Читать книгу Das Böse bleibt! - Patrice Parlon - Страница 5
Der Eintritt in die Hölle
ОглавлениеLoana stotterte: „Welches Heim?“ Augenblicklich erschien der Hausherr und hielt ihr schon wieder den Ring vor die Nase. Er befahl ihr, ihn anzustecken und drückte ihn in ihre Hand. Kreidebleich sah sie in sein starres Gesicht und brüllte: „Nein! Das werde ich nicht tun! Ihr könnt mich nicht dazu zwingen!“ Johanna lachte. „Es ist deine Pflicht! Du hast dich auf den Fluch eingelassen, nun stehe auch dazu!“ Loana ergriff die Flucht. Sie wollte keine Minute länger in diesem Haus bleiben. Sie ließ alles zurück und rannte so schnell sie konnte. Eine letzte Warnung schallte ihr hinterher: „Nimm den Ring, wenn du nicht höllisch leiden willst! Du kannst nicht mehr entkommen!“
Wie Recht sie hatte! Loana wusste es nur nicht. Noch wollte sie alles als Gruselgeschichte abtun, aber schnell zeigte sich die Macht des Fluches. Loana stürmte durch zahllose Gassen, bis es nicht mehr weiter ging. Gerade als sie umkehren wollte, erschienen drei kräftige Kerle. Sie erkannte sie sofort. Alle Drei entstammten dem Buch! Was sollte sie jetzt tun? Weiter rennen brachte nichts. Sich ergeben kam aber auch nicht infrage. Da nahm ihr Johanna die Entscheidung ab. „Bringt sie zum Auto! Wir fahren sofort los!“ Irgendwie ahnte Loana, wohin sie entführt werden sollte. Allein dieser Gedanke gab ihr Kraft, um sich loszureißen und erneut zu fliehen. Sie kam nicht weit. Gefesselt und geknebelt landete sie im Kofferraum und wurde verschleppt.
Die Fahrt dauerte Stunden. Loanas Glieder schmerzten durch die gekrümmte Haltung und sie weinte leise vor sich hin. Irgendwann fielen ihr die Augen zu und sie schlief ein. Sie träumte sich in den Saal und näherte sich dem Altar. Dort lagen etliche Folterwerkzeuge bereit. Jedes war blutig und abgenutzt. Das konnte nur bedeuten, dass viele Menschen damit gepeinigt wurden. Vollkommen reglos starrte sie auf die blutige Altarplatte. Sie fragte sich, wo die Opfer waren und bekam sofort einen Hinweis. Ein greller Schrei donnerte durch den Saal. Kurz darauf ein grässliches Lachen. Loana rief: „Was ist hier los? Wo seid ihr?“ Da zeigten sich fünf Frauen. Ihr Fleisch hing in Fetzen an ihren Leibern herunter und doch standen sie aufrecht. Man sah ihnen keinen Schmerz an. Loana musterte eine nach der anderen, doch Coline schien nicht dabei zu sein. Sie rief nach ihr und eine der Frauen trat hervor. Sie sah nicht aus wie Coline, sprach aber mit derselben Stimme. Loana wollte einfach nur die Gründe erfahren, also nahm sie die Veränderung hin. Sie fragte vorsichtig, was ihr bevorstand. Coline zeigte schweigend zu den anderen, die sich sofort umdrehten. Jede hatte die gleiche Tätowierung, an derselben Stelle. Nur Colines war etwas anders. Ihre war rot hinterlegt. Loana fragte: „Was kommt jetzt? Muss ich genauso leiden?“ Vier von ihnen ließen die Köpfe hängen, nur Coline nicht. Loana fragte neugierig, wie sie es verhindern konnte. Da zeigten alle auf das Kreuz hinter dem Altar. Dort befand sich eine Inschrift. Loana ging näher heran und musste feststellen, dass die Botschaft in unbekannten Symbolen verfasst war. Ratlos sah sie die Opfer an, bekam aber keinen weiteren Hinweis. Eine nach der anderen löste sich in Luft auf. Nur Coline blieb übrig. Sie hielt ein rundes Amulett in ihrer Hand. Es trug eine Art Mandala aus Symbolen. Ein letzter Blick auf das Kleinod und sie reichte es Loana, die es bereitwillig annahm. Dieser Anhänger machte ihr keine Angst im Gegensatz zum Ring. Loana hoffte, dass es sie beschützen würde. Plötzlich brach sie zusammen. Sie schreckte hoch und stieß sich den Kopf. Es dauerte einen Moment, bis sie wieder wusste wo sie war. Sie lag noch immer im Kofferraum. Minuten später hielten ihre Entführer an. Der Deckel ging auf und Johanna stand grinsend da. Sie zog ihr Buch hervor und spottete: „Das wird jetzt umgesetzt!“ Loana schob ungläubig die Augenbrauen zusammen. Sie wollte am liebsten laut schimpfen, aber der Knebel ließ es nicht zu. Der nächste Befehl klang wie eine Drohung. Johanna verlangte, dass ihr neues Opfer vor den Richter geführt wurde. Loana wusste mittlerweile, dass ihre Verurteilung nur ein böses Spiel war. Es dauerte nicht lange, da standen sie in einem großen Raum. Hinter einem breiten Tisch saß einer der Bande. Johanna ließ es sich nicht nehmen und stellte sie vor. „Da vorne, der nette Mann ist Maxwell Zorgett, unser Direktor. Der Herr zu meiner Rechten heißt David Worka. Er wird auf dich aufpassen. Da neben ihm steht Georg Van Dörren. Er wird dir auf die Sprünge helfen. Dann haben wir hier noch Andreas Trisper. Er wird dir helfen, wenn du dich irgendwie verletzen solltest.“ Loana kamen die Gesichter und die Namen mehr als bekannt vor, doch konnten es unmöglich dieselben Menschen sein. Wenn sie richtig lag, waren sie Colines Peiniger. Doch war das etliche Jahrzehnte her und sie hätten uralt sein müssen. Ehe sie sich einen Reim darauf machen konnte, gab Johanna ein Zeichen und David löste ihre Fesseln. Dann führte er sie zu einem Stuhl, der mitten im Raum stand. Maxwell verlas ein Protokoll. Er zählte eine Menge Regeln und Verbote auf, die strikt einzuhalten waren. Loana interessierte sich nicht dafür, bis Johanna zu schimpfen anfing. „Du bist das Ebenbild dieser Missgeburt. An deiner Stelle würde ich gut zuhören. Das erspart dir eine Menge Ärger! Du hast nicht die Kraft, um gegen mich zu gewinnen!“ Sie wusste sofort, wen Johanna meinte. Es konnte sich nur um Coline handeln. Sie nahm es hin und vertraute darauf, dass sie träumte. Allerdings war es viel zu real, um ein Traum zu sein.
Nachdem Maxwell seinen Vortrag beendet hatte, wollte Johanna mit dem grausamen Spiel beginnen. Dazu brauchte sie ihr nur noch den Ring aufzuzwingen. Dann war sie auf ewig verdammt. Das klappte immerhin schon oft genug. Loana war nur eine weitere Kerbe am Bettpfosten. David führte sie durch zahllose Gänge in eine Wäschekammer und verpasste ihr eine Sträflingskluft. Auch das weckte Erinnerungen an das Gelesene. Loana erkannte, dass sie Colines ganzen Leidensweg vor sich hatte. Doch im Gegensatz zu ihr, wehrte sie sich nicht. Sie ließ es auf sich zukommen. Sie war entschlossen alles zu tun, um wieder frei zu sein. Dazu brauchte sie nur etwas Hilfe. Sie sah David tief in die Augen. Er erwiderte ihren Blick und erschreckte sie zutiefst. Er war eine Marionette, gelenkt durch Johannas Willen. Er schubste sie in eine feuchte Zelle und verriegelte die Tür mit zahllosen Schlössern. Loana setzte sich auf eine zerfetzte Matratze und starrte in die Dunkelheit. Sie hörte den Wind durch das winzige Fenster pfeifen. Das erinnerte sie wieder an das Buch. Coline erging es damals fast genauso. Mit dem Unterschied, dass Loana noch keine Wunden davon trug. Doch das war nur noch eine Frage der Zeit. Bis dahin versuchte sie, den Inhalt des Buches zusammen zu kriegen, um einen Ausweg zu finden. Doch blieb nicht genug hängen.
