Читать книгу The Independent Mind - Бхагаван Шри Раджниш (Ошо), Osho, Osho . - Страница 10

Meine Freunde,

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gestern Abend sprach ich vom Tod. Die Suche nach dem Leben kann nur beim Tod beginnen. Wer das Leben erkennen will, muss zu Beginn seiner Suche anerkennen, dass der Tod tatsächlich existiert – erst dann wird er zum Leben finden. Es mag zwar widersprüchlich, paradox klingen, dass wir, um zum Leben zu finden, beim Tod ansetzen müssen, aber das stimmt nicht. Wer nach dem Licht sucht, muss bei der Dunkelheit anfangen.

Unsere Suche nach Licht beweist, dass wir im Dunkeln stehen, aber unbedingt Licht brauchen. Unsere Suche nach Licht beweist, dass weit und breit nirgends Licht ist; denn warum sonst würden wir nach ihm suchen? Also muss auch die Suche nach Licht mit der Dunkelheit beginnen, so wie die Suche nach Leben mit dem Tod beginnen muss. Dass wir das Leben suchen, beweist, dass wir uns im Tod befinden. Solange uns das nicht ganz klar ist, können keine weiteren Schritte gemacht werden.

Gestern hab ich euch hauptsächlich ein paar Dinge über den Tod gesagt und euch gebeten, den Tod nicht zu meiden, sondern ihn zu konfrontieren. Meidet den Tod nicht, sondern stellt euch ihm. Lauft weder vor dem Tod weg, noch bemüht euch, ihn zu vergessen; nur die ständige Erinnerung an ihn kann euch weiterhelfen.

Während dieser drei Tage werde ich am Morgen zu euch sprechen, und am Abend setze ich mich mit euren Fragen auseinander. Im Anschluss an unsere Diskussionen über den Tod gestern Abend, möchte ich ein paar Dinge über den gedankenlosen Zustand sagen. Für diese drei Tage habe ich drei Begriffe ausgesucht, um sie mit euch zu besprechen. Heute beginne ich mit dem gedankenlosen Zustand, morgen folgt der Zustand des Denkens, und übermorgen schließlich der Zustand des Nichtdenkens.

Der gedankenlose Zustand ist derjenige geistige Zustand, in dem wir blind leben ohne zu denken; im Zustand des Denkens leben wir bewusst und überlegt; im Zustand des Nichtdenkens zu leben heißt, sich über alle Gedanken zu erheben und in Erleuchtung zu leben.

Dies sind die drei Schritte. Heute werde ich über den gedankenlosen Zustand zu euch sprechen. Wir leben genauso wie die ganze Natur – blind. Mal regnet es, dann scheint die Sonne oder die Nacht kommt – warum? Warum regnet es, warum scheint die Sonne, warum bricht die Nacht an? Darauf gibt es keine Antwort. Ein Saatkorn sprießt und wird zum Baum, Blätter bilden sich, er blüht und trägt Früchte – warum? Warum regnet es? Darauf gibt es keine Antwort. Die Tiere existieren, die Vögel existieren, die Insekten und Würmer existieren, und die Menschen ebenfalls – warum?

Normalerweise leben wir alle in diesem Zustand – in unserem Leben findet keinerlei Denken statt. Wir leben am Gängelband blinder Wünsche, blinder Gelüste, ohne zu wissen, warum es sie gibt. Erst wenn wir zu denken anfangen, lässt sich das Warum beantworten. Wir haben Hunger, wir haben Durst, in uns regen sich alle möglichen Begierden, und wir bemühen uns, sie zu befriedigen – warum? Auf dieser Ebene lässt sich das Warum einfach nicht beantworten. Wir sind hungrig, also suchen wir nach Nahrung, aber wir fragen uns nie, warum wir hungrig sind und warum wir essen müssen. Selbst der intelligenteste Mensch wird hungrig, aber er weiß nicht warum.

Auf der Ebene, auf der wir leben, gibt es keine Antwort. Wir existieren, wir haben ein starkes Verlangen zu leben, also leben wir weiter, aber auf die Frage, warum wir existieren und woher dieses starke Verlangen zu leben kommt, haben wir einfach keine Antwort. Kein Mensch hat je die Antwort gefunden. Dies ist die Ebene des gedankenlosen Zustands.

