Читать книгу Dr. Norden Bestseller Staffel 18 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 7

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Im Jagdschlössel herrschte fröhliche Silvesterstimmung. Sepp und Kathi Hoflechner konnten zufrieden sein. Vor einem Jahr hatten sie noch nicht so fröhlich in die Zukunft geschaut. Da hatten sie gefürchtet, sich mit dem Kauf des Hotels doch übernommen zu haben. Die Modernisierung war viel teurer geworden, als veranschlagt worden war, und schwer war es dann gewesen, tüchtiges Personal zu bekommen. Noch mehr war auf sie eingestürmt, denn Sepp mußte plötzlich am Blinddarm operiert werden, und gerade da hatte sich bei Kathi Nachwuchs angekündigt, auf den sie schon vier Ehejahre vergeblich gewartet hatten.

Doch da hatten sie dann die drei Ärzte kennengelernt, die jetzt mit ihren Ehefrauen in allerbester Laune an einem runden Tisch saßen.

Dr. Daniel Norden und seine bezaubernde Frau Fee, der Gynäkologe Dr. Hans-Georg Leitner und Frau Claudia, und der Chirurg Dr. Dieter Behnisch mit Jenny, die nicht nur seine Ehefrau war, sondern auch seine rechte Hand in der Klinik. Zuerst hatten sie es gar nicht glauben können, daß nichts dazwischen gekommen war, einmal gemeinsam den Abschied vom alten Jahr und den Beginn des neuen Jahres gemeinsam feiern zu können, aber es hatte geklappt, und die Hoflechners freuten sich, denn sie hatten diesen drei Ärzten so viel zu verdanken, daß sie einmal die Gastgeber sein wollten.

Genau ein Jahr war es nämlich her, daß Sepp plötzlich ganz schlimme Leibschmerzen bekommen hatte, und weil es auch Kathi gleich darauf schlecht geworden war, glaubten sie an eine Lebensmittelvergiftung. Die Moser-Zenzi, die grad als Köchin eingestellt worden war, wollte das nicht auf sich sitzenlassen und hatte sogleich Dr. Norden, ihren Doktor, gerufen.

Der hatte Sepp Hoflechner schleunigst in die Behnisch-Klinik gebracht und Kathi dann in die Leitner-Klinik, weil sie ihm nicht hatte glauben wollen, daß sie schwanger war.

Dr. Leitner hatte den Sepp schleunigst operiert, und als er aus der Narkose aufwachte, konnte Kathi ihn mit der freudigen Nachricht aufmuntern, daß er Vater werden würde. Das hatte ihn schnell auf die Beine gebracht.

Ja, so hatte es noch vor einem Jahr ausgeschaut und dann war plötzlich alles bestens gegangen, wie durch Zauberhand. Da hatte ja auch eine gute Fee mitgewirkt, die ihnen half, Personal zu bekommen, da strömten dann auch die Gäste, weil drei Ärzte die gute Küche im Jagdschlössel lobten, und vor vier Monaten hatte sich dann der Stammhalter Georg Daniel Dieter Hoflechner eingestellt. Daß er jetzt nur Schorschi genannt wurde, paßte halt am besten zum Nachnamen.

Für seine Eltern war es eine große Ehre, daß die Ärzte ihre Einladung angenommen hatten, und sie erwiesen sich als großzügige Gastgeber.

»Es ist ja direkt peinlich, was sie alles auffahren lassen«, meinte Claudia Leitner.

»Beim nächsten Kind gleiche ich das aus«, lachte Dr. Leitner.

»Wir werden uns im Laufe der Zeit auch noch erkenntlich zeigen können«, meinte Daniel Norden und zwinkerte Dieter Behnisch zu.

»So jung kommen wir nimmer zusammen«, lachte der, »und wenn man sich so umschaut, was hier verkonsumiert wird, werden sie jetzt unseretwegen nicht mehr in die roten Zahlen geraten.«

Es waren viele Gäste da, und auch die Zimmer waren ausgebucht. Das Jagdschlössel hatte eine schöne Lage. Man konnte die herrliche Natur genießen und war doch gleich in München, und man mußte es der Moser-Zenzi lassen, daß sie nun mit tüchtigen Hilfen und besten Zutaten lukullische Gerichte zauberte. Mit ihren fünfzig Jahren konnte sie endlich einmal so schalten und walten, wie sie es sich erträumt hatte.

Nach dem üppigen Mahl brauchte man auch Bewegung, und so wurde getanzt. Dazu rafften sich auch Dieter Behnisch und Schorsch Leitner auf, die sich selbst als Tanzmuffel bezeichnet hatten. Fee und Daniel dagegen genossen es richtig, mal wieder ausgiebig tanzen zu können, und sie waren auch das attraktivste Paar.

»Wenn dieser Heini da drüben Fee weiter so unverschämt anstarrt, wird Daniels Laune bald dahin sein«, knurrte Dieter Behnisch.

»Daniel hat doch nur Augen für Fee«, lachte Jenny.

Mit dem Heini meinte Dieter einen Snob mittleren Alters, der allein an einem kleinen Tisch saß. Aber als auch Schorsch und Claudia zu ihm hin-überblickten, schien er sein Interesse an Fee verloren zu haben. Eine sehr aparte, zierliche junge Dame setzte sich zu ihm. Ihr exotisches Aussehen zog bewundernde Blicke auf sich, und obgleich sie keinen fröhlichen Eindruck machte, erregte sie viel Aufmerksamkeit.

Auch Fee war sie gleich aufgefallen. »Sepp und Kathi bekommen jetzt schon internationale Gäste, wie es scheint«, sagte Fee. »Ein zauberhaftes Geschöpf, nur der Dandy paßt nicht dazu.«

»Der hat dich aber mit seinen Blicken verschlungen«, brummte Daniel. »Wenn ich nicht so gut gelaunt wäre…«

»Aber, aber«, fiel ihm Fee lachend ins Wort. »Der Herr Doktor wird doch keine Rauferei anfangen wollen. Wahrscheinlich hat er nur nach seiner Herzdame Ausschau gehalten.«

»Wenn das seine Herzdame ist, heiße ich Mops.«

»Warum gerade Mops?« fragte Fee neckend.

»Weil mir nichts anderes eingefallen ist.«

»Vielleicht ist es ein Ehepaar, und sie hatten Krach«, sagte Fee. »So was soll vorkommen.«

»Bei uns aber nicht. Was kümmert es uns.« Sie gingen an ihren Tisch zurück, und lustig ging es weiter.

Um Mitternacht, als die Stimmung den Höhepunkt erreicht hatte, war das ungleiche Paar verschwunden, aber nur Fee hatte rein zufällig bemerkt, daß die junge Dame plötzlich aufgesprungen und hinausgeeilt war.

Die Glocken läuteten das neue Jahr ein, Böllerschüsse krachten, ein buntes Feuerwerk ließ die Sterne für kurze Zeit verblassen. Man prostete sich zu, wünschte Glück, schüttelte auch fremde Hände, und dann, als es draußen still war, hielten sich Daniel und Fee umschlungen. Das brauchten sie, um sich ohne Worte zu verstehen zu geben, daß sie sich liebten wie am ersten Tag. Auch drinnen herrschte für eine Zeit eine besinnliche Stimmung. Möge der Welt der Frieden erhalten bleiben, sagte oder dachte so mancher.

»Hoffentlich sind die Kinder nicht aufgewacht«, sagten Fee, Jenny und Claudia plötzlich wie aus einem Munde.

»Jetzt können wir uns aber noch extra etwas wünschen«, meinte Fee lächelnd.

Und wie sie es schon oft getan hatten, wenn ihnen ein paar schöne gemeinsame Stunden beschieden waren, faßten sie sich reihum bei den Händen. Aber sie waren Freunde nicht nur in guten Stunden, sie hatten es schon oft in schweren Stunden bewiesen. Und dazu bedurfte es keiner großen Worte.

Als sie heimfuhren, begann es zu schneien. Ein scharfer, kalter Wind hatte die Schneewolken schnell herangetrieben.

»Da wird es morgen wieder krachen«, brummte Dieter Behnisch.

»Fahrt ihr nur vorsichtig«, sagte Fee. Aber sie kamen alle gut ans Ziel, obgleich die Straßen eisglatt waren.

Fee und Daniel sahen Licht im Haus. »Die Kinder sind doch munter geworden«, seufzte Fee.

»Lenni ist doch bei ihnen«, sagte Daniel beruhigend.

Die Kinder schliefen, aber Lenni war wach.

»Grad hat der Herr Hof-lechner ganz aufgeregt angerufen«, stotterte sie. »Es ist was passiert. Er weiß nicht, was er tun soll.«

Fee bewies wieder mal ihr phantastisches Gedächtnis. Sie hatte trotz der langen Nacht die Telefonnummer des Jagdschlössels im Kopf, und sie wählte sie gleich.

Jetzt war Kathi am Telefon. »Bitte, entschuldigen S’, Frau Doktor«, stammelte sie, »aber wir haben das Fräulein Ramirez im Park gefunden. Der Wastl hat sie aufgespürt. Was sollen wir nur tun? Sie ist bewußtlos und ganz unterkühlt.«

»Hüllen Sie sie in warme Decken«, sagte Fee, »wir kommen gleich.« In Windeseile streifte sie das Abendkleid ab, zog eine lange Hose und einen warmen Pullover an.

Daniel ließ es dabei, sich der Krawatte und der Jacke zu entledigen und ebenfalls einen warmen Pullover anzuziehen.

»Und Sie können in der Behnisch-Klinik anrufen, Lenni, daß wir möglicherweise eine Patientin bringen«, sagte er.

Und was hörte Lenni daraufhin von Dr. Behnisch?

»Geteilte Freude ist doppelte Freude, Lenni. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ein ganz gutes Neues Jahr, gute Lenni.«

Es hätte schon besser anfangen können, dachte Lenni. Sie konnte wieder ins warme Bett kriechen, aber sie schaute doch erst nach den Kindern, aber die schliefen. Für sie war es eine Nacht wie jede andere.

*

Sepp und Kathi Hoflechner konnten den Nordens nur leid tun. Da hatten sie sich so viel Mühe gegeben, ihren Gästen einen fröhlichen Rutsch ins neue Jahr zu bereiten, und nun ließ es sich wieder so dramatisch an.

»Der Silvester scheint was gegen uns zu haben«, meinte Kathi beklommen. »So ein schönes Mädchen.«

Fee war erschrocken gewesen, als sie das exotisch aussehende Mädchen erkannt hatte.

»Wie ist der Name?« fragte sie, während Daniel die schöne Fremde untersuchte.

»Juanita Ramirez, so hat sie sich eingeschrieben«, sagte Kathi. »Und gezahlt hat sie auch gleich für vier Tage im voraus. Und sie hat auch was ins Safe gelegt, Frau Doktor. Man brauchte nicht mißtrauisch sein. Sie hat auch gut deutsch gesprochen.«

»Und der Mann, mit dem sie am Tisch saß?« fragte Fee.

Kathi zuckte die Schultern. »Er ist erst so gegen zehn gekommen. Er hat gesagt, daß er mit der Senhora verabredet ist.«

Es klang komisch, wie Kathi dies in ihrem bayerischen Dialekt sagte, aber zum Lachen war Fee nicht zumute.

»Er hat Senhora gesagt?« fragte sie. »Nicht Senhorita?«

»Nein, Senhora, das weiß ich genau, weil doch ich mit ihm gesprochen habe. Ein Zimmer wollte er nicht haben. Und seinen Namen hat er auch nicht genannt. Aber es war ja schon so eine Stimmung, daß ich mir auch gar nichts gedacht habe. Da sind doch so viel Leute gekommen, mit denen wir gar nicht gerechnet hatten. Wir haben uns so gefreut, daß Sie so lustig waren, und nun müssen wir Ihnen das zumuten.«

»Darüber machen Sie sich mal keine Gedanken, Frau Hoflechner«, sagte Fee. »Das kommt schon wieder in Ordnung.«

»Wenn wir nur nicht die Polizei holen müßten, das schadet doch dem Ruf«, seufzte Kathi.

»Dazu brauchen wir keine Polizei«, sagte Fee. »Wir bringen die junge Dame in die Behnisch-Klinik. Kann ich mal ihr Zimmer sehen und ein paar Sachen für sie mitnehmen?«

»Ja, freilich, gern. Ich bin nur froh, daß die andern Gäste nichts gemerkt haben. Ein paar feiern immer noch.«

Man hörte es. »Wer denkt denn schon an so was«, sagte Kathi, als sie mit Fee zu dem Zimmer ging, das Juanita Martinez bewohnt hatte. Da saß der Wastl vor der Tür, ein schneeweißer Hirtenhund, der Fee jetzt schwanzwedelnd begrüßte.

»Ein guter Wachhund ist er, und die junge Dame war gleich nett zu ihm«, erzählte Kathi, »alle Gäste sind nicht so. Er darf eigentlich auch nicht hier rauf.« Sie streichelte den Kopf des Hundes. »Das weißt du doch, du Schlawiner. Was machst du denn hier?«

Wastl bequemte sich erst von der Tür weg, als Kathi diese aufschloß.

Das Bett war aufgedeckt, aber nicht benutzt. Die Koffer standen offen da, aber sie waren nicht ausgepackt.

Kathi meinte dann allerdings, daß die junge Dame wohl schon wieder gepackt hätte.

Die Koffer waren teuer, wie auch die Kleidung. Das stellte Fee sofort fest. Eine Handtasche stand auf dem Tischchen, aber sie enthielt weder Geld noch Papiere. Sonst aber war nichts Auffallendes zu bemerken.

Fee schloß den kleineren Koffer, wie er dastand und nahm ihn mit. Als sie herunterkam, war das Mädchen schon wieder in warme Decken gehüllt.

»Leichte Erfrierungen«, sagte Daniel, »aber lange kann sie nicht draußen gelegen haben in dieser klirrenden Kälte. Wir werden sie in die Klinik bringen. Sie muß überwacht werden.«

Er trug das Mädchen zu seinem Wagen. Es bereitete ihm keine Mühe. Er war kräftig und sicher auf den Beinen.

»Wo hat Wastl sie gefunden?« fragte Fee Sepp Hoflechner.

»Da drunten, nahe beim Teich. Viel hätte nicht gefehlt, daß sie da hineingestürzt wäre. Ganz gewiß ist sie gerutscht, man hat es im Schnee gesehen. Ich denke, daß sie noch frische Luft schnappen wollte. Den warmen Pelz hat sie ja angehabt, wenigstens das glücklicherweise.«

Es war ein kostbarer Luchsmantel, wie Fee schon festgestellt hatte. Alles in allem, was sie von dieser Fremden hatte feststellen können, mußte sie sich fragen, wie diese ausgerechnet auf das Jagdschlössel gekommen sein mochte, das kein Hotel der Luxusklasse war.

»Du bist ein bißchen vorlaut gewesen, Fee«, sagte Daniel.

»Wieso?« fragte sie erstaunt.

»Es ist wohl doch ein Fall für die Polizei.«

»Wie kommst du darauf?«

»Ihr Körper weist Spuren eines Kampfes auf. Und der hat gewiß nicht stattgefunden, als sie den Mantel anhatte. Das Kleid ist zerrissen, und mit dünnen Abendschuhen macht man nicht einen nächtlichen Spaziergang im Schnee. Jedenfalls nicht freiwillig.«

»Vielleicht doch, wenn man etwas zuviel getrunken hat«, sagte Fee.

»Sie hat nicht getrunken. Sie wurde durch einen Schlag auf den Hinterkopf betäubt. Die Wunde hat geblutet.«

»Ich war in ihrem Zimmer. Da sah man keine Spuren eines Kampfes.«

»Das werden wir uns noch genauer anschauen«, sagte er.

»Und warum hast du nicht die Polizei gerufen?« fragte Fee.

»Weil mir die Hoflechners leid tun. Silvester soll nicht zu einem Trauma für sie werden. Und außerdem braucht man die Polizisten ja nicht in der Silvesternacht zu bemühen, wenn kein dringender Anlaß besteht.«

»Was uns betrifft, wäre es mir lieber gewesen, der Wastl hätte die reizende Juanita gefunden, bevor wir heimfuhren«, meinte Fee, denn nun rieselte der Schnee in dicken Flocken herab, und er deckte wohl auch zu, was es an möglichen Spuren gegeben hätte. Aber dann dachte Fee, daß auch dieses junge schöne Geschöpf ganz vom Schnee zugedeckt worden wäre, hätte es den wachsamen Wastl nicht gegeben. Und plötzlich kam ihr der Gedanke, daß es der Hund gewesen sei, der denjenigen, von dem Juanita in Gefahr gebracht worden war, vertrieben haben könnte.

Wie gut sie wieder einmal kombiniert hatte und wie klug Wastl war, sollte sie aber erst nach dem Neujahrs-tag erfahren.

Jenny Behnisch nahm sich der Bewußtlosen an. »Dieter konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten«, sagte sie »Er hat ein Gläschen zuviel getrunken. Bei ihm kommt es erst hinterher raus. Wir sind ja auch nichts gewohnt.«

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Jenny«, meinte Daniel. »Müde sind wir auch. Aber die Hof-lechners waren so verstört, und sie müssen sich ja auch noch um die andern Gäste kümmern. Ich denke nicht, daß euch das Mädchen viel zu schaffen macht. Sie wird schlafen. Die leichten Erfrierungen werde ich noch versorgen.«

»Ach was, fahrt ihr nur heim und schlaft euch aus. Ich hole den Schlaf nach, wenn Dieter wieder auf den Beinen ist. Ist das eine Sache für die Polizei?« fragte sie dann noch.

»Nein, bisher nicht«, erwiderte Daniel.

»Hoffentlich nicht. Ein bißchen abergläubisch bin ich schon. Wenn das Jahr so anfängt, geht es meist auch aufregend weiter!«

*

Ein paar Stunden konnten Daniel und Fee dann schlafen. Die Kinder tobten schon im verschneiten Garten herum, als sie erwachten.

Ein Bilderbuchtag präsentierte sich ihnen. Die Kinder jubelten, als ihre Eltern gleich an der Schneeballschlacht teilnahmen, und danach hatten sie dann den richtigen Frühstücksappetit. Mit Lenni mußte schließlich auch noch auf das neue Jahr angestoßen werden. Sie meinte, daß sie nun hoffe, daß ihnen viele ruhige Nächte beschieden sein mögen.

»Heut nacht hat’s donnert«, sagte die kleine Anneka. »Hab’ es gehört.«

»Da ist beistimmt die Schneewolke geplatzt«, meinte Felix, der manchmal eine blühende Phantasie entwickelte und sich dann auch gleich passende Geschichten ausdachte.

»Habt ihr schön getanzt?« fragte Danny. »Mami war bestimmt die Allerschönste.«

»Papi war der Allerschönste«, schloß Anneka sich gleich an.

»Es war sehr lustig«, sagte Fee, denn von der weniger guten Fortsetzung wollte sie vor den Kindern nicht sprechen.

Gestärkt und nun ganz munter, rüsteten sie sich zum Neujahrsspaziergang, und daß man dabei auch in der Behnisch-Klinik vorbeischaute, war für die Kinder nicht auffallend.

Daniel fand Zeit, ein paar Minuten allein mit Dieter Behnisch sprechen zu können. Juanita lag noch in tiefem Schlummer. Eine Lungenentzündung hatte sich angebahnt, aber Dieter meinte, daß sie diese schnell in den Griff bekommen könnten. Ihn stimmte es besorgt, daß sie nicht ansprechbar gewesen war, als sie einmal kurz erwachte.

»Ich habe sie mit ihrem Namen angesprochen, aber sie hat nur den Kopf geschüttelt«, erklärte er seinem Freund Daniel.

»Aber sie hat den Namen Juanita Martinez selbst angegeben, sagte Kathi«, meinte Daniel nachdenklich.

»Vielleicht sollte man doch lieber die Polizei einschalten«, sagte Dieter. »Es kann sich ja um einen Überfall handeln. Betrachte mal ihre Hände. Sie trug Ringe, aber die sind nicht mehr vorhanden. Man sieht jedoch deutlich die helleren Stellen.«

»Wir werden mal nachmittags zum Jagdschlössel fahren und in ihrem Zimmer nachschauen«, sagte Daniel. »Wenn sie wieder wach ist, fragst du sie, ob du die Polizei verständigen sollst. Wenn sie es will, ist es in Ordnung, aber wozu sollen wir uns wieder mal diese Umstände einhandeln, wenn es nicht nötig ist. Es kann ja auch sein, daß da eine handgreifliche Auseinandersetzung mit ihrem Partner, wer immer das auch sein mag, stattfand und…«

Sie wurden unterbrochen, denn Dr. Behnisch wurde am Telefon verlangt.

Sepp Hoflechner war am andern Ende der Leitung. Es hätte ein Mann angerufen, der nach Senhora Martinez gefragt hätte, sagte er. Er hätte gesagt, daß sie nicht im Hause sei. Und nun wüßte er nicht mehr, wie er sich verhalten solle.

»Dr. Norden kommt nachher vorbei. Besprechen Sie das mit ihm, Sepp«, erwiderte Dr. Behnisch.

Und zu Daniel sagte er dann: »Du kannst das besser als ich. Dir fällt doch immer was ein.«

»Davonlaufen wird sie ja wohl nicht«, meinte Daniel nachdenklich.

»Dazu ist sie viel zu schwach. Es wird auch noch dauern, bis wir das Fieber unter Kontrolle haben. Nun, es passiert schon hin und wieder, daß ein Hotelgast erkrankt und in die Klinik gebracht werden muß. Da es sich nicht um eine ansteckende Krankheit handelt, können wir Sepp und Kathi beruhigen.«

Deren größte und auch verständliche Sorge war, daß dieser Fall publik werden würde und ihrem gerade erst erworbenen guten Ruf abträglich sein könnte. Ihren Gästen mußten sie eine heitere Miene zeigen, obwohl es ihnen alles andere als heiter zumute war.

Als die Familie Norden zur Kaffeestunde eintraf, hatten sie für diese schon einen kleinen Nebenraum bereitgehalten. Kathi hatte den kleinen Schorschi geholt, da die Kinder ja das Baby sehen wollten, und damit waren sie dann auch so beschäftigt, daß sich Fee und Daniel eingehend in Juanitas Zimmer umschauen konnten.

Da stand noch der zweite Koffer unberührt, doch auch in ihm fanden sie keinen Schmuck und auch kein Geld, keine Papiere oder etwas Besonderes, was sie stutzig hätte machen können.

Fee unterhielt sich mit Kathi, die Juanita empfangen hatte. »Woran können Sie sich erinnern, Kathi?« fragte sie.

