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Vorwort

Damals, als mir während meines Theologiestudiums zur Vorbereitung einer Seminargestaltung in Gedanken und im Herzen aufgegangen ist, welche Bekehrung Martin Luther erlebt haben muss, als ihm intensiv klar wurde, dass er nichts dafür tun muss, um von Gott geliebt zu werden, dass er als Sünder, noch bevor er etwas geleistet haben könnte, von Gott „gerechtfertigt“ ist, hat dies bei mir selber die Bekehrung ausgelöst, Seelsorge, Verkündigung und Lebenshilfe und auch die Pastoraltheologie immer mehr in einer ganz zentralen Weise aus der Perspektive der Rechtfertigungstheologie und damit einer radikalen Gnadentheologie zu begreifen. Als in dieser Hinsicht „lutherischer Katholik“ war ich immer wieder dabei, meine katholische Identität aufihre rechtfertigungstheologischen Möglichkeiten hin durchzubuchstabieren, zuletzt hinsichtlich der Sakramententheologie und -pastoral.1

Weil Luthers Entdeckung für meinen Glauben und für meine Theologie so entscheidend geworden ist, glaube ich, auch das benennen zu dürfen, wo ich gerne (in mancher Hinsicht auch durch die neuere Theologie des Zweiten Vatikanums mitbewegt) mit Luther über Luther hinaus gehen möchte, nicht um einer rechthaberischen Auseinandersetzung, sondern um der authentischen Zukunft der Kirchen willen. Inhaltlich geht es dabei um die solidarische Notwendigkeit der guten Werke genauso wie um die unbegrenzte Reichweite der Rechtfertigungstheologie. Das „mit Luther“ ist dabei sehr ernst zu nehmen, denn ohne Luther ginge es nicht über Luther hinaus.

Auch ist keine zeitenthobene Kritik an Luther angezielt, sondern ich will gerade in der Dynamik seiner unschätzbaren Errungenschaften in Glaube und Theologie aus meiner Perspektive Entscheidendes für die Kirchen fruchtbar werden lassen. Konfessionalistische Auseinandersetzungen weichen der gemeinsamen Auseinandersetzung um eine ökumenische Zukunft des Christentums zum „Heil der Welt“.

„Es geht … um die Rechtfertigungslehre, es geht um eine theologische Grundbotschaft für den Menschen im 21. Jahrhundert – das ist der eine Aspekt. Und der andere Aspekt, dass man immer stärker die ökumenische Frage in den Vordergrund gestellt hat ..: Die großen Kirchen in Deutschland wollen in diesem Reformationsjubiläum Akzente der Gemeinsamkeit setzen. Das halte ich für eine ganz große außerordentliche Entwicklung.“2 Dafür will dieses Buch ein Beitrag sein, ganz im Sinne einer gegenseitigen „Mitreformation“ für die Zukunft.3

Mein Zugang ist kein primär historischer, sondern ein praktisch-theologischer. Selbstverständlich berufe ich mich dabei auf historische Forschungen. Direkte Textbelege zu den Schriften Luthers sind solchen Forschungen zu entnehmen. Es ist das Ziel meines Faches, unsere Gegenwart und Zukunft in eine „Begegnung“ mit Luther und der Lutherrezeption einzubringen. Die gegenwärtigen Herausforderungen und Probleme sind dabei genauso ernst zu nehmen wie die Kontexte, in denen sich Luther und die Menschen, die seine Botschaft annahmen, befanden.4

Das Buch hat vier Kapitel: Nach der Eröffnung des Themenkreises zum Erinnerungsfest der Gnade im Jahr 2017 folgen einige zusätzliche Vertiefungen der in diesem Fest angesprochenen Inhalte. Man muss die Vertiefungen nicht gelesen haben, um drittens zu den Reformatorischen Wegweisungen zu kommen, in denen etwas andere Reformatoren und Reformatorinnen Luther beigesellt werden, vor allem jene andere Wartburgreformatorin Elisabeth, die Luther selbst sehr geschätzt hat. Das Buch endet mit Mut und Demut für eine gemeinsame Solidarität ohne Selbstüberschätzung und für einen Glauben, der Leben und Leiden trägt. Mit jedem der vier Kapitel beginnen in den Anmerkungen die Erstnennungen der Publikationen von Neuem.

Diese Thematik beschäftigt mich seit etlichen Jahren. Was davon bereits publiziert wurde, findet sich in der Liste der Vorarbeiten (sie werden in den Anmerkungen mit Kurztitel zitiert) am Ende des Buches.

Dem Lektor des Echter Verlags, Herrn Heribert Handwerk, danke ich herzlich für das intensive Lektorat und für seinen Einsatz für dieses Projekt und Rolf Bechmann für die abschließende Durchsicht des Manuskripts.

Ca. 1944, also in der für viele Verfolgte und Gequälte und überhaupt für Millionen von Menschen hoffnungslosen Zeit, haben Menschen aus ihrem evangelischen Glauben heraus Martin Luther inhaltlich mit Recht das Wort in den Mund gelegt: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“5 Eine wunderbare Erfindung, die Hoffnung in hoffnungsarmer Zeit mit dem Autoritätsbezug auf Luther selbst zu stärken. Wenn es nicht zu vermessen ist, möchte auch ich, nicht vergleichbar mit den Bedrängnissen um 1944, aber doch aus drängenden Sorgen für die ökonomische, ökologische und religiöse Zukunft der Welt heraus, Martin Luther eine neue Apfelbaumgeschichte in den Mund legen: dass aus der Dynamik seiner Theologie in den Kirchen jenes „Bäumchen“ gepflanzt und gehegt wird, in dem unbegrenzte Solidarität (einschließlich damit verbundener Verzichtbereitschaft) und unendliche Liebe Gottes im Glauben der Menschen heranwachsen können. Martin Luther selbst möge, wie auf dem Titelbild dieses Buches, sein Auge darauf haben, dass dieses Bäumchen zu einem mächtigen Baum wird.

Ich widme dieses Buch meiner Schwester Irene in Dankbarkeit für eine herzliche Geschwisterschaft, für unzählige wertvolle Anregungen in unseren Gesprächen und dafür, wie sie auf ihre Weise den Weg der „anderen Reformation“ geht.

Lichtenfels,

am 25. Juni 2016,

am Fest „Petrus und Paulus“

Ottmar Fuchs

Die andere Reformation

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