Wenn ich euch beschimpfe, werdet ihr wütend. Warum werdet ihr wütend, wenn euch jemand beschimpft? Irgendwer rempelt euch an, und prompt werdet ihr aggressiv. Woher kommt das? Warum findet ihr jemanden schön? Oder hässlich? Den einen liebt ihr, den andern nicht. Den einen findet ihr angenehm, den anderen abstoßend. Ihr sucht die Nähe des einen, und vor dem anderen möchtet ihr davonlaufen. Vielleicht habt ihr euch nie wirklich gefragt, warum das alles so ist – und falls ihr fragen würdet, bekämet ihr keine Antwort. Die Frage wird lange widerhallen, aber es ist keine Antwort zu finden. Auf der körperlichen Ebene, also auf der Ebene der Natur, gibt es keine Antwort. Wir leben einfach ohne Antworten vor uns hin. Selbst angesichts des Todes – auch darauf gibt es keine Antwort.

Weder wusstet ihr, warum ihr geboren wurdet, noch wisst ihr, warum ihr gestorben seid. Ihr wusstet weder, warum ihr hungrig und durstig wart, noch woher eure Begierden oder andere Impulse kamen, also könnt ihr am Ende auch nicht wissen, warum ihr sterbt. Genauso, wie ihr eure Geburt akzeptiert habt, müsst ihr irgendwann auch den Tod akzeptieren. Auf dieser Ebene gibt es einfach keine Antworten: Dies ist die körperliche Ebene, die Ebene des gedankenlosen Zustands, der Instinkte – und auf der existiert keine Antwort. Die meisten Menschen leben auf dieser Ebene; sie leben einfach ohne Antworten. Aber ein Leben, auf das es keine Antwort gibt, ist einfach vergeblich. Sein Sinn ist nicht einmal einem selber ersichtlich.

Neulich beging einer meiner Freunde Selbstmord. Er war ein nachdenklicher Mensch; er war ständig in Gedanken vertieft. Etwa zwei Monate vor seinem Tod hatte er mich aufgesucht. Seit Jahren hatte er sich mit dem Tod beschäftigt; viele Male hatte er daran gedacht Selbstmord zu begehen.

Er gestand mir: „Ich möchte meinem Leben ein Ende setzen; ich kann keinen Sinn in ihm erkennen.“ Er war gekommen, um mich nach meiner Meinung und um Rat zu fragen.

Ich erwiderte ihm: „Wenn dir der Tod sinnvoll erscheint, dann mach halt Schluss. Das Leben hat zwar keinen Sinn für dich, aber hat der Tod etwa Sinn für dich?“

Er darauf: „Nein, er hat für mich auch keinen Sinn.“

Ich sagte: „Dann ist es doch egal. Selbst wenn du dein Leben beendest, macht das keinen Unterschied. Wenn das Leben ebenso sinnlos ist wie der Tod, brauchst du auch nicht zu wählen.“

Die meisten Menschen leben einfach weiter und denken: „Was bringt es zu sterben? Wir wissen ja gar nicht, was nach dem Tod kommt. Also leben wir weiter!“ Aber das ist doch kein Leben! Nur deswegen weiterzuleben, weil es sinnlos ist, sich für den Tod zu entscheiden. Zwei Monate später hat er sich umgebracht. Bevor er starb, schrieb er mir einen Brief, darin stand: „Zu guter letzt hab ich beschlossen, meinem Leben ein Ende zu setzen.“

In den letzten fünfzig Jahren haben viele Leute ihr Leben beendet, Leute, die weder Schmerzen hatten noch an etwas litten, die keineswegs verzweifelt waren oder finanzielle Probleme hatten. Der einzige Grund, warum sie sich umbrachten, war: Sie fanden das Leben sinnlos. Wenn ihr das auch findet und hin und her erwägt, werdet ihr wohl auch kaum einen Grund finden, weiterzuleben. Und wenn ihr auch nicht beantworten könnt, warum ihr leben solltet, kann auch euer Leben weder Tiefe noch Erfahrungen haben. Ob ihr lebt oder nicht, spielt praktisch keine Rolle. Wenn ihr da seid, ist es okay, und wenn ihr nicht da seid, ist das auch okay.

