Читать книгу Aus den Tagebüchern eines Inka Priesterschülers und Xervantes Indianers - Owawe Manitu - Страница 6

DAS LEBEN ALS WERTVOLLE ERFAHRUNG

Оглавление

Liebes Tagebuch. Ich male einen kleinen Stern auf Deine Seiten, denn es ist Winter und herrlich vorweihnachtlich. Diese Zeit aktiviert in mir ein offenbar altes Verhaltensmuster aus meiner Kindheit: Die Vorfreude auf das leckere Essen, auf den Duft des frisch geschlagenen Christbaumes im Zimmer, den wundervollen Geruch von Glühwein, Bosna auf den Märkten und die Suche nach der familiären Harmonie – gerade von ihr so richtig viel! Ich genieße jeden Tag wie meinen letzten und bereite solche Ereignisse mit dem notwendigen Respekt vor, damit keine Hektik, sondern Vorfreude in mein Herz zieht. Dinge, die mich belasten, möchte ich in diesen Tagen nicht mehr so tief in mich hineinlassen, denn es würde die Angst in mir schüren, dass etwas schief gehen könnte. Sicher, ist es enorm schwer, wenn ich mir vornehme, etwas Bestimmtes nicht zu tun, denn meistens bekommt dann gerade dieses bestimmte eine Etwas eine gesonderte Portion Aufmerksamkeit und bläht sich besonders stark auf. Ich erkenne das dann z. B., wenn ich mir vornehme, nicht in eine bestimmt Richtung zu sehen. Das scheitert fast sofort, denn mein Gehirn baut dann unbewusst eine solche Neugierde auf, dass ich spontan und fast automatisch in die falsche Richtung schaue. Fatal wird dieser Mechanismus, wenn ich mein Auto lenke und einem anderen Verkehrsteilnehmer ausweichen muss. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ich genau das treffe, was ich mir als Hindernis eigentlich ersparen wollte. Sei es der Baum oder eben ein Laternenmast, der zufälligerweise immer dann gerade dort steht, wo ich ihn eigentlich gar nicht gut gebrauchen kann. Die besondere Absicht, etwas zu vermeiden, könnte in eine erhöhte Aufmerksamkeit führen, die wiederrum die Vermeidung außer Kraft setzt. Wahnsinn, vielleicht lässt sich dadurch erklären, dass ich früher oft nur das Negative wahrgenommen habe und nicht selten richtig depressiv wurde. Ich sah plötzlich in der Weihnachtszeit nur genervte Mütter, die an den Armen ihrer Kinder ziehen, Ladenbesitzer, die Dieben hinterherliefen und aggressive Verkehrsteilnehmer, die sich um einen Parkplatz stritten. Ich sah aber nicht den Glanz, nicht das leuchten in den Augen der Menschen, spürte nicht die friedliche Stille und die feierliche Vorbereitung auf das Fest. Jetzt muss ich glatt mal den Stift ablegen und eine Runde mit Dir still sein – mein liebes Tagebuch und ich – wir lauschen in die vorweihnachtliche Welt.

Ich habe kürzlich einen Motivationstrainer kennen gelernt, der mir erklärte, dass man gerade bei schlechtem Wetter und in den Wintermonaten das positive Denken trainieren könnte und dass er das auch empfehlen würde, um das Negative aus meiner Aufmerksamkeit zu verdrängen. Aber was heißt das? Trainiere ich dann nicht die Verdrängung wie einen Muskel, indem ich ein Muster entwerfe, das den negativen Gedanken und die darunter liegende Angst überlagert? Sind es naturgemäß nicht besonders die Wintermonate, die mich oft reflektieren lassen und mir Dinge bewusst machen, die ich wohl nur im Schatten der Sonne erkennen kann? Ich fragte mich somit, wie nachhaltig es wohl für mich sein könnte, nach dieser Methode zu verfahren? Nein, schon nach kurzer Zeit wurde mir klar, dass darin für mich nicht der Schlüssel zum Glück und noch weniger zur andauernden Zufriedenheit liegt. Ich erzähle Dir jetzt meine eigene Meinung dazu und ich bin gespannt, wie Du das findest. Also: Unsere Organe versuchen lediglich, uns bei der Verarbeitung von allen Eindrücken und Einflüssen und in allen Situationen des Lebens zu helfen. Sie signalisieren uns manchmal durch Schmerzen, dass wir etwas zu verarbeiten haben und daher eine bestimmte Sache besonders betrachten dürfen. Es wird uns somit die Möglichkeit gegeben, einer Situation oder einem Erlebnis nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch mehr Achtsamkeit zu geben. Somit war die Entscheidung für mich eindeutig die, dass ich mich nicht neu „konditionieren“ möchte mit dem Ziel, ständig mit einem breiten Grinsen im Gesicht herumzulaufen – positives Denken in reinster Form – sondern dass ich das Leben anders als bisher annehmen und begrüßen will, glücklicher und zufriedener. Es macht für mich einen großen Unterschied, denn das Glücklichsein empfinde ich wie einen Barometer-Ausschlag nach oben, das Unglücklichsein als einen Ausschlag nach unten. Die Zufriedenheit ist dann die Null-Linie. Wenn ich es gelernt haben werde, immer ausgeglichen zu sein, dann wird es keine starken Ausschläge mehr nach oben und unten geben, denn die Zufriedenheit wird dann zu meinem allgemeinen Gemütszustand und das Glücksgefühl zu einem Moment. Wie findest Du das? Aber was ist das, was mich gelegentlich von dieser Null-Linie überhaupt entfernt hat? Ich erinnere mich daran, dass ich früher sehr unter starken psychischen und seelischen Schwankungen litt und auch nur sehr selektiv wahrnahm. Ich griff also irgendetwas, also „das Eine“ aus dem Leben heraus und betrachtete es ausführlich, während andere dieses etwas scheinbar nicht einmal bemerkten oder wenig beachteten. Woran liegt das, wenn ich etwas wahrnehme und mich daran störe, während es andere oft noch nicht einmal mit ihren Sinnen erfassen? Dafür gibt es sicherlich mehrere Erklärungsversuche und noch viel mehr Begründungen. Aber auf den Punkt gebracht kann ich sagen, dass die selektive Wahrnehmung sehr stark von der momentanen Lebenssituation abhängt.

