Читать книгу Dr. Norden Bestseller Staffel 18 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 5

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Simone Röcken war seit vier Monaten Telefonistin in einem Luxushotel, und nicht ein einziger Fehler war ihr bisher unterlaufen. Sie blieb auch in schwierigen Situationen immer höflich und hatte auch ein Gespräch mit der bekannten Schauspielerin Alice Valborg zustande gebracht, obgleich diese fünf Nummern hinterlassen hatte, unter denen sie während dieses Tages möglicherweise in dringenden Fällen zu erreichen war. Der Anrufer war der Fernsehregisseur Hanson gewesen, er hatte es sehr eilig gehabt und alle Höflichkeit vermissen lassen.

Als er sich nun zum zweiten Mal meldete, klang seine Stimme ruhiger, aber Simone war bestürzt, als er nach ihrem Namen fragte.

»Haben Sie etwas zu beanstanden?« fragte sie irritiert.

»Wie lange haben Sie Dienst?« fragte er.

»Bis vier Uhr. Darf ich fragen…« Sie kam nicht weiter.

»Sie werden von mir hören, bis dann!«

Das Gespräch war beendet. Du lieber Himmel, was soll denn das bedeuten, dachte sie, aber sie war sich keiner Schuld bewußt. Freilich hatte er ein paar Minuten warten müssen, bis sie die Valborg wirklich erreicht hatte, aber zaubern konnte sie auch nicht.

Aber auch dadurch ließ sich Simone nicht aus der Ruhe bringen. Sie versah ihren Dienst gewissenhaft wie immer, obgleich sie an diesem Tag Sorgen hatte, denn ihre Mutter war erkrankt. Sie hatte ihrer Kollegin gesagt, daß sie ganz pünktlich abgelöst werden müsse, damit sie ihre S-Bahn erreichen konnte, denn sie hatte eine halbe Stunde Fahrt und mußte dann noch zehn Minuten laufen, um daheim zu sein.

Sie wurde pünktlich abgelöst, aber dann sollte sie eine Riesenüberraschung erleben. Ein großer breitschultriger Mann trat auf sie zu. Er hatte schon stark ergrautes Haar, sah aber sonst recht jugendlich aus.

»Frau Röcken?« fragte er.

»Fräulein«, berichtigte sie ihn. »Ich lege Wert darauf.«

»Also, Fräulein Röcken«, sagte er lächelnd, »mein Name ist Hanson, wir haben vorhin telefoniert.«

»Mein Gott, was habe ich denn nur angerichtet?« entfuhr es ihr. »Bitte, sagen Sie es rasch, ich muß meine S-Bahn erwischen. Meine Mutter ist krank.«

»Mit ein paar Worten ist das nicht zu sagen. Ich bringe Sie nach Hause«, erklärte er, und Simone war fassungslos. Aber schon fuhr er fort: »Sie brauchen nichts Falsches zu denken. Ich bin glücklich verheiratet und habe Kinder, die sicher schon älter sind als Sie.«

»Und das soll ich glauben?« fragte sie spöttisch.

»Ich werde es Ihnen beweisen, und ich nehme es gern als Kompliment, wenn Sie es mir nicht zutrauen.« Es war ein sehr sympathischer Charme, mit dem er das sagte, aber Simone wußte noch immer nicht, was er nun eigentlich von ihr wollte.

»Es geht um Ihre Stimme«, sagte er, griff nach ihrem Arm und schob sie vor sich her, und sie war so verblüfft, daß sie sich schieben ließ, bis sie in einem tollen Wagen saß.

»Meine Stimme ist doch in Ordnung, ober haben Sie Anstoß genommen?« frragte sie dann atemlos.

»Fasziniert hat mich diese Stimme«, erklärte er. »Und das Übrige ist nicht weniger erfreulich. Ich brauche Ihre Stimme unbedingt, vorerst diese und dann vielleicht auch das ganze Fräulein Röcken!«

Er war umwerfend. »Du liebe Güte!« staunte Simone.

»Jetzt sagen Sie mir erst Ihre Adresse. Eine kranke Mutter soll man nicht warten lassen.«

Sie sagte es, und dann steuerte er seinen Wagen durch die Straßen, ohne noch einmal zu fragen. Sie brauchte ihm den Weg nicht zu erklären.

»Ich kenne die Gegend«, sagte er. »Ich wohne auch in der Drehe. Komisch, daß wir uns nie begegnet sind. Aber wahrscheinlich wäre ich dann gar nicht auf Sie aufmerksam geworden, da ich Ihre Stimme nicht gehört hätte.«

»Was wollen Sie eigentlich damit?« fragte Simone nun drängend.

»Ich brauche solche Synchronisationsstimme. Sprechen Sie Englisch, oder verstehen Sie es wenigstens?«

»Ich bin Telefonistin in einem Luxushotel, und da braucht man mehrere Sprachen«, erwiderte sie.

»Und wie werden Sie bezahlt?«

»Ich bin zufrieden.«

»Keine Zahlen?«

»Das ist nicht gestattet.«

»Nun, ich biete Ihnen mindestens das Doppelte oder noch mehr, und nicht nur vorübergehend. Wir müssen uns darüber genau unterhalten.«

»Wir allerdings«, sagte Simone atemlos. »Ich lasse mich nicht so schnell einfangen.«

»Das habe ich mir gedacht. Ein Blick genügt. Ich sage lhnen kurz, wofür ich Sie benötige. Die Valborg muß synchronisiert werden. Sie hat eine Kehlkopfentzündung, und der Film muß raus. Die Aufnahmen sind bestens, aber die Stimme ist unmöglich. Sie ist verzweifelt und Sie würden auch ihr einen Gefallen tun, der Ihnen etwas einbringt. Wie jung sind Sie?«

»Einundzwanzig.«

»Und solch eine Stimme!« seufzte er

Fast andächtig. »Das ist einer jener Zufälle, die man göttlich nennt. Ich hoffe, Sie werden mich nicht im Stich lassen. Da wären wir also schon. Sie können mir doch keine unlauteren Absichten unterschieben, Simone Rökken.«

»Das tue ich nicht«, erwiderte sie spontan.

»Hier ist meine Karte und dazu tausend Euro Anzahlung, damit Sie sehen, daß es mir ernst ist.«

»Ich nehme kein Geld geschenkt«, erklärte sie.

»Ich habe gewußt, daß Sie was Besonderes sind«, sagte er »Ich darf Sie bitten, mich anzurufen, damit wir alles besprechen konnen?«

»Ich kann meine Stellung nicht einfach aufgeben.«

»Wir könnten die Termine absprechen. Aber es ist sehr dringend. Mir bleibt nur noch diese Woche, und es wären täglich höchstens drei bis vier Stunden. Eine Woche Einsatz und dafür fünftausend Euro, ist das nicht ein Angebot?«

»Doch«, erwiderte sie errötend, »und ich kann es brauchen, damit meine Mutter eine Kur machen kann. Ich will jetzt hören, was der Arzt sagt. Wenn ich abends weg kann, bin ich zu einem Gespräch bereit.«

»Ich kann Ihnen einen sehr guten Arzt empfehlen. Dr. Norden«, sagte er, »Daniel Norden.«

Jetzt lächelte Simone. »Danke, den haben wir«, sagte sie. Das war nach sorgenvollem Anfang der zweite göttliche Zufall an diesem Tag, für den Rolf Hanson dankbar war. Das Mädchen gefiel ihm. Er hatte schon große Pläne im Kopf, aber es war immer gut, wenn man sich ein wenig informierte, mit wem man es eigentlich zu tun hatte.

Aber Simone gingen ähnliche Gedanken durch den Sinn. Sie war ein attraktives Mädchen und hatte schon manches Mal Angebote bekommen, die recht zwielichtig waren. Sie verließ sich nicht nur auf ihr Gefühl, das nichts gegen Hanson zu haben schien. Sie wollte festen Boden unter den Füßen spüren und nicht einen Höhenflug antreten, weil ein bekannter Produzent Interesse an ihr zeigte. Und sie wußte auch, daß ihre Mutter sehr viel dagegen einwenden wurde.

Simone liebte ihre Mutter. Sie war ohne Vater aufgewachsen, aber sie hatte nicht darunter gelitten. Ihre Mutter hatte ihr gesagt, daß der Mann, mit dem sie verlobt gewesen war, nicht zur Ehe getaugt hatte und kein Kind wollte. Das hatte ihr genügt. So einen Vater wollte sie gar nicht haben.

Hedi Röcken hatte sich als Graphikerin einen guten Namen gemacht. Üppig hatte sie mit ihrem Kind nicht leben können, aber Simone hatte auch nichts entbehren müssen. Sie hatte eine gute Schulbildung genossen und war nach der Mittleren Reife auf eigenen Wunsch auf eine Handelsschule gegangen. Sprachen lernte sie in Abendkursen. Ihr geheimer Wunsch war es schon gewesen, Schauspielerin zu werden, aber damit hatte sie ihrer Mutter gar nicht kommen dürfen, und sie wollte keine Differenzen heraufbeschwören. Zuerst hatte sie in einem Büro gearbeitet, aber die männlichen Angestellten waren ihr zu aufdringlich gewesen, und als sich dann die Stellung als Telefonistin anbot und sie dort auch gleich mehr verdiente, hatte sie nicht lange gezögert. Ihr war es nur recht, wenn sie keinen direkten Belästigungen ausgesetzt war.

Als sie jetzt die Haustür aufschloß, fuhr gerade Dr. Nordens Wagen vor. Das kam ihr wie gerufen, sie war ohnehin früher zu Hause, als wenn sie mit der S-Bahn gefahren wäre.

»Sie sind ja schon da, Simone«, sagte Dr. Norden erfreut. »Das ist fein. Ich bin mal wieder in Zeitnot.«

»Schade, ich hätte Sie sehr gern etwas gefragt«, erwiderte Simone.

»Nun, so viel Zeit wird schon sein.«

»Ist Ihnen ein Herr Hanson bekannt?« Sie blickte auf seine Karte, die sie noch in der Hand hielt. »Rolf Hanson?«

»Der Produzent? Aber ja. Ich bin dort Hausarzt.«

»Er hat mir ein Angebot gemacht, aber ich wollte mich vergewissern, ob er tatsachlich seriös ist.«

»Nun, das kann ich guten Gewissens bestätigen. Eine nette Familie. Eine reizende Frau, der Sohn ist dreiundzwanzig, die Tochter zwanzig. Da brauchen Sie sich wirklich nichts zu denken, Simone. Worum geht es denn?«

»Er ist auf meine Stimme aufmerksam geworden. Ich könnte synchronisieren und würde sehr gut verdienen. Dann konnte ich Mutsch zur Kur schicken.«

»Das konnten Sie auch so. Ich wollte ihr schon den Vorschlag machen, daß sie mal richtig ausspannt. Es ist keine Grippe, Simone, es ist einfach ein Erschöpfungszustand.«

»Sie mutet sich zuviel zu, ich habe es immer gesagt, aber sie wollte ja nie hören. Aber ich möchte gern, daß sie auf die Insel der Hoffnung geht, da würde es ihr doch bestimmt gefallen.«

»Dann werden wir sie mal überreden«, meinte er lächelnd.

»Und sie bräuchte nicht zu erfahren, daß ich Herrn Hansons Angebot annehme. Sie wird fuchsig, wenn nur etwas entfernt mit Schauspielerei zu tun hat. Dabei ist sie doch sonst wirklich nicht altmodisch.«

»Es wird halt auch viel Negatives berichtet, und sie sorgt sich um ihre reizende Tochter«, meinte Dr. Norden nachsichtig.

»Heute werde ich ja mit Komplimenten förmlich überschüttet«, sagte Simone lächelnd.

»Aber ich bin froh, daß Sie Hanson als seriös bezeichnen. Man wird vorsichtig.«

»Was nicht schlecht ist, aber man darf auch nicht zu mißtrauisch werden.«

»Das hab’ ich wohl von Mama gelernt«, meinte sie schelmisch. »Dennoch muß ich gestehen, daß mich Herrn Hansons Angebot sehr reizt.«

»Er ist jedenfalls kein Schaumschläger«, sagte Dr. Norden.

*

Sicher war Hedi Röcken einmal genauso hübsch gewesen wie ihre Tochter, aber augenblicklich war sie nur ein Schatten ihrer selbst, von Migräne und Nervenschmerzen geplagt, die zu Fieberanfällen geführt hatten. Daß sie sehr an Gewicht verloren hatte, hatte Dr. Norden große Sorgen bereitet, aber seine Befürchtungen hatten sich glücklicherweise nicht bestätigt. Hedi Röcken brauchte einfach mal Ruhe, Tapetenwechsel, den sie sich viele Jahre nicht gegönnt hatte.

Gemeinsam mit Simone gelang es ihm an diesem Tag tatsächlich, sie zu überreden.

»Ich weiß ja, daß ich aufgemöbelt werden muß«, sagte sie, »es gefällt

mir nur nicht, daß Simone dann allein ist.«

»Mutsch, ich hitte dich. Ich bin erwachsen«, sagte Simone. »Ich werde mich doch selbst versorgen können. Schau, ich kann dich doch jeden Tag anrufen, damit du dir keine Gedanken zu machen brauchst. Und es tut mir mal ganz gut, alles selbst machen zu müssen. Und Herr Goetz kann auch mal ohne dich auskommen.«

Hedi senkte ihren Blick. »Er hat schon Ersatz für mich«, sagte sie leise. »Die Jüngeren kommen nach.«

Da liegt also der Hase im Pfeffer, dachte Dr. Norden. Sie fühlt sich zurückgesetzt.

»Das wird er bereuen«, sagte Simone heftig. »Aber du hast doch noch ganz andere Möglichkeiten, Mutsch. Bei Goetz ist es doch auch immer dasselbe.«

»Man ist eben ein Gewohnheitsmensch«, sagte Hedi.

»Und versauert dabei«, sagte Simone. »Finden Sie das nicht auch, Herr Dr. Norden?«

»Ich denke, daß Sie eine ganz andere Einstellung zum Leben bekommen, wenn Sie neue Eindrücke gewonnen haben, Frau Röcken. Was heute so wichtig erscheint, ist dann vergessen. Raffen Sie sich auf. Die Frau von Dr. Schoeller kommt morgen nach München und könnte Sie übermorgen gleich mitnehmen. Da kamen Sie schnell und sicher zur Insel.«

»Das wäre doch fein, Mutsch«, sagte Simone erfreut.

»Es geht ein bißchen zu schnell.«

»Ach was, sag Dr. Norden lieber ein Dankeschön, daß er so lieb um dich besorgt ist.«

Hedi ließ ihren Blick zwischen den beiden hin und her wandern. »Das war wohl schon vorher abgesprochen«, meinte sie.

»Gedanken hahe ich mir ebenso gemacht wie Simone auch, Frau Röcken«, erwiderte Dr. Norden rasch, »aber jetzt bietet sich eben diese günstige Gelegenheit.«

»Dann danke ich Ihnen. Es ist wirklich lieb von Ihnen, Herr Doktor. Ich freue mich, Ihre Insel kennenzulernen. Das ist ja nicht so ein Sanatorium, wo man noch mehr Komplexe bekommt.«

»Man ist darauf bedacht, den Patienten etwaige Komplexe zu nehmen, Frau Röcken. Ich rufe noch mal an und sage Bescheid, wann Frau Schoeller Sie abholt.«

»Und wir werden gleich packen. Morgen habe ich doch den ganzen Tag Dienst«, sagte Simone.

Sie errötete, als Dr. Norden ihr einen schrägen Blick zuwarf, aber das merkte ihre Mutter nicht. Erst später fragte sie, wieso sie schon wieder den ganzen Tag Dienst hätte.

»Es ist eine neue Einteilung, Mutsch«, erwiderte Simone rasch. »Ich kann mich nicht dagegen sträuben.«

»Ich bin ja froh, daß du eine so gute Stellung hast, Kind. Es ist viel wert, wenn man sich wohl fühlt und gern arbeitet.«

»Du hast dich bei Goetz anscheinend nicht mehr wohl gefühlt«, tastete sich Simone vor. »Warum hast du nicht darüber gesprochen?«

»Ich wollte es nicht wahrhaben, Simone. Er hat sich von so einem jungen Ding becircen lassen. Wenn die Männer erst mal über fünfzig sind, kommt der zweite Frühling, und dann merken sie nicht, wenn sie nur ausgenutzt werden.«

»Du hattest doch nicht etwa etwas für ihn übrig, Mutsch!« entfuhr es Simone.

»Gott bewahre, aber so viele Jahre ist man doch gut ausgekommen und dann wird man zum alten Eisen geworfen.«

»Jetzt mach es aber halblang. Du bist zweiundvierzig und könntest viel cleverer sein. Er wird zu Kreuze kriechen, paß mal auf.«

»Nein, das ist vorbei, aber Dr. Norden mag schon recht haben. Was heute wichtig ist morgen nichtig. Ich ärgere mich nur, daß ich andere Angebote abgelehnt habe.«

»Du wirst wieder welche bekommen, aber du erholst dich erst mal gründlich«, sagte Simone. »Ich war viel zu egoistisch.«

»Jetzt fang nicht damit an, mein Liebes. Jetzt machen wir uns einen Kaffee, und dann muß ich überlegen, was ich mitnehme.«

»Zuerst das, was noch unbedingt besorgt werden muß. Das mache ich dann gleich nachher«, sagte Simone.

Einen Hintergedanken hatte sie freilich dabei auch. Von zu Hause aus mochte sie nicht telefonieren. Frei von Gewissensbissen war sie auch nicht, denn noch nie hatte sie Heimlichkeiten vor ihrer Mutter gehabt, aber nun schien ihr Hansons Angebot doch sehr verlockend, und sie brauchte sich nicht jeden Tag eine neue Ausrede auszudenken, warum sie so oft und so lange fern war, denn das hätte ihre Mutter doch stutzig gemacht, da sie sehr selten allein ausging. Einmal im Monat traf sie sich mit ein paar Schulfreun­dinnen zum Bowling, im Winter zum Schlittschuhlaufen, oder sie ging auch mal schwimmen.

Hedi Röcken war keine egoistische Mutter, die ihr einziges Kind nur für sich haben wollte und da sie selbst beruflich sehr angespannt gewesen war, hatte sie Simone sogar zugeredet, doch allein etwas zu untemehmen, um unter Gleichaltrige zu kommen. Angst hatte sie stets nur gehabt, daß Simone einmal an den falschen Mann geraten könnte, so wie sie selbst. Das wäre schlimm für sie gewesen.

Diesen Teil ihrer Vergangenheit hatte Hedi noch immer nicht bewältigt. Zu tief war sie in ihrem Stolz getroffen worden, als daß sie diese Zeit ganz aus ihrem Gedächtnis verbannen konnte. Sie hatte diesen Mann geliebt und alle Konsequenzen daraus gezogen, bis er dann von ihr verlangt hatte, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Da hatte sie kurzerhand den Schlußpunkt gesetzt, jedoch auch wissend, daß er seine eigenen Wege gehen würde, und wenn sie ihre Simone jetzt betrachtete, dieses liebenswerte, bezaubernde Mädchen, dann wurde es Hedi immer wieder bewußt, um was sie sich gebracht hätte, wenn sie auf das Kind verzichtet hätte, denn sie war auch zu der Überzeugung gelangt, daß jener Mann niemals ein Leben lang bei ihr geblieben wäre.

Aber darüber sprach sie mit Simone nie. Damit sollte ihre Tochter nicht belastet werden.

Simone hatte eine Liste aufgestellt, was alles noch besorgt werden wurde, und sie duldete keinen Widerspruch von ihrer Mutter, daß manches wirklich nicht nötig sei.

»Du wirst es dir gutgehen lassen, Mutschi«, sagte sie weich. »Ich kann doch auch mal was für dich tun, da du solange für mich gesorgt hast.«

»Ich habe mich nie für etwas so überstürzt entschieden, Simone«, sagte Hedi nachdenklich.

»Jetzt fang nicht wieder damit an. Es ist gut so. Ruh dich jetzt aus. Die Koffer packen wir nachher zusammen.«

Und dann ging sie schnell. Ihr er-

ster Weg führte zu einer Telefonzelle. Sie wählte die Nummer von Rolf Hanson.

Es meldete sich eine Männerstimme.

Sie nannte ihren Namen. »Ja, worum handelt es sich?« wurde sie gefragt.

»Über Ihr Angebot. Haben Sie es schon vergessen?« fragte sie bestürzt.

»Ach, Sie wollten wohl meinen Vater sprechen. Ich bin André Hanson. Entschuldigen Sie…«, und dann nahm ihm wohl jemand den Hörer aus der Hand. Eine weiche, warme Frauenstimme tönte nun an Simones Ohr. »Fräulein Röcken? Mein Sohn wußte nicht Bescheid. Mein Mann ist leider noch nicht wieder zurück, aber ich bin informiert. Sind Sie zu einem Gespräch bereit?«

»Ja, ich könnte morgen vormittag früher in die Stadt kommen«, erwiderte Simone zögernd.

»Kommen Sie zu uns«, sagte Irene Hanson. »Wann ist es Ihnen recht?«

»Ich dachte so gegen elf Uhr?«

»Fein, das wird meinem Mann sehr recht sein. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«

Simone war verwirrt über so viel Entgegenkommen, aber es bewies ihr, daß Rolf Hanson keine Unklarheiten aufkommen lassen wollte.

Der Gedanke war beruhigend, und sie meinte für sich, daß in diesem Fall eigentlich auch ihre Mutter keine Einwendungen machen könnte.

Sie machte die Besorgungen, strich gewissenhaft alles von der Liste, was sie gekauft hatte, und nun brauchte sie nur noch die Drogerie aufzusuchen. Und da traf sie Roland Goetz. Er kam gleich auf sie zu, und sie wappnete sich mit Abwehr. Er hatte ihre Mutter gekränkt, und das machte sie zornig.

»Freut mich, Sie zu treffen, Fräulein Röcken«, sagte er. »Wie geht es denn der Mama?«

»Wieder besser. Sie wird jetzt eine längere Kur machen«, erwiderte Simone kühl.

»Oh, ich hätte sie dringend gebraucht«, sagte er.

»Ich denke, Sie haben Ersatz?« fragte Simone anzüglich.

»Nun ja, von Ersatz kann man nicht reden. Ich dachte doch nur, Ihre Mutter entlasten zu können. Hat sie das etwa falsch verstanden?«

»Ich denke, daß sie es richtig verstanden hat, Herr Goetz. Nein, mit meiner Mutter können Sie nicht mehr rechnen. Sie kann sich vor Aufträgen nicht retten, aber ich bestehe darauf, daß sie sich erst mal Ruhe gönnt und nur an sich denkt. Und jetzt habe ich es eilig, weil ich noch einiges besorgen muß. Guten Abend.«

Er stand wie ein begossener Pudel da, aber das konnte Simone nur freuen. Und sie dachte gar nicht daran, ihrer Mutter etwas von dieser Begegnung zu erzählen.

Als sie aber heimkam, läutete gerade das Telefon. Und Simone hörte, wie ihre Mutter »Herr Goetz« sagte. Schnell trat sie neben sie und legte die Hand auf die Muschel. »Du wirst eiskalt und ablehnend sein, Mutsch!« zischte sie.

Hedi war sowieso nicht bereit gewesen, ihrem früheren Auftraggeber Gehör zu schenken. Sie machte es kurz. »Ich fahre übermorgen weg, Herr Goetz, und ich habe auch keine Zeit mehr zu einem persönlichen Gespräch. Nein, ich werde es mir nicht anders überlegen.«

Das Gespräch war beendet. Hedi warf Simone einen schrägen Blick zu, aber in ihren Augen blitzte es beinahe übermütig. »Er hat gesagt, daß er dich getroffen hat. Was hast du ihm denn alles untergejubelt?«

»Daß du mit Aufträgen eingedeckt bist. Es hat ihn geschlaucht Mutsch. Du hast deinen Triumph, aber du hast es wirklich nicht nötig, jetzt wieder umzuschwenken.«

»Du scheinst mich doch nicht richtig zu kennen, mein Herzblatt. Wenn ich einmal nein sage, ist es auch nein.«

Simone sah ihre Mutter nachdenklich an. »Einem solchen Nein habe ich wohl meine Existenz zu verdanken?« fragte sie gedankenvoll.

Hedi griff nach ihrer Hand. »Da muß ich wohl mit einem schlichten Ja antworten.«

Simone fiel ihr um den Hals und küßte sie. »Ich danke dir, liebste, allerliebste Mutsch. Ich danke dir, daß du mir das Leben geschenkt hast und immer eine so wundervolle Mutter warst und bist.«

Hedis Augen wurden feucht. »Ich liebe dich doch so sehr, mein Kleines. Ich wünsche, daß du glücklich wirst. Du sollst nicht immer Rücksicht auf mich nehmen, du sollst nur kritisch sein in der Wahl deines Partners. Und mich sollst du nicht als Anhängsel betrachten, das zu allem Ja und Amen sagen will. Ich weiß, daß du viel realistischer denkst als ich. Aber das Gefühl sollte auch nicht zu kurz kommen.«

Hedi streichelte ihr Haar, und Simone lehnte ihren Kopf an ihrer Mutter Wange. »Wenn ich mal einen Mann kennenlerne, der mir wirklich gefällt, werde ich ihn angeschleppt bringen«, sagte sie mit einem leisen Lachen, »und dann werden wir beide ihn auf Herz und Nieren prüfen. Ohne dich geht es nicht.«

Und als sie dann in ihrem Bett lag, dachte sie: Die fünftausend Euro werde ich mir verdienen, und davon werden wir einen schönen Urlaub machen, aber wenn es dann durch Hanson weitergehen konnte, soll Mutti einverstanden sein. Ich will sie doch nicht belügen, und ich will auch nichts tun, was ihr nicht gefällt.

*

Kurz vor sechs Uhr war Rolf Hanson in Dr. Nordens Sprechzimmer erschienen.

»Wo fehlt es denn?« wurde er von Dr. Norden begrüßt. »Krank sehen Sie nicht aus.«

»Ich wollte mich nach einer anderen Patientin von Ihnen erkundigen«, erklärte Rolf Hanson, und er war dabei sichtlich verlegen.

Bei Dr. Norden schlug ein Glöckchen an, aber er verriet sich nicht.

»Um wen handelt es sich?« fragte er.

»Um Frau Röcken. Es geht nämlich darum, daß ich Fräulein Röcken kennenlernte. Sie hat eine phantastische Mikrophonstimme, sehr für Synchronisation geeignet.«

»Sie ist ja geschult«, sagte Dr. Norden.

»Sie haben schon mit ihr gesprochen?«

»Ja, aber sie scheint große Rücksicht auf ihre kranke Mutter zu nehmen. Mir brennt es unter den Nägeln, Dr. Norden. Die Valborg hat eine Kehlkopfentzündung, aber der Film muß fertiggestellt werden.«

»Es ist kein Geheimnis, wenn ich Ihnen verrate, daß Frau Röcken übermorgen eine Kur antritt, aber wenn Simone verschaukelt wird, kündige ich Ihnen die Freundschaft.«

»Ich bin bereit, ihr viel zu bieten, mehr als einer anderen, und ich könnte diesem Mädchen eine große Karriere nicht nur prophezeien, ich würde diese sogar garantieren, Dr. Norden«, sagte Rolf Hanson.

»Das steht auf einem anderen Papier. Ich weiß, daß Simone mal den Wunschtraum hegte, Schauspielerin zu werden. Aber ihre Mutter ist strikt dagegen, obgleich sie sonst eine sehr liebevolle und vorbildliche Mutter ist. Und was Simones Stimme betrifft, kann ich Ihnen nur recht geben.«

»Sie würden mich aber wohl nicht ein bißchen unterstützen?« fragte Rolf Hanson.