Wenn ihr mich fragt, gibt es auf der körperlichen Ebene keinen Grund zum Leben … und wir alle leben nur auf der körperlichen Ebene. Wir leben nur, weil wir hungrig und durstig sind … wir brauchen Kleidung und ein Haus. Denkt nur mal kurz nach: Was würdet ihr tun, wenn ihr das alles umsonst bekämet? Wenn euer Hunger gesättigt ist, wenn euch Durst gestillt ist, wenn all eure Wünsche erfüllt sind und ihr alles bekommt, was ihr wollt, hättet ihr keine andere Wahl als zu sterben. Wenn all eure Wünsche erfüllt sind, was werdet ihr tun? Werdet ihr dann auch nur einen einzigen Augenblick weiterleben können? Ihr werdet ins Bett gehen und bis in alle Ewigkeit schlafen. Im Moment rennt ihr zwar weiter, solange eure Begierden euch auf den Beinen halten. Aber wenn es nichts mehr zu tun gibt, bleibt euch nichts anderes übrig als zu schlafen. Wenn all eure Wünsche erfüllt sind, könnt ihr nur noch sterben.

Auf der körperlichen Ebene gibt es Probleme, und wir leben praktisch nur, um sie zu lösen. Nur vergesst eines nicht: Da der Körper geboren wurde, wird er sterben. Alles, was geboren wurde, wird sterben; alles, was begonnen hat, wird zu Ende gehen. Das Leben auf der körperlichen Ebene führt unweigerlich zum Tod. Das bezweifelt keiner, weil es nicht zu bezweifeln ist. Kann es denn außer diesem Leben ein anderes geben? Was die körperliche Ebene betrifft, ist bisher kein Sinn entdeckt worden. Aber was, wenn etwa auf einer anderen Ebene ein gewisser Sinn zu finden wäre?

Der Körper ist eine bis ins letzte Detail festgelegte Maschine der Natur. Genauso wie die Natur, funktioniert auch der Körper mechanisch. Auf dieser Ebene gibt es keine Freiheit; dort ist alles aufeinander angewiesen. Das gilt für Mahaviras Körper ebenso wie für den Körper von Krishna und Christus oder für euren und meinen – denn Mahavira ist gestorben, so wie auch Krishna und Christus gestorben sind.

Was jedoch die Körperebene betrifft, ist bis jetzt niemand selbstständig geworden und wird niemand je zum ewigen Leben finden: Keiner hat es je gefunden und keiner wird es je finden können. Der Körper ist sterblich, von seiner Unsterblichkeit kann keine Rede sein. Der Körper ist der Sitz des Todes; dort gibt es kein Leben. Wenn wir uns einfach nur immer weiter im selben Kreise drehen, dann werden wir – wie ich euch gestern Abend sagte – auf den Tod zugehen, egal was wir tun.

Der Körper ist absolut abhängig, dort gibt es keine Freiheit. Befindet sich in uns irgendetwas, das jenseits des Körpers ist, das den Körper transzendiert? Gewiss: unser Geist – und ab und zu blitzt er auf. Jeder Mensch ist sich bewusst, einen Geist zu haben. Er kann hören, wie sich seine Gedanken auf leisen Sohlen nähern. Wenn beim Meditieren Gedanken aufsteigen, ist das eine Bestätigung dafür, dass der Geist existiert.

Der Körper ist, wie ich sagte, unweigerlich abhängig, nicht aber der Geist. Der Geist kann unabhängig werden, doch normalerweise ist auch der Geist abhängig. Auch auf der geistigen Ebene gibt es keine Freiheit in unserm Leben. Auch auf der geistigen Ebene sind wir abhängig. Auf der körperlichen Ebene haben uns Wünsche und Instinkte im Griff. Auf der geistigen Ebene haben uns Glaubensinhalte im Griff; auf der geistigen Ebene sind wir Knechte der Wörter, heiligen Schriften, Ideologien. Auch der Geist ist ein Sklave. Der Geist folgt dem Pfad der Abhängigkeit – er kennt keine Freiheit.

