Читать книгу Erst kommt die Mode und dann kommt die Moral ... - Otto W. Bringer - Страница 5

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Unbändiger Zorn, begleitet von einem Gefühl der Ohnmacht, trieb mich, dieses kleine Buch zu schreiben. Weil es um eine große Sache geht. Die Freiheit des Individuums. Ich will den Zeitgeist anklagen. Dem man nur schwer entfliehen kann. Jeder meint, ihm folgen zu müssen. „In“ zu sein und nicht „out“. Der Zeiten Geist, der von Moden jeder Art und Dauer bestimmt wird. Alles ist Mode. Vor übergehendes Ereignis. Nichts hat Bestand. Das Chaos in den Köpfen ist deshalb groß. Aber sie merken es nicht. Halten für selbstverständlich und notwendig, dass sich alles, aber auch alles ändert. Ändern muss. Nur nicht sie selbst.

Wären es nur Trends in der Kleidermode, bräuchten wir uns keine allzu großen Sorgen zu machen. Wenn auch der Gleichmachereffekt dem Einzelnen kaum Chancen lässt, sich zu profilieren. Trotz der Varianten im Angebot.

Alles ist Mode, dominiert unser Denken. Von morgens bis abends. In der Nacht träumen Mädchen von noch knapperen Hotpants. Neuesten Tatoo-Motiven auf Arm, Rücken oder Bein. Ringlein an Lippen, Ohr, Nasenloch oder Vagina. Der Freund ist geil auf solche Sachen. Frau und Mann sind sich einig, wenn´s nicht mehr klappt, lassen wir uns scheiden. Treue, was ist das?

Vergeuden unsere Zeit damit, persönliche Befindlichkeiten in den Äther zu tippen. Botschaften an die Welt, die die Welt nicht interessieren. Aber die Möglichkeit allein ist jede Sünde wert. Twitter, Facebook, virtuelle Bühne für Jung und Alt, zieht zigtausende an wie ein Magnet. Faszinierendes Panoptikum wie es scheint. Alles im Blick. Aber …

… nichts lässt Luft für eigene Entscheidungen. Kein Maßstab, der man selber ist. Mode das Maß aller Dinge. Alle wollen es so. Also will ich es auch. Vergeudet seine Zeit an iPads und twittert wie Angela Merkel auf Teufelkommheraus. Nächtelang im Video zu Besuch bei Beyoncé und ihrem kreisenden Hintern. Dabei sein ist alles. Neuerdings kann jeder mit „Sims4“ seine eigene Welt erschaffen. Mit Haus, Möbeln und Whirlpool. Mondrakete. Champagner, Frauen, Männern und Lotterbett. Realität ist ausgeblendet. Wie sollen solche Menschen fit werden, ihr reales Leben gut zu meistern, wenn Illusionen ihr Gespür für die Wirklichkeit vernebeln? Solcher Spaß hat Folgen.

Auch Erwachsene wollen jung sein. Sie folgen den Moden wie die Jungen. Und niemand von den fröhlichen Menschenkindern scheint zu merken, dass er seine Freiheit verspielt. Das wertvollste Gut, das sie besitzen: Frei sein. Selbst bestimmen, an was sie glauben, was sie für wichtig halten. Auf wen sie hören. Was sie schön finden. Und zu ihnen passt. Wem sie ihr Vertrauen schenken.

Lieben oder nicht. Kaufen oder bleiben lassen. Aus eigener Überzeugung. Nicht nach den Zwängen gängiger Mode oder Trends. Mögen Freunde und Kollegen ihnen noch so eifrig nachlaufen.

Schöner Traum, nach Lust, Bedarf und eigener Einschätzung Entscheidungen zu treffen. An Gott zu glauben. Ewiges Leben nach dem Tod. Oder auch nicht. Zopf oder Glatze zu tragen zum Beispiel. Hauptsache Mann hat Kopf oder Profil für solche Extravaganzen. Alle anderen werden es respektieren. Ihn sein lassen, der er ist. Wenn nicht, steht er darüber.

Ebenso einer, der sich entscheidet, in einer Regatta zu rudern. Trainiert, trainiert, trainiert. Vernachlässigt Discofreunde. Will siegen im Team eines Tages nachdem er den inneren Schweinehund besiegt hat. Der lieber faul auf der Matratze liegt, die „Toten Hosen“ in den Ohren, als sich anzustrengen.