»Nein, das würde ich nicht. Frau Röcken hat Vertrauen zu mir, das ich niemals enttäuschen möchte. Sie hat ihre Tochter allein aufgezogen. Das möchte ich Ihnen sagen. Sie hat geschuftet, damit das Mädchen wirklich nichts zu entbehren brauchte. Ich sage Ihnen das, weil ich weiß, daß Sie keinen Gebrauch davon machen werden.«

»Ich werde Sie auch nicht enttäuschen«, erwiderte Rolf Hanson. »Es ist gut, daß Sie mir das gesagt haben, denn manchmal ist man ja egoistisch, wenn einem solch Naturtalent über den Weg läuft. Es ist ja nicht nur die Stimme, sie sieht auch bestens aus. Ein ganz besonders aparter Typ.«

Dr. Norden lächelte.

»Ich bin froh, daß Sie glücklich verheiratet sind und der zweite Frühling bei Ihnen nicht zu befürchten ist«, sagte er.

»Der erste herrscht in meiner Ehe noch immer«, erwiderte Hanson lachend. »An meine Irene kommt keine Frau heran. Gelegenheit hat sich oft genug geboten. Jetzt kann ich nur hoffen, daß Fräulein Röcken Frau Valborg ihre Stimme leiht. Dann brauche ich um den Erfolg des Filmes nicht mehr zu fürchten.«

»So sicher sind Sie?«

»Ja, so sicher. Das Mädchen ist nicht nur bildhübsch, es ist auch intelli-

gent.«

»Dann möchte ich aber zur Premiere eingeladen werden, natürlich mit meiner Frau.«

Rolf Hanson sah ihn erstaunt an. »Das würde mir die größte Freude sein«, sagte er herzlich.

*

André Hanson hatte gerade das Haus verlassen wollen, als sein Vater kam. Nun blieb er und musterte den Älteren forschend.

»Was ist mit dem Mädchen, Paps?« fragte André.

»Die Stimme!«

»André meint Fräulein Röcken«, warf Irene Hanson ein, die ganz rasch die Diele betreten hatte. »Er scheint zu denken, daß du fremd gehst, Rolf.«

»Na und, diese karrieresüchtigen Mädchen versuchen doch alle Maschen«, sagte André.

»Werde bloß nicht albern«, sagte Rolf. »Mit solcher Stimme braucht man das nicht.«

»Und vergiß deine Verabredung mit Gabi nicht«, warf Irene ein. »Du kannst ruhig gehen.«

»Und mal nachforschen, ob nicht deine Gabi karrieresüchtig ist«, sagte Rolf bissig. »Oder hast du ihr etwa eingeredet, daß sie Alice Valborg ihre Stimme leihen könnte? Da bist du schief gewickelt, Junior. Flötentöne kann ich da nicht brauchen.«

»Und Ma wird tolerant sein« sagte André bissig. »Viel Vergnügen!«

»Gleichfalls«, sagte Irene.

»Spinnt er?« fragte Rolf, als André die Tür zugeschlagen hatte.

»Gabi hat ihn unter der Fuchtel. Er wird noch viel Lehrgeld bezahen müssen, Rolf, wie sein Vater«, fügte sie dann lachend hinzu.

»Aber ich bin bei dir hängengeblieben und habe es nie bereut.«

»Hoffen wir, daß er auch so schnell schlau wird. Ein Jahr hat er noch Zeit. Hast du eigentlich schon mal daran gedacht, daß wir nächstes Jahr Silberhochzeit haben, Rolf?«

»Mein Schatz, habe ich jemals diesen Tag vergessen? Mir vergeht nur die Zeit viel zu schnell, und für mich bist du jung und schön wie damals.«

Er hielt sie in den Armen, und sie sah ihn nachdenklich an. »Und warum sollte sich nicht ein junges Mädchen in dich verlieben, Rolf? Vielleicht eins, das so eine Vaterfigur sucht?«

»Wenn du Simone Röcken meinst, lerne Sie erst mal kennen, Reni«, sagte er. »Ich wäre glücklich, wenn unser Sohn mal so eine Schwiegertochter daherbrächte. Aber er läßt sich von einer Gabi Nichts an die Angel legen.«

»Gabi Nickmann«, sagte Irene sanft.

»Ich kann nur hoffen, daß er selbst noch dahinterkommt, daß sie ein Nichts mit viel Ambitionen ist. Solange sie nicht den Mund auftut, mag es ja noch gehen, aber…«

»Jetzt hör auf, Rolf. Vicky kommt, und sie ist Gabis Freundin.«

Victoria Hanson trat ein, ein zierliches blondes Mädchen. Elflein, wurde sie von ihrem Vater oft genannt, und so sah sie auch aus.

»Störe ich?« fragte sie leise.

»Aber nein, Kleines, du störst nie«, erwiderte Rolf.

»Hattet ihr Krach mit André? Ich habe ihn draußen getroffen. Er hat sich nicht geäußert.«

»Er hat nur Anstoß genommen, daß ich eine junge Dame mit einer ungewöhnlich schönen Stimme engagieren will«, sagte Rolf Hanson.

»Für Alice?« fragte Victoria leise. »Ich war eben bei ihr. Sie ist sehr verzweifelt. Warum kann man ihr nicht helfen? Begreifst du eigentlich nicht, daß sie wahnsinnig deprimiert ist, Paps? Wer kann denn ihre Stimme ersetzen?«

Rolf Hanson sah seine Frau an. »Unsere Kinder sind gegen mich, Reni, aber ich kann doch nicht zaubern. Ich kann doch den Film nicht wegschmeißen, weil Alice die Kehlkopfentzündung hat. Ich kann Konkurs anmelden, wenn der Film kein Erfolg wird. Begreifst du das wenigstens, Vicky?«

Das Mädchen sah ihn erschrocken an. »Daran habe ich nicht gedacht, Paps«, sagte sie leise.

»Dann denk endlich mal darüber nach, wovon wir leben. Für Simone Röcken bedeuten fünftausend Euro, daß ihre Mutter mal eine Kur machen kann. Dieses Mädchen mit einer phantastischen Stimme verdient sich ihr Geld als Telefonistin. Sie hat keinen Starfimmel wie deine Freundin Gabi, mein liebes Kind. Sie ist äußerst mißtrauisch, und wenn sie nein sagt, dann gute Nacht, meine Lieben. Ich kann nichts dafür, daß Alice ihre Stimme verloren hat, sie kann auch nichts dafür, aber sie denkt an ihren Profit genauso wie ich an meinen. Aber wir können es gern mal andersrum versuchen. Mal sehen, was ihr macht, wenn ihr plötzlich vor dem Nichts steht.«

»Paps, so habe ich das doch nicht gemeint«, schluchzte Vicky auf.

»Aber vielleicht bringst du es fertig, das deinem Bruder klar zu machen.«

»Wozu die Aufregung« sagte Irene einlenkend. »Fräulein Röcken kommt morgen um elf Uhr, Rolf. Und ich bin von ihrer Stimme sehr angetan.«

»Wenn ich dich nicht hätte«, sagte er, und da verließ Victoria das Zimmer.

»Wieso war sie bei Alice?« fragte er.

»Sie rief an. Schließlich ist sie Vickys Patin«, sagte Irene ruhig.

»Und dann macht sie dem Mädchen den Kopf ganz heiß, nachdem sie mir versichert hat, wie glücklich sie doch wäre, wenn ich eine Synchronstimme finden würde.«

»Sie ist down, Rolf. Sie müßte völlig abschalten. Ich habe schon überlegt, ob sie nicht mal ein paar Wochen auf die Insel der Hoffnung gehen sollte.«

»Wenn du sie dazu überreden kannst? Aber frag erst Dr. Norden. Und bei dieser Gelegenheit könntest du dich dann zu deiner Beruhigung auch über Simone Röcken erkundigen. Er kennt sie nämlich auch.«

»Ich brauche keine Beruhigung, Rolf«, erwiderte sie lächelnd. »Ich kenne meinen Mann, und morgen werde ich Simone Röcken kennenlernen.«

»Und ich bin überzeugt, daß du das gleiche sagen wirst wie ich. Ich wünschte, Vicky hätte so viel Rückgrat wie dieses Mädchen.«

»Vicky wurde von ihrem Vater sehr verhätschelt«, sagte Irene nachsichtig.

»Würdest du mir ehrlich sagen, was ich für Fehler gemacht habe, Irene?« fragte er nachdenklich.

»Seit wir verheiratet sind, könnte ich dir keine nachweisen, Rolf«, erwiderte sie lächelnd. »Vielleicht nehmen die Kinder deswegen alles tragisch, was ihnen nicht in den Kram paßt.«

Und da platzte Vicky wieder herein. Sie hatte geweint, man sah es noch.

»Damit ihr es nur wißt«, platzte sie heraus, »so eine gute Freundin ist Gabi nun auch wieder nicht, aber bei Alice ist es was anderes. Sie hat einfach Angst vor dem Alter und daß alles für sie vorbei ist. Und so einem Menschen muß man doch helfen.«

»Ich will ihr doch helfen, Kleines. Aber ich kann ihr am besten helfen, wenn jemand ganz anonym ist, ihr die Stimme zu geben, die sie jetzt nicht mehr hat. Kannst du dir nicht vorstellen, daß ich froh bin, diese Stimme gefunden zu haben, Vicky? Als dieses Mädchen sich am Telefon meldete, meinte ich zuerst, es wäre Alice, und als ich sie dann kennenlernte, stellte ich sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Alice fest.«

»Und jetzt willst du eine zweite Alice aus ihr machen, Paps?«

»Mein liebes Kind, jetzt möchte ich dir ganz emsthaft mal etwas sagen: Eine Simone Röcken läßt sich nicht zu Alice Valborg machen oder zu jemand anderem. Sie ist einundzwanzig Jahre, aber sie weiß genau, was sie will und was sie tut. Lerne sie mal kennen, und vergleiche sie mit Gabi.«

»Das werde ich auch tun«, erwiderte Vicky trotzig.

»Morgen, elf Uhr, erscheint sie hier«, sagte Irene ruhig. »Du kannst ihr ja die Tür öffnen, wenn du ausgeschlafen hast.«

»Ich gehe heute abend nicht aus«, sagte Vicky darauf kleinlaut.

»War nicht die Rede davon, daß Gabi eine Party gibt?« fragte Irene erstaunt.

»Ich gehe nicht hin«, erwiderte Vicky. »Mich braucht sie bloß zum Aufräumen.«

Und dann verschwand sie wieder. Rolf lächelte breit. »Mit der Zeit wird sie auch schlauer«, sagte er.

»Mir wäre es noch lieber, wir könnten das von André auch sagen«, meinte Irene leise.

»Für mich zählt vor allem, daß zwischen uns kein Keil getrieben wird, Reni« sagte er. »Jeder muß seine Erfahrungen machen.«

*

Gabi Nickmanns Vater war Bauunternehmer und hatte seiner Tochter eine komfortable Dachterrassenwohnung eingerichtet. Seine Frau hatte sich scheiden lassen, als Gabi fünfzehn war, und er war stolz gewesen, als ihm das Sorgerecht zugesprochen wurde. Das hob sein Image, und er zeigte sich Gabi dafür erkenntlich. Außerdem hatte er sich seine persönliche Freiheit damit erkauft, daß er seiner Tochter alle Freiheiten ließ, als sie mündig war.

Gabi bekam monatlich ihre Überweisung auf die Bank und konnte damit tun und lassen, was sie wollte. Sie hatte sich einen anhänglichen Freundeskreis gewonnen, denn sie geizte nicht. Aber sie konnte auch sehr ungehalten sein, wenn man sich ihr nicht entsprechend erkenntlich zeigte.

Das bekam André zu spüren, als er zu ihr kam. »Ich finde es gemein von Vicky, daß sie mich im Stich läßt«, beschwerte sich Gabi sogleich ungehalten.

»Wieso?« fragte er verblüfft? »Sie war bei Alice und ist nicht in Laune, um die Party mitzumachen.«

»Und der Dreck bleibt mir allein«, murrte Gabi. »Ich sehe auch nicht ein, daß alle immer bei mir herumhocken. Ich werde nie eingeladen.«

»Du brauchst ja auch niemanden einzuladen, wenn du nicht willst«, sagte André gleichmütig.

»Es hat sich eben so eingebürgert, daß wir mittwochs bei mir zusammenkommen.«

»Dann hängen wir eben ein Schild an die Tür: Wegen dringender Familienangelegenheiten leider abwesend«, schlug er vor.

»Was du immer für Ideen hast«, sagte sie mürrisch. »Aber eigentlich nicht schlecht. Und was machen wir?«

»Wir fahren irgendwohin und reden mal vernünftig miteinander, Gabi«, erwiderte er.

»Worüber?«

»Über uns.«

In ihren Augen blitzte es auf. »Willst du mir etwa einen Heiratsantrag machen?« fragte sie erregt.

»Das nicht gerade. An Heirat ist bei mir noch nicht zu denken, aber wir müssen doch mal eine gemeinsame Linie finden.«

»Was für eine?«

»Ich meine, daß du dich nicht darauf versteifen solltest, über meinen Vater eine Filmkarriere zu machen, er hat da nämlich Prinzipien.«

»Kannst du dich nicht ein bißchen deutlicher ausdrücken?«

»Du bist fotogen, aber zur Schauspielerin langt es nicht, um es ganz deutlich zu sagen.«

»Das sagt dein lieber Vater.«

»Wenn ich ehrlich sein soll, Gabi, ich sage es auch. Es hat doch keinen Sinn.«

»Halt deinen Mund!« schrie sie ihn an. »Du willst es nur nicht mit ihm verderben, weil du abhängig von ihm bist. Aber ich bin unabhängig. Mein Vater ist nicht so borniert wie deiner. Ich werde einen anderen Produzenten finden, auch ohne deine Hilfe.«

Er starrte sie an. »Darauf geht es hinaus. Du wolltest mich auch nur für deine Zwecke einspannen?« sagte er tonlos.

»Dreh mir nicht das Wort im Mund um. Ich habe von dir erwartet, daß du meine Interessen vertrittst«, sagte sie. »Zumindest hätte ich auch etwas mehr Entgegenkommen von deinem Vater erwartet.«

»Er hat seine eigenen Ansichten.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Dann werde ich mich eben anderweitig engagieren«, sagte sie spitz.

»Tu, was du nicht lassen kannst«, erwiderte André erbost. »Ich weiß jetzt jedenfalls Bescheid. Dann viel Vergnügen heute abend.«

Sie wurde noch wütender. »Nun spielst du auch noch den Beleidigten.«

»lch habe nicht gedacht, daß ich für dich nur ein Mittel zum Zweck bin«, erklärte er aggressiv. »Ich ziehe daraus meine Konsequenzen.«

Dann ging er, und sie lachte schrill hinter ihm her. Es gefiel ihm nicht. War er blind und taub gewesen? Oder so verliebt, daß er ihre Fehler einfach nicht sehen wollte?

Er fuhr nicht nach Hause. Er ging in eine Disco. Es war noch kein Betrieb, aber ein paar junge Leute saßen an der Bar, die er kannte und die Gabi auch für diesen Abend eingeladen hatte.

»Willst du uns abschleppen, An­dré?« fragte einer. »Keine Chance. Tendenz lustlos. Ist doch immer derselbe Quatsch bei Gabi. Langweilt es dich auch?«

»Hattet ihr etwa Krach?« fragte ein anderer, als André düster vor sich hin starrte. »Warum hast du Vicky nicht mitgebracht?«

»Sie ist zu Hause«, knurrte André. »Ein Bier, bitte.«

Aber auch hier blieb er nicht lange. Er bummelte dann noch durch die Straßen und versuchte, mit sich ins reine zu kommen.

*

Bei den Nordens herrschte ver­gnügte Stimmung. Isabel Schoeller war schon eingetroffen, und da gab es viel zu erzählen. Zuerst hatte sie sich natürlich mit den Kindern beschäftigen müssen.

Sie kannten sich schon lange. Vor ihrer Ehe mit dem Arzt Dr. Jürgen Schoel­ler war Isabel eine bekannte Journalistin gewesen, und niemand hatte es für möglich gehalten, daß ihr das Leben auf der Insel der Hoffnung auf die Dauer behagen würde. Aber Isabel trennte sich von Mann und ihren Kindern und der Insel tatsächlich nur, wenn sie in München einkaufen mußte. Freilich freute sie sich dann auch, mit den Nordens beisammen zu sein, mit denen sie eine herzliche Freundschaft verband.

Selbstverständlich hatte sie sich auch sofort bereit erklärt, Hedi Röcken mitzunehmen.

»Ist überhaupt noch Platz?« fragte sie.

»Ich habe mit Paps schon telefoniert«, erwiderte Fee. »Du weißt ja, daß er uns nie einen Korb gibt. Ich kann manchmal nur staunen, daß es überhaupt keinen Leerlauf gibt.«

»Wir sind auch schon für’s nächste Jahr ausgebucht«, erklärte Isabel. »Ist doch fein, endlich wirft die Insel Gewinn ab. Die Belastungen sind getilgt. Das zehnjährige Bestehen der Insel der Hoffnung kann groß gefeiert werden.«

»Wenn dazu Zeit ist«, meinte Daniel schmunzelnd.

»Die wird sich genommen, das schwöre ich euch«, sagte Isabel.

»Ich habe nicht gedacht, daß wir so rasch Gewinn erzielen würden«, sagte Daniel.

»Hannes hat halt die richtige Frau gefunden«, meinte Isabel verschmitzt. »Ich kann Anne immer nur bewundern.«

»Und wir hätten nie gedacht, daß dir dieses Leben gefallen würde, Isabel«, sagte Fee.

»Gefallen ist gar kein Ausdruck. Ich weiß doch erst jetzt, was tiefinnerliches Glück ist. Ich habe es euch zu verdanken. Auf daß wir es noch lange genießen können«, sagte sie, ihr Glas hebend. »Was sonst so alles in der Welt passiert, kann einem doch nur Angst einjagen.«

Sie richtete ihren Blick auf Daniel. »Hast du nicht mal gesagt, daß du deine Praxis aufgibst, wenn Hannes ins Rentenalter kommt?«

»Er denkt doch gar nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen«, sagte Daniel.

»Und wir werden ihm nicht das Gefühl geben, daß er eigentlich ins Rentenalter kommt«, warf Fee ein. »Ein paar Allgemeinmediziner werden hier auch noch gebraucht.«

»Die großen Idealisten«, sagte Isabel gedankenvoll. »Die anderen spezialisieren sich und haben geregelte Sprechzeiten, und dann ist Feierabend.«

»Beschrei es bitte nicht«, seufzte Fee. Und es dauerte nicht lange, da läutete schon das Telefon.

Es war Rolf Hanson. Er entschuldigte sich wegen der späten Störung. Alice Valborg sei zu ihm gekommen, einem Nervenzusammenbruch nahe. Ob es wohl möglich sei, daß Dr. Norden kommen könne.

»Da kann ich schlecht nein sagen« erklarte Daniel. »Es handelt sich um die Valborg.«

»Was fehlt ihr denn?« fragte Isabel aufhorchend.

»Fee kann es dir erklären. Ich werde hoffentlich bald zurück sein«, erwiderte Daniel.

*

»Sie hat eine Kehlkopfentzündung«, erklärte Fee.

»Das ist schlimm in diesem Beruf«, meinte Isabel, »und langwierig. Und sie muß doch jetzt schon über vierzig sein. Da kommt die Existenzangst dazu.«

»Doch nicht, wenn man so viel verdient hat«, sagte Fee.

»Sie hat auch viel einstecken müssen«, sagte Isabel. »Ich kann mich noch gut erinnern. Ich hatte mal ein Gespräch mit ihr, als ich noch die rasende Reporterin war. Da hatte sie gewaltige Scherereien mit ihrem Bruder. Der Name Rex Borg sagt dir wohl nichts?«

»Nein«, erwiderte Fee.

»War ein ganz bekannter Schauspieler. Kometenhafter Aufstieg und ebenso schneller Sturz. Nur wenige Eingeweihte wußten, daß er der Bruder von der Valborg war. Borg ist ihr richtiger Name. Sie hat sich aber nie mit ihrem Bruder verstanden, und dann hat er auf ihren Namen gepumpt, soviel ich mich erinnere. Die Aufregung schlug ihr schon damals aut die Stimmbänder, daran erinnere ich mich genau. Sie ist übersensibel.«

»Und eine großartige Schauspielerin«, sagte Fee.

»Aber nie ihrer selbst sicher, ob sie wirklich so spielt, wie andere es sehen wollen. Ich bin sehr gespannt, was Daniel erzählt.«

Dr. Norden fand eine verzweifelte Frau vor, die kein Wort über die Lippen brachte, so sehr sie sich auch quälte.

Rolf Hanson erklärte dem Arzt, daß sie eine schreckliche zusätzliche Aufregung gehabt hätte und voller Angst sei.

»Es könnte ihr sicher helfen wenn sie bald zur Insel der Hoffnung fahren könnte, Herr Doktor«, sagte Irene. »Wäre es wohl möglich?«

»Es wird einzurichten sein, wenn sie einverstanden ist«, sagte Dr. Norden. »Wir haben gerade Besuch von Frau Schoeller. Sie nimmt übermorgen noch eine andere Patientin mit zur Insel, Frau Röcken.« Er sah Rolf Hanson an, und dessen Augen wurden ganz weit. Aber auch Alice Valborg tat durch Handbewegungen kund, daß etwas sie sehr bewegte und zugleich ihre Zustimmung fand. Sie schrieb etwas auf einen Block, da sie wieder nur ein Krächzen hervorbrachte.

Isabel Schoeller, geborene Guntram? las Dr. Norden.

»Ja, um sie handelt es sich«, erwiderte er.

Alices Gesicht entspannte sich. Tränen rollten plötzlich über ihre Wan-gen, und sie nickte immer wieder.

Das konnte man als Zustimmung auffassen, und sie schrieb es dann auch auf.

»Gut, dann halten Sie sich bereit, gnädige Frau«, sagte Dr. Norden. »Übermorgen vormittag geht die Reise los. Wo kann Frau Schoeller Sie abholen?«

»Bei uns«, sagte Irene rasch. »Sie kam schon mit Sack und Pack«, raunte sie dann Dr. Norden zu, als sie ihn zur Tür begleitete. Rolf Hanson hatte sich Alices angenommen. »Sie hat Angst«, fuhr Irene fort. »Da steckt wohl mal wieder ihr Bruder dahinter, aber sie schämt sich seiner so, daß sie nicht darüber redet.«

»Was wissen Sie über ihn?« fragte Dr. Norden.

»Nichts, seit er als Schauspieler vergessen ist. Daran ist er aber selbst schuld. Durch seinen Lebenswandel ist er total heruntergekommen. Er hat dann das Glück gehabt, eine recht vermögende Frau zu heiraten, aber das wissen wir auch nur von Alice. Er war völlig von der Bildfläche verschwunden. Alice ist sehr introvertiert. Sie teilt sich niemandem mit. Glauben Sie, daß ihr geholfen werden kann?«

»Es ist wie ein Krampf, der sich lösen muß«, erwiderte er. »Mein Schwiegervater ist ein guter Psychologe. Nur eine darauf ausgerichtete

Therapie kann da wohl helfen, aber natürlich wird sie auch gründlich untersucht werden. Jetzt ist sie völlig verkrampft. Geben Sie ihr einen Schlummertrunk. Ich lasse Ihnen diese Tropfen hier, oder nimmt sie starke Medikamente?«

»Das glaube ich nicht. Sie hat eine panische Angst vor Betäubungsmitteln, seit ihr Bruder sich durch Drogen ruinierte. Seinerzeit wurde das Mode. Man kann wirklich froh sein, wenn die Familie mit so was nicht konfrontiert wird. Was meinen Sie, welche Angst ich manchmal um unsere Kinder ausgestanden habe. Man kann sie ja nicht an die Kette legen.«

»Sie haben liebevolle, vernünftige Eltern«, sagte Dr. Norden beruhigend, »aber ich verstehe solche Ängste. Oft genug habe ich damit zu tun.«

»Und leider ist es ja so, daß man immer Entschuldigungen findet. Wenn es sich um Leute handelt, die bekannt sind. Ein armer Schlucker wird gleich verdammt, wenn er zur Spritze oder Flasche greift, aber die Prominenz wird verteidigt.«

»Bewahren Sie sich Ihren gesunden Menschenverstand, Frau Hanson«, sagte er »Sie gehören doch auch zur Prominenz.«

Sie lächelte ganz flüchtig. »Der Name Hanson bürgt wirklich für Qualität«, erwiderte sie »Sie werden Dr. Cornelius informieren, daß er behutsam mit Alice umgeht?«

»Das wird er von selbst tun. Er ist nach meinem Vater der beste Arzt, den ich kenne.«

»Sie brauchen Ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen«, sagte Irene. »Danke, daß Sie gleich gekommen sind, und sagen Sie Ihrer Frau liebe Grüße, und sie möge die Störung verzeihen.«

Als er heimkam, gab es noch viel zu erzählen. Isabel war allerdings sehr nachdenklich.

»Ich werde mich auch um Alice Valborg kümmern«, versprach sie.

»War sie eigentlich nie verheiratet?« fragte Daniel.

»Es wurde mal gemunkelt, aber das muß gewesen sein, bevor sie berühmt wurde, aber ihr Privatleben wurde wenig bekannt, und kaum jemand weiß, daß sie die Schwester von Rex Borg ist. Ich weiß nicht, ob er überhaupt noch lebt.«

»Es scheint so. Frau Hanson hat angedeutet, daß sie sich seinetwegen aufgeregt hat. Kanntest du ihn persönlich?«

Isabel schüttelte den Kopf. »Als er seine Blütezeit hatte, war ich eine blutige Anfängerin. Ich darf dich doch erinnern, daß ich erst vierzig bin, Daniel?« fragte sie schelmisch.

»Und siehst aus wie dreißig«, sagte er.

»Ist er nicht lieb, Fee? Er macht einer alten Freundin Komplimente«, lachte Isabel.

»Auf die alte Freundin war ich mal sehr eifersüchtig«, gab Fee lächelnd zurück.

»Und ich auf die liebe Fee, die für meinen Jürgen die Traumfrau war!«

»Jetzt werden wieder olle Kamellen auf’s Trapez gebracht«, brummte Daniel. »Trinken wir lieber noch einen guten Schluck, und dann ab in die Falle.«

Da gab es keinen Widerspruch. Müde waren sie alle.

*

Als Simone am nächsten Morgen erwachte, werkelte ihre Mutter schon in der Küche. Schnell war sie auf den Beinen und eilte zu ihr.

»Muß das sein, Mutsch?« fragte sie noch ein bißchen verschlafen »Du sollst dich schonen.«

»Ich habe jetzt viel Zeit dazu, mein Kind«, erwiderte Hedi. »Außerdem fühle ich mich bedeutend besser.«

»Das freut mich, aber es bleibt dabei, daß du fährst, basta«, sagte Simone.

»Ich freue mich ja sogar«, sagte Hedi »Aber ich möchte doch noch gemütlich mit dir frühstücken.«

»Wir haben viel Zeit. Ich muß erst halb elf Uhr aus dem Haus.«

»Ihr habt jetzt eine etwas komische Diensteinteilung«, wunderte sich He-di.

»Ist doch gut, Mutti. So wird dann manchmal ein freier Tag herausspringen.«

»Vermißt du nicht doch den Kontakt zu Menschen?« fragte Hedi später gedankenvoll

»Nein, gar nicht. Vorerst bin ich restlos zufrieden, und wenn sich mal was anderes bietet, werde ich das kritisch prüfen. Das kommt nur in Frage, wenn ich mich auf die Dauer sehr verbessere.«

»Und ans Privatleben denkst du gar nicht?«

»Das habe ich doch mit dir«, erwiderte Simone lächelnd.

»Ich möchte nicht schuld sein, wenn du auf alles verzichtest, Simone«, sagte Hedi leise.

»Was du immer denkst! Ich bin doch noch so jung, Mutsch. Mir ist noch kein Mann über den Weg gelaufen, mit dem ich gern das Leben verbringen würde, ausgenommen Dr. Norden, und der ist verheiratet.«

»Du würdest dich doch nicht mit einem verheirateten Mann einlassen, Simone«, sagte Hedi hastig.

