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Waschecht ein Waschbär

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Respekt

„Respekt, Respekt.“ B blödelte nun schon die dritte Minute albern herum. Bei seinem zweiten ironietriefenden „Respekt“ knallte ich den Hörer aufs Telefon. Aber nicht, dass ich von B die Nase voll hatte oder dass er mit seiner Spöttelei den Bogen überspannt hätte. Es war nur so, dass über drei mit Bürokram und Geräten überladene Tischreihen hinweg die Stimme unseres Abteilungsleiters zu mir gedrungen war. Der Typ, der sogleich „Jawohl!“ brüllte und hinrannte, das war also ich, meines Zeichens Praktikant bei der Firma Wallstreet Communication. Praktikant im vierten Monat. Für meinen Teil fand ich eigentlich,

dass mir durchaus Respekt gebührte, allen Ernstes. Immerhin machte ich nun schon den vierten Monat brav diese Deppenarbeit. Praktikanten waren wir insgesamt acht. Will sagen: ich hatte sieben Konkurrenten. Mit einem Lohn konnte ich mich leider nicht brüsten, wir bekamen gerade mal so viel, dass es für die Fahrscheine reichte. Dafür durften wir aber im Büro oft sowieso die Nacht durcharbeiten; und genau einen Glücklichen von uns acht wollte die Firma nach Ablauf dieser sechsmonatigen Lehrzeit fest anstellen. Und der Rest? Tja ...! Der Prokurist meinte diesbezüglich: „Sehen Sie es auf jeden Fall als gute Erfahrung an.“ Aber wehe ihm, dachte ich, wenn ich wirklich leer ausgehe.

Für die anderen sieben ging es allerdings genauso um die Wurst. Das machte mich fertig. Nie eine Verschnaufpause. Zwei Tussis waren dabei, die, so raunte man sich zu, beim Englisch-Einstufungstest eine sagenhafte Punktzahl eingefahren hatten. Verbiesterte Streberinnen, das. Glaubten wohl, sie können alle anderen abhängen. Vier weitere waren eigentlich harmloses Mittelmaß und einer war überhaupt ein ziemlicher Knallkopf, aber alle gaben sie total Gas. Hatte keinen Sinn, herumzuschimpfen und nach Schuldigen zu suchen. Die Welt befand sich nun mal, schon längst, auf der schiefen Bahn, da war man als Einzelner machtlos dagegen. Sogar ich, auf der Uni noch gefeierter Sänger der Amateur-Rockgruppe Sam’s Sons, musste angesichts dieser Schieflage passen. War drum nur von früh bis spät keuchend damit beschäftigt, Sachen zu recherchieren, Kopien zu machen, Akten zu sortieren, Telefonate zu führen, Daten zu erheben, Kaffee zu servieren. „Gestern habe ich anstelle des Abteilungsleiters eine Milizübung absolviert. Ich meine, muss sich ein Rocksänger für so was hergeben?“ ‒ „Respekt, Respekt.“ B, unser Schlagzeuger, lachte echte Tränen.

„Sie haben mich gerufen?“

„Ja, ich dachte mir nämlich, Sie sind sicher gut in so was.“ Der Abteilungsleiter Son lächelte bei diesen Worten. So ein Dings-Programm wolle er furchtbar gern zum Laufen bringen, aber er schaffe es nicht selber. Ob ich es nicht doch irgendwie hinbekommen könne. Ich war erleichtert. Herr Son wirkte sonst immer übermäßig steif und darum irgendwie unnahbar. Obendrein war an diesem Tag die Stimmung sowieso völlig im Keller. Unsere Abteilung hatte nämlich gerade bei einer wichtigen Projektgeschichte, bei der wir gegen ein anderes Team hatten rittern müssen, den Kürzeren gezogen.

„Das ist

ein recht altes Spiel, wie mir scheint.“ ‒ „Ein recht altes Spiel, stimmt.“ ‒ „Zuerst müsste man einen Emulator installieren.“ ‒ „Einen Emulator?“ ‒ „Das zu erklären, würde jetzt etwas länger dauern.“ Im Handumdrehen hatte ich im Internet das Programm M.A.M.E. gefunden. Nachdem ich es installiert hatte, rief ich wieder das Spiel auf und klickte auf „Ausführen“. Ein Kinderspiel. Und alles funktionierte.

„Was ist denn

das?“ ‒ „Das ist der Waschbär, sieht man doch.“ ‒ „Der Waschbär, sagen Sie?“ ‒ „Genau, der Waschbär.“ Tatsächlich, nach einer Katzenmusik, die irgendwie so klang, als würde ein Gespenst ungekochten Reis zerbeißen, tauchte in einer Ecke des Bildschirms ein zu dieser Katzenmusik auch irgendwie dazupassender Waschbär auf. Der Abteilungsleiter verzog kurz seinen Mund zu einem Lächeln, das irgendwie nach „Na, bitte, da bist du ja!“ aussah und stürzte sich umstandslos ins Vergnügen. Das Spiel lief ungefähr so: Man steuerte den Waschbären durch die Gegend, der musste Obstzeugs sammeln und fressen und zwischendurch immer mal wieder vor so einer Art Ungeziefer Reißaus nehmen, das es auf ihn abgesehen hatte. Auf der Flucht verfolgte ihn dann neben dem Ungeziefer gern auch das Pech: Meist stürzte er ab und wurde von einer Reißzwecke aufgespießt, die gemeinerweise stets mit der Spitze nach oben dalag. Ein totaler Schwachsinn.

„Und, was sagst du dazu?“ ‒ „Also ... ich weiß nicht recht ...“ ‒ „Dir fehlen die Worte, nicht wahr?“ ‒ „Ja, stimmt.“ ‒ „Als ich in der Mittelschule war, haben wir das alle gespielt. Damals gab es Spielhallen, da standen zehn Geräte nur für den Waschbären nebeneinander in einer Reihe. Man stand draußen Schlange, alles war verrückt nach diesem Spiel, da gab’s überhaupt keine Ausnahme.

Es war eine gute Zeit.“

Durchaus möglich, dachte ich bei mir. Wenn Waschbären und Mittelschüler so gut miteinander befreundet waren, dann konnte das keine schlechte Zeit gewesen sein. Als der Abteilungsleiter meinte: „Wie wär’s, willst du es auch mal probieren?“, lehnte ich allerdings dankend ab. Wie es früher mal war, konnte ich nicht beurteilen, was aber die Gegenwart anlangte, so hatte ich noch nie von enger Freundschaft zwischen Praktikanten und Waschbären gehört. In dem Punkt war ich mir ganz sicher.

