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Dienstreise des Offiziers der kaiserlichen Marine Otto Schulze 1906 nach Fernost – Ausreise mit Salondampfer PRINZ-REGENT LUITPOLD
ОглавлениеBriefnummer 1 – Transkribiert von Bernd Liebig
Nordsee, 12. Oktober 1906
Mein einziges süßes Lieb!
Meine beiden Karten aus Hamburg hast Du doch erhalten, es waren die Überbringer meiner letzten Abschiedsgrüße. Vielen herzlichen Dank für das Telegramm, mein liebes Herzchen, noch kann ich mich gar nicht daran gewöhnen, dass ich so weit entfernt von Dir bin, immer glaube ich Dein helles Lachen zu hören, Deine lieben süßen Augen zu sehen und wenn mir dann gar zu wehe ums Herz wird, nehme ich meine Zuflucht zu Deinem Bilde und führe Zwiesprache mit diesem. Ach, was waren es doch schöne Stunden, mit Dir zusammen.
Kannst Du Dir denken, dass ich nie derartiges Heimweh verspürt habe, wie jetzt? Fast wie ein Nachtwandler schleiche ich umher und suche nach irgendetwas, nach, – ich weiß selbst nicht; dann muss mir Dein liebes Bildchen alles Fehlende ersetzen, wenn es auch noch so gering ist. Ich suchte in meinen Sachen immer nach Schriftzeichen von Deiner lieben Hand, nicht ein einziges konnte ich finden.
Ach, wie war ich glücklich, wenn ich in Antwerpen auch nur einen kleinen Kartengruß von Dir vorfände!
Nun, mein innig geliebter Engel, ich bat Dich immer, stark zu sein, und mein Abschiedsschmerz, meine Gedanken an Dich, mein guter Engel, gehen gänzlich mit meiner Überlegung durch; jetzt will ich Dir nicht mehr die Zeit der Trennung so schwer machen. Aber ich weiß nicht, wie mir zu Mute ist; Du kleines liebes Wesen hast mich großen Menschen gänzlich umgewandelt, Du hast in meinem Herzen einen Platz entdeckt, von dessen Bestehen ich keine Ahnung hatte. – Wie bist Du nach Liegnitz gekommen? Warst Du auch recht standhaft beim Abschied von dem schönen Berlin?
Nun will ich Dir einmal etwas von dem Dampfer, der Reise usw. erzählen.
Salondampfer PRINZ-REGENT LUITPOLD
Um 8 Uhr abends verließen wir Hamburg, es war stockfinstere, aber sternenklare Nacht. An Bord befinden sich 200 Kajütspassagiere (hiervon 100 in der I. Kajüte). Wir sind z. Zt. 7 Offiziere der Marine hier an Bord, zum größten Teil kenne ich diese Herren von früher, so dass mir dieser Umstand über meine Grillen hinweghilft. Der Verkehr und Betrieb an Bord dieses Dampfers ist international. In allen Sprachen wird gesprochen. Englisch, Französisch, selbst Japanisch.
Beim Diner haben wir bestimmte Sitzplätze: Neben mir sitzt ein Oberarzt, mir gegenüber ein Hauptmann vom Rebataillon und ein Korvettenkapitän (Major bei der Armee). Jedenfalls verspricht diese Tischnachbarschaft ganz nett zu werden. Die Verpflegung ist, wie ich bereits erzählte, einfach großartig. Ich werde am Schluss einige Speisenkarten beifügen, woraus Du, mein Liebling, ersehen kannst, dass das Leben an und für sich schon erträglich ist. Meine Kabine ist sehr nett und behaglich eingerichtet, mit Sopha und sonstigen Bequemlichkeiten, kurz, jedenfalls ein Raum, der gemütlich genug ist, um darin seinen Gedanken nachzuhängen. – Als ich gestern an Bord kam, fand ich mehrere Glückwünsche von Kameraden vor. Sämtliche Herren freuen sich mit mir über meine Verlobung und wünschen uns beiden viel Glück. Ich soll Dir auch viele schöne Grüße bestellen.
Morgen (Sonnabend) kommen wir nach Antwerpen, am Sonntag, fahre ich mit dem Oberarzt, meinem Tischnachbarn, nach Brüssel, am Montag, gehen wir von Antwerpen nach Southampton, dann nach Gibraltar, Genua, Neapel, Port Said, Aden, Singapore, Hongkong, Shanghai, Penang, Tsingtau.
Heute Morgen wurde ich schon durch eine Morgenmusik geweckt, ich lag und träumte von unsrer Zukunft, von Dir, als die Musikkapelle, welche hier an Bord ist, um bei allen Diners fröhliche Weisen ertönen zu lassen, das Morgenlied ertönen lies: „Frühmorgens wenn die Hähne kräh´n!“ Natürlich wurde ich sofort wach, und konnte über meinen Traum nachdenken. Wenn doch alles so schön in Erfüllung ginge, wie ich es geträumt habe! Das Ende des Traumes war, dass mir immer und immer wieder eine innere Stimme sagt, dass ich Dich nie verlassen werde, ich will Dich schützen auf Deinem ferneren Lebenspfad, und Du sollst mir als mein höchstes und heiligstes Ziel vorschweben, Dich zu besitzen soll mein Lebenszweck sein, dann ist mein schönster Herzenswunsch erfüllt. Wenn ich stets hieran denke, dann werde ich alle Hindernisse überwinden, kein Opfer soll mir zu groß sein, wenn ich Dich nur so recht glücklich sehen kann, wie Du bei unsrer Verlobung warst.
Dich aber, mein einzig geliebtes Wesen, bitte ich, nicht zu grübeln und Dein Köpfchen nicht unnötig mit Gedanken über deine Zukunft zu quälen. Denke immer daran, dass es ein Herz gibt, welches für dich betet, dass ich stets bei Dir wach; zwei Jahre sind bald überwunden. Ich verlasse Dich nie.
In einem Deiner Briefe würde ich gern etwas über den bewussten Punkt lesen, ohne dass mich jedoch der Ausfall deiner Erkundigungen in meinem festen Entschlusse auch nur ganz wenig beeinflussen könnte. Aber neugierig bin ich dennoch.
Wie geht es Dir, mein Lieb, wie Deinen lieben Eltern? Hast Du Dich nun schon einigermaßen an den Gedanken des Getrenntseins gewöhnt?
Für heute will ich schließen; übrigens habe ich ja versehentlich noch Geld von Dir mitgenommen. Nenne mir doch die Summe.
Viele herzliche Grüße an Vater und Mutter; Du aber, mein herziggeliebtes Mädchen, sei viele tausendmal innigst geliebt und geküsst von Deinem Dir bis in den Tod treuen Otto
Nochmals die Adresse:
Marine-Oberzahlmeister Schulze
S. M Tpbt. S. 90“
Ausreise D. „PRINZ-REGENT LUITPOLD“
Briefnummer 2
Antwerpen, 13. Oktober 1906
…Heute Morgen sind wir in Antwerpen eingetroffen, unsere Musikkapelle spielte lustige Weisen, und in verlangsamter Fahrt ging es an vielen großen Seedampfern vorbei zum Platz, der für uns bestimmt war. Gestern war etwas bewegtes Wetter, die Damen verschwanden nacheinander, auch einige Herren, und kamen erst heute früh wieder zum Vorschein, nachdem sie sich von ihrer Seekrankheit erholt hatten. Mir machte diese Unpässlichkeit der Passagiere recht großen Spaß…
…Heute Vormittag werde ich mir die Sehenswürdigkeiten von Antwerpen ansehen, morgen von Brüssel; ich werde Dir dann darüber ganz ausführlich berichten.
Meine Zeiteinteilung an Bord des Dampfers ist folgende:
½ 8 Uhr aufstehen – baden.
½ 9 – 9 Uhr Frühstück
9 – 11 Uhr Promenieren und sonstige Unterhaltung; übrigens habe ich auch schon bei den Zivilpassagieren Anschluss gefunden, ganz nette Leute.
11 Uhr gibt es Brötchen, Bouillon auf dem Promenadendeck oder wo man sonst gerade ist (Rauchsalon),
1 (also 13) Uhr Lunch (Frühstück hier kann man essen, wann und soviel man will.
Dann spiele ich mit zwei Herren einen kleinen Skat, um dann ein Stündchen zu schlafen. Um 4 (also 16) Uhr gibt es Kaffee, Tee, Kakao, kurz was das Herz begehrt, dazu Kuchen usw. Hieran schließt sich wieder ein Spaziergang, damit der nötige Appetit zum Diner – 7 (also 19:00) Uhr – vorhanden ist. Hierbei trinkt man Wein.
Gestern Abend musste ich auf Antreiben unserer Offiziere durch ein Gläschen Sekt (Heidsieck) unsre Verlobung feiern… Für heute Schluss. Morgen mehr
Briefnummer 3
Atlantischer Ozean (Biscayabusen), 17. Oktober 1906
Zunächst möchte ich noch einmal kurz wiederholen, dass ich folgende Briefe bzw. Karten an Dich geschrieben habe und ich hoffe, dass diese in Deine Hände gelangt sind: zwei Karten aus Hamburg, eine Karte aus Antwerpen, zwei Briefe aus Antwerpen, eine Karte aus Southampton. Hast Du diese Sendungen erhalten? In Deinen Briefen bitte ich Dich, immer anzugeben, welche die letzten Briefe von mir waren, die Du erhalten hast (Datum meiner Briefe), damit wir eine Kontrolle haben. Ferner bitte ich Dich, liebes Friedelchen, ein Briefbuch zu führen, in welches Du Datum der abgehenden und eintreffenden Briefe und Karten einträgst; ich führe ebenfalls ein solches. Dies zunächst dienstliche.
Nun etwas von meiner Reise.
Für meine schlechte Schrift bitte ich um Entschuldigung, aber erstens habe ich eine schlechte Feder, zweitens ist die See so unruhig, dass ich kaum sitzen kann, ohne Gefahr zu laufen vom Sitz an Deck zu fallen und drittens schreibe ich im Rauchsalon und habe nicht die Ruhe, welche ich vielleicht in einem anderen, ruhigen Raume hätte; dennoch drängt es mich, mit Dir, mein Herzchen zu plaudern, dabei sehe ich bald meinen Ring, bald Dein liebes Bild, die kleine Madonna, an.
In Antwerpen habe ich mir viele Sehenswürdigkeiten angesehen:
1) die Kathedrale, ein uraltes katholisches Gotteshaus von großer Kraft. Innen befinden sich viele Gemälde berühmter alter Meister wie Rubens, van Dyke. Der Wert dieser Gemälde zählt nach Millionen. Den Turm der Kathedrale erstieg ich ebenfalls, 456 Stufen, und hatte von hier aus einen wunderbaren Blick auf Antwerpen und die Schelde.