»Wir wollen es mal so sagen: Ich würde nie ein Glück auf dem Unglück eines anderen Menschen aufbauen wollen, aber manche Ehen sind zum Scheitern verdammt, und wer will vorher sagen, ob man an den genau richtigen Mann gerät. Ich sehe das wirklich ganz nüchtern, und deshalb bin ich auch nicht wild darauf, früh zu heiraten. Und wenn ich mal den Wunsch verspüre, ein Kind haben zu wollen, muß ich doch den Vater nicht unbedingt heiraten. Sind wir zwei nicht ein Beweis, daß es auch ohne Mann gutgehen kann?«

»Es würde mir leid tun, wenn ich dir ein schlechtes Beispiel gegeben hätte, Simone«, sagte Hedi leise

»Aber ich bitte dich, du hast mir das beste Beispiel gegeben, wie großartig sich eine Mutter verhalten kann. Dennoch muß ich sagen, daß gerade du den besten Mann verdient hättest.« Sie ergriff Hedis Hand. »Werde jetzt bloß nicht sentimental, Mutsch. Immerhin bist du auch noch jung genug, um vielleicht doch einem Mann zu begegnen, der deine Qualitäten zu schätzen weiß.«

»Jetzt hör aber auf«, widersprach Hedi heftig.

»Man kann doch auch darüber reden«, meinte Simone. »Es gibt auch anständige Männer.«

»Dieses Kapitel ist für mich erledigt.«

»Streiten will ich darüber nicht, Mutsch«, sagte Simone. »Aber zwei erwachsene Frauen können sich auch darüber vernünftig unterhalten.«

Und so verging die Zeit. – Simone mußte sich in aller Eile ankleiden, um rechtzeitig bei Rolf Hanson zu sein. Doch der Weg war wirklich nicht weit, obgleich sie das abgelegene Villenviertel noch nie aufgesucht hatte. Dabei standen dort die schönsten Häuser, die sie je gesehen hatte.

Scheu ging Simone auf das Haus zu, aber diese Scheu schwand sofort, als Irene Hanson sie lächelnd empfing. Nun war sie ganz beruhigt.

Victoria war auch schon zur Stelle, von brennender Neugier getrieben.

»Unsere Tochter Vicky«, stellte Irene vor.

»Freut mich sehr, Sie kennenzulernen«, sagte Vicky. »Vielleicht sehen wir uns noch öfter. Komisch, daß man in einer Gegend wohnt und sich doch noch nie getroffen hat.«

Irene war recht zufrieden mit ihrer Tochter, die sich dann auch gleich zurückzog.

Rolf Hanson hatte eben noch telefoniert. Im sportlichen Pullover wirkte er noch jünger. Doch Simone hatte schon festgestellt, daß auch seine Frau sehr jugendlich geblieben war und dennoch mütterliche Güte ausstrahlte, was sie besonders anziehend machte.

»Vicky kümmert sich um Frau Valborg. Sie ist Gast in unserm Haus«, erklärte Irene. »Sie ist derzeit in einem recht desolaten Zustand und kann nicht an unserer Unterhaltung teilnehmen.«

»Ist sie ernsthaft erkrankt?« fragte Simone bestürzt. »Es würde mir sehr leid tun.«

»Sie haben sie auf der Bühne gesehen oder im Film?« fragte Rolf.

»Ja, mehrmals. – Eine großartige Schauspielerin.«

»Dann könnten Sie sich in ihre Mentalität hineindenken?« fragte Rolf.

„Das weiß ich nicht. Ich kann es versuchen«, erwiderte Simone zu­rückhaltend.

»Sie nehmen mein Angebot an?« fragte Rolf.

»Ich willige ein. Es muß sich herausstellen, ob ich Ihre Hoffnungen erfüllen kann«, erwiderte Simone. »Es trifft sich wirklich sehr gut, daß meine Mutter gerade zur Kur fährt.«

»Ja, ich weiß, zur Insel der Hoffnung«, sagte Rolf. »Frau Valborg wird auch dorthin fahren und ebenfalls mit Frau Schoeller.«

Simone war erschrocken. »Das könnte Schwierigkeiten geben«, sagte sie überstürzt. »Ich habe meiner Mutter nichts von Ihrem Angebot erzählt, und sie hat aus unerfindlichen Gründen etwas dagegen, daß ich etwas tue, was mit der Schauspielerei in Zusammenhang steht.«

»War sie selbst Schauspielerin?« fragte Irene.

»Nein, sie ist Graphikerin. Ich kann mir nur erklären, daß sie selbst mal den Wunschtraum hegte und ihr der Erfolg versagt blieb.«

»Hatten Sie auch diesen Wunschtraum?« fragte Rolf vorsichtig.

»Ich habe ihn längst aufgegeben. Nein, Schauspielerin möchte ich nicht sein, aber wenn man synchronisiert, bleibt man ja anonym.« Sie sah ihn forschend an. »Das wird doch so sein?«

»Ich müßte es sogar zur Bedingung machen, um Frau Valborg nicht zu schaden.«

»Mir ist das sehr recht. Meine Stellung gebe ich natürlich nicht auf.«

»Die Zeit können Sie bestimmen«, sagte Rolf Hanson. »Ich richte mich danach.«

»lch habe meinen Dienstplan mitgebracht. Aber zuerst sollten Sie sich doch überzeugen, ob ich solch einer Aufgabe gewachsen bin.«

»Es ist nicht so sehr schwierig, da Sie ja keine Ausländerin synchronisieren sollen«, meinte er. »Ihre Stimme ist der von Frau Valborg verblüffend ähnlich, will man vom jetzigen Zustand absehen.«

»Ich kann das nicht beurteilen. Man sieht und hört sich ganz anders, als andere Menschen das tun«, erwiderte Simone ruhig.

»Wann kann eine Probe stattfinden?« fragte Hanson.

»Meinetwegen gleich. Ich brauche erst um zwei Uhr im Hotel zu sein.«

»Gut, dann fahren wir ins Studio. Kommst du mit, Irene? Du bist objektiv.«

»Gern. Ich sage Burgel Bescheid, daß sie das Essen für Alice und die Kinder richtet.«

Sie eilte hinaus, und Rolf Hanson verschränkte lächelnd die Arme über der Brust.

»Sind Sie beruhigt, daß ich nicht geschwindelt habe, Simone?« fragte er.

In ihren Augen tanzten goldene Fünkchen.

»Ich habe mir erlaubt, mich bei

Dr. Norden zu erkundigen«, erwiderte sie.

Er lachte warm und herzlich. »Das hätte ich mir eigentlich schon denken dürfen. Sie sind ein cleveres Mädchen.«

»Nur vorsichtig. Man darf nicht immer nach dem Gefühl gehen.«

»Aber das Gefühl hatte nichts gegen mich?«

»Nein.«

»Das beruhigt mich«, meinte er humorvoll.

»Ihre reizende Frau hat dazu beigetragen«, sagte Simone hastig.

»Das wird meine reizende Frau freuen. Nächstes Jahr feiern wir Silberhochzeit, und wenn wir dann noch zusammenarbeiten, werden Sie Ehrengast sein.«

Simone errötete. »Das ist sehr nett, Herr Hanson, aber wenn ich für Sie tätig sein sollte, wenn ich es wollte, muß ich erst mit meiner Mutter klar kommen. Ohne sie und ihre Einwilligung geht das nicht.«

»Sie kann sich ja überzeugen, daß es ein durchaus seriöses Angebot ist. Sie hängen sehr an Ihrer Mutter?«

»Ich habe nur sie.«

Irene kam zurück. »Alles okay«, sagte sie. »Wir können starten. Aber draußen liegt unser neugieriger Sohn auf der Lauer, der sich anscheinend überzeugen will, ob auch alles in Ordnung ist.«

Simone mußte unwillkürlich lachen, weil sie das so charmant sagte. Doch gleich darauf wurde sie von einem jungen Mann angestarrt, dessen Blick sie befremdete, obgleich er eigentlich nur maßlose Verblüffung verriet.

»Mein Sohn André«, stellte Rolf Hanson vor. »Erwähne Alice gegen­über bitte den Namen Röcken nicht.«

»Das hat mir Vicky schon gesagt. Warum eigentlich nicht?« fragte An­dré.

»Das erkläre ich dir später. Ich hoffe, ich kann mich auf euch verlassen!« sagte Rolf Hanson.

»Ich möchte vermeiden, daß Alice unruhig wird«, erklärte Rolf, als sie im Wagen saßen. »Sie kann zwar nicht sprechen, aber sie kann hören, und sie wird mit Ihrer Mutter beisammen sein. Und Sie wollen doch nicht, daß Ihre Mutter von Ihrer Nebentätigkeit erfährt.«

»Nein, das will ich nicht« erwiderte Simone verlegen. »Sie bedenken sehr viel, Herr Hanson.«

»Ich habe mir auch erlaubt, mit Dr. Norden zu sprechen, damit alles klar ist. Wir haben einen sehr verständnisvollen Hausarzt, der Sie sehr gern hat, Simone.«

»Und er war gestern abend bei uns, um nach Alice zu sehen«, warf Irene rasch ein. »Sie verlor plötzlich ihre Stimme völlig.«

»Wird sich das bald beheben?« tragte Simone.

»Das ist schwer zu sagen. Auch Dr. Norden konnte das nicht beurteilen. Anscheinend ist ein Schock daran schuld.«

»Es muß schlimm sein«, sagte Simone. »Wenn mir das passieren würde, müßte ich meine Stellung aufgeben.«

»An so was wollen wir gar nicht denken«, sagte Rolf Hanson aufmunternd. »Haben Sie eine schwache Ahnung, wie eine Synchronisation vor sich geht?«

»Ja, ich weiß Bescheid. Man muß die Rolle kennen und dann mit den Mundbewegungen des Darstellers über­einstimmen. Ich stelle es mir ziemlich schwer vor.«

»Es ist nicht schwer, wenn man sich in die Rolle selbst hineindenkt, oder besser hineinlebt. Es wäre natürlich gut, wenn Sie sich mit dem Drehbuch befassen würden.«

»Ja, selbstverständlich«, erwiderte Simone. »Darf ich es mitnehmen?«

»In diesem Fall sage ich ja. Ich vertraue Ihnen.«

*

André bekam seine Schwester zu fassen, als sie in die Küche ging, um Kamillentee für Alice zu holen.

»Hast du sie gesehen?« fragte er drängend. »Wie findest du sie?«

»Ein paar Klassen besser als Gabi«, erwiderte sie schnippisch. »Hast du ihr gesagt, daß ich es leid bin, die Putzfrau für sie zu spielen?«

»Ich bin gegangen«, entgegnete er.

Sie sah ihn konsterniert an. »Wieso denn das?« staunte sie.

»Weil mir auch manches nicht paßte. Ich bin kein Steigbügelhalter.«

»Sie scheint sich ja ganz schön aufgeführt zu haben, wenn du das begriffen hast«, meinte Vicky. »Ich habe nur deinetwegen solange mitgespielt. Ich dachte, sie sei deine große Liebe.«

»Liebe ist ein großes Wort, Vicky«, sagte er ernst, »aber wie dem auch sei, ich bin enttäuscht.«

»Das gibt sich«, sagte sie lässig. Dann seufzte sie schwer. »Ich habe Alice wirklich gern, aber wenn man mit einem Menschen nicht reden kann, ist es schon hart.«

»Mit manchen Menschen redet man viel und hat sich eigentlich doch nichts zu sagen«, brummte er.

»Du bist plötzlich so weise«, meinte sie anzüglich. »Du kommst mir so menschlich vor. Könntest du uns vielleicht ein bißchen Gesellschaft leisten und Alice aufmuntern?«

»Wir können ihr ja ein paar alte Filme vorführen«, sagte er.

»Eine gute Idee. Aber erwähne den Namen Röcken nicht. Mami hat es mir ans Herz gelegt.«

»Ich weiß Bescheid. Woher kenne ich dieses Mädchen?« sagte er dann gedankenverloren. »Wenn mir das nur einfallen würde.«

»Du kennst sie?«

»Sie kommt mir bekannt vor«, sagte er. »Ich kann es mir nicht einbilden. Sie ist kein Dutzendtyp.«

Sie brauchten Alice Valborg keine Gesellschaft zu leisten. Alice wollte schlafen. Die alten Filme, die André schon vorgeholt hatte, blieben im Kasten.

Burgel rief André ans Telefon. Er vernahm die laut dröhnende Stimme von Gabis Vater, der von ihm wissen wollte, was mit ihm los sei, da Gabi ihm die Ohren vollheule.

»Wenn es Ihnen Ihre Tochter nicht sagen kann, werde ich es tun«, sagte André. »Sie soll sich ihre Ambitionen aus dem Kopf schlagen.«

Vielleicht war das ein bißchen zu deutlich, aber Gabis Vater schien es ihm nicht zu verübeln. Er hätte ihr das schon oft genug gesagt, erwiderte er. Er werde den Geldhahn zudrehen.

Dann aber kam Gabi ans Telefon und redete auf ihn ein, und schließlich verabredete er sich mit ihr.

»Ich habe es mir ja gedacht, daß du umfällst«, sagte Vicky spöttisch. »Jetzt wird sie dich auf’s Standesamt schleppen. Ich kenne den alten Nickmann. Er wird ihr die Pistole auf die Brust gesetzt haben.«

»Ich denke nicht an Heirat«, stieß André hervor.

»Darüber solltest du dir klar sein, wenn du dich mit solchen Mädchen einläßt, André.«

»Ich denke, ihr seid befreundet?«

»Ich bin eben auch klüger geworden.« Sie sagte es und entschwand.

*

Simone hatte eine anfängliche Unsicherheit schnell überwunden. Atemlos lauschten Rolf und Irene Hanson, wie sie Alices Rolle vortrug.

»Ich habe es doch gesagt, sie ist ein Naturtalent«, raunte Rolf seiner Frau zu. Da blickte Simone auf ihre Armbanduhr und sprang auf.

»Ich muß ins Hotel, es ist höchste Zeit«, rief sie aus.

»Wir bringen Sie hin«, sagte Rolf.

»Den Film lasse ich Ihnen dann morgen vorführen. Wann haben Sie Zeit?«

»Ab vier Uhr. Sie haben doch meinen Dienstplan«, meinte sie neckend.

»Den haben Sie mich vergessen lassen, als Sie die Rolle lasen«, sagte er. »Kein erfreulicher Gedanke, daß Sie sich jetzt wieder an eine Telefonvermittlung setzen.«

»Es muß sein, das hat schon Beethoven gesagt«, lachte sie. »Sie sind zufrieden mit mir?«

»Mehr als das. Sie hat der Herrgott in einer Sonntagslaune geschaffen.«

»Das hätte ich lieber mal von meiner Mutter gehört«, sagte sie gedankenverloren. »Vergessen Sie das, Herr Hanson.«

Auf der Fahrt zum Hotel schwieg sie. Sie hatte sich in das Drehbuch vertieft. Er tauschte ab und zu einen nachdenklichen Blick mit seiner Frau. Dann waren sie am Ziel.

»Ich hole Sie morgen hier ab, Simone«, sagte er.

»Aber bitte so, daß uns niemand zusammen sieht«, erwiderte sie. »Ich komme hinten raus zur Seitenstraße.«

»Abgemacht.«

»Und nach getaner Arbeit essen Sie bei uns, Simone«, sagte Irene herzlich.

Simone drückte ihr die Hand. »Ich habe nicht gedacht, daß ein Filmproduzent eine so liebe Ehefrau haben kann«, sagte sie leise. Ein zweistimmiges Lachen folgte ihr, als sie auf das Hotel zueilte. Da kam gerade ein Mann mittleren Alters heraus, der sie auf eine Weise anstarrte, daß es Aggressionen in ihr weckte.

Wenn Hanson so ein Typ gewesen wäre, hätte er eine gewaltige Abfuhr bekommen, dachte sie, aber ihr grimmiger Ausdruck wich, als der Portier sie freundlich begrüßte.

»Guten Tag, Toni«, sagte sie freundlich.

»Hat der Kerl Sie belästigt?« fragte der gutmütige Toni unwillig.

»Wieso?«

»Er hat eben nach Frau Valborg gefragt. Anscheinend ein Theateragent. Wissen Sie, warum Frau Valborg uns diesmal so schnell verlassen hat, Fräulein Simone?«

»Nein, Toni, aber mit so einem schmierigen Kerl hätte sie bestimmt kein Wort gewechselt«, erwiderte Simone. »Ich muß an die Arbeit.«

»Sind ja noch zwei Minuten Zeit«, meinte er schmunzelnd.

Anja Seeger nickte ihr zu, als sie eintrat.

»Du brauchst dich nicht zu überschlagen, Simmi«, sagte sie. »Es ist nicht viel los, seit die Valborg wieder weg ist.«

Simone hatte es nicht gern, wenn man sie Simmi nannte, aber ansonsten hatte sie an Anja nichts auszusetzen.

»Könntest du morgen mal länger für mich Dienst machen?« fragte Anja.

»Das geht leider nicht. Ich habe etwas Wichtiges vor, Anja. Tut mir wirklich leid. Für die nächste Zeit kann ich dir keinen Gefallen tun.«

»He, ein Mann?« fragte Anja. »Hat es geschnackelt?«

»Es muß doch nicht immer gleich ein Mann sein! Ich muß einer Kranken helfen«, redete sich Simone heraus, um weitere Fragen zu vermeiden. Und das war nicht mal eine Lüge. Sie leistete Alice Valborg Hilfe und zugleich auch Rolf Hanson. Aber für sie selbst war es ein Erlebnis, das sie völlig in Bann hielt. Als sie allein war, legte sie das Drehbuch aufgeschlagen neben sich hin. Sie lebte sich in die Rolle hinein. Und dann kam ein Anruf.

»Ist Frau Valborg jetzt im Haus?« fragte eine Männerstimme.

»Frau Valborg ist abgereist«, erwiderte Simone, nach einer kurzen Pause, während der sie ein anderes Gespräch vermittelte. »Mach doch nicht solche Witze, Alice«, sagte der Mann. »Ich kenne doch deine Stimme.«

»Hier ist die Vermittlung«, sagte Simone. »Frau Valborg ist abgereist.«

Ein blechernes Lachen. »Mich kannst du nicht täuschen, aber ich kriege dich schon zu fassen.«

Simone erschrak. Sie erschrak in doppelter Hinsicht. Einmal, weil die Stimme drohend geklungen hatte, zum andern, weil man ihre Stimme anscheinend tatsächlich mit der von Alice Valborg verwechseln konnte. Oder war sie schon so in die Haut dieser Frau geschlüpft, daß sie auch ihren Tonfall anpaßte?

An diesem Abend war sie froh, als ihr Dienst zu Ende war, und zum ersten Mal ließ sie sich von einem Taxi heimbringen. Sie konnte die Blicke fremder Menschen nicht ertragen, und sie hatte sich eingebildet, wieder jenen Mann zu sehen, der ihr schon mittags begegnet war. In ihrer Rolle als Julie war auch Alice Valborg vor einem Mann auf der Flucht, der sie erpressen wollte. Und plötzlich fragte sich Simone, ob es diese Rolle gewesen sei, die Alice Valborg Depressionen verursachte.

»Da bist du ja endlich«, wurde sie von ihrer Mutter empfangen. »Du siehst ganz erschöpft aus. Das ist doch zuviel, Simone.«

»Ach was, Mutsch, du hättest lieber um dich so besorgt sein sollen. Wieviel Überstunden hast du gemacht.«

»Halte mir das nicht immer vor, Simone. Stell dir vor, ich bekomme berühmte Gesellschaft auf der Insel der Hoffnung. Dr. Norden hat mich angerufen und mir gesagt, daß auch Alice Valborg mit Frau Schoeller fährt.«

»Du bist ja ganz aufgeregt, Mutsch«, staunte Simone.

»Sie ist doch eine großartige Schauspielerin. Ich hätte nie gedacht, daß ich sie mal persönlich kennenlerne. Wir müssen ungefähr in einem Alter sein. Sie hat eine Kehlkopfentzündung.«

»Ja, ich weiß«, entfuhr es Simone.

»Woher weißt du das?« fragte Hedi.

»Sie hat bei uns im Hotel gewohnt.«

»Du hast nichts davon erzählt.«

»Meine Güte, bei uns wohnen viele berühmte Leute, und ich sitze in meinem Raum. Ich bin nur dazu da, ihre Gespräche zu vermitteln. Und du hast doch was gegen Schauspieler.«

»Ich hätte nur was dagegen gehabt, wenn du Schauspielerin hättest werden wollen.«

»Vielleicht wäre ich genauso berühmt geworden wie Frau Valborg und hätte einen Haufen Geld verdient«, sagte Simone.

»Es ist ein weiter Weg, mein Kind, und manchmal endet er im Abgrund«, sagte Hedi leise. »Es sind nur wenige berufen.«

Simone sah ihre Mutter voll an. »Bitte, beantworte mir eine Frage ehrlich, Mutti«, sagte sie nachdenklich. »War es auch dein Wunschtraum?«

Hedi wich dem forschenden Blick aus. »Ja, aber es war ein kurzer Traum.«

»Der zerstört wurde, als ich mich ankündigte?«

»Du bist Wirklichkeit und viel mehr wert als ein Traum, Simone.«

Etwas in ihrem Gesichtsausdruck hielt Simone zurück, das zu fragen, was ihr auf der Zunge lag.

*

Um halb zehn Uhr verabschiedete sich Isabel Schoeller von Fee. »Dann werde ich meine beiden Schützlinge holen«, sagte sie. »Es war schön, daß wir mal wieder beisammen sein konnten, Fee.«

»Du sprichst aber nicht über Simone«, sagte Fee.

»Ich bin doch keine Klatschbase. Ich denke immer an das seelische Wohl unserer Patienten. Um eures brauche ich nicht besorgt zu sein, aber bleibt schön gesund, und besucht uns bald mal.«

»Es wird schon mal wieder klappen, Isabel. Gib Anne und Paps einen Kuß von mir.«

»Jürgen nicht auch?« scherzte Isabel.

»Meinetwegen, er kommt ja von dir.«

Isabel fuhr zuerst zu den Hansons. Alice war schon startbereit, und sie drängte zur Eile, indem sie schon selbst ihre Koffer ergriff.

André nahm ihr diese aus der Hand. Isabel konnte wenigstens ein paar Worte mit Irene Hanson wechseln.

»Würden Sie uns Bericht erstatten, Frau Schoeller?« fragte Irene.

»Gern. Sie hat sich sehr verändert. Wovor hat sie Angst?«

»Wenn wir das wüßten! Aber Sie haben es sofort erfaßt«, erwiderte Irene.

»Sie wird die Ruhe finden, die sie braucht«, sagte Isabel.

»Das hoffen wir«, erwiderte Irene.

Isabel bewies diplomatisches Geschick, als sie dann Hedi Röcken abholte. Es kam zu keiner Begegnung zwischen Simone und Alice, die ja auch Simone vermeiden wollte. Das bekam Hedi alles gar nicht richtig mit. Sie war aufgeregt und ganz auf Simone konzentriert. Ihre mütterlichen Ermahnungen mußte sie ja noch anbringen.

Mit Alice tauschte sie einen kurzen Händedruck. Auch sie sagte nichts, erschrocken über die Verzweiflung, die Alices Mienenspiel ausdrückte. So verlief die Fahrt schweigend. ­Isabel machte nur ab und zu eine zornige Bemerkung, wenn ein Kolonnenspringer vorbeiraste. Aber sie gelangten schnell zur Insel und wurden dort mit gewohnter Herzlichkeit empfangen.

Isabel wurde von ihren Kindern wortreich überfallen. Sie waren von Anne Cornelius zwar bestens versorgt worden, aber ihre Mami hatten sie doch vermißt.

Alice mühte sich, ein paar Worte herauszuquälen, aber es gelang ihr nicht, und es rollten dann nur Tränen über ihre Wangen.

»Nicht verzweifeln, Frau Valborg«, sagte Anne tröstend, »es wird schon wieder gut.«

Hedi war schon ganz eingefangen von der zauberhaften Atmosphäre der Insel, und nun kam auch Dr. Cornelius, um die neuen Gäste zu begrüßen. Alice machte jedoch einen so völlig erschöpften Eindruck, daß er sie gleich zu ihrem Appartement führte.

»Sie tut mir so leid«, sagte Hedi leise zu Anne. »Es muß schrecklich für sie sein.«

»Hoffen wir, daß ihr zu helfen ist«, sagte Anne.

Dr. Cornelius kam bald zurück. »Sie ist ganz schnell eingeschlafen«, erklärte er. »Wären Sie einverstanden, Frau Röcken, mit Frau Valborg die Wohnung zu teilen?«

»Das ist doch nicht meine Entscheidung«, stammelte Hedi. »Es kommt auf Frau Valborg an.«

»Sie wünscht es«, sagte er.

»Sie wünscht es?« fragten Anne und Hedi gleichzeitig.

»Bitte, meine Damen, ihr habt es schriftlich, reden kann sie ja nicht«, erwiderte er und reichte ihnen einen Zettel. Darauf stand zu lesen: »Frau Röcken soll bei mir bleiben.«

»Na, wenn das kein Kompliment für Sie ist«, sagte Anne. »Aber Sie sollen sich auch erholen, und wenn Sie nein sagen, werden Sie anderswo untergebracht.«

»Warum sollte ich nein sagen. So krank bin ich ja nicht. Kann ich vielleicht auch ein bißchen mithelfen?«

»Sie helfen schon sehr, wenn Sie dieser armen Frau beistehen«, sagte Dr. Cornelius. »Sie haben ja gesehen, wie schlecht es ihr geht.«

»Auf der Höhe des Ruhms«, murmelte Hedi. »Und sie ist doch noch nicht alt.«

»Genauso jung oder alt wie Sie, Frau Röcken. Genau der gleiche Jahrgang. Sie sind sogar drei Tage jünger als sie. Ihre Daten sind bei uns schon vorgemerkt«, fügte er lächelnd hinzu.

»Wenn man da aber Parallelen ziehen will, so erwischt hat es mich doch nicht«, sagte Hedi, »und wenn ich auch nicht berühmt bin, vielleicht bin ich doch ein glücklicherer Mensch, weil ich ja meine Simone habe. Hat sie keine Angehörigen.«

»Das ist uns nicht bekannt«, erklärte Anne. »Aber es ist oft so, daß ge-rade berühmte Leute sehr einsam sind.«

»Ich hätte mir nicht träumen lassen, einmal mit Alice Valborg unter einem Dach zu leben«, sagte Hedi leise. »Ich habe jeden Film mit ihr gesehen, seit zwanzig Jahren.«

Anne und Johannes Cornelius tauschten einen kurzen aber verständnisinnigen Blick. Sie machten sich auch über Hedi Röcken Gedanken.

»Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit«, sagte Hedi mehr zu sich selbst, »und sie sind doch so schnell vorbei. Sagen Sie mir bitte, was ich für Frau Valborg tun kann.«

»Sie sollen zuerst mal abschalten«, sagte Dr. Cornelius.

*

Als Simone ihre Kollegin Anja abgelöst hatte, sagte diese: »Laß dich bloß nicht von diesem Irren tyrannisieren, der dauernd Frau Valborg sprechen will. Bei dem tickt es ja nicht richtig. Er behauptet, sie würde sich verleugnen lassen, aber gestern nachmittag hätte er mit ihr gesprochen. Da hattest du Dienst, Simmi.«

»Ich kann mich erinnern. Ich habe ihm gesagt, daß sie abgereist ist. Er redete mich dann an, als wäre ich Frau Valborg. Er wird betrunken gewesen sein.«

»Was man so alles mitmacht«, meinte Anja. »Gut, daß wir anonym bleiben. Dann wünsche ich dir ein gutes Schaffen.«

Es war ziemlich viel zu tun, da wieder einmal eine Messe eröffnet wurde. Endlich kam Simone dazu, auf der Insel anzurufen und sich zu erkundigen, ob ihre Mutter gut angekommen sei.