Wer mehr leisten will, herausfinden ob er´s kann, ist besser dran. Geachtet von sich selbst und der Gesellschaft. Wer einmal versprochen hat, die Treue zu halten, lässt sich nicht scheiden. Gegen den Trend. Auch wenn die Zeiten schwieriger werden als erwartet. Tief innen hat alles seinen Sinn. Sinn, der zufrieden macht, wenn man ihn erkannt hat. Enttäuschung und Leid erträgt. Per Saldo glücklich macht. Nachdenken und Vordenken dringend empfohlen.

Moden machen individuellen Lebensphilosophien Probleme. Schwierig genug, sich gegen Trends durchzusetzen. Vorausgesetzt man erkennt sie als Trend. Ihnen nur zu folgen, wenn sie zu einem passen, länger als vier Wochen Freude bereiten. All das, was geschieht, ist Mode. Sogar was nicht geschieht. In die Kirche gehen Sonntags zum Beispiel. Alles wechselt, vergeht. Verfliegt wie ein Auspuff in frostiger Luft.

Nach so flüchtigen, nicht kalkulierbaren Vorbildern sollen wir unser Leben einrichten? Die Freiheit des Individuums gerät in höchste Gefahr. Freiheit wird zur Farce.

Es klingt wie Hohn, wenn Politiker auf das Grundgesetz verweisen. Aber handeln, als gäbe es diesen Passus nicht. Wortwörtlich Schwarz auf Weiß formulierter Anspruch jedes Bürgers auf persönliche Freiheit. Frei zu denken, zu sagen, zu handeln Solange er niemand anderem Schaden zufügt. Politiker tun es oft genug.

Freiheit mit zwei Fingern der rechten Hand feierlich beschworen von denselben Leuten beim Amtseid. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wiederholt, betont und ausgeschmückt. Ihrem Image Glanz zu verleihen. Zum Wohle des Volkes klingt gut. Was aus Berlin oder Brüssel zu uns kommt, raubt uns jedes Mal ein Stück Freiheit. Dagegen protestieren nur wenige Verzweifelte. Aber den Moden verfallen Massen ohne zu klagen. Ich könnte schreien.

Ereignisse in der Welt bewegen unsere Gedanken. Falls sie überhaupt in Sachen Freiheit zu denken imstande sind. Warum sollten sie auch? Anbieter von allem und jedem denken für uns. Sie sagen es jedenfalls. Wünschen uns von allem das Beste. Beteuern es pausenlos. Das Wort Freiheit habe ich im Vokabular der Tagesgeschäfte nicht entdeckt. Frei in der Auswahl. Na ja. Hut oder Mütze? Das Erste oder RTL? SPD oder die Linke? Madeira oder Helgoland? Gin oder Wodka? Kino oder Video? Alternativen in Fülle, denen man ausgeliefert ist. Jede von ihnen beansprucht die beste zu sein. Aber wie sollen Verbraucher es prüfen? Können nur ja sagen oder nein.

Wo spricht man von Freiheit? Freiheit gelehrt und erklärt im Schulunterricht. Gefeiert an Nationalfeiertagen. In Kolumnen der Zeitungen und Zeitschriften immer mal wieder ein Thema. Von Kommentatoren absichtsvoll mit Fragezeichen versehen. Es klingt wohlfeil auf dem Markt der Eitelkeiten. Über Freiheit reden und schreiben ist leichter als sie ernst zu nehmen. Freiheit will im Chaos der Gedanken interpretiert werden. An Beispielen. Immer wieder. Könnte das Thema der Woche sein. Den ein oder anderen aufmerken lassen. Viele der ein und anderen zur Streitmacht summieren, Mode als flüchtige Verlockung darstellen, der man nicht immer folgen muss. Während Mehrheiten sich treiben lassen. Von Lust und Tageslaune getrieben, das Neueste, Modernste, Attraktivste zu erhaschen. Zum Schnäppchenpreis natürlich.