2.) Pauluskirche, früher Dominikanerkloster, mit dem berühmten Calvarienberg. Auch hier befinden wunderbare Gemälde von Rubens. Ganz besonders will ich erwähnen „Die Himmelfahrt Christi“, welches Gemälde Rubens in 16 Tagen gemalt hat, wofür er 3.200 Frank erhielt. Jetzt konnte der Louvre in Paris dieses Gemälde nicht für 5 Millionen Frank erstehen. Ferner: „Die Geißelung Christi“, ein Gemälde, welches van Dyke in 6 Tagen malen musste; hierfür bot im vorigen Jahre der reiche Amerikaner Vanderbilt 1 ½ Millionen Mark, hat es jedoch nicht bekommen. Ich könnte noch mehr über diese berühmtesten Gemälde sagen, will mich jedoch damit begnügen, Dir zu erzählen, dass die Farbenpracht dieser Gemälde bisher von keinem Maler auch nur im Entferntesten erreicht worden ist, trotzdem die Gemälde ein Alter von 400 Jahren aufweisen. – Hier habe ich mir auch die zweitälteste Druckerei (Gutenberg hatte die erste), die älteste gedruckte Bibel und sonstige Altertümer angesehen. Mit der Besichtigung dieser Sehenswürdigkeiten habe ich die Zeit unseres Aufenthaltes in Antwerpen ausgefüllt und bin nicht nach Brüssel gekommen, wo übrigens außer einem größeren Leben und Betrieb auf den Straßen am Sonntag nichts zu sehen gewesen wäre. Antwerpen selbst ist ein alte Stadt und weist eine eigene Geschichte auf, ist sehr schön angelegt und hat regen Verkehr. Ich kaufe von jeder Stadt, die ich besuche eine Serie Postkarten; schicke Dir eine davon und behalte die anderen für Dich, zur Sammlung. Von Antwerpen, Brüssel und Southampton füge ich diesem Briefe eine Collection bei.
Antwerpen verließen wir am Montag, 15. Oktober, morgens 9 Uhr unter den Klängen unsrer Bordkapelle und kamen am Dienstag – 16. Oktober. – morgens 5 Uhr nach Southampton, wo wir bis 1 Uhr mittags blieben, um englische Passagiere zu nehmen. Jetzt wird es an Bord schon etwas belebter. In Southampton hatte ich keine Gelegenheit an Land zu kommen, habe daher die Stadt nicht kennengelernt. Seit gestern, Mittwoch Mittag, 1 Uhr sind wir unterwegs nach Gibraltar. Das Wetter ist ziemlich gut, jedoch ist die See derartig bewegt, dass der Dampfer ganz gehörig hin und her schaukelt. Viele Passagiere waren heute nicht zu sehen, sondern liegen gänzlich seekrank und gebrochen in ihren Kabinen, die Ärmsten. Mich fasst ja die böse Seekrankheit nicht. Es ist jetzt 6 Uhr abends des 17. Oktober. Um 7 Uhr ist Diner, da muss ich mich noch umziehen. Morgen mehr.
18.10.1906
…Das Wetter ist etwas besser, dementsprechend auch die See ruhiger, jedoch noch nicht so still, dass die Seekrankheit gänzlich vom Schiff verschwunden wäre. Ab und zu sieht man beim Essen, wie jemand ganz heimlich verschwindet, um an diesem Tage unsichtbar zu bleiben. Na, das sind eben die Leiden der Seefahrt.
Ich habe mich mit mehreren Passagieren, Damen und Herren, ganz nett angefreundet. Wir veranstalten gemeinsam Spiele auf dem Promenadendeck und vertreiben uns so die Zeit. Unter den Damen befindet sich auch eine Braut, die nach Shanghai fährt, um dort zu heiraten. Wir beide vertragen uns ja naturgemäß am besten und tauschen ganz besonders unsere Meinungen über die Brautzeit usw. aus. Haben Dir die Ohren noch nicht geklungen? Die junge Dame hat ein mitfühlendes Herz. Sie war auch über zwei Jahre von ihrem Bräutigam getrennt und hat diese Zeit der Trennung ebenfalls sehr gut überstanden…
…Zur besseren Orientierung über meine Reise nimm Dir einmal eine Karte vor und verfolge die Reiseroute, damit Du auch geographisch unterrichtet bist über meinen jeweiligen Aufenthaltsort. – Weißt Du, Liebling, eben fällt mir ein, dass es doch wohl praktischer wäre, wenn ich Dir die Ansichtskarten gesammelt von Ostasien schicke, weil ich sie durch Hofpostamt schicken kann, während sie vom Dampfer durch Seepost gehen und das Porto höher ist als die Karten überhaupt Wert haben. Darum gedulde Dich noch etwas. Wie steht es mit den Bildern? Ich freue mich schon auf das Bild in Genua. Hier kommen wir am 23. Oktober morgens an. Bei dieser Gelegenheit werde ich die Riviera besuchen, ferner das italienische Seebad Nervi. Soeben klopft die verlobte Dame ans Fenster des Rauchsalons und überrascht mich beim Schreiben. Sie lässt Dich vielmals grüßen und Dir sagen, Du sollst bald nachkommen. Na, das Letztere wird sich wohl schlecht machen lassen. – Die Temperatur ist schon recht warm, wir befinden uns augenblicklich an der Küste Portugals in der Höhe von Lissabon und haben im Rauchsalon 26 Celsius. In einigen Tagen muss ich schon den hellen Tennisanzug, den Du so gern leiden mochtest, hervorsuchen. Ich gehe nämlich am Tage stets in Zivil und ziehe nur abends zum Diner Uniform an. Es ist jetzt ½ 7 Uhr, und es wird zum Diner ½ Stunde vorher geblasen, daher für heute adieu…
19.10.1906
…Die Nacht verlief bei schönstem Wetter, und der prächtigste Sonnenschein weckte mich aus süßen Träumen. Heute Morgen bekamen wir die Küste Portugals wieder zu sehen und konnten uns an den gewaltigen Felsformationen erfreuen. Die Temperatur steigt ganz bedeutend, so dass ich heute Nachmittag schon meinen hellen Tennisanzug anziehen musste. Einen ganz besonders überwältigenden Eindruck macht heute Mittag das Cap St. Vincent, die südwestlichste Spitze Europas, im Hintergrund hohe Berge. Morgen früh kommen wir nach Gibraltar, von wo dieser Brief seinen schönen Bestimmungsort, Dir, mein Lieb, zueilen soll.
Übrigens befinde ich mich augenblicklich in einer durch die Weltgeschichte bekannten Gegend, bei Trafalgar, wo jene berühmte Seeschlacht stattfand. Hier mag es auf dem Meeresboden bunt aussehen, versunkene Schiffe und etc.
Kaum kann ich die Zeit erwarten, bis ich in Genua von Dir endlich einen Brief bekomme, ebenso das Bild. Ich freue mich darauf wie ein kleines Kind. Für Genua habe ich ziemlich viel vor, hoffentlich habe ich Zeit genug zur Verfügung, um nach Mailand zu fahren… Weißt Du übrigens, Herzchen, gestern waren wir 14 Tage verlobt!
Anbei füge ich die Morgenfrühstücks- und Dinerkarte von gestern an.
Briefnummer 4
Mittelländisches Meer, 21. Oktober 1906
…Mein Telegramm aus Gibraltar als Morgengruß, ebenso meinen „kurzen“ Brief hast Du wohl inzwischen erhalten; beide Sendungen haben Dich ja von dem Fortgang meiner Reise gebührend in Kenntnis gesetzt.
Gestern Morgen 6 Uhr kamen wir in Gibraltar an. Im Hafen lagen mehrere englische Kriegsschiffe. Bei Sonnenschein, jedoch sehr unsichtiger Luft machte die Bucht von Gibraltar, an deren einer Seite die Bergfestung Gibraltar liegt, einen freundlichen Eindruck. Gegenüber von Gibraltar, auf der anderen Seite der Bucht liegt die Stadt Algeciras, sehr viel genannt im vorigen Jahre aus Anlass der Marokkokonferenz, welche dort tagte. Frage nur Vater einmal darnach, er wird Dir wohl darüber Aufklärung geben können. – In Gibraltar lagen wir nur etwa eine Stunde, um einige Passagiere zu landen und neue an Bord zu nehmen. Diesen kurzen Aufenthalt benutzte ich, um Dir von diesem viel genannten geschichtlich berühmten Orte einen herzlichen Morgengruß mit Hülfe des Telegraphs zu übersenden…
…Gegenüber von Gibraltar liegt auf afrikanischer Seite die spanische Bergfestung Ceuta, beide Befestigungen bewachen den Eingang zum mittelländischen Meer; die beiden Berge heißen in der alten Geschichte „die Säulen des Herkules“. Die ganze spanische Küste ist gebirgig, und die hohen Felsen reichen bis unmittelbar an das Meer, um hier ganz steil abzufallen. Wie klein und überaus winzig kommt dem Menschen alles von seiner Hand Geschaffene vor gegenüber diesen riesenhaften Werken und Schönheiten der Natur. – Das Mittelmeer macht ein recht freundliches Gesicht, nur leicht ist das schier unermessliche tiefblaue Meer gekräuselt, munter Spielen Delphine in Scharen um das Schiff, als wenn sie sich auch des schönen Sonnenscheins freuten, ab und zu sieht man in nicht weiter Ferne den breiten Rücken eines Walfisches in Trägheit das Wasser durchfurchen, hin und wieder eine Wasserfontäne hervorstoßend. So geht die Fahrt unaufhörlich weiter, in der Ferne die riesigen Berge der Sierra Nevada; teilweise mit ewigem Schnee gezierte Berggipfel bieten eine schöne Abwechselung zwischen der azurblauen Flut und dem hohen Gebirgszug. Kurzum, ein schönes Bild für den Maler. Hoffentlich langweilen Dich meine langatmigen Schilderungen nicht allzu sehr.
Nachdem vorgestern Abend für die Passagiere der II. Kajüte ein kleines Tänzchen stattgefunden hatte, hatte der Kapitän des Schiffes die Liebenswürdigkeit, gestern Abend einen Ball für die Passagiere der I. Kajüte zu veranstalten. Während wir von 7 bis ¼ 9 Uhr beim Diner saßen, wurde das Promenadendeck mit bunten Flaggen und farbigen Glühlämpchen geschmückt. Als wir nach dem Diner auf dem Promenadendeck unsern gewohnten Spaziergang machen wollten, um dann wie gewöhnlich im Rauchsalon unsern Kaffee einzunehmen, erstrahlte das ganze Promenadendeck in tausendfarbigem Lichterglanz und man wähnte sich in eine Märchenwelt versetzt. Um 9 Uhr sollte der Tanz beginnen. Bis dahin musste man nun Toilette machen, um auch äußerlich zu dieser bunten, festlichen Umgebung zu passen. Ich wählte als Ballanzug Smoking, während andere Herren in Uniform, bzw. auch Smoking oder Frack erschienen. Die Damen hatten Balltoilette gewählt Punkt 9 Uhr begann die Musik einen flotten Straußschen Walzer und die Paare drehten sich im Tanz. Ich tanzte nur wenig und auch nur mit den mir seit Hamburg näher bekannten Damen, besonders aber mit der Braut, von der ich Dir schon erzählte, mit der ich auch Quadrille tanzte. – Zur Erfrischung wurde eine Citronenbowle, Torte und Fruchteis gereicht. Um 11 Uhr erreichte das kleine Bordvergnügen sein Ende, und wir saßen dann mit dem Kapitän des Schiffes und den Offizieren zwanglos bis 2 Uhr zusammen, um darauf den wohlverdienten Schlaf aufzusuchen. Selbst an solchem Tage wird in dem recht regelmäßigen Bordleben wenig geändert, das ganze Leben geht hier genau nach der Uhr.
