Читать книгу Das Scheiße-Gold-Prinzip - Panagiota Petridou - Страница 3
PROLOG
Оглавление„Guten Tag, Frau Petridou. Schön, dass Sie hier sind.“
Ich betrachte den Mann mit dem grau melierten Haar. Es hat dieselbe Farbe wie der Anzug, den er trägt. Ein Einreiher, nicht ganz modisch geschnitten, vermutlich ein paar Jahre alt und von seiner Frau ausgesucht. Die Krawatte ist bieder, genau wie der Rest des Ambientes.
Ich befinde mich im Büro des Leiters der vier größten Mercedes-Niederlassungen am Niederrhein. Der graue Mann, ich glaube, Meyerhoff ist sein Name, blickt vor sich auf einen dünnen Stapel Papier, der auf dem Konferenztisch im langweiligen Walnuss-Furnier liegt. Hier drin stinkt es geradezu nach Geld. Selbst die Kekse, die neben den Cappuccinos mit Milchschaumhäubchen und Schokostaub serviert werden, sind Markenware.
Hinten auf der Fensterbank stehen die Miniaturen der erfolgreichsten Modelle des Unternehmens. An den Wänden hängen Bilder aus sechshundertdreiundfünfzig Jahren Automobilgeschichte. Keine Ahnung, wie alt die Firma ist. Ich habe mich nicht auf den Termin vorbereitet. So wie ich mich nie auf etwas vorbereite. Nicht mal auf ein Bewerbungsgespräch bei Mercedes-Benz, dem größten Konkurrenten meines jetzigen Arbeitgebers.
Die Stimmung ist gedrückt. Selbst eine Beerdigung käme mir im Vergleich zu diesem Termin wie eine Party vor. Das liegt zum einen an der spießigen Einrichtung, zum anderen an dem grauen Herrn Meyerhoff und seinen Begleitern. Links von ihm sitzt ein Kerl mit nikotingelben Fingern. Er ist der Verkaufsleiter dieser Niederlassung. Rechts von Meyerhoff hockt der Nutzfahrzeugleiter, dessen Bauch über den Hosenbund hängt. Beide Namen habe ich vergessen, ist auch egal, wie sie heißen. Meyerhoff thront in der Mitte und hat das Sagen. Ernie und Bert sind nur Staffage.
„So, Frau Petridou“, eröffnet Meyerhoff das Gespräch und richtet den mickrigen Papierstapel noch einmal an den Kanten aus. Es sind meine Bewerbungsunterlagen, die vor ihm liegen. Die Headhunterin hat sie zusammengestellt. Seit ein paar Monaten ist mir die Frau auf den Fersen und hat das Treffen hier eingetütet. Sicher kriegt sie allein dafür, dass sie mich in dieses mausgraue Büro gebracht hat, das konservative Spießigkeit nur so ausdünstet, schon einen hübschen Batzen Geld. Ich bin eigentlich nur hier, weil mir die Headhunterin so lange in den Ohren gelegen und Mercedes ein wirklich beachtliches Angebot auf den Tisch gelegt hat.
„Sie sind erst siebenundzwanzig, Frau Petridou, und seit drei Jahren in der Branche. Und dennoch sind Sie einer der erfolgreichsten Autoverkäufer bei BMW/MINI.“ Meyerhoff lehnt sich ein Stück nach vorn, greift nach seiner Cappuccino-Tasse und hebt sie an. „Warum?“
Ich zucke mit den Schultern. „Weil ich gut bin.“
Bescheidenheit ist eine Zier, heißt es, und dann geht der Satz weiter: doch es geht auch ohne ihr. Ich halte nicht viel von Bescheidenheit. Sie ist mir ein Dorn im Auge. Bescheidenheit verhungert im Krieg. Bescheidenheit ist nichts für Gewinner. Ich mag sie nicht. Und bei diesem Termin wäre sie wirklich mehr als überflüssig.
„Sie haben im vergangenen Jahr knapp einhundert Neuwagen verkauft“, erklärt mir Meyerhoff.
Ernie und Bert ziehen beeindruckt die Augenbrauen hoch, als würden sie die Zahlen zum ersten Mal hören. Was natürlich Quatsch ist. Wir alle, die wir uns in diesem Raum befinden, wissen, dass es kaum jemanden gibt, der so gut Autos verkaufen kann wie ich. Allein die Headhunter, die mir seit einigen Monaten am Schuh kleben wie ein alter Kaugummi, beweisen es. Dass Mercedes mich unbedingt haben will, weiß ich, denn sie haben mich eingeladen. Ich habe mich nicht beworben. Sie wollten, dass ich komme. Und hier bin ich. Nicht, weil ich wirklich die Absicht habe, den Arbeitgeber zu wechseln, sondern einfach, um meinen Marktwert zu bestimmen.