»Alles bestens, Fräulein Röcken«, sagte Anne Cornelius. »Die Damen sind gerade beim Tee.«

»Bitte, sagen Sie liebe Grüße. Ich rufe morgen wieder an. Und wenn ich darum bitten dürfte, verhindern Sie bitte, daß meine Mutter im Hotel anruft. Ich habe triftige Gründe dafür.«

Über diese war Anne bereits von ­Isabel genau informiert worden. Sie mußte wieder an die Bemerkung

nachdenken, die Hedi über Alice Valborg gemacht hatte, über die zwanzig Jahre, die doch so schnell vergangen waren.

Ob die beiden über diese zwanzig Jahre sprechen würden? Ob wenigstens Hedi von sich erzählen würde, denn Alice konnte sich ja nicht verständlich machen, es sei denn, sie schrieb auf, was sie dachte.

Das hatte Alice allerdings auch bereits getan, wenn auch nur mit wenigen Worten.

»Ich freue mich, daß Sie bei mir sind. Ist es Ihnen recht, wenn wir uns beim Vornamen nennen, Hedi?«

»Ja, sehr gern«, erwiderte Hedi, als sie diese Worte gelesen hatte.

»Es wäre schön, wenn wir uns richtig unterhalten könnten, aber vielleicht wird das bald möglich sein«, schrieb Alice.

»Ich bin davon überzeugt«, sagte Hedi zuversichtlich und nahm behutsam Alices Hand. Sie spürte, wie diese zitterte. »Ihre Nerven sind überreizt, Alice. Sie brauchen sehr viel Ruhe.«

Alice schenkte ihr einen dankbaren Blick. Dann schloß sie die Augen und lehnte sich zurück. Sie saßen auf der Sonnenterrasse, und die Stille wurde nur von Vogelgezwitscher belebt.

Hedi betrachtete Alice, die jetzt schon etwas gelöster wirkte. Wollte man sie als schön bezeichnen, so kam diese Schönheit mehr aus dem Innern und durch die Ausdrucksstärke, die dieses Gesicht zeigte. Es war ein herbes Gesicht, gezeichnet von Schmerz und Resignation.

Hedi hatte viel über Alice gelesen. Man bezeichnete sie als eine eigensinnige Darstellerin. Man ließ durchblicken, daß man nicht viel über ihr Leben berichten könne, das ohne Skandale verlaufen war. Man konnte nur sagen, daß sie Rollen, die ihr nicht zusagten, strikt ablehnte, auch wenn diese ihr noch so schmackhaft gemacht wurden.

Beleidigte Kritiker schrieben auch, daß sie der Garbo nacheifere, um sich ein besonderes Image zu verschaffen. Doch niemand wagte zu bestreiten, daß sie eine großartige Schauspielerin war.

Und das empfand Simone auch ganz intensiv, als Rolf Hanson ihr den Film vorführen ließ. Er hatte sie zur verabredeten Zeit abgeholt. Sie war rasch zu ihm in den Wagen gestiegen, und sie waren zum Studio gefahren.

Als Simone nun wie gebannt auf die Leinwand blickte, ertappte sie sich schon dabei, daß sie die Lippenbewegungen von Alice nachahmte. Im ersten Drittel des Filmes hatte Alice auch noch sehr deutlich, wenn auch mit einer etwas rauchigen Stimme gesprochen, dann aber bemerkte man schon die Schwierigkeiten, die Mühe, die ihr das Sprechen bereitete.

Rolf Hanson beobachtete Simone aufmerksam, dann fasziniert und sogar mit einer gewissen Beklemmung. Es war ihm ein bißchen unheimlich, wie sie die Mimik von Alice annahm und ihr dadurch immer ähnlicher wurde. Natürlich war sie nur halb so alt wie Alice, aber auch sie hatte ein ungewöhnlich ausdrucksvolles Gesicht.

Die Probeaufnahmen, die dann gemacht wurden, fielen so gut aus, daß Rolf Hanson sich begeistert äußerte, und das war bei ihm selten der Fall.

»Dann können wir gleich morgen richtig einsteigen, Simone«, sagte er, »und dann sollten Sie es sich doch schon mal durch den Kopf gehen lassen, ob Sie nicht umsatteln wollen.«

»Erst, wenn ich mit meiner Mutter, darüber gesprochen habe. Verstehen Sie das bitte, Herr Hanson.«

»Ich hoffe, daß sich Ihre Mutter überzeugen lassen wird, daß Sie als Telefonistin Ihr unglaubliches Talent vergeuden. Ein Talent, wie es selten einem Menschen in die Wiege gelegt wird.«

»Sie sind davon tatsächlich überzeugt?« fragte sie nachdenklich.

»Ich würde es niemals sagen, wenn es nicht so wäre. Sie werden noch erfahren, wie knallhart ich sein kann, wenn ich mit eingebildeten Möchtegernstarlets zu tun habe. Und zu allerletzt würde ich jemandem Hoffnungen machen, die sich nicht erfüllen werden. Und nun fahren wir zu uns. Meine Frau freut sich schon auf Sie.«

*

Ein richtiges Festessen wartete. Auch Vicky und André fanden sich dazu ein, und André benahm sich an diesem Abend so, wie es seine Eltern erhofften, wenngleich er sich auch recht schweigsam verhielt.

Vicky war reizend und aufgeschlossen. Simone aß mit Genuß und interessierte sich auch gleich für die Rezepte.

»Dann kann ich auch mal mit was Besonderem aufwarten, wenn meine Mutter wieder da ist«, erklärte sie lächelnd.

»Kochen Sie gern?« fragte Irene.

»O ja, ich habe nur wenig Gelegenheit, weil Mutti alles macht. Sie traut mir diesbezüglich wohl auch nicht so recht.«

Ihre Unbefangenheit machte sie erst recht anziehend. André beteiligte sich später dann auch an der Unterhaltung und fragte Simone, ob sie hier auch zur Schule gegangen wäre.

»Ja, natürlich.« Sie zählte die Schulen auf, die sie besucht hatte.

»Seht ihr, auch ohne Abi kann man weit kommen«, warf Vicky ein. »Ich habe mich durchquälen mussen.«

»Du wußtest doch nicht, was du wolltest«, sagte André. »Du weißt es auch jetzt noch nicht.«

»Immerhin besuche ich auch eine Sprachenschule«, konterte sie.

»Mit Sprachen allein bekommt man keine Stellung«, sagte Simone ernsthaft.

Vicky wurde verlegen, und André sagte anzüglich: »Und beim Maschineschreiben verdirbt man sich die wohlgepflegten Fingernägel.«

»Ich habe dazu einfach kein Talent«, gestand Vicky ein. »Ich habe es versucht, aber es haut nicht hin.«

»Gib doch zu, daß du lieber daheimbleibst«, sagte André.

»Wenn ich bei deiner Freundin Putzfrau gespielt habe, sind die Fingernägel auch nicht geschont worden«, sagte Vicky nun aggressiv.

»Es ist doch auch deine Freundin«, sagte André gereizt.

»Jetzt kriegt euch bitte nicht wieder in die Haare«, lenkte Irene nun ein. »Was soll denn Simone nur denken?«

Simone lachte. »Das gehört unter Geschwistern doch wohl dazu. Ich habe leider keine, aber ich weiß es von meinen Schulfreundinnen.«

Vicky fragte dann, was sie in ihrer Freizeit treibe, und sie staunte, als Simone dann sagte, daß sie noch nie in einer Discothek gewesen sei.

»Wir können doch mal zusammen ausgehen«, meinte sie.

»Dafür habe ich kein Interesse. Mal ins Konzert oder Kino, ab und zu auch ins Theater, aber Disco, nein, da geht es mir zu laut zu.«

Rolf blinzelte zu seiner Frau hinüber, und die lächelte vergnügt. Ihr gefiel es wie ihm, wie ehrlich Simone ihre Meinung sagte.

»Haben Sie einen Freund, Simone?« fragte Vicky dann ganz schüchtern.

»Nein«, erwiderte Simone lakonisch.

»Dann haben wir wenigstens etwas gemeinsam«, freute sich Vicky.

Rolf brachte Simone dann nach Hause. »Ich hoffe, Sie werden oft bei uns sein, Simone«, sagte er. »Für Vicky ist es sehr gut, daß sie mal ein gleichaltriges Mädchen kennengelernt hat, das schon etwas leistet. Wir sind ja selbst ein bißchen schuld, daß sie zu Hause hockt. Sie war immer ein bißchen anfällig und verspielt. Und dann hatte sich da so eine Clique zusammengefunden, in die sie nicht recht hineinpaßte. Jetzt hat sie das schon gemerkt. Ich kann nur sagen, daß Sie auch für meine Familie ein Gewinn sind. Und ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit.«

»Was studiert André?« fragte Simone. »Er hat sich darüber gar nicht geäußert.«

»Architektur, und er wird mal ein guter Architekt werden. In ihm steckt mehr, als man denkt.«

»Äußerlich ist er Ihnen sehr ähnlich«, stellte sie fest.

»Als ich so alt war wie er, befand ich mich auch noch in einem Lernprozeß, aber dann lernte ich Irene kennen und wurde ein Mann«, sagte Rolf lächelnd.

»André sieht mich so eigenartig an«, sagte Simone gedankenverloren. »Irgendwie mißtrauisch.«

»Er macht sich Gedanken, daß sein Vater untreu werden könnte«, lachte Rolf.

»Das kann er doch nicht von mir denken«, sagte Simone bestürzt. »Das ist doch absurd.«

»Er wird diese Meinung schon geändert haben, keine Sorge, Simone. Dann auf morgen.«

»Sagen Sie Ihrer Frau bitte nochmals ganz herzlichen Dank.«

Seine Familie diskutierte indessen über Simone und ihre Ansichten.

»Hemmungen hat sie jedenfalls nicht«, stellte André ironisch fest.

»Sie hat ein gesundes Selbstbewußtsein«, meinte Irene, »und sie hat Charakter.«

»Ich kam mir blöd vor«, gestand Vicky ehrlich ein, »und André muß auch noch blöd daherreden. Aber sein Typ ist ja Gabi.«

»Hör doch endlich mit Gabi auf!« brauste er auf. »Ich überlege andauernd, woher mir Simone so bekannt vorkommt.«

»Jedenfalls hast du sie nicht in einer Disco gesehen«, lächelte Irene.

André starrte vor sich hin. »Es ist etwas ganz anderes«, murmelte er. »Eine Erinnerung. Ich hab’s!« Und dann stürzte er hinaus.

»Manchmal tickt es bei ihm auch nicht richtig«, sagte Vicky. »Er scheint einen Wandlungsprozeß durchzumachen. Ich wohl auch. Meinst du, daß Simone mich als Freundin akzeptieren würde?«

»Freundschaft muß man sich verdienen, Vicky«, sagte Irene ernst.

»Das will ich ja. Sie ist so anders als die Mädchen, die ich kenne. Sie kann fröhlich sein und unbeschwert, und dennoch ist das kein bißchen oberflächlich.«

»Nein, oberflächlich ist sie gewiß nicht, Vicky. Sie hat es nicht so leicht gehabt wie ihr.«

André kam zurück. »Dürfte ich euch in den Filmraum bitten?« fragte er.

»Jetzt noch?« staunte Irene.

»Spinnst du?« fragte Vicky.

»Ihr werdet es nicht bereuen. Ich weiß jetzt, an wen Simone mich erinnert. Und ich kann es beweisen, daß ich nicht spinne.«

»Wollen wir dann nicht auf Paps warten?« fragte Irene.

»Bin schon da«, ertönte Rolfs Stimme.

»Das ging aber schnell«, sagte An­dré.

»Dachtest du, ich schmuse mit Simone?« fragte Rolf spöttisch. »Ein bißchen Menschenkenntnis solltest du mittlerweile schon besitzen, mein Sohn. Simone ist keine Gabi. Sie zieht nicht alle Register und braucht das auch nicht.«

André kniff die Augen zusammen. »Du willst doch nicht sagen, daß sich Gabi dir an den Hals geworfen hat!« stieß er hervor.

»Das nicht, aber becircen wollte sie mich schon. Warum soll es nicht gesagt werden. Wenn du schon von selbst nicht klüger wirst, muß der Vater nachhelfen.«

»Ich bin klüger geworden, Paps«, erwiderte André.

»Und er will uns einen Film vorführen«, sagte Irene rasch. »Er hat entdeckt, mit wem Simone Ähnlichkeit hat.«

»Da bin ich aber gespannt«, sagte Rolf.

Und dann richtete er sich steil auf. »Das ist doch der älteste Film von Alice«, rief er aus.

»Und nun schau mal, Paps, hat Simone nicht tatsächlich Ähnlichkeit mit ihr?«

Rolf und Irene versanken in Schweigen, nachdem sie einen sehr nachdenklichen Blick getauscht hatten. Was ihnen durch den Sinn ging, sagten sie nicht.

»Ich muß gestehen, daß mir eine gewisse Ähnlichkeit auch schon aufgefallen ist«, sagte Rolf ruhig, nachdem der Film abgespult war. »Ich dachte, die käme daher, weil sie sich in die Rolle hineinlebte. Aber ich muß zugeben, daß sie der jungen Alice tatsächlich sehr ähnlich ist. Sie wäre damals ein ausgezeichnetes Double gewesen.«

»Oder sie hätte Alice in den Schatten gestellt«, platzte André heraus.

Drei Augenpaare waren fassungslos auf ihn gerichtet. »Warum starrt ihr mich so an?« fragte André. »Wollt ihr euch den Film noch mal unter diesem Gesichtspunkt anschauen? Alice war damals einundzwanzig, und wieviel ausdrucksvoller ist doch Simones Gesicht heute schon, da sie doch auch erst einundzwanzig ist. Sollte euch das entgangen sein? Alice ist doch erst später geworden, was sie heute ist.«

»Die Aufnahmetechnik war damals nicht so gut wie heute«, bemerkte Rolf sachlich, aber Andrés Worte hatten ihn sehr beeindruckt. »Aber vielleicht wird Simone ein ganz großer Star.«

»Um dann auch so kaputt zu sein wie Alice, wenn sie vierzig ist?« fragte André heftig. »Ich hoffe nur, daß sie tatsächlich so klug ist, wie sie scheint, und sich nicht vermarkten läßt. Dann also gute Nacht.«

»O jemine«, senfzte Rolf, »damit habe ich wirklich nicht gerechnet.«

»Womit?«

»Daß es ihn gepackt hat, und diesmal richtig. Aber bei Simone wird er auf Granit beißen. Sie verplempert ihre Zeit nicht mit einem halbreifen Jungen.«

»Jetzt sei mal nicht ungerecht, Paps«, warf Vicky ein. »Etwas Besseres könnte uns doch gar nicht passieren, als wenn er sich in Simone verliebt.«

»Habe ich nicht gesagt, daß er sich an ihr die Zähne ausbeißen wird?« grollte Rolf.

»Bist du etwa eifersüchtig, Paps?« fragte Vicky. »Na, ich sage auch lieber gute Nacht.«

»Da hast du es«, meinte Irene lächelnd, als auch Vicky verschwunden war.

»Du wirst doch nicht auch so denken, Liebes«, brummte er.

»Ich kenne dich zu gut, Rolf, aber ich würde sogar Verständnis für dich aufbringen, wenn du dich in dieses Mädchen verlieben würdest. Gleichzeitig würdest du mir aber auch leid tun, denn Simone würde dir abrupt den Rücken kehren, und dann wäre es aus mit deinen Träumen von der Zusammenarbeit.«

»Ich bin nicht in sie verliebt, Irene. Ich war einmal in Alice verliebt, das weißt du. Aber dann lernte ich glücklicherweise dich kennen.«

»Simone ist ihr tatsächlich ähnlich«, sagte Irene sinnend. »Ich hoffe nur, daß ihr Leben glücklicher verlaufen wird, selbst wenn sie die Bretter wählen sollte, die angeblich die Welt bedeuten.«

Er wanderte durch den Raum. »Hast du vorhin nicht auch gedacht, daß sie Alices Tochter sein könnte?« fragte er heiser.

»Es war ein flüchtiger Gedanke, Liebster. Alice ist mit Frau Röcken zur Insel der Hoffnung gefahren. Das hätte sie doch niemals getan, wenn ihr der Name Röcken bekannt gewesen wä-re.«

»Wenn man ein Kind zur Adoption freigibt, erfährt man den Namen der Adoptiveltern nicht. Doch es spräche noch etwas dagegen. Dr. Norden sagte mir, daß Simone ein uneheliches Kind ist, und eine alleinstehende Frau darf ein Kind nicht adoptieren, wenn sie noch sehr jung ist. Aber es gibt viele solcher Ähnlichkeiten, Irene, sonst gäbe es auch keine Doppelgänger, und von solchen liest man doch genug.«

»Sogar Königin Elisabeth hat eine Doppelgängerin«, meinte Irene lä­chelnd. »Denken wir jetzt lieber über die Wandlung unseres Sohnes nach.«

»Wozu? Wir haben Zeit, uns von solcher überzeugen zu lassen. Gabi wird ihn nicht so einfach aus ihren Krallen lassen.«

Irene lächelte verschmitzt. »Und eine Simone muß man erst erobern. Soweit denke ich noch gar nicht, Rolf.«

*

Und in solche Richtung gingen Simones Gedanken schon gar nicht Sie beschäftigte sich wieder mit Alices Rolle. Sie stellte sich vor den Spiegel und beobachtete sich kritisch, wenn sie sprach. Und dann wurde ihr jäh bewußt, daß sie schon ganz eingefangen war, sich selbst fremd wurde und doch voll glühender Begeisterung. Wie soll ich es nur Mutti beibringen, dachte sie.

Dann hatte sie einen seltsamen Traum. Darin spielte ein Mann eine Rolle, den sie nie gesehen hatte. Er kam auf sie zu, riß sie in seine Arme und küßte sie. Und sie erwachte mit einem angstvollen Herzklopfen.

Sie machte Licht und versuchte sich zu erinnern, aber nur daran konnte sie sich erinnern, daß dieser Mann nicht die geringste Ähnlichkeit mit Rolf Hanson gehabt hatte. Warum dachte sie an ihn oder seinen Sohn? Die beiden waren sich ja ähnlich, aber jener Mann hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihnen gehabt. Sie dachte dann sogar an Roland Goetz, aber mit dem hatte der Mann schon gar keine Ähnlichkeit gehabt.

Konnte man überhaupt von einem Menschen träumen, dem man nie begegnet war?

Ich sollte lieber schlafen, als über solchen Unsinn nachdenken, dachte Simone, und weil sie jung und gesund war, schlief sie auch wieder ein. Es berührte sie nur seltsam, daß der Traum dennoch in ihrer Erinnerung haften blieb.

Am anderen Morgen war sie putzmunter. Sie mußte an diesem Tag ihren Dienst bereits um acht Uhr antreten und Frau Hofer ablösen, die stets den Nachtdienst versah, weil sie zwei Kinder zu versorgen hatte. Was muß das für eine Ehe sein, dachte Simone, als sie das Hotel betrat.

Sie fand eine völlig erschöpfte Frau Hofer vor. »Meine Güte, war heute nacht ein Betrieb«, sagte sie, »diese verdammten Messen, da werden Gespräche bis nach Honolulu und sonstwohin geführt.«

»Wie halten Sie das überhaupt durch, Frau Hofer?« fragte Simone. »Jede Nacht?«

»Wir haben uns halt mit dem Haus übernommen. Jetzt müssen wir durchhalten«, erwiderte Frau Hofer. »Aber die Durststrecke ist bald überwunden. Eine liebe alte Tante hat uns dreißigtausend Euro versprochen.«

Hoffentlich hält sie das auch, dachte Simone, als Frau Hofer müde hinauswankte. Und wieder einmal fragte sie sich, wie es ihre Mutter geschafft hatte, Beruf, Haushalt und Kind unter einen Hut zu bringen. Nun, am Beginn eines neuen Tages, wußte sie, daß sie alle Träume zurückstecken mußte, wenn ihre geliebte Mutsch damit nicht einverstanden sein würde.

Der Tag begann sehr turbulent. Sie kam nicht zum Nachdenken. Aber zwischendurch ließ der Direktor sie wissen, daß er sie nach dem Dienst zu sprechen wünsche.

»Das geht leider nicht«, erwiderte sie, »ich habe eine dringende Verabredung, die ich einhalten muß.«

Er schien verblüfft und kam höchstpersönlich. Doch sie ließ sich vorerst nicht stören. »Es muß da etwas geklärt werden, Fräulein Röcken«, sagte er. »Ein Anrufer hat sich über Sie beschwert.«

»Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte sie ruhig, »ich bin stets höflich.«

»Dennoch besteht er auf einer Gegenüberstellung. Er hätte eine ganz dringende Verabredung mit Frau Valborg gehabt.«

»Ach der«, sagte Simone abfällig, »ich habe ihm höflich aber bestimmt erklärt, daß Frau Valborg abgereist ist, und das können Sie doch bestätigen. Und dann sagte dieser Mann, ich solle ihn nicht täuschen, er wüßte, daß ich Alice Valborg sei. Er sagte das sinngemäß und nicht so höflich wie ich, Herr Direktor. Hätte ich mich etwa als Frau Valborg ausgeben sollen?«

Oh, sie konnte sehr kühl sein, und sie brachte auch den Direktor in Verlegenheit.

»Ich will Ihnen ja nichts unterstellen, Fraulein Röcken«, sagte er, »aber dieser Herr von Bergen sagte, daß er mit Frau Valborg einen Vertrag hatte. Er scheint ein Filmproduzent zu sein.«

»Nun, dann wird er ja wohl auch wissen, wo sich Frau Valborg aufhält«, sagte Simone. »Soll ich mich bei diesem Mann etwa entschuldigen? Wenn Ihnen etwas nicht paßt, gehe ich. Ich finde bestimmt schnell eine andere Stellung.«

»Aber nein, so war das doch nicht gemeint. Herr von Bergen ist jetzt unser Gast. Sie müssen das doch verstehen.«

»Sie können ihm erklären, wann Frau Valborg das Hotel verlassen hat«, sagte sie.

»Aber er beharrt darauf, daß er Frau Valborgs Stimme gehört hat.«

»Und Sie wissen, daß Frau Valborg gar nicht deutlich sprechen konnte«, konterte Simone.

»Er möchte diese Angelegenheit mit Ihnen persönlich klären«, sagte der Direktor.

»Ich möchte das nicht, weil es Schikane ist. Ich verlasse meinen Arbeitsplatz so pünktlich, wie ich ihn einnehme.«

»Diese Angelegenheit ist in wenigen Minuten aus der Welt zu schaffen, Fräulein Röcken.«

»Wie Sie sehen, habe ich viel zu tun, Herr Direktor, und ich möchte nicht riskieren, daß weitere Klagen kommen. Vielleicht erkundigen Sie sich bei Herrn Hanson, ob Frau Valborg einen Vertrag mit einem Herrn von Bergen gemacht hat. Soviel ich weiß, steht sie bei ihm unter Vertrag. Soll ich das Gespräch vermitteln?«

»Wenn ich darum bitten darf«, erwiderte er verwirrt.

Rolf Hansons Nummer hatte Simone im Kopf, und sie konnte dann auch hören, was der Direktor sagte, der augenscheinlich in größte Bedrängnis geriet. Mehr als »ja ja« und »ich kann mir das nicht erklären«, brachte er nicht über die Lippen, und dann sagte er zu Simone, daß Herr Hanson umgehend hier eintreffen würde.

»Sie kennen ihn persönlich?« fragte er heiser.

»Ich hatte die Ehre«, erwiderte Simone spöttisch.

*

»Was ist los, Rolf?« fragte Irene, als er den Hörer hörbar aufknallte. »Mach das Telefon nicht kaputt.«

»Das ist der Gipfel, Irene. Da behauptet einer, daß er Alice unter Vertrag hätte, und der will auch noch Simone irgendwie hineinziehen.«

»Gibt es Spitzel bei euch?« fragte sie nachdenklich.

»Das ist doch purer Unsinn. Das muß ein Schwindler sein. Er versucht es auf die ganz freche Tour.«

»Nun bewahre mal Ruhe, Rolf«, sagte sie beruhigend. »Kann es denn nicht sein, daß Alice doch irgendwie unter Druck gesetzt wird?«

»Aber wer weiß von Simone?«

»Es gibt viele Kanäle. Du wirst es schon herausfinden.«

»Ein ganz klein bißchen muß ich auch egoistisch denken, Irene, und an den Film. Simone ist die Rettung für mich. Ich will das nicht falsch verstanden wissen, aber ihre Arbeit darf auch nicht gefährdet werden.«

»Schenk ihr reinen Wein ein, Rolf, so ist es am ehrlichsten. Sie wird es verstehen. Oder soll ich mit ihr sprechen?«

»Nein, das tue ich schon selbst, mein Schatz. Also auf ins Gefecht.«

Der Hoteldirektor hatte Herrn von Bergen davon unterrichtet, daß es zu der Gegenüberstellung mit Fräulein Röcken in Anwesenheit von Herrn Hanson kommen würde. Das war telefonisch geschehen. Als Rolf Hanson kam, war besagter Herr von Bergen nicht mehr auffindbar. Für den Hoteldirektor war es eine äußerst peinliche Situation, aber sie wurde noch peinlicher, als Simone nach einem kurzen Gespräch mit Hanson erklärte, daß sie sich bedroht fühle und unter den gegebenen Umständen ihre Stellung aufgeben würde.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Herr von Bergen hatte seine Rechnung nicht bezahlt, und Simone beharrte auf der Kündigung. Sie wußte, daß Rolf Hanson sie nicht im Stich lassen würde. Er allerdings war nicht so sicher, wie sie sich verhalten würde, wenn er ihr seine bedrängte Lage schilderte.

Um so überraschter war er, als er dies getan hatte.

»Ich habe es mir gedacht«, sagte Simone. »Für Sie steht viel auf dem Spiel. Für Frau Valborg auch. Übrigens hatten Sie es doch schon bei unserem ersten Gespräch angedeutet, was alles auf dem Spiel steht. Ich kann auch zwischen den Worten hören. Selbstverständlich stehe ich zu meinem Wort.«

»Sie sind ein wundervolles Mädchen, Simone«, sagte er beglückt. »Und Irene hat das auch erkannt. Sie würde mir sogar verzeihen, wenn ich mich in Sie verlieben würde.«

»Das wäre allerdings schade«, sagte Simone mit einem verschmitzten Lächeln. »Letztlich war es Ihre Frau, die meine Entscheidung beeinflußt hat. Aber wenn es Ihre Eitelkeit nicht kränkt, würde ich gern sagen, daß ich mir solchen Vater gewünscht hätte, wie Sie es sind.«

»Ich bin nicht eitel, und jetzt machen Sie mich sehr glücklich, Simone.«

»Ja, Ihre Kinder sind beneidenswert«, sagte sie leise.

»Wenn Sie es sagen? Aber ich kann sagen, daß Vicky und auch André sehr angetan von Ihnen sind.«

»André auch?« staunte sie.

»Er hat nur dauernd überlegt, an wen Sie ihn erinnern, und gestern abend haben wir gemeinsam festgestellt, daß Sie auch eine beträchtliche Ähnlichkeit mit der jungen Alice Valborg haben. Wir haben einen alten Film von ihr gesehen. André hat ihn hervorgezogen. Jetzt ist er zufrieden.«

»Kann ich diesen Film auch mal sehen?«

»Aber sicher.«

»Ist so was nicht seltsam?« fragte Simone.