21.10.1906
Heute Morgen erhob ich mich um ½ 8 Uhr und habe bisher den Tag wie gewöhnlich verbracht. Verschiedene Male sind wir wieder photographiert worden, und ich habe hoffentlich Gelegenheit, Dir einige Aufnahmen zu schicken. Das Wetter ist unverändert schön. Gegen Mittag fuhren wir an der Inselgruppe der Balearen vorbei, ebenfalls riesige Felsengruppen, ohne viele menschliche Ansiedelungen. Wir sind jetzt auf der regelrechten Weiterfahrt nach Genua, wo wir morgen, Montag, Abend um 7 Uhr eintreffen sollen. Bis morgen lebe recht wohl…
Briefnummer 4
22.10.1906
Heute am Geburtstag der Kaiserin hat der Dampfer Flaggenschmuck angelegt, um den an Bord befindlichen Ausländern gegenüber diesen Nationalfeiertag würdiger zu gestalten. – Gestern Abend war großes Abschiedsdiner für die in Genua aussteigenden Passagiere. Ich habe Dir die Speisekarte beigefügt; was meinst Du zu diesem Menü? Ganz hervorragend gestaltete sich das illuminierte Eis, das Du ebenfalls auf der Karte verzeichnet siehst. – Der Speisesaal wird plötzlich verdunkelt und es kommen die Stewards (Kellner) in langer Reihe in den Saal spaziert; jeder hält eine Schüssel mit buntem richtigen Eis, das ausgehöhlt ist und dessen Höhlung ein Lämpchen steht, welches natürlich durch seinen Lichtschein das Eis erleuchtet; außerhalb des ausgehöhlten Eisblocks liegt das Speiseeis in allen möglichen Figuren und Arten. Die Reihe der Stewards (Kellner) wird unterbrochen durch Lampion tragende Chinesen, von denen wir etwa 60 Mann als Heizer und sonstiges Bedienungspersonal an Bord haben. Kurz, die ganze illuminierte Eispolonaise machte einen magisch gespensterhaften Eindruck und hat uns allen recht viel Vergnügen gemacht. Durch derartige Kurzweil muss eine kleine Abwechselung geschaffen werden.
Heute Morgen näherten wir uns der französischen Küste bei Toulon und Marseille bis wir um 11 Uhr die Riviera erreichten. Weißt Du, Liebling, ich habe schon viele Naturschönheiten gesehen, aber hier war ich einfach sprachlos, wie die Mutter Natur ihren Schönheitssinn betätigt…. Kleine Reise bis Genua wäre als Hochzeitsreise wie geeignet. Nun also eine kurze Beschreibung. Ganz weit im Hintergrund erheben sich die Seealpen (Alpes Maritimes) mit ihren schneegekrönten Häuptern, auf welchen sich hell und klar die Sonne spiegelt, weiter vor riesenhafte Felsen, die jedoch kahl wenig anziehendes bieten, dann an der Küste als erste der französischen Riviera die Stadt Cannes, rings umgeben von Oliven- und Palmenhainen mit herrlichen Schlössern, Villen und Palästen, dann folgt Villafranca, mehrere andre kleinere und größere Städte und als Perle der Riviera Nizza, die Rosenstadt, der schöne Lage bezaubernd wirkt, nach Nizza folgen wieder andere weniger erwähnenswerte Städte um Monte Carlo den Vorrang zu lassen. Hier sieht man zunächst das Schloss der Fürsten von Monaco und dann das Casino, jenen bekannten Spielpalast, der manchem unglücklichen Menschen das Ende seiner Leidenschaften und seines Lebens bedeutete und noch bedeuten wird. Von den Städten an der Riviera sind noch zu erwähnen: Mentone, Ventimiglia, Bordighera und schließlich San Remo, wo Kaiser Friedrich vergebens Heilung sucht. An der ganzen Küste schlängelt sich die Eisenbahn entlang von Marseille bis Genua, ab und zu in einen Tunnel verschwindend. Wir fuhren so nahe dem Lande, dass ich mir ein sehr gutes Bild von der gesamten Riviera machen kann. Kurzum, eine Naturschönheit, wie sie nur hier existiert... – Ich freue mich auf Genua, wo ich hoffentlich das Bild mit Brief von Dir vorfinde. Kaum kann ich die Zeit erwarten, bis ich endlich von Dir eine Nachricht erhalte.
Für heute Schluss. Von Neapel erhältst Du wieder eine kurze Reisebeschreibung.
Briefnummer 5 Mittelmeer, 24. Oktober 1906
Nun bin ich 14 Tage von Dir fort, noch immer fehlt mir jegliche Nachricht. Als wir vorgestern Abend in Genua einliefen, freute ich mich auf die Post, auf einen Brief von Dir, jedoch vergebens kam eine Post nach der andern an, nur kein Brief von meinem fernen Lieb. Da fiel es mir erst ein, dass die Briefe an mich durch Hofpost gehen, und diese bekommen wir erst morgen Abend um 11 Uhr in Neapel an Bord… Du glaubst gar nicht, wie mir zu Mute ist. Hätte ich davon eine Ahnung gehabt, dass die Hofpost alles so lange sammelt, dann hätte ich Dir einen andere Adresse angegeben… Nun etwas von Genua. – Meinen Brief mit der Beschreibung der Riviera als Schluss hast Du doch erhalten, ebenso meine Karten aus Genua und Nervi, im ganzen sechs (6) glaube ich. – Bei schönem klaren Sternenhimmel kamen wir am Montag Abend ¾ 9 Uhr im Hafen von Genua an und lagen um ½ 10 Uhr fest am Bollwerk. Um noch etwas von der Stadt zu sehen, ging ich noch in Gesellschaft an Land, beobachtete das Straßenleben und war um 12 Uhr wieder an Bord. Viel habe ich nicht mehr von der Stadt sehen können.
Gestern Vormittag besuchte ich mit der verlobten Dame, die mich übrigens heute für Dich photographiert hat, und drei Herren den berühmten Campo Santo, den Friedhof von Genua, eine Galerie von künstlerisch ausgeführten Marmorgrabmälern, welche die Hinterbliebenen des Verstorbenen in Lebensgröße darstellen wie sie um den Vater, oder um die Mutter trauern, kurz eine sehr moderne und etwas zu realistisch gewählte Darstellung der Totenverehrung, die übrigens in Italien allgemein üblich ist, jedoch unserm Zartgefühl vollständig widerspricht. Mich berührte die ganze Sache recht kalt, und wir waren uns alle darüber einig, dass der Campo Santo wieder einmal ein Beweis davon ist, wie die ganze katholische Kirche nur alles nach Äußerlichem beurteilt und aus Theatralischem zusammengesetzt ist. Aber man muss diese Sehenswürdigkeit Genuas gesehen haben. Im Anschluss an diesen Besuch des Friedhofs machte ich mit der Dame Einkäufe. Besonders wird Dich ein Spitzenkragen erfreuen, echte venezianisch handgeklöppelte Spitze, sogenannte Santa Margeritha-Spitze. Hoffentlich habe ich Deinen Geschmack damit getroffen, Du einziger Liebling. Den hier an Bord befindlichen Damen hat er jedenfalls sehr gut gefallen. Ich weiß nur noch nicht, wie ich ihn Dir schicken soll.
Na, ich werde schon einen Weg ausfindig machen; die Liebe ist erfinderisch; denn mit derartigen Sachen muss man vorsichtig sein, weil im Ausland auf der Post ganz entsetzlich gestohlen wird. Gestern Nachmittag war ich mit dem Doktor in Nervi, einem Badeort bei Genua, 16 km entfernt. Prächtige Palmenhaine bieten hier den zur Erholung Weilenden Schutz gegen die Sonne und balsamhaltige Luft für die Lungen. Ein Paradies auf Erden könnte ich es nennen. In einem deutschen Hotel trank ich gutes Münchner Bier und sandte Dir auch vier Karten. Ist die Gegend nicht herrlich? Was meinst Du zu einer solchen Rundfahrt gelegentlich der Hochzeitsreise? Abends fuhren wir mit der Eisenbahn zurück, während wir nachmittags die elektrische Bahn benutzt hatten. Abends gingen wir zum Konzert in ein deutsches Lokal und beschlossen so den Tag. Heute Morgen besuchten wir noch schnell vor der Abfahrt den Rigi, den größten bewohnten Berg der Stadt, der durch eine Drahtseilbahn erreicht werden kann. Dann war aber auch die Stunde der Abfahrt nahe gerückt und um 12 Uhr verließen wir wieder unter den Klängen unsrer Musikkapelle den Hafen. In der Nacht passierten wir die Insel Elba, wo der große Napoleon I. zuerst als Gefangener saß, jedoch 1815 wieder entfloh. Heute am 25. Oktober Vormittag 12 Uhr kommen wir in Neapel an; dort werde ich Pompeji und Herkulaneum, die im Altertum durch einen Ausbruch des Vesuvs verschütteten Städte besuchen, ferner das Nationalmuseum und sonstige Sehenswürdigkeiten. Nachts 1 Uhr nach Empfang der Post aus Berlin gehen wir wieder in See nach Port Said…
Briefnummer 6 26. Oktober 1906
…Heute Morgen kam die so schmerzlich von mir ersehnte Hofpost an.
27.10.1906
…Denke Dir, …mit mir fahren noch mehrere Herren ins Ausland, die ihre Frauen auf zwei und mehr Jahre zu Hause lassen müssen. Unter diesen Herren befinden sich auch zwei mir befreundete Oberzahlmeister. Auch diese Herren werden mit mir die Zeit der Trennung überstehen. Geteiltes Leid ist halbes Leid… Meine Briefe von Genua und Neapel hast Du doch wohl erhalten und daraus gesehen, dass es mir noch immer gut geht. Nun werde ich Dir wieder einmal etwas von meiner Reise erzählen. Am Donnerstagvormittag (25.10) kamen wir in den Golf von Neapel, bei schönstem Sonnenschein und nur ganz leicht gekräuselter See. Zunächst fuhren wir an der Insel Ischia vorbei; dann an Capri, durch die blaue Grotte berühmt, schließlich Sorrent. „Sei gegrüßt du mein schönes Sorrent!“ Dann liefen wir in Neapel ein, rechts etwas im Hintergrund der Vesuv, der leichte Rauchwölkchen ausstieß. Leider sah ich keinen feurigen Ausbruch; er hat sich bei der letzten Eruption im April dieses Jahres, wo er viele Dörfer und Menschenleben vernichtete, etwas sehr verausgabt und sammelt jetzt scheinbar Kraft zu neuer Tat. – „Neapel sehen und sterben“. Na, so fasse ich diesen Vers doch nicht auf. Ich gebe ja gern zu, dass Neapel wunderbare Naturschönheiten aufweist, aber mir gefällt das italienische Volk nicht. Wenn man den Fuß ans Land setzt, wird man sofort von Scharen von Bettlern belästigt, bis man allzu lästige Bengels sich durch einen wohl gezielten Fußtritt endgültig vom Leibe hält. Hierzu bildet der Schmutz in den Straßen die richtige Szenerie, so dass die Stadt an und für sich gerade nicht den günstigsten Eindruck macht. Von der Stadt selbst will ich nur das Nationalmuseum, wo sich die Ausgrabungen von Pompeji befinden, erwähnen, den Königspalast und die Galleria Umberto einer mit Glas überdachten kreuzforumförmigen, enorm hoch gewölbten Passage mit der sich die Berliner Passage nicht messen kann. Hier spielt sich das abendliche Leben ab, hier sind Cafes, Konzerte, kurzum, wenn man Neapel abends sehen will, geht man hierher. – Ich machte eine Droschkenfahrt nach dem Castel Santo Martino, dem höchsten Punkt der Stadt; es ist ein altes Fort, wo 500 Militärgefangene sitzen. Von hier beobachtete ich den Sonnenuntergang, ein malerisches, wunderbares Schauspiel, welches mir stets in Erinnerung bleiben wird. Ebenso ist der Blick über das Lichtermeer der Stadt ein wunderbarer; fahrende Sänger spielten und sangen uns die überall bekannten neapolitanischen Lieder vor und versetzten uns durch die eigentümliche Vortragsweise in die erforderliche träumerische Stimmung, die nötig ist, um Neapel richtig anzusehen. Nachmittags sah ich Pompeji und das Nationalmuseum, abends beobachtete ich das Straßenleben. Im Allgemeinen bin ich von Neapel befriedigt.