Meyerhoff beginnt, etwas unkoordiniert durch meinen Lebenslauf zu blättern, und fragt nach verschiedenen Stationen in meiner Vita. Ausbildung, erster Job, E-Plus, dann die Stelle bei MINI. Ich nicke, bestätige, was er sowieso schon weiß, und fange langsam an, mich zu langweilen. Warum bin ich noch mal hier? Und wo krieg ich gleich was zu essen?
Plötzlich aber kommt Leben in die Bude.
„Können Sie mir sagen, welche Schlagzeile in den letzten Tagen die Nachrichten dominiert hat, Frau Petridou?“
Ich starre Meyerhoff an und bin nicht sicher, ob er mich auf den Arm nimmt. Was wird denn das jetzt? Will er meine Allgemeinbildung abfragen? Viel Spaß dabei. Ich bin die Tochter von Nikolaos Petridou, dem Mann, der jeden Tag achtundsechzig Tageszeitungen gelesen hat.
Ich atme langsam aus, dann sage ich: „Natürlich. Der RAF-Terrorist Christian Klar wurde vom Bundespräsidenten nicht begnadigt, sondern muss seine Haftstrafe noch zwei weitere Jahre bis 2009 absitzen.“
Die Herrschaften nicken. Ich frage mich, was der Unsinn soll. Schließlich verkaufe ich keine Autos, weil ich so hübsch Nachrichten aufsagen kann.
„Und im Ausland?“, will Meyerhoff wissen.
Hält er mich für eine Idiotin? „Nicolas Sarkozy hat im zweiten Wahlgang die Präsidentschaftswahl in Frankreich gewonnen. Er hat dreiundfünfzig Prozent der Stimmen erhalten.“
Die drei Männer schweigen. Jaja, denke ich, unterschätzt mich ruhig. Das wird lustig.
Ich bin zwar in Mathe ein Totalausfall, aber Fakten kann ich mir merken wie keine Zweite. Das ist ziemlich praktisch, nicht nur, wenn man in einem Bewerbungsgespräch sitzt, sondern vor allem beim Autoverkaufen. Denn zufälligerweise weiß ich, dass Frau Wittenbergers Mann Klaus heißt, die gemeinsame Tochter in Bochum Jura studiert und der Hund ein schlimmes Nierenleiden hat, weshalb er einmal in der Woche zur Dialyse muss. Und ja, genau das sind die Informationen, die man braucht, um eine persönliche Bindung zum Kunden aufzubauen, die am Ende dafür sorgt, dass Frau Wittenberger in den letzten Jahren nicht einen, sondern drei MINIs bei mir gekauft hat.
Meyerhoff ändert die Strategie. Offenbar ist ihm klar geworden, dass er mich mit Allgemeinwissensfragen nicht aus der Reserve locken kann.
„Was machen Sie, wenn ein 65-jähriger Kunde reinkommt und seine vierte E-Klasse bei Ihnen kaufen möchte?“, will er wissen.
Ich knipse mein schönstes Lächeln an und sage: „Sie meinen, außer ihm zu sagen, wo er sein Grablicht bestellen kann?“
Für eine Millisekunde ist es still, und ich frage mich, ob ich zu weit gegangen bin. Immerhin sitze ich im sprichwörtlichen Schrein der größten Mercedes-Benz-Niederlassung im Umkreis. Doch dann sehe ich, dass Meyerhoff die Mundwinkel nach oben verzieht, und auch Ernie und Bert fangen an zu kichern.
„Frau Petridou, ganz schön frech“, flachst Meyerhoff. Erleichtertes Lachen macht sich breit. Mit Humor fliegen einem die Herzen zu.
Ernie – oder ist es Bert? – ergreift im kurzen Moment der Unterbrechung die Chance, um sich auch mal zu Wort zu melden. „Sagen Sie, Frau Petridou, warum sollten Sie denn bei Mercedes arbeiten?“
Ah, wir kommen langsam zum Eingemachten: meiner Motivation. Die suche ich zwar selbst noch, aber ich kann mir ja mal ein paar Gedanken darüber machen, warum Mercedes mein neuer Arbeitgeber werden könnte.
Ich lasse den Blick schweifen und bleibe bei den Miniaturmodellen auf der Fensterbank hängen. Es sind die ewigen Klassiker, der W107 in Mimosengelb, der W123 als Coupé in Zypressengrün-Metallic, die alte S-Klasse W126 und sogar der legendäre E500. Mir wird klar, dass der Mann, dem dieses Büro gehört, einen Mercedes-Stern auf den Arsch tätowiert hat. Sein Lebensmotto: Was der Daimler baut, darf der Mensch nicht infrage stellen. Der Typ brennt für die Marke, der stirbt für sie. Wenn der morgens aufsteht, schluckt er erst mal einen Stern und geht dann arbeiten. So einen kriegt man nur mit Komplimenten.