Inzwischen plante Johanna, wie sie ihr den Fluch aufzwingen konnte. Sie wusste, dass es nicht einfach würde. Zu viel hing an diesem Bann. Es gab immerhin noch Coline, die sicher dazwischenfunkte. Das bedeutete, sie durfte nicht zu lange warten. Also wurde Loana geholt und in den Foltersaal gebracht. Sie wehrte sich nur ein bisschen und ließ sich vorwärts schieben. Schon von weitem sah sie die Folterwerkzeuge auf dem Altar liegen. Johanna trat an sie heran und hielt ihr eine Peitsche entgegen. „Das ist die NSDK! Deine Vorfahren haben sie oft zu spüren bekommen. Sie wollten mir einfach nicht gehorchen. Wie ist das bei dir?“ Beinahe reglos stand Loana da. Nur ihre Augen wanderten die Wände entlang. Sie suchte nach dem Fluchtweg aus dem Buch. Leider vergeblich. Allerdings fiel ihr etwas auf. Hinter dem Altar gab es kein Kreuz. In ihrem Traum war es aber deutlich zu sehen und im Buch wurde es beschrieben. Stattdessen stand dort eine schwarze Truhe mit vielen Symbolen. Johanna beobachtete ihr Opfer genau und folgte ihrem Blick. Als sie auch die Truhe im Visier hatte, höhnte sie: „Darin bewahre ich mein Spielzeug auf. Du weißt schon, Riemen, Gerten, Peitschen und so weiter. Willst du dir etwas davon aussuchen?“ Loana schüttelte unbewusst den Kopf und Johanna grinste sie von der Seite an. Dann bat sie sie, zum Altar zu gehen und sich darauf zu setzen. Notgedrungen gehorchte sie, wandte der Truhe aber den Rücken zu. Sofort hielt ihr Johanna den Ring entgegen. Sie befahl klar und deutlich: „Zieh ihn an!“ Loana ballte die Fäuste und sagte ebenso deutlich: „Niemals!“ Johannas Grinsen verschwand augenblicklich. Jetzt schrie sie durch den Saal. „Du hast gar keine andere Wahl! Schließlich wolltest du es nicht anders!“ Das Ganze erschreckte Loana immer mehr. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie wünschte sich, dass Coline erschien, um sie zu retten. Doch dieser Wunsch wurde nicht erfüllt. Johanna drehte sich von ihr weg und schaute in jeden Winkel. Plötzlich schrie sie durch den Saal: „Zeig dich endlich!“ Loana sah sie irritiert an und antwortete: „Ich bin doch hier!“ Johanna drehte sich nicht einmal um, aber sie brüllte: „Wer interessiert sich denn für dich? Du billiger Abklatsch!“ Diese Beleidigung wollte sich Loana keinesfalls gefallen lassen. Sie stürmte auf Johanna los und zerrte an ihren Haaren. Johannas wütendes Kreischen hallte durch den ganzen Saal. Sie rief ihre Handlanger, die Loana sogleich von ihr losrissen. Indem donnerte ein grauenhaftes Lachen von Wand zu Wand. Coline war da! Alle suchten den Saal ab. Schließlich entdeckten sie sie weit über dem Altar. Von oben herab spottete sie: „Es ist nicht mehr so einfach! Du lässt nach. Bist du deinem sechsten Opfer nicht gewachsen?“ Johannas Zorn stieg. Sie starrte in Loanas Richtung, sprach aber mit Coline. „Du wirst schon sehen, wie fit ich noch bin. Ich werde sie in Stücke reißen! Verlass dich drauf!“ Keine Sekunde später schallte ihr Befehl durch den Saal. „Schnürt sie auf die Platte! Ich habe es satt, zu warten!“ Loana versuchte sich loszureißen. Als das nicht gelang, rief sie um Hilfe. Coline sah beinahe gelangweilt zu und fragte: „Haben wir das nicht schon so oft gehabt? Du weißt, dass du sie nicht verletzen kannst. Nicht so lange ich hier bin. Und denke daran, ich bin nicht mehr allein.“ Johanna grinste wieder. „Glaubst du wirklich, dass ich nichts dazu gelernt hätte? Ich weiß, wie ich dich fernhalten kann. Oder hast du vergessen, wer wir sind?“ Coline knurrte wütend und verschwand wieder. Loana lag nun schutzlos vor ihren Entführern. Sie dachte pausenlos daran, wie sie der Folter entgehen könnte und sah nur eine Möglichkeit. Sie musste um Gnade winseln. Doch ihr Versuch scheiterte schon im Ansatz. Johanna warf David einen Riemen zu und schrie: „Fünfzig!“ Jetzt wurde es ernst. Loana kam nicht mehr um die Folter herum. Sie bettelte noch um Nachsicht, doch Johanna ignorierte sie. David ließ sich sehr viel Zeit. Er legte erst einmal sein Hemd ab. Dann entblößte er Loanas Hinterteil und strich daran entlang. Loana spannte jeden Muskel an und erwartete den ersten Hieb. Sie hielt es kaum noch aus und zeterte verzweifelt: „Mach es! Schlag mich schon tot! Dann hab ich es hinter mir!“ Er trat einen Schritt zurück, straffte den Riemen und schlug hart zu. Loana schrie den Schmerz heraus. Ihr blieb kaum Zeit, um Luft zu holen, schon traf sie der Zweite. David machte weiter. Bis zum zehnten Schlag schrie Loana, dann plötzlich Totenstille! David hörte sofort auf. Ohne zu zögern griff er ihren Kragen und riss den dünnen Stoff von ihrer Schulter. Er fand aber nicht, wonach er suchte. Seiner Erfahrung nach fand sich dort der Beweis, dass Coline eingriff. Sobald das geschah, verfärbte sich die Tätowierung rot. Diesmal jedoch nicht! Ratlos sah er sich im Saal um, als erwartete er jeden Augenblick einen Angriff. Es blieb aber merkwürdig still. Das machte ihm Angst. Bei keinem anderen Opfer war es so. Dennoch vollzog er die Folterung bis zum letzten Hieb. Loana rührte sich nicht mehr, denn jede Bewegung schmerzte furchtbar. David ließ sein Opfer zurück. Sie blieb aber nicht lange allein. Coline erschien, legte ihre kalten Hände auf das geschundene Fleisch und murmelte einige Worte. Loana verstand sie nicht, glaubte aber neue Kraft zu spüren. Nichts tat ihr mehr weh. Coline strich mitleidig ihre Wange und flüsterte: „Sie werden sich nicht ewig täuschen lassen!“ Bald darauf schlief Loana ein. Stundenlang träumte sie von einem Zweikampf zwischen ihr und Johanna. Als er kurz vor der Entscheidung stand, riss sie Andreas aus dem Schlaf. Er stand mit einem Kübel Wasser neben ihr und legte kalte Tücher auf ihren Leib. Loana fragte ihn, wie lange alle anderen Opfer leiden mussten und ob alle tot waren. Andreas antwortete nicht. Er sah ihr nicht einmal ins Gesicht, was auch eine Menge sagte. Wenig später kam Johanna in den Saal gestampft. In ihrer Hand hielt sie das verteufelte Buch und einen Ring. Wieder verlangte sie, dass sich Loana selbst verfluchen sollte, aber die verneinte entschlossen. Andreas löste ihre Fesseln. Sie richtete sich auf und ließ die Beine vom Altar baumeln. Da hob Johanna verwundert die Augenbrauen. Sie konnte nicht verstehen, wie sie nach so viel Prügel noch sitzen konnte. Für sie gab es nur eine Erklärung. Coline musste sich eingemischt haben. Nur sie war fähig, alle Schmerzen in sich aufzunehmen. Johanna wollte den Beweis und schickte Andreas los, die beiden Folterknechte zu holen. Er gehorchte sofort. Unterdessen umkreiste sie Loana und suchte nach einer Erklärung. Schließlich fragte sie direkt: „Hat sie dir geholfen?“ Loana sah sie verwirrt an. Sie wollte gerade etwas erwidern, da fiel ihr Coline ins Wort: „Nein, hat sie nicht! Ich warne dich! Noch ein Opfer wird es nicht geben! Du musst endlich einsehen, dass es nicht ewig so weiter geht. Bist du es nicht selbst schon leid?“ Sie gab Johanna keine Chance zur Reaktion. Stattdessen entriss sie ihr den Ring und verschwand. Jetzt war Loana wieder dran. David und Van Dörren kamen zur Tür herein. Johanna rief ihren Folterknechten zu: „Kontrolliert sie!“ Loana beunruhigte dieser Befehl, doch steckte eine Absicht dahinter. Van Dörren kam näher und griff nach ihrem Arm. Er drehte sie um. Dann riss er ihr den Stoff vom Leib. Vollkommen nackt stand sie vor den Männern, die sie gierig beäugten. So wurde ihr bewusst, warum es noch immer Nachfahren gab. Doch wollte sie nicht so recht an ihre Theorie glauben. Es erschien ihr zu grotesk. Van Dörren tastete ihren Leib ab und sah sich jeden Zentimeter Haut an. Letztendlich kam er zu dem Schluss, dass sie vollkommen frei von Colines Einfluss war. Also überließ er seinem Kollegen das Feld, der das Ganze wiederholte. Auch er konnte nichts finden. Kaum waren sie fertig, brachte Johanna eine neue Sträflingskluft. Sie warf sie Loana zu, die sie erschrocken fing. Johanna befahl hart: „Zieh dich an! Ich habe Arbeit für dich!“ Loana war sich nicht sicher, ob sie ihr wirklich folgen, oder sich, wie Coline, widersetzen sollte. Nach kurzem Überlegen entschied sie zu gehorchen. Nur so konnte sie weiterkommen. Johanna führte sie quer durch das Gebäude bis zu Colines Garten. Dort wucherte fast überall das Unkraut. Nur ein kreisrunder Fleck in der Mitte sah gepflegt aus. Loana sollte die Anlage wieder herrichten und zum Blühen bringen, wie auch schon Coline. Als sie sich umsah, kam ihr manches sehr vertraut vor, obwohl sie nie zuvor dort gewesen war. Ohne zu zögern lief sie zu einem Brunnenschacht. Jetzt drehte sie sich einmal um die eigene Achse und betrachte die Bogengänge eines Klosters. Es waren einst mindestens zwei Etagen, aber von der oberen fehlte die Hälfte. Loana schaute sich weiter um. Dabei stolperte sie über eine Falltür, die beinahe zerbrach. Sie schaute zurück und sah Johanna, die mit verschränkten Armen auf einen Grund zur Folter wartete. Loana musste dafür sorgen, dass sie ihr nicht ständig nachspionierte. So folgte sie ihrem Befehl und riss das Gestrüpp aus dem Boden. Johanna machte kehrt und verschwand unverrichteter Dinge. Loana konnte nun erkunden, was sich unter der Falltür verbarg. Sie vergewisserte sich, dass sie nicht mehr beobachtet wurde und öffnete die Klappe. Sie sah in den gleichen Schacht, wie Coline seinerzeit. Doch anders als sie, wollte Loana nicht einfach fliehen. Sie war neugierig auf das, was sich dort unten verbarg. Dazu brauchte sie jedoch diverse Hilfsmittel, vor allem eine Taschenlampe. Allerdings wusste sie nicht, ob sie noch eine Gelegenheit bekam, die Gänge zu erkunden. Wenig später erschien Van Dörren. Er rief sie zum Abendessen. Bereitwillig folgte sie ihm. Ihre Enttäuschung war groß, als sie erkannte, dass sie ihre Entführer bedienen sollte. Sie selbst durfte gar nichts essen. Ihr war klar, dass es nur ein böser Test war. Johanna wollte ihr Opfer aus der Reserve locken. Doch Loana tat ihr diesen Gefallen nicht. So einfach würde sie nicht einknicken. Johannas spöttisches Grinsen wich einer zornigen Fratze. Sie knurrte unwillig: „Ich kriege dich schon noch klein! Verlass dich drauf!“ Loana zuckte mit den Schultern und holte das Essen. Auch wenn ihr Magen noch so leer war, sie gab nicht nach.