Gestern früh (26.10.) um 10 Uhr verließen wir Neapel; wir sollten ursprünglich, wie ich Dir schon schrieb, am 25.10. abends 1 Uhr fortgehen, aber die europäische Briefpost für Ostasien hatte Verspätung, mit dieser natürlich auch Deine lieben Briefe, der Dampfer ist aber als Postdampfer verpflichtet, auf die Post zu warten. – Bei schönstem Sonnenschein verließen wir Neapel und bekamen nachmittags ½ 6 Uhr den Vulkan Stromboli in Sicht. Hier bot sich uns das lange ersehnte Schauspiel vulkanischer Ausbrüche. In Zeitabständen von 10 – 15 Minuten stößt dieser Vulkan eine gewaltige Feuersäule, etwa 200 m hoch, aus seinem riesigen Kraterschlund, dann läuft die rotglühende Lava den Berg hinab ins Meer, erkaltet natürlich auf diesem Wege, nachdem man noch ein beträchtliches Stück lang ihren glühenden Lauf verfolgen konnte. Nach 10 – 15 Minuten wiederholt sich dasselbe wunderbare Naturschauspiel. Es war dies jedenfalls das Interessanteste meiner bisherigen Reise. Abends 10 Uhr passierten wir zwischen Italien und Sizilien an mehreren hell erleuchteten Städten vorbei die nur 1 ½ km breite Meerenge von Messina. Den größten feuerspeienden Berg Italiens, den Aetna, verhüllte leider eine dichte Wolkenschicht. Von hier aus sagten wir Italien lebe wohl und wandten uns ostwärts um Port Said in Ägypten als nächsten Hafen zuzusteuern. Hier sollen wir Montag (29.10.) nachmittags ankommen. Und von hier wird auch dieser Brief an Dich abgehen. – Den Spitzenkragen habe ich einem Herren aus Elberfeld verpackt mitgegeben. Dieser Herr ist in Neapel ausgestiegen, macht noch eine Erholungsreise durch Italien und kommt Ende November nach Elberfeld zurück. Er wird Dir den Kragen dann schicken.
28.10.1906
Soeben habe ich einen acht Seiten langen Brief an meine Eltern beendigt, nun kommst Du wieder an die Reihe. Heute hat der Bräutigam der von mir häufig erwähnten verlobten Dame Geburtstag, aus diesem Grunde nahm die genannte Dame Veranlassung, uns, die wir enger bekannt geworden sind, zur Feier des Tages zu einem Glas Sekt einzuladen. Ich habe auch die Absicht, in Shanghai im Hause der Jungverheirateten zu verkehren. – Heute am Sonntag ist Gottesdienst, der von einem englischen Prediger abgehalten wird; aber ich will mir lieber die Sache schenken, da ich meine Seele noch nicht so schwer belastet fühle, dass ich Absolution nötig habe. – Unsre Reise geht bei schönstem Wetter immer näher ihrem Ziele; heute Morgen fuhren wir an der Insel Kreta vorüber; Morgen – Montag – sind wir in Port Said. In Neapel habe ich riesig billig Ansichtskarten gekauft, ich glaube 100 Stück. Ich werde Dir alle Karten von Tsingtau schicken, Du kannst sie ja nach Belieben verwenden...
P. S. Die Portosätze für das Hofpostamt sind: bis 20 Gramm 10 ?, bis 60 Gramm 20 ?
…Nun bitte ich Dich, mir noch einen Gefallen zu tun: Bitte doch Vater, er möchte mir mit einem der nächsten Briefe einige Bogen chlorfreies Papier mitschicken, zum Einpacken meiner silbernen Uniformgegenstände, da diese in den Tropen sonst schwarz werden.
P. S. Mit Herrn Kruse war ich im Januar 1903 auf der II. Torpedoboots-Reservedivision zusammen an Bord.
Um die Briefbogen dem Couvert passend zu machen, musste ich sie notdürftig abschneiden.
Briefnummer 7 Port Said – Suez, 30. Oktober 1906
…Ich freue mich, dass ich Dir auf meiner Ausreise ohne Unterbrechung Nachrichten schicken kann, und ich hoffe, dass Dich meine in so kurzer Aufeinanderfolge bei Dir eintreffenden Briefe beruhigen werden, da Dir der Inhalt meiner Briefe stets Kunde davon bringt, dass ich mich wohl befinde. Ich wende aber auch alle gebotenen Vorsichtsmaßregeln an, um allmählich und sicher in die tropischen Gegenden zu kommen.
Mein Brief und die zwei Karten aus Port Said werden voraus sichtlich mit diesem Brief zusammen in Deine Hände gelangen, da wir dem englischen Postdampfer vor Port Said begegneten und dieser erst von Brindisi zurückkehren muss.
In Port Said kamen wir gestern Nachmittag fahrplanmäßig um 5 Uhr an und füllten den Kohlenvorrat wieder auf. Wir gingen an Land, da das Schiff erst abends 11 Uhr wieder weitergehen sollte. Das Leben und Treiben in Port Said ist international. Sämtliche Sprachen werden hier gesprochen. Die Bevölkerung der Eingeborenen ist arabisch, also orientalisch, hierdurch gewinnt der Anstrich der ganzen Stadt eine ganz andere typische Färbung. Landschaftlich ist die Stadt aus der Wüste emporgewachsen und bietet hierin keinen Reiz, mit Ausnahme einer künstlich angelegten Palmenallee. Der Verkehr im Hafen selbst ist ein ganz enormer. Außer uns lagen noch fünf große Dampfer hier, um Kohlen zu nehmen, und ein englisches Schlachtschiff.
Zunächst sahen wir uns das Straßenleben an, dann einige Geschäfte; bei dieser Gelegenheit habe ich für Dich, mein Herzelchen, einige kleine Andenken gekauft. Zunächst ein Spitzentaschentuch aus echter handgeklöppelter Malta-Spitze. Die Echtheit der Spitze lässt sich aus den in den vier Ecken befindlichen Malta-Kreuzen erkennen. Diese Industrie ist der Haupterwerbszweig der weiblichen Bevölkerung der Insel Malta. Gefällt Dir das Taschentuch, mein Herzensschatz? Ferner werde ich Dir von Tsingtau mit der Hofpost eine Halskette schicken mit ägyptischen Emaille-Amuletts, weniger kostbar als originell... Beiliegend füge ich Dir ferner eine Tischordnung der I. Kajüte bei. Es wird Dich sicherlich interessieren, aus welchen Gesellschaftsklassen und Nationen die Passagiergesellschaft zusammengesetzt ist. Der Oberlehrer Kuentzel nebst Frau, den Du ebenfalls verzeichnet findest, fährt nach Tsingtau als Lehrer der Deutschen Schule. Er war fünf Jahre in Liegnitz, zwei Jahre hiervon verheiratet. Kennst Du ihn vielleicht? Ganz zufällig kamen wir ins Gespräch, und dabei erwähnte er auch Liegnitz. Du siehst hieraus, mein Liebling, dass die Welt doch recht klein ist. Überall finden sich Anknüpfungspunkte.
…dafür muss ich aber auch recht lange auf eine Nachricht von Dir warten; denke Dir, erst in 5 – 6 Wochen, also erst nach Beendigung der Ausreise, kann mich ein Brief von Dir ereilen, da wir der nachkommenden Post immer voraus laufen und der kürzere Weg über Sibirien noch nicht wieder von den Russen freigegeben ist. – …Vorgestern Abend baute ich Luftschlösser und dachte schon jetzt so recht wehmütig an meine Rückreise, die ich möglicherweise über Nordamerika zurücklegen werde, um so eine Rundreise um die ganze Erde gemacht zu haben. Was meinst Du zu meinen Zukunftsplänen? …Aber es liegt an der Szenerie, die mich augenblicklich umgibt.
Seit gestern Abend 11 Uhr sind wir im Suez-Kanal, rechts und links nichts als trostlose Wüste, rechts die Sahara, links die arabische Wüste...
NB. Sollte es Dich interessieren, für den „PRINZ-REGENT LUITPOLD“ kostet eine Fahrt durch den Suez-Kanal (16 Stunden) 40 Tausend Mark.
Briefnummer 8
Indischer Ozean (Aden – Colombo), 5./6. November 1906
…Die ohne Unterbrechung arbeitenden beiden Schiffsmaschinen haben den Dampfer wieder ein großes Stück weitergebracht. Während wir vorgestern recht bewegte See hatten, so dass das Schiff häufig in seinen Fugen erzitterte, wenn es gegen die wütend sich hoch auftürmenden Wogen andampfte, hat sich gestern und heute das Meer wieder beruhigt und lässt uns ungehindert passieren, bis der Meeresgott einmal wieder schlechte Laune hat und sie an uns armen kleinen Erdenwürmern auslässt. An solchem bewegten Tage macht das Promenadendeck eher den Eindruck eines Hospitals, als eines Tummelplatzes für fröhliche Passagiere. Es ist kein erhebendes Gefühl, wenn man morgens beim Spaziergang nach dem Kaffee nur bleiche Gesichter sieht, apathische, geistesabwesende Menschen, denen in solchem Zustand der Seekrankheit der Tod fast erwünscht wäre; gänzlich abgestumpft und teilnahmslos gegen äußere Eindrücke träumen diese Unglücklichen – und es ist der größte Teil aller Passagiere. Wir Seebären, die wir ja alle seefest sind, leisten bald hier, bald dort einer schwer leidenden Dame kleine Handreichungen und bieten ihnen oft unsren Arm bei einem notwendigen Gang über Deck, oder sprechen ihnen Trost zu, sei es nun eine Deutsche, Engländerin, Französin, Italienerin. Hier gibt es keine Volksunterschiede, alle treten für einander ein. Wie ich schon sagte, ist Neptun jetzt recht gnädig, und hat uns wieder ruhigeres Wetter geschenkt; ich wünsche es auch den reisenden Damen. Mir macht, offen gestanden, eine bewegte See mehr Vergnügen, man sieht dann erst die Macht des Wassers, dieses gewaltigen Elementes. Voraussichtlich werden wir zwischen Singapore und Shanghai noch etwas bewegtere See bekommen, weshalb Du Dich jedoch nicht zu ängstigen brauchst, Herzelchen, denn wenn man ein derartig tüchtiges Schiff, wie die PRINZ-REGENT LUITPOLD ist, unter den Füßen hat, unter der tüchtigen Führung eines so vorsichtigen Kapitäns, wie unsrer Dampfer-Kapitän Kirchner ist, dann wird nichts passieren. Das Schiff hat eine Länge von 140 Metern bei einer Breite von 24 Metern und 8 Metern Tiefgang, also immerhin ein gewaltiger Koloss. Ich führe diese Größenverhältnisse des Dampfers nur zu Deiner Beruhigung an.
In Aden habe ich einige Straußenfedern gekauft, jedoch konnte ich in der Eile nur verhältnismäßig kürzere Exemplare bekommen. Lange Federn muss man vorher bestellen, daher werde ich mir diesen Kauf für meine Rückreise aufsparen, vorausgesetzt, dass ich nicht über Nordamerika fahre.