»Gewiß, es ist überraschend, aber immerhin ist es ja eine Persönlichkeit, der Sie ähnlich sehen. Also keineswegs Anlaß zu Depressionen.«

»Dazu neige ich gar nicht, denn ich sehe auch meiner Mutter ähnlich. Ich habe außerdem gelesen, daß jeder Mensch mindestens einen Doppelgänger hat. Man braucht sich gar nichts darauf einzubilden, ein Einzelwesen zu sein.«

»Das Aussehen allein macht es nicht, Simone. Die Seele des Menschen ist ausschlaggebend. Und etwas haben Sie Alice ganz bestimmt voraus.«

»Was?«

»Frohsinn und Energie. Ich meine jene Energie, sich auch in kritischen Situationen nicht unterkriegen zu lassen.«

Simone schwieg eine Weile. »Ich würde Alice gern näher kennenlernen«, sagte sie gedankenverloren, »aber vielleicht gelingt das meiner Mutter, und sie gibt dann ihre Vorurteile gegen diesen Beruf auf.«

»In den Sie sich hineinleben?« fragte er stockend.

»Klingt es vermessen, wenn ich sage, daß ich mich dazu berufen fühle?«

»Wenn Sie es sagen, klingt es nicht vermessen. Sie sind dazu sogar geboren«, erwiderte er verhalten.

»Wenn es Mutsch nur begreifen würde! Ich möchte ihr nicht weh tun.«

*

Hedi Röcken sprach nicht über Alices Beruf, nicht über die Filme, die sie gesehen hatte. Einfühlsam und taktvoll tastete sie sich an die andere heran. Mit der Therapie war schon begonnen worden. Alice schlief sehr viel und wirkte jetzt schon viel entspannter.

Hedi war schon voller Bewunderung für die individuelle Betreuung, die jedem einzelnen Patienten zuteil wurde. Die Atmosphäre war so wohltuend, daß man sich schnell heimisch fühlen konnte, ob man nun Gesellschaft suchte oder allein sein wollte.

Ja, die Insel konnte auf zehn Jahre erfolgreiches Bestehen zurückblicken. Dr. Friedrich Norden, Daniels Vater, war es nicht mehr vergönnt gewesen, die Verwirklichung seines Lebenstraumes zu erleben, doch sein Freund Dr. Johannes Cornelius wirkte ganz in seinem Sinn, voller Güte und Verständnis für die seelischen Leiden der Patienten, die so oft die Ursache langwieriger Krankheiten waren. Oft war es ein Stück unbewältigter Vergangenheit, die zur Resignation führte. Auch Hedi begriff, daß sie manches nur verdrängt, aber doch noch nicht bewältigt hatte. Mehr als zwanzig Jahre hatte sie nichts anderes gekannt als Arbeit und die Sorge für und um Simone.

Jetzt gaben ihr Dr. Cornelius und seine Frau Anne ein Beispiel, wie positiv man zum Leben eingestellt sein konnte, auch wenn man viel Leid erfahren hatte. Davon waren auch sie nicht verschont geblieben. Beide waren schon einmal verheiratet gewesen und hatten ihre Partner früh verloren. Anne hatte lange um die Gesundheit ihrer Tochter Katja bangen müssen, die von einer Lawine verschüttet gewesen war, als sie gerade siebzehn Jahre alt war und dann viele Monate im Rollstuhl verbringen mußte, bedingt durch eine Schocklähmung. Jetzt war sie eine gesunde, glückliche Frau, verheiratet mit dem berühmten Pianisten David Delorme.

Anne erzählte Hedi davon mit der Absicht, ihr begreiflich zu machen, daß auch ein Künstlerleben sich glücklich gestalten konnte, da sie nun wußte, welches Ziel Simone ins Auge gefaßt hatte. Fee hatte es ihr berichtet.

Hedi hatte auch interessiert zugehört, dann aber sagte sie: »Das ist wohl eine Ausnahme, die die Regel bestätigt. Dagegen ist Alice wohl der Beweis, daß Ruhm allein nicht glücklich macht. Ich bin wirklich sehr froh, daß meine Tochter einer solchen Verführung nicht unterlegen ist.«

»Was meinen Sie mit Verführung, Hedi?« fragte Anne. »Als Künstler, gleich welcher Art, kann man doch anderen Menschen sehr viel geben. Wie leer wäre das Leben, wenn es keine Künstler gäbe. Sie sind doch auch eine Künstlerin.«

Ganz feine Röte stieg langsam in Hedis Wangen. »Für mich ist das mehr ein Handwerk«, sagte sie. »Und dabei gerät man nicht ins Rampenlicht. Man bleibt sich selbst treu.«

Anne gab es vorerst auf, mehr dazu zu sagen. Sie lenkte ab. »Ich möchte Ihnen mal ein paar Bilder zeigen, Hedi, und Ihre Meinung dazu hören.«

Die Bilder hingen im Wohnraum, Aquarelle in zarten, verschwimmenden Farben und doch von faszinierender Ausdrucksstärke.

»Wunderschön«, sagte Hedi andächtig. »Wer hat sie gemalt?«

»Ein Patient. Wir erwarten ihn morgen. Er kommt jedes Jahr zu uns. Er ist Rechtsanwalt.«

»Und kann solche Bilder malen?«

»Er hat hier damit angefangen, im reifen Alter von fünfundvierzig Jahren«, erklärte Anne mit einem feinen Lächeln.

»Den Wunsch zu malen hat er zeitlebens gehabt, aber sein Vater bestand darauf, daß er Jurist werden und seine Kanzlei übernehmen sollte. Er wollte seinen Vater nicht enttäuschen und wurde Anwalt. Er blieb das Anhängsel seines bekannten Vaters, bis dieser starb. Dann mußte er an dessen Stelle die Verteidigung einer Frau übernehmen, die ihren Freund erschossen hatte. Es war eine menschliche Tragödie, die ihn schwer erschütterte. Niemand traute dieser Frau einen kaltblütigen Mord zu, aber er wußte, daß es so war. Dennoch plädierte er auf Totschlag im Affekt, und sie bekam dafür vier Jahre. Die Tatsache, daß sie nicht die geringste Reue empfand, obgleich sie mit ihren Tränen Richter und Geschworene gerührt hatte, und daß letztlich seine Verteidigung dazu beigetragen hatte, daß sie eine so geringe Strafe bekam, quälte ihn so, daß er in schwerste Depressionen verfiel. Hier fand er zu sich selbst zurück und begann zu malen. Mehr will ich Ihnen jetzt nicht erzählen. Sie werden ihn kennenlernen.«

»Aber er ist wieder als Anwalt tätig?« fragte Hedi.

»Nicht mehr als Strafverteidiger.«

Erst später wurde es Hedi bewußt, was Anne ihr zu verstehen geben wollte. Jener Mann war Anwalt geworden, weil er seinen Vater nicht enttäuschen wollte. Er war nicht glücklich in seinem Beruf. Aber Simone hatte ihr doch nie zu verstehen gegeben, daß sie unzufrieden war.

Nein, unzufrieden war sie nicht, aber ausgefüllt wurde sie davon wohl auch nicht. Und wie war es bei ihr?

Sie hatte entworfen und gefertigt, was man von ihr verlangte und dem entsagt, wozu es sie drängte. Sie hatte dazu auch keine Zeit gehabt, weil sie Geld verdienen mußte. Aber hier hatte sie Zeit. Hier wurde sie nicht eingeengt.

Alice kam ihr entgegen. Ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht. »Hallo, Hedi«, sagte sie.

Ja, sie sagte es! Hedi hielt den Atem an. Die Stimme klang leise, heiser, und dennoch konnte sie dieses »Hallo, Hedi« verstehen.

»Alice, Ihre Stimme!« stammelte sie.

Spontan wurde sie umarmt. »Es wird«, sagte Alice. Dann schob sie ihre Hand unter Hedis Arm, und sie gingen der Sonne entgegen.

*

Simone hatte ihr Pensum im Studio mit Bravour hinter sich gebracht. Rolf Hanson hatte allen Grund, mehr als zufrieden zu sein.

»Es war phantastisch, Simone«, sagte er und küßte sie auf die Wange. »Tut mir leid, daß ich noch zu tun habe und Sie nicht zum Hotel bringen kann. André wird gleich hier sein und das übernehmen.«

André war schon da, und er hatte gesehen, wie sein Vater Simone auf die Wange küßte. Er ließ es sich nicht anmerken, daß ihm das gar nicht paßte.

»Bin schon zur Stelle. Seid ihr fertig?« fragte er.

»Eine Tasse Kaffee könnten wir schon noch trinken«, meinte Rolf.

»Ich würde gern ein bißchen früher drinnen sein«, sagte Simone. »Ich muß mal mit meiner Kollegin sprechen. Sie hat mir gestern eine Nachricht hinterlassen.«

»Wenn es wieder Ärger gibt, rufen Sie mich an, Simone«, sagte Rolf.

»Und er läßt alles stehen und liegen«, brummte André, als sie zum Wagen gingen.

»lch möchte das keineswegs«, sagte Simone kühl.

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Ich hätte auch mit dem Bus fahren können.«

Er wurde verlegen. »Bin ich wieder mal etwas aus der Rolle gefallen, Simone? Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch.«

»Sie denken falsch, André, das möchte ich einmal deutlich sagen. Ihr Vater ist ein Gentleman und für mich so ein bißchen Vaterersatz, wenn Sie das nicht auch in die falsche Kehle kriegen.«

»Immerhin sind Sie aber ein Mädchen, das einen Mann um den Verstand bringen kann«, entfuhr es ihm.

»Ach, du liebe Güte!« lachte Simone auf, aber gleich wurde sie wieder ernst. »Sie sollten doch eigentlich wissen, daß Ihr Vater ein sehr treuer Ehemann und mit seiner Frau sehr glücklich ist. Wenn alle Ehen so wären, würde es weniger Unglück geben. Sie brauchen nicht zu fürchten, daß ich zu einem Risikofaktor werde.«

»Paps deutete gestern an, daß Sie ins Filmgeschäft einsteigen werden«, sagte André stockend. »Für ihn sind Sie das Jahrhunderttalent.«

»Das mußte sich erst erweisen. Ich sehe das eigentlich ein bißchen nüchterner. Die Stimme allein macht es nicht, An­dré.«

»Ich bin ja nicht blind«, sagte er mit einem seltsamen Ausdruck.

»Und ich gebe mich keinen Illusionen hin. Vorerst werde ich mein Debüt als Fernsehansagerin geben. Da fällt auch eine aus. Man wird sehen, wie ich ankomme. Ich sehe das ganz nüchtem, aber immerhin ist es für mich eine Verbesserung. Ich habe meine Stellung aus bestimmten Gründen gekündigt.«

Er versank in Schweigen. »Es wäre ja auch ein Jammer, wenn Sie so anonym verkümmern würden«, sagte er dann. »Ich bin auch der Meinung, daß Sie eine große Karriere machen können. Es wäre nur schade, wenn Sie auch so ein Schicksal erleiden wie Alice.«

»Können Sie mir sagen, welchen Einfluß wir letztendlich auf unser Schicksal haben, André?« fragte Simone nachdenklich.

»Haben wir es nicht selbst in der Hand, es zu gestalten?« fragte er.

»Darüber ließe sich streiten. Wir müssen damit fertig werden, was uns auferlegt wird.«

»So jung und schon so weise.«

»Weise ist man vielleicht am Ende des Lebens, gleich, wann dies ist.«

»Das ist schon Philosophie. Sind Sie dafür nicht zu jung, Simone?«

»Ich habe keine Zeit in Discos und auf Parties vergeudet«, sagte sie anzüglich. »Allerdings konnte man da wohl auch Erfahrungen sammeln. Es kommt immer darauf an, wie man seine Umwelt sieht.«

»Sie sind umwerfend direkt.«

»Jedenfalls wissen Sie nun, daß ich nicht die Absicht habt, Ihren Vater zu verführen. Hoffentlich ist Ihnen das klar. Ich empfinde eine tiefe Zuneigung für Ihre Mutter und als ein Geschenk, einen Freund gewonnen zu haben, der grundanständig ist. Ich meine Ihren Vater, André. Sie haben seit dreiundzwanzig Jahren das beste Vorbild. Halt«, rief sie dann aus, »wir sind am Ziel.«

Verwirrt trat er auf die Bremse. »Es ging so schnell«, stotterte er. »Sie haben es mir ganz schön gegeben, Simone.«

»Wieso? Ich habe nur gesagt, was ich denke. So habe ich es immer gehalten. Und dabei bleibt es.«

Sie stieg aus und wollte schon davoneilen, aber dann drehte sie sich um, und nun machte sie einen verwirrten Eindruck.

»Da ist wieder dieser Kerl«, stieß sie hervor. »Würden Sie mich bitte begleiten, André?«

»Aber gern. Was für einen Kerl meinen Sie?«

»Den Mann im grauen Anzug. Lassen Sie sich nichts anmerken. Er steht jetzt vor dem Schaufenster und dreht uns den Rücken zu. Aber er kann uns in der Scheibe beobachten.«

André stieg schnell aus. Impulsiv legte er seinen Arm um Simones Schultern und neigte seinen Kopf zu ihr herunter. »Er soll uns ruhig für ein Pärchen halten«, raunte er ihr zu. »Einverstanden?«

Sie nickte. Eine unerklärliche Angst war in ihr, und sie empfand André jetzt als ihren Beschützer. Und er fühlte sich so. Er blieb stehen und legte seine Hand an ihre Wange.

»Gehen Sie, ich will mir diesen Burschen ansehen«, flüsterte er. »Ich passe auf, daß er Ihnen nicht folgt.«

»Danke«, hauchte sie. »Wir werden uns ja bald sehen.«

André blickte ihr nach, aber dann drehte er sich ganz schnell um und sah, daß jener Fremde im grauen Anzug Simone auch nachblickte. Er war etwas mehr als mittelgroß und sehr schlank. Er hatte eine gelbliche Gesichtsfarbe und sah verlebt aus.

Plötzlich schien der Mann zu erschrecken, eilte davon und tauchte im Menschengewühl unter. André fiel es auf, daß der Hotelportier nicht weit von ihm entfernt stehenblieb, dann aber wieder kehrtmachte.

Ihm wurde jetzt bewußt, daß er im Halteverbot stand. Rasch ging er zu seinem Wagen und atmete auf, als ein Polizist wieder kehrtmachte, als er nun schnell weiterfuhr. Er hatte sich schon genug Strafzettel eingehandelt. Als er aber ein paar Straßen weitergefahren war, wendete er wieder und fuhr zum Hotel zurück. Eine Idee war ihm gekommen. Ordnungsgemäß parkte er jetzt und ging auf das Hotel zu. Der Portier stand an der Tür.

Er musterte ihn mißtrauisch, als André fragte, ob Fraulein Röcken belästigt worden sei.

»Mein Name ist Hanson«, stellte er sich vor. »Ich hatte Fräulein Röcken hergebracht. Aber da war so ein Mann, der mir auffiel.«

»Mir auch«, erwiderte der Portier. »Er lungert öfter hier herum.«

»Aber Sie kennen ihn nicht?«

Der Portier sah ihn durchdringend an. »Sind Sie der Sohn von Herrn Hanson?« fragte er.

»Ja.«

»Die Ähnlichkeit ist ja unverkennbar«, sagte der Portier sehr viel freundlicher. »Der Page sagte vorhin, daß dieser Mann unter dem Namen von Bergen hier gewohnt hat, als ich einen Tag Urlaub hatte. Die Rechnung steht offen. Da wollte ich hinter ihm her, aber er ist verschwunden. Aber Sie können ja mal mit dem Direktor sprechen. Mich bringt es auf die Palme, daß Fräulein Simone wegen diesem Kerl geht. Ich meine diesen Zechpreller, nicht den Direktor. Aber verstehen tu’ ich den auch nicht. So was wie Fräulein Simone kriegen wir nicht mehr so schnell.«

André bedankte sich für die Auskunft und drückte ihm einen Zehneuroschein in die Hand. Ihm gab er diesen bedeutend lieber als dem Polizisten für ein Strafmandat, und er hatte viel erfahren, was ihn sehr interessierte.

Aber mit dem Direktor wollte er seinen Vater lieber sprechen lassen, der verschaffte sich mehr Respekt.

Und dann dachte André darüber nach, was Simone über seinen Vater, über seine Eltern und auch sonst gesagt hatte, und er schämte sich mancher Gedanken.

Simones Kollegin Anja, sonst nicht leicht zu erschüttern, heulte, als Simone kam.

»Du treulose Tomate, wie kannst du mir das antun«, schluchzte sie, »einfach zu kündigen, wegen solchem Spinner! Aber der Direktor scheint ja auch einer zu sein. Ich suche mir auch eine neue Stellung, so stinkt mir das.«

»Du weißt es also schon«, sagte Simone. »Deswegen brauchen wir uns doch nicht aus den Augen zu verlieren, Anja.«

»Ich koche. Da hat dieser Verrückte doch gestern wieder angerufen und mir tausend Euro versprochen, wenn ich mich mit ihm treffe. Aber er wollte nur was über dich erfahren.«

»Hast du dich etwa mit ihm getroffen?« fragte Simone bestürzt.

»Ich war neugierig. Ich dachte, du wärest eine verkappte Prinzessin. Er hat angedeutet, daß es um ein großes Erbe ginge. Aber er ist bloß so ein schmieriger Kerl, vielleicht ein Privatdetektiv oder so was, und ich habe ihm was gehustet. Ich konnte ja über deine Herkunft auch nichts sagen. Ich weiß ja nichts. Nimm dich in acht, Simone. Ich habe ein ungutes Gefühl. Ob du mit Frau Valborg gut bekannt bist, wollte er auch wissen.«

»Hast du wenigstens die tausend Euro bekommen?« fragte Simone ablenkend.

»Von wegen, die hätte ich auch gar nicht haben wollen. Da könnte man ja infiziert werden. Der ist nicht nur verrückt, der ist krank, sage ich dir. Geld hat er jedenfalls nicht. Bist du nun böse mit mir?«

»Nein, Anja, das war sehr interessant. Ich muß mich bei dir bedanken. Ich werde vorsichtig sein. Trug er einen grauen Anzug?«

»Ja, und eine ganz gelbe Gesichtsfarbe hat er. Wahrscheinlich hat er Leberzirrhose oder so was. Unser Nachbar ist daran gestorben. Ich kann dir aufzeichnen, wie er aussieht.«

Und schon griff sie nach einem Blatt Papier und warf ein Gesicht darauf.

»Du hast ja Talent«, staunte Simone. »Du hast ihn gut getroffen.«

»Du kennst ihn?«

»Ich bin ihm schon begegnet«, sagte Simone nachdenklich. »Vorhin erst zum zweiten Mal.«

»Ich bin gestern gleich zum Direktor gegangen und habe mich beschwert«, fuhr Anja hastig fort. »Ich habe den Mann beschrieben und auch gezeichnet. Da hat er gesagt, der hätte unter dem Namen von Bergen hier gewohnt und…«

»… sich über mich beschwert«, fiel ihr Simone ins Wort. »Das wird ja immer interessanter. Und dann ist er verschwunden, ohne seine Rechnung zu bezahlen. Er ist nicht hinter mir her, sondern hinter Frau Valborg, und ich möchte wissen,warum.«

»Laß dich nicht mit ihm ein, Simone«, sagte Anja. »Ich muß jetzt auch weg, aber du läßt doch von dir hören.«

»Einstweilen sehen wir uns ja noch, Anja«, erwiderte Simone. »Bis zum Ersten bleibe ich.«

»Das sind nur noch drei Tage«, murmelte Anja, und wieder liefen ihr Tränen über die Wangen: »Aber du bist für so eine stupide Arbeit sowieso zu schade.« Und dann drückte sie Simone einen feuchten Kuß auf die Wange.

Simone setzte die Kopfhörer auf, aber ihr Blick war auf das Blatt Papier gerichtet, auf das Anja mit wenigen Strichen dieses Männergesicht so deutlich gezeichnet hatte.

Auch ein ungenutztes Talent, dachte sie für sich, aber dann ging sie ihrer Arbeit nach wie immer, und es gab keine besonderen Vorkommnisse, bis Rolf Hanson anrief.

»Ich hole Sie nachher ab, und dann fahren wir zu uns, Simone«, sagte er. »Ich habe eine kurze Besprechung mit Ihrem Direktor.«

*

Hedi hatte an diesem Tag ein langes Gespräch mit Dr. Cornelius.

Es ging um Alice, die sich von Stunde zu Stunde deutlicher verständlich machen konnte. Doch ein anderes Problem blieb.

»Alice will hierbleiben, Herr Dr. Cornelius. Vielleicht ein paar Monate. Sie will nicht mehr filmen. Sie will untertauchen.«

»Untertauchen?« fragte er bestürzt.

»Sie hat mir angedeutet, daß sie sich hier sicher fühlt, und daß man sie hier nicht finden würde. Manchmal redet sie jetzt ja mehr mit sich selbst.«

»Sie ist noch nicht über den Berg, Hedi«, sagte Dr. Cornelius.

»Das begreife ich ja, aber sie will, daß ich bei ihr bleibe. Ich habe ihr noch nicht gesagt, daß ich eine Tochter habe. Anne hat mich darum gebeten. Sie meinte, daß es für Alice besser sei, wenn sie mich in der gleichen Lage wähnen würde, in der sie sich selbst befindet. Aber ich kann dieses Spiel nicht mehr weitertreiben, Dr. Cornelius.«

»Sagen Sie doch Hannes zu mir, Hedi. Mit Anne sind Sie doch schon per Du.«

Hedis Augen leuchteten auf. »Sehr, sehr gern, Sie beide sind wunderbare Menschen. Anne hat gesagt, daß ich mit Ihnen sprechen soll. Sie versteht mich.«

»Ich verstehe Sie auch, Hedi. Aber Sie bleiben doch noch drei Wochen, und da kann Alice schon in einer viel besseren Verfassung sein. Wenn jetzt ein Rückschlag erfolgt, sehe ich düster.«

»Ich möchte Alice ja helfen. Ich habe sie sehr gern, aber ich mache mir Sorgen um meine Tochter. Sie rief mich gestern abend an und sagte mir, daß sie eine neue Stellung antreten wird, die ihr bedeutende Vorteile einbringt.«

»Das ist doch nur erfreulich, Hedi«, erwiderte Johannes Cornelius.

»Aber das kommt so plötzlich. Simone überdenkt doch sonst alles. Sie hat mich gebeten, ihr diesmal nicht dreinzureden, weil es doch auch für mich von Vorteil wäre. Es kommt mir alles so merkwürdig vor.«

»Simone ist doch erwachsen, Hedi«, sagte der Arzt begütigend. »Wenn sie sich deutlich verbessern kann, warum sollte sie dann nicht zugreifen?«

»Es ist eine Stellung beim Fernsehen«, sagte Hedi leise.

»Und was haben Sie dagegen einzuwenden?«

»Da kommt sie in die Kreise, die zu einem Teufelskreis werden können«, sagte Hedi bebend.

Er griff nach ihrer Hand. »Wollen Sie sich nicht mal aussprechen, Hedi? Sie sind doch auch noch nicht über den Berg. Sie tragen eine Angst mit sich herum, die Aggressionen hervorruft. Jeder Mensch muß seinen Weg gehen, auch Simone. Ich habe von meinem Schwiegersohn gehört, daß sie ein charakterfestes Mädchen ist.«

»Sie weiß ja nichts«, flüsterte Hedi.

»Was weiß sie nicht?«

»Ich werde es Ihnen sagen, Hannes, aber nur Ihnen. Niemand darf es erfahren, das müssen Sie mir versprechen. Auch Anne darf es nicht erfahren. Ich war nicht so ein charakterfestes Mädchen wie Simone.«

Und was er dann erfuhr, erschütterte ihn zutiefst, aber am Ende dieser Beichte legte er seinen Arm um die zierliche Frau.

»Sie waren doch so tapfer, Hedi«, sagte er leise. »Wer sollte einen Stein auf Sie werfen? Einundzwanzig Jahre waren Sie Simone die beste Mutter, warum sollte sie sich jetzt nicht als eine würdige Tochter erweisen?«

»Ich möchte doch nur, daß sie glücklicher wird als ich«, sagte Hedi leise.

Und da kam Anne. »Dr. Rassow ist gekommen«, sagte sie, »Nehmen Sie am Begrüßungsmahl teil, Hedi. Sie lernen den Schöpfer unserer schönen Bilder kennen.«

»Ich muß doch zu Alice«, sagte Hedi schüchtern.

»Hier muß niemand etwas«, sagte Anne, »und außerdem unterhält sich Alice gerade mit Isabel.«

*

Dr. Rassow war ein mittelgroßer, untersetzter Mann mit grauem Haar und grauem Vollbart. Grau waren auch seine Augen, die Hedi ein wenig irritiert musterten.

»Meine Freundin, Frau Röcken«, sagte Anne. »Sie erholt sich bei uns. Sie ist Graphikerin und hat deine Bilder schon bewundert, Poldi.«

Von dieser Art der Vorstellung etwas erschreckt, errötete Hedi. »Die Bilder sind wunderschön«, sagte sie leise.

»Ich verstehe sie eben auch«, meinte Anne lächelnd. »Wir würden sie auch nicht hergeben, wenn wir mal in Geldnot geraten sollten.«

»Sollte das jemals der Fall sein, werdet ihr euch hoffentlich erst meiner erinnern«, erwiderte Dr. Rassow.

»In vierzehn Tagen haben wir zehnjähriges Jubiläum und sind auf der Habenliste angelangt«, warf Dr. Cornelius lachend ein. »Anne hat einen Scherz gemacht. Wenn du auch nicht zu unseren ersten Patienten gehörtest, so doch zu unseren treuesten. Und dafür solltest du eigentlich eine Woche Aufenthalt geschenkt bekommen.«

»Das ist beschlossen«, sagte Anne.

»Dann bekommt ihr sieben Bilder geschenkt«, sagte Dr. Rassow. »Warum habe ich deine Freundin noch nie kennengelernt, Anne?«

»Weil sie zum ersten Mal hier ist«, erwiderte Anne.

»Da haben Sie aber bisher viel versäumt, Frau Röcken. Hat es Sie früher immer in den sonnigen Süden gezogen?«

Hedi warf Anne einen verwirrten Blick zu, und Anne sagte: »Hedi hat sich nie einen Urlaub gegönnt.«

Dr. Rassows Mienenspiel wechselte. »Es tut mir leid, wenn ich taktlos war«, sagte er leise.

»Wieso denn?« fragte Hedi unbefangen. »Die meisten Leute fahren doch in den Süden. Oh, da kommt Alice«, sagte sie dann hastig. »Ich will sie nicht warten lassen.«

Und schon enteilte sie. Dr. Rassow zuckte verlegen die Schultern. »Ich bin ein Blödmann«, sagte er entschuldigend.

»Ich hätte nicht sagen sollen, daß sie sich noch keinen Urlaub gegönnt hat«, meinte Anne, »aber das hat Hedi nicht krumm genommen. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen, Poldi. Wir haben einen sehr prominenten Gast, um den Hedi sich kümmert, deswegen ist sie so schnell auf und davon. Was sagt dir der Name Alice Valborg?«

Er runzelte die Stim. »Die Schauspielerin? Ich gehe nicht ins Kino.«

»Aber der Name ist dir bekannt«, sagte Johannes Cornelius.

»Man liest und hört ihn ja oft genug. Macht sie viel Wirbel?«

»Überhaupt keinen. Den Wirbel um sie haben immer andere gemacht. Hier ist sie Mensch, hier kann sie’s sein.«

»Darauf habe ich mich auch gefreut«, sagte Dr. Rassow. »Trinken wir auf die nächsten zehn Jahre und daß ich sie auch noch erlebe.«

»Trinken wir lieber darauf, daß die Insel auch dann noch das bleibt, was sie ist, wenn wir nicht mehr da sind«, sagte Anne.

»Das sollte lieber ich sagen«, warf Dr. Cornelius ein. »Ich bin doch der Älteste.«

»Soll das ein fröhlicher Empfang sein?« fragte Dr. Rassow.

»Entschuldige, Poldi, es war so ein Gedankengang«, sagte Dr. Cornelius. »Denken wir besser noch nicht zehn Jahre voraus.«

»Dann war das heute schon meine zweite Entgleisung«, sagte Dr. Rassow. »Ich bin urlaubsreif, meine Lieben.«

»Dann entspann dich mal schön«, sagte Anne.