„Enttäuschend.“

Das war wie eine Ohrfeige. Ich war ganz perplex: „Wie bitte?“ ‒ „Es ist enttäuschend, habe ich gesagt.“ ‒ „Was ist denn enttäuschend?“ ‒ „Ich hatte fest damit gerechnet, dass du den Waschbären magst.“ Sons Gesicht war bei dieser Unterhaltung nur dem Bildschirm zugewandt und seine Hände ganz vom Spiel in Anspruch genommen, darum war es, als hörte man die Stimme von jemand anderem. „Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen nicht weiter behilflich sein kann“, sagte ich kleinlaut und trat den Rückzug an. Beim Weg vorbei an den drei Schreibtischreihen war mir, als hätte ich drei Gebirgsketten zu überwinden. Konnte ich wissen, dass der Abteilungsleiter so auf diesen Waschbären steht? So eine Firma war eine echte Schlangengrube!

Ich hatte dann einen hektischen Nachmittag, an dem ich nicht wusste, wo mir der Kopf stand, bis irgendwann der Prokurist höchstselbst nach mir rief. Ich brüllte mein kräftiges „Jawohl!“ und sprintete los. Eifersüchtige Blicke schossen mir nach wie Pfeile und trafen mich in den Rücken. Der Beschuss kam von den zweien, die beim Englischtest so gut abgeschnitten hatten. Ihre Pfeilspitzen waren mit Gift getränkt. Mein Gott, diese Ahnungslosen, die wussten genauso wenig wie ich, was der Prokurist von mir wollte.

„Schau her, was hast du da angerichtet?“

Seine Frage klang nach „Mach mir nichts vor, ich weiß schon alles“, aber ich hatte tatsächlich keinen blassen Schimmer. „Was meinen Sie denn?“ ‒ „Dort drüben, der Abteilungsleiter Son.“ Ich schaute hinüber, und da war er, heilige Scheiße, nach wie vor begeistert mit dem Waschbären zugange. „Man hat mir zugetragen, dass du derjenige warst, der den Waschbären auf Sons Computer losgelassen hat?“ ‒ „Das ist nicht ganz die Wahrheit, es ...“ Mir drängten sich allerlei Wörter auf, Emulator beispielsweise, oder M.A.M.E., aber was, fragte ich mich, sollte der Prokurist, dieser fünfzigjährige Altknacker, mit so einer Erklärung anfangen? Er machte sowieso eine Miene, die zu verstehen gab, dass Ausreden bei ihm keine Chance hatten. „Das geht jetzt schon Stunden so. In der Zwischenzeit hat er zwei Tüten Gemüsecracker und drei Packungen Kartoffelchips gefressen. Die Symptome sind eindeutig.“ ‒ „Symptome? Wovon sprechen Sie?“

„Von der Waschbärentollwut.“

„Wie bitte?“ ‒ „Er ist schon angesteckt. In Amerika werden zur Ausrottung dieser Krankheit jährlich bis zu einer Milliarde Dollar investiert. Zeitweise hat man früher über ganz Ohio, flächendeckend, von Flugzeugen aus ein Mittel gegen diese Tollwut versprüht. Jedenfalls darf ich gar nicht dran denken, dass ein Waschbär in meinen Bereich eingedrungen ist. Selbst wenn du von all diesen Dingen nichts gewusst haben solltest, hättest du mich doch zuerst fragen können, ehe du so einen Waschbären freisetzt. Siehst du das nicht selber ein?“

Mir derart den schwarzen Peter zuschieben, das war denn doch ein starkes Stück. Was konnte denn ich dafür? Und was bitte sollte das mit der Waschbärenseuche? Was war denn das für ein Schwachsinn? „Pass auf: Früher galt der Waschbär als ein Plünderer, der auf der Suche nach Essbarem in die Scheunen der Bauern einbrach. Mittlerweile schmarotzt er in Unternehmen und Firmen. Will sagen, er ist noch gefährlicher als jeder Spion. Was hast du überhaupt an der Uni gelernt? Der Waschbär ist der Feind jedes Betriebs, ein Feind der Menschheit. Merkst du dir das?“

„Ja.“

„In Zukunft also Vorsicht, wär doch schade um so einen Süßen!“ Dabei fasste er mir kurz ans Kinn und ruckelte daran. Mir war eher, als würde er dabei sagen „Du bist draußen!“, und dementsprechend angepisst war ich. In was für einer Firma war ich da, um Himmels Willen, gelandet? Unwillkürlich entfuhr mir ein Seufzer, aber das war auch schon alles, was ich hervorbrachte. Etwas raschelte und knisterte. Der Abteilungsleiter Son wühlte sich gerade durch seine dritte Tüte Gemüsecracker.

Ein Jammer,

ein Jammer! „Ursprünglich war er ja ein tüchtiger Mitarbeiter“, meinte der Prokurist, während wir den Computer des Abteilungsleiters Son neu formatierten. Es war wie bei diesem Flächendeckend-vom-Flugzeug-aus-den-ganzen-Bundesstaat-mit-einem-Impfstoff-Überziehen ‒ genauso konsequent formatierten wir den Computer nun schon zum dritten Mal neu. Ein Durchschnittsmensch war er jedenfalls nicht, unser Prokurist.

Am Vortag hatte der Abteilungsleiter Son die Firma verlassen. Das mit dem Waschbären hatte bloß zwei Wochen davor seinen Anfang genommen. Nach außen hin hieß es, Son habe die Verantwortung für den Misserfolg der Wettbewerbspräsentation seines Teams übernommen, aber der wahre, freilich nur dem Prokuristen und mir bekannte Grund war die Waschbärentollwut. War das nicht der jämmerlichste Grund, den man sich vorstellen kann?