»Ich weiß es noch genau, daß sie mit einem Taxi kam. Ich habe sie gefragt, ob unser Hotel ihr empfohlen worden sei, weil ich mich doch ein bißchen gewundert habe, daß sie ohne Voranmeldung herkam. Es war auch ein Zufall, daß wir gerade noch ein Zimmer frei hatten, das war für eine Frau Brühl reserviert, die aber abgesagt hatte.«

»Ist Ihnen aufgefallen, daß sie Schmuck trug?« fragte Fee.

»O ja, zwei wunderschöne, auffallende Ringe. Einer rundherum mit Brillanten, und einer mit einem dunkelblauen Stein, auch ringsrum mit Brillanten. So was habe ich noch nie gesehen. Und dann hat es mich auch ein bißchen gewundert, daß sie gleich eine Schatulle im Safe deponiert hat, bevor sie überhaupt das Zimmer gesehen hatte. Sie war sehr zurückhaltend, aber freundlich, und Wastl hat sie schwanzwedelnd begrüßt, wie er es bloß bei Leuten tut, die er kennt. Er hat sie nur ein bißchen beschnuppert. Manche Leute mögen ja keine Hunde, und manche haben auch Angst, aber sie hat ihn gleich gestreichelt, und dann hat sie gesagt…« Kathi schöpfte tief Luft.

»Was hat sie gesagt, Kathi?« fragte Fee voller Spannung.

»Sherry, hat sie gesagt, bloß ein bißchen anders.«

»Chérie vielleicht?« fragte Fee nachdenklich.

»Ja, mit der Betonung. Jedenfalls habe ich gedacht, daß sie gut sein muß, wenn Wastl so zutraulich ist.«

»Und die Schatulle ist noch im Safe?«

»Aber freilich, ich kann sie Ihnen zeigen, Frau Doktor.«

Es war eine Schatulle, die fast die Größe eines Handköfferchens hatte. Kostbares Leder mit goldfarbenen Beschlägen und Kombinationsschlössern, und den eingeprägten Initialen JR!

Fee überlegte. »Vielleicht will sie ihn haben«, sagte sie.

»Ich kann ihn aber nur an die junge Dame selbst herausgeben, Frau Doktor. Wir stellen eine Karte aus, die gilt auch gleich für die Versicherung. Das muß man ja.«

»Aber Sie übergeben hinterlegte Sachen nur dem Eigentümer direkt, Kathi?«

»Selbstverständlich. Warum fragen Sie?«

»Nun, es könnte jemand mit dieser Karte kommen und einen Gegenstand, der hinterlegt wurde, fordern.«

»Nein, nein, das geht hier nicht. Angestellte kommen da nicht ran. Nicht mal Ihnen könnte ich die Schatulle geben.«

»Es war nur so eine Idee. Sie geben uns Bescheid, wenn sich jemand nach Juanita Ramirez erkundigen sollte. Sie wird jetzt noch einige Tage in der Klinik bleiben müssen.«

»Mir tut es ja so leid für die junge Dame«, sagte Kathi. »Ich finde es nur sehr seltsam, daß der Herr einfach so verschwunden ist.«

»Wann das war, wissen Sie nicht?«

»Nein, es war ja so viel los.«

Da kam es Fee in den Sinn, daß sie bemerkt hatte, wie Juanita plötzlich aufsprang und den Tisch verließ, aber der Mann war noch sitzen geblieben. Und sie erinnerte sich auch, daß dies so gegen halb zwölf Uhr gewesen sein mußte.

Wir werden besinnlich, hatte Jenny gesagt, in einer halben Stunde beginnt das neue Jahr!

Sie runzelte leicht die Stirn. »Kam dieser Mann auch mit einem Taxi, Kathi?« fragte sie.

»Nein, mit einem großen Wagen, so ein ausländisches Fabrikat, das ich nicht kannte. So braunmetallic. Ich habe ihn zufällig aussteigen sehen, weil ich Vogelfutter in die Häuschen brachte, keine Nummer von hier, aber es war ein teurer Wagen.«

Und wer einen teuren Wagen fuhr, war für Kathi auch solvent. Man konnte es ihr nicht verdenken.

»Er hat dann auch den teuersten Champagner bestellt«, fuhr Kathi fort, »und er war erstaunt, daß wir den hatten.«

Und als sie das gesagt hatte, kam Wastl daher, die Schnauze noch voller Schnee, aber zwischen den Zähnen hing etwas, was er nun ganz vorsichtig auf den Teppich legte und seine Pfote gleich darauf, als wollte er seinen Besitz verteidigen.

Es war ein Stück Leder. Lammleder, wie Fee feststellte, und jetzt war es steifgefroren.

»Was er immer daherbringt«, seufzte Kathi.

»Darf ich es mal anschauen, Wastl?« fragte Fee, bei ihm niederkniend.

Er zog seine Pfote zurück und legte seinen Kopf darauf. Aus großen, treuen Augen blickte er Fee an, als wolle er sagen: »Du darfst es, ich kann ja leider nicht reden.«

Ja, wenn Hunde sprechen könnten! Fee aber sah, daß dies ein Stück Lammleder aus einer Jacke oder einem Mantel sein mußte. Und als es in ihren Händen wärmer wurde und die kleine Eisschicht taute, sah sie, daß sich da Hundezähne eingegraben hatten.

»Gibst du es mir, Wastl?« fragte sie, seinen Kopf kraulend, was er sich sichtlich auch sehr gern gefallen ließ.

Er grummelte in sich hinein, aber als Fee das Stück Leder an sich nahm, gab er einen Laut von sich, den man als Zustimmung deuten konnte.

»Hat jemand hier im Haus so einen Ledermantel, Kathi?« fragte Fee.

»Nein, ich kann mich nicht erinnern. Meine Güte, der Wastl wird doch nichts zerfetzt haben? Aber wenn es ein Mantel von einem Gast wäre, hätte der sich doch schon beschwert.«

»Also wird es von einem Mantel sein, den jemand getragen hat, der sich lieber nicht beschweren wollte, Kathi. Darüber herrscht Schweigen!«

»Wenn wir Sie und Ihren Mann nicht hätten, wären wir heute durchgedreht«, sagte Kathi zittrig.

»Aber Wastl hat sich wohl einen ganz guten Fleischknochen verdient«, meinte Fee. »Bist ein braver Hund.« Sie streichelte ihn, und dann sagte sie aus einem Gedanken heraus: »Chérie.«

Er legte die Ohren zurück, sprang auf und begann zu winseln. Bevor sie ihn zurückhalten konnte, jagte er die Treppe hinauf zu Juanitas Zimmertür und dann wieder zurück und hinaus.

Mit der Schnauze am Boden schnüffelte er überall herum, bis er zu dem Platz gekommen war, wo man Juanita gefunden hatte. Und dort wühlte er wieder mit der Schnauze im Schnee, und als er aus dieser weißen Masse auftauchte, hielt er eine Halskette zwischen den Zähnen, an der ein märchenhaft schöner, walnußgroßer Opal blinkte.

»So ein guter Hund«, wurde er von Fee gelobt, während Kathi fassungslos die Hände zusammenschlug.

»Sie gestatten doch, daß ich unsere reizende, unglückliche Fremde frage, ob das ihre Kette ist, Kathi«, fragte Fee.

»Ja, selbstverständlich«, stammelte Kathi. »Was kommt jetzt noch auf uns zu, Frau Doktor?«

»Das kann ich auch nicht sagen, aber ich denke, daß Wastl alles verteidigen wird, was dieser jungen Dame gehört. Warum, das werden wir vielleicht auch noch erfahren. Woher haben Sie ihn eigentlich, Kathi?«

»Aus dem Zwinger von Baron Eickstedt. Als er noch ganz klein war, ist er ausgebüchst und uns fast vors Auto gelaufen. Da haben wir ihn zurückgebracht, aber der Baron hat ihn uns geschenkt, weil er sowieso der Letzte vom Wurf war. Die sollen ja nicht mehr in den Stammbaum gehören. Komische Gebräuche sind das, aber wir sind froh um den Wastl.«

Fee merkte sich, was Kathi da erzählte, ohne jetzt darüber nachzudenken, was sie damit anfangen könnte. Solche Gedanken kamen ihr erst später, als sie wieder daheim waren. Da der Neujahrstag so günstig fiel, stand ihnen ja ein langes Wochenende bevor. Und wenn das Wetter so schön blieb, konnten sie auch einen längeren Ausflug machen. Wo das Gut Eickstedt lag, hatte Fee noch von Kathi erfahren.

»Und was versprichst du dir davon?« fragte Daniel, das Stück Leder betrachtend.

»Mir ist da was durch den Kopf gegangen, Daniel. Juanita hat Chérie zu Wastl gesagt. Vielleicht gibt es einen Hund, der so heißt.«

Daniel warf ihr einen schrägen Blick zu. »Und Wastl kennt ihr Chérie«, sagte er schmunzelnd. »Eine hübsche Geschichte, Fee.«

»Ich habe nun mal viel Phantasie«, sagte sie. »Jedenfalls ist Wastl ein kluger Hund, wenn er auch nicht in den Stammbaum aufgenommen wurde. Er hat sich selbst einen guten Platz gesucht.«

»Eine Belohnung verdient er auf jeden Fall, weil er die Kette gefunden hat, wo immer auch dieser Fetzen herstammen mag«, sagte Daniel, das Stück Leder zwischen den Fingern drehend.

»Jedenfalls hat er es irgendwo herausgebissen«, meinte Fee. »Seine Zähne haben sich da eingegraben. Du kannst es sehen.«

»Daß es seine Zähne wären, müßte erst bewiesen werden, mein Schatz. Hunde haben zwar Instinkt, aber logisch denken können sie nicht.«

»Sie können leider nicht reden, sonst würden sie manchmal viel mehr erzählen können als wir«, sagte Fee.

»Da hast du wieder mal recht«, gab Daniel zu. »Vielleicht können wir uns Wastl für den nächsten Ausflug ausborgen.«

»Das ist eine tolle Idee«, rief Fee freudig aus.

*

Die Kinder waren von dieser Idee begeistert, und die Hoflechners hatten nichts dagegen, obgleich sie keine so blühende Phantasie hatten, um sich mehr darüber zu denken.

Anderntags holten die Nordens also den Wastl ab, und der sprang auch gleich bereitwillig in den Wagen, obgleich er sonst vierrädrige Fortbewegungsmittel nicht gerade liebte.

Gut Eickstedt lag etwa eine halbe Autostunde entfernt. Daniel fuhr nicht bis dahin, sondern hielt bei einem romantischen Wäldchen an.

»Jetzt werden wir mal ein Stück laufen«, sagte er. »Wastl scheint sich auch die Beine vertreten zu wollen. Aber er muß an die Leine. Hier gibt es Wild.«

»Rehlein?« fragte Anneka.

»Da sind schon welche«, flüsterte Danny. »Psssst, sonst laufen sie weg.«

Und so konnten sie jetzt erst mal beobachten, wie die Rehe sich an der Futterkrippe labten.

Wastl schnaufte, aber Daniel hielt ihn kurz an der Leine. Plötzlich stoben die Rehe davon. Motorengeräusch hatte sie aufgeschreckt.

Doch man konnte kein Auto sehen, nur hören.

Daniel und Fee gingen mit ihren Kindern auf schneebedeckten Wegen. Bei jedem Schritt knirschte es leise, so kalt war es geworden. Wastl trabte mit ihnen, als kenne er diesen Weg genau, und dann sahen sie das Gutshaus vor sich liegen, und sie vernahmen munteres Gekläff.

Wastl benahm sich jetzt aufgeregt, aber er folgte aufs Wort, wenn Daniel »Bei Fuß, Wastl« sagte.

Ein starkes Gitter umgab einen Zwinger, in dem sich eine ganze Anzahl junger Hunde tummelten, die von der gleichen Rasse waren wie Wastl.

Ein alter Mann im Lodenmantel musterte die Familie Norden, die nun dicht an dem Zwinger halt machte.

Wastl winselte leise. Und da kam der Mann näher. »Ist das einer von uns?« fragte er mit rauher Stimme.

»Ich denke schon, wir haben ihn nur ausgeborgt«, erwiderte Daniel. »Es ist der Wastl von Hoflechners.«

»Schön ist er geworden«, sagte der alte Mann. »Schöner fast als die anderen. Ich bin der Verwalter, der Korbinian. Wollen Sie auch einen Hund haben?«

»Wir möchten einen, sehr gern«, sagte Danny.

»Der Herr Baron verkauft keine mehr. Bevor der junge Herr nicht daheim ist, wird kein Hund mehr verkauft.«

Fee und Daniel tauschten einen Blick. »Ich wollte nur mal sehen, ob Chérie da ist«, sagte Fee aufs Geratewohl.

»Nein, die ist nicht da. Die hat der junge Baron mitgenommen«, erwiderte der alte Mann. »Aber das hätte ich wohl lieber nicht sagen sollen.« Er blickte sich ängstlich um, doch weit und breit war niemand zu sehen.

Wastl winselte laut. Er sprang am Drahtzaun empor und versuchte, seine Schnauze durchzustecken.

»So ein schöner Bursche«, sagte Korbinian, »der Baron hat schon recht, wenn er keinen mehr weggibt.«

Dann wandte er sich ab und lockte die jungen Hunde mit sich.

»Können wir nicht doch einen haben, Mami?« fragte Danny betrübt, gleich für seine Geschwister mit.

»Wenn ich wüßte, daß er so würde wie Wastl, könnte ich es mir überlegen«, sagte Fee. »Aber wenn junge Hunde sehr verwöhnt werden, wachsen sie sich nicht so aus.«

»Und sie wollen auch Geschwister haben«, sagte Felix.

»Es gibt also eine Chérie«, raunte Fee ihrem Mann zu. »Was soll man jetzt denken?«

»Das überlasse ich dir, Feelein. Soweit reicht meine Phantasie nicht.«

»Meine Füße kribbeln«, sagte Anneka weinerlich.

»Wir fahren zurück«, erklärte Daniel.

Wastl ließ die Ohren hängen, als er in den Wagen kletterte. Er gab während der ganzen Fahrt unwillige Laute von sich, aber als sie beim Jagdschlössel angelangt waren, sprang er auch nicht freudig heraus, sondern schlich mit eingekniffenem Schwanz zu seiner Hütte.

»Ich möchte wissen, was mit ihm los ist«, sagte Kathi betrübt. »Er hat es doch gut bei uns.«

»Er mag sicher gern Kinderchen haben«, sagte Danny, »aber der Baron verkauft keine mehr, hat der Korbinian gesagt. Gell, Mami, Korbinian heißt er.«

»Ja, so hat er gesagt«, bestätigte Fee.

»Der Korbinian«, sagte Kathi gedankenvoll.

»Der Baron verkauft keine Hunde mehr, bis der junge Baron zurück ist«, sagte Fee.

»Der junge Baron wollte den Wastl nicht hergeben«, sagte Kathi leise. »Er hat mit seinem Vater gestritten. Er hat gesagt, daß er verbohrt sei, wenn einer keinen Stammbaum hätte. Aber die Adligen sind nun mal so, auch bei den Tieren.«

»Wissen Sie mehr über Baron Eickstedt?« fragte Fee nachdenklich.

»Nein, sonst nichts. Wir waren ja froh, daß er uns den Wastl gab, so lieb, wie wir den gleich hatten. Aber jetzt scheint es so, als würde er Sie lieber haben.«

Aber so schien es doch nicht zu sein. Wastl hatte sich in seine Hütte zurückgezogen, und er kam daraus auch nicht hervor, als die Nordens sich verabschiedeten.

»Hat noch jemand nach Juanita gefragt?« erkundigte sich Fee, aber Kathi schüttelte verneinend den Kopf.

»Wir werden sie fragen, ob ihr die Kette gehört«, sagte Fee. »Wenn nicht, bringen wir sie zurück.«

»Mir ist das Herz schwer«, sagte Kathi. »Ich mag es nicht, wenn ich keinen Überblick mehr habe.«

»Wer mag das schon, Kathi«, sagte Fee.

»Wenn nachher doch was fehlt, werden wir haftbar gemacht«, meinte Kathi zaghaft.

»Darum brauchen Sie nicht bange zu sein, das gewiß nicht. Wir bürgen für Sie. Und sollte jemand Ihnen Schwierigkeiten machen wollen, rufen Sie uns an. Es gilt, Kathi.«

*

Dr. Norden brachte erst Fee und die Kinder heim. Dann fuhr er in die Behnisch-Klinik. Jenny Behnisch kam gerade aus Juanitas Zimmer.

»Sie ist bei Bewußtsein, Daniel«, sagte Jenny, »aber sie reagiert nicht. Ich habe das Gefühl, daß sie voller Mißtrauen ist, daß sie sich durchaus erinnern kann, aber nichts sagen will.«

»Vielleicht bringt sie das zum Reden«, sagte er und zeigte Jenny die Kette.

»Woher hast du die?« fragte sie bestürzt.

»Wastl hat sie aus dem Schnee herausgegraben, aber es könnte auch sein, daß er sie dort erst verbuddelt hat. Man kann ja nicht mit ihm reden.«

»Hoffentlich haben wir uns da nicht mal wieder Schwierigkeiten eingehandelt«, sagte Jenny etwas skeptisch.

So langsam kamen ihm auch Bedenken. Leise betrat er das Krankenzimmer. Juanita lag mit geschlossenen Augen da, aber er spürte, daß sie schneller atmete, als er an ihr Bett trat.

Er setzte sich auf die Bettkante und fühlte ihren Puls. Langsam schlug sie die Augen auf.

»Wer sind Sie?« fragte sie schleppend.

»Dr. Norden, ich habe Sie hierhergebracht. Wir sind uns schon im Jagdschlössel begegnet.«

»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte sie leise.

Er war überzeugt, daß sie sich erinnern konnte, aber das behielt er vorerst für sich.

»Gehört diese Kette Ihnen?« fragte er.

Ihre Hand zuckte empor, aber dann sank sie gleich wieder zurück. »Nein«, sagte sie.

»Dann werden wir wohl doch die Polizei zuziehen müssen«, sagte er ruhig. »Es ist eine sehr wertvolle Kette, und Wastl, der Hund, fand sie an der Stelle, an der auch Sie gefunden wurden.«

»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte sie wieder, »aber bitte keine Polizei. Ich habe nichts getan, wirklich nicht.«

»Diese Kette ist sehr wertvoll und eine sehr seltene Arbeit. Wir müssen die Besitzerin ermitteln.«

»Vielleicht gehört sie doch mir«, flüsterte Juanita.

»Wovor haben Sie Angst?« fragte Dr. Norden behutsam. »Wer hat Sie verletzt?«

»Ich weiß es nicht.«

»Sehen Sie, Fräulein Ramirez – oder sind Sie verheiratet?«

»Nein, nein!« wehrte sie ab.

»Aber Sie heißen Juanita Ramirez.«

»Ich habe nichts Unrechtes getan«, flüsterte sie. »Bitte, glauben Sie mir.«

»Sehen Sie«, begann er wieder, »wir befinden uns in einer schwierigen Situation. Wir möchten Ihnen gern helfen, aber auch dem Gastwirtsehepaar Hoflechner. Es sind ehrliche Menschen, aber Kathi Hoflechner sagte, daß Sie auch sehr kostbare Ringe trugen und die sind auch verschwunden. Und Ihr Körper weist Verletzungen auf, die darauf schlie­ßen lassen, daß Sie tätlich angegriffen wurden. Also liegt der Verdacht nahe, daß Sie auch beraubt wurden.«

»Ich habe die Ringe jemandem gegeben, um Geld zu bekommen«, flüsterte sie. »Ich kann Ihnen keine weiteren Fragen beantworten.«

»Werden Sie erpreßt?« fragte er.

Ein trockenes Schluchzen schüttelte ihren zarten Körper. »Es geht nicht um mich«, kam es stockend über ihre Lippen. »Bitte, verstehen Sie doch. Es wird sich alles aufklären. Ich kann nichts sagen.«

»Wir wollen Ihnen helfen, Fräulein Ramirez. Sie waren am Silvesterabend mit einem Mann zusammen. Wer war das?«

»Ich kenne ihn nicht. Ich habe nichts Unrechtes getan, glauben Sie es mir doch. Ich habe niemanden bestohlen, und wenn mir etwas fehlt, will ich keine Anzeige erstatten. Niemand kann mich dazu zwingen.«

»Sie hätten da draußen im Schnee erfrieren können, wenn Wastl Sie nicht aufgespürt hatte«, sagte Dr. Norden betont. »Warum sind Sie mit den dünnen Schuhen hinausgegangen?«

»Das weiß ich wirklich nicht«, murmelte sie, und in ihren Augen war ein Ausdruck, so verwirrt und fragend, daß er diesen Worten Glauben schenkte.

»Was soll nun mit der Kette geschehen?« fragte er.

»Bitte, bewahren Sie sie ein paar Tage auf, vielleicht kann ich Ihnen dann alles erklären«, sagte sie leise. »Nur ein paar Tage, und bitte, halten Sie mich nicht für verrückt.«

Das klang flehend, und ihm gingen diese letzten Worte nicht aus dem Sinn. Das Mädchen hatte Angst, höllische Angst, dessen war er sicher. Aber er konnte sie nicht zum Reden zwingen.

»Sie sind hier in Sicherheit, Fräulein Ramirez. Denken Sie genau nach, ob Sie uns nicht doch vertrauen wollen.«

»Sie würden mir doch nicht glauben«, sagte sie leise. »Manches glaube ich ja selber nicht.«

Und dann preßten sich ihre Lippen aufeinander, und sie drehte sich zur Wand.

*

»Nun, hast du etwas erreicht, Daniel?« fragte Jenny Behnisch.

»Entweder will sie jemanden dekken, oder sie wird erpreßt. Oder sie ist eine perfekte Lügnerin mit einem Madonnengesicht.«

»Das Letztere kannst du dir abschminken«, sagte Jenny unverblümt. »Sie hat einen ganz bestimmten Grund gehabt, im Jagdschlössel abzusteigen, und das ist sicher nicht ein Zufall gewesen. Jemand muß sie dazu veranlaßt haben, und dieser Jemand, ob männlich oder weiblich, muß hier in der Gegend wohnen, denn so bekannt ist das Jagdschlössel nicht.«

»Sie sagt, daß sie den Mann nicht kennt, mit dem wir sie gesehen haben.«

»Ich hatte nicht den Eindruck, daß sie intim mit ihm ist, und da er untergetaucht ist, könnte er Dreck am Stecken haben.«

»Fee würde vermuten, daß es der Erpresser ist«, sagte Daniel.