*

Simone saß neben Rolf Hanson im Auto. »Was gab es mit dem Direktor?« fragte sie. »Verlangt er, daß ich die Kündigungsfrist einhalte?«

»Das ist geklärt, Simone. Ich habe mit ihm über jenen seltsamen Herm von Bergen gesprochen.«

»Ich hätte wohl die Gegenüberstellung doch nicht verweigern sollen«, sagte Simone nachdenklich.

»Er hat sich dieser ja durch Flucht entzogen. André hat mit dem Portier gesprochen und mich angerufen.«

»Wieso mit dem Portier?« fragte Simone erstaunt.

»Weil der den Mann im grauen Anzug verfolgen wollte. Vergeblich allerdings, der war bereits wieder mal verschwunden. Aber André machte sich Gedanken, daß dieser Kerl Ihnen schaden konnte. Er hat dann erstaunlich schnell geschaltet. Der Mann im grauen Anzug ist derjenige, der sich ›von Bergen‹ nannte.«

»Das weiß ich schon von meiner Kollegin Anja«, sagte Simone. Und dann erzählte sie, was sie von Anja erfahren hatte.

»Es geht doch gar nicht um mich, Herr Hanson, es geht um Frau Valborg. Sie wird von diesem Mann ­verfolgt. Ihn hat nur meine Stimme irritiert. Und dadurch sind Sie doch auch erst auf mich aufmerksam geworden.«

»Aber ich habe gleich mit offenen Karten gespielt, Simone, dieser Mann nicht. Er gibt sich nur frech, aber er ist zu feige, und wahrscheinlich hat er Grund, sich zu verstecken.«

»Anja meint auch, daß er spinnt«, sagte Simone. »Allerdings hält sie ihn auch nicht für ungefährlich.«

»Wenn ich nur wüßte, wie er wirklich heißt, wie er zu fassen wäre, bevor er tatsächlich Schaden anrichtet.«

»Ich bin gewappnet, und wo Frau Valborg sich aufhält, weiß niemand außer uns.«

»Zumindest weiß er jetzt Ihren vollen Namen. Ich möchte, daß Sie bei uns wohnen, Simone.«

»So ernst nehmen Sie diese Geschichte?« fragte sie erstaunt.

»Vorsicht ist immer besser als Nachsicht. Übrigens ist André diesbezüglich auch meiner Meinung.«

Simone schwieg. Sie hatte ihre Hände ineinander verschlungen und schloß die Augen.

»Ich habe gestern abend noch mit meiner Mutter telefoniert«, sagte sie leise. »Frau Valborg geht es schon besser, und sie kann auch wieder sprechen. Noch nicht richtig, aber doch verständlich. Ich habe Mutti auch gesagt, daß ich eine andere Stellung angenommen habe.«

»Und was hat sie gesagt?« fragte er.

»Wörtlich sagte sie: ›Du bist mündig, aber für mich bleibst du mein Kind, um das ich mich sorge. Gerate nicht auf den falschen Weg.‹

»Darauf werde ich auch ein Auge haben, Simone.«

»Ziehen Sie die Möglichkeit in Betracht, Herr Hanson?«

»Man weiß nicht, in welcher Gestalt die Versuchung kommen kann«, meinte er lächelnd.

»Sie meinen in männlicher Gestalt«, lachte Simone auf. »Da braucht Ihnen und auch Mutsch nicht bange sein.

Obgleich an diesem Abend eine eher ernste Stimmung im Hause Hanson herrschte, hervorgerufen durch diesen Fremden, über den auch Irene sorgenvoll nachdachte, traten nicht die geringsten Spannungen aut. André und Vicky schienen ein Herz und eine Seele zu sein und dazu entschlossen, Simone auf Schritt und Tritt zu bewachen.

»Ich finde es ja rührend, wie besorgt ihr um mich seid, aber ich glaube, daß das nur ein Wichtigtuer ist, der irgendwie an Alice herankommen will«, sagte Simone.

Irene lenkte kurzerhand von diesem unerfreulichen Thema ab. »Wie wäre es denn, wenn wir mal mit dem formellen Sie Schluß machen würden?« schlug sie vor.

Simone errötete vor Freude darüber, so warm und herzlich war Irenes Blick auf sie gerichtet. André stürzte gleich davon, um eine Flasche Champagner zu holen, und dann wurden Umarmungen und Küsse ausgetauscht. Diesmal beobachtete André seinen Vater nicht mißtrauisch. Von ihm bekam Simone einen besonders zärtlichen Kuß, der wiederum von seinen Eltern schmunzelnd zur Kenntnis genommen wurde und Simone in einige Verwirrung stürzte. Aber dann herrschte eine fröhliche, gelöste Stimmung, und über den Mann im grauen Anzug wurde nicht mehr geredet. Der ging vor dem Haus auf und ab, in dem Simone wohnte, wurde immer gereizter, und tauchte dann aber rasch im Schatten eines entfernt stehenden Baumes unter, als ein Wagen nahte.

Aber Simone kam nicht allein, sie wurde von André und Vicky begleitet, und lange hielten sie sich nicht in der Wohnung auf. Simone hatte nur schnell einige Sachen eingepackt, die sie dringend brauchte, denn sie hatte zugestimmt, bei den Hansons zu bleiben, bis ihre Mutter zurückkommen würde. Noch konnte sie nicht ahnen, wie gut dieser Entschluß war. Keiner von ihnen bemerkte den Mann, der sich dicht an den Baumstamm drückte, als der Wagen vorbeifuhr und wendete. Aber dieser hatte Andrés Wagen erkannt. Die Nummer hatte er sich schon notiert, als André Simone zum Hotel brachte.

Während er krampfhaft überlegte, was er tun könnte, um sein Ziel zu erreichen, wurde bei den Hansons noch fröhlich weitergefeiert, allerdings nur bis Mitternacht. Dann konnte auch Simone sich in einem reizend eingerichteten Zimmer zur Ruhe begeben, und auf ihrem Gesicht lag ein glückliches Lächeln, als sie eingeschlafen war.

*

Alice und Hedi hatten sich sehr viel früher in ihre Schlafräume zurückgezogen, die nebeneinander lagen. Der Mond, fast voll, warf helles, kaltes Licht auf die Insel herab. Hedi konnte noch nicht einschlafen, Alice hatte an diesem Abend wieder Beruhigungstropfen bekommen.

Ihre Stimmungen schwankten noch immer und beeinträchtigten auch den Blutdruck.

Hedi dachte an das, was Mario, der Adoptivsohn der Cornelius ihr heute von der Wunderquelle erzählt hatte. Wenn man bei Vollmond um Mitternacht zu ihr ging, ihr Wasser trank und sich etwas dabei wünschte, sollte es in Erfüllung gehen.

An Wunder glaubte Hedi schon lange nicht mehr, und doch war jetzt in ihr die Hoffnung, daß Wunder geschehen könnten, da Alice ja auch verhältnismäßig rasch ihre Stimme wieder gebrauchen lernte. Und warum sollte sie sich nicht ganz von dem Zauber dieser Insel einfangen lassen, auf der schon so viele Menschen genesen waren, die ohne Hoffnung hierher kamen.

Sie dachte unwillkürlich auch an diesen Dr. Rassow, der so wunderschöne Bilder malen konnte, obgleich er niemals Malunterricht genommen hatte. Das hatte er ihr erzählt, als sie sich beim Zeitungskiosk getroffen hatten, wo Hedi sich Zeichenpapier besorgen wollte. Das gab es dort nämlich auch, da so mancher hier den Drang verspürte zu malen. Aber nicht nur das, manche begannen zu töpfern oder zu sticken, zu stricken oder zu weben.

Es gehörte zur Therapie. Es wurde nicht befohlen, nur angeregt. Erstaunlich war nur, was dabei vollbracht wurde, obwohl die Ausführenden oft gar keine oder nur geringe Vorkenntnisse besaßen. Hedi hatte sich schon sehr dafür interessiert und so manche fertige Arbeit bewundert. Es gab auch Männer, die zu stricken und zu sticken begannen, und keiner wurde belächelt.

War es nicht also schon ein Wunder, so viel Menschen verschiedenster Herkunft und Nationalität in solch eine harmonische Einheit zu integrieren, in der es keine Gegensätze zu geben schien?

Dr. Rassow hatte Hedi nicht gefragt, was sie mit dem Zeichenblock anfangen wolle.

Ihm waren die Spielregeln längst bekannt, an die man sich hier hielt. Nichts fragen, abwarten, wie ein anderer sich verhielt.

Es war Hedi, die zuerst eine schüchterne Frage stellte. Ob er seine Bilder auch verkaufe, kam es stockend über ihre Lippen.

»Ich lasse sie versteigern«, erwiderte er mit einem verschmitzten Lächeln.

»Versteigern?« staunte sie.

»Bei großartigen Veranstaltungen und für wohltätige Zwecke«, erklärte er. »Da bringen sie ganz hübsch etwas ein für Alten- und Kinderheime. Da ich selbst keine Familie habe, fand ich dies angebracht. Das Geld, das ich von denen bekomme, die oft wegen der läppischsten Dinge herumklagen, genügt mir zum Leben.«

»Manche klagen doch aber auch nur um ihr Recht«, meinte Hedi leise.

»Gewiß, und das auch mit Recht. Aber sie brauchen ja nicht zu zahlen, wenn sie ihr Recht bekommen, und ich bin wirklich sehr stolz, sagen zu können, das jeder, den ich vertreten habe, sein Recht bekam. Klingt das überheblich?«

»Es klingt gut. Wie gelingt es Ihnen, immer Recht zu bekommen?«

»Indem ich vorher abwäge, welche Chancen ein Prozeß für meine Klienten bringen kann. Ich bin da ganz ehrlich. Manche pochen ja auch auf Rechte, die ihnen wirklich nicht zustehen. Diesen empfehle ich dann, sich einen anderen Anwalt zu suchen.«

»Sie sind ganz konsequent?« staunte Hedi.

»Ja, ich bin aus Erfahrung klug geworden. Ich würde darunter leiden, jemandem zum Sieg zu verhelfen, der eigentlich im Unrecht ist. Ich habe das einmal getan und mir geschworen, daß es sich niemals wiederholen wird. Für ein gutes Gewissen stecke ich lieber Spott ein.«

Hedi sah ihn nachdenklich an. »Wer sollte Sie dafür verspotten?« fragte sie.

»Nette Kollegen, die sich daran ergötzen, aussichtslose Sachen durchzufechten, um als strahlende Sieger hervorzugehen.«

»Jene, die einen Schuldigen reinwaschen, meinen Sie?«

»Reinwaschen ist zuviel gesagt, aber man kann Beweise zerpflücken, man kann das tatsächlich. Aber reden wir von etwas anderem. Sollten Sie mal einen Anwalt brauchen, vertrete ich Sie gern.«

»Warum?«

»Weil Sie bestimmt unschuldig sind.«

»Auch wenn ich einen Menschen umgebracht hätte, wären Sie davon überzeugt?« fragte sie nun gedankenvoll.

»Sie könnten keinen Menschen umbringen. Wir wollen uns über angenehmere Dinge unterhalten.«

»Ein andermal. Ich muß mich jetzt um Alice kümmern.«

So hatte die nähere Bekanntschaft zwischen Hedi und Dr. Rassow begonnen, und Hedi gestand sich ein, daß sie für diesen Mann sehr viel Sympathie empfand.

*

Es war tiefste Nacht, als Hedi durch einen schrillen Schrei geweckt wurde, dem weitere folgten. Sie sprang aus dem Bett und stürzte zu Alice ins Zimmer. Diese saß steil aufgerichtet im Bett, mit weit aufgerissenen Augen und doch nicht wach, wie Hedi schnell begriff.

»Tu es nicht, Rex«, schrie sie, »tu es nicht!« Ihre Stimme klang sehr deutlich und nicht ein bißchen heiser.

Momentan setzte Hedis Herzschlag aus. Der Name Rex war schuld daran, der sie erstarren ließ, aber dann griff sie nach Alices Schultern und drückte sie zurück auf das Kopfkissen.

»Es ist nichts, Alice«, sagte sie, »du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin da, Hedi, sonst niemand.«

Ein Beben durchlief Alices eben noch erstarrten Körper, dann begann sie zu schluchzen und klammerte sich an Hedi.

»Bleib bei mir, geh nicht fort«, stammelte sie.

»Ich bleibe ja bei dir«, sagte Hedi. »Du hast geträumt, Alice.«

»Es ist immer der gleiche Traum«, sagte Alice schleppend. »Er kommt, um mich umzubringen.«

»Niemand wird dich umbringen, Alice«, sagte Hedi beschwörend. »Sei ganz ruhig. Du bist auf der Insel der Hoffnung, und ich bin bei dir.«

Erst jetzt schien Alice sich der Wirklichkeit bewußt zu werden.

Sie drückte ihre Wange an Hedis Hand. »Wie spät ist es?« fragte sie leise. »Habe ich verschlafen?«

»Nein, Alice, es ist Nacht«, sagte Hedi. »Hast du Schmerzen?« Instinktiv schreckte sie davor zurück, Alice an den Traum zu erinnern.

»Ich habe keine Schmerzen«, sagte Alice langsam. »Ich höre mich, hörst du mich auch?«

»Ja«, erwiderte Hedi weich, »ganz deutlich höre ich dich. Siehst du, nun wird alles gut, liebe Alice.«

»Alles wird gut«, murmelte Alice, »aber ich will immer hierbleiben, nie mehr zurück, nie mehr.« Und dann schlief sie wieder ein, als wäre nichts gewesen.

Hedi konnte nicht mehr schlafen. Der Name Rex dröhnte in ihren Ohren, ließ schreckliche Erinnerungen lebendig werden. Stöhnend wälzte sie sich hin und her und sehnte den Morgen herbei.

Er kam strahlend wie jeder, seit sie auf der Insel der Hoffnung weilte. Aber als sie sich auf Zehenspitzen hinausschleichen wollte, um durch das taufrische Gras zu laufen, worauf sie sich immer nach dem Erwachen gefreut hatte, stand Alice in der Tür.

»Wohin willst du gehen, Hedi?« sagte sie fast aggressiv. »Du hast mir versprochen, bei mir zu bleiben.«

Hedis Herz begann schmerzhaft zu klopfen, da in Alices Stimme, dieser Stimme, die so deutlich zu vernehmen war, ein Unterton mitschwang, der ihr Angst einjagte.

»Ich wollte nur durch das Gras laufen, wie jeden Morgen«, erwiderte sie.

»Du wirst dich erkälten und krank werden. Ich will nicht, daß du krank wirst«, sagte Alice schleppend. »Mir ist so, als hätte ich heute nacht geträumt, daß du weggelaufen bist. Du hast gesagt, daß du meine Freundin bist.«

»Ich bin deine Freundin, Alice.«

»Habe ich geträumt?«

Hedi griff sich an die Kehle. Ihre Gedanken überstürzten sich, aber dann sagte sie: »Ja, du hast geträumt. Und plötzlich war deine Stimme da.«

»Und was sagte meine Stimme?« fragte Alice.

Hedis Blick irrte ab. »Deine Stimme sagte: ›Tu das nicht, Rex, tu es nicht‹.«

Alice suchte nach einem Halt, und Hedi war mit ein paar Schritten bei ihr und stützte sie.

»Oh, mein Gott«, flüsterte Alice, und dann brach sie zusammen.

Hedi konnte sie nicht mehr halten. Panische Angst ergrift sie. Sie mußte über Alices Körper hinwegsteigen, um zum Telefon zu gelangen. Und dann hatte sie kaum die Kraft, den Hörer aufzuheben und die zweistellige Nummer zu wählen. Auch Annes Stimme hatte keine beruhigende Wirkung. »Alice ist ohnmächtig«, stammelte sie nur.

»Wir kommen!« sagte Anne.

*

Alice lag nun wieder in ihrem Bett, immer noch von tiefer Ohnmacht umfangen. Hedi erzählte bebend, was sich zugetragen hatte.

»Ich hätte nicht wiederholen dürfen, was sie im Traum rief«, flüsterte sie beklommen. »Als ich dies auf ihre Bitte tat, fiel sie in Ohnmacht.«

»Also scheint es ein Mann namens Rex zu sein, der ihr Angst einflößt«, sagte Anne. »Und dir scheint sich diese Angst mitzuteilen, Hedi.«

Ein Zucken lief über Hedis blasses Gesicht. »Mir flößt der Name Rex Abscheu ein«, sagte sie tonlos. »Es mag ein Zufall sein, aber ich habe so eine bange Ahnung, Anne. Ich möchte darüber nicht sprechen, jetzt nicht. Es ist auch für mich ein Schock, daß Alice böse Erfahrungen mit dem gleichen Mann gemacht haben könnte. Rex ist ein seltener Name.«

»Ist es der richtige oder nur ein Künstlername?« fragte Anne sinnend.

»Das könnte ich nicht sagen«, erwiderte Hedi leise. »Aber der Rex, den ich kannte, war Schauspieler.«

Soviel hatte sie nun doch gesagt. Anne wollte nicht weiter in sie dringen. Nun kam auch Johannes Cornelius aus Alices Schlafraum.

»Sie wird jetzt schlafen. Der Puls hat sich fast normalisiert. Jetzt können wir nur hoffen, daß sie nicht wieder die Stimme verloren hat.«

Hedi blickte zu Boden. »Ich denke, daß sie ihre Karriere nicht mehr fortsetzen wird«, sagte sie leise. »Sie will nicht mehr zurück in dieses Leben. Ich glaube, daß sie Furchtbares durchgemacht hat.«

»Willst du dich von ihr jetzt zurückziehen, Hedi?« fragte Anne.

»Wie kannst du das denken? O nein, Anne, ich werde ihr helfen, wo ich nur kann. Ich bin jetzt sehr verwirrt, aber es wird die Stunde kommen, da ich dir alles erzählen kann.«

»Ruhe dich jetzt aus«, sagte Anne. »Denk daran, daß du auch hier bist, um dich zu erholen, Hedi.«

»Mir kommt der Gedanke, daß eine höhere Macht dabei ihre Hand im Spiel hat«, sagte Hedi gedankenverloren.

»Was meint sie damit«, fragte Hannes Cornelius seine Frau, als sie allein waren. »Was habt ihr gesprochen?«

»Ich werde erst mal Fee anrufen. Vielleicht weiß sie, wer dieser Rex ist. Jetzt könnte Daniel noch daheim sein.«

Das Gespräch dauerte nicht lange. Erwartungsvoll sah Hannes seine Frau an.

»Daniel will mit Rolf Hanson sprechen«, sagte sie geistesabwesend. »Er ruft dann wieder an. In München scheint sich auch allerhand zu tun.«

Er lächelte flüchtig.

»Bei uns war ja lange nichts los«, bemerkte er.

»Du bist gut, bei uns ist jeden Tag was los.«

»Nichts Aufregendes«, meinte er. »So was hält jung.«

»Du hast gute Nerven, Hannes«, meinte Anne.

»Sei doch froh, mein Liebes. Ein nervöser Arzt wäre doch eine schlechte Visitenkarte für ein Sanatorium.«

»Unsere Quelle ist anscheinend ein Jungbrunnen«, meinte sie.

»Die Analyse des Wassers spricht jedenfalls dafür. Aber gegen einen guten Kaffee hätte ich jetzt auch nichts einzuwenden.«

Den tranken jetzt auch Fee und Daniel Norden. »Um Alice tut sich was«, meinte Daniel. »Sei lieb und ruf Hanson an. Vielleicht hat er Zeit, abends zu uns zu kommen. In der Praxis habe ich nicht so viel Zeit für eine so wichtige Unterredung.«

»Und womit soll ich ihn locken?« fragte Fee.

»Es geht um Alice Valborg, das wird doch Grund genug für ihn sein, oder meinst du, er hätte sie schon abgeschrieben?«

»Das nicht, aber vielleicht hat er bereits einen anderen Star entdeckt.«

»Du meinst Simone? Ein Star wird nicht entdeckt, er wird gemacht.«

Fee wartete bis halb zehn Uhr, aber dann konnte sie Rolf Hanson noch erreichen. Er wollte mit Simone gerade zum Studio fahren. Er sagte zu, abends zu kommen, und Fee hatte nebenbei erfahren, daß Simone jetzt bei den Hansons wohnte.

War das nur eine geschickte Taktik von Rolf Hanson, Simone auch familiär unter seine Fittiche zu nehmen, oder war damit auch die Überlegung verbunden, daß ein anderer Produzent sie ihm wegschnappen könnte? Fee überlegte das ganz nüchtern. Immerhin hatte sie den Eindruck gewonnen, daß Hanson sich große Sorgen um Alice machte…

Und auch Simone war das nicht entgangen. »Was ist mit Alice?« fragte sie.

»Ich weiß noch nichts Genaues: Ich werde es heute abend erfahren, Simone.«

»Du kennst sie schon lange, Rolf?«

Nach dem gestrigen Abend kam ihr das Du leicht über die Lippen. Alle Bedenken, daß es innerhalb der Familie zu Konflikten kommen könnte, waren weg.

»Fünfundzwanzig Jahre«, erwiderte er. »Ich war damals Regieassistent; und sie war ein unbeschriebenes Blatt mit sehr viel Ehrgeiz.«

»Ich will nicht neugierig sein«, sagte Simone zögernd.

»Aber du möchtest trotzdem gern mehr wissen«, sagte er lächend, »Nun, warum solltest du es nicht wissen. Ich war in sie verliebt, aber sie hatte nur ihre Karriere im Sinn. Sie war kühl bis ins Herz hinein. Es war nichts zwischen uns. Ich lernte Irene kennen, und dann gab es keine andere Frau mehr für mich.«

»Und was gab es für Männer in Alices Leben?«

»Es gab keine Affären. Ab und zu kamen mal Gerüchte auf, wenn sie öfter mit einem Mann gesehen wurde, aber zu einer längeren Bindung kam es wohl nicht. Sie war zwei Jahre in Hollywood, und was man da über sie berichtete, gehörte wohl nur zur Publicity. Sie hat verstanden, ihr Privatleben tabu zu machen.«

*

Fee dachte indessen darüber nach, was Isabel ihr über Alice erzählt hatte.

Isabel war auch als Reporterin immer fair gewesen. Sie hatte nie ausgeplaudert, was sie zufällig erfuhr, wenn es zur Intimsphäre eines Prominenten gehörte.

Kurz vor zwölf Uhr rief sie Anne an. Sie erfuhr, daß Alice im Tiefschlaf läge.

»Sag mir doch, was ihr in Erfahrung bringen wollt, Anne«, bat sie. »Herr Hanson kommt heute abend zu uns. Wenn wir wissen, was für euch von Interesse ist, tun wir uns doch leichter.«

»Es geht um einen Mann namens Rex«, sagte Anne.

»Vielleicht kann euch Isabel da weiterhelfen, mehr als jeder andere.«

»Wieso Isabel?« staunte Anne.

»Vergiß nicht, daß sie früher mal zu den besten Informierten im Showgeschäft gehörte. Eine Klatschtante war sie dennoch nicht. Aber sie muß Alice recht gut gekannt haben.«

»Uns hat sie nichts erzahlt«, sagte Anne.

»Das spricht doch für sie.«

»Wie soll ich es anfangen, Fee?« fragte Anne.

»So ganz beiläufig. Du machst das schon«, erwiderte Fee.

»Ich sehe Isabel kommen«, sagte Anne hastig. »Sie scheint etwas zu riechen.«

»Na, dann toi, toi, toi. Ich ruf wieder an.«

Isabel kam wegen Alice. »Hat sie denn etwas wieder einen Rückfall bekommen?« erkundigte sie sich ganz besorgt.

»Sie hatte eine schlechte Nacht mit schweren Träumen. Sie hat Angst vor einem Mann, der Rex heißt, wie es scheint.«

»Merkwürdig«, sagte Isabel nachdenklich. »Nach so vielen Jahren, lebt er denn noch?«

»Wir wissen nichts über diesen Mann, Isabel«, erklärte Anne.

»Es handelt sich um Alices Bruder«, sagte Isabel ruhig. »Es bleibt unter uns, Anne. Ich habe davon auch nur durch Zufall erfahren. In der Öffentlichkeit wurde es nie bekannt, daß sie Geschwister sind.«

»Gibt das nicht zu denken?« fragte Anne nach kurzem Überlegen.

»Nicht in jeder Familie herrscht so viel Harmonie wie bei euch. Manche Eltern verleugnen sogar ihre Kinder oder umgekehrt.«

»Abscheulicher Gedanke«, sagte Anne. »Würdest du mir erzählen, was du über Alice weißt, Isabel?«

»Es ist nicht viel. Ich war damals sehr stolz, als sie mir ein Interview gewährte, aber viel kam dabei nicht heraus. Sie sprach nur über ihre Filme. Ihr Privatleben klammerte sie aus. Aber dann bekam sie einen Anruf, über den sie sich schrecklich aufregte, und sie war so verstört, daß sie manches sagte, was sie wohl nicht sagen wollte. Sie beschwor mich dann auch, darüber zu schweigen. Ich habe es ihr versprochen.«

»Sie hat Angst, maßlose Angst, Isabel, und wenn wir ihr diese Angst nicht nehmen können, geht sie daran zugrunde. Das ist die Meinung von Hannes.«

»Aber wie könnte man ihr helfen, wenn sie selbst schweigt? Es ist so schwer, Anne.«

»Man kann die Therapie besser ausrichten, wenn man die Hintergründe einer solchen Furcht kennt.«

»Ich werde dir sagen, was ich weiß, was ich hörte, Anne. Es ist nicht viel. Es handelt sich um ihren Bruder. Er ist einige Jahre älter als sie. Wieviel, weiß ich nicht. Er war kurze Zeit ein sehr bekannter Schauspieler unter dem Namen Rex Borg. Dann verschwand er ebenso plötzlich in der Versenkung. Alkohol oder Drogen, ich kann es nur vermuten. Ich habe mich damals vorsichtig umgehört, aber nichts herausbekommen. Man war da noch diskreter. Jedenfalls war es nicht bekannt, daß er der Bruder von Alice war. Man ordnete ihn als einen ihrer Feinde ein.«

»Hatte sie viele Feinde?« fragte Anne.

»Sie war in jungen Jahren schon sehr erfolgreich, da hat man manche Neider. Sie war in Hollywood schon ein Star. Davon träumt manch anderer vergeblich. Mir schien es so, als würde sie von ihrem Bruder erpreßt werden.«

Anne schwieg. »Dann muß es doch etwas gegeben haben, womit er sie erpressen konnte. Aber wenn er ihr den Erfolg neidete, hätte er sie in solchem Fall vernichten können.«

»Ich habe darüber nachgedacht, Anne. Aber vielleicht wußte sie auch etwas von ihm, womit sie ihn unter Druck setzen konnte. Ich weiß es nicht. Ich kann es nur vermuten, da es nie zu einer Konfrontation kam, von der die Öffentlichkeit erfuhr. Und ich hatte doch wahrhaftig findige Kollegen, die vor nichts zurückschreckten, wenn sie Schlagzeilen machen konnten. Es war ein interner Kampf, bei dem mal der eine, dann wieder der andere im Vorteil gewesen sein mochte, wenn ich es so bezeichnen soll. Wie du mir, so ich dir.«

»Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein, sagt der Volksmund«, murmelte An-

ne.

»Mich fröstelt«, sagte Isabel. »Ich traf gestern mit Alice zusammen. Sie sagte: Man kann noch so weit laufen, man wird von der Vergangenheit eingeholt, gerade dann, wenn man sie bewältigt zu haben glaubt.«

»Sie war viele Jahre eine sehr er­folg­reiche Frau«, sagte Anne nachdenklich.