Also wenn man so will, war das alles schon sehr merkwürdig. Der Abteilungsleiter Son hatte den ganzen lieben Tag lang selbstvergessen dem Waschbärenspiel gefrönt und innerhalb kurzer Zeit extrem Fett angesetzt. Klar, es war auch nur allzu natürlich, dass er zunahm, wenn er ohne Unterlass irgendwas futterte. Aber diese Maske rund um seine Augen, war die ebenfalls nur allzu natürlich? Also ich hätte mir keine Antwort auf diese Frage zugetraut. Um seine Augen herum wimmelte es auf jeden Fall auf einmal von so etwas wie lauter schwärzlichen Sommersprossen; von Weitem betrachtet, sah das aus wie ein schwarzes Band, links und rechts spiegelgleich. „Was ist denn das, der sieht ja schon komplett aus wie

ein Waschbär.“

So munkelten die Leute. Gewiss, seine Sommersprossen mochten einfach vom übermäßigen Computerspielen entstanden sein. Aber egal, die Leute begannen jedenfalls alsbald den Abteilungsleiter Son zu meiden. Von Tag zu Tag wurden die Sommersprossen rund um seine Augen immer dunkler, und dementsprechend sah er einem Waschbären immer ähnlicher. „Gibt es da kein Mittel dagegen?“, fragte ich den Prokuristen, aber der meinte schlicht: „Nein, leider nicht.“ Und aus diesem schlichten Grund blieb der Abteilungsleiter Son nun überall außen vor.

Sein einziger Gesprächspartner war ich. Jedes Mal wenn eine dieser Besprechungen vorbei war, zu denen alle gebeten waren, bloß er nicht, rief er mich zu sich. Ich schrie dann jedes Mal „Jawohl“, sprintete zu ihm hin und musste mir dann regelmäßig ein derart unsägliches Geschwätz anhören, dass es einem blanken Hohn auf meine beflissene Dienstbereitschaft gleichkam. Wie man sich schon denken kann: Von Anfang bis Ende drehte sich alles um den Waschbären.

„Schau mal genau her, das hier ist Level 23. Wenn man hier diese Leiter runterkommt, tut sich eine weite Lücke auf. An deren gegenüberliegendem Ende gibt es eine punktgroße Fläche, auf der man landen kann. Die Lücke lässt sich also überspringen. Aber das Problem ist das Danach. Denn wenn man dann weiterspringen will, fällt man unweigerlich runter auf den Reißnagel. Ich kann mich einfach nicht erinnern, wie ich früher hier drübergekommen bin. Seinerzeit habe ich das geschafft. Es ist zum Haareraufen.“

„Aber warum haben Sie mich gerufen?“

„Ach so, ja, ich dachte nämlich, dass jemand wie Sie weiß, wie das geht.“

„Wie kommen Sie denn auf die Idee, dass ich das wissen könnte?“

„Sie sind doch mit dem Waschbären gut Freund.“

„Nein, bin ich nicht, ich bin nicht gut Freund mit dem.“

„Das stimmt mich traurig.“

„Was stimmt Sie da bitte traurig? Sie werden auf der ganzen Welt niemanden finden, der weiß, was Sie wissen wollen.“

„Wirklich? So ein Jammer.“

Immer in dieser Art, es war wirklich ein Jammer. Am Ende fing auch ich an, ihm aus dem Weg zu gehen. Und jedes Mal nach so einer Unterhaltung kam unweigerlich ein Ruf vom Prokuristen. Es war nichts dabei, „Jawohl“ zu rufen und zu ihm zu rennen, aber wenn er dann mit der Frage „Was hat denn der Abteilungsleiter Son gerade gewollt?“ näher an mich ranrückte und mir den Oberschenkel tätschelte, also da wären andere an meiner Stelle sicher komplett ausgerastet. Wie ich viel später erfuhr, war er als schwuler Unhold schon lange berüchtigt.

Auch wenn man es unter den Teppich kehren möchte:

Die Welt steht Kopf. Da verwandelte sich ein Mensch zusehends in einen Waschbären, da ließ ein schwuler Prokurist das ganze Personal unter seiner Fuchtel tanzen. Und dann gab es noch einen Rocksänger, der sich aus Furcht vor der Macht dieses Prokuristen gottergeben von demselben den Oberschenkel betatschen ließ. Schlimmer konnte es doch nicht mehr kommen.

Dieser ganze Stress war letztendlich schuld an dem, was bald darauf geschah. Ich hatte einen Filmriss und fand erst wieder zu mir, als ich irgendwo in einem U-Bahnhof am kalten, übel riechenden Boden lag. Am Abend davor hatte es ein Abschiedsessen für den Abteilungsleiter Son gegeben. Dass ich einen Filmriss hatte, war mir davor noch nie passiert, und in einem U-Bahnhof hatte ich vorher auch noch nie geschlafen. Um mich herum lagen in kleinen Grüppchen die Penner und Obdachlosen. Es war in den frühen Morgenstunden, auf beiden Seiten des langen unterirdischen Gangs versperrten massive Rollgitter die Stiegenaufgänge.

An die kalte Wand gelehnt, versuchte ich, einen klaren Kopf zu bekommen. Bis zur zweiten Bar konnte ich mich an alles gut erinnern. Als wir dann auseinandergingen, war mir die Verantwortung für die sichere Heimkehr des Abteilungsleiters Son zugefallen. Aus welchem Grund ich in der U-Bahn gelandet war, konnte ich mir daher zusammenreimen, denn Son wohnte weit weg, in Incheon. Auf dem Weg zur Station waren wir, auch daran konnte ich mich noch vage erinnern, in ein Kneipenzelt eingekehrt, auf eine allerletzte Runde Schnaps. Und dann war der Film gerissen. Keine weitere Erinnerung. Mattscheibe. Ich blickte mich um, aber vom Abteilungsleiter Son keine Spur.

„He, alles in Ordnung?“

Total überrascht drehte ich mich um. Ein Mann, den ich mein Lebtag noch nie gesehen hatte, starrte mich an. Sah überhaupt nach einer ziemlichen Neugierdsnase aus. Mitte Vierzig, ein Penner. „Ach so, jaja.“ Ich senkte meinen Kopf und wurde rot. „Die Jugend ist wirklich etwas Schönes. Ich meine, als Junger, da kannst du saufen, was du willst, und gleich drauf sieht man dir überhaupt nichts mehr an. Ach ja, deiner Geldbörse sollte nichts zugestoßen sein. Aber schau besser gleich mal nach.“ Erschrocken griff ich in die Innentasche meines Sakkos und ertastete die Börse. Wahrhaftig, sie war dort wohlbehalten an ihrem Platz.