Also wechsle auch ich die Taktik und beginne, ihn zu umgarnen. Ihn oder die Marke – es ist egal, sie sind eins.
„Mein Vater hat immer gesagt: ‚BMW ist gut, aber Mercedes ist besser.‘ Wir sind Griechen. Wir lieben Daimler.“
Ernie und Bert schmunzeln, Meyerhoff nickt bedächtig. Und ich hole noch einmal tief Luft, um mein Ass aus dem Ärmel zu schütteln. Ich bin sehr gut darin, schöne Bilder im Kopf zu erschaffen und Sehnsucht und Erinnerungen zu wecken. Ein nützliches Talent, wenn man Menschen etwas verkaufen möchte.
„Wir hatten auch mal einen Billig-Benz …“
Doch weiter komme ich nicht.
Die Herren reißen gleichzeitig die Augen auf und starren mich entgeistert an. Was habe ich falsch gemacht? Ich gehe im Kopf meine letzten Worte durch … Ach Mist.
Bert sagt im Brustton der Überzeugung: „Es gibt keinen billigen Benz! Sie meinen sicher den Baby-Benz.“
Am liebsten würde ich mir mit der flachen Hand an die Stirn schlagen. Billig-Benz … Mensch, Panagiota! Konzentrier dich. Die meinen das sehr ernst hier, die drei grauen Eminenzen. Die verstehen keinen Spaß, wenn es um ihr Schätzchen geht. Vermutlich würden sie eher ihren Erstgeborenen opfern, als zuzugeben, dass Mercedes auch nur eine Automarke ist.
„Genau“, setze ich erneut an. „Mein Vater hatte einen W201. Wenn wir früher nach Griechenland gefahren sind und den letzten Hügel in das Dorf genommen haben, standen alle am Straßenrand und haben uns zugewunken. ‚Ihr habt es geschafft!‘, begrüßten sie uns. ‚Ihr habt es in Deutschland zu etwas gebracht.‘ Das riefen sie nicht, weil wir den Kofferraum voll mit Persil, Nivea und Jacobs Krönung hatten, sondern weil wir einen Mercedes fuhren.“
Die drei Herren nicken höchst erfreut. Ich sehe ihnen an, dass sie sich die Szene gerade bildlich vorstellen. Und ich erkenne, dass sie mögen, was sie sehen.
„Fakt ist, ich habe jahrelang für BMW gearbeitet und bin jetzt bereit für Mercedes“, lege ich nach.
Meyerhoff taucht aus dem schönen griechischen Sommerurlaub wieder auf und berappelt sich nach einem kurzen Moment, den er nutzt, um wieder durch meine Bewerbungsmappe zu blättern. „Sie haben eine außergewöhnliche Streuung, Frau Petridou. Ihre Kunden kommen nicht nur aus Düsseldorf oder dem Rheinland. Sie kommen aus Hamburg, Paderborn, Frankfurt und sogar München. Wie kann es sein, dass Sie einen viel größeren Kundenkreis haben als andere? Warum fahren Kunden aus der ganzen Republik nach Düsseldorf, um einen MINI bei Ihnen zu kaufen?“
Ich verziehe keine Miene, als ich sage: „Ich bin am Telefon unschlagbar. Die meisten kommen über die Anzeigen auf den einschlägigen Verkaufsportalen im Internet zu mir. Oder weil sie einen Vergleichswert haben wollen. Wissen Sie, die Preise für MINIs weichen nicht besonders voneinander ab, da geht es vielleicht um 300 oder 500 Euro für zwei Modelle gleicher Ausstattung.“
Meyerhoff lächelt und schüttelt den Kopf. „Und wie gelingt es Ihnen dann, dass die Kunden bei Ihnen kaufen und nicht an ihrem Wohnort?“
Dass manche Leute für ein und denselben Wagen fünfhundert Kilometer zurücklegen, um ihn bei mir zu kaufen, hat damit zu tun, dass ich in dem Moment, in dem ich jemanden an der Strippe habe und mit ihm spreche, in der Regel weiß, wie ich ihn für mich gewinnen kann.
Es läuft immer nach demselben Prinzip ab. Der Kunde ruft an, möchte ein Angebot, eine Leasingrate oder einen Gesamtpreis. Auskünfte, die er am Telefon einholen will, da es oft nur um die Zahl geht, um zu vergleichen. Aber ich stelle Fragen und mache den Kunden neugierig. Ich locke ihn mit süßen Worten an meinen Schreibtisch. Mit Strategien, die ich im Laufe der Zeit erlernt habe. Mein Lieblingssatz ist: „Den besten Preis gibt’s immer bei mir am Schreibtisch.“ Der macht neugierig, und Neugier ist die halbe Miete. Sitzt der Kunde einmal an meinem Tisch, lasse ich ihn garantiert nicht mehr so schnell vom Haken.