»Könnte es nicht so sein? Jedenfalls würde sie geschickter lügen, wenn sie kriminell wäre. Sich dahinter zu verschanzen, daß sie sich an nichts erinnern könne, spricht doch dafür, daß sie selbst nach einer Erklärung sucht oder eben um einen anderen Menschen Angst hat.« Jenny blickte Daniel nachdenklich an. »Oder sie wurde in eine Rolle gepreßt, der sie nicht gewachsen ist. Immerhin hat schon ein Mann im Jagdschlössel angerufen und nach ihr gefragt. Es könnte natürlich jener Mann sein, mit dem wir sie gesehen haben, aber es könnte auch ein zweiter sein, der sich hoffentlich wieder melden wird. In ein paar Tagen wird sie wieder auf den Beinen sein, und wenn sie dann verschwindet, werden wir vielleicht ewig herumrätseln, was es nun eigentlich mit ihr auf sich hatte. Und das würde uns neugierigen Menschen doch gar nicht gefallen«, meinte Jenny sarkastisch. »Vielleicht schickst du Fee mal her. Sie hat doch ein ganz besonderes Geschick, auch Schweigsame zum Reden zu bringen.«

Auf der Heimfahrt kam Daniel der Hund in den Sinn, nicht Wastl, sondern Chérie. Er ärgerte sich jetzt, daß er den Namen nicht erwähnt hatte, aber vielleicht sollte er das doch Fee überlassen.

Als er heimkam, empfing ihn Fee aufgeregt. »Eben hat Kathi angerufen«, sagte sie hastig. »Da ist ein Mann gekommen, der behauptet, daß Juanita seine Frau ist. Kathi war so konsterniert, daß sie ihm gesagt hat, daß Juanita in der Behnisch-Klinik ist. Er ist gleich losgefahren.«

»Na, dann mach du dich mal auf die Beine. Du wirkst auf Männer betörender als ich«, sagte Daniel. »Irgend etwas schmeckt mir da gar nicht, Fee. Aber jetzt wollen wir keine Zeit verlieren. Ich spiele mit den Kindern.«

Jenny Behnisch war überrascht, daß Fee so schnell daherkam.

»Unsere Patientin schläft jetzt«, sagte sie. »Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gespritzt. Sie hatte einen Schüttelfrost, nachdem Daniel gegangen war.«

»Und jetzt wird wohl ein Mann erscheinen, der sich Kathi als der Ehemann vorgestellt hat. Ganz gut, daß sie schläft. Ich werde ihn unter die Lupe nehmen. Darf ich hier mal Ärztin spielen?«

»Mit Vergnügen«, erwiderte Jenny, »ich habe nämlich auch noch etwas anderes zu tun, als mich um dieses rätselhafte Wesen zu kümmern, und Dieter muß sich mit einem Blinddarmdurchbruch befassen.«

Die Schwestern staunten, als Fee sich einen Kittel anzog, aber falsch zu spielen brauchte sie nicht, da sie approbierte Ärztin war und über alle Kenntnisse als richtige Frau Doktor verfügte. Sie hoffte jetzt nur, daß dieser Fremde nicht auch wieder spurlos verschwinden würde, wie jener andere.

Da die Schwestern zu dieser Stunde vollauf beschäftigt waren, brauchte Fee auch nicht zu fürchten, daß jemand allzu neugierig wurde. Sie wartete voller Spannung, aber sie brauchte nicht lange zu warten.

Ein mittelgroßer, gutaussehender und gutgekleideter Mann erschien schon zehn Minuten später. Insgeheim rechnete sich Fee aus, daß er direkt vom Jagdschlössel gekommen sein mußte, als er nach Senhora Ramirez fragte.

»Die Patientin schläft«, erklärte Fee. »Sie müssen sich leider gedulden, Senhor Ramirez«, sagte sie, »aber vielleicht können wir zwischenzeitlich einige Unklarheiten klären.«

»Ich heiße Stone«, sagte er, »um es gleich richtigzustellen. Meine Frau hat sich unter ihrem Mädchennamen in dem Hotel eingetragen. Da Sie Ärztin sind, kann ich Ihnen ja reinen Wein einschenken. Meine Frau leidet an Verfolgungswahn. Dr. Barnet wollte sie in ein Sanatorium bringen, aber sie ist ihm auf dem Flugplatz entwischt.«

Fee sah ihn forschend an. Bisher war ihm keine Unsicherheit anzumerken.

»Und wie kamen Sie darauf, Ihre Frau im Jagdschlössel zu suchen?« fragte sie beiläufig.

»Ich habe sie überall gesucht. Sie hat mal davon gesprochen, daß dieses Hotel ihren Großeltern gehört hätte. Sie müssen das verstehen, Frau Doktor, sie lebte nach einer schweren Krankheit ganz in der Vergangenheit. Der schreckliche Tod ihrer Mutter hat ihren Geist verwirrt.«

»Was war das für ein schrecklicher Tod?« fragte Fee.

»Sie hat sich umgebracht. Juanita fand sie eines Morgens tot im Swimming-pool. Wir hatten gerade erst geheiratet, Sie verstehen, daß dies alles auch für mich schrecklich ist.«

»Ja, sicher, das verstehe ich«, sagte Fee, ihn forschend betrachtend. Sie schätzte ihn auf Mitte bis Ende dreißig und zu seinem Pech war er genau der Typ Mann, den Fee instinktiv ablehnte. Sie konnte ihn mit Juanita so wenig in Einklang bringen wie jenen anderen Mann, mit dem sie im Jagdschlössel gewesen war.

Und er wurde unter ihrem forschenden Blick sehr unsicher. »Sie sprachen von Unklarheiten«, sagte er, und Fee fand, daß er für einen Ausländer ein ausgezeichnetes Deutsch sprach.

»Ja, einiges läßt darauf schließen, daß Ihre Frau tätlich angegriffen und beraubt wurde.«

»Nein, das dürfen Sie nicht dramatisieren«, sagte er hastig. »Sie fügte sich selbst in geistiger Verwirrung Verletzungen zu, und sie wirft dann auch wertvolle Gegenstände weg, um behaupten zu können, daß man sie beraubt hätte. Sie redet sich auch ein, daß ihre Mutter umgebracht worden wäre. Sie gehört in die Behandlung eines Psychiaters. Ich bin froh, daß ich sie gefunden habe und mit Ihnen darüber sprechen kann.«

»Ja, dann wären wohl zuerst die Formalitäten zu klären. Da Ihre Frau nicht ansprechbar ist und keinerlei Papiere bei sich hat, müßten Sie die Beweise erbringen, daß Sie tatsächlich mit ihr verheiratet sind. Für eine Einweisung in eine Nervenklinik sind solche Belege erforderlich. Wir sind da sehr korrekt, Herr Stone.«

»Aber ich will sie nicht in eine Nervenklinik bringen, sondern in ein Sanatorium.«

»Gut, aber auch dazu muß sie ihre Einwilligung geben.«

»Aber sie ist doch jetzt nicht zurechnungsfähig«, widersprach er gereizt.

»Das muß durch Fachärzte erst einmal festgestellt werden. Ihre Frau befindet sich als Patientin in der Behnisch-Klinik und der Chefarzt Dr. Behnisch trägt die Verantwortung.«

»Dann will ich ihn sprechen. Was soll denn dieses ganze Gerede?«

»Bisher haben Sie sich noch nicht ausgewiesen«, sagte Fee. »Sie müssen schon entschuldigen, daß wir darauf bestehen, auch den Trauschein zu sehen.«

»Denken Sie, den trage ich mit mir herum? Ich war doch der Annahme, daß Juanita hier ihren Paß bei sich hat.«

»Sie legte im Hotel einen unter dem Namen Ramirez vor, aber dieser Paß ist nicht auffindbar.«

»Das bestätigt doch nur, was ich sagte. Sie wird ihn weggeworfen haben. Im übrigen muß ich sagen, daß mir diese Ausfragerei nicht gefällt.«

Mein lieber Daniel, dachte Fee, auf den wirke ich gar nicht betörend. Der hat was ganz anderes im Sinn, als sich mit Charme einwickeln zu lassen. Aber vielleicht war sie in Anbetracht der Umstände nicht so charmant gewesen, wie sie es sein konnte.

»Kann ich jetzt mit dem Chefarzt sprechen?« fragte Stone.

»Er operiert gerade, aber ich werde sehen, daß ich Frau Dr. Behnisch erreichen kann.«

»Ich könnte ja inzwischen meine Frau besuchen«, sagte er.

»Nein, das kann ich nicht gestatten«, erwiderte Fee.

Da war ein Ausdruck in seinen Augen, der sie noch mißtrauischer machte. »Bitte warten Sie hier«, sagte sie, »wir haben unsere Vorschriften.«

Wenn er nur nicht eine Schwester erwischt, die er aushorchen kann, dachte Fee, als sie sich auf die Suche nach Jenny begab, doch eine solche hatte Stone schnell erwischt.

»Wie heißt diese Ärztin, mit der ich eben gesprochen habe?« fragte er.

»Wen meinen Sie? Frau Dr. Behnisch?« fragte Schwester Dora.

»So eine hübsche Blonde«, sagte er.

»Ach, Frau Dr. Norden, sie hilft nur mal aus.«

»In welchem Zimmer liegt Frau Ramirez? Das ist meine Frau«, fragte er nun.

Doch bevor Schwester Dora Antwort geben konnte, kamen Fee und Jenny schon daher. Fee hatte schnell berichtet und war gewiß, daß Jenny nichts anderes als sie sagen würde.

Jenny wollte nichts erfahren, also gab sie sich gleich reserviert.

»Kommen Sie bitte morgen wieder, Herr Stone«, sagte sie. »Wir werden dann, wenn es möglich ist, unsere Patientin auf Ihren Besuch vorbereiten. Sie darf keinen Aufregungen ausgesetzt werden.«

»Ich werde Dr. Barnet mitbringen, der wird Sie aufklären«, sagte Stone unwillig.

»Bitte, das steht Ihnen frei. Ich möchte Sie jedoch darauf aufmerksam machen, daß behördliche Anordnungen notwendig sind, wenn ein Kranker gegen seinen Willen in eine Nervenklinik oder ein entsprechendes Sanatorium verlegt werden soll.«

»Ich weiß nicht, was Ihnen Juanita erzählt hat, aber Sie müssen davon ausgehen, daß sie verwirrt ist.«

»Wir gehen davon aus, daß sie augenblicklich an einer Lungenentzündung erkrankt ist«, sagte Jenny kühl. »Aus diesem Grunde müssen wir von einem Transport abraten.«

»Ich komme morgen wieder«, sagte er.

»Aber vergessen Sie die Papiere nicht«, sagte Fee.

»Ich konnte nicht anders«, sagte sie entschuldigend zu Jenny. »Da stimmt manches nicht.«

»Und wenn er nicht wiederkommt, hängen wir wieder in der Luft«, sagte Jenny.

»Der gibt nicht so schnell auf, darauf kannst du dich verlassen«, meinte Fee zuversichtlich. »Jetzt mußt du dich reinhängen, Jenny. Ich kann ja nicht hierbleiben. Frag Juanita mal nach diesem Ehemann aus, wenn sie wach ist.«

»Worauf du dich verlassen kannst.«

»Sie leidet weder an Verfolgungswahn, noch ist sie reif für den Psychiater. Sie hat nur Angst.«

»Wir sind wieder mal einer Meinung, Fee.«

»Du kannst uns anrufen, egal, wie spät es ist.«

»Ich tue es. Danke für die Hilfe!«

»Hoffentlich habe ich nichts falsch gemacht.«

»Er kommt nicht an sie heran, wenn sie nicht will, darauf kannst du dich verlassen.«

Und als Fee gegangen war, erteilte Jenny dafür sogleich strikte Anweisungen.

Fee hatte ihrem Mann viel zu erzählen. »Vielleicht hat sie den falschen Mann geheiratet, Schatz«, sagte er, »und dann ist sie ihm davongelaufen. Das kann doch auch möglich sein. Ich trage meine Heiratsurkunde auch nicht in der Tasche.«

»Sie ist einundzwanzig, Daniel.«

»Woher weißt du das?«

»Aus dem Meldezettel. Sie hat ihn ausgefüllt.«

»Wir dürfen nicht davon ausgehen, daß sie alles wahrheitsgemäß angegeben hat, und Kathi hat sich den Paß bestimmt nicht genau angeschaut.«

»Ich muß sie jedenfalls anrufen, daß sie auch auf der Hut ist.« Und das tat sie auch gleich.

»Wenn uns etwas weiterhelfen kann, ist es der Hund Chérie«, sagte Daniel danach.

»Und der gehört dem jungen Baron Eickstedt. Da muß es irgendeine Verbindung geben.«

»Und vielleicht könnte es stimmen, daß Juanitas Großeltern Besitzer des Jagdschlössels waren. Auch in Lügen ist manchmal ein Körnchen Wahrheit. Alles kann man sich doch nicht aus den Fingern saugen.«

»Dann werde ich jetzt noch mal anrufen und mit Sepp sprechen«, sagte Daniel.

Da stand Danny in der Tür. »Habt ihr wenigstens Zeit fürs Gutenachtsagen?« fragte er unwillig.

»Ich komme gleich«, sagte Fee schuldbewußt.

»Dauernd ist bei uns was los«, murrte er. »Immer redet ihr vom Jagdschlössel. Was ist denn damit?«

»Da ist jemand krank geworden, Danny.«

»Ach so«, sagte er. Damit gab er sich zufrieden. Ein Doktor mußte eben für die Kranken dasein.

Daniel bekam von Sepp Hoflechner nicht gleich eine Auskunft. Da müsse er erst einmal nachgrasen, sagte der. Früher hätte das Jagdschlössel mal zum Eickstedtschen Besitz gehört, aber da wäre es noch kein Hotel gewesen. Aber Sepp versprach, sich gleich morgen zu erkundigen. Immerhin hatte es seither ja dreimal den Besitzer gewechselt.

»Eickstedt«, sagte Fee gedankenvoll, »das könnte die Verbindung zu Chérie sein, aber dann müßte Juanita den jungen Baron kennen.«

»Wenn Sepp die Zusammenhänge nicht herausfindet, du wirst es bestimmt«, sagte Daniel verschmitzt.

»Darauf kannst du dich verlassen!«

*

Jenny Behnisch konnte nicht mit Juanita sprechen, da diese in tiefem Schlummer lag. Als die Ärztin dann aber kurz vor Mitternacht, für sie war es mal wieder ein langer Arbeitstag gewesen, zu der jungen Frau ans Bett trat, schien sie von schweren Träumen geplagt zu sein. Sie flüsterte unzusammenhänge Worte, von denen Jenny allein »Chérie« und »Mama« verstehen konnte, und dann so etwas wie »Maria hilf mir«.

Das brauchte sich Jenny nicht zu notieren. Sie hatte ein gutes Gedächtnis. Sie mußte feststellen, daß das Fieber wieder gestiegen war und brachte das in Zusammenhang mit der nervlichen Verfassung der jungen Frau, da die Lungenentzündung durch die schnelle Therapie nicht zum Ausbruch gekommen war.

Wenn sie doch reden würde, dachte Jenny, dann könnte man ihr viel leichter helfen. Aber wenn dieser

Stone tatsächlich eine Heiratsurkunde daherbringt, wußte sie auch nicht, was sie tun sollte.

Für Jenny war es wieder eine kurze Nacht, aber das war nicht zu ändern, da Dieter am Morgen gleich wieder in den OP mußte.

Bei der Visite fand Jenny Juanita schon wach vor. Ein ziemlich grüblerischer Ausdruck lag auf ihrem feinen Gesicht.

»Ich hatte etwas im Hotelsafe hinterlegt, da ist es doch sicher?« fragte sie stockend.

»Darum brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen«, sagte Jenny. »Es wird nur an Sie herausgegeben.«

Juanita atmete hörbar auf. »Es darf nicht in falsche Hände kommen«, sagte sie beklommen.

»Keine Angst, Frau Stone«, sagte Jenny aus einer Idee heraus, aber das sollte sie gleich bereuen, denn Juanita stieß einen schreckensvollen Schrei aus und verlor das Bewußtsein.

Jenny war wütend auf sich, aber mit einer solchen Reaktion hatte sie nicht rechnen können. Doch sie wußte jetzt, daß der Name Stone allein Juanita in maßlose Furcht versetzte. Und das berichtete sie ihrer Freundin Fee sofort am Telefon.

»Also darf er auf keinen Fall zu ihr vorgelassen werden«, sagte Fee. »Und sie sollte ständig bewacht werden.«

»Wir haben nicht so viel Personal«, sagte Jenny. »Das weißt du doch, Fee. Es besteht nur die Möglichkeit, sie auf die Intensivstation zu legen.«

»Dann tut das. Ich komme nachher vorbei. Ich fahre jetzt erst mal zum Jagdschlössel und spreche mit Hof-lechners.«

Sepp Hoflechner war auch schon früh am Morgen unterwegs gewesen, und als Fee kam, hatte er die Unterlagen über das Jagdschlössel und seine früheren Besitzer schon auf dem Schreibtisch liegen.

»Ich weiß nicht, ob uns das was nützt«, sagte er. »Wir haben das Hotel jedenfalls rechtmäßig erworben.«

»Daran zweifelt doch niemand, Herr Hoflechner.«

Dann konnte sie den Unterlagen entnehmen, daß das Jagdschlössel zum Besitz der Barone von Eickstedt gehört hatte, was ihr ja schon bekannt war. Es war der Tochter des damaligen Besitzers, einer Amelie von Eickstedt zugefallen, die es jedoch kurz vor dem Kriege verkauft hatte. Der Käufer war verstorben und der nächste Besitzer hatte es wegen finanzieller Schwierigkeiten herunterkommen lassen. Das sagte Sepp Hoflechner.

Also könnte diese Amelie von Eickstedt Juanitas Großmutter gewesen sein, dachte Fee. Voraussetzung war natürlich, daß wenigstens das stimmte, was dieser Stone gesagt hatte.

Wer aber konnte ihr wohl Auskunft geben über jene Amelie von Eickstedt, die ja wohl einen Mann anderen Namens geheiratet hatte, am besten doch wohl der jetzige Baron.

Einmal unterwegs, wollte Fee gleich die Gelegenheit beim Schopfe packen und fuhr nach Gut Eickstedt. Wie-

der lief ihr der alte Korbinian in den Weg. Er grüßte höflich. Er hatte sie erkannt.

»Ich hätte gern den Baron gesprochen«, sagte Fee. »Ist das wohl möglich?«

»Er verkauft wirklich keinen Hund mehr«, erwiderte Korbinian.

»Es geht um etwas anderes. Würden Sie so freundlich sein, ihm zu sagen, daß Frau Dr. Norden ihn zu sprechen wünscht?«

»Versuchen kann ich es ja«, sagte Korbinian. Er trabte davon, aber er kam bald zurück.

»Der Herr Baron fühlt sich nicht wohl und kann niemanden empfangen«, erklärte er. »Wenn Sie hinterlassen wollen, worum es sich handelt?«

Fee überlegte rasch. Sie nahm eine Visitenkarte und schrieb schnell ein paar Worte darauf, steckte diese in einen Umschlag und klebte ihn zu. Auch der freundliche Korbinian brauchte nicht gleich zu wissen, worum es ging.

Als sie zu ihrem Wagen ging, kam zu Pferde eine Reiterin daher, ziemlich üppig, wie Fee schnell feststellte und sicher nicht mehr ganz jung. Schwar-zes Haar wehte im Wind. Sie bog zu den Ställen ein, so weit von Fee entfernt, daß sie das Gesicht nicht genauer sehen konnte.

Fee fuhr wieder heimwärts, und unterwegs kam ihr dann der Gedanke, daß Korbinian wohl schon so lange auf dem Gut sein könnte, um einiges über Amelie von Eickstedt zu wissen. Nun, sie erfuhr vielleicht auch von dem Baron, was sie interessierte, und es war sicher besser, wenn sie sich vorher mit Juanita unterhielt.

*

Baron Joachim von Eickstedt war in einer schlechten Verfassung. Er war übernervös und zuckte zusammen, als jene schwarzhaarige Frau, die Fee noch gesehen hatte, sein Zimmer betrat.

Sie hatte ein ziemlich breites Gesicht mit hohen Wangenknochen und stahlblaue kalte Augen.

»Ach, du bist es, Carola«, sagte er leise.

Carola von Gölltau lächelte spöttisch. »Was fürchtest du denn, Joachim? Noch keine Nachricht von Marian?«

»Nein, und jetzt bekomme ich es mit der Angst. Verstehst du das nicht?«

»Ihr hattet Streit, und er bockt«, sagte sie leichthin. »Wer war die Frau, die eben wegfuhr?«

»Eine Frau Dr. Norden. Sie will anscheinend einen Hund kaufen.«

Er hatte den Umschlag noch nicht geöffnet und ihn ganz schnell in seine Jackentasche geschoben, als Carola eingetreten war.

Er war Mitte fünfzig, groß, schlank und hatte bereits schlohweißes Haar. Er sah eher aus wie ein Gelehrter, als daß man in ihm einen Landwirt hätte erkennen können. Dessen ungeachtet liebte der Baron aber seinen Besitz und bemühte sich auch, ihn so gut wie nur möglich instand zu halten. »Marian weiß doch, was mich für Sorgen drücken«, sagte er leise.

»Denen wärest du ledig, wenn du verkaufen würdest«, sagte sie leichthin. »Es wird doch immer schlimmer, Leute zu bekommen. Du kannst dir ein schönes Leben machen von dem, was übrigbleibt, wenn alle Schulden bezahlt sind. Du hast hoffentlich nicht vergessen, daß ich auch noch achtzigtausend Euro zu bekommen habe. Da Marian nicht geneigt ist, mich zu heiraten, möchte ich wenigstens mein Geld nicht verlieren.«

»Ich kann ihn doch nicht zu dieser Heirat zwingen, Carola. Du weißt, wie gern ich es gesehen hätte. Du wirst dein Geld bekommen. Bitte, laß mir eine Woche noch Zeit.«

»Gut, eine Woche noch, Joachim, oder Marian kommt zurück und überlegt es sich anders. Kommt die Heirat zustande, bin ich bereit, alles zu tun, um dir Eickstedt zu erhalten.« Sie standen Auge in Auge, und plötzlich fröstelte es ihn. Er konnte seinen Sohn jetzt verstehen, daß er sich gegen diese Heirat sträubte, und nicht nur deshalb, weil Carola vier Jahre älter war als er.