„Keine Bange, wir rühren eben nie einen an, der in Begleitung eines Waschbären zu uns kommt.“

„Was? Eines Waschbären?“

„Weißt du das nicht? Der, der dich gestern gestützt und herbegleitet hat, das war ein Waschbär.“

„Aha, ach so ... Und wo ist der dann hin?“

„Es war ein Waschbär, also wird er wohl in den Untergrund gegangen sein.“

„Was? In den Untergrund?“

„Ja, unter die Erde. Dort, in den Tunnel, wo die U-Bahn fährt.“

„Aber, hören Sie mal, er ist doch in Wahrheit ein Mensch ...“

„Das weiß ich selber auch. Nichtsdestoweniger hat er sich schon fast vollständig in einen Waschbären verwandelt. Bei dem Grad an Mutation muss man in den Untergrund.“

„Mir ist das alles ein Buch mit sieben Siegeln.“

„Hat er nicht auch vor Level 23 kapituliert?“

„Wie kommt es, dass Sie das wissen?“

„Hab ich also recht? Das hat noch jeden zum Waschbären mutieren lassen.“

„Ich dachte, das sei eine Krankheit.“

„Du meinst die Waschbärentollwut? Nein, das ist ein Märchen.“

„Na so was!“

„Schau, das musst du eben noch lernen: Die Welt ist ein ganz anderer Ort, als du denkst.“

„Was für ein Ort ist sie denn?“

„Level 23. Das ist der wahre Name unserer Welt.“

„Bitte keine blöden Kommentare“

„Bitte keine blöden Kommentare. Gestern hab ich in einer Station der U-Bahn geschlafen.“ ‒ „Hahaha! Wieso denn das?“ Es war eine ruhige Nacht am Angelplatz. Weil wir die einzigen waren, die dort ‒ gegen eine Gebühr ‒ angelten, brauchten wir uns keine Zurückhaltung auferlegen und konnten nach Herzenslust miteinander quatschen. Es war eine Ewigkeit her, dass wir uns zuletzt gesehen hatten, und geangelt hatten wir beide auch schon seit einer Ewigkeit nicht mehr. Die Schaumstoffschwimmer am Ende unserer Angelschnüre machten ewig lang keinen Mucks.

„Soweit also meine Geschichte.“

„Schau einer an.“ B nickte mit dem Kopf, als er das sagte. „Wenn man sich das so anhört, muss man schon sagen: Alltäglich ist das nicht.“ ‒ „Eben darum mache ich mir große Sorgen.“ ‒ „Scheint auf jeden Fall ein Problem zu sein, bei dem es sich lohnt, tiefer drüber nachzudenken.“ Als wollte er nun sogleich ein paar höchst tiefsinnige Überlegungen anstellen, steckte sich B erst mal eine Zigarette an. Ich hatte meinerseits gerade eine fertig geraucht, warf den Stummel weg und machte mich daran, den Köder nochmals durchzukneten. Die Schaumstoffschwimmer mit ihrem jeweiligen Stift obenauf rührten sich nach wie vor keinen Millimeter und sahen aus wie ins Wasser eingeschlagene lange Nägel.

So verrosten die noch,

die rosten durch. Wenn man Freundschaft mit einem eisernen Band vergleichen kann, so waren B und ich schon so lange befreundet, dass das Band bereits ein wenig Rost angesetzt hatte. B war zwar zwei Jahre älter als ich, aber irgendwie waren wir trotzdem die besten Kumpel geworden. Ich war Studienanfänger, als wir uns kennenlernten, bei einer Orientierungsveranstaltung für Studienanfänger. Da stellte sich einer ans Rednerpult, keine Ahnung, ob es ein Professor oder nur ein Verwaltungsmensch war, und hielt eine langwierige Ansprache. Komischerweise war ich damals ständig auf alles angefressen. Die Rede selber war eigentlich letztlich völlig harmlos, aber trotzdem schrie ich plötzlich:

„Kusch, blöder Arsch!“

Mit einem Mal brach das Publikum in ein einziges wildes Gelächter aus, und das Ganze artete zum Tohuwabohu aus. Gegen Ende der Veranstaltung suchte einer nach mir. „Wer war das mit dem blöden Arsch?“ Ein paar Leute wiesen mit ihren Blicken zu mir, da kam er auf mich zu und meinte: „Wollen wir eine Band gründen?“

Das war also B.

Danach gründeten wir eine Band, die zumindest uniintern sehr berühmt war. Wir gaben uns den recht nichtssagenden offiziellen Namen Sam’s Sons, aber vielsagenderweise kannte man uns eigentlich nur als die Hurensöhne von der Kusch-blöder-Arsch-Band. Wenn B von der Bühne aus auf unser vor Begeisterung außer Rand und Band geratenes studentisches Publikum blickte, platzte er oft schier vor Lachen: „Schau dir das an. So eine Pöbelei zur rechten Zeit ist Goldes wert.“ Es war insgesamt eine gute Zeit. Mit ein bisschen Schimpfen und Fluchen konnte man schon ein kleiner Rockstar werden. Ich musste nur wild genug auf mein Instrument eindreschen, dann rasten alle vor Begeisterung. Im Rückblick kommt mir das alles gar nicht wahr vor.

Wer weiß, vielleicht lag es dran, dass er Philosophie studierte, aber jedenfalls war B einer, der sich über alles gründlich Gedanken machte. Er wusste viel, zumindest viel mehr als ich, und hatte schon weiß Gott was alles erlebt. Für mich, den einzigen männlichen Studenten im Fach Haushaltsführung, war er einfach in jeder Hinsicht eine Respektsperson. Dass er zweimal bei der Aufnahmeprüfung durchgefallen und somit eigentlich zwei Jahre älter war als ich, erfuhr ich erst zwei Semester später im Herbst, als wir auch bereits zwei Bassgitarristen verschlissen hatten. Zu dem Zeitpunkt waren wir schon viel zu eng befreundet – für mich hoffnungslos zu spät für einen Wechsel in die angesichts unseres Altersunterschieds eigentlich geziemende höflichere Sprechstufe.