Wir haben hier eine Lotterie gegründet, und zwar folgendermaßen: Es werden 40 Lose ausgegeben zu je einer Mark hierauf steht je eine Zahl, welche die am Tage vorher, d. h. von mittags 12 Uhr bis mittags 12 Uhr, zurückgelegte Strecke in Seemeilen bezeichnet. Drei Gewinne gibt es, hiervon hatte ich gestern den zweiten Gewinn in Höhe von 8 Mark. Heute habe ich zwei Lose, und werde Dir mitteilen, ob ich gewonnen habe, oder nicht. Der erste Gewinn beträgt 20 Mark, da es jetzt ½ 12 Uhr mittags ist, muss es sich bald entscheiden.
07.11.1906
…Nach einer ruhigen, aber heißen Nacht war ich froh, als mir der Badesteward meldete, dass mein Bad bereit wäre. Bei der großen Zahl von Passagieren hat jeder eine bestimmte Zeit zum Baden, ich z. B. morgens um 7 40 Minuten. Seit vier Tagen sahen wir heute Morgen wieder einmal einen Dampfer, sonst sind die einzigen Lebewesen, die außer uns noch das Meer beleben, fliegende Fische, Haifische und Delphine, sonst ist auf der unendlichen Wasserfläche nichts weiter zu sehen. Ich muss gestehen, dass mir die Dampferfahrt bald zu eintönig wird, weil ich keinen Dienst habe. Meine einzige Beschäftigung besteht im Briefeschreiben. Hin und wieder spiele ich Klavier im Salon. Dann bin ich natürlich von den Damen rings belagert. Am interessantesten sind die Abende. Da finden sich Gesinnungsfreunde im Rauchsalon um einen Tisch zusammen, unter der Leitung des Kapitäns wird dann ein Garn gesponnen, d. h. mancherlei Seemännisches erzählt, dann werden Erlebnisse ausgetauscht, bis es 12 Uhr ist, dann sende ich noch einen Blick in die Ferne zu Dir, winke Dir meinen Gute-Nacht-Gruß zu und gehe schlafen. Das ist tagein, tagaus immer dasselbe. Na in drei Wochen bin ich an meinem Bestimmungsort angelangt, dann fängt der Dienst für mich an, nach dem ich mich jetzt schon sehne. Heute Morgen bin ich von der verlobten Dame noch einmal im hellen Anzug photographiert worden, hoffentlich kann ich diesem Briefe einen Abzug beifügen?
Gestern habe ich leider nicht gewonnen, ich hatte 357 und es gewannen 358, 359, 360, ist das nicht Pech?
Nun habe ich Dir noch eine beruhigende Mitteilung zu machen: Zum Heiratskonsens selbst sind Papiere nicht nötig, meine vorgesetzte Militärbehörde erkundigt sich zwecks Erteilung des Konsenses in Liegnitz an maßgebender Stelle nach den persönlichen und bürgerlichen Verhältnissen Deines Vaters. Der Auszug aus dem Standesamtsregister und Taufschein werden nach Erteilung des Konsenses dem Standesamt Liegnitz und Wilhelmshaven zwecks Vorbereitung der gesetzlichen Schritte zum Eingang der Ehe zugestellt. Also, mein Mäuschen, Du kannst froh und glücklich in die Zukunft blicken.
08.11.1906
…Bei schönstem Ozeankonzert, veranstaltet von unsrer Bordkapelle, wie es täglich nachmittags von 4 bis 5 Uhr der Fall ist, will ich mein Briefchen an Dich fortsetzen. Heute Morgen erwachte ich mit wahnsinnigen Kopfschmerzen, die meine sonst so gute Laune verschlechterten. Infolgedessen habe ich mich um 11 Uhr wieder hingelegt und stand um ½ 5 Uhr gestärkt und ohne Kopfschmerzen wieder auf; gegessen habe ich heute noch gar nichts, jedoch werde ich mich beim Diner um 7 Uhr schadlos halten. Der Grund meiner Unpässlichkeit liegt in der schwülen Luft, die wir jetzt haben, es scheint die Ruhe vor einem Gewitter zu sein.
Gestern war wieder ein kleiner Bordball, nachdem das Promenadendeck hierzu gebührend ausgeschmückt worden war. Ich tanzte jedoch nicht, erstens weil es zu heiß war, zweitens aber, weil es mir doch kein Vergnügen macht, ohne Dich zu tanzen. Mein Interesse für derartige Bordbälle ist daher nur sehr minimal…
Übermorgen (10.11.) früh kommen wir in Colombo, auf der Insel Ceylon, an. Hast Du Dir einmal meine Reise auf dem Atlas angesehen? Nach Colombo muss ich schon Weihnachtsbriefe schreiben, damit sie pünktlich ankommen – fahrplanmäßig am 21. Dezember in Berlin... – Ich schreibe im Speisesalon wo ich mehr Ruhe habe, mit Dir zu plaudern; jetzt muss ich aber aufhören, da die Stewards zum Diner den Tisch decken wollen. Darum lebe wohl für heute, Du meine Beste, morgen mehr.
09.11.1906
…how are you? So ein bisschen Englisch liegt mir immer auf der Zunge und läuft dann ab und zu so mit unter. Ich habe trotz der großen Hitze gut geschlafen – immerhin ist eine Temperatur von 28° der Durchschnitt in der Nacht – aber elektrisch betriebene Kammerfächer sorgen für Zirkulation der Luft. Die See ist nach wie vor fast spiegelglatt. Gestern Nacht sahen wir seit fünf Tagen den ersten größeren Dampfer an uns vorbeifahren, hell erleuchtet, vermutlich auch ein Passagierdampfer. Es ist dies ein Zeichen, dass wir uns wieder einem größeren Hafen nähern. Denkst Du daran, gestern waren wir fünf Wochen verlobt, wie doch die Zeit vergeht, und mir ist es so, als wäre es eben erst gewesen…
Heute schreibe ich zur Abwechselung mal wieder im Rauchsalon, am selben Tisch schreiben ebenfalls die beiden Oberzahlmeister an ihre Frauen, der eine nach Wilhelmshaven, der andere nach Kiel. Es schreibt sich insofern in dieser Gesellschaft netter, als wir drei dienstlich dieselben Interessen haben und später auch gesellschaftlich zusammenkommen, wenn Du erst mein liebes Frauchen bist. Jeder gibt mir gute Ratschläge für die Ehe, und ich bin ihnen sehr dankbar; denn so mancherlei ist mir doch fremd. – Wenn ich erst mein Kommando angetreten habe, muss ich so langsam anfangen, mich mit Dir, mein Herzelchen, bezüglich unsrer Wohnungseinrichtung ins Einvernehmen zu setzen. Denn ehe ich auf einen Brief Antwort von Dir habe, vergehen wieder vier Monate. Ebenso werde ich nach Verlauf einiger Monate den Consens beantragen; denn ehe ich diesen habe, vergehen ungefähr 6 – 7 Monate, und ich möchte, doch keinen Tag meines Urlaubs nach Rückkehr dazu benutzen um die Präliminarien zur Hochzeit zu erfüllen. Darum muss alles geregelt sein, wenn ich zurückkomme, damit wir die Zeit meines Urlaubs sorglos für uns beide verwenden können... Ich bin jetzt im Lande der Seide. Welche Sitte herrscht dort in Liegnitz bezüglich des Brautkleides? Ich möchte so gern den Stoff hier in China kaufen (in Canton). Ist es dort Sitte, dass der Bräutigam den Stoff kauft und der Braut schenkt? Wenn nicht, so müsste ich eine Ausnahme machen und die Berliner Sitte anwenden, wonach der Bräutigam das Kleid schenkt. Wenn es auch noch etwas früh erscheint, dieser Frage näher zu treten, so möchte ich dennoch möglichst früh darüber Bescheid wissen, weil ich nicht weiß, wann ich nach Canton komme...
Briefnummer 10
Penang – Singapore 14. November 1906
…Mit gleicher Post will ich auch noch von Singapore in treuer Liebe Dein gedenken! – Es geht mit demselben Dampfer von Penang ein Brief an Deine lieben Eltern ab. Da wir morgen schon in Singapore eintreffen, kann ich mich in diesem Briefe nur verhältnismäßig kurz fassen. Zunächst anschließend an meinem 9. Brief (Colombo – Penang) eine kurze Reisebeschreibung. Der Schluss unsrer Fahrt Colombo – Penang verging ohne jede Störung bei schönstem Wetter, und heute Morgen 9 Uhr kamen wir in Penang an. Die Stadt selbst gehört den Engländern, ist schön angelegt, breite Straßen natürlich rein tropischen Charakters. Die Bewohner sind mit Ausnahme einiger europäischer Kaufleute zum größten Teil Chinesen und Inder. Unter den Chinesen sind einige sehr reiche Kaufleute, die großartige Paläste bewohnen. Das Straßenleben hat ein von Colombo im Grunde wenig verschiedenes Aussehen. Besonders bemerkenswert sind die wirklich vornehm aussehenden, leicht gebauten Carriages (unsern Droschken etwa) ferner habe ich bei Colombo, wie es hier in Penang auch der Fall ist, die Rickschahs zu erwähnen vergessen. Rickschah ist ein Wagen mit zwei Rädern, schön elegant gebaut, von einem Rickschah-Kuli gezogen, es sind diese Kulis in Colombo Inder, hier in Penang Chinesen, also Eingeborene. Diese Rikschas benutzt man zu Fahrten in der Stadt genau wie Droschken. Der Europäer läuft hier überhaupt niemals, sondern fährt stets. Zunächst berührt es den Fremden etwas eigentümlich, wenn er Menschen sieht, die zum Zugtier herabgewürdigt sind. Aber man gewöhnt sich schnell daran, auch kennen es diese Kerle ja gar nicht anders. Stundenlang laufen diese Kulis mit einem Europäer in ihrem Wagen, es kommt auch vor, dass ein halsstarriger und widerspenstiger Kuli erst nach Genuss des Spazierstockes oder eines Fußtrittes des Europäers wieder seinen Dienst weiter versieht. Doch gehört dieses Vorgehen eines Europäers immerhin zu den Seltenheiten bei der heutigen Aufgeklärtheit der Eingeborenen. Bekanntlich sind die Chinesen hinterlistig, und man kann diesen langgezopften, schlitzäugigen Vertretern der gelben Rasse eben so wenig Vertrauen schenken, wie den Japanern. Jedenfalls darf sich ein Europäer allein nie in das Chinesenviertel einer Stadt wagen, ohne zu riskieren, dass er spurlos verschwindet. Der Hass der gelben Rasse gegen die weiße ist groß.
So sah damals ein Haus in Penang aus
15.11.1906
…Da die Temperatur in den unteren Räumen ziemlich heiß ist, zog ich es vor, ein Stündchen auf dem Promenadendeck ruhig zu sitzen und meinen Gedanken nachzuhängen, indem ich in die endlose Weite schaute und von Dir träumte. Einen solchen Moment hat die verlobte Dame ohne mein Wissen benutzt, um mich für Dich zu photographieren. Ich bin gespannt wie das Bild geworden ist, und werde Dir gelegentlich einen Abzug schicken. Ich glaube, dass ich ein glückliches Gesicht mache, na, wir wollen, ´mal sehen. – Gestern in Penang besuchte ich mit Fräulein Iffland (die verlobte Dame) und einem Marine-Arzt, den ich von früher kenne, den Botanischen Garten, eine Naturschönheit ersten Ranges. Den Glanzpunkt bildet ein riesiger Wasserfall, der von einem etwa 1.000 m hohen Felsen gewaltige Wassermassen herabsendet, herrliche Kühlung und Frische allenthalben verbreitend.