Sie schlug leicht mit der Reitgerte auf den Schreibtisch. »Ich werde Silverstone als Pfand mitnehmen, bis du das Geld aufbringst«, sagte sie herab-lassend.

»Das kannst du nicht, der Hengst gehört Marian«, sagte er heiser.

»Gerade deshalb. Er ist immerhin sein Geld wert. Du wirst zugeben müssen, daß ich lange genug Geduld bewiesen habe. Ich will zumindest ein sicheres Pfand haben. Silverstone wird bei mir bestens gepflegt werden, darauf kannst du dich verlassen. Du wirst jetzt Korbinian Bescheid sagen, daß ich ihn mitnehme.«

»Nein«, sagte er so hart, wie sie seine Stimme nie gehört hatte. »Du wirst dein Geld morgen bekommen. Ich bedaure, daß ich meinem Sohn zumuten wollte, dich zu heiraten, Carola. Ich schreibe dir einen Schuldschein aus, den du morgen einlösen kannst.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Gut, dann auf morgen«, sagte sie, als er den Schuldschein ausgeschrieben hatte.

Als sie gegangen war, saß er lange an seinem Schreibtisch und starrte blicklos vor sich hin.

Dann raffte er sich auf und griff zum Telefon. Aber er ließ die Hand wieder sinken. Er erinnerte sich an den Umschlag, den Korbinian ihm gebracht hatte.

Er öffnete ihn und nahm die Karte heraus. Aus wichtigem Anlaß benötige ich eine Auskunft über Amelie von Eickstedt. Ich bitte um Nachricht, wann Sie mich empfangen können. Dr. Fee Norden.

Er war zur Bildsäule erstarrt und seine Finger zitterten, als er die Karte umdrehte. Dr. Daniel Norden, Dr. Felicitas Norden, stand da gedruckt mit der privaten und der Praxisanschrift.

Wieso Tante Amelie, wer interessiert sich für sie, dachte er. Sie ist doch lange tot.

Es dauerte noch geraume Zeit, bis er wieder nach dem Telefon griff, und dann führte er zwei Gespräche.

*

Fee war längst in der Behnisch-Klinik. Da herrschte Hochbetrieb.

»Hat sich der mysteriöse Ehemann gemeldet?« fragte Fee, als Jenny sich ein paar Minuten Zeit für sie nehmen konnte.

»Er hat angerufen, daß er morgen kommen wird, da er erst noch die erwünschten Papiere beschaffen muß. War ganz schön frech, muß ich sagen«, erklärte Jenny. Dann gestand sie ein, daß Juanita in tiefe Bewußtlosigkeit gefallen war, als sie den Namen Stone erwähnt hatte.

»Ich könnte mich dafür jetzt selber noch ohrfeigen«, sagte sie, »aber ich wollte sehen, wie sie auf den Namen reagiert.«

»Und das war negativ, also ist unsere Skepsis angebracht«, sagte Fee.

»Ich habe jetzt ein ganz dummes Gefühl, Fee«, meinte Jenny.

»Kann ich mal nach ihr sehen?«

»Du schon, ist doch klar. Du interessierst dich sehr für sie.«

»Sie hat mir gefallen. Und alles Rätselhafte zieht mich halt an«, sagte Fee.

»Geh zu ihr, ich habe jetzt leider keine Zeit, Fee. Du siehst ja, was bei uns wieder los ist. Vorhin haben sie einen gebracht, der fürchterlich zusammengeschlagen worden ist, und anscheinend hat man ihn aus einem fahrenden Auto geworfen. Ob wir den durchbekommen, wissen wir noch nicht, und da geht es bestimmt nicht ohne Polizei. Ihr seid nicht die einzigen, die uns rätselhafte Fälle bescheren.«

Fee ging zur Intensivstation. Schwester Dora begrüßte sie mit einem freudigen Lächeln. »Wenigstens ein Lichtblick an diesem Tag«, sagte sie. »Und unsere Patientin scheint jetzt wieder zu sich zu kommen.«

»Fein«, sagte Fee und trat an das Bett. Juanitas nachtdunkle Augen schienen aus unendlicher Ferne zu-rückzukehren.

»Ich erkenne Sie«, sagte sie leise. »Ich habe Sie schon gesehen. Wer sind Sie?«

»Fee Norden, Ärztin, Ehefrau und Mutter. Mein Mann war schon bei Ihnen.«

»Ja, ich erinnere mich.«

»Frau Dr. Behnisch hat Sie erschreckt«, sagte Fee sanft.

Ein Zucken lief über Juanitas blasses Gesicht. »Ich bin nicht mit Stone verheiratet. Er lügt, wenn er das behauptet, aber wer wird mir schon glauben?«

»Ich glaube Ihnen«, sagte Fee. »Ich glaube Ihnen alles, was Sie sagen. Aber Sie müssen Vertrauen haben, Juanita. Hier sind Menschen, die Ihnen helfen wollen und die sehr mißtrauisch sind gegen jene, die Ihnen vielleicht schaden wollen.«

»Sie sagen, ich bin verrückt, weil ich nicht glaube, daß Mama sich umgebracht hat«, flüsterte Juanita. »Ich habe doch auch keine Beweise. Marian hat mir versprochen, daß er alles aufklärt, aber ihm traue ich auch nicht mehr. Er ist nicht ins Jagdschlössel gekommen.«

»Marian?« wiederholte Fee aufhorchend.

»Der junge Baron Eickstedt. Meine Großmutter war eine Baronesse Eickstedt. – Aber Sie glauben mir ja doch nicht.«

»Doch, ich glaube Ihnen jedes Wort. Amelie von Eickstedt erbte das Jagdschlössel.«

»Sie wissen das?« fragte Juanita verwundert.

»Ja, ich weiß es.«

»Ich kann Ihnen nicht alles sagen«, flüsterte Juanita. »Es ist auch besser, wenn Sie es nicht wissen. Ich will niemanden in Gefahr bringen. Alle, denen ich vertraue, geraten in Gefahr. Aber wenn Sie mir helfen, wenn

Stone und Barnet nicht an mich herankommen – ich kann alles bezahlen. Ich bin keine Betrügerin. Ich muß aber erst mit Marian sprechen, auch wenn ich das Vertrauen verloren habe. Es ist alles so verworren.«

»Würden Sie mir eine Frage beantworten, Juanita?«

Sie nickte. »Wenn ich kann«, sagte sie leise, »und wenn Sie mir versprechen, daß Stone nicht herkommt.«

»Ich verspreche es Ihnen. Sie hatten sich mit dem jungen Baron von Eickstedt treffen wollen im Jagdschlössel?«

»Ja. Ich habe auf ihn gewartet, aber dann ist Barnet gekommen. Er hat gesagt, daß sich Marian mit seinem Vater meinetwegen entzweit hat, und daß er mich unten am Teich treffen will. Aber niemand darf ihn sehen. Er würde mir alles sagen.«

»Und Sie sind dorthin gegangen«, sagte Fee nachdenklich.

»Ja, ich bin gegangen, und dann hat mich jemand von hinten niedergeschlagen. Es tat entsetzlich weh, aber

es kann doch nicht Marian gewesen sein, nein, er nicht.«

Ein jammervolles Schluchzen schüttelte sie. »Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll«, kam es stockend über ihre Lippen, immer wieder von Weinen unterbrochen. Und dann sank sie ermattet zurück.

»Schlafen Sie jetzt, Juanita«, sagte Fee tröstend. »Ich komme am Abend noch mal.«

»Sie sehen gut aus«, flüsterte Juanita. »Es tut mir leid, wenn ich auch Ihrem Mann mißtraut habe.«

»Es ist besser so, als wenn man zu sehr vertraut«, sagte Fee und streichelte Juanitas Wangen. »Heißen Sie wirklich Juanita Ramirez?«

»Ja, ich schwöre es.«

»Und wo wohnten Sie?«

»In Buenos Aires.«

Ihre Stimme klang matt. Sie hatte keine Kraft mehr. Fee war Ärztin, sie sah, daß diese Schwäche nicht gespielt war.

Schwester Dora saß an ihrem Platz. »Wie lange haben Sie Dienst, Schwester Dora?« fragte Fee.

»Bis acht Uhr, Frau Doktor. Dann kommt Schwester Helga.«

»Ich werde um halb acht Uhr hier sein«, sagte Fee. »Es darf niemand zu der Patientin.«

»Hier kommt niemand rein«, sagte Schwester Dora. »Sie können sich darauf verlassen, Frau Doktor. Diesbezüglich ist der Chef auch streng.«

»Das ist ein ganz besonderer Fall, Schwester Dora«, sagte Fee nachdenklich.

»So was habe ich mir schon gedacht.«

*

Daniel Norden war schon zu Hause, als Fee kam. »Ist doch wirklich zu komisch, daß ich gerade immer dann früher fertig werde, wenn du nicht zu Hause bist«, sagte er.

»Bist du böse?« fragte sie.

»Wie könnte ich dir böse sein. Eben hat Baron Eickstedt angerufen. Er bedauert, daß ein Mißverständnis ihn an einem Gespräch mit dir gehindert hat. Er bittet, dich aufsuchen zu dürfen, da er heute sowieso in der Stadt zu tun hätte.«

»Ich habe damit nicht gerechnet«, sagte Fee verlegen. »Was hast du gesagt?«

»Daß du nachmittags bestimmt daheim sein wirst. Oder wolltest du dich verleugnen lassen?«

»O nein, ganz im Gegenteil. Jetzt erst recht nicht. Wird er kommen?«

»Gegen vier Uhr«, erwiderte Daniel. »Aber du wirst doch nicht einen Hund kaufen wollen?«

»Deswegen würde er mich bestimmt nicht aufsuchen«, sagte Fee. »Es geht um Amelie von Eickstedt, aber das erzähle ich dir nach dem Essen.«

»Meinst du, ich bin nie neugierig?« fragte Daniel. »Wer ist Amelie von Eickstedt?«

»Juanitas Großmutter.«

»Das wird ja immer spannender«, sagte er.

»Und Stone ist nicht Juanitas Ehemann. Das habe ich doch gleich geahnt.«

»Das hat dir dein kleiner Finger verraten«, meinte er lächelnd, aber seine Augen blickten ernst.

»Manches hat man einfach im Gespür, Daniel«, sagte sie.

*

Dr. Behnisch und seine Assistenz-ärzte bemühten sich indessen um den Schwerverletzten, der ein paar Kilometer von der Behnisch-Klinik entfernt von einem Waldhüter gefunden worden war.

Seine Kleidung war zerfetzt gewesen, und er war im schlimmsten Zustand, den man sich vorstellen konnte. Dr. Behnisch hatte jedenfalls keine Zeit, sich auch noch um Juanita zu kümmern und um das, was seine Frau jetzt beschäftigte. Der Verletzte schwebte in akuter Lebensgefahr.

Dr. Jenny Behnisch hatte auch genug zu tun, aber als ihr gesagt wurde, daß ein Detektiv gekommen sei, der Nachforschungen nach Juanita Ramirez anstelle, mußte sie sich Zeit nehmen.

Der Mann war mittelgroß und sah bieder aus. Er zeigte auch sofort seinen Ausweis.

»Von wem sind Sie beauftragt worden, diese Nachforschungen anzustellen?« fragte Jenny Behnisch ruhig.

»Von einem Dr. Barnet, dem Stiefvater von Senhorita Ramirez. Er ist benachrichtigt worden, daß die junge Dame einen Unfall hatte, der etwas mysteriös erscheint.«

»Sie hatte keinen Unfall. Sie war an einer Lungenentzündung erkrankt«, sagte Jenny. »Und sie ist noch krank. Daran ist nichts mysteriös. Sollte Ihr Auftraggeber anderer Ansicht sein, kann er die Polizei einschalten. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.«

»Man könnte diesen Fall doch mit aller Diskretion behandeln«, sagte der Mann, dessen Namen laut Ausweis Kring lautete.

»Ich kann nur sagen, was mir bekannt ist«, erklärte Jenny. »Und außerdem habe ich keine Zeit. Dr. Barnet kann sich gern direkt an uns wenden.«

Dieser Name war ihr sehr genau im Gedächtnis haften geblieben, denn Stone hatte ihn erwähnt, wenngleich auch nicht als Stiefvater von Juanita.

Die denken, sie können uns für dumm verkaufen, dachte Jenny unwillig.

»Dr. Barnet wünscht, daß ich die junge Dame während seiner Abwesenheit beschütze«, sagte Herr Kring.

»Bestellen Sie ihm einen schönen Gruß, und sagen Sie ihm, daß dies gegebenenfalls Polizeibeamte tun«, erwiderte Jenny bissig, da sie nicht gewillt war, kostbare Zeit zu vertrödeln.

»Wenn das so ist«, sagte der Mann stockend, »dann kann ich den Auftrag zurückgeben.«

»Das können Sie meinetwegen tun. Aber Sie können sich auch gern mit Kriminalbeamten unterhalten, die ohnehin gerade im Hause sind.«

»Ich bitte um Entschuldigung, ich muß da etwas richtigstellen. Ich wußte nicht, daß es sich um einen Kriminalfall handelt«, sagte er. Dann entfernte er sich dienernd.

Ob ich wieder was falsch gemacht habe? überlegte Jenny. Aber sie hatte einfach nicht die Nerven, alles gleichzeitig zu überdenken. Da war schließlich dieser Schwerverletzte, von dem sie überhaupt nichts wußten. Etwa dreißig Jahre, 1,85 m, dunkelblond und braune Augen, das war alles, abgesehen von seinen schweren Verletzungen.

Keine Papiere, keine besonderen Merkmale, sehr gute Zähne, keine Operationsnarben. Da sah es noch ganz anders aus als bei Juanita, von der sie wenigstens ein klein bißchen was wußten. Und bei diesem Patienten wußten sie noch nicht einmal, ob er überhaupt noch in der Lage sein würde, eine Aussage zu machen.

Und wieder einmal hatte das Kreiskrankenhaus kein Bett zur Verfügung gehabt für diesen Fall.

Die tun sich leicht, dachte Jenny. Die berufen sich immer auf die Verwaltung. Aber wenn es um ein Menschenleben ging, fand man in der Behnisch-Klinik immer noch ein Bett. Das wußten die Notärzte, und das wußten auch die Polizeibeamten.

Mit denen kamen Dr. Behnisch und seine Frau Jenny eigentlich gut aus. Jenny nahm an dem Gespräch mit den beiden Kriminalbeamten teil.

Offensichtlich sei der Mann beraubt worden, erfuhren sie. Er hätte an der linken Hand einen ziemlich breiten Ring getragen und auch eine Armbanduhr. Die helleren Hautstellen deuteten darauf hin.

Unwillkürlich dachte Jenny an Juanita, denn auch sie war ihrer Ringe beraubt worden, wenn sie das auch bestritten hatte. Aber das konnte man auf ihre Verwirrung zurückführen.

»Die ersten Verletzungen muß der Mann schon vor einigen Tagen erhalten haben«, sagte Dr. Behnisch ruhig. »Die Wunden waren bereits verkrustet. Dann wurden ihm später neue zugefügt. Außerdem hat er drei Einstiche, die durch Injektionsnadeln verursacht wurden.«

»Rauschgift?« fragte ein Beamter.

»Nein, ein Fixer ist er nicht.« Dr. Behnisch runzelte seine Stirn. »Es scheint, daß der Mann betäubt wurde, gegen seinen Willen. Er hat sich noch zur Wehr gesetzt. Hautpartikel unter seinen Fingernägeln verraten das nämlich. Könnte es sich um einen Entführungsfall handeln?«

»Uns ist nichts bekannt«, sagte der Beamte. »Wollen Sie ihn hier behalten?«

»Er ist nicht transportfähig«, erwiderte Dr. Behnisch. »Der Mann schwebt in höchster Lebensgefahr.«

»Aber er befindet sich in den besten Händen«, sagte der Beamte. »Wir wissen das, Herr Dr. Behnisch. Sollte er eine Aussage machen können, benachrichtigen Sie uns bitte.«

»Ich hoffe sehr, daß er dazu fähig sein wird«, entgegnete der Arzt.

»Mir ist mulmig, Dieter«, sagte Jenny, als die Beamten gegangen waren.

»Warum?« fragte er.

»Könnte das nicht der gleiche Täter gewesen sein, der auch Juanita überfiel? Wir hätten das doch sagen müssen!«

»Damit wir sie gar nicht mehr loswerden? Denk nicht so was, Jenny. Juanita ist ein Fall für sich, aber keiner für die Polizei.«

»Schön wär’s ja, aber ich habe gerade einen Privatdetektiv abgewimmelt, der im Auftrag von Dr. Barnet kam.«

»Und was wollte er?«

»Er soll Juanita bewachen.«

»Barnet? Hat nicht Stone gesagt, daß er Arzt sei und Juanita in ein Sanatorium bringen sollte?«

»Der Name ist mir auch haften geblieben, aber der Mann wußte anscheinend selber nicht viel. War ziemlich primitiv, kein gewiefter Detektiv. Er hat sich verzogen, als ich sagte, daß die Polizei im Hause sei.«

»Das Mädchen soll endlich reden«, sagte Dr. Behnisch grimmig.

»Fee wird sie dazu bringen. Sie hat schon allerhand erfahren. Aber Juanita hat nichts auf dem Kerbholz. Wir können sie nicht diesen Burschen ausliefern.«

»Das habe ich auch nicht gemeint. Ihr Frauen macht das besser. Ich muß mich um den armen Kerl kümmern, Jenny. Wir brauchen das Zimmer auf der Intensivstation. Juanita muß in ihr Zimmer zurück.«

»Ich lege sie in ein Zweibettzimmer«, sagte Jenny entschlossen.

»Da kann Fee aber nicht mit ihr reden.«

»Gut, dann bleibt sie diese Nacht noch in dem Einzelzimmer. Fee kommt halb acht Uhr.«

»Drei Tage sind vom neuen Jahr schon bald wieder vorbei und nichts als Aufregungen«, brummte er.

»Es hat für mehrere Leute schlechter angefangen als für uns«, meinte Jenny aufmunternd.

*

Zu jenen gehörte wohl auch der Baron Joachim von Eickstedt, der Punkt vier Uhr bei Fee Norden erschien. Er machte keinen schlechten Eindruck auf Fee, aber einen äußerst deprimierten.

Er machte eine tiefe Verbeugung vor ihr. »Ich bedaure außerordentlich, daß ich Sie nicht empfangen konnte, gnädige Frau, doch deshalb komme ich jetzt zu Ihnen, damit Sie nicht wieder einen vergeblichen Weg machen.«

»Und dafür bin ich Ihnen sehr dankbar, Herr Baron«, sagte Fee höflich.

»Ich möchte Sie nicht lange aufhalten, bitte, stellen Sie Ihre Fragen.«

»Aber wir können es uns dabei doch bequem machen, Herr Baron«, sagte Fee mit ihrem bezwingenden Lächeln. »Tee oder Kaffee?«

»Kaffee wäre mir jetzt lieber, wenn ich darum bitten darf«, sagte er.

»Gern.« Kuchen und Gebäck gab es zu dieser Zeit natürlich auch im Hause Norden, denn Lenni hatte gebacken, als gelte es ganze Kompanien zu versorgen.

»Ob ich Ihnen die gewünschten Auskünfte geben kann, weiß ich allerdings nicht«, schränkte der Baron sogleich ein. »Von wem haben Sie von meiner Tante Amelie erfahren, die ich zum letzten Mal sah, als ich dreizehn Jahre war? Es war vor dem Krieg.«

»Ich interessiere mich für die Geschichte des Jagdschlössels«, erklärte Fee. »Wir kennen die neuen Besitzer gut.« Und um ihn doch neugieriger zu machen, fügte sie hinzu: »Und ich habe eine junge Dame kennengelernt, die mir sagte, daß Amelie von Eickstedt ihre Großmutter gewesen sei.«

»Tatsächlich?« rief er aus, und es kam etwas Farbe in sein bleiches Gesicht. »Das ist sehr interessant für mich. Erzählen Sie bitte mehr. Ist die junge Dame hier?«

»Ich würde erst sehr gern von Ihnen erfahren, was Sie von Amelie von Eickstedt wissen, um daraus einen Schluß zu ziehen, ob besagte junge Dame tatsächlich die Wahrheit sagt«, erklärte Fee ruhig.

»Ja, was könnte ich Ihnen sagen? Tante Amelie war eine Schwester meines Vaters, zwölf Jahre jünger als er. Sie verkaufte alles, als der Krieg ausbrach und ging nach Südamerika. Alles, was ich sonst noch weiß, ist, daß sie einen Mann namens Stone geheiratet hat, einen Amerikaner, und daß sie zwei Kinder aus dieser Ehe hatte. Einen Sohn und eine Tochter. Das weiß ich durch eine Anzeige, die mir einmal in die Hände fiel, als mein Vater gestorben war. Er hat nie über Tante Amelie gesprochen. Er hat ihr nicht verziehen, daß sie das Jagdschlössel verkauft hat, ohne mit ihm darüber zu sprechen.« Er sah Fee an, wich ihrem forschenden Blick dann aber aus. Er verschlang seine Hände ineinander und blickte auf diese. »Ich möchte offen sein, weil Sie von einer jungen Dame sprachen«, fuhr er leise fort. »Vor etwa einem Jahr bekam ich einen Brief von einer Juanita Ramirez. Sie teilte mir mit, daß ihre Mutter verstorben sei und sie aus hinterlassenen Dokumenten erfahren hätte, daß ihre Großmutter eine geborene von Eickstedt gewesen sei. Sie fragte an, ob sie mich besuchen dürfe. Ich sprach mit meinem Sohn darüber. Ich war der Meinung, daß sie Erbansprüche geltend machen wollte. Marian dagegen sagte, daß man sich dieses Mädchen wohl anschauen solle, und er flog nach Buenos Aires. Das war vor acht Monaten. Als er zurückkam, war er völlig verändert. Er sagte, daß er sich in Juanita verliebt hätte und sie heiraten wolle. Aber das gehört wohl nicht hierher, warum sage ich das?«

»O doch, es ist sehr interessant und bringt etwas Licht in eine sehr rätselhafte Angelegenheit, Herr Baron. Bitte, sprechen Sie weiter, ich werde dann ebenso offen sein wie Sie.«

»Warum auch nicht«, sagte er müde. »Ich befinde mich ohnehin in einem solchen Dilemma, daß es darauf auch nicht mehr ankommt. Ich zog dann nämlich Erkundigungen ein und erfuhr, daß Tante Amelies Sohn keinen besonders guten Ruf genoß. Er hatte sehr jung geheiratet und war auf die schiefe Bahn geraten. Dagegen hatte die Tochter Juliane einen reichen Argentinier geheiratet, der aber bereits vor fünf Jahren verstarb. Sie erbte ein großes Vermögen, heiratete dann aber einen Arzt, einen Psychiater. Doch schon wenige Monate nach der Heirat fand sie einen tragischen Tod. Sie ertrank in einem Swimming-pool. Das ist alles, was ich weiß.«

»Und die Beziehung zwischen Ihrem Sohn und Juanita endete?« fragte Fee vorsichtig.