Die Bande ließ sich sehr viel Zeit. Sie schmatzten genüsslich und lachten über Loana, weil ihr Magen nach Nahrung schrie, aber nichts bekam. Sie wusste, dass es eine harte Strafe nach sich zog, wenn sie sich einfach etwas nahm. Also versuchte sie durchzuhalten. Erst zwei Stunden später erlöste sie Andreas von dieser Qual. Er brachte sie in ihre Zelle, warf ihr ein Stück vom Braten zu und verriegelte die Tür. Loana verschlang das dürftige Mahl. Dann stellte sie sich ans Fensterchen und starrte in die Nacht. Schon bald wurde sie müde und legte sich hin. Eine Serie von Albträumen riss sie immer wieder aus dem Schlaf. Nicht alles aus den Träumen war erschreckend, manches Detail wies auf einen Ausweg hin. Dafür mussten sie alles nur richtig deuten. Nach Stunden voller Angst kam Andreas zurück. Er holte sie zur Arbeit. Sie gehorchte und machte ohne Widerworte weiter. Während sie arbeitete, spürte sie Johannas Blicke im Genick. Sie wusste genau, dass der kleinste Fehler ihren Zorn weckte. Also versuchte sie, so unauffällig wie möglich weiterzumachen. Allerdings spukte ihr nur noch der Fluch im Kopf herum. Sie überlegte pausenlos, ob sie ihn brechen und ihr Leben retten konnte. Doch egal wie sie alles miteinander verband, es ergab keinen Sinn. Nichts schien zusammenzupassen. Loana wartete auf eine Gelegenheit, um mit Coline zu reden. Erst spät abends in ihrer Zelle versuchte sie es. Sie sah in jeden Winkel und rief schließlich nach ihr. Es blieb aber still. Auch der zweite Versuch brachte keinen Erfolg. Jetzt überlegte sie, ob sie wirklich auf sich allein gestellt war. Da hörte sie ein leises „Nein!“ Sie erschrak, da erwiderte Coline: „Du hast es nicht gesagt, aber ich weiß, was du denkst. Du bist mir näher, als du es für möglich hältst. Ich darf dir nur ein bisschen helfen.“ Loana hörte aufmerksam zu und malte sich ihre Chancen aus. Doch die standen schlecht. Coline sprach ihr Mut zu. Sie gab einige Tipps, damit sie ans Ziel kam. Nach so vielen Fehlversuchen musste es doch einmal gelingen. Am Ende der Unterhaltung sagte Coline nur noch, dass sich Loana den Ring von Johanna selbst anstecken lassen sollte. Ausschließlich von ihr! Schon war sie wieder allein. Loanas Kopf brummte. So viele Informationen und doch nichts, was ihr wirklich half. Auch konnte sie sich nicht vorstellen, warum Coline verlangte, dass sie den Fluchring annahm. Zumal er sie zu Höllenqualen verdammte. Da fiel ihr ein Traum wieder ein. Dort hielt ihr Coline ein Amulett entgegen. Half ihr das weiter? Loana hoffte es sehr, denn selbst in Johannas Buch kam eines vor. Während sie über die Hinweise nachdachte, machten sich ihre Entführer an die Arbeit. Sie bereiteten alles für ihr grausames Spektakel vor. Johanna übertraf sich. Ihre Blutgier stieg stetig und sie konnte es kaum erwarten, Loana zu zerfetzen. Sie wusste genau, dass Coline dazwischen gehen würde und sich einem Zweikampf lieferte. Nur darauf hatte sie es abgesehen. Es dauerte nicht lange, da kam Andreas Loana holen. Er führte sie in den Saal und zwang sie bäuchlings auf den Altar. Johanna erschien kurz nach ihnen. In ihrer Hand hielt sie einige Ketten. Loana erkannte nicht, was sie tatsächlich festhielt. Johanna brachte die ZSDK mit. Das war eine Peitsche, die aus zehn verbundenen Ketten bestand. Jedes Glied war mit spitzen Stacheln besetzt. Dieses Mordinstrument mussten alle Opfer spüren. Aber keines starb davon. Loana war dieser Folter nicht gewachsen. Die anderen schützte nur der Fluch vor dem Tod. Sie war aber noch nicht verflucht. Auch Johanna wusste das. Nur hatte sie den Ring an Coline verloren. Das hielt sie aber nicht auf. Sie hatte längst einen neuen Plan. Mit der Peitsche in der Hand trat sie an den Altar heran. Wieder richtete sie das Wort an Coline. „Zeig dich! Komm und erfülle deine Pflicht! Es sei denn du willst, dass dieses Weibsbild stirbt und mit ihr deine letzte Chance, den Fluch zu brechen!“ Augenblicklich flog die Tür auf und Coline stürmte in eine lange Kutte gehüllt herein. Sie brüllte: „Du hältst dich für so schlau! Nur vergisst du immer wieder entscheidende Dinge! Sicher, du könntest sie verfluchen. Doch das würde mich nur verstummen lassen. Es hält mich nicht davon ab, ihr beizustehen oder gar den Fluch zu brechen. Du weißt genau, warum ich es nicht kann!“ Johanna gab nicht nach. Da beschloss Coline: „Wenn du wirklich darauf bestehst! Aber nur unter Bedingungen!“ Sichtlich genervt knurrte Johanna: „Und welche?“ Die Antwort irritierte sie. „Erstens darfst du ihr nicht sagen, was ihr mir wirklich alles angetan habt. Das würde ihrem Zustand zu sehr schaden. Zweitens werde ICH ihr den Ring anstecken. Ich kenne dich! Du wählst den falschen Finger und quälst sie noch mehr. Und Drittens darfst du ihr den Ring nicht wieder wegnehmen!“ Johanna überlegte eine Weile und forderte: „Ich mache es, wenn du mir in die Augen siehst und ganz lieb Bitte, Bitte sagst!“ Coline zögerte keinen Moment. Sie warf den Mantel ab und stapfte als künstlicher Mensch auf Johanna zu. Starr sah sie in ihre kalten, grauen Augen. Mit zitternder Stimme erfüllte sie die Forderung, indem packten die Handlanger zu. Johanna riss Colines linke Hand hervor und zog ihr den Ring vom Finger. Sofort fesselten sie sie an die Wand.