Wie Schaumstoffschwimmer und Angelhaken

waren wir unzertrennlich. Zusammen soffen wir, zusammen verabredeten wir uns mit Frauen, zusammen ließen wir auf der Bühne die Sau heraus, zusammen gingen wir angeln. Eigentlich wollten wir auch gleichzeitig das Studium abschließen, um anschließend weiter miteinander Musik zu machen. Dass daraus nichts werden sollte, stellte sich nach dem Abrüsten vom Militär heraus. So komisch es klingt: Nachdem ich meinen Wehrdienst abgeleistet hatte, fing ich plötzlich an, alles gutzuheißen. Mein Weltverdruss war spurlos verschwunden, und ich war wie verwandelt, nämlich in einen braven Studenten, der sich auf seinen Eintritt in die Arbeitswelt vorbereitet. Quasi nach dem Motto: Für so müßige Scherze wie das Musikmachen ist jetzt nicht die Zeit. Es hielt mich beim Erzählen nun auch nicht mehr auf meinem Angelhocker:

„Also deswegen habe ich damals mit der Musik Schluss gemacht.“

„Ach so“, B nickte, aber auch seinerzeit hatte er bloß genickt. Das war’s gewesen. Die Band wurde tatsächlich aufgelöst, und ich bewarb mich um ein Praktikum in eben dieser Firma. B gegenüber hatte ich mich seither immer schuldig gefühlt, und auch jetzt in diesem Moment fühlte ich mich zutiefst schuldig. Wenn in den vergangenen Monaten einer von uns beiden beim anderen angerufen hatte, um mal zu fragen, wie es denn so geht, so war das stets er gewesen, nicht ich. Und wer das Angeln heute vorgeschlagen hatte, das war auch er gewesen, nicht ich. Und ich blöder Arsch – mit knapper Not war ich so gnädig gewesen, zum Angelplatz zu kommen, um nun bloß über Wehwehchen wie die Sache mit dem Waschbären zu schwafeln.

„Also, was ich denke, ist Folgendes.“

B beendete seine lange Denkpause und machte endlich wieder den Mund auf. Einer der langen Nägel, die in die Wasseroberfläche eingeschlagen gewesen waren, regte sich plötzlich, als sei er nun lieber doch ein Schaumstoffschwimmer, aber ich machte mir nicht die Mühe, die Schnur zu mir zu ziehen. Die Welt war immerhin so verrückt, dass ein Mensch zu einem Waschbären wurde. Wenn sich da ein Schwimmer in einen Nagel verwandelte oder auch dieser Nagel wiederum zurück in einen Schwimmer, konnte mich das nicht groß kratzen.

„Ich frage mich, ob es dabei nicht um das Problem des Vergnügtseins geht.“

„Das Problem des Vergnügtseins?“

„Will sagen, der Waschbär steht für das Vergnügen.“

„Das ist mir ein wenig zu hoch.“

„Stell dir einfach mal vor, du bist mit deinem Leben an diesem Scheideweg angelangt. Also du bist an der Schwelle zu Level 1. Erst jetzt merkst du, welche Abneigung die Welt dem Waschbären entgegenbringt. Nun hast du zwei Möglichkeiten. Du kannst entweder Waschbär bleiben und die Flucht ergreifen oder den Schwanz einziehen und das Waschbär-Sein vollkommen sein lassen. Dein Abteilungsleiter war höchstwahrscheinlich ein Mensch, der die ganze Zeit seine Waschbärennatur geheim hielt. Das war sicher sehr mühsam für ihn.“

„Geheim hielt?“

„Natürlich nur am Anfang. In der Konfrontation mit diesen ständig neuen Level-Herausforderungen vergaß er ja zusehends, ohne es selber recht zu merken, seine Waschbärennatur. Irgendwann stieß er beim Aufstieg an einen unüberwindlichen Plafond. Die Gruben, auf deren Grund man auf einen Reißnagel fällt, die hatte er da aber immerhin schon alle glücklich übersprungen. Und so konnte er sich am Ende dann doch noch, das muss der Neid ihm lassen, zum waschechten Waschbären mausern.“

„Ich kenne mich hinten und vorne nicht mehr aus. Wie kam denn der Waschbär mit der Menschheit dermaßen über Kreuz zu liegen?“

„Ich erklär’s dir sehr vereinfacht. Stell dir mal so eine primitive Agrargesellschaft vor. Alle graben gerade fleißig den Boden um, da taucht auf einmal ein Waschbär auf. Einer schreit: Da schau her, ein Waschbär! Und schon lassen die Leute alles liegen und stehen und versuchen, den Waschbären anzulocken: Oh my god, ist der süß! Da komm her, komm doch, Baby, Sugar baby, Sugar sugar baby!

„Moment mal, hatten die es zur Zeit dieser primitiven Agrargesellschaft auch schon so mit Englisch?“

„Ich will dir ja bloß die Stimmung vermitteln. Also ursprünglich und an und für sich steht der Waschbär für den Spaß schlechthin. Kommt daher und zieht für ein, zwei Stunden die Leute völlig in seinen Bann. Wie war da wohl dem Kapo von Feld 1 ums Herz? Richtig, der hätte den Waschbären am liebsten erwürgt. Und so ein Hass, der staut sich an. Seither ist viel Zeit vergangen. Und siehst du, inzwischen haben wir die spätkapitalistische Industriegesellschaft. Diejenigen, die heute die Zügel fest in der Hand halten, sind Kerle vom Schlag des seinerzeitigen Kapos vom Feld 1.“

„Allerhand, was schon damals so alles abgelaufen ist.“

„Diese Typen gingen allmählich dazu über, den Waschbären komplett auszurotten. So wie sie das bei den Indianern getan haben. Das Mittel, das man angeblich gegen die Tollwut über ganz Ohio versprüht hat, war wahrscheinlich in Wahrheit nur ein Waschbärengift. Warum? Weil es so etwas wie die Waschbärentollwut überhaupt nie gegeben hat. Das sind alles ganz abgekartete Sachen. Diese Schufte geben dauernd vor, den Waschbär schützen zu wollen. Als vom Aussterben bedrohte Tierart eben.“

„Wieso?“

„Den Menschen soll vermittelt werden, dass so ein Waschbär ein rarer Vogel sei, dass man solch ein Tier allenfalls mal im Zoo bestaunen kann, weil man es in freier Wildbahn sowieso ein Leben lang nicht zu Gesicht bekommt. Werde man aber doch zufällig eines Waschbären ansichtig, dürfe man, das hämmerte man den Leuten ein, ihn auf gar keinen Fall anfassen.“

„Diese Intrigen sind ja zum Fürchten.“

„Auch du solltest bald deine Entscheidung treffen. Was diese Sache anlangt, meine ich, das Vergnügtsein.“