»Vielleicht deshalb, weil sie immer problematische Rollen spielte. Ich habe lange keine Kinofilme mehr gesehen. Es wäre ganz interessant zu wissen, was für Rollen sie gespielt hat.«

»Das wird Hedi wissen. Sie hat die meisten Filme mit Alice gesehen. Sprich doch mal mit ihr.«

»Das wird nicht einfach sein, Anne. Sie weicht nicht von Alices Bett. Zwei so unglückliche Frauen, das stimmt auch nachdenklich.«

Von Dr. Rassow wurde Hedi auch vermißt. Er fragte am Nachmittag Anne, wo denn Hedi sei.

»Frau Valborg fühlt sich nicht wohl. Hedi ist bei ihr«, erklärte Anne.

»Das entspricht doch nicht ganz den Gepflogenheiten«, stellte er tiefsinnig fest.

»Niemand zwingt sie dazu, Poldi«, sagte Anne.

»Sie hatte sich Zeichenpapier gekauft. Ich dachte, sie würde malen.«

Anne sah ihn überrascht an. »Meinst du, daß dies die allerbeste Therapie ist?«

»Es gäbe mir jedenfalls mehr Gelegenheit, mich mit ihr zu unterhalten«, erwiderte er. »Ich finde sie sehr sympathisch. Ich möchte sie näher kennenlernen, Anne.«

Sie erholte sich schnell von dieser Überraschung. »Das wird schon noch möglich sein, Poldi«, sagte sie.

»Hoffentlich«, meinte er.

Davon ahnte Hedi freilich nichts. Sie war durch die Ereignisse gezwungen worden, Erinnerungen nachzugehen, um dabei jedoch erstaunt festzustellen, daß diese für sie an Gewicht verloren hatten. Dieses Bewußtsein verlieh ihr ganz plötzlich ein neues Lebensgefühl. Etwas verwundert war sie nur darüber, daß dies gerade jetzt geschah.

Dann kam Isabel. »Es bringt doch nichts, wenn Sie hier herumhocken, Hedi«, sagte sie. »Alice wird noch Stunden schlafen. Kommen Sie, die frische Luft wird Ihnen gut tun.«

»Und wenn sie doch erwacht?« fragte Hedi besorgt.

»Verlassen Sie sich ruhig auf Hannes. Er weiß, wie lange so ein Tiefschlaf dauert. Es ist ja auch ein Heilschlaf zugleich.«

»Wird ihr der wirklich helfen?« fragte Hedi.

»So sollte es sein. Es sind damit schon beträchtliche Erfolge erzielt worden. Natürlich kommt es auch aut den Patienten selbst an.«

»Ich hatte viele Filme mit ihr gesehen«, sagte Hedi. »Sie lebte in ihren Rollen. Als Mensch ist sie ein Schatten ihrer selbst, wenn ich das so sagen darf, ohne mißverstanden zu werden. Heute morgen allerdings, nach diesem Traum und vor ihrem Zusammenbruch hatte ich das Gefühl…« Sie geriet ins Stocken. »Ich kann es nicht richtig erklären, Isabel. Ich wollte hinausgehen, durch das Gras laufen, wie jeden Morgen. Sie stand plötzlich in der Tür. Sie war aggressiv. Es kam zum Durchbruch, daß sie gewohnt ist, ihren Willen durchzusetzen. In allen Filmen, die ich mit ihr sah, spielte sie eigenwillige Frauen. Mir kommt der Gedanke, daß sie sich wohl wünschte, so zu sein, immer Siegerin zu bleiben, und doch hat sie mich in der Rolle einer Todkranken am meisten beeindruckt. Es war erschütternd. Ich bin heute den ganzen Tag den Gedanken nicht losgeworden, daß sie tatsächlich eine schwere, noch nicht erkannte Krankheit in sich tragen könnte.«

»Dem ist nicht so«, sagte Isabel. »Alle Befunde sprechen dagegen, es sei denn, man zieht in Betracht, daß Genie und Wahnsinn nur durch eine hauchdünne Grenze geteilt sind.«

Entsetzt sah Hedi Isabel an. »Sie wollen doch nicht sagen, daß sie geisteskrank ist?«

»Nein, das will ich damit nicht sagen. Aber sie könnte sich in solche Wahnvorstellungen hineinleben, daß sie diese winzige Schwelle überschreitet. Die Furcht vor diesem Rex ist Alices Krankheit.«

»Ich habe überlegt, ob sie vielleicht mit ihm verheiratet war«, sagte Hedi leise.

»Es handelt sich um Alices Bruder, Hedi. Ich sollte nicht darüber sprechen, daß ich etwas davon weiß. Ich habe das Anne schon gesagt. Es ist an die fünfzehn Jahre oder noch mehr her, daß ich durch Zufall erfuhr, daß sie einen Bruder hat. Er war unter dem Namen Rex Borg ein bekannter Schauspieler, und…«

Aber sie kam nicht weiter, denn Hedi hob abwehrend die Hände.

»Nein, nein, das nicht!« rief sie aus, und dann lief sie im Eilschritt davon.

Fassungslos blickte ihr Isabel nach, um ihr dann zu folgen, aber Hedi war schneller. Sie rannte auf das Haus zu, in dem sie mit Alice wohnte, doch da kam ihr Dr. Rassow entgegen, und er konnte sie, die nun alle Kräfte verlassen hatte, gerade noch auffangen.

»Was ist?« fragte er bestürzt, als Isa­bel nahte.

»Ich weiß es nicht. Etwas hat sie maßlos erschreckt. Ich rufe Hannes. Es ist besser, wenn wir sie zu ihm bringen«, sagte sie dann hastig.

Hedi war nicht ohnmächtig, sie war nur außer Atem. Aber sie sagte nichts.

Auf jede behutsame Frage schüttelte sie nur den Kopf.

»Ich habe schon geahnt, daß der Umgang mit Alice Valborg sich negativ auf sie auswirken wird«, sagte Dr. Rassow heiser.

»Sei nicht ungerecht, Poldi«, sagte Anne.

»Ich bin nicht ungerecht. Das sind doch zwei Welten.«

»Die aber immerhin einen gemeinsamen Berührungspunkt haben«, warf Isabel ein. »Ich bin nicht für’s Versteckspielen, wenn es um Menschenleben geht.«

»Was willst du damit sagen, Isabel?« fragte Anne.

»Daß Rex Borg auch in Hedis Leben eine Rolle gespielt haben muß.«

»Wer ist Rex Borg?« fragte Dr. Rassow.

»Alices Bruder.«

»Da irren Sie sich aber gewaltig, Isa­bel«, sagte Dr. Rassow. »Ich weiß nicht viel über Alice Valborg, aber zufällig ist mir bekannt, daß sie mit richtigem Namen Alicia von Bergen heißt.«

»Und woher weißt du das, Poldi?« fragte Anne.

»Das möchte ich für mich behalten.« Dr. Cornelius war eingetreten. »Warum willst du es nicht sagen, Poldi?« fragte er. »Du bist doch darüber hinweg.«

»Und dennoch«, stieß Dr. Rassow zwischen den Zähnen hervor. »Sag du es, wenn du meinst, daß es gesagt werden muß, Hannes.« Und dann ging er schnell hinaus.

Anne und Iabel sahen ihn erwartungsvoll an. »Er hat doch wohl nichts mit Alice gehabt«, brachte Anne mühsam über die Lippen.

»Nein, er hat die Frau verteidigt, die ihren Vater erschoß«, erwiderte Dr. Cornelius. »Wer erinnert sich schon an einen Fall, der so viele Jahre zurückliegt. Und es ist fast zehn Jahre, daß Poldi zu uns kam, und fast fünfundzwanzig Jahre ist es her, daß diese Tat geschah.«

»Da war ich noch ein Teenager«, sagte Isabel.

»Und Poldi ein sehr junger Anwalt, der plötzlich für seinen Vater einspringen mußte, für den jener Prozeß wohl auch zuviel geworden war. Ich hatte damals auch andere Sorgen, als mich um solche Prozesse zu kümmern, und so aufreißerisch wie heute waren die Schlagzeilen da auch noch nicht. Erfahren habe ich das alles erst von Poldi, als er zu uns kam, nachdem er sich fünfzehn Jahre mit seinen Gewissensbissen herumgeschleppt hatte. Aber nun ist diese Frau, die Reginald von Bergen erschoß, auch schon fünf Jahre tot. Und mein Gedächtnis ist nicht mehr das Allerbeste, was Einzelheiten anbelangt. Ich muß mir erst mal die Unterlagen holen.«

»Liebe Güte das nimmt ja immer dramatischere Formen an«, sagte Isabel.«

»Die Wahrheit finden wollen ist ein Verdienst, auch wenn man auf dem Wege in die Irre geht«, sagte Anne gedankenvoll. »Ich hasse es, im Dunkeln herumzutappen.«

»Kannst du wirklich hassen, Anne?« fragte Isabel, doch da kam Dr. Cornelius schon mit einem Aktenordner unter dem Arm, zurück.

»Wenn meine Anne nicht solche Ordnung halten würde« sagte er mit einem Augenzwinkern. »Kann ich eine Tasse Tee haben?«

»Zehn«, erwiderte Anne lächelnd.

»Soviel werde ich nicht brauchen, wenn es auch eine lange Geschichte ist.« Er legte seine Hand auf den Ordner und seufzte.

»Poldi brachte damals Prozeßunterlagen mit. Über viele Jahre war er nicht fertiggeworden mit all den Zweifeln und Widersprüchen. Noch lange, nachdem diese Frau verurteilt war, hat er sich immer wieder damit befaßt.«

Er lehnte sich zurück und ließ seinen Blick in die Ferne schweifen.

»Der Prozeß war schon ins Endstadium getreten, als Poldis Vater starb und er die Verteidigung weiterführen mußte. Sein Vater hatte sich von dieser Frau betören lassen und plädierte auf Notwehr. Poldi aber gelangte zu der Überzeugung, daß diese Frau Reginald von Bergen kaltblütig getötet hatte und die Tat seinem Sohn in die Schuhe schieben wollte, da dieser ihretwegen eine furchtbare Auseinandersetzung mit seinem Vater gehabt hatte. Sie war jedoch von dem Mädchen Alicia mit der Waffe in der Hand überrascht worden. Das Mädchen schien durch den Schock die Stimme verloren zu haben.«

Er blickte auf und fuhr sich über die Augen. Als Anne ein gedehntes »Oh!« ausrief, fuhr er fort: »Ich hatte so eine Ahnung, daß Alice und jene Alicia identisch sein könnten. Poldi hat es mir bestätigt.«

»Und warum war er von der Schuld jener Frau überzeugt?« fragte Isabel.

»Er ging den Fall objektiv an. Er hatte sich von dieser Frau nicht betören lassen. In den Augen seines Vaters war der Ermordete der eigentlich Schuldige, und vielleicht traf das auch in gewissem Sinn zu. Er hatte seine Frau betrogen, nicht nur einmal, und sie hatte sich mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben genommen, angeblich, weil sie an einer unheilbaren Krankheit litt. Das konnte nicht widerlegt werden, da sie vor einer schweren Operation stand. Nun wollte seine Geliebte geheiratet werden, aber von Bergen kam dahinter, daß sie ein Verhältnis mit seinem Sohn angefangen hatte, und er wies sie aus dem Haus. So kam es zu dem Drama. Da der jüngere Reginald von seinem Vater abhängig war, konnte sie bei ihm nichts holen. Er hat sie wohl auch fallen lassen. Nun, wie dem auch gewesen sein mag, es muß dann auch zwischen den Geschwistern etwas vorgefallen sein. Alicia kam in ein Internat, Reginald von Bergen machte vorübergehend als Schauspieler Rex Borg von sich reden. Er mußte sich mit dem Pflichtanteil aus dem recht ansehnlichen Erbe begnügen, da sein Vater Alicia als Haupterbin eingesetzt hatte. Jedenfalls traten beide nicht mehr unter dem Namen ›von Bergen‹ in Erscheinung, und wir wissen, daß es nie zu einer Versöhnung zwischen den Geschwistern kam.«

»Und um die Tragödie komplett zu machen, scheint auch Hedi diesen Rex Borg gekannt zu haben«, sagte Isabel. »Vielleicht bringt der letzte Akt die Aufklärung.«

»Fee und Daniel Norden erwarten heute abend Rolf Hanson«, sagte Anne leise. »Ich sollte sie anrufen und ihr sagen, daß wir wohl einiges mehr wissen, als er zur Aufklärung beitragen kann.«

»Was nicht gesagt ist«, meinte Hannes Cornelius. »Warten wir doch ab, was er weiß. Es könnte das Bild abrunden.«

»Ich glaube eher, daß nur Alice und vielleicht auch Hedi bestimmte Tatsachen kennen«, sagte Isabel nachdenklich, »und es fragt sich, ob sie diese preisgeben wollen.«

»Wenn nicht, werden sie von ihren Ängsten nie befreit werden«, erklärte Dr. Cornelius ruhig. »Allein der Name Rex versetzt sie in Panik.«

Isabel versank in Schweigen und überlegte angestrengt. »Bei Hedi scheint das jedenfalls erst so zu sein, seit ich sagte, daß Rex Borg Alices Bruder ist.«

»Eins ist jedenfalls klar«, betonte Anne, »diese beiden Frauen lernten sich erst jetzt kennen. Sie sind einander früher nie begegnet. Dabei spielte wieder einmal der Zufall eine Rolle.«

»Der Zufall und die Zeit sind die größten Tyrannen«, sagte Dr. Cornelius nachdenklich. »Letztendlich nennen wir es Schicksal.« Er erhob sich. »Ich werde mich jetzt um die Patientinnen kümmern.«

*

Dr. Jürgen Schoeller hatte Alice beobachtet, die immer noch im Tiefschlaf lag. Doch zur Überraschung von Dr. Cornelius fand er Poldi an Hedis Bett vor. Poldi legte den Zeigefinger auf seine Lippen, denn Hedi rührte sich. Sie stöhnte leise, und ihre Augenlider begannen zu flattern.

Poldi erhob sich leise und überließ Hannes seinen Platz. Hedi kam jetzt schnell zu sich. Ängstlich blickte sie den Arzt an.

»Was ist denn nur mit mir los?« murmelte sie.

»Das fragen wir uns auch«, erwiderte Hannes. »Sie brauchen doch keine Angst zu haben, Hedi. Niemand tut Ihnen etwas. Wir hätten nicht zulassen sollen, daß Sie sich soviel mit Alices Schicksal befassen. Mein Schwiegersohn wird mir Vorwürfe machen.«

»Es mußte wohl so sein, es mußte einmal so kommen«, flüsterte Hedi. »Und nun wissen Sie auch, warum ich nicht, will, daß Simone in diesen Teufelskreis gerät.«

»Nein, das weiß ich noch nicht«, sagte Dr. Cornelius.

»Rex Borg ist Simones Vater«, stöhnte Hedi verzweifelt. »Sie darf es nie erfahren, niemals. Ich habe ihr eine Geschichte erzählt, die nicht der Wahrheit entspricht.« Ein trockenes Schluchzen schüttelte sie…

»Ganz ruhig sein, Hedi«, sagte Hannes.

Ihr Blick irrte ab und traf Dr. Rassow, der wie gebannt an der Tür stand und sie voller Mitgefühl anschaute.

»Poldi kann dir eine ganze Menge über Rex Borg und Alice erzählen«, sagte Dr. Cornelius spontan.

»Wieso er?« stammelte sie.

»Ich werde es Ihnen gern erklären, Hedi«, sagte Poldi leise.

»Ich habe nie gedacht, daß ich jemals etwas über ihn erfahren würde«, flüsterte sie. »Ich möchte aufstehen.«

»Ja, es ist wohl besser, wenn ihr an die frische Luft geht«, sagte Dr. Cornelius aufmunternd.

»Ich warte draußen«, sagte Poldi.

Hedi erhob sich rasch. Sie ließ kaltes Wasser über ihr Gesicht und ihre Hände laufen und fühlte sich etwas wohler. Ein blasses, zerrissenes Gesicht blickte ihr aus dem Spiegel entgegen.

Nun denn, dachte sie, auch das muß ich hinter mich bringen. Und als sie dann hinausging und Poldi ihre Hand ergriff, erschien ihr plötzlich alles nicht mehr so schlimm. Die Dämmerung sank herab. Milde Luft trieb wieder das Blut in ihre blassen Wangen, oder war das doch Poldis Nähe zuzuschreiben, die ihr das Gefühl einer nie gekannten Geborgenheit eingab. Ein Fremder war er ihr doch, und dennoch so vertraut. Er legte seinen Arm um ihre Schultern. »Geteiltes Leid ist halbes Leid, Hedi«, sagte er leise, und dann begann er zu erzählen.

*

Zu dieser Zeit traf Rolf Hanson bei den Nordens ein, abgehetzt und verstört sah er aus.

»Geht es Alice schlechter?« fragte er erregt. »Ist bekannt geworden, daß sie auf der Insel ist?«

»Haben Sie Grund zu dieser Annahme?« fragte Dr. Norden.

»Ich hege gewisse Befürchtungen.«

»Hat Rex Borg damit zu tun?« fragte Daniel.

Rolf Hanson starrte ihn an. »Daran habe ich nicht gedacht«, sagte er tonlos. »Rex Borg?«

»Alice hat Angst vor ihm, vor ihrem Bruder. Können Sie uns etwas mehr erzählen, Herr Hanson? Man kann ihr wirklich nur helfen, wenn man ihr diese Angst nimmt.«

»Ich bin ihm persönlich nie begegnet. Ich weiß nicht, ob er überhaupt noch lebt. Mir bereitet ein Mann Sorge, der sich von Bergen nennt und hinter Simone her ist, damit aber anscheinend auch hinter Alice. Er ist wohl durch die Ähnlichkeit der Stimmen auf Simone aufmerksam geworden. Was er eigentlich bezweckt, weiß ich allerdings auch nicht.«

»Hat Alice nie mit Ihnen über ihren Bruder gesprochen?« fragte Daniel forschend.

»Vor vielen Jahren kam mir ein Gerücht zu Ohren, daß Rex Borg ihr Bruder sei. Ich habe sie darauf angesprochen, aber sie sagte nur, daß sie einen Bruder gehabt hätte, doch der sei gestorben.« Er hielt inne. »Genau sagte sie: Er ist für mich gestorben. Ich möchte nicht, daß sein Name in meiner Gegenwart erwähnt wird.«

»Das ist alles, was Sie wissen?« staunte Fee.

»Nennen Sie mir jemanden, der mir über Alice mehr erzählen kann, als ich weiß, ich wäre Ihnen dankbar.«

»Sie haben viele Filme mit ihr gedreht, Herr Hanson«, sagte Daniel. »Sie sind befreundet mit Alice.«

»Gut, man kann es so nennen, aber ich war nie ihr Vertrauter. Man kann es so bezeichnen, daß ich mit der Schauspielerin betreundet bin. Den Menschen Alice Valborg habe ich nicht kennengelernt in all den Jahren. Vielleicht gibt es den gar nicht. Vielleicht lebte sie nur in ihren jeweiligen Rollen. Das klingt theatralisch, aber ich kann es nicht anders sagen. Als ich sie kennenlernte, war sie eine junge Schauspielerin ohne Vergangenheit. Aus dem Nichts emporgestiegen, wie eine Schaumgeborene, und ich gelangte zu der Überzeugung, daß sie ihre Karriere raffiniert aufbaute, indem sie sich das Flair der rätselhaften Unbekannten gab. Ich war verliebt in sie und bekam eine Abfuhr, die ernüchternd war. Für mich war es die größte Überraschung, als sie aus Hollywood zurückkam und mir erklärte, daß ich der einzige Regisseur sei, mit dem sie arbeiten wolle. Da hatte ich bereits die ersten Erfolge eingeheimst und war verheiratet. Ich sagte ihr, daß ich sehr glücklich verheiratet sei, und darauf erklärte sie mir, daß sie das wisse und gerade deshalb mit mir arbeiten wolle, solange meine Ehe von Bestand sei. Ja, genauso war es. Und es wurde eine Zusammenarbeit, die über­aus erfolgreich wurde, wie Sie wissen. Sie ist dennoch ein ungelöstes Rätsel für mich geblieben.«

»Und es gab keinen Mann in ihrem Leben?«

»Nicht, daß ich etwas davon erfahren hätte.«

Fee erhob sich. »Ja, dann werde ich Anne anrufen und ihr sagen, daß wir ihr nicht weiterhelfen können«, sagte sie.

»Es tut mir sehr leid, daß ich dazu nicht in der Lage bin«, sagte Rolf Hanson

Nach dem langen Gespräch, das Fee mit Anne führte, sah dann alles ganz anders aus. Da gab es genügend Gesprächsstoff und vieles, worüber sie nachdenken mußten. Dabei hatte Anne aber nicht einmal verraten, welche Beziehung zwischen Rex Borg und Hedi bestanden hatten.

»Von Bergen«, sagte Rolf Hanson geistesabwesend, »dann war das Rex Borg, und er hat nicht mal einen falschen Namen gebraucht. Dennoch traue ich diesem Mann nicht, so tragisch auch sein Leben verlaufen sein mag. Wenn er nichts zu verbergen hätte, hätte er sich nicht verstecken müssen. Ich muß herausfinden, was dahintersteckt, wo er sich hisher aufgehalten hat und was er nun hier beabsichtigt!«

*

Simone machte sich darüber keine ernsten Gedanken. Sie spielte mit Irene, Vicky und André Bridge. Sie hatte es gleich begriffen, obwohl sie früher nie Gelegenheit dazu hatte.

Doch auch dabei kam André immer wieder auf den Mann im grauen Anzug zurück. Es verstieß gegen die Spielregeln, so ablenkende Gespräche zu führen, doch es wurde ihm nicht ver­übelt. Nur Simone sagte, er solle doch endlich damit aufhören.

»Nehmt das doch nicht so ernst, er ist ein Spinner«, sagte sie leichthin. »Da bin ich mit Anja einer Meinung, daß es bei ihm nicht richtig tickt.«

»Paps bleibt lange aus«, sagte Vicky plötzlich. »Was hatte er eigentlich vor, Simone?«

»Keine Ahnung. Er hat mich nur heimgebracht und ist gleich weitergefahren.«

Dann läutete das Telefon. Vicky lief hinaus und nahm ab. Ihre Stimme nahm einen erregten Tonfall an.

»Ich habe dir gesagt, daß ich nicht mehr komme, Gabi«, sagte sie. »Ich bin nicht beleidigt, ich habe das alles nur restlos satt. Frag doch André selbst«, sagte sie dann und rief nach ihm.

Er sah Simone an. Sie lächelte spöttisch.

»Die Geister, die man ruft, die wird man nimmer los«, bemerkte sie anzüglich.

»Und wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen«, knurrte er.

»Nimm ihn nicht auf die Schippe«, sagte Irene, als er zum Telefon ging. Aber Vicky war schon da und meinte, daß man mit ihm doch nicht gar so nachsichtig sein müsse.

Als André sich wieder zu ihnen setzte, wirkte er nervös.

»Kann ich mal allein mit dir sprechen, Simone?« fragte er. »Hätte jemand etwas dagegen?«

»Wir nicht«, erwiderte Irene gleich für Vicky mit, und ihrer Tochter warf sie einen mahnenden Blick zu. »Wir bereiten das Essen zu. Burgel ist heute bei ihrer Schwester.«

Vicky folgte ihrer Mutter, wenn auch recht widerwillig. »Und was hast du auf dem Herzen?« fragte Simone ruhig.

»Ich möchte etwas klarstellen, Simone. Ich war mit Gabi befreundet, aber das ist vorbei. Ich werde sie los, das wollte ich sagen.«

»Es scheint nicht so einfach zu sein, André«, meinte Simone, »aber mir bist du doch keine Rechenschaft schuldig.«

»Du sollst mich nicht für einen Filou halten«, stieß er hervor. »Wenn ich dich vorher kennengelernt hätte…« Er geriet ins Stocken, und Simone sagte: »Was hat das mit mir zu tun?«

»Ich liebe dich«, sagte er leise.

Simones Augen weiteten sich. »Aber wir kennen uns doch erst ein paar Tage, André«, sagte sie stockend.

»Das spielt doch keine Rolle. Nun weißt du auch, warum ich eifersüchtig auf Paps war. Und wenn du meine Gefühle schon nicht erwiderst, so sollst du doch wissen, daß es für mich keine andere Frau mehr gibt und nie mehr geben wird.«

Simone senkte den Blick. »Ich mag euch alle sehr, André«, sagte sie leise »Es ist schön, mit euch zusammen zu sein, aber augenblicklich bin ich sehr verwirrt.«

»Gib mir doch wenigstens eine Chance, dir zu beweisen, daß es mir ernst ist, Simone«, sagte er flehend. »Wirf mir diese Geschichte mit Gabi nicht vor.«

»Das tue ich doch nicht. Auf mich ist so viel eingestürmt, daß da drinnen«, sie deutete auf ihr Herz, »alles ein bißchen durcheinander ist.«

»Nimm doch bitte wenigstens zur Kenntnis, daß es zwischen mir und Gabi aus ist«, stotterte er.

»Ich nehme es zur Kenntnis, daß du so denkst. Aber anscheinend wirst du sie erst noch davon überzeugen müssen.«

»Sie ist ein Biest. Sie wird alles zerstören, was uns verbindet.«

Simone lächelte. »Was könnte sie denn zerstören? Du gehörst zur Familie Hanson, die ich sehr gern habe, und du brauchst ihr nicht auf die Nase zu binden, daß ich möglicherweise der Grund bin, daß du dich von ihr abwendest.«

»Du betrachtest das so nüchtern, Simone«, seufzte er.

»Was hast du erwartet, André? Ich habe keinen reichen Vater, ich habe überhaupt keinen. Da bekommt man eine andere Einstellung zum Leben, als ein Mädchen, dem jeder Wunsch erfüllt wurde.«

»Jetzt kommt Paps«, sagte er hastig.

Unwillkürlich atmete Simone erleichtert auf. Aber als Rolf eintrat, kamen ihr plötzlich die Worte in den Sinn, die er kürzlich zu ihr sagte. »Dann lernte ich Irene kennen und wurde ein Mann.«

Und als sie später André anblickte. wurde ihr bewußt, daß er auch eine Wandlung durchgemacht hatte. Ich liebe dich, hatte er gesagt, und plötzlich war eine Regung in ihr, die ihr Herz schneller schlagen ließ.

*

Hedi war mit Poldi um die ganze Insel herumgegangen. Er hatte ihr die ganze Geschichte von dem Prozeß erzählt, von dem, was er über die von Bergens wußte. Von den Gewissensqualen, die ihn Jahre nicht zur Ruhe kommen ließen. Sie hatte nur still zugehört.

»Vielleicht wirst du mir eines Tages auch deine Geschichte erzählen, Hedi«, sagte er, »und vielleicht können wir ein Stück des Lebensweges noch gemeinsam zurücklegen. Es wäre schön. Es würde mich sehr glücklich machen.«

Nicht begreifend blickte sie ihn an, und er legte seine Hände um ihr Gesicht.

»Es wäre schön, wenn du meine Frau werden würdest, Hedi«, sagte er weich. »Auch wenn wir uns erst seit so kurzer Zeit kennen. Ich habe das noch nie zu einer Frau gesagt.«

»Und ich habe noch nie einen Heiratsantrag bekommen«, flüsterte sie.

