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3.

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Herr von Heistenberg, Sie führen meine Schwiegertochter“, rief die alte Exzellenz von Zieritz. Ihr Mann ging schon mit der Gräfin Roon in das Esszimmer voran. Doch Hans wagte noch nicht, Frau Berenice nachzuführen, weil auch des Hauses Söhne, der Hauptmann und Leutnant von Zieritz vom zweiten Garderegiment noch warteten und eben erst der Kriegsminister Graf Roon den Arm ihrer Mutter nahm. Sein bärbeissiger Blick hatte ihn schon bei der ersten Begrüssung und Vorstellung erschreckt. Die schöne Frau lachte freilich lustig und unbekümmert. „Wollen wir den Weg sperren?“ Er schritt mit ihr an und fühlte die Wärme ihres Arms, während die weiche kleine Hand seine Finger und ihr Ellbogen die Hüfte streifte. Den Kopf hebend, schlug sie die langwimprigen dunklen Augen auf. „Noch grösser, als ich dachte, Angioletto!“

Das schmeichelnde Flüstern war wie ein Kuss auf das Ohr. Sie drückte seinen Arm fester und kam näher. „Das Pagenkostüm stand Ihnen besser, aber auch Uniform kleidet Sie gut. Wann werden Sie Offizier?“

Ihr Sprechen war wie ein schwüler Hauch. Er musste wirklich nachdenken. „Königs Geburtstag, gnädige Frau!“

„Dann müssen Sie sich gleich zeigen!“ Zu dem leisen Lachen schmiegte sie sich noch mehr an ihn. Da sie beim Überschreiten der Schwelle den Kopf senkte, wagte er nach ihr hinzusehen. Grösser und noch schöner als gestern schien sie in dem Kleid von gelber Halbseide, die hinter der schmalen Taille und um die Hüften zu bauschigen Wölbungen gerafft war. Eine kleine Schleppe rieselte hinter den Füssen. Die straffe Büste, die runden Arme und Schultern liessen unter dem prallen Stoff eine herrliche Figur ahnen.

Im Berliner Zimmer wies sie auf zwei Stühle am gedeckten Tisch. Beim Freigeben ihres Arms fühlte er einen letzten Druck, aber ihr Gesicht lächelte nicht mehr. Vor den Verwandten stand sie kühl und ernst, fast gleichgültig wie beim Begrüssen im Salon. Während Mariechen gleich vom Hofball gesprochen hatte, schien sie sich kaum einer Begegnung zu entsinnen.

Oben am Tisch bat die Marschallin den Kriegsminister an ihre linke Seite. Zur Rechten fand Gräfin Roon Platz und neben ihr der alte Zieritz, der über den Tisch in die Augen seiner blonden Schwiegertochter sah. Ihr Gatte, der Hauptmann, sass neben dem Vater, während sie des Hauses jüngeren Sohn, den Leutnant Kasper von Zieritz, als linken und Roon als rechten Nachbarn hatte. Heistenbergs Stuhl stand der Marschallin gegenüber ganz unten. Rechts von ihm liess sich Berenice neben Kasper und zur Linken Marie neben dem Hauptmann nieder. Auf einem Zettel vor seinem Gedeck las er:

„Bouillon mit Schwemmklössen.

Ragout von Zunge.

Roastbeef mit Gemüsen.