Er seufzte schwer. »Nein, das wohl nicht. Sie schrieb ihm nur nicht mehr und dann kam ein Brief von Dr. Barnet, daß Juanita bedauerlicherweise an einer Nervenkrankheit leide. Mein Sohn wollte das nicht glauben. Er hätte eine andere sehr gute Partie machen können, aber darüber gerieten wir in Streit. Und seither ist mein Sohn verschwunden.«

»Wie lange ist das her?« fragte Fee.

»Eine Woche. Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß, Frau Dr. Norden Mehr, als ich sagen wollte. Sagen Sie mir nun, was Sie von Juanita wissen?«

»Sie befindet sich in einer Klinik, aber ist gewiß nicht geisteskrank. Sie wollte sich mit Ihrem Sohn im Jagdschlössel treffen, aber er ist dort nicht erschienen.«

»Wenn es so ist, weiß ich gar nichts mehr. Ich kann nur noch vermuten, daß er sie sucht. Und inzwischen fällt bei uns alles in Scherben. Ich habe Schulden, die ich nicht bezahlen kann, und ich habe keinen Kredit mehr bei der Bank. Ich muß morgen achtzigtausend Euro bezahlen und konnte nur die Hälfte zusammenkratzen. Ja, buchstäblich zusammenkratzen. Mein Sohn, mein einziger Erbe, wird nichts bekommen, wenn er überhaupt noch lebt.«

»Sie dürfen nicht gleich das Schlimmste denken. Ihr Verwalter sagte mir, daß er seinen Hund Chérie mitnahm.«

»Ja, das stimmt. Er hängt sehr an diesem Hund, an dieser Hündin, muß ich sagen.«

Er sah Fee hilflos an. »Wie komme ich eigentlich dazu, Ihnen dies alles zu erzählen?«

»Es ist sicher gut«, meinte Fee. »Vielleicht spricht sich Juanita auch aus. Jedenfalls ist sicher, daß da eine Intrige gesponnen wurde. Juanita wurde mißhandelt und beraubt.«

Entsetzen malte sich auf des Barons Gesicht. Er suchte nach Worten.

»Würde es mir gestattet werden, die junge Dame zu besuchen?« fragte er heiser.

»Ich denke, daß ich zuerst mit Juanita sprechen sollte. Sie ist jetzt sehr mißtrauisch und auch noch sehr schwach. Und ich sollte Ihnen noch etwas sagen, was Sie erschrecken könnte.«

»Was kann jetzt noch passieren«, murmelte er. »Ich weiß nicht mehr ein und aus.«

»Wir wissen nun, daß Amelie von Eickstedt einen Mann namens Stone geheiratet hat, und in der Behnisch-Klinik erschien ein Mann namens Stone, der behauptete, mit Juanita verheiratet zu sein. Beweise dafür hat er nicht erbracht, und Juanita leugnet es. Sicher verschweigt sie manches, aber was sie sagt, glauben wir ihr.«

»Und warum das alles?« fragte der Baron konsterniert.

»Ja, wenn wir das wüßten, aber meist geht es ja bei solchen Geschichten um Geld. Sie sagten doch, daß Juanitas Mutter einen reichen Argentinier geheiratet hat.«

»Aber sie hat sich wieder verheiratet.«

»Nun, es könnte ja sein, daß Juanita dann doch die Alleinerbin war. Aber wir werden das herausfinden, Herr Baron.«

»Ich muß mich bei Ihnen bedanken, daß Sie mich anhörten und so viel Verständnis zeigen. Letztlich bin ich an allem schuld, weil ich alles in einem falschen Licht sah und ich meinen Sohn zu einer anderen Heirat bewegen wollte. Und damals sollte auch Amelie zu einer Heirat gezwungen werden.«

Das war ein Familiendrama, das Fee sehr zum Nachdenken anregte, um sie dann dankbar zu stimmen, wie harmonisch es in ihrer eigenen Familie zuging.

Wieviel Schuld nun auch Baron Joachim trug, sie bedauerte diesen Mann.

»Sie brauchen bis morgen also noch vierzigtausend Euro«, sagte sie nachdenklich. »Ich werde Ihnen helfen, diese zu bekommen.«

»Sie, aber wieso? Ich kann Ihnen augenblicklich gar keine Sicherheiten bieten. Höchstens Marians Pferd Silverstone. Er würde sicher einverstanden sein, wenn er erfährt, was Sie für Juanita tun. Es ist ein sehr wertvoller Hengst. Marian hat ihn aufgezogen. Carola von Gölltau wollte ihn haben. Ich habe es nicht erlaubt. Sie ist es, die nun das Geld zurückfordert.«

»Die Frau, die Ihr Sohn heiraten sollte?« fragte Fee.

»Ja, es war wohl das Törichste, was ich verlangen konnte, doch die Einsicht kommt zu spät.«

»Man soll nie ›zu spät‹ sagen, nicht solange noch Hoffnung ist, daß sich alles zum Guten wendet.«

Er verneigte sich tief vor ihr und küßte ihr die Hand. »Wie soll ich Ihnen nur danken?«

»Kommen Sie morgen früh gegen neun Uhr, dann bekommen Sie das Geld«, sagte Fee.

Daniel war fassungslos, als sie ihm das sagte. »Du bist nicht zu retten, Fee«, sagte er kopfschüttelnd. »Deine Gutgläubigkeit geht zu weit.«

»Ich bin nicht gutgläubig, und ich riskiere nur das, was zu meiner Mitgift gehörte, von der du nichts wissen wolltest. Das Geld war gutangelegt und hat Gewinn gebracht. Und ich glaube nicht, daß es verloren sein wird.«

»Und ich kann dir nicht mal böse sein«, sagte Daniel.

»Außerdem bekomme ich als Sicherheit ein Pferd.«

»Was willst du mit einem Pferd?« fragte er staunend.

»Sind wir nicht beide mal ganz gern geritten?« fragte sie schelmisch.

»Aber wann hätten wir jetzt dazu schon Zeit«, seufzte er.

»Ich bin insgeheim auch überzeugt, daß wir keine Pferdebesitzer werden. Ich werde jetzt zu Juanita fahren und ihr eine Geschichte erzählen, die ihr vielleicht die Zunge lösen wird.«

»Und ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis.«

Sie gab ihm einen zärtlichen Kuß. »Du kannst dafür unseren Kindern ein paar Geschichten erzählen, mein Schatz.«

»Aber nicht von einem Pferd, das wir möglicherweise bekommen können, sonst wollen sie es tatsächlich haben.«

»Nun, es könnte ja sein, daß sie einen sehr schönen Hund bekommen«, meinte Fee. »Einen guten, treuen Hund, der sie beschützt, wie Wastl einer ist.«

In der Behnisch-Klinik war jetzt abendliche Ruhe eingekehrt. Dieter und Jenny gönnten sich eine Ruhepause mit Glühwein. Sehr kalt war es geworden, und wenn sie tagsüber auch ins Schwitzen gekommen waren, so konnten sie nun wieder ein bißchen Wärme von innen brauchen.

Gegen einen Schluck hatte Fee auch nichts einzuwenden. Zu erzählen hatte sie auch allerhand. Sie erfuhr, daß sich Mr. Stone noch nicht wieder gemeldet hatte.

»Und wie geht es eurem Schwerverletzten?« fragte Fee. »Habt ihr da schon etwas erfahren?«

»Nichts«, erwiderte Dieter Behnisch, »aber es besteht doch Hoffnung, daß er durchkommt.«

»Ich finde es schrecklich, wenn ein Mensch von niemandem vermißt wird«, sagte Jenny.

»Liegt denn keine Vermißtenan-

zeige vor, die auf ihn zutreffen würde?«

»Nein, gar nichts. Aber morgen kommt es in die Zeitungen, dann werden wir weitersehen.«

»Das bleibt uns bei Juanita wenigstens erspart«, sagte Fee. »Jetzt gehe ich mal zu ihr.«

»Gefragt hat sie schon nach dir«, sagte Jenny.

Juanitas Augen leuchteten auf, als Fee eintrat. Sie hatte in einem Gedichtband gelesen.

»Frau Dr. Behnisch hat mir das Buch gebracht. Es ist sehr schön«, sagte sie leise. »Man kann daraus viel entnehmen. Es ist sehr lieb, daß Sie mich besuchen. Ich bin jetzt ruhiger und habe nachgedacht.«

»Und ich habe eine ganze Menge in Erfahrung gebracht, was Sie allerdings schon wissen werden.«

»Daß ich Marian von Eickstedt bereits kenne?« fragte Juanita bebend. »Hat er nach mir gefragt?«

»Ich habe mit seinem Vater gesprochen. Er weiß leider nicht, wo sich sein Sohn aufhält, Juanita.«

»Er will es verhindern, daß Marian mich trifft. Wer weiß, was er sich jetzt ausgedacht hat.«

»Jetzt denken Sie mal ganz logisch, Juanita. Baron Eickstedt gesteht ein, manches falsch gemacht zu haben, aber er möchte Sie kennenlernen und mit Ihnen über alles sprechen. Sie dürfen jetzt keine Vorurteile haben.«

»Ich hatte doch keine. Vielleicht werden Sie alles besser verstehen, wenn ich Ihnen erzähle, wie es anfing.«

»Ich wäre sehr froh, wenn Sie mir so viel Vertrauen schenken würden, Juanita«, sagte Fee weich.

»Ich habe alles erst nach Mamas Tod erfahren«, begann Juanita stockend. »Mama war doch noch so jung und so schön, aber sie war immer deprimiert nach Papas Tod. Gewiß hatte sie große Sorgen, aber sie sprach nicht darüber.«

»Finanzielle Sorgen?« fragte Fee.

»O nein, die hatten wir nie, aber es war wohl ihr Stiefbruder, der ihr Kummer bereitet hat, oder dessen Sohn.«

»Sie sagten Stiefbruder?« fragte Fee verwundert.

Juanita nickte. »Ich sagte schon, daß ich alles erst nach Mamas Tod erfahren habe. Großmutter Amelie hatte Fred Stone in München kennengelernt, aber er war vorher schon mal verheiratet gewesen und hatte einen Sohn, der damals schon acht Jahre war. Seine Frau war an einer Nervenkrankheit gestorben, und Dr. Barnet, den Mama dann geheiratet hat, wußte das.« Sie machte eine kleine Pause. »Ich habe die Beweise dafür in dem Aktenkoffer, den ich im Hotelsafe hinterlegt habe. Ich lüge nicht.«

»Ich zweifele nicht daran, daß Sie die Wahrheit sagen, Juanita.«

»Aber ich weiß jetzt, warum sie mich aus dem Weg räumen wollen. Sie wollen die Beweise vernichten. Sie wollen an das Vermögen von Mama heran. Es war ein Schock für Barnet, als das Testament bekannt wurde. Mein Vater hatte mich nämlich zur Erbin eingesetzt, und Mama hatte nur die Nutznießung, solange sie keine zweite Ehe eingehen würde. Aber sie hat wohl nicht geglaubt, daß Barnet auf ihr Vermögen aus wäre und hat ihm nichts von Papas Testament gesagt.«

Wieder geriet sie ins Nachdenken. »Manches muß ich mir ja selbst zusammenreimen. Verstehen Sie bitte, wenn ich nicht alle Zusammenhänge durchschaue.«

»Erzählen Sie nur, was Ihnen klar ist, Juanita«, sagte Fee.

»Ich war auf dem College, als Mama Barnet geheiratet hat. Sie war in einem Sanatorium, und er hat sie behandelt. Ich habe ihn von Anfang an nicht gemocht. Und an einem Morgen fand ich Mama im Swimmingpool.« Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht und begann jammervoll zu weinen.

»Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß dies schrecklich war, Juanita«, sagte Fee. Tröstend legte sie ihren Arm um die schmalen Schultern. Es dauerte einige Zeit, bis sich Juanita beruhigte.

»Barnet brachte mich in sein Sanatorium. Er sperrte mich ein. Dr. Keller hat mich herausgeholt. Er war Papas und Mamas Anwalt. Er ist auch deutscher Abstammung. Würden Sie ihm schreiben, daß ich hier bin? Das könnte mir helfen, meine Identität zu beweisen.«

»Ich werde ihn anrufen oder ein Telegramm schicken«, versprach Fee. »Geben Sie mir die Adresse.«

Juanita brauchte nicht zu überlegen, und Fee schrieb Adresse und Telefonnummer auf.

»Ich habe mir alles eingeprägt«, sagte Juanita leise. »Hoffentlich stimmt es genau. Von den deutschen Verwandten meiner Großmama habe ich auch durch Dr. Keller erfahren, und ich habe dann an sie geschrieben. Und dann kam Marian. Wir haben uns gleich gut verstanden. Er wollte mich gleich mitnehmen, aber Dr. Keller hat es verhindert. Er war mißtrauisch. Er hat gesagt, daß die Eickstedts auf mein Erbe aus sein könnten. Ich habe das nicht geglaubt, aber manchmal habe ich jetzt gedacht, daß es doch so sein könnte.«

»Sie haben sehr viel negative Erfahrungen gemacht, Juanita, da wird man mißtrauisch«, sagte Fee, aber insgeheim fragte sie sich doch, ob da nicht ein Fünkchen Wahrheit dabei wäre. Oder spielte dieser Dr. Keller auch falsch? Es war alles zu undurchsichtig.

»Ich bin dann ausgerissen«, flüsterte Juanita. »Ich bin nach London geflogen und habe Marian von dort aus angerufen. Er hat gesagt, daß wir uns im Jagdschlössel treffen wollten und erst über alles sprechen müßten. Er sagte, daß er jetzt nicht wegkönnte, weil sie in einer schwierigen Situation waren. Irgendwie muß Barnet das herausgebracht haben. Als ich im Jagdschlössel auf Marian wartete, war er plötzlich da. Er sagte, daß ich verrückt sei, so verrückt wie meine Mutter, und daß dies eine Erbkrankheit bei den Eickstedts sei. Und er sagte auch, daß ich hergelockt worden sei, damit die Eickstedts mein Vermögen dann an sich bringen.«

»Er sagte das, als Sie an jenem Tisch saßen, und da sind Sie aufgesprungen und gegangen?« fragte Fee.

Juanita starrte sie an. »Woher wissen Sie das?« fragte sie.

»Ich habe es zufällig gesehen. Aber warum haben Sie sich unter all den Menschen mit ihm getroffen?«

»Ich wollte nicht mit ihm allein sein. Ich dachte ja auch, daß Marian kommen würde. Ich hatte alles falsch angefangen und nicht richtig nachgedacht. Es war dumm und unüberlegt, aber das ist mir erst hier bewußt geworden. Und ich dachte auch, daß Marian in der Nähe sei, wegen des Hundes.«

»Sie meinen Wastl«, sagte Fee.

»Marian hat so einen Hund. Er hat mir Bilder gezeigt. Er heißt Chérie.«

»Es ist eine Hündin«, sagte Fee gedankenlos.

*

Zu dieser Zeit wurden Sepp und Kathi Hoflechner durch lautes Jaulen und Winseln aus ihren düsteren Gedanken aufgeschreckt, denn wenn sie mal zur Besinnung kamen, mußten sie immer wieder über Juanita nachdenken.

»Der Wastl führt sich auf«, sagte Kathi, »da muß wieder was los sein.«

»Gott schütze uns«, brummte Sepp, aber mutig ging er hinaus. »Komm, Kathi«, rief er, und Kathi nahm allen Mut zusammen und folgte ihm.

Da lag ein weißgraues Etwas am Boden und wurde von Wastl abgeschleckt.

»Guter Gott«, stammelte Kathi, »ein Hund vom Baron. Der ist ja am Verenden.«

»Nun übertreib nicht gleich«, brummte Sepp heiser. Doch Wastl winselte jammervoll.

»Ruf den Tierarzt an«, sagte Sepp. »Ich trage den Hund ins Haus.«

Das duldete Wastl. Sepp wurde klar, daß dieser Hund völlig erschöpft war. Sein Fell wies auch Blutspuren auf und für seine Größe war er seltsam leicht, ausgehungert, wie Sepp dachte.

»Dr. Gellert kommt gleich«, sagte Kathi, »ich habe ihn grad erwischt, als er aus dem Hause wollte. Er dachte, es geht um Wastl, und ich habe ihn in dem Glauben gelassen. Gott im Himmel, was haben sie denn mit dem armen Bürscherl gemacht.«

»Er ist eine Sie, und Wastl kennt sie«, sagte Sepp nachdenklich.

»Es kann doch nicht die Chérie sein? Sie ist doch so gepflegt«, sagte Kathi fassungslos. Als sie aber »Chérie« sagte, hob die Hündin den Kopf und blickte sie aus trüben Augen an. Doch gleich sank der Kopf matt zurück.

»Reg dich jetzt nicht auf, Kathi, die Rasse ist zäh«, sagte Sepp tröstend, als Kathi Tränen über die Wangen kullerten. Sie lief hinaus und kam mit Decken zurück. Sie hüllte die Hündin ein. »Magst auch ein Wasserle?« fragte sie.

Wastl schleckte indessen die im Licht sichtbaren Wunden des erschöpften Tieres.

Zum Glück ließ Dr. Gellert nicht lange auf sich warten. »Das ist Chérie«, sagte er leise, »ja, meine Gute, was ist denn mit dir los? Wo ist dein Herrchen?«

Da gab Chérie ein leises, klagendes Winseln von sich, und es schien, als ob sie sich erheben wolle, aber sie war zu schwach.

Dr. Gellert gab ihr eine Spritze, dann lag sie leblos da.

»Ist sie tot, nein, das können Sie doch nicht«, jammerte Kathi.

»Sie ist nur betäubt. Ich muß die Wunden versorgen«, sagte Dr. Gellert. »Es ist auf sie geschossen worden, aber anscheinend sind es nur Streifschüsse. Sie ist ausgehungert, und die Pfoten sind wund. Wir reden nachher darüber. Rufen Sie doch mal beim Gut an, damit der junge Baron kommt.«

Der konnte nicht kommen, da er nicht da war, aber das wußten die Hof-lechners ja nicht. Kathi war nur völlig überrascht, daß der alte Baron sofort aufgeregt sagte, daß er kommen würde.

Dr. Gellert versorgte das geplagte Tier bestens. »Vielleicht schafft sie es«, sagte er. »Bis hierher hat sie es ja auch geschafft, obgleich das schon ein Wunder ist.«

Wastl wich nicht von Chérie. Er legte seine Schnauze auf ihren zuckenden Körper.

»Die Wärme wird ihr guttun«, sagte Dr. Gellert. »Bist ja auch ein ganz guter Freund, Wastl.« Zweimal schlug Wastl darauf mit der Rute auf den Boden, aber dann verhielt er sich wieder ganz ruhig.

Eine Viertelstunde später kam der Baron. Er kniete neben Chérie nieder und streichelte ihren Körper, und Wastl duldete es ohne Aufmucken.

»Meinem Sohn muß etwas passiert sein«, sagte der Baron dann erschüttert, als Dr. Gellert ihn aufgeklärt hatte, was der Hündin fehlte. »Freiwillig hätte er sich nie von ihr getrennt. Es ist jetzt bereits eine Woche her, daß er mit Chérie das Gut verlassen hat.«

Er sank auf einen Stuhl und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. »Es ist meine Schuld, nur meine Schuld«, murmelte er.

*

Davon erfuhren Fee und Juanita nichts, aber Fee hatte noch viel von dem Mädchen erfahren, wodurch das bestätigt wurde, was auch der Baron gebeichtet hatte. Nämlich, daß Marian diese Carola von Gölltau heiraten sollte. Jedoch war er auch überzeugt gewesen, daß sein Vater versöhnlich gestimmt sein würde, wenn er Juanita persönlich kennenlernen würde.

»Ich war früher gekommen, als Marian erwartete«, erzählte Juanita. »Ich fühlte mich nicht recht wohl und wollte ausgeruht sein, wenn ich Marian traf. Ich war zu Tode erschrocken, als Barnet kam.«

»Hat er Sie niedergeschlagen und beraubt?« fragte Fee.

»Das eben kann ich nicht sagen. Ob er soweit gehen würde?« Aber dann stiegen wieder Tränen in ihre Augen. »Warum eigentlich nicht, da er doch Mama auch auf dem Gewissen hat. Aber vielleicht war es Jim Stone. Wie kann er nur behaupten, er sei mit mir verheiratet?«

»Das weiß der Himmel«, meinte Fee. »Vielleicht dachte er, wir würden froh sein, wenn jemand Sie abholen würde, eine Fremde ohne Papiere, die nach seinen Worten nicht ganz zurechnungsfähig sei. Aber wir waren gleich mißtrauisch, Juanita. Und alles haben Sie nicht falsch gemacht. Sie haben etwas anscheinend sehr Wichtiges im Hotelsafe hinterlegt, und Sie haben Ihre Rechnung im voraus bezahlt. Und außerdem haben Sie mir am Silvesterabend gleich gefallen und dieser Mann gar nicht.«

»Ich habe Ihnen so viel zu verdanken«, flüsterte Juanita. »Glauben Sie, daß Marian mit Barnet und Stone unter einer Decke steckt?«

Wie sie sich damit quälte! Ein tiefes Mitgefühl bewegte Fee. »Nein, das glaube ich nicht«, sagte sie mit fester Stimme.

»Dann muß ich wohl auch um ihn Angst haben«, sagte Juanita bebend. »Was soll ich nur tun?«

»Ruhe bewahren und morgen mit dem Baron sprechen«, erwiderte Fee. Und dann wurde sie ans Telefon gerufen.

Es war Daniel. Er sagte ihr, daß er zum Jagdschlössel gerufen worden sei. »Der Baron ist zusammengebrochen, und Chérie ist dort«, erklärte er.

Es wird immer verrückter, dachte Fee, aber sie sagte davon nichts zu Juanita.

Sie fuhr heim und wartete auf ihren Mann. Daniel blieb zwei Stunden aus, und als er kam, verriet seine Miene nichts Gutes.