Aber der Geist kann unabhängig werden. Das ist der Unterschied zwischen Körper und Geist. Der Körper ist abhängig und kann nicht unabhängig werden; der Geist ist auch abhängig, kann aber unabhängig werden. Und dann gibt es noch etwas jenseits von all diesem, das „die Seele“ genannt wird – man kann es auch anders nennen. Ich werde darüber sprechen; wir werden darauf hinarbeiten. Die Seele ist unabhängig und kann nicht abhängig sein.

Dies sind die drei Ebenen des Lebens:

Der Körper, der abhängig ist und nicht unabhängig werden kann.

Der Geist, der abhängig ist, aber unabhängig werden kann.

Die Seele, die unabhängig ist, und nicht abhängig werden kann.

Nur ein unabhängiger Geist ist fähig, die Seele zu erkennen – die ohne Zweifel frei und lebendig ist, die unsterblich ist, die weder Geburt noch Tod kennt. Wenn der Geist abhängig ist, wird er nichts anderes erkennen können als den Körper. Ein abhängiger Geist vermag nicht über den abhängigen Körper hinauszusehen. Aber wenn der Geist unabhängig ist, wird er seine Augen zur Seele erheben, die frei und lebendig ist.

Darum kommt es weder auf den Körper noch auf die Seele an. Beim Meditieren dreht sich alles nur um den Geist: Ist unser Geist unabhängig oder nicht? Ist der Geist abhängig, kann er sich nicht über den Körper erheben. Dann führt ihn unser Leben zum Tod. Ist er aber unabhängig, dann können die Augen des Lebens beginnen, sich der Unsterblichkeit zuzuwenden.

Normalerweise ist unser Geist abhängig, hat er noch keine Freiheit erlebt. Nicht nur kleiden wir uns alle gleich, nicht nur essen wir alle dasselbe, sondern wir denken auch, was andere denken. Sogar auf der Ebene des Denkens gehorchen wir anderen – und wer jemandem folgt, ist abhängig. Somit sind wir nicht nur auf der körperlichen Ebene abhängig, sondern haben uns auch auf der geistigen Ebene abhängig gemacht. Habt ihr je auch nur einen oder zwei ursprüngliche Gedanken gehabt, oder sind all eure Gedanken geborgt? Ist je ein einziger Gedanke in euch selbst entstanden, oder habt ihr all eure Gedanken anderswo aufgeschnappt?

Ihr habt vermutlich viele Gedanken im Kopf, also beobachtet sie mal ein wenig. Wenn ihr das tut, werdet ihr herausfinden, dass sie irgendwoher stammen und sich in euch angesammelt haben. So wie sich die Vögel abends in den Bäumen versammeln, haben sich die Gedanken in eurem Geist versammelt und eingenistet. Sie sind allesamt Gedanken anderer, von Fremden übernommen. Nur wer ein bis zwei eigene Gedanken zu entwickeln vermag, darf sich als Mensch bezeichnen. Dann keimt in ihm Freiheit auf; andernfalls sind wir abhängig.

Alle Menschen sind abhängig, und die Wurzel ihrer Abhängigkeit ist, dass sie niemals etwas von sich aus gedacht haben. Sie haben einfach nur all diese fremden Gedanken übernommen; sie haben sie bejaht. Sie haben sich auf sie verlassen, sie haben ihnen vertraut, haben ihnen geglaubt. Seit Urzeiten werden die Menschen dazu angehalten zu glauben statt zu denken. Man hat sie gelehrt, sich auf andere zu verlassen, statt selbst etwas zu durchdenken.

Jahrtausendelang hat man die Leute gelehrt, blind zu vertrauen, statt sich selbst eine Meinung zu bilden. Jahrtausendelang hat man ihnen Überzeugungen, Treue und Glauben beigebracht, aber nicht selbstständiges Denken. Mit dem Ergebnis, dass die Menschheit immer abhängiger geworden ist. Unser Geist ist in Ketten gelegt worden. Die Leute plappern nur Dinge nach, die von anderen stammen; von sich aus denken sie nichts.

