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2. Wie man sich selbst entdeckt

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In keinem Land wird jungen Leuten so viel Verantwortlichkeit übertragen wie in Amerika, und eben dies hat viel zu der hohen Stellung beigetragen, die Amerika in der Welt einnimmt.

Auf jedem Feld der Tätigkeit finden wir junge Leute in den verantwortungsvollsten Stellungen als Vorsitzende und Leiter von großen Einrichtungen, von ausgedehnten Gesellschaften, von umfassenden Geschäftsbetrieben. Junge Leute, die eben die Universität verlassen haben, nehmen Lehrstühle ein und andre, die kaum dreißig Jahre alt sind, haben gar die Leitung von Schulen und Hochschulen inne. Es ist in der Tat heute das Zeitalter der jungen Leute, und Amerika ist ganz vorzugsweise das Land der jungen Leute. Wir glauben an sie und ihre Leistungen und fürchten uns nicht, ihnen hohe Verantwortung aufzulegen.

Es ist wunderbar, wie dieses Zutrauen zu ihrer Fähigkeit alle Kräfte der Jugend Amerikas entwickelt. Wie oft erleben wir es, dass ein junger Mensch, der im üppigsten Reichtum aufgewachsen ist, plötzlich durch den Tod des Vaters oder durch sonstige zwingende Umstände in eine verantwortungsvolle Stellung gelangt. Er hat vielleicht bisher noch gar keine Spur von Geschäftsgewandtheit gezeigt, und plötzlich, als er die Verantwortung übernehmen muss, entwickelt er die hervorragendsten Fähigkeiten, die ihm kein Mensch zugetraut hätte.

Eine Feuersbrunst oder ein Schiffsunglück zeigt oft die unscheinbarsten Menschen als Helden. Leute, die sich nie in ihrem Leben hervorgetan haben, entwickeln einen Heldenmut, der alle zur Bewunderung hinreißt. Furchtlos dringen sie in brennende Gebäude, um wildfremde Menschen zu retten, wagen das Leben und verlieren es oft. Ebenso zeigen junge Leute, die durch irgendeinen Umstand in Not oder in eine verantwortungsvolle Stellung gedrängt werden, oft die erstaunlichsten Fähigkeiten zur Bewältigung der schwierigsten Lagen.

Unter den Menschen, die im Leben nicht vorwärts kommen, sind gewiss die meisten niemals in die Lage gekommen, sich selbst und, was alles in ihnen liegt, zu entdecken, entweder, weil sie in einer Umgebung lebten, in der ihre schlummernden Kräfte nicht geweckt wurden, oder weil sie niemals in Lagen kamen, in denen es genug Reibung gab, um die Funken aus ihrem Wesen herauszuschlagen.

Ein Mann, der in schwierige Umstände gekommen war, schrieb seinem Freund: „Ich bin in einer Klemme, und wenn du mir nicht heraushilfst, so bleibe ich stecken.“ Der Freund antwortete: „Alter Freund, ich kann dir leider nicht helfen, aber wenn du wirklich in der Klemme stecken bleibst, dann komme ich und sehe sie mir an; das muss wirklich eine ordentliche Klemme sein!“ Und der Mann kam heil heraus.

Das Beste, was einem Menschen begegnen kann, wenn er ins Leben tritt, ist die Notwendigkeit, in Verhältnisse einzutreten, die alle seine schlummernden Fähigkeiten wecken und alle in ihm ruhenden Kräfte wirksam werden lassen.

Die menschlichen Fähigkeiten liegen scheinbar in einzelnen Schichten übereinander. Der Lehrer in der Schule legt die oberste bloß und gibt uns einen ganz kleinen Begriff von dem, was wir leisten können. Ein Freund, der Zutrauen zu uns hat, wo alle andern sich abwenden, entdeckt eine tiefere Schicht und lässt uns Anlagen finden, die ohne ihn verborgen geblieben wären. Der Tod unsrer Lieben oder eine große Sorge eröffnet noch größere Tiefen in uns, an die wir noch nie gedacht hatten. Eine außerordentliche Notlage, der Verlust unsres Vermögens, die Notwendigkeit, Weib und Kind vom Untergang zu retten, ruft ungeahnte Kräfte in uns wach. Eine bittere persönliche Enttäuschung, unerwiderte Liebe, der Verrat eines Freundes dringt noch tiefer in unser unbekanntes Inneres und erschließt vielleicht Kraftquellen, deren Mächtigkeit wir nie für möglich gehalten hätten.

Wer in irgendeiner Sache Erfolg haben will, der muss von Anfang an wissen, wie groß das Vermögen (in jedem Sinn des Wortes) ist, mit dem er arbeiten kann; er muss eine feste Aufstellung aller der Kräfte und Hilfsmittel haben, über die er nötigenfalls und schlimmstenfalls verfügen kann. Allein weitaus die meisten jungen Leute fangen ihre Lebensarbeit mit einer höchst geringen Kenntnis ihrer geistigen Kräfte an und entdecken diese im günstigsten Fall ganz allmählich und stückweise.

Manche Explosionsstoffe entzünden sich schon bei geringer Wärme und kleiner Reibung, andre brauchen mehr; manche kann man umherwerfen oder in den heißen Ofen legen und sie entzünden sich noch nicht. Aber wenn sie mit größter Gewalt durch die fußdicken Panzerplatten eines Kriegsschiffes hindurch geschossen werden, dann bersten sie und lösen furchtbare Kräfte aus, die alles zerstören, was in ihrem Weg steht. Damit kann man die Art vergleichen, wie die menschlichen Fähigkeiten wirken. Manche sind so leicht beweglich wie der Drücker der feinsten Schießwaffe und arbeiten schon bei der leisesten Inanspruchnahme, während andre erst bei stärkerer und stärkster Reibung wirksam werden.

Unter dem großen Heer der Angestellten ist nur ein ganz kleiner Teil so glücklich, dass sie mehr als einen Bruchteil ihrer eigenen Fähigkeiten entdecken und wirksam werden lassen. Daher kommt es, dass so viele begabte Leute immer Angestellte bleiben, die sehr gut hätten selbständig werden können, wenn sie nur ihren ganzen Besitz an Können jemals entdeckt hätten. Aber sie kommen nie in die rechte Umgebung, die ihren Ehrgeiz erweckt, sie treffen nicht auf den nötigen Zündstoff, der gerade das Pulver zum Entzünden bringt, das in ihnen liegt.

Der fruchtbringendste Augenblick im Leben ist der, in dem ein Mensch zur Erkenntnis seiner wahren Fähigkeiten kommt und die in ihm verborgen liegenden Kräfte entdeckt. Die wertvollste Erfahrung, die einer machen kann, ist das Buch, oder die Predigt, oder der Mensch, oder das Erlebnis, oder das Unglück, das die tiefsten Sprungfedern seines Wesens berührt und die Kräfte wachruft, die bisher in ihm geschlummert haben.

Der außergewöhnliche Angestellte

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