„Tut mir echt leid. Also dass ich dir mit solchen Sorgen komme.“

„Es braucht dir nicht leid tun. Eigentlich ist das etwas, über das ich mir schon lange Gedanken mache. Und heute wollte ich sowieso mit dir darüber reden.“

„Worüber?“

„Also, ehrlich gesagt, ich glaube, ich möchte ein Waschbär sein.“

„Machst du dir damit das Leben nicht zu schwer?“

„Am Anfang, klar, ist man auf der Flucht. Aber wirklich schwierig ist sozusagen nur die Installation, der Rest ist einfach. Man braucht bloß einen Emulator für das alte Programm. Auf jeden Fall glaube ich, der Waschbär ist das größte Geschenk, das Gott den Menschen gemacht hat. Beziehungsweise das ist sogar meine einzige Gewissheit.“

„Dann gehen wir jetzt getrennte Wege?“

„Fühlst du dich allein gelassen?“

„Ja.“

„Trotz allem gibt es auf dieser Welt ja immer noch die Waschbären, vergiss das nie.“

„Stimmt, danke.“

Mein Schaumstoffschwimmer fing wieder an zu wackeln. Energisch zog ich die Rute zu mir. Eine kleine junge Karausche hing an der Schnur. Ich fädelte ihr den Haken aus dem Mund und warf sie ins Netz. Sie zuckte und zappelte wie ein Mensch, der gerade auf Level 1 ins Spiel einsteigt. Genau in diesem Augenblick blendete mich eine Art Leuchtkörper.

Das Ding schwebte wie schwerelos über dem Akazienwald am gegenüberliegenden Ufer des Angelsees. Es war eindeutig ein Flugobjekt, das sich aber scheinbar federleicht in der Luft zu halten vermochte, so als berge es in seinem Innern nichts weiter als eine große Luftblase. Der halbkugelförmige Körper des Dings war vollkommen umhüllt von einer augenblendenen, wunderschönen blauen Aura

Nanu, war das nicht ein Ufo, wie es im Buche stand?

Kaum war mir dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, flog das Ding auf einmal quer über den Angelsee und blieb fast über unseren Köpfen in der Luft stehen. Es war riesengroß. Und diese ungeheure Maschine hatte etwas von einem lebendigen Organismus, sie atmete nämlich quasi, in langsamen, tiefen Zügen. „Mensch!“ Wir stießen Rufe des Staunens aus, wie sie im Buche hätten stehen können.

Nach einigen weiteren tiefen Atemzügen tat sich, wie wir genau sehen konnten, in der Mitte der Scheibe eine kleine Öffnung auf. Ein Licht, aber eines von anderer Art als diese Aura rund um die ganze Maschine, strömte nun langsam senkrecht aus der Öffnung herunter. Gleich stößt diese Lichtsäule auf die Erde, dachte ich, da drehte das Ufo mit ohrenbetäubendem Krach wieder ab. Ich musste mich mal zwicken, und dann war das Ding schon nicht mehr sichtbar, wie in Luft aufgelöst.

Und dann sahen wir etwas. Kaum fünf, sechs Meter vor uns. Also dort, wo die Lichtsäule hingestrebt hatte, genau an dem Platz stand etwas. Eine Weile stand dieses Wesen reglos dort, aber letztendlich wackelte es in die Lichtkegel unserer Taschenlampen, die wir die ganze Zeit nicht ausgeknipst hatten.

Es war ein Waschbär.

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Dank Ihrer geselligen Natur haben Sie einen großen Bekanntenkreis. Ohne sich von der Rücksicht auf etwaige Altersunterschiede einengen zu lassen, schließen Sie leicht Freundschaft. Als Freund passt zu Ihnen gut der Affe, der vielseitig begabt und genau wie Sie aufs Vergnügtsein aus ist. Weiters kommt auch der Pegasus, der sich nicht pedantisch mit Kleinigkeiten aufhält, für Sie als Freund oder Partner in Frage. Vom Schaf aber und vom Reh halten Sie sich besser fern. Schafe sind Tugendbolde, die jedes Versprechen eisern einhalten; bei jemandem wie Ihnen werden die des Tadelns nicht müde. Und natürlich kommt auch das naive und unbedarfte Rehlein mit Ihnen nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner.

Als Waschbär bauen Sie auf Erfahrungswerte und auf das Bewährte. Aufgrund dessen geraten Sie angesichts von exquisiten alten Sachen wie einer schönen Antiquität vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen. Und noch eine weitere ganz besondere Begabung besitzen Sie: Sie können sich die Geschichte einer anderen Person so zu eigen machen, als hätten Sie alles selber erlebt. Wenn also jemand einen Film, den er gar nicht gesehen hat, lebendiger nacherzählen kann als jeder tatsächliche Zuschauer, so sind Sie das.

Sie können gut mit Veränderungen umgehen. Auch das gehört eben zu den virtuosen Talenten, die einen Waschbären auszeichnen. Sie leben sich in jede Situation gut ein, sind sich für kein Wagnis zu schade und fahren darum eine reichere Ernte ein oder machen jedenfalls reichere Beute als alle anderen. Einzig wenn es um Ihr Essen geht, wollen Sie unter gar keinen Umständen eine Veränderung dulden. Dort, wo Sie gerade leben, haben Sie ein paar feste Stammlokale, und Ihre Bestellung lautet dort stets: „Das Übliche, bitte!“ Das entspricht genau der Eigenart eines Waschbären, der nun einmal seine Lieblings-Leckerbissen kennt und stets auf Erfahrungswerte und das Wohlbewährte setzt.

Sie sind geschickt im Rollenspiel. In welche Rolle Sie auch schlüpfen, Sie füllen jede mit Leichtigkeit aus, weil Sie die Stärken und Schwächen der einzelnen Charaktere vollauf verstehen. Zugleich gehört die Kunst, anderen eine bestimmte Rolle zuzuweisen und damit dafür zu sorgen, dass Arbeitsprozesse effizienter ablaufen, zu den größten Stärken eines jeden Waschbären. Natürlich wird der Waschbär auf der anderen Seite auch gern als verantwortungsloser Zeitgenosse abgestempelt. Das liegt an der Vergesslichkeit, die ihm eigen ist. Ja, seine Erinnerungslücken machen seine Tragödie aus. Ihn selber ficht das freilich nicht an.