Die so denken und handeln, vergessen, dass sie Opfer sind und keine Täter. Opfer raffiniert ausgeklügelter Strategien. Die allein einem Zweck dienen. Meinungen zu vereinheitlichen oder Geschäfte zu machen. Folgen den Versprechungen der Werbenden allzu gern. Ist man doch fortschrittlich und up-to-date. Um einen englischen Begriff zu benutzen. Den mittlerweile auch türkische Großväter verstehen. Zum Thema Sprache später mehr.

Der Begriff Freiheit ist offen. Deutbar in alle Himmels- und Geschmacksrichtungen. Freiheit „von“, Freiheit „für“. Jeder versteht Freiheit anderes. Die Verwirrung ist groß. Meinungsführer müssten erklären, was Freiheit ist. Damit die Menschen einen Nenner haben. Auf dem sie sich treffen können, zur besseren Verständigung. Unsere vielgepriesene Freiheit wird falsch interpretiert, scheint mir. Unüberlegterweise versteht man Freiheit als frei „von“. Klingt gut. Verspricht alles. Frei von Sorgen. Von allem, was uns ängstigt, zwingt, schlecht aussehen lässt. Frei von überholten Verpflichtungen. Von allem was war.

Bedenklich, dass sich damit unsere Werteordnung verabschiedet hat. Wenn schon frei, denkt man, dann von allem, was früher galt. Als hätte man schon Neues. Legt ad acta, was Familie, kulturelle und zivilisatorische Errungenschaften in Jahrhunderten geschaffen haben. Jugendliches Motto: Werft alles über Bord und ihr seid frei. Mampft mit aufgestützten Armen am festlich gedeckten Geburtstagstisch. Bleibt in der Tram sitzen, wenn ein alter Mensch hereinkommt. Verzichtet auf nichts, was Spaß macht. Irgendwie erreiche ich schon mein Ziel. Es denkt falsch, wer so kurz denkt. Freiheit „von“ statt Freiheit „für“.

Beispiele zeigen, dass es auch anders geht. Die neuen Techniken haben noch viel unausgeschöpftes Potential. Kreative sind gefordert. Es zu nutzen und damit sich selbst voran zu bringen. Ein Schweizer Startup erfand „Codecheck“. Ein Software-Programm, das schädliche Inhaltsstoffe von Produkten auf dem Strichcode der Lebensmittel-Packung entdeckt. Mit dem Handy fotografiert zeigt es an, was Menschen schadet. Das junge Unternehmen wächst. Großkonzerne registrieren es knurrend, passen sich an.

In Berlin eine leerstehende Brauerei. Anregung für Simon Schäfer, eine Spielwiese für Kreative zu etablieren. „Internet-Campus“ nennt er sie. Über 600 Mitarbeiter aus 30 Nationen werden in die Ideen-Factory einziehen. Programme für die Informationstechnik und anderes entwickeln. In stimulierend ausgestatteten Räumen wird gearbeitet. In anderen Yoga trainiert, Musik gehört, gegessen, geschlafen. Wer tagsüber Ideen erträumen will, stellt auf seinen Arbeitstisch eine brennende Kerze. Und alle lassen ihn in Ruhe. Querdenker gesucht. Berlin ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Könnte gut das deutsche Silicon-Valley werden. Clevere Leute halten Bienenvölker. Auf Dächern und in Innenhöfen imkern sie städtischen Honig. Unglaublich, echten Honig. Berlin boomt.

Abiturient macht ein freiwilliges soziales Jahr. Für ein Taschengeld. Anderen zu helfen. Für sich selbst Zeit zu gewinnen. Nachzudenken, in welchem Beruf er später wirklich gut sein kann.

Atossa, Tochter iranischer Flüchtlinge, eine junge Frau die an das Gute im Menschen glaubt. Da brennt ein Haus ab bis auf den Grund. Siebzehn Flüchtlinge ohne Bleibe. Sie schreibt Emails an alle Bekannten im Ort. Betet in der katholischen Kirche den Rosenkranz, Allah ist überall. Besucht den Pfarrer, den Vorsitzenden des Fußballvereins, den Bürgermeister. Der stellt sofort drei ungenutzte Räume im Rathaus zur Verfügung. Atossa kocht in ihrem kleinen Lädchen original persische Gerichte. Liest den Gästen persische Gedichte vor. Tanzt orientalische Tänze. Immer mehr deutsche Gäste kommen, das Wunder einer fremden Frau zu erleben. Eines Menschen, der nicht in Moden denkt. In ihren wenigen freien Stunden dolmetscht sie am Sozialamt, wenn Flüchtlinge aus dem Iran, aus Afghanistan erklären müssen warum sie gekommen sind.