Nimm einmal an, es parken 100 schwarze Autos in einer Reihe, die bis auf ein Fahrzeug alle des gleichen Typs sind. In der Mitte steht ein Auto leicht schräg, während die anderen Fahrzeuge sauber parallel zueinander stehen. Am Ende der Reihe steht ein rotes Fahrzeug. Am Anfang der Reihe steht ein Fahrzeug eines anderen Fabrikats. Jeder Mensch ist in seiner Wahrnehmung anders, es werden bei der Betrachtung dieser Fahrzeugreihe manche sofort das rote Auto gesehen haben, während andere nicht dieses rote Auto, sondern das schräg stehende Auto als störendes Glied in der Kette erkennen. Und einige Kenner in der Versuchsgruppe werden sofort auf das Auto anderen Fabrikats zeigen. Es gibt aber auch Menschen, denen nichts davon auffällt oder von Abweichungen berichten können, denn sie erkennen die Reihe von Fahrzeugen als Ganzes oder als ganze Ordnung, wobei eben ein schräg stehendes Auto oder auch ein rotes Auto gerade die Harmonie des Lebens zeigt, die sie gewohnt sind. Für den einen erscheint eben das rote Auto beachtenswert, denn das Gehirn fragt und selektiert die Wahrnehmung nach dem Muster dieser Reihe, welches in diesem Fall durch die Farbe bzw. die Abweichung von einer Standardfarbe erscheint. Andere orientieren sich an Formen und finden das schräg stehende Auto zuerst. Ich frage Dich, wieso ich diese selektive Wahrnehmung in mir habe? Meiner Meinung nach dient sie meinem eigenen Schutz, denn würde ich alles und immer komplett erfassen wollen, würde ich wohl total durchdrehen und wäre einfach damit überfordert, die vielen Eindrücke zu verarbeiten. Jederzeit auf 360 Grad und mit allen Sinnen alles erfassen wollen? Nein, das wäre zu viel für mich wie für jeden Menschen, wahrscheinlich wäre das selbst für die taffsten Maschinen viel zu viel. Meine Muster dienen mir, die Welt etwas zu abstrahieren und mit den Sinnen für mich relevante Teilmengen oder Aspekte zu erfassen, die mir wichtig erscheinen. Ich bin recht früh an das gewöhnt, was mich umgibt, um der Veränderung des Gewohnten in meiner Wahrnehmung einen Raum zu geben.

Weißt Du, ich muss gerade in diesem Zusammenhang von Mustern und einer gewissen „Gewohnheit“ an eine weise Empfehlung meiner Großmutter denken: „Einen alten Baum verpflanzt man nicht!“ Es scheint im Älterwerden an Wichtigkeit zuzunehmen. Ich sollte mich rechtzeitig an das gewöhnen, was mir später bevor steht. Diese Gewöhnung nenne ich eben das Leben als Mensch! Und das Leben mit allen Sinnen zu erfassen, ist etwas ganz Wunderbares, ja etwas wahnsinnig Wundervolles! Mir wird dies immer wieder bewusst, wenn ich neben meiner Frau im Bett liege und ihrem Atem zuhöre und beobachte, wie sich in einem bestimmten Rhythmus die Bettdecke hebt und senkt. Ich betrachte dies mit aller Wärme der Liebe zu meiner Frau. Rein faktisch und ohne Emotionen wahrgenommen, liegt dort zuerst einmal ein Körper. Er schläft und träumt und atmet. Das Gehirn funktioniert prima – und was ganz besonders wichtig ist, er tut das unbewusst und zuverlässig. Das Herz schlägt langsam aber beständig und pumpt das Lebenselixier durch die Adern. Da meine Frau kein Kontrollfreak ist, stören sie auch die kleinen Aussetzer nicht, denn sie möchte den Sonnenaufgang ebenso wenig perfektionieren wie den Rhythmus Ihres lieben Herzens. „Auch wenn ich die Möglichkeit hätte, die ganze Welt kennenzulernen, so hätte ich nur von wenigen Menschen das Herz kennenlernen können, denn das Herz öffnet nur, wer bereit ist eins zu sein und wer tief in sich blicken lässt.“ Wie wahr mir das selbst erscheint. Oder was denkst Du, liebes Tagebuch? Ein kleiner Muskelzucker lässt mich neben mir einen Traum in meiner Frau vermuten.