Siegessicher schaukelte Johanna zum Altar. Sie beugte sich zu Loana und höhnte: „Hast du gehört, was sie verlangt? Sie will nicht, dass du unsere Methoden kennst! Weißt du warum? Das würde deiner Psyche schaden und deine Albträume wären realer! Aber ich will dir nichts verschweigen! Der Ring kann dich nur schützen, wenn du absolut alles weißt. Das, was du gelesen hast, war eigentlich nur eine abgeschwächte Version der Ereignisse. Ich kann mit Stolz sagen, dass ich ihr alles genommen habe. Stück für Stück! Weil sie mir auch alles weggenommen hat. Das wirst du bald am eigenen Leib erfahren! Nun zum zweiten Punkt. Eigentlich hat sie Recht, ich würde den Ring erst einmal am falschen Finger anbringen, aber nicht diesmal. Du weißt noch nicht genug. Was den dritten Wunsch angeht, übernehme ich keine Garantie. Das wird sich ergeben. Dann wollen wir den Fluch besiegeln!“ Johanna nahm Loanas linke Hand und bog ihr den Ringfinger vor. Da gebärdete sich Coline wie eine Wilde, brachte aber keinen Ton heraus. Johanna drehte sich schadenfroh feixend zu ihr um: „Du brauchst nur bitte sagen und ich höre auf!“ Coline bewegte den starren Mund, blieb aber stumm. Schuld war der Ring. In ihrem Zustand hatte sie nur eine Stimme, solange er an ihrem verfluchten Finger steckte. Johanna genoss Colines Machtlosigkeit in vollen Zügen. Sie schob den Ring bis zur Hälfte auf Loanas Ringfinger, da schrie sie aus voller Kehle und brach in Tränen aus. Erst als das geschah, steckte sie den Ring an den richtigen Finger. Diesmal blieb Loana stumm, was Johanna nicht verstand, denn auch da hätte es eine Reaktion geben müssen. Nun musste sie dafür sorgen, dass er die nächsten vierundzwanzig Stunden am Finger blieb. Erst dann konnte sie ihr grausames Spiel fortsetzen. Loana hob den Kopf. Sie schaute Johanna direkt in die Augen und sagte: „Gib mir nur einen einzigen Tag. Ich will mich frei bewegen können. Dann werde ich alles tun, was du verlangst.“ Für ihre Peiniger kam es auf einen Tag nicht an. So stimmten sie zu und gewährten einen Aufschub. Johannas Misstrauen war aber deutlich zu spüren. Sie ahnte, dass eine Absicht dahinter steckte. Loana musste einen Plan haben. Welchen, verriet sie natürlich nicht. Vorsichtshalber sorgten sie dafür, dass sie den Ring auf keinem Fall ablegte. Sie musste ihre ganze Hand in Kleber tauchen. Andreas verband die feuchte Haut und stülpte einen Boxhandschuh darüber, den er fest verschnürte.
In der folgenden Nacht setzte Loana alles daran, das Amulett zu finden. Sie machte sich auf den Weg in den Foltersaal. Ihr Ziel war die schwarze Truhe. Da drinnen musste etwas sein, das ihr weiterhalf. Sie ging geradewegs auf den Altar zu und um ihn herum. Sie kniete sich vor die Truhe. Mit einer Taschenlampe leuchtete sie jeden Zentimeter ab, doch so sehr sie auch daran rüttelte, sie bekam diesen störrischen Klotz nicht auf. Coline schlich sich in ihre Gedanken und zeigte ihr den Weg. Nun gab es kein Halten mehr. Loana zerrte alles heraus, was sie erwischen konnte. Sie besah sich die zahllosen Gerätschaften und erinnerte sich an das Gelesene. Je tiefer sie vordrang, umso verwirrender wurde es. Sie entdeckte Dinge, die in Johannas Buch nicht vorkamen. Da war beispielsweise eine eiserne Birne mit einer Schraube. Sie drehte daran und erschauderte, als die Birne wie eine Knospe aufsprang. So langsam verstand sie, warum sie nicht alles wissen sollte. Loana verdrängte ihre schaurigen Gedanken und suchte weiter. Sie entdeckte einen Brief und überflog die Zeilen. Sie las Colines inständige Bitte, sich mit Johanna zu treffen, um endlich die zahllosen Albträume loszuwerden. Hinzu kam noch die Drohung, Johannas Namen unverändert im Buch zu belassen und es definitiv zu veröffentlichen, falls sie nicht auftauchte. Auch las sie heraus, dass es mehr als eine Variante der Geschichte gab. Loana fragte sich, ob dieser Brief wirklich einmal in Johannas Händen lag. Vielleicht sogar, bevor das Ganze überhaupt eskalierte. Coline gab ihr eine eindeutige Antwort: „Sie hat den Termin nicht abgewartet, sondern mich gleich aufgesucht und mit Polizei gedroht! An diesem Tag habe ich ihr zum letzten Mal freiwillig direkt in die Augen gesehen. Sie behauptete zwar, dass sie nichts unternehmen würde, aber das war eine ungeheure Lüge! Sie hat es vorgezogen, sich an mir zu rächen!“ Noch ehe Loana weitere Fragen stellen konnte, war Coline wieder verschwunden. Loana übermannte ein innerer Drang, in den Garten zu gehen und durch die Falltür zu steigen. Sie gab dem Drängen nach.
Schon der erste Schritt ließ ihr Herz schneller schlagen. Unten angekommen, sah sie sieben Gänge mit je einem Symbol. Loana entdeckte das Zeichen, das ihrer Tätowierung entsprach und erkundete diesen Gang. Nach zahlreichen Kreuzungen fand sie eine weitere Zelle. Diese unterschied sich kaum von ihrer. Es fehlte nur das Fenster und die Einrichtung. Am Boden lagen vier Ketten und an einer Wand hingen noch zwei. Sie erlaubten, einen Gefangenen entweder am Boden ausgestreckt oder stehend zu fesseln. Loana sah sich genau um und entdeckte ein Loch in der Wand. Es befand sich ziemlich weit oben. Etwas blitzte im Licht ihrer Taschenlampe auf. Als sie danach griff fühlte sie ein metallisches Kästchen. Sie nahm es an sich und untersuchte den Inhalt. Darin lagen eine leere Ampulle, ein kleiner Schlüssel und ein Papier mit einer sehr langen Zahlenreihe, die in Zweiergruppen geteilt war. Die Zahlen reichten von 00 bis 26 in verschiedenen Kombinationen. Ganz am Ende stand: 01=A! Das war der Hinweis auf die Lösung des Zahlencodes. Jeder Rätselbegabte konnte den Text damit sehr schnell entziffern. Die Lösung ergab einen Auftrag. Loana sollte herausfinden, zu welchen Bedingungen Johanna verflucht wurde. Das Rätsel sagte ihr auch, wo das Pergament mit dem genauen Wortlaut ihres Fluches zu finden war. So kehrte sie zur Truhe zurück. Sie räumte sie komplett aus und tastete den Boden ab, denn laut Rätsel war es darin versteckt. Leider ohne Erfolg. Somit versuchte sie, diesen schweren Klotz umzukippen. Dazu brauchte sie sehr viel Kraft. Schließlich suchte sie sich einen langen Hebel und stemmte sie nach oben. Sie verrenkte sich fast, beim Versuch darunter zu sehen, aber sie entdeckte eine Lade. Mit einem gewaltigen Ruck warf sie die Truhe um. Der Aufschlag donnerte als Echo durch den Saal. Schnellstens machte sie sich daran, das Pergament zu finden und hatte Glück. Sie nahm es an sich und verschwand aus dem Saal. Sie brauchte nun ein ruhiges Plätzchen, um den Text zu lesen. Dafür versteckte sie sich tief in den Katakomben.