Er berichtete, wie Chérie gefunden wurde. »Dann haben sie den Baron gerufen, und der ist fertig mit den Nerven, da er überzeugt ist, daß Marian etwas ganz Böses geschehen sein muß. In diesem Fall ist es natürlich unvermeidlich, die Polizei einzuschalten, Fee, und so wird auch Juanita da einbezogen werden.«

»Sie liebt Marian«, sagte Fee leise.

»Auch das noch, das Familiendrama ist komplett.«

Selbst Fee sah augenblicklich alles grau in grau. Und als Daniel dann erfuhr, was Juanita erzählt hatte, verdüsterte sich seine Miene noch mehr.

»Geld bringt mehr Leute um als eine Keule«, murmelte er.

»Woher hast du das?« fragte Fee.

»Sepp hat es gesagt.«

»Darüber kann man nachdenken. Wird Chérie durchkommen?«

»Dr. Gellert räumt ihr eine Chance ein, wenn sie bald Nahrung zu sich nimmt. Diese Rasse ist wirklich sehr widerstandsfähig. Übrigens hat Gellert auch gesagt, daß es sehr kinderfreundliche Hunde sind.«

»Lieb, daß du dich danach erkundigt hast, aber augenblicklich habe ich andere Sorgen«, sagte Fee.

*

Der Baron hatte die Nacht im Jagdschlössel verbracht. Gut versorgt von Kathi, fühlte er sich am Morgen etwas besser. Er rief bei Fee an. Dank der Hilfe ihres Mannes sei er in der Lage, ihre Verabredung einzuhalten, sagte er, aber ihm ginge es jetzt vor allem darum, Juanita zu sprechen.

»Alles der Reihe nach«, meinte Fee. »Zuerst regeln wir die Geldangelegenheit. Sie müssen jetzt Ruhe bewahren.«

Das war gut gemeint, aber wie sollte ein Mann, der um das Leben seines Sohnes fürchtete, Ruhe bewahren? Er sah entsetzlich elend aus, als er mit einem Taxi zu Fee kam.

»Freiwillig hätte sich Marian niemals von Chérie getrennt«, sagte er tonlos.

»Vielleicht hat sie sich von ihm getrennt, um für ihn eine Hilfe zu holen«, meinte Fee nachdenklich. »Sie hat sich zum Jagdschlössel geschleppt. Der Instinkt des Hundes.«

»Wie meinen Sie das?«

»Daß sie vorher wohl dagewesen war, und außerdem ist Wastl dort. Vielleicht hat sie es bis zum Gut auch nicht mehr geschafft. Hunde können nicht reden.«

»Wenn sie nicht so krank wäre, könnte sie mir den Weg zu Marian zeigen«, sagte er leise. »Man hat auf sie geschossen.« Er sagte sonst nichts, aber Fee fühlte, daß er daran dachte, daß man auch auf seinen Sohn geschossen haben könnte.

»Ihr Sohn war doch sicher mit dem Auto unterwegs«, meinte sie.

Er nickte. »Die Suche nach dem Wagen ist schon aufgenommen worden, aber bisher ist noch keine Spur gefunden.«

»In der Nacht kann man nicht viel erreichen«, sagte Fee. »Ich möchte nicht, daß Sie Juanita davon erzählen. Es konnte einen schwerwiegenden Rückfall zur Folge haben.«

»Ich werde alles tun, was Sie sagen. Was jedoch das Geld anbetrifft, brauchen Sie sich nicht für mich zu verwenden. Herr Hoflechner übernimmt die Forellenzucht und das Stück Land, das ans Jagdschlössel angrenzt. Darüber sind wir uns schon einig geworden. Meine Borniertheit gehört der Vergangenheit an. Ich würde alles hergeben, wenn ich dafür meinen Sohn zurückbekomme.« Seine Stimme zitterte. »Ich darf nicht daran denken, daß dies nicht mehr sein konnte.«

»Denken Sie nicht daran«, sagte Fee. »Darf ich eine indiskrete Frage an Sie stellen?«

»Bitte, jede!«

»Wollte Ihr Sohn das Geld besorgen, um Frau von Gölltaus Forderungen zu befriedigen?«

»Er hatte gesagt, daß er das Geld beschaffen würde. Wir hatten die Auseinandersetzung wegen Juanita. Ich verstieg mich bedauerlicherweise zu der Behauptung, daß sie wohl annehme, bei uns sei etwas zu holen. Ja, ich bereue das tief, aber ich habe es nun mal gesagt. Und da erklärte Marian, daß Carola ihr Geld bekommen würde und wir uns danach nichts mehr zu sagen hätten. Dann hat er das Gut mit Chérie verlassen. Mehr kann ich nicht sagen. Es ist alles, was ich weiß.«

»Hatte er Ihnen nicht vorher gesagt, daß Sie Juanita doch wenigstens erst kennenlernen sollten?«

»Doch, ja, das sagte er, aber ich lehnte es ab. Doch was nützt es mir jetzt, daß ich alles bereue? Ich sah die einzige Rettung für Gut Eickstedt darin, daß Marian Carola heiraten würde. Ich bin einmal ein schlechter Menschenkenner und zum andern war ich kein guter Vater. Die Tradition zählte mehr für mich. Mir war eingeprägt worden, daß Tante Amelie das schwarze Schaf der Familie gewesen sei, daß über sie nicht mehr geredet werden durfte.«

Fee überlegte. »Ich muß Ihnen wohl sagen, daß sie keinen eigenen Sohn hatte. Ihr Mann brachte aus seiner ersten Ehe einen Sohn mit, und es deutet alles darauf hin, daß dessen Sohn Jim auch ein böses Spiel mit Juanita getrieben hat. Hat er vielleicht Verbindung mit Ihrem Sohn aufgenommen?«

»Nicht, daß ich etwas davon erfahren hätte, aber jetzt erinnere ich mich, daß Marian einen Anruf bekam, der ihn in Aufregung versetzte. Das war kurz bevor wir die Auseinandersetzung hatten.«

»Aber Sie wissen nicht, wer anrief und was da gesprochen wurde?«

»Ich hörte nur, wie Marian sagte, daß er dort sein würde. ›Ja, ich werde kommen‹, hat er gesagt.«

»Und wann war das?«

»Am Tag vor Silvester.«

»Wir müssen lauter kleine Steinchen sammeln, Herr Baron, aber ich bitte Sie inständig, Juanita mit keinerlei Mißtrauen zu begegnen. Sie liebt Ihren Sohn, aber durch die Ereignisse ist sie auch in viele Zweifel geraten.«

Er blickte jetzt auf die Uhr. »Um zwölf wird Carola bei mir erscheinen«, sagte er tonlos. »Die Zeit rinnt dahin.«

»Dann fahren wir jetzt zur Behnisch-Klinik«, sagte Fee.

*

Sie waren schon beim Wagen, als Lenni sie noch einmal aufgeregt zurückrief. »Ein Anruf aus Amerika.« Fee rannte zurück ins Haus. Das konnte eigentlich nur Dr. Keller sein. Fee hatte ihn nicht persönlich erreichen können, aber es war ihr versichert worden, daß er schnellstens benachrichtigt werden würde, wenn es um Juanita gehe.

Er war es auch, und er redete nicht lange. Er sagte, daß er mit der nächsten Maschine kommen würde. Wo er Juanita treffen könne.

»Bei uns«, erwiderte Fee und sagte ihm die genaue Adresse durch. Dann atmete sie auf. Das war das erste Positive in allen Wirrnissen, und sie sagte es auch dem Baron.

»Juanitas Anwalt wird kommen. Er hat eben angerufen.«

»Dann stimmt es also, daß sie nicht unvermögend ist«, murmelte er. »Und nun wird sie glauben, daß wir Geld von ihr wollen.«

»Denken Sie doch nicht gleich so etwas«, sagte Fee. »Durch ihr Erbe hat Juanita wahrhaftig genug Sorgen. Sie ist dem allen gar nicht gewachsen. Ich hoffe, daß Dr. Keller sehr verläßlich ist. Ihm scheint Juanita jedenfalls voll zu vertrauen.«

»Und ich kann nur hoffen, daß sie mir nicht zu sehr mißtraut«, sagte der Baron leise.

In der Klinik angekommen, führte Fee noch ein kurzes Gespräch mit Juanita. »Hat sich Marian gemeldet?« fragte das Mädchen ängstlich.

»Noch nicht, aber sein Vater kommt mit den besten Absichten, Juanita. Sie brauchen keine Angst zu haben.«

»Ich habe keine Angst. Die Eickstedts sind stolz und eigensinnig, aber sie tun niemandem etwas zuleide. Tante Amelie hat es in ihrem Tagebuch geschrieben. Das befindet sich auch in dem Dokumentenkoffer.«

»Dann will ich Ihnen noch sagen, daß Dr. Keller anrief. Er wird kommen.«

Juanitas Gesicht entspannte sich, und ein erleichterter Seufzer kam über ihre Lippen. »Ich hätte ihn gleich einweihen sollen«, sagte sie leise.

Dem Baron blieb nur noch eine knappe Stunde Zeit für das Gespräch mit Juanita. Wie ihm innerlich zumute war, als er an ihr Bett trat, konnte Fee seinem Mienenspiel entnehmen, und sie hörte noch, wie Juanita sagte: »Es tut mir leid, daß wir uns unter solchen Umständen kennenlernen.« Dann ging sie. Schicksal, nimm deinen Lauf, dachte sie, aber ein bißchen mitmischen werden wir auch weiterhin.

Sie war schon am Ausgang, als sie von Jenny Behnisch eingeholt wurde, die ganz atemlos sagte: »Ich muß dich unbedingt sprechen, Fee. Es geht um unseren Schwerverletzten. Er phantasiert, und er sagt auch so was Ähnliches wie ›Chérie‹.«

»Guter Gott«, flüsterte Fee. »Ich bleibe. Ich muß nur schnell Lenni anrufen, sonst macht sie sich Sorgen, wo ich bleibe. Es passiert ja wirklich so viel bei dem Wetter.«

»Wem sagst du das! Wir haben heute schon den dritten Bruch. Jetzt kann passieren was will, wir können niemanden mehr unterbringen.«

Auf Lenni war Verlaß, aber sie war froh, wenn sie Bescheid wußte. Wenn auch die Kinder nun murrten, sie wußte auch diese zu beruhigen und zu beschäftigen. Und Fee stand indessen am Bett des namenlosen Fremden. Sein Kopf war von dicken Verbänden verhüllt. Man konnte nur etwas von der Nase sehen, und das wies auch Spuren von Kratzern auf.

Die Lippen, blaß und ganz schmal, waren gesprungen und trocken. Doch jetzt kam nur ein leises, gequältes Stöhnen darüber.

Fee wandte sich zu Jenny um. »Selbst sein Vater würde ihn doch nicht identifizieren können, sollte es Marian von Eickstedt sein«, sagte sie leise. »Und Juanita würde einen Schock bekommen, der sie restlos…« Sie kam nicht weiter.

»Nita«, stieß der Kranke hervor, als wäre dieser Name in sein Bewußtsein gedrungen.

Jenny und Fee tauschten einen Blick. Jenny beugte sich tief über ihren Patienten. »Sind Sie Marian von Eickstedt?« fragte sie betont. »Können Sie mich verstehen?«

»Ja.«

»Sie brauchen nur ja oder nein zu sagen. Und wenn es Ihnen schwerfällt, heben Sie bei Ja die rechte Hand. Sind Sie Marian von Eickstedt?«

Seine Lippen bewegten sich nicht, aber er hob leicht die rechte Hand, das war alles.

»Wenn das stimmt«, flüsterte Fee erregt, »oh, mein Gott, ihr müßt ihn durchbringen, Jenny. Er darf nicht sterben.«

»Jetzt verlier du mal die Nerven nicht, Fee. Wir tun, was wir können, aber es kommt immer auch auf die Patienten an. Und bis jetzt haben wir noch keinen Beweis, daß es sich um Marian von Eickstedt handelt. Der Baron wird jetzt noch nichts erfahren. Wir wollen keine falsche Hoffnung in ihm wecken. Unsere Mittagspause werden wir ohnehin mit den Ermittlungsbeamten verbringen müssen. Vielleicht haben die schon eine Spur gefunden. Solange werden wir uns gedulden, und unser Patient bekommt jetzt wieder eine Infusion.«

*

Was Juanita mit dem Baron gesprochen hatte, wußte Fee schon. Von Tante Amelie hatte er erzählt, sie von ihrer Mutter und zum Schluß sagte sie, daß sie hoffe, bald aufstehen zu können, um alle Beweise, die sie besaß, aus dem Hotelsafe holen zu können.

»Dort sind sie gut aufgehoben, Juanita«, sagte er. »Ich hoffe, daß Marian sich bald melden wird.«

»Ich habe solche Angst«, flüsterte Juanita.

Er bezwang seine eigenen Ängste. »Du darfst nicht denken, daß er mit deinen Feinden gemeinsame Sache macht, Juanita. Nein, das darfst du nicht denken.«

»Aber wenn sie nun ihm etwas angetan haben?«

»Bei ihm ist Chérie«, erwiderte er, alle Kraft zusammennehmend. »Und Marian ist gesund und kräftig, und er ist klug, Juanita.«

»Ich wollte ihn nicht in Gefahr bringen, das müssen Sie mir glauben«, sagte sie bebend.

»Ich weiß es. Und mich würde es freuen, wenn du nicht mehr Sie zu mir sagen würdest, mein Kind.« Er streichelte ihre Wange, aber er spürte, daß er nicht mehr lange die Fassung bewahren konnte, wenn ihn diese traurigen Augen anblickten. »Ich komme bald wieder, Juanita«, sagte er mit erstickter Stimme, und dann ging er rasch.

Zehn Minuten nach zwölf Uhr betrat er das Gutshaus. Diesmal war Carola mit ihrem Wagen gekommen. Er hatte diesen schon gesehen.

»Ich warte nicht gern«, sagte sie zynisch. »Ich habe mich auch entschlossen, dir noch Zeit zu geben, nachdem ich hörte, daß jetzt polizeiliche Suchaktionen nach Marian eingeleitet sind.«

»Wo hast du das gehört?« fragte er.

»Ein Beamter war bei mir.« Ihre Augen waren ganz eng. »Ich möchte da nicht hineingezogen werden, nur weil ich auf die Jagd gehe.«

»Ich verstehe nicht, was du meinst. Ich habe deinen Namen nicht genannt. Die Ermittlungen sind deshalb aufgenommen worden, weil Chérie mit einer Schußverletzung gefunden wurde.«

»Und nun wird jeder unter die Lupe genommen, der hier einen Jagdschein besitzt. Aber natürlich hat man auch bereits ermittelt, daß wir eng befreundet sind. Außerdem habe ich erfahren, daß Juanita Ramirez im Jagdschlössel gewohnt hat, und diesbezüglich wurden mir auch einige seltsame Fragen gestellt. Ich möchte jetzt von dir eine Aufklärung haben, Joachim.«

»Ich kann dir keine geben. Du bekommst dein Geld, hier und jetzt, und dann ist diese Angelegenheit erledigt.«

»Meinst du? Meinst du, ich lasse mich ins Gerede bringen?« fragte sie erregt. »Ich will wissen, wo Marian ist. Er soll zugeben, daß er am Silvesterabend nicht bei mir gewesen ist.«

»Wer will denn das behaupten?« fragte der Baron konsterniert.

»Man hat seinen Wagen gesehen. Jedenfalls wird das behauptet. Aber er war nicht bei mir, und ich habe auch nicht auf den Hund geschossen«, schrie sie hysterisch. »Diese Gerüchte kannst du, nur du verbreiten, um mich in Verruf zu bringen!«

»Ich habe nichts gesagt und habe auch kein Interesse daran. Da liegt die Quittung, daß achtzigtausend Euro auf dein Konto überwiesen wurden, und damit sind wir quitt.«

»Und woher hast du plötzlich das Geld?« fragte sie mit einem tückischen Unterton.

»Ich denke nicht, daß ich dir darüber Rechenschaft ablegen muß«, erwiderte er steif. »Du hast nichts mehr gegen uns in den Händen, Carola. Würdest du jetzt bitte gehen? Ich habe zu tun.«

Sie legte den Kopf in den Nacken. »Nun, ich bin sehr gespannt, wie du das Loch stopfen wirst«, höhnte sie. »Ich kann auf den Tag warten, an dem du mit nichts von hier gehen wirst. Es wird ein Freudentag für mich sein.«

»Und für mich ist es sehr lehrreich, daß du dein wahres Gesicht gezeigt hast. Ich bin sehr froh, daß Marian dies früher erkannte.«

Als dann krachend die Tür ins Schloß flog, zuckte er nicht mal zusammen.

Er setzte sich an seinen Schreibtisch und dachte nach. Als er eine Stunde später das Haus wieder verließ, hatte er zwei versiegelte Briefumschläge bei sich. Er fuhr zum Jagdschlössel, um nach Chérie zu sehen.

»Es geht ihr schon besser«, sagte Kathi. »Der Wastl weicht ja nicht von ihr. Und mein Mann tut auch alles, um sie wieder auf die Beine zu bringen. Was Dr. Gellert gesagt hat, wird getan. Er kommt dann auch wieder vorbei.«

»Sie würden Chérie hierbehalten, Frau Hoflechner?« fragte er.

»Aber freilich, da brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, Herr Baron.«

Chérie lag neben dem Kachelofen im kleinen Wohnraum, und Wastl saß neben ihr. Wachsam spitzte er die Ohren, als der Baron eintrat, aber dem gestattete er, die Hündin zu streicheln, die darauf zaghaft mit dem Schwanz wedelte, so schwach sie auch noch war.

»Wenn du doch reden könntest, Chérie«, sagte der Baron leise. »Wenn du doch sagen könntest, wo dein Herrchen ist.«

Da gab Chérie ein leises klagendes Jaulen von sich, und es schien, als wolle sie sich erheben, aber schwach, wie sie war, sank sie wieder zurück. Und Wastl legte seinen Kopf schief und schaute den Baron an, als wolle er sagen: ›Wenn ich doch nur was wüßte‹.

Sepp Hoflechner kam leise herein. »Der Herr Kommissar ist grad gekommen, Herr Baron. Er hätte Sie gern mal kurz gesprochen, wenn Sie schon hier sind. Da spart er sich einen Weg.«

Hilflos sah ihn der Baron an, und Sepp deutete die Qual in seinen Augen richtig. »Das Auto vom jungen Herrn Baron haben sie gefunden«, sagte er. »Ich meine, wenn wir den Wastl darauf ansetzen würden, könnte er eine Spur finden. Aber ob er jetzt Chérie im Stich läßt – Hunde haben ihren eigenen Charakter.«

»Ich werde erst hören, was der Kommissar sagt.«

Der Wagen war auf einem Parkplatz in der Innenstadt gefunden worden. Er wies keine Beschädigungen auf. Es sei nicht auszuschließen, daß ihn Marian selbst hier abgestellt hätte, erklärte der Kommissar. Es könne ja sein, daß er dann eine Verabredung gehabt hätte.

Wo, das war die große Frage. Restaurants und Hotels gab es hier in Massen. Ja, wenn Chérie auf den Beinen wäre, könnte sie vielleicht weiterhelfen, aber mit ihr konnte man noch nicht rechnen, und von Marian gab es nicht die geringste Spur.

Dann wurde der Kommissar zu seinem Wagen gerufen. Ein wichtiges Gespräch schien ihn sehr nachdenklich zu stimmen.

»Wir werden jetzt zur Behnisch-Klinik fahren, Herr Baron«, sagte er.

»Ist etwas mit Juanita?« fragte der Baron mit erstickter Stimme.

»Ach ja, über Fräulein Ramirez müssen wir auch noch sprechen, aber es handelt sich jetzt um etwas anderes«, erwiderte der Kommissar.

»Hat man meinen Sohn gefunden?«

»Es könnte sein.«

»Lebt er?« fragte der Baron.

»Sie sollen erst mal feststellen, ob es sich um Ihren Sohn handelt. Ja, der Mann lebt, allerdings ist er verletzt.«

»Gott gebe, daß er lebt«, flüsterte der Baron, und dann erst wurde ihm bewußt, daß man von der Behnisch-

Klinik gesprochen hatte.

*

Dr. Behnisch und seine Frau Jenny hatten es noch nicht erlebt, daß ein so Schwerverletzter plötzlich aufstehen wollte. Schwester Martha hatte Sturm geläutet, und Dr. Behnisch kam angerannt. Der Arzt hatte schon eine Injektion bereit, als der Patient mit einem Schmerzenslaut wieder zurücksank.

»Ich bin blind«, stammelte er. »Ich kann nicht sehen.«

»Sie werden wieder sehen können«, sagte Dr. Behnisch beruhigend. »Ihre Augen waren so stark entzündet, daß sie verbunden werden mußten.«

»Ich muß zu ihr«, stöhnte der Kranke, »wo bin ich überhaupt?«

»In der Behnisch-Klinik.«

»Warum?«

»Weil Sie schwerverletzt gefunden wurden. Können Sie uns sagen, wie Sie heißen?«

»Wie ich heiße? Wissen Sie das nicht?«

»Nein, bisher nicht.«

Der Kranke atmete schwer. Er hatte viel Kraft vergeudet mit seinem Ausbruch. Dr. Behnisch wußte, daß es solche Ausbrüche nach einem Fiebertraum gab und daß diese für den Patienten äußerst bedrohlich werden konnten. Er entschloß sich, die Injektion nun doch zu verabreichen.

»Was wollt ihr denn?« murmelte der Kranke. »Was ist mit Juanita?« Und dann kam der Aufschrei: »Chérie, lauf, lauf!«

Und das hatte den Anlaß gegeben, daß sogleich der Kommissar verständigt worden war.

Zumindest Dr. Behnisch und seine Frau Jenny waren sicher, daß es sich bei ihrem Patienten um Marian von Eickstedt handelte. Aber zugleich mußten sie fürchten, daß er diese Krise nicht überstehen würde.

Eine Erinnerung war ihm gekommen, die ihn quälte. Ob Juanitas Nähe ihm die Ängste nehmen konnte? Aber würde sie dem gewachsen sein? Die Ärzte waren in einen Zwiespalt geraten, aus dem sie nicht so rasch einen Ausweg wußten. Und was wirklich geschehen war, lag noch im Dunkel. Vermuten konnten sie viel, die Wahrheit wußte niemand.

Als der Kommissar mit dem Baron kam, hatten Dieter und Jenny Behnisch noch immer keinen Entschluß gefaßt.

