute nicht mehr!

Heute muss man im richtigen Augenblick Shakespeare zitieren, mindestens einmal pro Woche eine Wahnsinns-Pasta zubereiten können, wissen, wann's Zeit ist, den Müll rauszubringen, bevor dieser beginnt, Zellteilungs-Experimente mit sich selbst durchzuführen, und im Bett soll man die Begehrnisse des Weibes in einer medialen Genialität vorausahnen, dass sogar das Orakel von Delphi erblassen würde! Verdammte Scheiße.

Trotzdem ... ich wäre nicht dieser Max Sturm, über den seine besten Freunde Witze machen, die Begriffe wie Seniorenheim beinhalten, wenn ich nicht am selben Abend bereits in Ilses Badezimmer gestanden hätte und mir die Zähne putzte. Dennoch, wenn man mal bedenkt, dass wir uns erst ungefähr fünf Stunden kannten, es außer einem gemeinsamen Abendbrot mit einem Gläschen Sekt und einer darauffolgenden heftigen Knutscherei auf ihrem Sofa keinerlei Vorgeschichte gab, würde ich diese Entwicklung der Dinge als eher flott bezeichnen. Und als ich sie nackt sah, musste ich unweigerlich an eine Zeichentrickserie denken, die ich als Kind immer gerne angeschaut habe. Kennt noch jemand die Barbapapas? Genau. Und Ilse war Barbamama. Und wie das in meinem Sexleben so ist, jagt wirklich eine Ãœberraschung die nächste. Ilse macht sich nackig und sagtbeim Verlassen des Badezimmers: "Ja los, beeil dich ein bisschen. Im Bett muss jetzt was laufen!"

An dieser Stelle möchte ich noch mal daran erinnern, dass ich die Gute erst vor ca. fünf Stunden an der Kasse eines Supermarktes mit einer Keule erlegt habe. Ach nein, das war ja das, was ich machen wollte. Was ich tatsächlich getan habe, war, sie zu fragen, ob ich ihr nicht helfen solle, ihre Tüten ans Auto zu tragen. Die subtile Neuzeit-Methode, aber nicht minder wirkungsvoll!

Als ich dann in Ilses Schlafzimmer kam, lag sie bereits unter der Bettdecke und musterte mich aufmerksam, während ich nur mit einem Handtuch um meine Hüften bekleidet, um ihr Bett herumging. Darauf sie: "Oh, wir sind wohl ein bisschen schüchtern, was, Herr Sturm?"

Woraufhin klar war, dass ich die Dame jetzt falten werde wie nichts Gutes. Denn, hey, ab und zu ist auch bei mir der Name Programm. Ich ließ das Handtuch fallen und stieg zu Ilse ins Bett. Sie zog mich fest an sich, oder besser gesagt, sie zog mich direkt auf sich. Ich konnte gar nicht anders, als sofort in sie einzudringen. Das Vorspiel war das Zähneputzen. Ilse war zu diesem Zeitpunkt mit Abstand die dickste Frau, auf der ich jemals zu liegen pflegte, aber dieses viele feste Fleisch, die großen Brüste, der überdimensionale Bauch, das war nicht nur ein Anblick, der mich immer noch geiler machte, sondern es fühlte sich auch nochwahnsinnig gut an. Sie bewegte sich heftig und fordernd unter mir, krallte dabei ihre Finger in meinen Rücken. Sie genoss es sichtlich und zeigte mir deutlich, dass es ihr immer noch nicht heftig genug war. Ich kam ihrem Wunsch nach und ja, ich muss sagen, ohne mich hier selbst beweihräuchern zu wollen, aber ich machte meinem Nachnamen alle Ehre. Es war ein Rausch, mir schwindelte und ich rang nach Luft. Genau wie Ilse. Sie atmete schnell, hielt mich aber immer noch fest und wollte mich auch nicht loslassen. Zwischen ihren Brüsten rannen kleine Schweißperlen hinab und ihr Parfum vermischte sich mit dem salzigen Duft unserer eng umschlungenen Körper. Das hier war kein Liebe machen, kein miteinander schlafen, kein romantisches Krusch-Krusch. Nein, das hier war Ficken. Ungezügeltes, hemmungsloses Ficken. Eine einzige Nummer mit dieser Frau und ich verstand endlich, was mir Charles Bukowski in unzähligen Büchern mitzuteilen versuchte! Allerdings schrieb Bukowski nichts über gewisse Verhaltensmaßregeln besten Freunden gegenüber, welche sich des orgastischen Hochverrats schuldig gemacht haben.

"ILSE??? . . . und was ist eigentlich mit unserem Musiker hier? Der Herr fühlt sich wohl nicht angesprochen, was?"

Tom sah, beinahe von Mickey und mir abgewendet, zum Fenster hinaus.

"Sag mal, stören wir dich irgendwie?"

Tom dreht seinen Kopf in unsere Richtung und sagt:

"Ich will das Barvermögen, ihr könnt euch ja das Hotel teilen ... und es zum Beispiel verkaufen oder so. Da macht ihr sicher ein gutes Geschäft, das Barvermögen sind ja nur 30.000 Euro. Das Hotel, auch wenn es eine Bruchbude ist, ist sicher mehr wert!"

Ich glaube, ich spinne. Während ich hier den Moralapostel raushänge, denkt der Typ über künftige Vermögensverhältnisse nach.

"Also, Herr Sonderbar, mal abgesehen davon, dass das Thema "Wer hat was mit Ilse gemacht?" noch nicht vom Tisch ist, wer sagt denn was von "verkaufen wollen"??? Vielleicht wäre das gar keine schlechte Sache, das mit dem Hotel!"