Schon nach wenigen Zeilen erfuhr sie, warum ihr Johanna das Leben zur Hölle machen wollte. Sie hatte gar keine andere Wahl. Colines Rückkehr in dieses Gefängnis hatte sie dazu verdammt. Nur ihretwegen gab es kein Ende. Loana las auch, wieso sie unbedingt verflucht werden sollte. Es diente einzig und allein einem Grund. Johanna konnte Colines Fluch erst für sich und vor allem gegen sie nutzen, wenn der letzte Nachkomme vollends unter diesem furchtbaren Bann stand. Plötzlich hörte sie Colines Stimme in ihrem Kopf: „Lass nicht zu, dass sie mich beherrscht. Sie würde mich pausenlos quälen.“ Loana versuchte noch herauszufinden, auf welche Weise sie es verhindern könnte, aber Coline reagierte nicht mehr. Ohne den kleinsten Tipp ging Loana zurück in ihre Kammer und schlief traumlos ganze drei Stunden. Van Dörren weckte sie unsanft und brachte sie in Johannas Büro. Dort sollte sie auf einem Stuhl abwarten. Minutenlang blieb sie allein. Das zehrte an ihren Nerven. Sie fürchtete Johannas Wut. Damit lag sie gar nicht so falsch. Plötzlich flog die Tür auf! Johanna stürmte blindlings herein und schrie sofort: „Was erlaubst du dir?“ Loana riss erschrocken die Augen auf und fragte verstört: „Was hab ich denn gemacht?“ Johanna verzog ihr Gesicht und knurrte zornig: „Wieso wühlst du in meinen Sachen herum?“ Loana versuchte stark zu bleiben und erwiderte: „Ich war einfach neugierig. Ich will nur wissen, was mich erwartet!“ Johanna hielt kurz inne. Dann zischte sie: „Du bist also ganz wild darauf? Ab in den Saal!“ Van Dörren führte sie durch das Gemäuer. Stufe um Stufe ging es unter die Erde. Den langen Gang entlang und direkt zum Altar. Johanna erschien mit der NSDK. Einer Peitsche mit neun Ledersträngen und hunderten Dornen. Loana bekam Angst, als Johanna näher trat und eindringlich warnte: „Überlege dir genau, wo du deine Nase rein steckst! Du könntest es bereuen. Und zwar schneller, als du denkst. Du hast nicht die Kraft, um diese Strafe zu ertragen. Noch nicht!“ Das war mehr als eindeutig. Loana hatte nur zwei Möglichkeiten. Entweder bettelte sie um Aufschub oder sie vertraute darauf, dass Coline dazwischen ging. Sie brauchte nicht lange zu überlegen, ihre Wahl fiel auf Coline. Die war schließlich schon fast ein Geist und konnte nicht mehr verletzt werden. Sie würde sich schützend dazwischen stellen. Die Bedenkzeit war vorbei und Loana musste ihre Entscheidung bekannt geben. „Ich werde nicht dein nächstes Opfer! Wenn du mich tot prügeln willst, dann mach es! Dann hat das widerliche Spiel endlich ein Ende. Es wird keine Nachkommen mehr geben und du bleibst auf deinen Rachegelüsten sitzen.“ Johanna grinste überlegen. Sie nahm es gelassen und gab den Befehl zum ersten Schlag. David griff nach der NSDK, ging in Position und Van Dörren entblößte Loanas Sitzfleisch. Dann gab ihr Johanna noch eine allerletzte Chance. „Ich will nur, dass du mir Coline auslieferst, dann wirst du verschont!“ Loana schloss die Augen und murmelte: „Ich denk nicht dran!“ Sie spannte jeden Muskel an, aus Furcht vor dem ersten Hieb. Johanna zögerte aber noch. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Keine der Anderen benahm sich so. Sie gaben viel schneller auf. Loana riss sie aus den Gedanken. „Passiert heute noch was oder liege ich nächste Woche noch hier rum?“ Diese freche Bemerkung ließ Johanna das Blut in den Adern kochen. Sie wollte schreien, aber sie verkniff es sich. Sie wusste, dass sie die Folter mit der NSDK nicht überleben würde. Allein deshalb machte sie einen Rückzieher. Ein kurzes Triumphgefühl überkam das neue Opfer. Sie hatte Johanna in die Schranken gewiesen, ohne über die Folgen nachzudenken. Es gab schließlich andere Mittel und Wege, um das Ziel zu erreichen. Johanna machte es kurz. Sie befahl Van Dörren, den Riemen zu holen und ihr fünfzig Hiebe zu verpassen. Doch bevor er seinen Befehl ausführen konnte, griff Johanna selbst nach der NSDK. Sie trat an Loana heran. Ein letztes Mal fragte sie, ob sie Coline hintergehen würde. Als sie wieder verneinte, holte sie aus und schlug zu. Blitzschnell bohrten sich die Dornen in Loanas Fleisch und blieben stecken. Sie schrie aber nicht. Der Schlag war zwar schlimm, doch erst das Rausziehen brachte die wahre Qual. Johanna ließ sich sehr viel Zeit damit. Loana beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Sie schien nach etwas zu suchen. Offensichtlich erwartete sie jemanden. Das konnte eigentlich nur Coline sein. Die kam aber nicht. Minuten wurden zur Ewigkeit. Jeder suchte den Saal nach dem ersten Opfer ab, ohne sie zu entdecken. Johannas Zorn stieg, bis sie quer durch den Saal brüllte: „Willst du, dass ich sie totschlage? Willst du sie ernsthaft leiden lassen?“ Aber es blieb still. Van Dörren stand ungeduldig neben dem Altar und wartete auf Johannas Befehl. Die rührte sich aber keinen Millimeter. Sie suchte noch immer nach Coline. Er fragte, wie es weitergehen sollte und sie gab zornig den Befehl zuzuschlagen. Er hielt den Griff der NSDK so fest er konnte und rupfte die Bänder der Peitsche aus Loanas Hintern. Ihr schauerlicher Schrei donnerte durch den Saal. Erst in diesem Moment zeigte sich Coline. Sie tauchte direkt hinter Johanna auf. Ihre Worte waren ruhig, doch bedrohlich: „So stehen wir also wieder am Anfang!“ Johanna drehte sich erschrocken um. Sie erwiderte: „Wieso bist du nicht stumm?“ Coline packte Johannas Kehle und stieß sie zu Boden. Ein kräftiger Tritt in ihre Rippen ließ sie fluchen. Johanna schwor, dass Loana noch mehr leiden würde, als alle anderen zusammen. Coline ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie warnte nur: „Ich werde euch alle bestrafen, wenn ihr nicht endlich aufhört!“ Sogleich drosch Van Dörren mit dem Riemen auf Loana ein. Sie schrie, heulte und flehte um Gnade. Aber er hörte nicht auf. Im Gegenteil. Je mehr sie bettelte, umso härter schlug er zu. Wütend bremste ihn Coline. Voller Hass keifte sie: „Willst du dein eigen Fleisch und Blut ermorden? Schon wieder?“ Diese Worte weckten Loanas Sinne. Sie versuchte das Gehörte zu begreifen und kam zu dem Schluss, dass er ihr leiblicher Vater sein musste. Das entsprach aber nicht der Wahrheit, denn er war Jessicas Erzeuger und nur deshalb mit Loana verwandt. Sie wollte es genau wissen, bekam aber keine Gelegenheit um nachzufragen. Johanna wusste längst, wie sie Coline vertreiben konnte. Sie sorgte brutal dafür, dass auch alle anderen verschwanden. Wieder allein mit ihrem neuen Opfer, setzte sie ihre Befragung fort. Sie versuchte, sie einzuschüchtern und stellte den Verrat als einzigen Ausweg dar. Doch kam sie nicht damit durch. Loana wusste zwar nicht viel über die Vergangenheit, aber sie fühlte, dass es einen ganz anderen Weg aus diesem Elend gab. Ihr Widerstand trieb Johanna zur Weißglut. Sie konnte nicht verstehen, warum ihre Drohungen nicht fruchteten. Wusste Loana etwas, das alle anderen übersahen? Diese Frage quälte sie fortan. So vergaß sie ihr eigentliches Ziel. Ab diesem Zeitpunkt stand sie unter ständiger Beobachtung. Johanna ließ sie nicht mehr allein umher laufen, achtete dabei aber nicht wirklich auf ihre Taten. So entging ihr einiges. Vor allem, wie sich Loana immer intensiver mit dem Fluch beschäftigte und wie wenig Einfluss er auf sie hatte. Eigentlich hätte es ihr auffallen müssen, aber sie bemerkte es nicht.
