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Josef – Der untergeschobene Glaube
Haben Sie Ihre Weihnachtskrippe schon aufgebaut? Wenn nicht, lassen Sie sich inspirieren, wie Sie Ihre Figuren aufstellen können: Maria können Sie in den Stall neben das Christuskind in der Krippe stellen, die Engel passen je nach Ausführung auf das Dach oder auf eine Erhöhung hinter den Stall mit Sichtkontakt zu den Hirten auf dem Weg. Vielleicht haben Sie auch noch ein paar Schafe bei den Hirten stehen und die Heiligen Drei Könige im Eingang aufgereiht. Ach ja, und Josef sollten Sie nicht vergessen, vermutlich die größte Figur mit dem grau-braunen Mantel (falls Sie ihn schon zu den Hirten gestellt haben, kleiner Tipp: Josef hält meistens eine Laterne in der Hand), und er macht sich ganz gut im Stall neben dem Ochsen im Hintergrund, etwa hinter dem goldenen Heiligenschein an der Krippe.
Bei den traditionell handgeschnitzten Krippenfiguren orientiert sich die Größe der übrigen Krippenfiguren am Josef, da er in der aufrecht stehenden Position die größte Figur im Krippen-Set darstellt. Sie schmunzeln jetzt vielleicht. Aber selbst in den ausgeschmücktesten Versionen der Weihnachtsgeschichte ist Josef nur Nebendarsteller ohne Redeanteil.2 Josef findet allgemein sehr wenig Erwähnung in der Bibel. Um genau zu sein 25 Nennungen bei Lukas, 17 bei Matthäus, 2 bei Johannes, und bei Markus steht gar nichts über ihn. Zu Wort kommt er auch nicht. Maria, das Baby in der Krippe, die Engel. Sie alle begegnen uns in verschiedensten Ausführungen in Weihnachtsdekorationen oder werden in Weihnachtsliedern besungen. Aber eigentlich ist dieser Umstand auch nicht verwunderlich. Denn wenn man etwas darüber nachdenkt, war die Weihnachtsgeschichte für Josef insgesamt auch nicht sonderlich rosig.
Alles fing damit an, dass Maria Josef gestand, schwanger zu sein. Die beiden waren zu dem Zeitpunkt erst verlobt. Und als ob das zu jener Zeit nicht schon schlimm genug gewesen wäre, wusste Josef ganz sicher, dass es nicht mal sein Kind sein konnte. Er konnte nichts für das Kind, er bekam es einfach untergeschoben.
Im Jahr 2017 wurden 41,9 % der Neugeborenen evangelisch oder katholisch getauft, während der Anteil der regelmäßigen Gottesdienstbesucher der evangelischen und katholischen Kirchen im Verhältnis zu Kirchenmitgliedern bei etwa 6,7 % liegt.3 Nun werden die wenigsten von uns ein Kind zugeschustert bekommen haben. Aber vielleicht geht es Ihnen in einem etwas anderen Aspekt doch sehr ähnlich: Wurden in Ihrem Leben Entscheidungen über Ihre religiöse Identität getroffen, für die Sie gar nichts können? Wurden Ihnen Traditionen weitergegeben, nach denen Sie eigentlich nie gefragt haben? Haben Sie vielleicht ganz ungefragt (und eventuell auch ungewollt) den christlichen Glauben untergeschoben bekommen wie Josef das Christuskind?
Es folgt eine Auflistung von Glaubenstraditionen, die Ihnen vermutlich bekannt vorkommen (Sie können gerne einen mentalen Haken hinter die Punkte setzen, die auf Sie zutreffen):
• Vielleicht sind Sie getauft. Die Taufkerze steht auch noch hinten im Schrank (weil es Oma arg wäre, wenn man sie ganz wegtut).
• Vielleicht sind Sie zusätzlich konfirmiert oder gefirmt.
• Freitags gibt es bei Ihnen Fisch.
• In den Wochen von Fasching bis Ostern verzichten Sie womöglich auf Alkohol.
• Bei den Großeltern steht sonntagmorgens der Radiogottesdienst auf dem festen Programm (und den Sender zu wechseln wäre eine sehr unkluge Entscheidung).
Haben Sie sich in einem der Punkte wiedergefunden?
Jetzt spricht nichts gegen religiöse Traditionen an sich, genauso wie auch ein Kind an sich etwas Wunderbares ist. Aber im Kontext der Weihnachtsgeschichte wird sich Josef sicher gefragt haben: Im Ernst, Maria? Hast du mich betrogen?
Genauso könnten auch Sie fragen: »Mutter, Vater, habt ihr mich hintergangen?« als Ihre Familie Ihnen diesen Glauben zugeschoben hat, für den Sie sich unter Umständen nie selbst entschieden haben.
Stillschweigend verlassen
Lassen Sie uns an dieser Stelle noch mal zurückschauen, wie Josef mit seiner Situation umgegangen ist.
»Josef, ihr Verlobter, war ein aufrechter Mann. Um sie nicht der öffentlichen Schande preiszugeben, beschloss er, die Verlobung in aller Stille zu lösen« (Matthäus 1,19). Zwar nicht glücklich mit dem Umstand, aber immer ehrenhaft, nahm sich Josef vor, Maria heimlich zu verlassen. Ohne ein großes Thema daraus zu machen, ohne Anschuldigungen und öffentliche Diskussion.