Egal welche Frage ich stelle, eure Antwort wird praktisch nachgeplappert sein; sie wird nicht auf eurer Meditation beruhen. Wenn ich euch frage: „Existiert Gott?“ – Hand aufs Herz: Stammt eure inbrünstige Antwort wirklich von euch? Wenn ich euch frage: „Gibt es eine Seele?“, überlegt bitte, ob eure spontane Antwort: „Natürlich gibt es eine Seele!“ bzw. „Nein, es gibt keine Seele!“ auf eigenem Nachdenken beruht oder einfach nur auf eurer Erziehung. Habt ihr das aus einer heiligen Schrift? Oder wiederholt ihr nur, was ihr von irgendeinem Meister gehört und übernommen habt? Oder habt ihr‘s erkannt? Wenn die Antwort nicht auf eurer Erkenntnis beruht, macht euch klar, dass euer Geist abhängig ist.

Vergesst die Seele und Gott – nicht einmal die normalsten Lebenserfahrungen sind unsere eigenen. Selbst die plappern wir nach. Wenn ich euch eine blühende Rose zeige und euch frage, ob sie schön ist, werdet ihr vermutlich sagen: „Ja, sie ist schön.“ Aber denkt nur mal kurz darüber nach: Habt ihr das übernommen oder seid ihr selber darauf gekommen? Verschiedene Völker auf der Welt finden verschiedene Blumen schön. Verschiedene Gemeinschaften auf der Welt halten verschiedene Gesichter für schön. Die Kinder einer bestimmten Gemeinschaft übernehmen ganz einfach deren Schönheitsideal und plappern es dann ihr ganzes Leben nach.

Eine Nase, die man in Indien für schön hält, wird in China nicht für schön gehalten. Da fragt man sich doch, ob diese Schönheitserfahrung aus einem selbst stammt oder eine gesellschaftliche Prägung ist. Ein Gesicht, das in Indien für schön gilt, gilt in Japan für unschön, und das Gesicht eines Schwarzen, das in Afrika für schön gilt, ist für indische Augen abstoßend. Für Inder sind schmale Lippen schön, für Schwarze sind vollere Lippen schön. Dann wird ein afrikanisches Kind sein Leben lang behaupten, dass volle Lippen schön seien, während ein in Indien geborenes Kind sein Leben lang behaupten wird, dass schmale Lippen schön sind. Wessen Lippen sind also schön? Welches Gesicht, welche Blume? Da spricht nicht unsere Erfahrung, sondern nur unsere Prägung.

Wenn ich euch Frage, was Liebe ist, werdet ihr nur eine Antwort nachplappern. Ihr werdet es in irgendeinem heiligen Buch gelesen haben. Ihr mögt die Liebe selbst kaum erfahren und erforscht haben. Wenn unsere Persönlichkeit und unser Geist alles nachplappern, praktisch als Echo der Gesellschaft, sind sie alles andere als unabhängig – wie sollten sie? Wir sind nur Echos, wir plappern nur nach. Die Stimme unserer Gesellschaft hallt in uns nach und wir wiederholen sie ständig. Wir sind nicht individuell; unsere Individualität ist einfach noch nicht in uns geboren worden. Wie kann einer, dessen Individualität noch nicht geboren wurde, die Unsterblichkeit erlangen? Was könnt ihr vorweisen, das ihr verewigen möchtet? Was könnt ihr vorweisen, das ihr euer Eigen nennen könntet, das ihr erkannt und gelebt hättet? Wenn ihr gar nichts habt, dann ist der Tod gewiss und alles, was ihr eurer Gesellschaft schuldet, wird nichts nützen. Was habt ihr hervorgebracht, das ihr nicht von der Gesellschaft hättet, das nicht von jemand anderem stammte? Habt ihr irgendetwas Authentisches vorzuweisen? Wenn nicht, wie wollt ihr euer Innerstes, eure Seele erkennen können?

Sobald ihr etwas authentisch Eigenes in eurem Geist habt, beginnt ihr euch eurer Seele zu nähern. Dann werdet ihr würdig, dann seid ihr imstande, die Seele zu erkennen. Aber solange ihr noch keinen unabhängigen Geist habt, kommt es einfach gar nicht infrage, dass eure Individualität geboren wird. Wir sind geistig durch und durch abhängig; wir sind geistig versklavt. Und diese Versklavung sitzt tief.