In der Nacht erfuhr Loana etwas mehr, denn Coline erschien in ihren Träumen und zeigte ihr Teile der wahren Geschehnisse. Das brachte Loana zwangsläufig auf den Gedanken, Selbstmord zu begehen. Das könnte das Blutbad auch beenden, denn dann gäbe es keine neuen Opfer mehr. Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, hörte sie mehrere Frauen sagen: „Und wir? Sie werden uns vergewaltigen, wie sie es schon seit Jahrzehnten tun! Es wird erst vorbei sein, wenn der Fluch gebrochen ist!“ Loana lauschte dem Wehklagen ihrer Vorfahren. Doch redete sie sich raus: „Es liegt nicht an mir. Ich kann den Fluch nicht brechen. Das muss Coline ganz alleine tun. Ich kann ihr das nicht abnehmen!“ Hinter ihr blieb es still, so drehte sie sich ihnen zu. Die traurigen Gesichter weckten ihr Mitleid und sie brummte: „Was soll ich denn machen? Helft mir, aber ich werde nicht zum Opfer!“ Mit diesen Worten ließ sie ihre Ahnen stehen. Loana ging geradewegs in den Foltersaal. Dort befreite sie ihre Hand von der klebrigen Fessel. Sie durchwühlte die Folterinstrumente und nahm die dickste Peitsche heraus. In ihrem Griff versteckte sie den Ring. Das sollte Johanna zeigen, dass sie verloren hatte. Jetzt musste sie nur noch dafür sorgen, dass es auch ganz sicher auffiel. Das war nicht schwer, denn mittlerweile suchten alle nach ihr. Sie brauchte nur zu warten. David fand sie und rief sofort nach seinen Komplizen. Die kamen regelrecht angerannt. Loana tat, als wollte sie etwas vor ihnen verstecken. So bekam sie ihre ganze Aufmerksamkeit. Van Dörren riss die Peitsche an sich. Er sah den aufgedrehten Griff und den Ring aufblitzen. Loana tat, als fühlte sie sich ertappt. Sie fiel flehend auf die Knie. Das ließ die Verbrecher gierig grinsen. Endlich erschien auch Johanna. Sie sah ihre Gefangene auf dem Boden kauern und fragte, was los war. Van Dörren lief ihr entgegen und überreichte ihr den Ring. Sofort leuchteten ihre Augen voller Schadenfreude. Sie fühlte sich überlegen. Johanna spottete: „So einfach entkommst du nicht! Du hast ihn lange genug getragen, um verflucht zu sein und nun wirst du Colines Platz einnehmen!“ Sofort zwang sie Loana auf den Altar. Diesmal half Johanna persönlich nach, damit sie endlich begriff, was ihr bevorstand. Sie schlug ihr mehrmals heftig ins Gesicht und brüllte, dass sie niemals wieder frei sein würde. Loana kniff die Augen zu. Währenddessen holte Johanna die NSDK. Sie war sich so sicher, dass ihr neues Opfer nicht sterben würde, aber Loana war noch längst nicht verflucht. Das verdankte sie Coline! Sie hatte Johanna erfolgreich getäuscht. Das musste sie ihr nur noch begreiflich machen. Bevor Johanna zuschlagen konnte, ging Coline dazwischen. Sie schrie aus voller Kehle: „Du wirst sie umbringen!“ Johanna riss die Augen auf: „Was soll das heißen? Sie hat deinen Ring einen ganzen Tag am linken Mittelfinger getragen. Sie muss also verflucht sein!“ Coline schlenderte um den Altar herum und spöttelte: „Bist du dir absolut sicher? Denke genau nach! Okay, sie hat einen Ring getragen. Aber war es wirklich meiner? Ich frage deshalb, weil du wieder einmal etwas Entscheidendes vergessen hast!“ „Du kannst reden!“ „Richtig! Wäre es mein Ring, würde ich keinen Ton raus kriegen. Das hätte dir schon längst klar sein müssen! Immerhin habe ich auch mit dir gesprochen, als er noch an ihrem Finger steckte. Du kannst sie also nicht lange foltern. Sie würde zu schnell sterben!“ Johanna platzte fast vor Wut. „Wo ist der Ring? Du trägst ihn immer noch! Stimmt's?“ Coline gab ihr ‚zwei Daumen hoch‘ für diese Erkenntnis. Das machte sie aber nur noch zorniger. Sie plärrte augenblicklich nach ihren Handlangern. David und Van Dörren stürmten heran. Johanna kreischte: „Nehmt diesem Miststück den echten Ring weg!“ Coline blieb ungerührt stehen und ließ die Attacke über sich ergehen. Die Männer stellten verblüfft fest, dass sie gar keinen Ring trug. Johanna stieß David weg und brüllte: „Wo zum Teufel ist er?“ Da entdeckte sie eine verräterische Wölbung unter der künstlichen Haut. Ohne zu zögern rupfte sie den Finger ab. Coline zuckte nicht einmal, denn sie fühlte keinen Schmerz. Johanna zerpflückte das Silikon, fand aber nur ein Stöckchen und etwas Modelliermasse darin. Auch dieser Ring war eine Attrappe! Ihre Verwirrung stieg. Coline wollte so gerne grinsen, denn sie hatte Johanna matt gesetzt. Leider erlaubte ihr starres Gesicht keine Emotionen. Nichtsdestotrotz höhnte sie: „Du denkst doch nicht ernsthaft, dass ich so blöd bin?! Eines ist klar, der Ring wirkt nur am richtigen Finger, aber wo steht geschrieben, dass er am Rest des Körpers hängen muss?“ Das ließ nur einen Schluss zu, Colines verdammter Knochen war samt Ring irgendwo versteckt. Wutentbrannt schnappte sich Johanna einen Riemen und drosch ihn auf Loanas Rücken. Aber ihr Opfer verkniff sich jeden Schrei, obwohl es beinahe unerträglich war. Schon traf sie der zweite Hieb. Loana blieb dennoch stumm. Ihr war der Schmerz aber deutlich anzusehen. Johanna stutzte. Sie konnte nicht recht verstehen, was da vor sich ging. Nicht einmal Coline hielt es für nötig zu helfen. Johanna behielt sie genau im Blick. Verwirrt fragte sie: „Willst du nicht deiner Pflicht nachkommen? Weißt du nicht mehr, was passiert?“ Coline war es nur allzu bewusst. Sie nahm die Strafe für ihre Ignoranz eher in Kauf, als Johanna einen Gefallen zu tun. Immerhin ging es nur um sie. Die anderen waren ihr doch vollkommen egal. Schon traf der nächste Hieb. Dennoch blieb sie stumm. Das verunsicherte Johanna. Sie ging näher heran und zog Loanas Shirt hoch. Die rot leuchtende Haut bewies eindeutig, dass die Schmerzen furchtbar sein mussten. Wie konnte sie so lange durchhalten, ohne zu heulen? Johanna sah immer wieder zu Coline hin, die neben dem Altar stand. Die Folter war augenblicklich vorbei. Dieses Szenario musste Johanna erst einmal verdauen. Es wollte ihr einfach nicht in den Kopf, wie Loana diese Pein aushielt. Sie erwartete alles, aber nicht so etwas. Sie verschwand mit ihrem Gefolge und ließ die beiden allein. Coline sank auf die Knie und sah in Loanas Gesicht. Bedauernd fragte sie: „Was sollte das? Sie wird sich nicht lange täuschen lassen. Du musst einen anderen Weg finden.“ Loana erwiderte trocken: „Sie wird damit aufhören, das verspreche ich!“ Coline schüttelte den Kopf. „Sie findet andere Mittel. Du kannst nur bestehen, wenn du endgültig verflucht bist. Es ist alles eine Frage der Zeit!“ Coline sah keine Chance mehr, aus diesem Teufelskreis zu entkommen. Auch wenn sich Loana den Fluch vom Leibe hielt, frei wäre sie auf keinem Fall. Coline wollte gerade gehen, da rief Loana: „Einen Hinweis! Gib mir nur einen echten Hinweis!“ Coline drehte sich um. Sie glaubte, nicht richtig zu hören. Hatte sie doch noch nicht aufgegeben? War sie wirklich bereit, gegen Johanna anzutreten? Loanas erwartungsvoller Blick sagte alles. Also tat ihr Coline den Gefallen. Sie sagte beinahe vorwurfsvoll: „Du kannst von mir fast alles verlangen, nur nicht, meinen Tod zu offenbaren. Wenn die Ratte wüsste, wie sie mich schlimmer als je zuvor quälen könnte, sie würde es tun.“ Natürlich hakte sie nach. Coline sah sich gründlich um, ehe sie klar und deutlich sagte: „Jedes Symbol gehört zu einem von uns. Wenn du einem bestimmten folgst wirst du den Ring finden. Wenn du ihn hast, musst du ihn zerstören! Denn wenn sie dich verflucht, wäre er danach das größte Druckmittel gegen mich. Mein Ring an ihrem Finger macht mich absolut schutzlos! Ich könnte noch immer nicht sterben, aber ich würde jede weitere Folter bis ins Detail spüren, ganz gleich wen sie foltert. Sollte sie sich dann entschließen, den Bann zu leugnen, müsste ich die extremen Schmerzen garantiert ertragen. Ich hätte gar keine Chance zu entkommen!“ Loana sah sie ungläubig an. Sie wusste ja nicht, was das bedeutete. Also versuchte Coline, es zu erklären. Nur fehlten ihr die passenden Worte. Sie wollte Loana nicht zu sehr mit dem Fluch belasten. Deshalb zog sie nur vage Vergleiche. Sie erklärte ihr, wie furchtbar die NSDK wirklich war und wie oft sie sie schon zu spüren bekam. Schnell erkannte Loana Colines Sorge und schwor, Stillschweigen zu wahren. Coline musste auf ihr Wort vertrauen. Glauben konnte sie es dennoch nicht. Immerhin wurde sie schon mehr als einmal verraten. Warum sollte es gerade bei ihr anders sein? Nun lag es an Loana, den nächsten, entscheidenden Schritt zu tun.
Coline war kaum aufgestanden, da hörte sie Johanna kreischen: „Jetzt kannst du was erleben!“ Ihre Absätze klapperten über den steinernen Boden und sie forderte lautstark den Ring. Coline rannte los, denn sie wollte ihn keinesfalls hergeben. Plötzlich tauchte David auf. Er packte sie und zerrte sie an sich heran. Coline wehrte sich mit aller Kraft, leider vergebens. Schon erschien Johanna. Sie grinste überlegen, griff nach der NSDK und drohte, Loana zu zerfetzen, wenn sie den Ring nicht schnellstens bekam. Coline konnte nicht anders, als um Nachsicht zu flehen, aber Johanna stierte sie nur an und schüttelte den Kopf. Coline warnte: „Der Fluch wird dir mehr schaden als mir! Er wird dich nicht umbringen, aber du wirst endlos leiden.“ Natürlich glaubte sie ihr kein Wort. Immerhin hatte sie etwas ganz anderes gehört. Also machte sie weiter. Coline blieb kein Ausweg. Mit dem Moment, da Johanna den Fluch endgültig annahm, gab es kein Zurück mehr. Coline jammerte und lamentierte, bis es ihre Peiniger leid waren und sie einsperrten. So verfolgte sie unwillkürlich mit, wie weit Johanna zu gehen bereit war. Sie stellte Loana ein Ultimatum. Entweder brachte sie ihr den echten Ring oder sie starb unter furchtbaren Schmerzen. Loana verstand zwar nur einen Bruchteil dieser Aussage, aber sie nahm sich fest vor, den Ring zu finden und zu vernichten. Johanna musste aufgehalten werden! Das bedeutete zwar, dass Coline dann verstummte, dennoch war es kein Grund, der dagegen sprach.
