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4. Anthologien

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Gedichtsammlungen können sehr unterschiedlichen Prinzipien folgen, die nicht selten den Titeln abzulesen sind. Allgemeine thematische Schwerpunkte setzen z.B. Deutschland als Gedicht. Über berühmte und berüchtigte Deutschland-Gedichte aus fünf Jahrhunderten in fünfzehn Lektionen (hg. v.Jürgen Schroeder), Kindheit im Gedicht (hg. u. komm. v. Dieter Richter), oder Die liebenden Deutschen. 645 entflammte Gedichte aus 400 Jahren (hg. v. Steffen Jacobs). So viele Themen in Gedichten behandelt werden, so viele Anthologien lassen sich denken. Gesammelt werden kann nach Gattungsbegriffen wie im Fall der Gebete der Dichter (ausgew. von Alois Weimer) oder der Deutschen Lyrik-Parodien aus drei Jahrhunderten (hg. v. Theodor Verweyen); den Ausschlag geben können aber auch die Verfasser der Gedichte, etwa hinsichtlich ihres Geschlechts wie in Stechäpfel. Gedichte von Frauen aus drei Jahrtausenden (hg. v. Ulla Hahn). Unter den von Literaturwissenschaftlern verantworteten Anthologien dominieren solche zu bestimmten Epochen wie die Gedichte des Expressionismus (hg. v. Dietrich Bode), die Edition Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts (hg. v. Wilhelm Kühlmann) und der Band Zu den Sternen fliegen. Gedichte der Romantik (hg. v. Rüdiger Görner), wobei sich der Epochenschwerpunkt auch mit bestimmten Thematiken vermischen kann: Die Dichter und der Krieg. Deutsche Lyrik 1914–1918 (hg. v. Thomas Anz u. Joseph Vogl) oder Der deutsche Faschismus in seiner Lyrik. Mit Materialien (hg. v. Harro Zimmermann).

Gütekriterien

Nicht wenige Anthologien sind eher für den Liebhaber als für den schulischen oder akademischen Gebrauch bestimmt. Statt sie einzeln zu kommentieren, ist es sinnvoller, die wichtigsten Kriterien anzugeben, die bei ihrer Einschätzung heranzuziehen sind. Eine brauchbare Anthologie zeichnet sich dadurch aus, dass sie in einem Vor- oder Nachwort über die Prinzipien der Textauswahl informiert und die Grundsätze der Textanordnung – nach Gattungen, Entstehungsjahr oder Erscheinungsjahr – erläutert und begründet. Gleichfalls unerlässlich ist ein Quellennachweis, der nicht nur den bibliographischen Ort angibt, dem der Text entnommen wurde, sondern auch Jahr und Ort der Erstpublikation. Ein Abdruck, der es nicht ermöglicht, den Text gegebenenfalls bis zu seinem Ursprung (dem Manuskript des Autors oder dem Erstdruck) zurückzuverfolgen, entzieht sich unzulässig der Überprüfung seiner Korrektheit. Zwar bietet auch ein sorgfältig erscheinendes Quellenverzeichnis keine Garantie für Richtigkeit (denn Papier ist geduldig); aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ein Herausgeber, der seine Textfassungen ausweist, sich tunlichst hüten wird, Fehler zu machen. Eine Anpassung der Orthographie an die heute gültigen Regeln ist problematisch, eine Anpassung der Zeichensetzung inakzeptabel, denn hier kann jede Abweichung den Sinn des Textes verändern. – Verlage, die zahlreiche gute Anthologien im Programm haben, sind z.B. Reclam, Insel, Suhrkamp und der Deutsche Taschenbuch Verlag.