»Wir werden Sie zu unserem Patienten führen, Herr Baron«, sagte Dr. Behnisch. »Erschrecken Sie bitte nicht, daß auch seine Augen verbunden sind. Er war lange im Freien, und es war kalt. Er sagte einige Worte, die darauf schließen lassen, daß er Ihr Sohn sein könnte.«

»Wenn er nur lebt«, flüsterte der Baron. »Mehr wünsche ich momentan nicht.«

Nun konnte allerdings auch ein Vater nicht in einem solchen Bündel Elend gleich den vorher so kraftvollen, gesunden Sohn erkennen. Heiß stieg es Joachim von Eickstedt in die Augen, als er dann die Hände betrachtete.

»Er trug an der linken Hand unseren Siegelring«, sagte er tonlos, »und eine goldene Armbanduhr, die er von seiner Mutter zum achtzehnten Geburtstag geschenkt bekam.«

»Das könnte mit unseren Feststellungen übereinstimmen«, erklärte Dr. Behnisch.

»Können Sie Ring und Uhr genau beschreiben?« fragte der Kommissar. Der Baron nickte stumm.

Er beugte sich zu dem Kranken. »Marian«, sagte er erschüttert, »ich bin da, dein Vater. Hörst du mich? Erkennst du meine Stimme? Juanita wird zu uns kommen. Es wird alles gut werden, es muß!«

Aber es schien allein der Name Juanita wieder gewesen zu sein, der in Marians Bewußtsein drang. »Nita«, kam es wie ein Hauch über seine trockenen Lippen.

Der Baron konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie rannen über sein blasses, hageres Gesicht und fielen auf die Bettdecke. »Mein Gott, was haben sie ihm angetan«, murmelte er.

»Jetzt haben wir eine Spur. Wir wissen, wo er gefunden wurde«, sagte der Kommissar. »Suchhunde werden uns helfen.«

»Wastl«, sagte der Baron.

*

»Wir werden Juanita vorbereiten«, sagte Dr. Behnisch, als sie das Krankenzimmer verlassen hatten.

»Ich kann es nicht«, murmelte der Baron. »Bitte, tun Sie alles für meinen Sohn. Alles, was ich noch besitze, gebe ich dafür.«

»Ich bitte Sie, Sie sind doch sicher in einer Krankenversicherung.« Dr. Behnisch legte dem Baron die Hand auf die Schulter. »Verlieren Sie jetzt die Hoffnung nicht.«

»Wir werden die Täter finden«, brummte der Kommissar.

»Sie meinen, daß es mehrere sind?«

»Es deutet alles darauf hin. Wir werden jetzt an die Arbeit gehen.«

»Ich werde mitkommen«, sagte Baron Joachim. »Ich werde Wastl holen. Mich kennt er schon.«

»Und ich werde mit Juanita sprechen«, sagte Jenny leise. »Vergessen Sie den Detektiv Kring nicht, Herr Kommissar.«

»Wir werden nichts vergessen«, erwiderte der mit einem erzwungenen Lächeln. An ihm lief das auch nicht einfach so ab. Nur hatte er eben oft mit ähnlich grausamen Geschehnissen zu tun. Bei ihm gehörte das zur täglichen Arbeit, wie in der Klinik die Betreuung von Schwerkranken.

Jenny ging nun zu Juanita. Sie war aufgestanden und blickte zum Fenster hinaus.

»Wie fühlen Sie sich, Juanita?« fragte Jenny vorsichtig.

»Es geht schon besser. Ich muß doch einiges tun.«

»Sie werden die Klinik noch nicht verlassen und sich erneut in Gefahr begeben«, erklärte Jenny energisch. »Hier werden Sie jetzt sehr nötig gebraucht.«

»Haben Sie eine Beschäftigung für mich? Ich möchte nicht immer daliegen und grübeln.«

»Jetzt setzen Sie sich erst mal. Ich möchte Ihnen etwas erklären.«

Juanita blickte sie erwartungsvoll an. »Sie sollen uns bei der Betreuung eines Kranken helfen, Juanita«, sagte Jenny stockend. Juanitas Augen wurden ganz weit, dann lief ein Zucken über ihr Gesicht. »Marian?« fragte sie bebend.

»Sie dürfen sich nicht aufregen. Er hatte einen Unfall!« Die ganze Wahrheit wollte ihr Jenny nicht gleich sagen. »Es wird ihm eine Beruhigung sein, wenn er Ihre Nähe fühlt«, fuhr sie dann rasch fort. »Haben Sie die Kraft?«

»Ist es sehr schlimm?« fragte Juanita zitternd.

»Ja, es ist schlimm, aber wir haben Hoffnung«, erwiderte Jenny. »Er denkt an Sie, Ihr Name ist alles, was in sein Bewußtsein dringt.«

Juanita schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. »Ich kleide mich an. Ich will zu ihm«, sagte sie ganz tapfer.

»Wir sind immer zur Stelle«, sagte Jenny liebevoll. »Allzuviel dürfen Sie sich nicht zumuten, Juanita.«

Schon wenige Minuten später trat Juanita angekleidet auf den Flur. Jenny sprach mit Schwester Martha, trat aber schnell auf das Mädchen zu und legte ihren Arm um die schmale, zerbrechlich wirkende Gestalt. Auch ihr sagte sie, daß sie wegen des Kopfverbandes nicht erschrecken solle.

»Wir werden die Augen freilegen, sobald er bei Bewußtsein ist«, sagte sie.

Juanita lehnte am Türrahmen. »Wie ist das geschehen?« fragte sie bebend.

»Wir wissen es noch nicht. Jetzt ist es nur wichtig, daß er weiß, daß Ihnen nichts geschehen ist, Juanita. Es wird ihn beruhigen und ihm Kraft geben.«

Sie schob einen bequemen Sessel dicht an Marians Bett. Juanitas Hand tastete sich auf seine Rechte, die auf der Bettdecke lag. Sie sah jetzt durch einen Tränenschleier die zerschundenden Knöchel. Sie beugte sich nieder und streichelte die Hand mit ihren Lippen.

»Liebster Marian«, sagte sie und küßte dann auch den blassen Mund. Und da hob ein tiefer Seufzer seine Brust. »Nita«, hauchte er wieder.

»Ich bin bei dir, ich bleibe bei dir«, sagte sie. »Du mußt gesund werden.«

»Ich will«, sagte er nun deutlicher, und Jenny atmete auf. Der erste Schritt war getan und gelungen.

*

»Was denkst du denn, Mami?« fragte Danny, als Fee, den Kopf in die Hand gestützt, auf die Zeitung starr-

te.

Sie konnte ihm nicht sagen, was sie dachte. Der Junge konnte das ja doch nicht verstehen. Die Meldung, die sie gelesen hatte, war kurz. Marian von Eickstedt wird dringend gebeten, sich mit Vater in Verbindung zu setzen.

Hoffentlich lesen sie das, diese Verbrecher, dachte Fee, dann wissen sie nicht, daß ihr Opfer bereits identifiziert ist. Dann wiegen sie sich in Sicherheit.

»Ich muß jetzt mal telefonieren, Danny«, sagte Fee. »Geh doch wieder in den Garten, und spiel mit deinen Geschwistern.«

»Fährst du heute wieder weg, Mami? Bei uns ist alles durcheinander. Es sind doch Schulferien. Wir könnten mal Ski fahren.«

»Das tun wir auch, Danny, aber wenn es schneit, werdet ihr naß und erkältet euch.«

»Wir sind doch nicht aus Zucker«, sagte er.

Ja, die Kinder waren in den letzten Tagen zu kurz gekommen, aber Juanitas und Marians Schicksal konnte Fee nicht kalt lassen. Sie rief in der Behnisch-Klinik an. Jenny erstattete ihr kurz Bericht und gab sich jetzt hoffnungsvoll.

»Und Stone hat sich noch immer nicht gemeldet?« fragte Fee.

»Er scheint es doch mit der Angst bekommen zu haben.«

»Er soll nicht ungeschoren davonkommen«, sagte Fee erbittert.

»Alle Schuld rächt sich auf Erden«, sagte Jenny weise.

Indessen hatte Baron Joachim Wastl zum Mitkommen bewegt. Es war nicht einfach gewesen, denn Chérie begann laut zu winseln, als der Baron Wastl Marians Reitstiefel und eine Jacke beschnuppern ließ.

»Wastl sucht dein Herrchen«, sagte der Baron. »Du mußt brav sein, Chérie.«

»Wuw«, machte Wastl und ging

mit.

Sie fuhren zu der Stelle, wo Marian gefunden worden war. Dichte Tannen hatten verhindert, daß hier eine dichte Schneedecke lag, aber es war doch fraglich, ob Wastl nach diesen Tagen noch Witterung aufnehmen konnte.

Er schnüffelte zuerst auch nur herum, aber dann schabte er plötzlich den verharschten Schnee weg und zerrte ein blutverschmiertes Taschentuch heraus. Er legte es dem Baron vor die Füße, und dann stob er davon, so schnell, daß niemand ihm folgen konnte. Aber Wastl bewies, daß er ein gescheiter Hund war. Er blieb stehen und blickte sich um, wartete, bis der Kommissar und seine Begleiter heran waren und rannte dann wieder weiter, daß seine Bewacher wieder ins Schwitzen gerieten. Baron Joachim kam mit dem Tempo nicht mit. Ein Polizist blieb bei ihm zurück.

»Jetzt sind wir bald beim Gut«, sagte der Baron keuchend.

»Da ruhen Sie sich aus«, sagte der Polizist gutmütig. »Mal sehen, wohin uns der Hund führt.«

Aber Wastl machte beim Gutshaus ebenfalls halt. »Such weiter, Wastl«, sagte der Baron.

Wastl legte sich zu seinen Füßen nieder. »Ja, hier ist Chéries Herrchen zu Hause, aber wir wollen noch mehr finden«, sagte der Baron.

Wastl rührte sich nicht vom Fleck. »Es ist wohl sinnlos«, sagte der Kommissar. »Es ist auch ein bißchen viel verlangt, in dem Schnee noch eine Spur zu finden. Komm, Wastl, ich bringe dich zurück.«

Wastl machte keine Anstalten, sich zu erheben. »Willst wohl erst eine Belohnung haben«, sagte der Baron. »Na, dann komm mal. Und den Herren darf ich wohl auch eine Stärkung anbieten.«

»Ihr könnt den Wagen holen und mich hier abholen«, sagte der Kommissar.

Wastl bekam von der Haushälterin Berta einen schönen Fleischknochen, aber er rührte ihn nicht an. Wachsam legte er die Ohren zurück.

»Was er nur hat«, sagte der Baron nachdenklich. »Hier hat man Marian nicht aufgelauert. Wir wissen doch, daß er in die Stadt gefahren ist. Außerdem hätte Chérie dann nicht einen weiten Weg zurücklegen müssen.«

»Es war den Versuch wert«, sagte der Kommissar. »Wir haben das Taschentuch.«

»Es gehört nicht meinem Sohn.«

»Um so besser.«

Der Kommissar labte sich am heißen Tee und belegten Broten. Plötzlich begann Wastl zu knurren. Ein Auto nahte. Wastl begann lauter zu knurren. Der Kommissar trat ans Fenster, wich aber rasch zurück. »Sie bekommen Besuch, Herr Baron«, sagte er leise. »Ich halte mich zurück. Komm, Wastl.«

Wastl folgte ungern, aber er folgte dem Kommissar ins Nebenzimmer. Seltsamerweise verhielt er sich dort ganz still, als der Kommissar ihm den Kopf gekrault hatte.

Gleich darauf fragte Korbinian, ob der Herr Baron einen Mr. Stone empfangen würde.

Joachim von Eickstedt hielt den Atem an, der Kommissar ebenso, und Wastl drückte seine Schnauze neugierig in den Türspalt.

Doch da ertönte schon die andere Stimme: »Selbstverständlich wird mich der Baron empfangen. Ich bin ein Verwandter aus den Staaten, zwar nur ein entfernter Verwandter, aber es gibt wichtige Dinge zu erörtern.«

Joachim von Eickstedt hatte seine Fassung wiedergewonnen und folgte geistesgegenwärtig einer inneren Stimme. Er gab sich unwissend.

»Darf ich fragen, wie das verwandtschaftliche Verhältnis zustande kommt?« fragte er zurückhaltend.

»Meine unvergessene Granny war die Schwester Ihres Vater, Amelie von Eickstedt, verheiratete Stone.«

»Wir hatten keine Verbindung«, sagte der Baron steif.

»Ich weiß, ich weiß, aber Juanita hat wohl Verbindung zu Ihnen aufgenommen und deshalb bin ich hier. Meine reizende Cousine ist nämlich gleichzeitig meine Frau, und sie hat bedauerlicherweise alle diesbezüglichen Papiere an sich genommen.«

»Und warum das?« fragte der Baron, augenblicklich ehrlich konsterniert.

»Sie leidet an Wahnvorstellungen. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber es ist so. Der tragische Tod ihrer Mutter hat ihren Geist verwirrt. Ich werde Ihnen das gern erzählen, Herr Baron. Sie legen wohl Wert auf diese Anrede.«

Doch in diesem Augenblick war Wastl nicht mehr zu halten. Er stieß die Tür auf und sprang auf Stone zu, der einen Entsetzensschrei ausstieß und unter dem Gewicht des wütenden Tieres rückwärts stürzte. So aggressiv war Wastl in seinem jungen Hundeleben noch nie gewesen, und die beiden Männer ahnten nicht, daß Stone vor allem deshalb so entsetzt war, weil er meinte, das sei Chérie. Auf den Gedanken kamen sie erst später, als Wastl sich vom Baron beruhigen ließ und der Kommissar Stone mit hartem Griff emporzog. Der war augenblicklich noch so benommen, daß er taumelte, aber dann machte er doch den Versuch, die Flucht zu ergreifen. Aber da war Wastl schon wieder zähnefletschend bei ihm, und im nächsten Augenblick kamen auch die beiden Polizisten, die den Wagen des Kommissars gebracht hatten.

»So, Mr. Stone, nun erzählen Sie mal Ihre interessante Geschichte«, sagte der Kommissar sarkastisch.

»Ich sage gar nichts«, zischte er. »Ich will meinen Anwalt.«

»Und wie heißt der?« fragte der Kommissar. »Vielleicht Keller? Den erwarten wir nämlich in Kürze sowieso.«

Stone sackte zusammen. »Untersucht ihn«, befahl der Kommissar den Beamten.

Stone mußte sich die Leibesvisitation gefallen lassen, und dabei wurde allerhand zutage gefördert.

»Ja, was ist denn das?« tat der Kommissar erstaunt, als Marians Siegelring und die Armbanduhr neben Geldbündeln und Reiseschecks auf dem Tisch lagen.

»Ich wollte dies dem Baron bringen«, schrie Stone wütend. »Juanita hat dies seinem Sohn weggenommen.«

»Ach, Kleptomanin soll sie auch noch sein«, meinte der Kommissar anzüglich. »Und was sonst noch?«

»Verrückt ist sie, völlig verrückt!« stieß Stone hervor.

»Wir werden Sie erst einmal auf Ihren Geisteszustand untersuchen lassen«, erklärte der Kommissar eisig. »Solche Lügenmärchen kann sich doch kein normaler Mensch ausdenken. Führt ihn ab, aber mit Handschellen. Und Sie, Herr Baron, hören von uns. Bringen Sie Wastl bald zurück, damit Chérie schnell auf die Beine kommt. Wir werden sie auch brauchen.«

Und diese Worte mußten Stone wohl den Rest geben, denn er mußte von den Beamten buchstäblich hinausgeschleppt werden.

»Bist wirklich ein guter Hund«, sagte der Baron, noch ganz verstört, zu Wastl. »Und dich habe ich hergegeben.«

Das jedoch schien Wastl nicht zu rühren. Er holte sich jetzt seinen Knochen und nahm ihn mit. Es sollte ein Geschenk für Chérie sein, wie sie dann feststellen konnten.

Der erste Schrecken war überstanden. Jetzt ließ sich der Baron sogar überreden, im Jagdschlössel einen Imbiß einzunehmen. Wastl leistete wieder seiner Freundin Gesellschaft, die jetzt auch einen zufriedenen Eindruck machte und sacht an dem Knochen nagte. Zumindest die Hundewelt schien in Ordnung.

Der Baron wollte nun zur Behnisch-Klinik fahren, um dort Bericht zu erstatten. Doch da erschien Carola von Gölltau.

Sie wich betroffen ein paar Schritte zurück, als sie den Baron vor sich sah.

»Du hier?« fragte sie überstürzt.

»Warum nicht? Es ist ein Hotel und auch Restaurant. Man kann sehr gut speisen, falls du deshalb gekommen bist.«

Damit hatte er ihr bereits jeden Wind aus den Segeln genommen, denn er war ganz sicher, daß sie nicht deshalb gekommen war. »Ich wollte gerade gehen«, sagte er kühl.

»Es wird dich interessieren, daß ich eine Nachricht von Marian bekommen habe«, erklärte sie nun.

»Tatsächlich? Ja, das interessiert mich. Von wo hat er geschrieben?«

»Von Frankfurt. Ich soll hier etwas für ihn abholen.«

»Von hier?«

»Ja, diese Juanita hat hier etwas für ihn hinterlegt. Bitte, wenn du mir nicht glaubst, hier ist seine Karte und der Hinterlegungsschein.«

Der Baron erkannte die Schrift seines Sohnes, aber diese war nicht flüssig, sondern abgehackt geschrieben.

Liebe Carola, bin in einer schwierigen Lage. Bitte, hole den Koffer vom Jagdschlössel und bring ihn Mittwoch zwölf Uhr zum Flughafen. Ich erkläre Dir alles. Danke. Dein Marian.

»Wie du siehst, hat er es sich anders überlegt. Er hat sich für mich entschieden«, sagte sie triumphierend.

»Nun hängst du da auch drin«, sagte der Baron.

»Was soll das nun wieder heißen?« fragte sie.

Der Baron betrachtete den Umschlag. Er war tatsächlich in Frankfurt abgestempelt mit dem gestrigen Datum. Aber da hatte Marian schon ein paar Tage in der Behnisch-Klinik gelegen.

Jetzt war Joachim von Eickstedt seltsam ruhig. »Möchtest du einen Drink? Wir müssen uns unterhalten, Carola«, sagte er.

Und Sepp raunte er zu, daß er wieder die Polizei rufen solle. Aber Carola schien ganz unbefangen zu sein. Sie zeigte keine Spur von Unsicherheit. Sie hörte sogar sehr gespannt zu, als er erzählte, was Juanita hier widerfahren sei. Als er dann aber sagte, daß Marian schon mehrere Tage schwerverletzt in der Behnisch-Klinik läge, sprang sie auf.

»Wer will mich da aufs Kreuz legen?« fragte sie erregt.

»Ja, das frage ich mich auch, aber das werden diese netten Beamten schon herausbringen.« Der Funkstreifenwagen war schon da. Und Carola war so fassungslos, daß sie den Beamten wortlos folgte, als sie höflich ersucht wurde, mit ihnen zum Präsidium zu fahren.

»Da sieht man mal wieder, wie leicht man einen hereinlegen kann«, brummte Sepp.

Nun, Marian hatte man gewiß nicht leicht hereingelegt. Man mußte ihn gezwungen haben, diese Zeilen zu schreiben. Aber die Gangster schienen sich auch immer noch sicher zu fühlen. Einer von ihnen jedoch nicht. Der saß bereits auf Nummer Sicher und tobte wie verrückt: Jim Stone.

Er war jetzt ein Fall für den Psychiater, aber der Kommissar hegte den Verdacht, daß er dies auch schon früher gewesen war. Er hatte seine Erfahrungen gesammelt. Ein eiskalter Krimineller machte nicht solche Fehler, wie Jim Stone sie gemacht hatte. Nun, eingestehen mußte man, daß auch dabei der Kommissar Zufall eine Rolle gespielt hatte und eine noch bessere der Wastl, der wohl doch das meiste und richtige Gespür hatte.

*

Juanita wich nicht von Marians Bett. Sie lauschte auf jeden Atemzug, und endlich spürten ihre zitternden Finger auch seinen Puls.

Ab und zu strich sie mit dem Zeigefinger leicht über seine Lippen, und atemlos betrachtete sie ihn, als sich diese blassen Lippen nun leicht öffneten.

»Ich liebe dich«, flüsterte er, »nur dich. Angst«, stöhnte er dann aber gleich auf.

»Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Niemand wird dir hier etwas tun können, Marian«, sagte sie.

»Angst um dich, Chérie.« Damit meinte er auch nur sie, und ein weiches Lächeln legte sich um ihren Mund. Er hatte ihr damals ja geschrieben, daß er die Hündin so nennen würde, damit er oft Chérie sagen könne, und immer waren seine Gedanken dann auch bei ihr. Und nun geriet sie ins Träumen.

»Es wird bald wieder so wie früher sein, Marian«, sagte sie. »Du mußt jetzt viel schlafen. Papa wird dich oft besuchen. Er möchte es gern, daß ich Papa zu ihm sage.«

»Das Geld, er braucht das Geld. Ich muß es holen, Nita.«

»Mach dir keine Sorgen um Geld, Marian, mach dir überhaupt keine. Es wird alles gut.« Immer wieder sagte sie es und streichelte seine zerschundenen Hände.

Er schlummerte wieder ein, aber sein Herz schlug stärker und sein Atem ging ruhiger.

Jenny Behnisch kam leise herein. Juanita schenkte ihr ein liebes Lächeln.

»Er hat mit mir gesprochen«, sagte sie leise. »Er weiß, daß ich bei ihm bin.«

Jenny streichelte ihr Haar. »Es wird alles gut werden, kleine Juanita«, sagte sie mütterlich.

»Das habe ich auch gesagt. Ich glaube daran. Ich habe immerzu gebetet. Es hilft, wenn man betet und glaubt.« Und es gab wieder Menschen in ihrem Leben, denen sie vertrauen konnte.

Dann kam der Baron. Auf Zehenspitzen trat er ans Bett. Er küßte Juanita auf die Stirn.

»Liebe kann Wunder vollbringen«, murmelte er. »Ich bin glücklich, daß du hier bist, Juanita. Du mußt mir viel verzeihen.«

»Ich habe immer gedacht, daß du nicht soviel anders sein kannst als Marian, du bist doch sein Vater.« Sie nahm seine Hand und drückte sie an ihre Wange, und nun war er ruhig und konnte erzählen, was er an diesem Tag schon erlebt hatte.

Sehr nachdenklich war sie geworden. »Sie riskieren viel, Papa«, flüsterte sie.