Zudem besitzen Sie ein ausgeprägtes, wenn auch jeglicher Grundlage entbehrendes Selbstbewusstsein. Was dieses unbegründete Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen anlangt, darf man sagen: In dieser Hinsicht nehmen Sie unter den zwölf Maskottchen ganz unbestritten den ersten Platz ein. Stets voller Optimismus, heiter und unternehmungslustig, hinterlassen Sie denn auch überall einen guten Eindruck. Dazu kommt, dass man Ihnen aufgrund Ihrer so fröhlich und laut ausgerufenen Zusicherungen ‒ „Sehr wohl!“ oder „Seien Sie getrost, die Angelegenheit ist bei mir in guten Händen!“ ‒ gern vertraut. In der Mehrheit der Fälle tut sich dann freilich, von abermaligen Zusicherungen abgesehen, gar nichts.

Ein Waschbär wird von allen seinen Vorgesetzten mit Wohlwollen und Zuwendung überschüttet. Das liegt eben an seiner positiven Art und seinem charmanten Wesen. Und sein Respekt vor „Erfahrung und Bewährtem“ kommt bei den Älteren immer gut an. Selbst wenn Ihre Unzuverlässigkeit erwiesen scheint oder wenn Sie eigentlich schon längst als Bauchpinsler und Blender entlarvt sind, ist Ihnen letztlich doch niemand gram, ein dermaßen unerklärlicher Zauber geht von Ihnen aus. Es weiß ja auch jeder, dass Sie nie mit bösem Vorsatz handeln, wenn Sie so sind, wie Sie sind. Um diesen Charme, der bewirkt, dass man ihm am Ende doch immer verzeihen muss, egal, was er anstellt, beneiden alle anderen Maskottchen den Waschbären zutiefst.

Sie haben eine Nachricht.

Absender war der Prokurist. Betitelt war die Mail mit „Herzlichen Glückwunsch!“, und der Inhalt lautete wie folgt:

„Im Verlauf des morgigen Tages wird vermutlich endlich die Entscheidung darüber fallen, wer nun fest angestellt wird. In dieser Angelegenheit würde ich mich gerne mit Dir beraten, was hältst Du davon?“ Als Zeit war 21 Uhr vorgeschlagen, als Treffpunkt ein Lokal namens Klimax im Bezirk Mugyo. „Ach ja, den Betreff brauchst Du nicht so ernst nehmen. Den hab ich bloß zum Spaß so hingeschrieben. Also, ich warte dann dort auf Dich.“

Die Mail des Prokuristen enthielt einen Virus. Als ich fertig gelesen hatte und das Fenster mit der Mail schloss, stürzte im nächsten Augenblick der Computer ab. Musste ich ihn jetzt neu aufsetzen? Verunsichert steckte ich mir eine Zigarette an. Ich fühlte mich einsam.

Auch wenn noch so verzweifelt versucht wird, die Tatsache unter den Teppich zu kehren: Man kommt irgendwann doch drauf, dass die Welt auf dem Kopf steht.

Und auch wenn noch so verzweifelt versucht wird, die folgende Tatsache unter den Teppich zu kehren: Man kommt irgendwann doch drauf, dass der Waschbär wirklich existiert.

Danke

„Danke. Ich meine: Danke, dass du gekommen bist!“ Der Prokurist war schon längst da. Er saß allein an einem Tisch und hatte Bier für zwei bestellt. Das Café war weder extra hell ausgeleuchtet noch extra schummrig, so wie es überhaupt ziemlich nichtssagend war. „Na, jetzt, wo du weißt, wie es so läuft, wie gefällt dir das Arbeitsleben in unserer Firma?“ Er schenkte mir ein. Ich antwortete kurz und bündig: „Gut.“

„Trink doch!

Du hast also das für einen Mann ungewöhnliche Fach Haushaltsführung studiert.“ ‒ „Ja, das ist richtig.“ ‒ „Das ist ja ein Ding! Bei so einer Studienwahl gibt es oft schiefe Blicke, würde ich meinen. Ist es so?“ ‒ „Es ist, wie Sie sagen.“ ‒ „Dann verstehen wir uns ja. Wollte es nur mal angesprochen haben. Also dann,

trink doch!

Wie steht’s? Möchtest du als festangestellter Mitarbeiter aufgenommen werden?“ ‒ „Um ehrlich zu sein, ja, es wäre wunderbar, wenn die Wahl auf mich fiele.“ ‒ „Sehr schön! Was ein echter Mann ist, muss an seine Zukunft glauben. Wenn auch du das deine dazu tust, werde ich meinerseits mein Möglichstes für dich tun. Na, was hältst du davon?“ ‒ „Wenn Sie mich einstellen würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar.“ ‒ „Das ist ein Wort.

Trink doch!

Ich habe nicht im Sinn, dir etwas furchtbar Schweres zuzumuten. Wahrscheinlich solltest du das Ganze einfach als eben auch so eine Erfahrung verstehen, wie man sie im Laufe des Daseins in der menschlichen Gesellschaft leicht einmal macht. Will man etwas bekommen, muss man ja immer auch selber etwas bieten, das ist doch ein triviales Lebensgesetz. Jedenfalls nichts, worüber man sich groß den Kopf zerbrechen müsste. Also dann,

trink doch!

Schau, muss man denn mit großartigem Stolz durchs Leben gehen? Alle wursteln sich durch und machen Kompromisse. Soweit ich sehe, bist du schnell von Begriff und sehr begabt. Vielversprechend, jung und gesund. Es braucht bloß jemanden, der dir ein wenig den Rücken stärkt, dann hast du nichts mehr zu fürchten. Also,

trink doch!“ Ohne Unterlass schenkte mir der Prokurist nach und nötigte mich zum Trinken, und selber soff er auch wie ein Loch. Ich nahm wahr, wie er mit der Zeit zu keuchen anfing, als sei sein Atem mit Hefe versetzt. Unruhig und voll Unrast schien er, quasi gärendes Bier. Und mir war, als hörte ich sogar das Pochen seines bestimmt auch schon durch und durch alkoholgetränkten Herzmuskels.