Da wir wieder um 2 Uhr nachmittags in See nach Singapore gehen sollten, war unsres Bleibens in der Stadt nicht lange, und unter Benutzung unsres Wagens erreichten wir wieder den Hafen. Da die Sonne unbarmherzig ihre glühendsten Strahlen herabsendet, ist es für den Europäer sehr gefährlich zu gehen, denn häufige Fälle von Sonnenstich lassen den Fremden stets die größten Vorsichtsmaßregeln beobachten. Spezielle Andenken an Penang existieren nicht...
Salondampfer PRINZ-REGENT LUITPOLD
Ich nehme mich jetzt immer so sehr zusammen, mache keine unnötigen Kraftübungen und Sprünge, wie ich sie früher so gern machte, aus Sorge, es könnt´ mal schief gehen. Vor allen Dingen schone ich mich in Bezug auf meine Lebensweise, damit ich nicht eines schönen Tages wieder krank werde, wie es leider in Tropen leicht möglich ist. Also meinetwegen kannst Du ganz beruhigt sein.
Heute Abend um 8 Uhr kommen wir in Singapore an und gehen morgen Mittag nach Hongkong weiter.
Briefnummer 11 – transkribiert von Bernd Liebig
Singapore – Hongkong 17. November 1906
…Bei Ankunft dieses Briefes ist Weihnachten mit all seinen Freuden, seinem Lichterglanz und Flitter vorbei, und das alte Jahr geht seinem Ende entgegen, um im Weltengetriebe ebenso zu versinken, wie seine Vorgänger. Auch Du… rüstest Dich, um das neue Jahr würdig zu empfangen, um mit neuer Schaffensfreude alle Fügungen des Schicksals auch im neuen Jahre zu bestehen.
Was uns das Jahr 1907 bescheren wird, liegt tief im Schoße der Zeiten. Aber mit Mut und Gottvertrauen ans Werk! Daher wünsche ich, dass Du auch im Neuen Jahre vor allem Deinen Humor behältst, stets lustig und fidel an alles herantrittst, „frisch gewagt ist halb gewonnen“; Du hast ja nun Zeit, alles so nett vorzubereiten, damit bei meiner Rückkehr vom Ausland zur Hochzeit alles in Ordnung ist; denn wie ich schon einmal erwähnte, soll die Zeit meines Urlaubs nicht allzu sehr durch derartige Arbeiten in Anspruch genommen werden. Sei mir immer recht gesund und schone Dich auch im neuen Jahre; hierbei möchte ich bemerken, dass alle meine Ratschläge und Anweisungen für Dein Wohlergehen ohne Weiteres auch im Jahre 1907 volle Gültigkeit haben. Es wäre ja immerhin nicht unmöglich, dass Du mit Schluss 1906 und Beginn 1907 von mir neue Anweisungen in Bezug auf die „schonende Behandlung Deines Persönchens“ erwartest. Also nochmals Dir, Vater und Mutter Glückauf im Neuen Jahre!
…Nun sage mir ´mal, …wo und wie hast Du Weihnachten verlebt? Hat sich der Weihnachtsmann auch recht liebenswürdig und freigebig gezeigt?
…Der Weihnachtsmann aus China kommt wegen der langen Reise erst etwas später zu Dir… Soeben musste ich den Brief unterbrechen, weil wir heute Vormittag einige Aufnahmen machen wollten. Diese sind bei dem klaren Wetter hoffentlich gelungen, und ich werde diesem Briefe einige Abzüge beifügen. Gefallen Dir die Bilder, die ich neulich schickte? Du hast dadurch so einen kleinen Einblick in das Leben an Bord eines Passagierdampfers bekommen. Doch Adieu, Nachmittag oder morgen früh mehr!
18.11.1906
…da bin ich wieder. Wie jeden Sonntag früh, so weckte uns auch heute Morgen ein Ständchen unsrer Bordkapelle, bestehend aus zwei Chorälen, aus süßen Träumen. Wie ich kürzlich schon sagte, hat sich das Wetter tatsächlich verschlechtert. Seit heute Mittag ist die See recht bewegt, das Schiff nimmt recht viel Wasser über, und die Passagiere sind meist seekrank, wieder das alte Bild; aus der Galerie schöner Frauen ist eine Marodengalerie geworden, alle bleich und wenig gefasst. Auch viele Herren machen es den Damen nach. Na, wenn jemand eine Seereise macht, muss er auch die Leiden derselben genießen. Nun muss ich Dir doch noch etwas von Singapore erzählen. Um Kohlen zu nehmen, Post abzugeben und zu nehmen, Passagiere ebenfalls, liefen wir diesen Hafen am 16. November an, morgens 6 Uhr. – Alsbald machten wir uns fertig, um an Land zu gehen. Zunächst nahmen wir uns ja einen Rickschah, wie ich Dir schon erzählte; ein von einem Menschen gezogenes Gefährt, und fuhren zum Botanischen Garten, wo wir besonders Kautschuk- (Caoutchouc) und Gummibäume mit großem Interesse sahen. Man schneidet nur in die Rinde, und das fertige Kautschuk oder Gummi fließt als milchiger Saft heraus, wird hart, und das Produkt ist fertig. Das Leben in der Stadt ist ähnlich wie in Colombo und Penang. Die Bevölkerung ist zum größten Teil chinesisch, dann malaysisch, die niedrigste Volksklasse sind die Rickschahkulis, verachtet von den andern ihres Volkes. Mir taten diese Kerle immer leid. Sie laufen so schnell, wie Pferde, halten jedoch ihren sehr anstrengenden Beruf nicht allzu lange aus, sondern gehen nach Verlauf einiger Jahre an Schwindsucht ein.
Singapore ist einer der größten Häfen der Welt, er lag gedrängt voll von Dampfern aller Nationen. Besonders erfüllt es jeden guten Deutschen mit großer Freude, wenn er die schwarz-weiß-rote Flagge so häufig auf Dampfern im Auslande luftig im Winde wehen sieht. Im Hafen von Singapore lagen mindestens sieben Dampfer deutscher Herkunft. Sonst ist nichts Besonderes zu vermerken. –
Am Mittwoch – 21. November – kommen wir nach Hongkong. Hier verlassen viele Passagiere das Schiff, und ich bekomme Befehl, wo ich aussteige. Nur noch 16 Tage…
19.11.1906
…Nun, Du wirst wohl augenblicklich noch sanft schlummern, denn wir sind hier in der Zeitrechnung gegen Deutschland um 7 Stunden voraus, es ist hier jetzt 11 Uhr vormittags, mithin ist es dort 4 Uhr morgens. Da siehst Du vielleicht ´mal nach der Uhr, um mit Freude feststellen zu können, dass Du noch einige Stunden träumen kannst. Die See hat sich heute etwas beruhigt und infolgedessen sind die Seekranken auch auf dem Wege der Besserung. Ebenso wird es auch allmählich kühler. In Singapore hatten wir den südlichsten Punkt erreicht, nur noch wenig entfernt vom Äquator, es war aber auch entsprechend heiß, und man musste sich gegen Hitzschlag auf jede Art und Weise schützen. Wie Du aus den Bildern, welche ich eben bekommen habe, sehen kannst, habe ich schon wieder einen dunkleren Anzug an, ein Zeichen, dass es erträglichere Temperatur ist. Die Bilder – 7 Stück – sind alle ganz nett geraten, nur bei einem hat der Apparat gewackelt, so dass meine Augenpartie fehlt, und das Momentbild welches, wie ich Dir schon schrieb, ohne mein Wissen gemacht wurde, ist etwas unklar, aber es lässt doch noch in meinem Blick ein tiefes Sehnen erkennen, in Gedanken an Dich, mein Lieb, versunken, hast Du mich nun auch auf dem Bild.
Unsre Reise neigt sich allmählich seinem Ende zu. Am Sonnabend den 24. November verlassen wir in Shanghai die „PRINZ-REGENT LUITPOLD“ und wenn ich nach Tsingtau komme, steige ich auf einen kleineren Dampfer, der uns in 36 Stunden an unser Ziel bringt. Allenthalben macht sich ein Gefühl von Langeweile, ja Faulheit, bemerkbar, und jeder sehnt sich danach, wieder in einen geregelten Betrieb hineinzukommen. In Tsingtau treffe ich mehrere sehr intime Kameraden, die dort ebenfalls an Bord sind. Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen mit ihnen.
…Wenn Du den seidenen Kragen aus Genua und das Spitzentaschentuch aus Port Said erhalten hast, teile es mir doch bitte kurz mit… …sage ich… für heute adieu, lebe wohl bis morgen…
20.11.1906
…Nach einer sehr unruhigen Nacht, war ich heute Morgen froh, aufstehen zu können... Das Wetter hat sich sehr verschlechtert, und es steht eine See, wie ich sie nur wenige Male gesehen habe. Das Schiff rollt, stampft, dass es einen Hund jammert. Es scheint so, als ob sich der gewaltige Meeresgott Neptun noch einmal von seiner unangenehmsten Seite zeigen wollte, damit wir nur nicht die Achtung vor seiner Gewalt verlieren könnten. Der Erfolg ist daher auch dem Beherrscher aller Meere sicher. Er spielt mit dem Schiff, wie ein Kind mit einem Ball. Kaum sollte man annehmen, dass ein derartig großer Dampfer so leicht hin und her geworfen werden kann. Da kommt mir wieder unser altes Marine-Spruch-Wort in den Sinn: „Die Seefahrt ist nur für die Dummen!“ Nachts wird man in der Koje (Bett) herumgeworfen, dass man nicht einen Augenblick zur Ruhe kommt. Am Tage kann man sich knapp auf den Beinen halten. Fast möchte ich streiken. Wenn ich mich auch körperlich sehr wohl fühle, so passt mir diese Unbequemlichkeit an Bord eines in schwerer See befindlichen Schiffes auf die Dauer doch ganz und gar nicht. Ich bin nur froh, dass mein Torpedoboot S 90 nur sehr wenig und auch nur bei gutem Wetter zur See fährt, sonst aber immer im schützenden Hafen liegt. Du kannst also deshalb ganz beruhigt sein... Bei allen Unannehmlichkeiten der heutigen Fahrt muss man doch staunen und sich bewundernd über die Riesengewalt der aufgeregten See freuen. Kaum beschreiblich sind die haushohen Wogen mit ihren weißen Schaumkronen, ab und zu bricht eine allzu hohe See über das Schiff ein und erfüllt alles mit seinen Wassermassen, ohne Erbarmen jedes Hindernis mit sich fortreißend. Ganz natürlich ist es, dass das Schiff an Schnelligkeit einbüßt und nur in der Stunde 18 – 19 km, anstatt 26 – 27 km, zurücklegt. Daher kommen wir erst morgen Abend, statt morgen früh, nach Hongkong. Mein Bedarf an schwerer See ist nun vollauf gedeckt, und ich sehne mich wieder nach einer ruhigen Seefahrt. Eben legte sich das Schiff derartig nach einer Seite über, dass ich mich nur mühsam auf dem Sofa halten konnte und viel Geschirr pp. klirrend in Scherben zu Boden fiel. Ja, …das sind die Freuden der Seefahrt, das Barometer macht Miene, wieder steigen, und es ist daher Hoffnung vorhanden, dass das Wetter besser wird. – Die verlobte Dame steigt in Hongkong aus, wo sie von ihrem Verlobten erwartet wird und sofort getraut wird. Das schlechte Wetter, zerbrochenes Geschirr usw. ersetzen ihr den Polterabend. Das Schreiben wird mir heute so schwer gemacht, dass ich Dir Adieu sagen muss, lebe wohl bis morgen…
21.11.1906
Einen herzlichen Morgengruß... Wie ich gestern vermutete, hat sich das Wetter etwas gebessert, so dass die Gefahr, aus dem Bett zu fliegen, nicht mehr so groß ist, wie vorher. Hierzu kommt, dass es bedeutend kühler geworden ist, so dass auch hierin eine Besserung zu verzeichnen ist. Immerhin macht das Schiff aber noch ziemlich bedeutende Bewegungen, so dass die Seekrankheit nach wie vor an Bord das Zepter führt. Denke Dir, Liebling, heute früh 7 Uhr erwachte ich aus einem Traum, der mich zu Dir geführt hatte… Ganz ärgerlich wurde ich, als mich der Bordsteward weckte, mich aus dem schönsten Träumen riss, um mir das Bad „klar“ zu melden...