Das ist Freiheit „für“. Wünsche mir diese Denke bei mehr Menschen. Nur wer genau hinsieht, kann sie da und dort erkennen.

Nicht nur Waren werden durch Werbung und ständig wechselnde Lockmittel schmackhaft gemacht. Sodass wir uns dem alles versprechenden Angebot kaum entziehen können. Dem Drängen der Anbieter mit billigen Schnäppchen allzu gerne nachgeben.

Auch moralisches Verhalten ist keine Regel mehr. Leider. Respekt vor dem anderen könnte eine gute Übung sein, sich selbst zu achten. Scham ein Schutz für alle, die nicht den Körper einer Venus, eines Adonis haben. Solange jedenfalls wie das aktuelle Schönheitsideal Leitbild für zu viele ist, die ihm gleichen möchten. Früher hielten moralische Prinzipien die Gesellschaft zusammen. Wenn auch oft nur dem Schein nach. Alle hatten sich angepasst. Gottseidank hat sich das geändert.

Leider auch ins Gegenteil verkehrt. Heute pocht jeder auf seine Freiheit. Prinzipiell gut und richtig. Ist es aber die Freiheit, tun und lassen können, reden, her zeigen, was einem gerade so einfällt, in den Kram passt? Denkt doch mal nach.

Hättest du Mädchen wegen Fehlfunktion deiner Schilddrüse einen aufgedunsen Körper, würdest du ihn zeigen? Seine Körperteile, Busen oder Po anderen vorführen macht nackter als nackt. Gefährdet das Selbstbewusstsein. Du fühlst dich verraten. Ausnahme du wirst geliebt. Wegen anderer Qualitäten.

Angenommen, dein Aussehen ist attraktiver als dein Abschlusszeugnis. Würdest du dich als Frau mit weitem Dekolleté bewerben? Weil du erfahren hast, die Entscheider sind Männer. Es dauert keine Sekunde und du bist entlarvt. Männer mögen nackte Haut nicht überall. Du bist blamiert bis auf die Knochen.

Früher sah man nackte Frauen und Männer in Cabarets und auf Gemälden. Ging in Museen, um Gustav Courbets „Geburt der Welt“ zu studieren. Nackte Liegende mit leicht geöffneter Vagina. Die fülligen Damen Peter Paul Rubens sowieso. Heute sind alle Hüllen gefallen. Bis auf einen kleinen Rest stofflichen Anstands. Anzeigen, Plakate scheinen nur aus Haut zu bestehen. Überwiegend Frauen.

Gilt nicht die Gleichberechtigung? Sind nicht schöne nackte Männer auch attraktiv? Michelangelos David könnte ich mir gut aus Fleisch und Blut vorstellen. Statt aus kaltem Marmor. Hätte ich keine Skrupel. Das bronzene Manneken Pis in Brüssel wäre nichts dagegen.

Es ist Mode, nackte Haut zu zeigen. In Videos und Filmen überall zu kaufen. Nackt wäre nicht schlimm. Es kann Kunst sein. Wenn es sich nicht so aufdrängte. Nicht kopulierte oder so tut als ob. Mit Busen und Hinterteilen Männer aufgeilen. Um den Verstand bringen. Frauen animieren, gleiches zu tun. Glauben lassen, sie machen sich dadurch beliebt. Alles ist erlaubt. Alles ist öffentlich. Man redet von Transparenz und tötet die Scham, den Respekt. Die Freiheit anders zu sein.

Der Begriff Freiheit hat einen schlechten Beigeschmack bekommen. Armut im Geiste greift um sich. Moralisches Verhalten wandelte sich in Egoismus. Nur an der Lust orientiert. Als wären wir Tiere. Die Konsequenzen werden uns allen schaden. Der Gesellschaft als Ganzes. Jedem Einzelnen.

Erst kommt die Mode und dann kommt die Moral ...

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