Es dauerte nicht lange und David erschien mit Van Dörren. Sie sollten Loana in Colines Zelle bringen und ihr einen Vorgeschmack auf die kommenden Wochen geben. Loana wehrte sich nicht. Sie musste standhalten, auch ohne den Schutz des Fluches. So lag sie auf der alten Matratze und starrte in die Dunkelheit. Sie brauchte einen Plan und sah ihre einzige Chance in der Flucht. Nur so konnte sie sich auf die Suche machen. Andererseits konnte sie ihren Verfolgern sicher nicht entkommen. Sie fanden sie schon einmal, da würde ein zweites Mal keine Hürde sein. Trotz aller Widersprüche plante sie weiter. Sie wollte sich nun jedem Befehl fügen und alles brav erledigen. Dadurch konnte sie Johannas Rache hinauszögern. So die Theorie. Die Praxis sah aber vollkommen anders aus. Johanna hatte in all den Jahren dazugelernt. Das bewies sie ihr auch sehr schnell. Schon am nächsten Tag brachten sie Loana tiefer in die Katakomben. Dort unten sollte sie das Gleiche erleben wie ihre Ahnen. Sie wurde in eine Kammer ohne Fenster, ohne Bett und ohne Chance auf Hilfe gesperrt. Coline konnte ihr diesmal nicht beistehen. Ehe die Tür zuflog, baute sich Johanna vor ihr auf. Sie lachte gehässig und triumphierte: „Was hat deine Oma gesagt? Wenn ich ihren Ring trage, ist sie schutzlos! Wie wäre es, wenn ich den Ring selbst finde und sie wieder zum Opfer mache? Dich brauche ich dann nicht mehr. Ich könnte dich sogar frei lassen. Ich müsste dich nicht einmal mundtot machen. Kein Mensch würde dir das hier glauben. Was hältst du davon?“ Loana wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie kannte nur die Kurzfassung der Geschichte und konnte allenfalls erahnen, was ihr wirklich bevorstand.
Die Nacht wurde eisig. Die Kälte zehrte an ihren Kräften und sie wünschte sich den Tod. Da hörte sie ein kurzes Lachen. Dieses Geräusch jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sie rief in die Dunkelheit: „Wer ist da? Antworte!“ Doch es blieb still. Minutenlang kein Geräusch. Dann fiel etwas auf den Boden. Loana dachte sofort an den Ring und lag gar nicht falsch damit. Es war aber nicht der verfluchte Ring. Plötzlich sprach ein Mann zu ihr: „Nimm ihn und dir wird geholfen. Du wirst sofort merken, dass es aufwärts geht.“ Loana fragte: „Wer bist du?“ Doch er war längst wieder verschwunden. Nun suchte sie den Boden ab. Sie fand den Ring in einer Ecke und nahm ihn in die Hand. Sie ließ ihre Finger an ihm entlang gleiten. Da spürte sie, dass er eine andere Form als der Fluchring hatte. Nur deshalb war sie bereit, ihn an ihren Finger zu stecken. Sie führte ihn an den Ringfinger der linken Hand. Augenblicklich rutschte er ihr weg. Loana versuchte es noch einmal. Wieder ohne Erfolg. Es war beinahe, als wehrte er sich gegen diesen Finger. So überließ sie ihm die Wahl. Sie drehte ihre Handflächen nach oben und legte ihn genau in die Mitte. Reglos saß sie da und fühlte, wie er sich seinen Weg suchte. Er rollte in ihre rechte Hand und blieb am Mittelfinger liegen. Da gehörte er also hin! Loana schob ihn an seinen Platz. Sofort dröhnte ein tiefes Knurren durch die Zelle. Nun lernte sie Arantino kennen. Er war ein zotteliger Dämon, groß wie ein Pferd, kräftig und gefährlich wie ein Tiger, doch auch sanft und fürsorglich. Erschaffen von Coline, ausgestattet mit verschiedenen Fähigkeiten. Er konnte unter anderem ungesehen umherlaufen, Wunden heilen und zur Flucht verhelfen. Loana strich ihm durch sein weiches, langes Fell. Er war so warm. Das ließ sie die Kälte einen Moment vergessen. Sie schmiegte sich an ihn und bat: „Wärme mich. Bleib bei mir.“ Arantino legte sich gehorsam neben sie. Sie kuschelte sich an seinen kräftigen Leib und schlief sofort ein. Wenig später sprang die Tür auf. Loana schreckte hoch. Sie suchte nach ihrem Beschützer, der war aber nicht mehr da. Vor ihr stand Johanna. Zornig brüllte sie durch die Kammer: „Das mache ich nicht noch einmal mit! Fünfmal reicht völlig!“ Loana wusste nicht, was sie meinte, erfuhr es aber schneller als ihr lieb war. Johanna zerrte sie heraus und prügelte sie regelrecht durch die Gänge in den Foltersaal. Wehrlos landete sie auf dem Altar. Um sie herum war alles blutig. Es musste ein Massaker gegeben haben, denn das stammte sicher nicht von einer einzelnen Person. Ehe Loana einen klaren Gedanken fassen konnte, stand Van Dörren neben ihr. In seiner Hand hielt er eine weitere Variante der NSDK. Zweifellos sollte sie diese Peitsche spüren, doch zuvor musste sie sich zahllose Verbrechen anhören, die sie angeblich an Johanna verübte. Loana sah tiefe Risse in ihrem schwammigen Leib. Sie bluteten unaufhörlich und färbten den Boden rot. Sofort versuchte Loana, ihre Unschuld zu beweisen. Aber alles Wehren nützte nichts. Johanna wusste von vorn herein, dass nicht Loana sondern Arantino schuld war. Aber ihr Pakt mit dem Tod schrieb vor, dass sie Colines Erben strafen musste.
Schweigend zeigte sie auf Van Dörren, der den Peitschengriff fester packte. Er ließ dieses Folterinstrument durch die Luft zischen. Noch ehe die Bänder Loanas Leib trafen, erschien Coline in Arantinos Begleitung. Sie sah Van Dörren nur an und er ließ die Peitsche los. Sie flog im hohen Bogen an die Wand. Siegessicher ging Coline auf Johanna zu. „Wieder und wieder! Warum lässt du es nicht einfach sein? Ist dir der Tod nicht lieber?“ Johanna verzog ihr Gesicht und knurrte: „Du bist zu feige, uns zu erlösen! Es hängt doch alles nur an dir!“ Coline trat einen Schritt an sie heran. „Wer sagt das? Du bist genauso schuld! Wer konnte denn seine Finger nicht vom Fluch lassen? Du hättest längst tot sein können, genau wie deine Lakaien. Gib nicht mir die Schuld, dass ihr immer noch hier seid.“ Loana beobachtete die Beiden ganz genau. Sie dachte ganz fest daran, wie ihr Arantino zur Freiheit verhelfen könnte und er gehorchte. Während Coline und Johanna zankten, löste er ihre Fesseln. Unbemerkt brachte er sie aus dem Saal und führte sie tief ins Labyrinth. Dort ließ er sie allein zurück. Loana hatte nun Gelegenheit, das Geschehene zu überdenken. Sie spürte deutlich, dass in diesen Gewölben die Lösung des Rätsels steckte. Irgendwo in einem der Gänge. Aber in vollkommener Finsternis war es schwer, den richtigen Weg zu finden. Da bekam sie Hilfe von ungeahnter Seite. Carina, Colines Enkelin sprach zu ihr. Sie dirigierte sie durch die Gänge in einen anderen Saal. Er ähnelte sehr stark dem Ersten, war aber viel größer und unheimlicher. Zahllose Fackeln brachten etwas Licht. Trotzdem hüllte sich vieles in Schatten. Loana entdeckte am anderen Ende des Saales das gigantische Kreuz aus ihrem Albtraum. Wieder hing etwas daran. Sie ging darauf zu und erkannte einen blutenden Körper. Er kam ihr bekannt vor. Dieser Frau wurde eine römische Fünf quer über den Rücken geritzt. Somit war sie Loanas leibliche Mutter.
Ein Schrei schallte durch den Saal! Loana fuhr zusammen. Sie war bereit, loszurennen, doch noch stand sie wie angewurzelt da. Der erste Schock war überwunden, da entschied sie, die arme Frau herunter zu holen. Sie dachte mit Grauen daran, dass sie auch einmal dort hängen würde, wenn sie nicht schleunigst einen Ausweg fand. Loana gelang es, ihre Mutter auf den Altar zu legen. Sie sah die grauenvollen Wunden und fand einige Stacheln darin. Sie ahnte von welchem Folterinstrument sie stammten und schauderte beim Gedanken daran. Dann wanderte ihr Blick über den ganzen Körper und verweilte an der linken Hand, der der Mittelfinger fehlte. Aus Neugier fragte sie: „Warum haben Sie den Finger nicht mehr?“ Patty sah zu ihr auf: „Das war der einzige Weg, nicht völlig verflucht zu werden. Jetzt können sie mich nicht mehr töten, aber immer noch quälen. Ich will nicht mehr, hilf mir!“ „Und wie soll ich das anstellen?“ „Zwinge Coline, den Fluch zu brechen, dann ist es vorbei!“ Patty verlor das Bewusstsein und Loana war auf sich gestellt.