Gestern Nachmittag hatten wir, wie alltäglich, von 4 – 5 Uhr Konzert von unsrer Bordkapelle; das Programm hierzu hatte Fräulein Iffland, die Braut, ausgesucht. Als erstes wurde das Brautlied aus Tannhäuser gespielt. Hierbei wurde mir doch so weh und doch so freudig ums Herz! Ich musste mich zusammenreißen, und sinnlich zerdrückte ich eine Träne... Überhaupt habe ich schon an mir selbst die Beobachtung gemacht, dass ich viel sentimentaler geworden bin, für äußere Eindrücke mehr zugänglich, ja oft sogar schwärmerisch veranlagt...
Heute am Buß- und Bettag wird jedermann etwas weicher gestimmt und gibt sich gern dem Träumen und Sinnen hin. – Morgen – Donnerstag – sind wir schon sieben Wochen verlobt, und ich bin sechs Wochen von Hause fort, das ist der 20. Teil meiner ganzen Reise. Sieh nur wie die Zeit mit Windeseile vergeht, und mir ist zu Mute, als hätte ich erst gestern von Dir Abschied genommen. So vergeht der übrige Teil meiner Auslandszeit auch, und wir haben uns wieder, unzertrennt für immer. Darum immer guten Mut. – Ehe ich heute diesen Brief schließe, soll ich Dir unbekannterweise von Fräulein Iffland recht herzliche Grüße bestellen. Heute holt sie ihr Verlobter ab, um sich mit ihr für das Leben zu vereinen. Gestern Abend tranken wir (der Oberassistenzarzt, welcher auf den Bildern häufig vertreten ist, und ich) auf ihr Wohl, und wünschten ihr recht viel Glück in der Ehe, auch haben wir natürlich auf Dein Wohl getrunken, und wie sich das in solchem Falle gehört, nur mit einem edlen Stoff, Heidsieck-Monopol. Nun darfst Du aber nicht etwa glauben, dass ich verschwenderisch lebe, aber ich bekomme zu Getränken pp. für den Tag 4,50 Mark neben meinem Gehalt, da kann man sich schon hin und wieder ein „Pülleken“ leisten, damit ich auf Dein Wohl trinken kann. – Nun muss ich bald meine Sachen wieder packen, und am Schluss der Reise kommt auch die Trinkgeldfrage (für die Stewards) in Betracht. Was meinst Du, wie viel Trinkgeld man nach einer solchen Reise geben muss? Halte Dich aber fest, nun – rund – 75 Mark, sage und schreibe fünf und siebzig Mark. Dieses ist der übliche Satz, den jeder Passagier I. Klasse gibt, sonst wird man schief angesehen. Hinzu kommen noch etwa 50 – 60 Mark für Wäsche (die Preise sind natürlich höher, als in Deutschland), also immerhin ist eine solche Reise eben mit Kosten verknüpft, selbst wenn man sie dienstlich machen muss. Die Überfahrt kostet abzüglich 20% für Vergütung, welche dem Fiskus gewährt werden, 1.070 Mark für einen Passagier I. Klasse (1.335 Mark ohne Abzug für Zivilpassagiere). Dies wollte ich nur zu Deiner Belehrung hinzufügen. – In Hongkong kann ich hoffentlich wieder ein Andenken für Dich kaufen. Von Shanghai mehr. – Lebe wohl…
Briefnummer 12 – transkribiert von Bernd Liebig
Hongkong – Shanghai, 23. November 1906
…Dieses ist der letzte Brief von Bord des Postdampfers; ganz zufällig ist hiermit auch das Dutzend voll. Meine letzten drei Briefe, 9, 10, 11, wirst Du vielleicht am selben Tage bekommen, denn 9. und 10. gehen mit demselben westlich (über Italien), und 11. geht über Nord-Amerika (Japan – Vancouver – New York). Zufällig trafen wir in Hongkong noch den amerikanischen Postdampfer, der unsre Post mitgenommen hat. Du siehst, dass die gesamte Weltpost sich bemüht, Dir, mein Lieb meine Briefe zu überbringen. Die nächsten Briefe an Dich expediere ich eigenhändig mit unsrer Marine-Schiffspost, stempele sie selbst ab, damit sie nur sicher ankommen.
Nun erst´ mal etwas von Hongkong. Wir kamen am 21. Nachmittags hier an; wie Du vielleicht in den Zeitungen gelesen hast, herrschte im Hafen von Hongkong, der rings von hohen Bergen eingeschlossen ist, ein Taifun (Orkan), wie er seit Menschengedenken nicht wiedergekehrt war. Allenthalben sieht man die furchtbaren Spuren dieses Ereignisses vom 12. September diesen Jahres. Gestrandete Schiffe liegen überall, alles Lebende mit sich in den Grund reißend. Ein französisches Torpedoboot liegt gestrandet auf dem Land, ebenso ein englischer Kreuzer. Kaum zu beschreiben war die Gewalt des Taifuns, der ganz plötzlich kam, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. 20.000 Menschen, alles Chinesen bis auf 18 Europäer, ertranken im inneren Hafen. Große Landungsbrücken, Piers und sonstige Anlagen, Gebäude wurden leicht fortgerissen und rissen alles, was ihnen begegnete, in den Grund. Jedoch kannst Du nur ganz beruhigt sein. Ich komme mit meinem Boot S 90 nicht in Taifungegenden. Meine Hauptliegehäfen Shanghai und Tsingtau sind so geschützt, dass ein Taifun nicht entstehen kann.
Hongkong liegt sehr schön am Berge, ist englische Kolonie und Haupthandelshafen für die schwere Kanton-Seide. Für Dich habe ich eine weißseidene Bluse gekauft (d. h. Stoff hierzu), mit echter Handstickerei. Jedenfalls wird Dir der Stoff gefallen, er fand den Beifall sämtlicher Damen an Bord. Mit der Verteilung der Stickerei musst Du aufpassen, es sind: zwei Rückenstücke, zwei Seitenstücke, zwei Vorderstücke, ein Kragen und zwei Ärmelstücke. Lass Dir nur bald die Bluse (so bin in der Damengarderobe nicht bewandert) machen und schreibe mir, ob sie Dir gefällt, dann werde ich auch ´mal eine farbige Bluse mit Stickerei kaufen. Welche Farben liebst Du am meisten? Ich schicke Dir den Stoff durch meinen Kameraden, den ich hier ablöse. Er schickt sie Dir dann per Post.
Am 21. machte ich das Hochzeitsmahl von Fräulein Iffland, jetzt Frau Basse mit. Im vornehmsten Hotel – Hongkong-Hotel – war eine nette Tafel gedeckt, das Diner zählte „nur“ 32 Gänge; es war kaum zum Durchkommen. Hierzu gab es neben den besten Rot- und Weißweinen nachher nur Sekt – echten französischen. – Jedenfalls war die Feier ganz nett. Außer mir war noch der Kapitän des Schiffes, ein Korvettenkapitän (der Kommandant S.M.S. „TIGER“) und der Oberassistenzsarzt, Dr. Mann geladen. Herr Basse steht in chinesischen Diensten, ist der Direktor des chinesischen Arsenals in Shanghai, nebenbei chinesischer General mit dem Titel Exzellenz und Inhaber der höchsten chinesischen Orden, neben einigen preußischen. Seit 20 Jahren in China steht er in bedeutendem Ansehen bei der chinesischen Regierung. Ich werde in Shanghai viel im Hause dieses jungen Ehepaares verkehren. Abgesehen von seiner hohen sozialen Stellung ist er ein sehr reicher Mann. – Bei der kleinen Feier haben wir vielmals auf Dein Wohl getrunken. Haben Dir nicht die Ohren geklungen? – Nun sind wir auf der Reise nach Shanghai, wo wir am Sonntag ankommen. Ich steige aus und bleibe einige Wochen in Shanghai. – Das Wetter ist etwas bewegt, so dass das Schiff immerhin ganz nette Bewegungen macht, jedoch ist es noch zum Ertragen. Adieu, für heute…, morgen mehr.
24.11.1906
Einen herzlichen Morgengruß... Heute ist der vorletzte Tag an Bord des Dampfers, unentwegt streben wir unserm Ziele entgegen. Die Tropenhitze ist geschwunden und macht einer recht kühlen Temperaturen Platz, so dass abends schon dieser und jener einen wärmenden Mantel anzieht, wenn er nach dem Diner seine Abendpromenade macht.
Über die Zusendung des Blusenstoffes habe ich andere Bestimmung getroffen. Da wir in Shanghai ein deutsches Postamt haben, werde ich das Paket als Einschreibesendung befördern und den Inhalt zur Verzollung deklarieren. Das Kilogramm Seide kostet, glaube ich, 8 Mark Zoll. Die Bluse wiegt 250 g, mithin zwei Mark Zoll. Du bekommst vom Zollamt eine entsprechende Mitteilung und musst dann unter Bezahlung dieses Betrages das Paket vom Zollamt abholen. Es ist möglich, dass Du die kleine Sendung noch vor Neujahr bekommst. Ich will aber nochmals die Bitte und den Wunsch aussprechen, dass Du die Blusen pp. die ich Dir schicke, alle trägst und nicht für den Hamsterkasten reservierst. Hierfür werde ich sammeln und Dir die abgeschlossene Sammlung bei meiner Rückkehr persönlich überreichen. Bist Du mit meinem Vorschlag einverstanden, Herzelchen? Ich sehe schon immer die Blicke Deiner Kränzchenschwestern, wenn Du echt chinesisch herumläufst. Nun möchte ich auch gern für Mutter etwas schicken. Welche Farbe hältst Du für die passendste? Mit oder ohne Stickerei?
Meine Sachen habe ich schon wieder gepackt und ich kann aussteigen. Wenn ich nun den Schluss meines Aufenthaltes hier auf dem Dampfer ziehe, so muss ich das bekannte Wort anwenden: „Es ist nichts schwerer zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen!“ Denn ich werde mit jedem Tag übler gelaunt und sehne das Ende herbei. Morgen sind wir in Shanghai. Dann habe ich meine genaue Tageseinteilung, wenn auch der Dienst zu ertragen ist, etwa 1 – 2 Stunden pro Tag genügen, so habe ich doch das Gefühl der Verantwortung, welches hier vollständig wegfällt. Hinzu kommt, dass ich nicht weiß, was in der Welt eigentlich hergeht. Im Hafen hatte ich kaum Zeit, die notwendigsten Sehenswürdigkeiten zu betrachten, geschweige denn Zeitung zu lesen. Und nicht zum Wenigsten wird meine Stimmung dadurch herabgedrückt, dass ich so lange keine Nachricht von Dir habe. Das wird alles hoffentlich besser, wenn ich am Bestimmungsort angelangt bin. Dann bekomme ich mindestens jede Woche eine Nachricht von Dir, von den Eltern und Geschwistern.