Wir verließen das Café erst nach Mitternacht. Der Prokurist winkte ein Taxi herbei, nannte dem Fahrer ein Ziel, das ich nicht kannte, und fasste dann im Wagen ständig nach meiner Hand oder tätschelte mir den Oberschenkel. In einer mir unbekannten Straße in einer mir unbekannten Gegend der Stadt setzte uns der Fahrer ab. Es gab dort ein großes Gebäude, dessen Untergeschoß ein Dampfbad beherbergte. Vor dem Eingang verkündete ein großes Schild: „24 Stunden durchgehend geöffnet!“ Das Bad war wie leergefegt. Das war wohl eins von diesen Nonstop-Badehäusern, die von den Gästen hauptsächlich als billiges Nachtquartier genutzt wurden – der große Aufenthaltsraum neben der Garderobe war bestimmt voll mit Schlafenden. Oder waren Publikum und Zweck dieses Dampfbads doch von noch viel speziellerer Art? Ein Weilchen grübelte ich so dahin, dann gab ich das Nachdenken einfach auf.

„Lass es über dich ergehen, es dauert nicht lang!“

Während ich mich duschte, presste sich der Prokurist an mich und schlang seine Arme um meinen Körper. Merkwürdigerweise empfand ich keinen völlig unüberwindlichen Ekel, und so beschloss ich, es eben wunschgemäß über mich ergehen zu lassen, zumal es ja nicht lange dauern würde. Der Prokurist tastete an meinen Körper herum, mal hier, mal dort, und schließlich drückte er mich auf einen der herumstehenden Badeschemel. Mit glitschigen, flutschenden Händen wandte er alle erdenklichen Mittel an, um meinen Penis zum Stehen zu bringen. Ich war mir absolut sicher, dass es bei mir unter diesen Umständen niemals zu einer Erektion kommen würde. Kurioserweise stand mein Schwanz aber irgendwann doch stramm. Mir schleierhaft, warum. Und schleierhaft war mir auch, warum nun obendrein vor meinem geistigen Auge plötzlich ein Bühnenvorhang aufging ‒ gleich für Level 23. Wieso war die Welt nicht einfach so eingerichtet, dass man, ausgehend von Level 1, sicher und gemächlich Stufe für Stufe vorankam?

„Eine Pracht!“, schmachtete der Prokurist. Er begutachtete meinen aufgerichteten Schwanz und stieß einen tiefen Seufzer aus. Dann streckte er kurz seinen Hals, um sich noch einmal zu vergewissern, dass hinter der Trennwand niemand war, und kniete sich schließlich zwischen meine Beine. „Halt still!“ Ein plötzlicher Wechsel in einen Befehlston. Er nahm meinen Schwanz in den Mund und begann dran zu saugen. Mit der rechten Hand begann er, langsam an seinem eigenen Penis zu werken.

Es geht ja schnell vorbei, sagte ich mir, ich werde es nicht bereuen. Blickte ich auf mein Leben zurück, hatte ich mein ganzes bisheriges Leben lang nie etwas mit aller Entschiedenheit gewollt. Und um mich herum gab es jede Menge Konkurrenz, eine Anstellung zu finden war unendlich schwer, die Welt war ein einziges Schlamassel. Es ist ja schnell vorbei. Es ist ja schnell vorbei. Es ist ja schnell vorbei. Nur ein klein wenig noch, dann habe ich die letzte Lücke glücklich übersprungen und lande, ganz punktgenau, wohlbehalten auf dem sicheren Platz.

Einen kurzen Augenblick lang war mir, als hätte ich gesehen, wie der Schwanz des Prokuristen eine weiße Flüssigkeit verspritzte, als hätte ich außerdem gesehen, wie er sein Sperma wegspülte, als hätte ich auch gespürt, wie er mit einem letzten Seufzer seine Hand auf meine Schulter legte, als hätte ich weiters gehört, wie er mir ein sehr vielsagendes „Bravo!“ zuraunte, und als hätte ich ihm noch nachgeschaut, wie er, allem Anschein nach sehr erschöpft, zur Tür hinausging.

Ich hockte mich in der riesigen leeren Badehalle dann einfach auf den Boden. Nahm eine Schöpfkelle und fing an, mich mit heißem Wasser zu übergießen, so heiß es meine Haut zu ertragen vermochte. Eingehüllt vom dampfenden Wasser, fühlte ich mich plötzlich ganz einsam und verlassen, und die Tränen schossen mir in die Augen.

Und da kam dann plötzlich der Umschwung.

Hinter mir, das spürte ich einfach, war jemand. Als ich mich umdrehte, stand dort im nebeligen dichten Dampf ein mir völlig unbekannter, großer und imposanter Waschbär, der in seinen Pfoten ein Schrubbtuch bereithielt. Mit dem hellbraunen Waschbärenfell kontrastierte dieses patente hellgrüne Tuch ganz ausgezeichnet. Der Waschbär hatte offenkundig, verborgen unter einem Schleier aus Wasserdampfschwaden, das ganze Geschehen verfolgt. Mit alles verstehender Miene nickte er mir zu. Ich nickte zurück. Bedächtig schob er mir einen Schemel zu und sprach:

„Nimm Platz!“

Im Dampfbad war es an diesem frühen Morgen ganz still, und in dieser Stille erschien mir der Waschbär als ein guter Freund, dem ich getrost meinen Rücken anvertrauen konnte. Dass mir zuletzt jemand den Rücken geschrubbt hatte, war wahrhaftig schon einige Jahre her, und dieser Waschbär war ganz offenkundig unerhört geschickt und erfahren in der Kunst des Schrubbens. Es mag sonderbar klingen, aber als mir so der Rücken geschrubbt wurde, begann sich ganz langsam und allmählich auch meine Laune zu bessern. Und als der Waschbär seine letzten Schrubbschwünge machte, war ich schon wieder relativ frohen Sinnes. Kaum wollte ich mich von meinem Schemel erheben, senkten sich allerdings zwei schwere Pfoten auf meine Schultern und drückten mich wieder nieder.

„Wir sind noch nicht fertig.“

Was sollte das denn heißen? Aber schnell verstand ich den Grund. Jetzt kam nämlich das Einseifen dran. Herrlich erfrischend seifte der Waschbär mit all seiner Routine meinen sauber gerubbelten Rücken vollständig ein. Dass es so was gab! Es war wie ein traumhaft fantastisches Spiel, dass mir so leicht ums Herz wurde, als säße ich in einem Flugzeug und flöge durch den blauen Himmel von Ohio. Von meinen Gefühlen übermannt, war ich schon drauf und dran, alle Schleusen zu öffnen und loszuheulen. Irgendwann drehte ich mich schließlich, vor Rührung bebend, nach ihm um; doch was ich dann mit knapper Not herausbrachte, war nichts weiter als:

„Danke, du bist echt ein Waschbär!“

***

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