»Aber eine Tochter hast du bekommen«, sagte er, »und ich hoffe sehr, daß sie mich nicht ablehnen wird.«

»Du solltest erst wissen, wie ich zu dieser Tochter gekommen bin.« Ihre Stimme bebte. »Ich wollte das Kind nicht haben, und für den Mann war ich eine von vielen. Ich weiß jetzt nicht einmal mehr, ob ich wirklich verliebt in ihn war, ich weiß nur noch, daß ich ihn dann haßte und immer noch hasse, und daß ich ständig von der Angst bewegt war, daß Simone ähnlich werden könnte. Du sollst nicht so liebevoll zu mir sprechen, bevor du nicht alles weißt, Poldi. Ich habe alles Geld zusammengekratzt, um mich dieses Kindes zu entledigen, das ist die harte Wahrheit. Aber ich war zu feige, um zu einem Arzt zu gehen. Ich wollte mich umbringen und lief zum See. Da begegnete mir eine Frau. Es war eine Zigeunerin. Sie hatte ein kleines Kind bei sich, das vor Hunger schrie. Sie bat mich um etwas Geld. Sie bettelte nicht, sie bat mich flehend, um Nahrung für das Kind kaufen zu können. Ich wollte ihr alles Geld geben, das ich bei mir hatte, aber sie nahm es nicht. Sie sagte, daß ich nicht tun solle, was ich vorhabe. Ich würde eines Tages sehr glücklich sein mit meinem Kind und reich entschädigt werden für alles Leid. Sie nahm nicht mehr als zehn Mark an, und ich ging weiter. Aber ich ging nicht in den See, ich ging zu meinen Eltern. Sie wollten mit dem Kind nichts zu tun haben, aber sie gaben mir Geld, damit ich über die Zeit hinwegkommen konnte. Als ich das Kind dann im Arm hielt, konnte ich mich nicht mehr begreifen. Ich liebte dieses kleine Wesen sofort. Ich bekam dann auch eine Stellung und verdiente genug. Mit den Jahren wurde es immer besser, und Simone entwickelte sich so, wie ich es sehnlichst wünschte. Sie bedeutete mir alles, doch jetzt entgleitet sie mir, ich fühle es.«

»Sie ist erwachsen und muß ihren Weg allein gehen, Hedi«, sagte er sanft. »Und warum solltest du nun nicht mal an dich denken?«

»Jetzt werde ich wieder an diesen Mann erinnert«, sagte sie leise.

Er legte seinen Arm um sie. »Jetzt trägst du diese Last nicht mehr allein, Hedi« sagte er.

»Ich danke dir, Poldi«, flüsterte Hedi. »Du wendest dich nicht von mir ab.«

»Wie kann eine so tapfere Frau nur so etwas denken«, sagte er zärtlich. »Ich bin so glücklich, daß ich dich gefunden habe.« Er küßte sie auf die Wange, aber da legte sie spontan die Arme um seinen Hals und küßte ihn auf den Mund. Dann blickte sie zum Himmel. »Heute ist Vollmond, da kann man sich um Mitternacht etwas wünschen, wenn man von der Quelle trinkt, das hat mir Mario erzählt«, flüsterte sie.

»Ich kenne die Sage, aber wenn du bei mir bleibst, brauche ich mir nichts mehr zu wünschen«, erwiderte Poldi.

In dieser Nacht konnte Hedi deshalb nicht einschlafen, weil sie von Glück erfüllt war. So alt hatte sie werden müssen, um dieses zu erleben, und so jung fühlte sie sich nun, daß sie bereit war an Wunder zu glauben.

Auf leisen Sohlen schlich sie hinaus, als es zehn Minuten vor Mitternacht war. Hell war diese Nacht und still. Die Schatten der Bäume fielen auf die Wege, die Hedi traumverloren ging, und dann vernahm sie das leise Rauschen der Quelle.

Der heißeste Wunsch, der sie bewegte, war der, daß Simone genauso glücklich werden möge wie sie an diesem Tag geworden war, nachdem sich ein Abgrund vor ihr aufgetan hatte. Nun gab es einen Mann in ihrem Leben, dem sie vertraute, der ihr Zuversicht und Kraft gab – und Liebe. Ja, sie konnte an die Liebe glauben. Sie kniete bei der Quelle nieder und faltete die Hände, und so verharrte sie sekundenlang in andächtiger Versunkenheit. Dann fing sie das Wasser in ihren Händen auf und trank es. Mögest du glücklich werden, mein Kind, dachte sie, und möge Gott barmherzig sein und Alice auch den inneren Frieden schenken.

Langsam ging sie zurück, und als sie leise in Alices Zimmer trat, lag diese mit offenen Augen im Bett.

»Warum brennt Licht, Hedi?« fragte sie.

»Es ist Nacht, Alice.«

»Du bist angekleidet, und du kamst von draußen.«

»Es ist eine herrliche Nacht. Der Vollmond hat mich hinausgelockt«, erwiderte Hedi.

»Ich habe lange geschlafen. Jetzt bin ich munter, und du wirst müde sein.«

»Ich bin auch noch ziemlich munter. Hast du Hunger, Alice?«

»Nur Durst.«

»Ich werde frischen Tee aufbrühen.«

»Ich möchte nur ein Glas Wasser. Meine Kehle ist trocken. Ich möchte sprechen, meine Stimme hören, und ich möchte dir etwas erzählen, Hedi. Wirst du mir zuhören?«

»Selbstverständlich.« Sie reichte Alice das Wasserglas und schob ihre rechte Hand unter deren Nacken.

»Du bist ein guter Mensch, Hedi, ich habe das gleich gefühlt. War ich schon ungerecht zu dir?«

»Nein, warum fragst du das?«

»Weil ich oft ungerecht war. Damit erwirbt man keine Freunde.« Sie schloß die Augen. »Ich war erst fünfzehn Jahre, als ich den Glauben verlor, daß es auch gute Menschen gibt, und warum sollte ich dann gut sein, frage ich mich. Auf mich hörte sowieso niemand. Meine Mutter nicht, mein Vater auch nicht, und für meinen Bruder war ich nur eine dumme Gans. Er war sieben Jahre älter als ich und hat mich nie gemocht. Zuerst nannte er mich Schreihals, dann Kratzbürste und schließlich eben dumme Gans. Meine Mutter war gestorben, mein Vater hatte eine Geliebte.«

Alice lachte spöttisch auf, und Hedi rann es eiskalt über den Rücken, als Alice weitersprach. »Als seine Sekretärin kam sie ins Haus, und wenn Vater nicht da war, ging sie zu meinem Bruder. Aber eines Tages be­lauschte ich sie. Rex sagte, daß er alles erben würde, wenn sein Vater tot sei. Sein Vater – es war doch auch mein Vater. Ich will nicht alles sagen, Hedi. Es hat mich verändert. Ich bin zu meinem Vater gegangen und habe gesagt, was ich gehört habe. Ich habe ihm gesagt, daß Rex und diese Frau dauernd beisammen wären und er seine Tür abschließen würde. Vater hat Rex nach einem Streit aus dem Haus gejagt. Und dann hatte er einen Streit mit dieser Frau.« Sie machte eine Pause und sah Hedi forschend an. »Warum sagst du nichts, Hedi?«

»Ich höre zu«, erwiderte Hedi.

»Ich habe gesehen, wie Vater den Revolver in der Hand hatte und zu der Frau sagte, sie solle verschwinden, sonst würde er schießen. Sie hat gesagt, daß er ein Feigling sei und ein paar Schimpfworte gebraucht, und dann hat sie ihm den Revolver weggenommen und abgedrückt. Ich habe alles gesehen und war doch noch ein Kind. Und dann war Rex plötzlich da. Er wollte ihr den Revolver wegnehmen. Ich habe mich an ihn geklammert und ihm gesagt, daß man ihm dann die Schuld geben würde und daß sie das doch so wolle. Ja, das habe ich gesagt. Und dann ist er weggelaufen. Und ich konnte plötzlich nichts mehr sagen. Man hat mir Fragen gestellt. Ich brauchte nur zu nicken oder den Kopf zu schütteln. Man hat mich gefragt, ob ich gesehen habe, daß diese Frau auf Vater schoß, und ich habe genickt. Sie wurde vor Gericht gestellt, und als das Testament eröffnet wurde, erfuhr ich, daß Vater mich als Haupterbin eingesetzt hatte. Da kam Rex zurück, wollte mehr Geld haben. Ich war noch nicht mündig. Ich konnte ihm kein Geld geben. Ein Onkel gab ihm welches unter der Bedingung, daß er sich als Schauspieler nicht von Bergen nennen würde. Er hatte als Rex Borg Erfolg, und mich packte ein fanatischer Ehrgeiz, noch erfolgreicher zu werden als er. Ich wollte ihm beweisen, daß ich keine dumme Gans war. Ich war wohl doch eine, obgleich ich Erfolg hatte. Rex hatte wohl wegen einiger Affären Grund genug, sich abzusetzen. Mit den Produzenten hatte sich es wegen seiner Unzuverlässigkeit auch verdorben. Er wollte publik machen, daß wir Geschwister sind. Er drohte mir damit, wenn ich ihm nicht Geld aus dem Erbe geben würde. Er hatte sich das gut ausgedacht. Ich gab ihm Geld. Immer und immer wieder erpreßte er mich, über all die Jahre.«

»Und du hast gezahlt?« fragte Hedi.

»Ich war die Valborg und wollte es bleiben. Ich wollte nicht mit ihm in einem Atemzug genannt werden. Aber seit einem Jahr habe ich nichts mehr von ihm gehört, bis ich den letzten Film drehte. Da bekam ich einen Brief von ihm. Er hätte einen schweren Unfall gehabt, und nun sei doch immerhin so viel Zeit vergangen seit damals, daß wir den alten Streit vergessen sollten. Da war es aus. Ich verlor die Stimme. Ich wollte aufgeben, Hedi. Und nun habe ich einmal einem Menschen all das gesagt, was niemand sonst erfahren hat. Jetzt sag du mir, was ich tun soll.«

»Was kannst du ertragen, Alice?« fragte Hedi.

»Könnte es noch schlimmer kommen?«

»Nehmen wir einmal an, Rex hätte ein Kind«, sagte Hedi leise, »ein Kind, von dem er nichts weiß, deren Mutter ein kurzes Abenteuer für ihn war, und die auch alles tun würde, um zu verhindern, daß dieses Kind je erfährt, was für ein Mensch er ist, wie würdest du dich in diesem Fall verhalten?«

»Wie kommst du darauf? Was weißt du, Hedi? Bitte, sag es mir, damit ich etwas für dieses Kind tun kann.«

»Das Kind ist erwachsen, und ich bin die Mutter, Alice. Simone weiß nichts von diesem Mann, nicht einmal seinen Namen.«

»Simone? So heißt doch das Mädchen, daß mir seine Stimme leiht für diesen Film. Solche Zufälle gibt es doch nicht, Hedi. Schau mich bitte nicht so verzweifelt an. Ich konnte das doch nicht wissen, nicht einmal ahnen.«

»Nein, das konntest du nicht. Niemand konnte es wissen oder ahnen. Es ist Bestimmung.«

»Ich werde es verhindern, daß sie es je erfährt, Hedi. Ich werde ihm alles geben, was ich besitze, damit er endgültig verschwindet. Und ich werde nie mehr filmen. Ich werde mich nicht verstecken. Dieses Kapitel unseres Lebens werde ich Auge in Auge mit ihm beenden.«

Tränen rollten über ihre Wangen, und ihre Hände umfaßten Hedis Arme, als hätte sie Angst, daß diese die Flucht ergreifen würde.

»Du wirst nichts tun«, sagte Hedi tonlos, »gar nichts. Das, was zu tun ist, wird ein Anwalt besorgen. Aber darüber werden wir sprechen, wenn wir geschlafen haben. Ich bin jetzt sehr müde, verstehe das bitte.« Sie neigte sich vor und küßte Alice auf beide Wangen. »Es sollte wohl so sein, daß wir Freundinnen werden«, fügte sie leise hinzu.

»Danke, daß du mich deine Freundin nennst, trotz allem«, flüsterte Alice.

»Wie fühlst du dich, Alice? Sollte ich nicht besser Dr. Cornelius rufen?«

»Nicht für mich. Brauchst du etwas?«

»Nein. Jetzt ist wenigstens zwischen uns alles klar. Und was uns nicht umbringt, macht uns stärker.«

*

Auch Rolf und Irene Hansen hatten bis weit in die Nacht hinein über Alice gesprochen, doch das Wichtigste wußten sie nicht. Der Radiowecker sprang an, zwei Minuten vor sieben Uhr. Sie waren beide Frühaufsteher, da sie es liebten, in aller Ruhe zu frühstücken.

Während Irene zuerst ins Bad ging, hörte Rolf die Nachrichten. Sie brachten das, was ihn mal wieder zu dem Stoßseufzer veranlaßte, daß ihnen hoffentlich der Frieden erhalten bleiben möge, wenn sie auch manche Einschränkungen auferlegt bekämen.

Aber dann kam eine Durchsage der Polizei, die ihn unwillkürlich aufhorchen ließ.

»Heute nacht, gegen halb drei Uhr wurde ein Mann von einem Auto erfaßt und schwer verletzt. Er konnte bisher nicht identifiziert werden. Die Beschreibung des Mannes: Alter ungefahr fünfzig Jahre. Er ist mittelgroß, schlank, hat graumeliertes Haar und blaugraue Augen. Er trug einen grauen Anzug und einen hellen Trenchcoat. Die Etiketten in der Kleidung lassen darauf schließen, daß er Ausländer sein könnte. Auskünfte bitte an die nächste Polizeidienststelle.«

Mittelgroß, schlank, grauer Anzug, ging es Rolf durch den Sinn, aber das paßte wohl auf viele Männer. Und dennoch ließ ihn der Gedanke nicht los. Er sprach mit Irene darüber.

»Du kannst immerhin mal nachfragen«, sagte sie beklommen.

Er nickte. Und bevor die jungen Leute aufgestanden waren, machte er sich schon auf den Weg.

Auf dem Polizeirevier erfuhr er, daß der Mann ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht worden sei. Papiere hatte er nicht bei sich gehabt, aber von einer Pension sei hereits angerufen worden, daß es sich um einen Reginald von Bergen handeln könne, der dort abgestiegen sei, aber seit dem Vormittag des vergangenen Tages nicht mehr in die Pension zurückgekehrt wäre.

Rolf fuhr zum Krankenhaus, und es gelang ihm, den Oberarzt zu sprechen. Der erklärte ihm, ohne große Worte zu machen, daß der Verletzte vor einer halben Stunde verstorben sei.

»Der Mann hätte ohnehin nicht mehr lange zu leben gehabt«, fügte er hinzu. Er muß vor nicht allzu langer Zeit einen schweren Unfall gehabt haben und litt außerdem an einer Hepatitis. Es sei auch eindeutig erwiesen, daß der Fahrer des Wagens keine Schuld gehabt hätte. Und dann sagte er auch noch, daß man ihm sehr verbunden wäre, wenn er sagen könne, wer die Kosten übernehmen würde.

»Das werde ich tun«, erklärte Rolf Hanson.

»Das wird die Krankenhausverwaltung freuen«, sagte der Arzt. »Wenn Sie es bitte gleich regeln würden, erspart es Arbeit.«

Rolf dachte an Alice, als er einen Scheck ausschrieb. Dann aber dachte er an Simone. Was Reginald von Bergen von ihr gewollt hatte, würden sie nun wohl nie erfahren.

Aber wozu auch, ging es ihm durch den Sinn. Er war Alices Bruder gewesen, und nun war er tot. Vielleicht würde sie ihm einmal eine Erklärung geben, aber dieser Tote würde niemanden mehr erschrecken. Daß Rolf dann zu Dr. Norden fuhr, entsprang einer Eingebung.

»Das muß Gedankenübertragung gewesen sein«, wurde er von Dr. Norden empfangen. »Heute morgen rief mein Schwiegervater an. Frau Valborg hat den Wunsch geäußert, sofort informiert zu werden, wenn ihr Bruder nach ihr forschen solle. Sie will ihn sprechen.«

»Er ist tot, sie kann ihn nicht mehr sprechen«, sagte Rolf. »Ich wollte Sie bitten, die Übermittlung dieser Nachricht zu übernehmen.«

»Eine unerwartete Lösung«, sagte Dr. Norden, nachdem Rolf Hanson ihm alles erklärt hatte. »Vielleicht bleibt für uns ein ungelöstes Rätsel zurück, aber das werden wir schon verkraften. Jedenfalls scheint Frau Valborg über den Berg zu sein, und es könnte das Schlechteste nicht sein, wenn man Frau Röcken bezüglich Simone reinen Wein einschenken würde. Sie hat sich sehr mit Alice angefreundet und wird ihrer Tochter möglicherweise den Weg zu einer Karriere nicht mehr verbauen.«

»Hat sie sich dazu schon geäußert? Sie weiß doch noch gar nichts«, sagte Rolf Hanson verblüfft.

»Aber sie hat sich mit einem gewissen Dr. Rassow angefreundet. Das nur zu Ihnen. Ich hoffe, daß sich alles in Wohlgefallen auflöst.«

Über die dramatischen Ereignisse dieser Nacht, die nur Alice und Hedi betrafen, wußte noch niemand etwas. Hedi schlief bis in den lichten Vormittag hinein, während Alice diesmal längst auf den Beinen war und Dr. Cornelius alles das gesagt hatte, was Dr. Norden an Rolf Hanson weitergeben konnte.

Und sie unterhielt sich ganz ruhig mit Anne, als der Anruf von Dr. Norden kam.

Anne umklammerte den Hörer so, daß ihre Knöchel ganz weiß wurden.

»Alice ist gerade bei mir«, sagte

sie. »Meinst du, daß ich es ihr sagen soll?«

»Was sollst du mir sagen, Anne?« rief Alice dazwischen.

»Daniel will es dir selbst sagen«, erklärte Anne und gab den Hörer an Alice weiter. Sie ließ die andere nicht aus den Augen, aber Alice blieb ganz ruhig. »Das ist die beste Nachricht, die ich erfahren konnte zu diesem Zeitpunkt«, sagte sie. »Es mag brutal klingen, aber dieses Begräbnis würde ich mich etwas kosten lassen. Gut, ich rufe Rolf an. Einstweilen meinen besten Dank, Dr. Norden.«

Sie legte den Hörer auf und sah Anne an. »Der Tod löscht alles aus«, sagte sie.

»Es kommt darauf an, wie sehr man einen Menschen geliebt hat, Alice«, flüsterte Anne.

»Ihn hat niemand geliebt. Uns bleibt viel erspart.«

Uns, dachte Anne, als sie davoneilte. Wen meint sie damit? Aber bevor sie sich solchen Gedanken entreißen konnte, saß Alice schon an Hedis Bett.

»Wach auf«, sagte sie, »wach doch endlich auf, Hedi. Es ist ein schöner Tag.«

Verwirrt blickte Hedi sie an. »Ein schöner Tag?« murmelte sie.

»Er ist tot, Hedi. Reginald von Bergen, alias Rex Borg ist tot. Wir sind frei, hörst du, wir beide sind frei, und Simone wird es nie erfahren. Er ist ausgelöscht. Und ich bleibe Alice Valborg. Ich werde Simone klarmachen, daß eine Karriere nicht das Wichtigste auf der Welt ist.« Sie umfaßte Hedis Schultern und schüttelte sie. »Das tue ich für dich, Hedi, nicht für Simone.«

Und endlich begriff Hedi. Aber dann sagte sie: »Du wirst nicht aufhalten können, was von der Vorsehung bestimmt ist, Alice. Ich kann es auch nicht, und jetzt will ich es auch nicht mehr!«

*

Simone und André saßen sich am Frühstückstisch gegenüber. Scheue Blicke wanderten hin und her. Dann versanken sie ineinander. Vicky schenkte sich die dritte Tasse Kaffee ein.

»Was ist eigentlich heute los?« fragte sie. »Warum halten sich Paps und Mami fern?«

»Frag sie doch«, sagte André.

Da trat Rolf ein. »Wir müssen jetzt ins Studio, Simone«, sagte er. »Ich habe eben mit Irene beschlossen, daß wir am Wochenende zur Insel fahren. Wir alle, wenn die Jugend nichts dagegen hat.«

»Was sollten wir dagegen haben?« fragte Vicky. »Hast du schon was vor, André?«

»Ich hatte auch die Absicht, mit Simone zur Insel zu fahren«, erklärte er, um sich schnell nur an sie zu wenden. »Wann soll ich dich heute abholen, Simone?«

»Sie braucht keine Bewachung mehr«, bemerkte Rolf. »Dieser Mann lebt nicht mehr.«

Atemlose Stille herrschte augenblicklich. »Erkläre du es den beiden, Irene«, sagte Rolf hastig, »ich erzähle es Simone auf der Fahrt.« Dann nahm er ihren Arm und zog sie mit sich.

»Ich hole dich trotzdem ab«, rief André hinterher.

»Muß Liebe schön sein«, raunte Vicky ihrer Mutter schelmisch zu. Ein Lächeln glitt über Irenes Gesicht. »Das wirst du auch noch erleben«, sagte sie gedankenvoll.

André bekam das gar nicht mit. Seine Gedanken waren noch bei Simone, und als sie dann erfuhren, wie von Bergen ums Leben gekommen war, dachte er auch nur an sie.

»Reginald von Bergen war Alices Bruder«, sagte Irene. Die beiden starrten sie fassungslos an. »Er war als Schauspieler unter dem Namen Rex Borg bekant«, fügte Irene hinzu.

»Das muß ewig her sein«, murmelte Vicky.

»Ja, es ist lange her.«

»Alice hat ihn nie erwähnt«, sagte André.

»Nicht alle Geschwister verstehen sich so gut wie ihr«, sagte Irene.

»Ich hätte zu gern gewußt, warum er hinter Simone her war«, überlegte André.

Das würden sie nie erfahren. Der Tod hatte verhindert, daß Reginald von Bergen der Wahrheit auf die Spur kam, mochte wohl eine Ahnung in ihm gewesen sein, eine Ähnlichkeit, die eine Erinnerung in ihm geweckt hatte.

Sein Leben war ausgelöscht worden, bevor er neues Unheil anrichten konnte.

So sagte es auch Dr. Rassow, als er Hedi in die Arme nahm. »Wir könnten Simone ja sagen, daß ich ihr Vater bin«, meinte er.

»Nein, das können wir nicht. Ich habe ihr gesagt, daß er das Kind nicht wollte. Aber wir könnten sie ja fragen, ob sie dich als Vater akzeptieren würde.«

»Und wenn sie mich ablehnt?«

»Ich vertraue auf ihre Menschenkenntnis. Aber es wird schon eine Überraschung für sie sein.«

Reich an Überraschungen und Ereignissen waren diese Tage gewesen, in denen sich alles gesammelt hatte, was es an Leid, Angst, aber auch an Freude und Hoffnung gab. Von Alice war alles abgefallen, was sie gequält hatte. Ihre Stimme hatte wieder den dunklen, vollen Ton wie ehemals, in ihren Augen war jetzt ein warmes Leuchten.

Rolf und Irene konnten nur noch staunen, als sie ihnen so beschwingt entgegenkam. Ihr Kommen war schon ungeduldig erwartet worden, doch Hedi sah vorerst nur ihre Tochter. Jetzt erst wurde es ihr so recht bewußt, daß sie Alice ähnlich war.

»Gut schaust du aus, Mutsch«, sagte Simone innig. »Mir ist es, als hätte ich dich schon ewig nicht gesehen. Ich habe dir soviel zu erzählen.«

»Ich dir auch. Bist du mit der Synchronisation zurechtgekommen?«

»Du weißt es schon?« fragte Simone errötend.

»Ich weiß eine ganze Menge«, lächelte Hedi. »Und manches kann ich mir denken«, fügte sie leise hinzu, als nun André nahte.

*

Es dauerte nicht lange, bis sie alle miteinander vertraut waren, und es schien auch ganz selbstverständlich zu sein, daß Poldi seinen Platz in der Runde hatte. Es wurde viel erzählt, nur der Name Bergen wurde nicht erwähnt.

Rolf sprach dann mit Alice unter vier Augen, und auch Hedi und Simone hatten sich dann einiges zu sagen, was nur sie etwas anging.

»Ich werde jetzt beim Fernsehen arbeiten, Mutsch«, begann Simone vorsichtig. »Ich strebe keine Karriere beim Film an, wenn du das fürchten solltest.«

»Ich rede dir nicht mehr hinein, Simone. Es hat sich so viel verändert. Dr. Rassow möchte mich heiraten«, gestand sie errötend ein. »Es scheint aber so, als hättest du dir schon einen Ersatzvater gesucht.«

Simone lächelte schelmisch. »Der mein Schwiegervater wird, Mutsch. Wie gefällt dir das?«

»Oh, sehr gut«, rief Hedi aus.

»Mir gefällt es auch, daß du unter die Haube kommst.«

»Sehr überrascht bist du aber nicht«, staunte Hedi.

»Ich bin auch mit ein paar Andeutungen vorbereitet worden«, lachte Simone, »wie du anscheinend auch. Alle waren sehr bemüht, daß es zwischen uns keine Meinungsverschiedenheiten gibt. Und da du innige Freundschaft mit Alice geschlossen hast, wirst du ja wohl auch wissen, daß sie einen Bruder hatte.«

»Darüber wollen wir nicht mehr sprechen. Vergangenes soll vergessen sein Simone. Ich habe so innig gewünscht, daß du glücklich wirst.«

»Ich bin glücklich, liebste Mutsch. doppelt glücklich, weil du es nun auch bist.«

»Würdest du es Poldi sagen? Ihm ist nämlich ein bißchen bange, daß Rolf ihm den Rang bereits abgelaufen hat.«

»Ich finde es herrlich, zwei Väter zu haben«, lächelte Simone. »Jetzt werde ich Poldi sagen, daß er dir ruhig schon ein bißchen früher über den Weg hätte laufen können.«

»Die Zeit war wohl nicht reif, mein Kind. Wann werdet ihr heiraten?«

»Nächstes Jahr, wenn André mit dem Studium fertig ist.«

»So lange werden wir nicht warten«, sagte Hedi.

Simone gab ihr einen innigen Kuß, dann eilte sie zu Poldi, dem die Unruhe auf dem Gesicht geschrieben stand.

»Mach meine Mutsch glücklich, Poldi«, sagte sie innig. »Sie verdient es.«

Er nahm sie in die Arme. Er war so gerührt, daß er keine Worte fand, aber da kam schon André. »He, wie haben wir es denn«, sagte er eifersüchtig.

»Sei nett zu deinem Schwiegervater, André«, lachte Simone, »ich bin ja auch nett zu meinem.«

»Lieben und geliebt zu werden, ist das höchste Glück auf Erden«, sagte Anne zu ihrem Mann. »Und nun soll noch einer sagen, daß hier keine Wunder geschehen!«

Gern wollten sie alle, die sich dieses Glückes nun unbeschwert erfreuen konnten, an dieses Wunder glauben.

»Man könnte direkt ein bißchen neidisch werden, wenn nicht alles so wunderschön wäre«, seufzte Vicky. »Aber Gabi wird’s zerreißen.«

Ein Jahr später wurde auch Gabi mit keinem Wort mehr erwähnt.

Als Simone und André sich das Jawort gaben, waren Rolf und Poldi Trauzeugen, und zwei glückliche Mütter tupften sich ein paar Tränen aus den Augen.

Neben Vicky stand ein junger Mann, den sie bereits seit einem halben Jahr zärtlich »Hansischatz« nannte, und er schien sich das sehr gern gefallen zu lassen. So ein bißchen hatten da Poldi und Hedi nachgeholfen, denn der junge Rechtsanwalt Dr. Brechtel war Poldis Juniorpartner. Allein war nur Alice gekommen, aber sie stand nicht abseits. Sie hatte ihre zweite Karriere bereits begonnen mit einer Fernsehserie, in der sie eine charmante Heiratsvermittlerin spielte. Tragische Rollen waren für sie vergessen.

»Eins bitte ich mir aus«, sagte sie zu dem jungen Ehepaar, »ich bestehe darauf, bei eurem ersten Kind Patin zu werden.«

»Versprochen, Alice«, sagte Simone herzlich.

André ließ nachdenklich seinen Blick zwischen den beiden hin und her wandern.

»Ich würde zu gern wissen, Paps, wie es kommen kann, daß sich Simone und Alice so ähnlich sind«, sagte er zu seinem Vater.

»Eine Laune der Natur«, erwiderte Rolf, obwohl er es besser wußte, doch alle, die es wußten, bewahrten Schweigen. Nichts sollte das junge Glück und ihr aller Leben mehr trüben, was mit Reginald von Bergen zusammenhing.

Simone konnte sich der innigen Liebe zweier Väter erfreuen.

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