Flammeri.“

Mariechen fragte, wann er vom Hofball nach Hause gekommen sei. Seine Antwort unterbrach der Leutnant, der weissen und roten Wein anbot. Ein Diener in grauer Joppe mit silbernen Wappenknöpfen brachte Suppe, als Marie gestand: „Wir haben noch bis in den Morgen geschwatzt!“ Da sprach auch Berenice vom Ball, und der Damen Plaudern erinnerte an Dorchen. Alle Frauen bis hinauf zur Kaiserin ähnelten einander wohl wirklich. Wie mittags im Laden der Friedrichstrasse musste er berichten, wann die Pagen gestern zum Hofdienst ins Schloss gefahren waren, wer sie in ihren Pflichten unterwiesen, wer frisiert und angekleidet hatte. Die Augen der schönen Frau suchten die seinen und schienen wieder zu streicheln. Ihre Linke streifte beim Spielen am Weissbrot seine Hand, aber kühl und gleichgültig sprach sie dann mit ihren Schwägern vom Mieten einer Wohnung. Der Hauptmann schien ärgerlich, weil sie die Eltern verlassen wollte. Sie meinte, sie wäre ihnen lang genug zur Last gefallen, und schien betrübt. Der Leutnant hatte im Salon erzählt, ihr Mann, sein ältester Bruder, sei nach halbjähriger Ehe in Frankreich gefallen. Sie trauerte also noch um den Toten, aber die heissen Augen lachten doch, als sie jetzt vom Teller aufsah. „In einer eigenen Wohnung darf ich meine Gäste sehen und meinen Verkehr wählen!“

Der Hauptmann drehte sich mit Achselzucken nach links zum Vater, während Berenice sagte, sie sei für Musik, Theater und Tanzen. Der Hauptmann spöttelte über die Schulter: „Das fehlt hier allerdings!“ Sie nickte. „Ja! Ihr sprecht nur von Soldaterei und Politik!“ Die kleine Hand wies nach rechts. Dort dröhnte der brummige Bass des Kriegsministers: „Nein, Zieritz! Es gährt im vierten Stand wie Anno achtundvierzig im dritten! Die Pläne der Führer und Hetzer von heute aber sind noch fluchwürdiger als die der Demagogen von damals. Ich habe nachts kein Auge geschlossen, weil Madai gestern von einer Verschwörung gegen das Leben meines Königs erzählte!“

„Aber lieber Herr von Roon!“ Die Marschallin legte Messer und Gabel nieder und klagte noch ungläubiger als entsetzt: „Eine Verschwörung gegen unseren teuren Herrn, den gütigsten Menschen und Fürsten? Wer sollte ihm nach dem Leben trachten?“

Roon hob den breiten Brustkasten. „Sozialdemokraten natürlich!“

Die Marschallin schüttelte den Kopf, als verstehe sie nicht. „Ich lese oft von ihnen, aber das Wort sagt mir nichts. Was sind Sozialdemokraten?“

Roon verengte die Augen, in denen Hass glimmte. „Feinde der Krone, des Staates und der Menschheit! Ihre Führer aber sind Lügner und Betrüger, denn sie versprechen dem Blöden ein Glück, das ihm nur Arbeit und Streben, aber nie die Gemeinwirtschaft ihrer Irrlehre bringen kann!“

Zieritz nannte sie Reaktionäre, denn ihr Finger wies in die Barbarei zurück. Das Tierische im Menschen, den Magen und die Faulheit weckte ihr Lockruf. Was konnten die Bauernfänger dem Arbeiter für seine Spargroschen bieten, da Verwirklichung ihrer Pläne den Staat zerrütten und das Volk verarmen musste?

Vom zornigen Reden hochrot, fragte er Roon nach der Verschwörung. Der Minister flüsterte leise. Vergeblich suchte Hans ein Wort zu Haschen. Auch streiften wieder die Finger der schönen Frau seine Hand. „Musizieren Sie, Herr von Heistenberg?“

„Ich hatte früher Klavierunterricht!“

Sie drohte ihn zu prüfen und ging nach Tisch wirklich der Jugend zum Flügel im Nebenzimmer voran. Nach einem Scherz über sein Klimpern spielte sie ohne Noten eine fremde Melodie. Heisse Wellen schickten ihre Finger in den Raum und streichelten dann leise die Tasten, bis sie plötzlich aufsprang. Er sah sich mit ihr allein.