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N8/1 Briefnummer 13 – transkribiert von Bernd Liebig
Shanghai, 28. November 1906
Nach einigen aufgeregten Tagen der Aus- und Einschiffung, komme ich endlich wieder dazu, meinen ersten Brief von meinem Torpedoboot an Dich zu schreiben. Am 25. November – Sonntag – morgens 8 Uhr kamen wir auf dem Yangtse-Fluss an und wurden von einem kleineren Dampfer nach Shanghai gebracht, da der Postdampfer über eine vor der Stadt liegende Sandbank nicht hinweg kommt, seines großen Tiefganges wegen.
Torpedoboot „S 90“
Mein Torpedoboot war am Tage vorher meinetwegen von Tsingtau hierher gekommen, um mich abzuholen. Bei strömendem Regen ging ich an Land und wurde hier von zwei Kameraden recht herzlich begrüßt. Dann gingen wir zunächst in den Deutschen Club, um uns hier etwas zu restaurieren. Das Leben in Shanghai ist durchaus großstädtisch, natürlich nur in der Europäerstadt, die getrennt ist von der Chinesenstadt. Prachtvolle Bauten unten am Hafen geben der Stadt ein recht weltstädtisches Gepräge. Am Montag, 26. November, ging ich an Bord meines Bootes und übernahm die Kasse und die sonstigen Verwaltungsgeschäfte, die im Auslande recht vielseitig sind, weil ich hier nur mit Bankinstituten durch Wechsel, Schecks und was es sonst für Papiere im Geldverkehr gibt, arbeiten muss. Na, ich kenne ja das Ausland von früher. – Die Raumverhältnisse sind wie natürlich auf einem Torpedoboot ziemlich beschränkt. Wir sind zu vier Offizieren mit dem Kommandanten hier an Bord. Ich kenne diese Herren schon von früher. Daher wurde ich auch recht liebenswürdig empfangen und kann sagen, dass es mir verhältnismäßig ganz gut gefällt. Da jedoch die Räumlichkeiten etwas eng sind, werde ich in Tsingtau eine kleine Landwohnung mieten. Am Sonnabend, dem 1. Dezember geht es weiter nach Tsingtau.
Am 27. November – also gestern – hat ein englischer Dampfer den Blusenstoff als Einschreibebrief an Dich mitgenommen. Die Post trifft am 29. Dezember in Berlin ein, und Du wirst hoffentlich dadurch eine kleine Neujahrsfreude haben. – Nun endlich bekomme ich bald wieder einen Brief von Dir; denn morgen kommt ein französischer Postdampfer hier an. Wie freue ich mich darauf, denke Dir nur, Herzelchen, am 25. Oktober bekam ich die erste und letzte Nachricht von Dir, also vor fünf Wochen. Das war gleich eine nette Probezeit.
…Nun will ich Dir auch einmal eine kleine Beschreibung der augenblicklichen Szenerie geben. Ich sitze in meiner kleinen Kabine (Kammer bei Kriegsschiffen). Ein fester Schreibtisch besteht nicht, dafür muss mein Bursche vermittelst eines zu diesem Zwecke vorhandenen Brettes einen provisorischen Tisch herstellen, jedoch genügt er mäßigen Ansprüchen. Die Tür meiner Kammer geht nach der Offiziermesse, die jedoch ziemlich groß ist für ein Torpedoboot. Hier sitzen augenblicklich zwei Oberleutnants, einer namens Groos, mit dem ich schon früher an Bord war, der andere ein Freiherr von Doernberg, beim Frühstück. Beide stehen immer später auf, als ich. Sie erzählen mir eben ihre gestrigen Erlebnisse und erleben kann man in Shanghai recht viel, wenn man will. Denn was Shanghai an Vergnügungen biete, ist kaum zu beschreiben; da sind hochmoderne Balllokale, Spielhöllen a la Monte Carlo, Spezialitäten, na, man sieht, dass die Europäer hier im fernen Osten ebenso leben, wie in ihrer engeren Heimat. Nachmittags ist großer Wagenkorso; da kann man Equipagen sehen, wie sie kaum in der Heimat gebraucht werden. Überhaupt herrscht hier in Shanghai ein ganz enormer Luxus, Toiletten sieht man, wie in Paris. – Mein Verkehr beschränkt sich auf den Deutschen Club, das Vereinslokal der deutschen Kaufleute, und einige bessere Hotels. Entsprechend den teuren ostasiatischen Verhältnissen sind die Preise für alles recht hoch. Hier rechnet man nach Dollars, (1 Dollar = 2,41 Mark), ebenso wie in Deutschland nach Mark. Nun mach´ Dir einmal einen Begriff von den Ausgaben, die ein hier ansässiger Europäer hat, um leben zu können. Trotzdem sind die Lebensmittel an und für sich enorm billig; so kostet ein Pfund (500g) Rindfleisch 20 Pfennig, eine Taube 15 Pfennig, eine Ente 50 Pfennig usw.
Aber das Hotelleben ist teuer, es kostet durchschnittlich pro Tag 7 – 8 Dollar, d. h. nach deutschem Geld 16,80 – 19,20 Mark – Nun, mein Liebling, habe ich Dir wieder Stoff zu einer anderen Bluse gekauft, er kommt als Einschreibebrief mit gleicher Post an. Gefällt er Dir? Ebenso sende ich auch den Juwelenkäfer aus Colombo und die Kette aus Port Said mit gleicher Post ab. Ich habe eben beide Sachen verpackt und versiegelt. Die roten Siegel bedeuten je 1.000 Küsse. – Von ganzem Herzen hoffe ich, dass diese kleinen Andenken Dich bei bester Gesundheit erreichen und Dir meine Liebesgrüße überbringen.
Außer uns liegt noch ein amerikanisches Kriegsschiff, je ein russisches, englisches, dänisches, französisches, zwei chinesische und drei deutsche Kriegsschiffe im Hafen, d. h. auf dem Yangtse-Fluss, der an der Stadt vorbeifließt. – Nun werde ich Dir eine kurze Übersicht aufstellen, damit Du weißt wann Du von mir Nachricht bekommst, und wann Du Briefe an mich abschicken kannst. Die Post braucht von Berlin etwa einen Tag, so dass Du Briefe an mich immer einen Tag vor Abgang der Post aus Berlin abschicken musst.
Ab Tsingtau: An Berlin:
1.12.06 ab Shanghai 4.01.07
4.12.06 10.01.07
8.12.06 12.01.07
11.12.06 18.01.07
18.12.06 24.01.07
22.12.06 26.01.07
25.12.06 1.02.07
1.01.07 7.02.07
5.01.07 9.02.07
8.01.07 15.02.07
15.01.07 21.02.07
19.01.07 23.02.07
22.01.07 1.03.07
29.01.07 7.03.07
2.02.07 9.03.07
5.02.07 15.03.07
12.02.07 21.03.07
16.02.07 23.03.07
19.02.07 29.03.07
26.02.07 2.04.07
2.03.07 6.04.07
jeweils einen Tag später in Liegnitz
Ab Berlin An Tsingtau
11.01.07 18.02. 07
15.01.07 22.02.07
18.01.07 25.02.07
25.01.07 1.03.07
29.01.07 8.03.07
1.02.07 11.03.07
8.02.07 18.03.07
jeweils einen Tag später aus Liegnitz
Mein Herzensschatz, diese Daten werden unter allen Umständen eingehalten, weil die Dampfer (deutsche, englische und französische) als Postdampfer genau an die Zeit gebunden sind, es sei denn, dass ein Dampfer durch Sturm so lange Verzögerung hat, dass er nicht richtig ankommt. Meist kommen die Postdampfer aber ein bis zwei Tage früher an, als sie sollen. Wie Du aus der Zusammenstellung ersiehst, ist dieser Brief, der am 1. Dezember aus Shanghai abgeht, am 4.01.07 in Berlin und am 5.01.07 in Liegnitz. Eben habe ich mit viel liebevoller Sorgfalt die Marken der beiden Einschreibebriefe gestempelt. Natürlich darfst Du nicht denken, dass ich den Dienst des Markenstempelns selbst versehe, dazu habe ich selbstverständlich einen Schreiber, der alle Briefe stempelt bis auf meine.
N8/1 Briefnummer 14 – transkribiert von Bernd Liebig
Shanghai, 30. November 1906
…Noch ist die Post nicht auf dem Dampfer, sondern lagert noch auf dem deutschen Postamt hier, doch will ich eine passende Gelegenheit benutzen, um Dir mit nächster Post wieder zu schreiben. Morgen geht folgendes an Dich ab: 1 Brief, 1 Postkarte, 1 Einschreibebrief mit einer Bluse, 1 Einschreibebrief mit 1 Brosche und 1 Kette. Hoffentlich hast Du diese Sachen alle in gutem Zustand erhalten.
Ich bin heute mutterseelenallein an Bord, es ist jetzt 9 Uhr abends. Die anderen Herren sind zu einem großen Ball der englischen ersten Gesellschaft Shanghais gegangen, während ich es vorzog, dieser Einladung nicht zu folgen, da ich ohne Dich, mein Liebling, doch kein Vergnügen hätte. Hinzu kommt, dass ich heute recht, recht traurig bin; denn es kam wohl heute Abend Post, die ein französischer Dampfer für uns hatte, für mich waren zwei Glückwünsche von Kameraden dabei, jedoch wonach ich mich so sehr sehnte, nach einem Brief von Dir, Du mein Lieb, fand ich nicht in dem Postbeutel. Ich will Dir deshalb nicht im Geringsten einen Vorwurf machen; denn der Dampfer brachte die Post vom 20. bis 25. Oktober; wenn Du in dieser Zeit keinen Brief an mich abgeschickt hast, dann habe ich ja berechtigte Hoffnung auf einen lieben Brief bei der nächsten Post.
…Dein Bild ansah, gänzlich in Gedanken versunken, da weckt mich mein Bursche aus meinem Träumen, mit der Meldung, er müsse jetzt die Koje (Bett) für mich abdecken. Ich war eigentlich darüber recht böse. Über mir höre ich auch jetzt den gleichmäßigen Schritt des Wachpostens; jedoch können mich diese planmäßigen Geräusche nicht in meinen Betrachtungen stören...
…Heute traf ich mittags im Deutschen Klub mit einem Herrn zusammen, der mit mir auf dem Dampfer zusammen war. Dieser besagte Herr hat uns ohne unser Wissen im Vorbeigehen am Eingang des botanischen Gartens in Penang photographiert. Er gab mir heute einen Abzug und ich füge Dir ihn bei. Ich unterhandele gerade mit dem Kutscher unsres Wagens über den Preis und das Warten. Der Kerl konnte natürlich zu meinem größten Leidwesen kein Englisch verstehen, so dass es recht schwierig war, mich mit ihm zu einigen. Leider bin ich etwas verdeckt durch einen Neger, aber mein Gesicht wirst Du erkennen können. Es ist jedenfalls eine recht niedliche Aufnahme und wird Dir auch einige Freude machen. Ich habe mich riesig darüber gefreut.
Morgen früh 7 Uhr gehen wir von hier weg. Es soll, wie uns die Signalstation mitgeteilt, draußen schlechtes Wetter sein, wie gewöhnlich um diese Zeit. Hoffentlich kommen wir heil nach Tsingtau. Gute Nacht...