Ich frage mich, was von dem, was ich gerade erlebe, nun echte Wirklichkeit und was davon Projektion ist? Liegt dieser Körper wirklich neben mir oder entspringt das alles meiner Fantasie? Was ist, wenn auch ich selbst gerade schlafe und träume und somit nur annehme, dass hier ein Körper neben mir liegt? Was ist, wenn ich mich kneife und auch das nur träume, dass ich mir selbst einen Schmerz zufüge? Wann sind Schmerzen echt und wann sind sie nur Einbildung? Was bedeutet echt? Kann ein Schmerz auch echt sein, wenn ich ihn geträumt habe? Ich habe schließlich auch nach dem Traum die Erinnerung und sogar den Schrecken des Schmerzes in der Erinnerung, also warum sollte ich nicht einen geträumten Schmerz wie einen bewusst erlebten Körperschmerz behandeln? Das bringt mich zu einer ganz anderen Frage: Ob ein Schmerz vielleicht nur ein Warnsignal für eine Krankheit ist? Und was wäre, wenn auch eine Krankheit in einem Traum durchlebt werden könnte? Was also, wenn ich auch nur ein Symptom träume und die Krankheit beim Aufwachen verschwindet? Findest Du den Gedanken komisch? Tja, ich kann von Glück sagen, dass mir dieses schon einmal passiert ist. Es war erst vor wenigen Wochen, als ich plötzlich spürte, dass ich einen kalkartigen Geschmack im Mund hatte. Ich war ständig müde und mein Gewicht hatte über die letzten Monate enorm zugenommen. Ich war antriebslos und sehr launisch. Irgendwie wollte und konnte ich meine Lebenssituation nicht so richtig „verdauen“. Ich empfand das Existieren in meinem Körper nahezu als eine Qual und meinte wirklich, dass ich als Mensch bereits alles gelernt hätte und mein Leben ohne Probleme beendet sehen könnte. Ich hatte meine spirituelle Entwicklung so schnell hinter mich gebracht –glaubte ich zumindest – dass ich meinen Körper eigentlich nur noch als Taxi für die Menschen anbot, die meine menschliche Energie zur Heilung benötigen würden. Dass ich letztlich aber auch meine eigene Lebensenergie damit abzapfte, war mir gar nicht klar. Und so kam es dann auch, dass ich in einem Traum eine Stimme hörte, die mir sehr bekannt vorkam. Es war die Stimme, zu der man als Kind spricht, wenn man etwas Bestimmtes zu Weihnachten haben möchte. Oder die Stimme, zu der man aus heiterem Himmel spricht, wenn man beobachtet, dass etwas schreckliches Geschehen könnte. Diese Stimme ist es, die man bittet, eine bedrohliche Situation abzuwenden. Die Zuordnung der Stimme tut jetzt nichts zu Sache, denn ich hörte einfach nur diese Stimme, die mich fragte, ob ich denn gern Bauchspeicheldrüsenkrebs haben wollte? Ich erinnere mich daran, dass mein Bauch zuckte, so wie er auch jetzt zuckt, wo ich diese Zeilen schreibe. Siehst Du? Ich erinnere mich noch genau, dass ich sehr lange überlegte, denn ich wollte wissen, warum ich denn schon wieder eine so schwere Krankheit haben sollte? Nachdem ich in den letzten Jahren durch eine schwere Operation, bei der mir dreiviertel der Schilddrüse entfernt werden musste, sowie durch gewaltige Angstattacken durchgegangen war, meinte ich nun, endlich alles hinter mir zu haben. Aber offenbar war dies ein Trugschluss. Ich hatte vielleicht nicht genug von den Krankheiten gelernt und ihnen nicht richtig zugehört. Hätte ich meine Lauscher früher aufgesperrt, hätte ich wahrscheinlich - nein – ganz sicher sogar gehört, dass mein Körper gerade dabei war, abzuschalten. Ich hatte mein irdisches Leben offenbar zu oberflächlich gesehen und damit die heilige Ordnung gestört.

Aus den Tagebüchern eines Inka Priesterschülers und Xervantes Indianers

Подняться наверх