Auf tausenderlei Weise sind wir zur Sklaverei abgerichtet worden. In jeder Hinsicht ist man bemüht, uns zu Sklaven zu machen. Und das geschieht nicht von Ungefähr. Es ist im Interesse der Gesellschaft, im Interesse des States, im Interesse der Religionen und der Sekten, im Interesse der Priester und Pandits, dass der Mensch ein Sklave bleibt. Denn je versklavter einer ist, desto ausbeutbarer ist er. Je versklavter einer ist, desto geringer seine Möglichkeit zu rebellieren. Wer geistig abhängig ist, kann der Gesellschaft nicht gefährlich werden. Revolten und Revolutionen werden so unmöglich.

Folglich lässt die Gesellschaft nichts unversucht, um die Menschen von Kindesbeinen an abhängig zu machen. Das Hauptmittel, um jemanden geistig zu versklaven, ist die Erziehung und Prägung. Ehe wir uns versehen, liegen wir bereits in Ketten. Die Ketten haben viele Namen – z.B. Hindu oder Jain, Inder oder Nicht-Inder, Christ oder Moslem; die Ketten haben verschiedene Etiketten, verschiedene Namen. Unser Geist liegt in unzähligen Ketten, und irgendwann bemerken wir sie überhaupt nicht mehr.

Nur ganz wenige Menschen denken; die meisten zitieren einfach nur. Dann spielt es keine Rolle, ob sie Mahavira zitieren, ob sie Buddha zitieren, ob sie die Gita oder den Koran zitieren. Solange ihr euch auf jemanden beruft, begeht ihr die größte Sünde an eurer Seele. Solange ihr jemanden zitiert, seid ihr einverstanden damit, abhängig zu sein. Der Gesellschaft zufolge werden die Ungläubigen zur Seele finden, bleiben alle, die nicht glauben, von Moksha ausgeschlossen. Aber das ist einfach töricht!

Glaube ist blind, Glaube ist Knechtschaft, aber Moksha ist die endgültige Freiheit. Wie wollt ihr durch Glauben zu Moksha finden? Glaube macht einfach blind. Er ist genauso blind wie die Blindheit des Körpers: die Blindheit der Begierde. Wenn sich dieselbe Blindheit auf geistiger Ebene einstellt, wird Glaube daraus. Ich bitte euch: Lasst jeglichen Glauben fallen und fangt an zu denken. Ein Zustand des Glaubens ist ein gedankenloser Zustand. Doch woher kommt es eigentlich, dass wir überhaupt glauben? Man kann verstehen, dass unsere Gläubigkeit dem Interesse der Gesellschaft dient, dass sie dem Interesse der Ausbeutung, dem Interesse der Tempel und ihrer Priester dient: Ihr ganzes Geschäft beruht auf Glauben. Sobald ihr aufhört zu glauben, wird augenblicklich ihr ganzes Geschäft zusammenbrechen. Es liegt also auf der Hand, dass das in ihrem Interesse ist; aber warum fängt unsereins überhaupt an zu glauben? Warum fangen du und ich an zu glauben?

Wir fangen deswegen an zu glauben, weil uns der Glaube in den Schoß fällt, ohne einen Finger zu rühren, wohingegen das Denken anstrengend ist. Um zu denken, muss man Schmerzen und Angst ertragen; um zu denken, muss man Leid ertragen. Um zu denken, muss man Zweifel und Verwirrung in Kauf nehmen. Wer denkt, ist allein; wer dagegen glaubt, weiß eine ganze Masse hinter sich. Ein Glaube bringt eine gewisse Sicherheit, eine gewisse Unterstützung mit sich, während das Denken eine enorme Unsicherheit mit sich bringt: z.B. die Angst sich zu verlaufen, die Möglichkeit sich zu irren, und nicht zuletzt die Angst sich selber abhanden zu kommen.

In der Welt des Glaubens schließen wir uns also der Masse an. Wenn Tausende in dieselbe Richtung gehen, haben wir keine Angst – bei so vielen Leuten ringsum. Der Weg des Glaubens ist schließlich der Weg der Masse; der Weg des Denkens ist der Weg des Alleinseins. Da ist man allein, da bekommt man keine Unterstützung, weil man zu keiner Masse gehört. Eine Masse lässt einen an Dinge glauben, die man sich nicht einmal vorgestellt hatte.