Gute Anthologien für den Hausgebrauch

Digitale Bibliothek

Die bekannteste ältere Anthologie, Deutsche Gedichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Auswahl für Schulen, wurde von Theodor Echtermeyer im 19. Jahrhundert begründet und von Benno von Wiese fortgeführt. 1990 erschien die 18. Auflage des ‚Echtermeyer-von-Wiese‘, für die Elisabeth Paefgen die Abteilung zum 20. Jahrhundert durchgesehen und ergänzt hat. Gute Anthologien sind Walther Killys zehnbändige Sammlung Deutsche Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart, die am Umfang gemessen preiswert und für Deutschlehrer und -lehrerinnen von großem Nutzen ist, die von Gerhard Hay und Sibylle von Steinsdorff zusammengestellte Kurzfassung des ‚Killy‘, Deutsche Lyrik vom Barock bis zur Gegenwart, und Das Buch der Gedichte. Deutsche Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart. Eine Sammlung für die Schule, herausgegeben von Karl Otto Conrady. Weiterhin empfehlenswert sind Reclams großes Buch der deutschen Gedichte und Der ewige Brunnen, von Heinrich Detering und Ludwig Reiners herausgegeben, sowie Marcel Reich-Ranickis achtbändiger ‚Lyrik-Kanon‘. Begleitet von warnenden Worten ist auch eine Empfehlung der Anthologie Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke vertretbar, die in der Digitalen Bibliothek der Directmedia GmbH herausgegeben wird. Im Umfang übertrifft sie jede andere Anthologie um ein Mehrfaches; sie enthält laut Vorwort rund 53.000 Gedichte von 207 Autoren. Hier hineinzulesen, lohnt sich; der Eindruck, den man sich von der Geschichte der Lyrik macht, ändert sich nachhaltig. Ein zweiter Vorzug der digitalisierten Texte ist deren Erschließbarkeit mit der Volltextsuche. Um alle Gedichtstellen zu finden, an denen ein bestimmtes Wort vorkommt, hätte ein Literaturwissenschaftler früher wochenlang recherchieren müssen; mit der digitalen Bibliothek erreicht man das gleiche Ziel in wenigen Stunden. Drittens besteht für die Lehre in Schule und Universität eine Erleichterung darin, dass die Gedichte in Dokumentdateien kopiert, bearbeitet und ausgedruckt werden können. Doch hier lauern zugleich die Probleme. Erstens nämlich sind die Texte alles andere als fehlerfrei, weshalb es sich verbietet, sie ohne Abgleich mit einer zuverlässigen Ausgabe zu benutzen. Es unterlaufen der Digitalen Bibliothek nicht nur Zeichensetzungs- und Orthographiefehler, es finden sich auch bisweilen Wörter, an deren Stelle im Original andere Wörter stehen. Zweitens spart das Kopieren zwar Zeit, schaltet aber auch das Abschreiben als Schritt der Texterschließung aus. Wer sich die Mühe macht, ein Gedicht abzuschreiben, wird feststellen, dass der allmähliche Neuaufbau des Textes oft Aspekte in den Blick rückt, die eine erste Interpretationshypothese ermöglichen.

Andere Anthologien

Eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Verbreitung von Lyrik spielen Anthologien eines anderen Typs, nämlich Sammlungen von Gedichten der Gegenwart, die dazu dienen, neue Tendenzen einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Einige von ihnen erlangten auch literaturgeschichtlich höchste Bedeutung, indem sie durch die Präsentation neuer Schreibweisen der Produktion von Gedichten neue Impulse gaben. Solche Anthologien sind die bis heute wohl berühmteste Gedichtsammlung des 20. Jahrhunderts, die von Kurt Pinthus 1919 herausgegebene Menschheitsdämmerung, oder Transit, das 1956 von Walter Höllerer zusammengestellte Lyrikbuch der Jahrhundertmitte, dessen Gedichte bereits drei Jahre später in Wolfgang Kaysers Vorlesungen zur Geschichte des deutschen Verses als Exempel für ein neuartiges Versverständnis fungieren. Für die Lyrik der Gegenwart sind vor allem Jahrbücher, aber auch Sammlungen relevant, die im Rahmen von regelmäßig stattfindenden Wettbewerben die besten der eingereichten Texte zusammenstellen.

Einführung in die Lyrik-Analyse

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