Sie versuchte, sich an die Hinweise zu erinnern. Coline sprach von Symbolen. Die konnten doch nicht schwer zu finden sein. Vielleicht half ihr der neue Ring. Er gehörte sicher auch zu diesem scheußlichen Spiel und könnte sie möglicherweise ans Ziel bringen. Die Idee kam ihr jedoch viel zu einfach vor. Wenn es so simpel wäre, dann hätte es nicht schon so viele Opfer gegeben. Sie nutzte ihren Vorsprung, um mehr Anhaltspunkte zu finden. Sie nahm sich eine Fackel und leuchtete in jeden Winkel. Rechts und links im Saal gab es Zellen. In ihnen lagen Knochenreste. Dazu noch einige Stofffetzen. Jeder weitere Blick in diese Pferche trieb das nackte Grauen durch Loanas Hirn. Sie kehrte ihnen den Rücken und ging zurück zum Altar. Erschrocken stellte sie fest, dass Patty nicht mehr da war. Nur eine frische Blutspur führte vom Altar weg, direkt auf die Wand zu. Loana sah sich den Altar an. Die Ketten darauf waren vom Rost zerfressen. Ein kurzer Ruck und sie zerfielen. Die Reliefs an den Seiten erzählten Passagen aus ihrer Familiengeschichte. Dort bekam sie einen tieferen Einblick in Johannas Methoden. Je länger sie die Szenen betrachtete, umso deutlicher wurden die Details. Neben einigen Personen tauchten Schriftzeichen auf. Es waren die gleichen, wie auf der Truhe. Diesmal standen sie aber neben bekannten Gesichtern. Alle der Bande waren vertreten. Johanna, Van Dörren, David, Andreas, und Maxwell. Da es fast immer zwei Zeichen waren, mussten es Initialen sein. Nur neben Van Dörren gab es drei Symbole. Grübelnd saß sie vor dem Altar und starrte die Bilder an. Sie konnte noch so lange darüber nachdenken. Sie kam nicht weiter, denn die Symbole allein nützten ihr nichts. Sie musste herausfinden, welches das Richtige war, welches zum Ring führte. Also versuchte sie, die Zeichen zu deuten. Der „Dreizack“ neben Johannas Gesicht bedeutete wohl J und das runde E stand für F, da ihr Nachname laut Johannas Buch Fischer war. Allerdings passte das T von Colines Nachnamen nicht zum T von Andreas‘ Nachnamen. Auf diese Weise fand Loana zehn von dreizehn Buchstaben heraus. Die restlichen Zeichen konnte sie nicht hundertprozentig entziffern. Das waren Colines und das T von Trisper. Also versuchte sie, sich die anderen einzuprägen, um die Inschriften entziffern zu können. Eine halbe Stunde verbrachte sie damit, sich Eselsbrücken zu bauen. Kaum hatte sie sich zu jedem etwas ausgedacht, flog die Tür auf. Johanna stürmte herein. Sie rannte auf Loana zu, die laut um Hilfe rief. Johanna bremste ihren Schwung und drehte sich im Kreis. Der Dämon erschien und attackierte sie. Diese Ablenkung nutzte Loana und verschwand mit einer Fackel im Labyrinth. Schon an der ersten Kreuzung hatte sie ein Problem. Es gab sieben Gänge. Vor jedem war ein Symbol im Boden. Da sie inzwischen ihre Bedeutung kannte, suchte sie wieder nach ihrem Zeichen, denn es gehörte Coline. Diesem folgte sie bis zur nächsten Kreuzung. Dann das gleiche Spiel. Zwölfmal musste sie es suchen, dann stand sie wieder im großen Saal. Er war leer. Loana rief nach Coline, die auch gleich antwortete. Ihre Stimme kam von oben. Loana sah an die schwarze Saaldecke, konnte aber nichts entdecken. So rief sie in die Dunkelheit: „Wo bist du?“ Coline erwiderte: „Da rechts ist ein Hebel! Drück ihn nach oben!“ Loana lief gleich los. Sie fand und betätigte ihn. Plötzlich hörte sie ein lautes Grollen. Weit über ihr öffnete sich eine Kuppel. Das Licht der Mittagssonne drang in den Saal. Jetzt sah Loana die Umrisse von Colines Leib. Sofort kam die nächste Anweisung: „Auf der anderen Seite ist eine Kette! Löse sie!“ Gesagt, getan. Jetzt senkte sich der Eisenring, in dem Coline hing, von der Decke ab. Loana wartete, bis er am Boden ankam und erschrak. Der künstliche Leib sah geschmolzen aus. Coline bat darum, die Fesseln zu lösen und ihr aufzuhelfen. Danach reckte sie sich und erzählte, warum sie dort oben hing. Loana erfuhr, dass dies eine der zahllosen Foltermethoden war, die Coline schon ertragen musste, als sie ihren eigenen Körper noch besaß. Das gab erneut einen Einblick in die grausame Vergangenheit. Coline flehte Loana an, nicht so leichtfertig mit ihrem Leben zu spielen. Sollte sie sterben, wäre alles vorbei. Sie durfte ihre Ahnen nicht im Stich lassen. Da schimpfte Loana: „Dann hilf mir doch! Sag mir, wo der Ring ist!“ Die Reaktion darauf war ein hoffnungsloser Seufzer. Coline durfte es nicht sagen, denn sie schwor vor Jahren, dass niemand mehr an ihn heran kommen sollte. Da konnte nur noch einer helfen. Arantino! Er musste sie in die richtige Richtung lenken und ihr die Suche erleichtern. So einigten sie sich, dass ihr der Dämon beistand und die Peiniger auf Abstand hielt, sofern es nötig war. Unterdessen bereitete Coline alles für einen Gegenschlag vor. Nicht nur Johanna und ihre Lakaien sollten ihre Strafe bekommen, sondern auch jene scheinheiligen Menschen, die Coline nach wie vor unterdrückten. Dazu zählte sie auch ihre „noch Arbeitgeber“. Schon bald würde ein Anruf kommen, immerhin war ihr Urlaub längst vorbei. Obwohl sie sowieso nie vorhatte zurück zu gehen. Im Gegenteil, sie wollte sie zu sich locken. Per Brief, der ihnen einen dicken Scheck versprach, sofern sie sich an ein paar Bedingungen hielten. Coline gab sich die größte Mühe, ihnen ihr Angebot schmackhaft zu machen. Sie kannte die Beiden gut genug, um zu wissen, dass sie großen Geldsummen nicht abgeneigt waren. Vor allem Tom nicht. Sie stellte ihnen eine hohe, fünfstellige Summe in Aussicht, wenn sie die Arbeiten persönlich erledigten. Zu einem bestimmten Zeitpunkt! Jedoch nur, damit sie nicht zu schnell vermisst wurden. Niemand anderes als diese beiden durfte das Gelände betreten. Sollten sie auch nur einen anderen mitbringen, wäre das Angebot hinfällig. Um sicher zu gehen, dass sie keinen Personentausch vollzogen, erklärte Coline, dass sie genau wusste, wem die Firma gehörte. Kaum war sie mit ihrem Text zufrieden, fügte sie noch einige recht harmlos wirkende Bilder hinzu, damit der Anreiz größer wurde, wonach der Aufwand nicht sehr groß erschien. Sobald sie den Auftrag annahmen, sollten sie eine Anzahlung bekommen, als Beweis, dass es keine Finte war. Nur wenige Tage, nachdem sie den Brief der Post übergab, klingelte ihr neues Telefon. Es war Kirsten, ihre Chefin. Coline meldete sich als persönliche Assistentin und fragte nach ihrem Anliegen. Kirsten leierte ihren Begrüßungstext herunter und fragte vorsichtig nach dem Angebot. Coline hörte schon an ihrer Stimme, dass sie nur zu gerne auf den Handel eingehen wollte. Also spielte sie mit ihr. „Sie sind die Erste, die sich bei uns meldet. Wir dachten schon, dass sich niemand traut. Na ja, nicht jeder kommt mit schwierigen Umständen klar.“ Kirsten wurde nachdenklich und bat um eine Erklärung. Coline berief sich auf die exzentrischen Ansichten ihres Arbeitgebers und die außergewöhnlichen Bedingungen. Sie versicherte aber sofort, dass es keinerlei Probleme geben würde. Es war nur wichtig, dass keine ungebetenen Personen das Grundstück betraten. Kirsten zögerte, denn sie hatte seit Jahren nicht mehr körperlich gearbeitet. Als sie das erwähnte, wurde Coline etwas schärfer im Ton. „Wenn Sie meinen, dass derart leicht verdientes Geld ihre Kräfte übersteigen, dann werden wir den Auftrag an einen anderen vergeben.“ Gerade, als sie sich verabschieden wollte, fiel ihr Kirsten ins Wort. Sie beharrte darauf, dass sie durchaus in der Lage war, alle Arbeiten auszuführen und gerne zusagen wollte. Coline erwiderte besonnen: „Dann werde ich Ihnen die restlichen Unterlagen zusenden und erwarte Sie in exakt drei Wochen am festgelegten Treffpunkt.“ Sie verabschiedeten sich und Coline konnte sich einen Moment entspannen. Nun würde sich alles fügen.