Um ehrlich zu sein, war das kein besonders fundiertes Statement meinerseits, einfach weil ich noch für keine Sekunde darüber nachgedacht habe, aber es scheint mir ein guter Moment, um das einfach mal prinzipiell anders zu sehen. Mickey hat auch keine Meinung zu dem Thema, nickt dennoch zustimmend in meine Richtung. Er hat einfach ein Gespür dafür, wann's besser ist, meiner Meinung zu sein.

"Vie...vielleicht hat Max ja Recht. Ich meine, wir sind alle Ende Dreißig und keiner von uns hat in dem,was er so tut, bisher auch nur annähernd etwas erreicht, das den Begriff Erfolg implizieren würde. Und da von uns wohl keiner Bock drauf hat, mit 40 zu sagen: "Willkommen bei McDonalds, Ihre Bestellung bitte!", wäre es vielleicht kein Fehler, zumindest mal darüber nachzudenken, ob das nicht was für uns wäre. Das muss ja nicht heißen, dass wir deshalb unsere Berufe aufgeben. Aber es wäre vielleicht ein zweites Standbein, und wenn es mit unseren Karrieren doch noch was werden sollte, können wir immer noch überlegen, was wir dann tun. Außerdem, es ist ja auch gar nicht so sicher, ob jeder von uns in seinem Beruf noch mal was reißt, oder? So hätte zumindest derjenige, der nichts anderes zu tun hat, einen gewissen Rückhalt. Und überhaupt, vielleicht macht es ja auch Spaß! Könnte doch sein."

Immer dann, wenn man denkt, Mickeys Verstand hätte das Gebäude für immer verlassen, sagt er etwas derart Profundes, dass man in etwa so erstaunt ist, als hätte er gerade den Strom neu erfunden. Auch Tom staunt Bauklötzchen.

"Hey, habt ihr eigentlich die Titten von der Kellnerin gesehen? Hä hä, voll geil, echt!"

Ja, und dann sagt Mickey wieder so was. Dann ist ganz schnell wieder klar, dass Herr Mittermaier in seiner ganz eigenen Welt lebt. Zu der es für uns alle keine Fahrkarten gibt. Lediglich ein Fernglas, um ab und zu mal einen Blick darauf zu werfen. Und das istauch noch unscharf. Ein beispielhaftes Indiz für diese Theorie ist, dass Mickey seit seiner frühesten Kindheit eine fast krankhafte Beziehung zu Mickey Mouse - Comics hat. Krankhaft, weil er früher nicht nur Nahrungsmittel, wie zum Beispiel sein Pausenbrot und ähnliches, gegen solche Hefte getauscht hat. Mir hat er mal einen benutzten Schlüpfer seiner Mutter gegen eines meiner Lieblingshefte angeboten. Ich hab ihm das Heft dann gegeben. Inzwischen ist er an einem Punkt angelangt, an dem er mir wahrscheinlich eine Nacht mit seiner Mutter anbieten würde, wenn ich im Besitz bestimmter Originalausgaben aus den 50er oder 60er Jahren wäre. Dabei fällt mir ein, vielleicht sollte ich mir ein paar von den Dingern besorgen, damit wäre er in Situationen, die das verlangen, definitiv erpressbar. Und gegen eine Nacht mit seiner Mutter hätte ich im Prinzip nichts einzuwenden, denn, Mann, die ist echt heiß! Also ... für meine Begriffe halt. Aber das ist ein anderes Thema.

Tom schien Mickeys Plädoyer für eine Alternativkarriere völlig kalt zu lassen. Und wenn ich auch nur einen Moment länger darüber nachdenke, kann ich das voll und ganz verstehen. Auch wenn der Gedanke über ein kleines, verträumtes, exquisit eingerichtetes Hotel, in dem nur die zauberhaftesten Gäste verkehren, durchaus was hat. Aber dann kommen mir Realitäten wie Totalsanierung und damit verbundene Kosten, die vermutlich in die Hunderttausende gehen,in den Sinn. Selbst wenn wir Tom einer erfolgreichen Gehirnwäsche unterziehen würden, die lächerlichen 30.000 Euro brächten uns nicht viel. Ich sehe schon den Banker vor mir, dem wir erzählen, dass das unser Eigenkapital ist, wir von ihm aber gerne das Zehnfache hätten, möglichst zu humanen Konditionen, versteht sich. Und wenn wir ihm dann seine Frage bezüglich unserer Einkünfte und Sicherheiten beantworten, wird man sehen können, wie sich der Banker ein bisschen totlacht. Und dann wird er den Alarmknopf drücken.

Allerdings ist auch klar, dass ich Tom jetzt nicht sagen werde, dass er völlig auf dem richtigen Dampfer ist. Schon wegen Mickey nicht. Mickey ... ich kenne diesen Blick ... der Mann hat Feuer gefangen. Und wahrscheinlich ist das jetzt auch noch meine Schuld. Hätte ich ihm nicht so ein schlechtes Gewissen ... Moment mal, worüber denke ich hier eigentlich nach??? ... der Schwanzkopf hat Ilse gebumst! Ich weiß jetzt nicht, ob es bei Vergehen dieser Art gewisse Verhaltensnormen gibt, aber ein schlechtes Gewissen, begleitet von einer ausgeprägten Todessehnsucht und dem festen Wunsch, für immer in meiner Schuld zu stehen, sagen wir, für den Rest seines Lebens? Ja, das scheint mir angemessen!

Max Sturm

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