Durch die Adern schauerte wieder das Prickeln, und fast spürte er Angst, als sie mit schelmischem aber auch wohl grausamem Lächeln nähertrat. „Angioletto, Sie haben mich beim Spielen gestört!“

Verwirrt und verlegen, dachte er sich zu entschuldigen. „Wie könnte ich, gnädige Frau?“

„Durch Ihre Nähe“, flüsterte sie leise und griff wie gestern mit der weichen Hand um sein Kinn. Beim Drükken oder Streicheln schloss sie die Augen. Ihm schwindelte noch, als sie gelassen sagte: „Gehen wir, Herr von Heistenberg!“

Im Salon wünschte er sich ihr nahe und auch weit weg. Ihm war, als wären Verlegenheit und schlechtes Gewissen auf seinem Gesicht zu lesen. Auch schämte er sich des Lächelns der schönen Frau, die wohl seiner geheimen Wünsche spöttelte.

Mariechen bat ihn auf einen Stuhl im Halbdunkel der Zimmerecke und fragte nach Bekannten im Korps. Doch kein Gespräch kam in Fluss. Im Suchen nach Rat irrten seine Augen auf ein grosses Buch mit dem goldenen Aufdruck „Ägypten und die Ägypter“, das als Zimmerschmuck auf einem Tischchen lag. Sofort griff Marie danach und zeigte beim Blättern die Bilder. Zum Sehen rückten sie ihre Sessel dem Tisch der Älteren näher. Eine hochstielige Petroleumlampe mit runder Glasglocke warf über die Köpfe der auf Sofa und Sesseln Sitzenden einen gelben Dämmerschein.

Als Marie die Sphinx zeigte, sah er vom Buch an der Lampe vorbei auf Berenice und überhörte das Umschlagen eines Blattes.

„Nicht wahr? Das denk’ ich auch oft“, flüsterte Marie in sein Ohr. Er schreckte auf und drehte sich ihr zu. Auch die blauen Augen unter dem silberblonden Haar ruhten auf Berenice. Marie hatte seinen Blick gesehen und gefühlt, dass er ihre Schwägerin der Sphinx verglich. Da musste er leugnen: „Nein! Das meinte ich nicht!“

Sie schloss das Buch und lächelte. Doch jetzt konnten sie plötzlich plaudern und lachen. Die Marschallin sah bald in die Ecke, als glaube sie, der Tischgast bliebe zu lange. Hans wagte Marie zu fragen, ob er allein aufbrechen dürfe oder auf Roons Gehen warten müsse.

Sie beruhigte. „Roons bleiben zum Tee, und Sie essen vorher allein zu Abend wie alle unsere Gäste aus dem Korps. Ich leiste immer Gesellschaft!“

Er dankte für ihre Freundlichkeit, aber gestand, dass er gern heimginge, denn morgen nahm der Kaiser die Vorstellung der im Frühjahr als Offiziere oder Fähnriche aus dem Korps scheidenden Kadetten entgegen.

Sie nickte. „Auch Papa ist befohlen. Sie haben gewiss Angst?“

Er verneinte, aber gab Aufregung zu.

Marie lachte. „Also schlafen Sie doch nicht. Ich habe neulich vor der ersten Cour kein Auge zugetan. Vor den Kaiser zu treten ist doch das Herrlichste!“

Sein Lächeln galt Doras Worten. „Und die Kaiserin?“

Auch Marie schien sich zu wundern. „Ach ja! Sie ist aber doch nur seine Frau. Eigentlich schwärme ich für ihn allein!“

Als er wieder in Schweigen fiel, sah sie ihm in die Augen. „Ich weiss, woran Sie denken!“

Schnell sah er von Berenice auf den Teppich, aber Marie hatte ihn nicht ertappt und lachte. „Sie wollen doch gehen, aber fürchten sich vor dem Verabschieden! Nicht wahr?“

Als er bestätigte, stand sie auf. „Mama, Herr von Heistenberg will sich leider empfehlen!“

Die Damen und Herren gaben ihm die Hand, aber Berenice neigte nur den Kopf. Marie geleitete ihn an die Zimmertür und wünschte Glück für morgen. Er fühlte, dass er eine Freundin in ihr habe, aber dachte in der Strasse an das Rätsel der Sphinx.

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