Nun, zurück zu unserer Situation. Wenn Sie den Konfirmandenunterricht besucht oder eine Firmung erhalten haben, erinnern Sie sich bestimmt noch an die verpflichtenden Gottesdienstbesuche. Und auch an die darauffolgenden Sonntage, nachdem Sie Ihr Soll erfüllt hatten und dann still und leise die Kirchenbank wieder gemieden haben. Ohne ein großes Thema daraus zu machen, ohne Erklärung und emotionale Diskussion. Vielleicht haben Sie auch wie Josef das Thema einfach stillschweigend auslaufen lassen.
Dass es freitags Fisch gibt, ist keine Erfindung der Cafés und Restaurants, sondern eine christliche Tradition: im Gedenken an Karfreitag wurde jeden Freitag Fleisch gefastet. Damals waren die Grenzen zwischen Pescetarier und Vegetarier offensichtlich noch fließend. Der Fisch war außerdem ein Geheimsymbol der ersten Christen. Aber die Geschichte geht für Josef offensichtlich noch weiter (immerhin steht er auch an diesem Weihnachten wieder neben Maria und dem Ochsen an der Krippe). Die große Frage ist: Warum hat sich Josef gegen eine stillschweigende Trennung entschieden? Warum hat er nicht den leichten Weg gewählt, sich aus der Affäre zu ziehen? Die Antwort ist einfach. Josef hatte den entscheidenden Vorteil, dass er die Situation und alle Hintergründe von einem Engel erklärt bekam: Das Kind war von Gott, er sollte Maria nicht verlassen und die ganze Affäre (darf man das überhaupt so nennen?) war Teil eines größeren Plans. Das sind in jedem Fall starke Argumente – und dann auch noch präsentiert von einer übermenschlichen Gestalt. Kein Wunder, dass der Engel seine Ansprache mit »Fürchte dich nicht« (vgl. Matthäus 1,20) einleiten musste.
Den wenigsten von uns wird ein Engel persönlich erscheinen, außer man zählt die Weihnachtschöre, die mit engelsgleichen Stimmen ihr lang gezogenes Glooooria in Excelsis Deo aus dem Radio in der Küche der Großeltern trällern. Aber wenn schon kein Engel gute Gründe aufzählt, warum auch wir unser »untergeschobenes Kind« nicht einfach stillschweigend links liegen lassen sollten, lassen Sie uns doch gemeinsam betrachten, was Josef weiterhin erlebt hat.
Dem Kind einen Namen geben
Josef entschied sich für das Kind und nahm es wie sein eigenes in seine neue Familie mit Maria auf. Auch wenn er praktisch nicht mit dem Kind verwandt war, wird am Anfang der Weihnachtsgeschichte im Buch Matthäus Josefs Stammbaum durchbuchstabiert (um die Weihnachtsgeschichte im Buch Matthäus geht es im 10. Kapitel dieses Buches). Er stand fest zu dem Kind mit seinem Namen.
Auch wir können den christlichen Glauben nicht einfach nur von unseren Eltern oder Großeltern »erben«. Wenn wir wirklich glauben wollen, wenn wir mehr wollen, als nur ein paar nette Traditionen mitzunehmen, müssen auch wir »dem Kind einen Namen geben«.
Nur was erwartet uns, wenn wir den Glauben bewusst annehmen?
Kennen Sie die Geschichte, in der Jesus mit zwölf Jahren bei einer Pilgerfahrt verloren ging? Nach langem Suchen fanden Josef und Maria das Kind wieder, das einfach am Ende der Pilgerreise in Jerusalem zurückgeblieben war. Die Eltern waren fassungslos, als sie ihn dort fanden. Maria fragte: »›Kind! (…) Wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich waren in schrecklicher Sorge. Wir haben dich überall gesucht.‹ ›Warum habt ihr mich gesucht?‹, fragte er (Jesus). ›Ihr hättet doch wissen müssen, dass ich im Haus meines Vaters bin‹« (Lukas 2,48-49). Über diese Aussage wunderten sich die Eltern noch länger.
Josef wurde Vater für das Christuskind, mit allem, was eben dazugehörte. Mit der Freude und dem Stolz, es bereitete ihm auch Sorgen, aber sicher auch ebenso viel Freude und Erfüllung. Durch den Mut, sich der Herausforderung des untergeschobenen Kindes zu stellen, wurde Josef Teil einer viel größeren Geschichte. Es war sein Stammbaum, der dem Christuskind zugeschrieben wird.
Der Glaube ist in der Realität anders, als ihn unsere christliche Tradition so oft versinnbildlicht. Die Heilige Familie war schlussendlich fast eine Patchworkfamilie mit allen Herausforderungen, die das Leben eben so bringt. Und sicherlich auch mit vielen offenen Fragen. So ist auch der christliche Glaube nicht nur die rosige, scheinbar immer friedliche, engel-geschmückte Weihnachtszeit. Er lässt sich auch nicht reduzieren auf einen pflichtbewussten Gottesdienstbesuch und besinnliche Kirchenchorkonzerte. Glauben ist sehr real und direkt und unter Umständen auch unkonventionell. Und auch hier ist es normal, wie Josef viele Fragen zu haben und einiges im ersten Moment nicht zu verstehen. Aber auch uns stellt der Glaube in einen neuen Kontext, lässt uns unseren Platz in Gottes größerem Plan finden.
Die Frage, die sich jetzt stellt, ist: Wie gehen Sie mit Ihrem untergeschobenen Christuskind um? Wie wäre es, wenn Sie wie Josef reagieren würden? Sie machen es zu Ihrem und lassen sich neu überraschen, was Ihnen da vielleicht auch Wunderbares zugeschoben wurde?