Aristoteles zufolge haben Frauen weniger Zähne als Männer. Dieser Mann gilt im Westen für hochintelligent, ja, man hält ihn für den Vater der Logik, den Vorreiter der Logik. Er hatte nicht nur eine Ehefrau, sondern zwei, aber er hat sich nicht die Mühe gemacht, seiner Frau in den Mund zu sehen und ihre Zähne zu zählen. Seit Jahrhunderten glaubt man in Griechenland, Frauen hätten weniger Zähne als Männer – und dass Frauen an sich in allem weniger hätten als Männer, weil die Frau angeblich auf einer tieferen Stufe stehe. Der Mann stehe höher, wie also könnte eine Frau ebenso viele Zähne haben? Das verstand sich von selbst, also brauchte niemand nachzuzählen.

Frauen sind in einem so erbärmlichen Zustand, dass sie alles, was die Männer sagen, einfach akzeptieren. Sie haben nie ihre eigenen Zähne gezählt! Wenn also ein Mann – Aristoteles – in einem Buch behauptet hat, dass Frauen weniger Zähne hätten als Männer, glaubt man das in Europa noch Jahrtausende nach seinem Tod … Doch kein intelligenter Mensch kam je auf die Idee sie zu zählen. Auf die Idee kann nur jemand kommen, der anfängt zu denken. Wer alles glaubt, denkt gar nicht daran nachzuforschen.

Seit Urzeiten glaubt die Masse an die idiotischsten Dinge. Es befinden sich viele intelligente Leute in der Masse, aber da sich kein Zweifel in ihnen erhebt, kommen sie nie darauf zu denken. Und wenn sich in niemandem ein Zweifel erhebt, kann das Denken nicht geboren werden.

Es gibt keine bedeutendere spirituelle Fähigkeit als zu zweifeln. Es gibt keine schlimmere Sünde als alles hinzunehmen, und es gibt keine größere Religion als den Zweifel. Man muss zweifeln; denn wer keinen Zweifel hegt, der kann weder die Gesellschaft noch die Masse loswerden, der kann nicht selbstständig werden. Die Masse verbietet es zu zweifeln, da jeder, der zweifelt, zerstört wird. Ich aber sage, dass einer, der zweifelt, gefunden hat, und einer, der glaubt, zerstört wird. Daran ist nicht zu rütteln: Im selben Moment, da er zu glauben begann, ist er zerstört worden. Wer glaubt, sagt: „Ich bin blind, und ich glaube alles, was man mir sagt.“ Wer zweifelt, sagt: „Ich will nicht länger blind sein. Ich werde denken. Erst wenn ich etwas selbst erfahren habe, bin ich bereit zu glauben.“ Zweifel ist was für Mutige und Glauben ist etwas für Faulpelze. Nur aus Faulheit haben wir zu glauben begonnen. Wir will schon auf Wahrheitssuche gehen? Also glauben wir einfach nur das, was andere sagen.

Wenn eine Überlieferung Jahrtausende überlebt hat, ist sie mächtig. Wir finden, dass man sich nicht jahrtausendelang geirrt haben kann: Wenn Milliarden und Abermilliarden Menschen so gedacht haben, können sie nur recht haben. Die Masse segnet ab, was wahr ist, egal was es sein mag; aber die Masse ist kein Beweis für Authentizität. In der Regel ahmt die Masse lediglich die Gestorbenen nach. Die Masse macht keine Erfahrungen: Völlig ausgeschlossen, dass eine Masse irgendeine Erfahrung machen kann.

Ein Einzelner macht Erfahrungen, nicht aber die Gesellschaft. Sie hat nämlich keine Seele, die etwas erfahren kann; die Gesellschaft ist lediglich eine tote Maschine. Folglich wird jeder, der von ihr abhängig bleibt, nach und nach selber zu einer Maschine. Seine Individualität wird zerstört. Niemand kann religiös werden, ohne sich von der Gesellschaft befreit zu haben.

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