Aber vorher muss ich mich immer ein bisschen anstrengen. Denn die meisten kommen nicht aus der Umgebung und reagieren auf meine Einladung gerne auch mal folgendermaßen: „Ich fahr doch nicht nach Düsseldorf! Ich bin aus Koblenz, das sind anderthalb Stunden Fahrt.“
„Klar kommen Sie nach Düsseldorf“, erwidere ich daraufhin. „Ich habe ein Bombenauto da, genau das, was Sie suchen.“
„Das gibt es aber auch hier in Koblenz.“
„Ja, aber das hat ein Multifunktionslenkrad“, gebe ich je nach Situation zu bedenken.
Der Kunde ist dann verwirrt. „Aber das will ich doch haben?“
„Ein Riesenfehler“, sage ich. „Die Knöpfe liegen so eng beieinander, die kann man nicht richtig bedienen. Vergessen Sie die Knöpfe! Sie kriegen nur eine Sehnenscheidenentzündung. Ich hab ein Auto da, das ist genau das, was Sie wollen, nur ohne Multifunktionslenkrad und deswegen 500 Euro günstiger.“
Für einen Moment herrscht Stille.
„Also wissen Sie was“, sagt der Kunde dann, „ich habe bei fünf Autohäusern angerufen. Keiner hat mir gesagt, dass ich kein Multifunktionslenkrad brauche.“
„Was für ein Glück, dass Sie bei mir rausgekommen sind.“
Er lacht. „Ja. Aber vielleicht will ich dann doch lieber einen Neuwagen. Wie viele Kilometer hat der, den Sie in Düsseldorf haben?“
Ich seufze. „Wann wollen Sie denn Ihr Auto bekommen? Es ist Mai. Wenn Sie jetzt den MINI bestellen, kommt er Ende August, und dann ist die Cabriozeit vorbei. Packen Sie Ihre Frau ein und machen Sie sich einen schönen Tag in Düsseldorf, ich empfehle Ihnen ein paar tolle Restaurants. Samstag reserviere ich mir den Vormittag für Sie, und dann zeig ich Ihnen Ihr neues Auto.“
Ich höre, dass er zögert. „Ich weiß nicht …“, setzt er ein letztes Mal zur Gegenwehr an.
„Na klar wissen Sie! Was haben Sie denn zu verlieren? Ich habe genau das Auto da, das Sie haben wollen. Außerdem müssen Sie bei mir kaufen.“
Er wirkt verblüfft. „Warum?“
„Sie verpassen was, wenn Sie nicht bei mir vorbeikommen. Ich bin eine echte Rakete.“
Der Kunde lacht. „Sehen Sie so gut aus, oder wie?“
„Na klar. Da fallen Sie tot um, wenn Sie mich sehen. Und bringen Sie bloß Ihre Frau mit, damit die auch was zu gucken hat.“
Ehrliches Lachen ist immer die Folge. Und ich weiß, wenn er auflegt, hat er sich bereits entschieden, dass er das Auto bei mir kaufen wird. Er weiß es nur noch nicht.
Ich sehe Meyerhoff in die Augen, um ihm seine Frage zu beantworten. „Ich kenne die Bedürfnisse meiner Kunden. Der eine braucht echte Beratung, der andere hat sich bereits entschieden und möchte nur noch hören, dass seine Entscheidung richtig ist. Manche wollen mit mir diskutieren, andere wollen am Ende recht haben. Man muss die Menschen lesen können.“
Und in Erinnerung an die Modellautos auf dem Fensterbrett füge ich in Gedanken hinzu: So wie ich es vor ein paar Minuten bei dir getan habe.
Meyerhoff sieht mich nachdenklich an. Mir ist bewusst, dass er mich haben will. Ich bin gut, das sagen die Zahlen, aber ich bin auch überzeugend, das weiß ich aus Erfahrung.
„Noch ein paar letzte Fragen, Frau Petridou“, meint Meyerhoff. „Wissen Sie, wie hoch der Umsatz von Mercedes im letzten Jahr war?“
„Nein.“
Die drei Herren schauen mich verdattert an.
„Das interessiert mich auch nicht.“
Ernie macht auch endlich mal den Mund auf. „Wer sitzt denn im Vorstand des Unternehmens? Wissen Sie das?“
„Nein“, antworte ich ehrlich.
„Aber das müssen Sie doch wissen“, echauffiert sich Meyerhoff.
„Wieso?“
„Sie wollen doch bei Mercedes arbeiten.“
„Irrtum! Sie wollen, dass ich für Mercedes arbeite. Das ist etwas vollkommen anderes“, sage ich und lächle.