»Es muß auch um viel Geld gehen, um viel mehr, als ich dachte.«

»Du meinst Stone?«

Sie nickte. »Aber er ist dumm«, sagte sie. »Barnet steckt dahinter, aber er nicht allein. Dr. Keller wird kommen. Vielleicht wird er nun sprechen. Jetzt bin ich ja einundzwanzig.«

»Wann bist du einundzwanzig geworden?«

»Am Silvestertag.« Sie lächelte traurig. »Ich wollte mit Marian feiern.«

Er legte seinen Arm um sie. »Dann hoffen wir nur, daß das neue Lebensjahr besser wird, als es anfing, Juanita«, sagte er.

»Es hat ja schon angefangen, besser zu werden«, sagte sie tapfer.

»Der Kommissar wird dir viele Fragen stellen«, fuhr er nach einem ganz kurzen Schweigen fort. »Stone behauptet wirklich immer noch, daß er mit dir verheiratet sei und daß du die Papiere einfach an dich genommen hast.«

»Es ist alles ganz anders. Es ist eine Teufelei, und die hat Barnet ausgeheckt«, sagte sie. »Aber es wird alles aufgeklärt werden, wenn ich die Dokumente habe. Ich werde sie bald holen.«

»Du gehst nicht hier heraus, bevor die Burschen nicht gefaßt sind, Juanita. Morgen ist Mittwoch, da kann sich auch noch etwas entscheiden.« Und er erzählte von Carola, von der Karte, die ihr geschickt worden war.

»Barnet wußte von Carola«, sagte sie leise. »Er sagte mir, daß ich nicht auf Marian zu warten brauche, er würde Carola heiraten. Das war eigentlich das Schlimmste, das Allerschlimmste. Deshalb zweifelte ich auch an Marian.«

»Da muß Marian schon in ihrer Gewalt gewesen sein. Vielleicht hat er zuerst keinen Argwohn gehegt und mit ihnen normal gesprochen. Ja, nur so ist es doch eigentlich zu erklären. Mag Carola sein wie sie will, ich traue ihr nicht zu, daß sie zu solcher Gemeinheit fähig ist, mit Gangstern gemeinsame Sache zu machen.«

Nachdenklich blickte ihn Juanita an. »Ich habe ja zuerst auch nicht gedacht, daß Barnet so gemein sein könnte. Er ist Arzt, ich mochte ihn nicht, aber daß er kriminell sein könnte, habe ich nicht vermutet. Vielleicht hat Mama etwas herausgebracht, und er brachte sie deshalb um. Tod durch Ertrinken, haben sie gesagt, aber Mama war eine sehr gute Schwimmerin.«

»Was hast du durchgemacht«, murmelte er. »Ich schäme mich, daß ich Zweifel an deinen Absichten laut werden ließ, Juanita. Ich hätte warten sollen, bis ich dir sagen konnte, daß es bei uns kaum noch etwas zu holen gibt. Dann hätte ich ja gesehen, wie du reagierst.«

»Liebe und Geld haben doch gar nichts miteinander zu schaffen, Papa«, sagte sie. »Jetzt sag mir lieber, wie es Chérie geht.«

»Viel besser.«

Ein weiches Lächeln durchleuchtete ihr zartes Gesicht. »Siehst du, wir haben schon ein bißchen Grund uns zu freuen.«

*

Dr. Norden wurde unterdessen auch einem Verhör unterzogen, das allerdings sehr wohlwollende Formen annahm, als er erklärt hatte, daß er keinen Anlaß gesehen hätte, die Polizei zu rufen, als Juanita gefunden worden war. Er genoß als Arzt einen so guten Ruf, daß man ihm Glauben schenkte, obgleich er diesmal doch ein bißchen geschwindelt hatte.

Juanitas Ringe waren bei Stone nicht gefunden worden. Die Reiseschecks, die er bei sich trug, waren auf seinen Namen ausgestellt worden. Ob das Bargeld Juanita gehört hatte, konnte man noch nicht sagen. Man zeigte sich so verständnisvoll, daß man sie an diesem Tage noch m Ruhe lassen wollte. Dr. Keller war noch nicht eingetroffen, aber der Kommissar hatte in Erfahrung gebracht, daß er mit der Maschine kommen würde, die am nächsten Morgen in München eintreffen würde.

Mit Spannung sah man seiner Ankunft entgegen. Um acht Uhr dreißig sollte die Maschine landen. Der Kommissar hatte sich am Flughafen eingefunden, da ein Name in der Passagierliste, in die ihm Einblick gewährt worden war, ihn stutzig gemacht hatte. Es sollte sich für ihn lohnen, daß er, trotz der vielen Arbeit, die er jetzt zu bewältigen hatte, die Zeit opferte.

Dr. Keller kam nicht allein. In seiner Begleitung befand sich eine junge Dame, die auf den ersten Blick eine gewisse Ähnlichkeit mit Juanita aufwies. Sie wirkte aber forscher und robuster, wenn man sie dann näher betrachtete.

Der Kommissar hielt sich im Hintergrund, während Fee auf Dr. Keller, der ihr von Juanita genau beschrieben worden war, zuging. Er war ein mittelgroßer, unauffälliger Mann, so um die sechzig.

Fee wurde mit einem Blick bedacht, der sie stutzig und wachsam zugleich machte.

»Es ist sehr liebenswürdig, daß Sie mich abholen, Frau Doktor«, sagte er. »Darf ich Sie mit Mrs. Juanita Stone, geborene Ramirez, bekannt machen?«

Wäre dieser seltsame Blick vorab nicht gewesen, so wäre Fee jetzt wohl völlig aus der Fassung geraten.

»Oh, das ist eine Überraschung«, stammelte sie. »Da wird Mr. Stone sich sicher freuen.« Wieder einmal hatte sie ihre Geistesgegenwart bewiesen, und sie fing ein anerkennendes Lächeln von Dr. Keller auf, das ihn gleich viel sympathischer erscheinen ließ.

»Wie geht es Jim?« fragte die junge Frau.

Der Kommissar war nähergetreten. »Nicht so gut«, beantwortete er diese Frage, worauf sie ihn mit einem erstaunten Blick musterte.

»Baum ist mein Name«, stellte er sich vor, und Fee wurde es bewußt, daß sie auch seinen Namen zum ersten Mal hörte. »Wir mußten Mr. Stone leider in eine Klinik einweisen, da er einen Nervenzusammenbruch hatte.«

»Einen Nervenzusammenbruch«, wiederholte Mrs. Stone, »nun, das ist nicht verwunderlich, er war nie nervenstark. Sind Sie Arzt?«

»Nein, Polizeikommissar, und ich muß Sie bitten, mich zu begleiten, Mrs. Stone.«

»Hat er etwas angestellt? Ist Dr. Barnet nicht bei ihm?« fragte sie argwöhnisch, aber keineswegs verschreckt.

»Nein, Dr. Barnet ist leider nicht bei ihm. Wir hoffen, daß wir ihn bald finden werden.«

Mrs. Stone sah Dr. Keller an. »Würden Sie mich begleiten?« fragte sie nun doch unsicher.

»Das geht momentan nicht, Mrs. Stone. Wir werden uns bestimmt treffen«, erklärte er. »Sie haben nichts zu fürchten.«

»Sie sind in ganz sicherem Schutz«, erklärte Kommissar Baum mit einem zweideutigen Lächeln.

»Was bedeutet das?« fragte Fee verwirrt, als Dr. Keller mit einem erleichterten Seufzer in ihrem Wagen Platz genommen hatte.

»Daß es tatsächlich eine Mrs. Stone gibt, die eine geborene Ramirez ist, Frau Dr. Norden. Es ist kein seltener Name. Man findet schnell ein Mädchen, das so heißt, wenn man es darauf anlegt. Für mich ist es ein purer Glückszufall, daß ich dahintergekommen bin. Sie werden alles erfahren, wenn wir Juanita treffen. Ich möchte die Geschichte nicht ein paarmal erzählen. Dieser Flug war der aufregendste meines Lebens, und ich bin ja nicht mehr der Jüngste. Man scheint hier sehr fix zu sein. Daß gleich ein Kommissar bereitsteht, hätte ich nicht erwartet. Ich habe die ganze Zeit überlegt, wie man dieses unbedarfte Wesen in Sicherheit wiegen könnte.«

»Ist sie unbedarft?«

»Es scheint so, zumindest was den Geist betrifft. Eine junge Frau, die sich durch eine Heirat Vorteile versprach. Dr. Barnet hat das arrangiert, wie alles andere wohl auch. – Wie geht es Juanita?« lenkte er dann ab.

»Etwas besser.«

»Warum hatte sie nur kein Vertrauen zu mir?« fragte er beklommen.

»Ich glaube nicht, daß es eine Frage des Vertrauens war. Sie wollte ihren

einundzwanzigsten Geburtstag mit ihrem zukünftigen Mann feiern und fürchtete, daß Sie das verhindern würden.«

»Ich hatte leider vielerlei Gründe, gegen jedermann mißtrauisch zu sein, der sich an Juanita heranmachte«, sagte er mit einem schweren Seufzer. »Sie werden diese erfahren. Es hätte schiefgehen können und wie stünde ich dann da? Schließlich bin ich Juanitas Vermögensverwalter, und es gibt keinen anderen Erben als sie und mich. Mich allerdings nur als Letzten, den die Hunde beißen würden, wie man hier sagt. Ich kenne diese Sprichwörter. Ich wäre meines Lebens nicht mehr sicher gewesen, und ich habe mich doch so auf einen ruhigen Lebensabend gefreut.«

Man konnte sagen, daß Fee jetzt gespannt wie ein Flitzbogen war und es kaum noch erwarten konnte, Dr. Kellers Geschichte zu hören.

Zu diesem Gespräch hatten die Behnischs ihr Chefzimmer zur Verfügung gestellt. Der Baron war auch schon in der Klinik eingetroffen. Dr. Keller betrachtete ihn skeptisch, aber Juanita sagte: »Ich wünsche, daß mein zukünftiger Schwiegervater dabei ist, Onkel Theo.«

»Du hast zu bestimmen, Juanita«, sagte er, »aber du gestattest, daß ich dir wenigstens nachträglich zum Geburtstag gratuliere. Die Geschenke sind in diesem Koffer, doch das Wichtigste trage ich bei mir. Da es zugleich auch die offizielle Testamentseröffnung ist, möchte ich dich fragen, ob Zeugen zugegen sein sollen.«

»Doch, das will ich«, erwiderte Juanita mit fester Stimme. »Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben richtige Freunde gefunden.«

»Betrachtest du mich nicht mehr als solchen?«

»Für mich warst du mein einziger Onkel«, sagte sie. »Aber es hat eine Zeit gegeben, in der ich dir auch nicht mehr traute. Verzeihst du mir?«

»Es hätte leicht ins Auge gehen können, mein Kind«, erwiderte er. »Nun, dann fangen wir mal mit dem Testament an. Deine Mutter war ja ein ahnungsloses Wesen, Juanita. Dein Vater hatte sie in nichts eingeweiht. Sie verstand auch nichts von Geschäften. Sie war hilflos, als er starb. Und sie war noch jung und schön. Immerhin hatte dein Vater ein Testament hinterlassen, das dich zur Alleinerbin bestimmte. Das hat Julia gekränkt. Später war sie froh darüber. Nur sagte sie es niemandem, daß sie nur die Nutznießung hätte, auch Barnet nicht, der sie umwarb.

Das Testament ist kurz und bündig. Du erbst ein Barvermögen von drei Millionen Dollar, Liegenschaften im zehnfachen Wert und Land, dessen Wert noch nicht zu schätzen ist. Genügt es dir, wenn ich das einfach so sage? Du bekommst die Aufschlüsselung schriftlich.«

Juanita sah den Baron an. »Siehst du, Papa, wir können deine Schulden leicht bezahlen«, sagte sie mit umwerfender Naivität, die verriet, wie wenig ihr Zahlen bedeuteten.

»Mir ist das peinlich, Kind«, sagte der Baron leise.

»Wieso, wir gehören doch zusammen. Du wirst dich mit Onkel Theo schon anfreunden. Er kann sich auf dem Gut mal richtig erholen von seinem Streß.«

»Das ist allerdings ein akzeptables Angebot«, meinte Dr. Keller humorvoll. »Also weiter. Barnet machte sich nicht von ungefähr an deine Mutter heran. Jim Stone war eine Zeit in seiner Klapsmühle. Man verzeihe mir diesen Ausdruck, aber man wird ihn verstehen, wenn ich Dr. Barnets Vergangenheit durchleuchte. Es hat mich viel Mühe gekostet, dies in Erfahrung zu bringen. Barnet war vor zehn Jahren ein hoffnungsvoller junger Neurologe. Er war sehr ehrgeizig und wollte schnell zu Geld und Ansehen kommen. Das konnte er in einer Privatklinik, dessen Besitzer bald darauf starb. Barnet heiratete die Witwe, die zwanzig Jahre älter war als er und nach drei Jahren eines natürlichen Todes an einem Schlaganfall starb. Sie war schwergewichtig und trank gern. Das nur nebenbei. Barnet hatte sich indessen einen guten Namen gemacht. Er nahm ja nur reiche Verrückte auf. Wer kümmert sich schon darum, wie sie behandelt wurden. Sein schneller Reichtum war Barnet allerdings zu Kopf gestiegen. Er war öfter in Las Vegas als in seiner Klinik, und beim Spiel hatte er nicht viel Glück. Aber er hörte dort von Land, auf dem nach Öl gesucht wurde. Und dieses Land gehörte Ramirez. Barnet erfuhr, daß dieser gestorben war und eine noch schöne jugendliche Frau hinterlassen hatte. Und mit aller Raffinesse machte er sich an sie heran. Julia war eine Frau, die hilflos im Leben stand nach dem Tode ihres Mannes. Es tut mir leid, sagen zu müssen, daß deine Mutter labil war, Juanita. Sie war reizend und liebenswert, aber leicht beeinflußbar. Und sie heiratete Barnet, ohne viel von ihm zu wissen, in der Annahme, daß er selbst reich genug sei, um sich nicht für ihr Vermögen zu interessieren. Doch andere hatten sich schon für seine Klinik interessiert.«

»Was spielt denn Stone für eine Rolle, Onkel Theo?« fragte Juanita, als er eine Pause einlegte.

»Ach ja, ich vergaß zu sagen, daß der Mann, von dem er von den Ölfeldern erfuhr, Stone war, der als Croupier in Las Vegas arbeitete. Ich bin anscheinend doch ein bißchen müde.«

»Kaffee?« fragte Fee.

»Ja, gern«, erwiderte er. »Und ein bißchen frische Luft möchte ich auch schöpfen.« Er ging zum Fenster und öffnete es weit. Kalte, klare Luft strömte herein. »Ein Bilderbuchwinter«, sagte Dr. Keller verhalten. »Das lerne ich jetzt erst kennen. Meine Mutter erzählte davon. Sie wanderte mit ihrem Mann vor dem ersten Weltkrieg aus.« Er tat noch ein paar tiefe Atemzüge, schloß das Fenster wieder und setzte sich. »Ich möchte das doch hinter mich bringen, vielleicht kann ich mich dann erholen«, meinte er.

Und der Kaffee stand bereit. »Also reden wir von Stone, um das Bild erst abzurunden. Seine Mutter war tat-sächlich geisteskrank, sein Vater ein ganz solider Mann. Und eine schlechte Partie hatte Amelie von Eickstedt mit seinem Großvater auch nicht gemacht.« Er sah den Baron an.

»Ich dachte, dessen erste Frau sei geisteskrank gewesen«, sagte der Baron.

»Nein, das stimmt nicht. Da wurden die Generationen durcheinander gebracht«, sagte Dr. Keller. »Fred Stones Frau starb schon bei der Geburt des Sohnes. Amelie hat sich dieses Kindes sehr liebevoll angenommen, wie ich von Julia weiß. Aber sie hat sich mit ihrem Stiefbruder nie verstanden. Er heiratete dann auch ein recht vermögendes Mädchen, als er gerade zwanzig war. Das Kind war schon unterwegs, und das ist unser Jim Stone. Seine Mutter war manisch-depressiv, aber es wurde mit ihr noch schlimmer, und er ist erblich belastet. Allerdings kein Fall für eine geschlossene Anstalt, bisher wenigstens nicht. Barnet hat diese erbliche Belastung aber schnell durchschaut. Wie ich schon sagte, hätte er eine vielversprechende Karriere machen können, wenn er nicht so geldgierig und dann wiederum nicht vom Spielteufel besessen gewesen wäre. Stone war ihm ein willfähriges Werkzeug, als die Ehe mit Julia doch nicht so lief, wie er erwartet hatte.«

»Hat Stone Mama umgebracht?« fragte Juanita bebend.

»Kindchen, sie wurde nicht umgebracht. Sie starb an einem Herzschlag«, sagte Dr. Keller. »Du mußt das glauben. Man stellte erst bei der Obduktion fest, daß sie einen Herzfehler hatte. Für Barnet kam ihr früher Tod sehr unerwartet. Er hatte sie ja noch nicht veranlassen können, ein Testament zu seinen Gunsten zu machen und ihn als Testamentsvollstrecker für dich zu bestellen. Und für ihn war es bestimmt ein wahnsinniger Schock, daß er nichts erben würde. Aber da war Jim Stone, dein Cousin, und da schmiedete er den Plan, dich mit ihm zu verheiraten.«

»Aber ich habe mich geweigert, sag es, Onkel Theo.«

»Ja, ich sage es, und Barnet war zu klug, um zu diesem Zeitpunkt zuviel zu riskieren. Was er plante, nahm erst Gestalt an, als er eine Krankenschwester suchte und ihm eine offeriert wurde, die den Namen Ramirez trug, und der Teufel wollte es, daß sie Juana hieß.« Er ließ den Kopf sinken. »Ich habe das alles erst erfahren, seit du mich so plötzlich verlassen hattest«, fuhr er mit erstickter Stimme fort. »Ich wußte nicht, daß du von diesem Augenblick an in einer tödlichen Gefahr schwebtest.«

Eine lange Pause trat ein. »Ja, der Teufel war im Spiel. Aber vielleicht hatte er sowieso den Plan, dich umzubringen, aus purer Wut, weil ihm das Erbe entging. Er muß schon genauso verrückt sein wie Jim Stone, der mit allem einverstanden war, was Barnet dann ausdachte. Diese törichte Juana begriff doch gar nicht, was man mit ihr vorhatte, als Barnet sie überredete, Jim zu heiraten. Er versprach ihr Geld. Sie hat mir auf dem Flug erzählt, wie diese Heirat zustande kam.«

Und zu dieser Zeit erzählte Mrs. Stone diese Geschichte dem Kommissar Baum.

»Ich wußte doch gleich, daß Jim nicht ganz richtig im Kopf ist«, erklärte sie drastisch. Glücklicherweise beherrschte Baum die englische Sprache gut und konnte auch ihre Arglosigkeit heraushören.

»Dr. Barnet sagte mir, daß Jim mal eine Juanita Ramirez geliebt hätte und ihm die Tatsache helfen könnte, daß er mit einer Frau dieses Namens verheiratet wäre. Ich würde dafür so viel Geld bekommen, daß ich mir ein schönes Leben machen könnte. Mamma mia, ich war eine arme Krankenschwester und schon gewohnt, mit Leuten umzugehen, bei denen nicht alles stimmte, und Jim war ja auch ganz nett und handsam. Er sah auch gut aus, und ich habe immer die Pille genommen, damit ich nicht so ein gestörtes Kind in die Welt setze. Oft hat er sowieso nicht bei mir geschlafen. Was ist denn nun eigentlich los mit ihm? Hat er was angestellt?«

»Immerhin zwei versuchte Morde, in die er verwickelt ist«, sagte Kommissar Baum.

»Mordversuche? O Gott im Himmel, das nicht, nein, da mache ich nicht mit. Ich will mit Dr. Barnet sprechen.«

»Der ist leider auch darin verwickelt«, sagte der Kommissar.

»Aber er ist doch Arzt«, stöhnte Juana. »Und so was kann man mit mir doch nicht machen. Ich weiß davon nichts, ich schwöre es bei der heiligen Mutter Gottes.«

»Ich glaube Ihnen ja, aber Sie können uns helfen, wenn Sie wollen«, sagte Kommissar Baum.

»Meinen Sie etwa, ich würde Mördern helfen? Niemals. Hölle und Teufel über sie.« Ihre Kirschenaugen blitzten wütend. »Man kann das nicht mit mir machen. Ich bin nicht gebildet, aber ich bin nicht schlecht. Ich hatte Jim ganz gern, weil er manchmal ganz normal war. Aber das ist alles.«

»Dann sprechen Sie mit ihm.«

»Wenn er jemanden ermorden wollte? Nein, das kann ich nicht. Solche Schuld will ich nicht auf mich laden. Gott würde es mir nicht verzeihen. Ich bin fromm, Herr Kommissar. Ich gehe in die Kirche. Dann wird Gott mir verzeihen wenn ich gebeichtet habe. Ich will kein Geld haben. Ich bin nämlich nicht so, wie Sie meinen.«

»Sie sind eine anständige Frau,

Mrs. Stone«, sagte er. »Das weiß ich jetzt.«

»Ich will auch nicht Stone heißen. Und ich kenne eine Juanita Ramirez nicht.«

»Sie werden sie kennenlernen.«

»Nein, nein, was soll sie von mir denken«, schluchzte Juana.

»Sie wird die ganze Wahrheit erfahren. Und sie wird nichts Schlechtes von Ihnen denken. Sie wird Ihnen helfen, denke ich. Dr. Keller auch.«

»Ich konnte so gut mit ihm sprechen. Er ist ein feiner Mensch, ich merke das doch. Ich habe immer so viel Mitleid gehabt mit den armen Menschen, die ihren Verstand nicht beisammen haben, aber ich gehöre ja auch dazu.«

»Denken Sie das jetzt nicht«, sagte Kommissar Baum mitfühlend. »Ich bringe Sie jetzt zur Behnisch­-Klinik.«

»Ist das auch eine Nervenklinik?« fragte sie leise.

»Nein, eine Chirurgische Klinik, und da können Sie mit sehr guten und ganz normalen Ärzten sprechen. Sie werden sich ausruhen, und vielleicht dürfen wir dann doch auf Ihre Hilfe rechnen.«

»Was soll ich denn tun? Daß Jim nicht zurechnungsfähig ist, hilft doch mir nicht. Wer glaubt mir denn?«

»Ich, das habe ich doch schon gesagt.«

»Ich bin nicht verhaftet?« fragte sie bebend.

»Sie haben doch nichts getan, als eben den falschen Mann geheiratet«, meinte er.

»Die Haare haben sie mir gefärbt, und mein Gesicht haben sie auch verändert«, schluchzte sie.

»Und immer hat Dr. Barnet gesagt, daß das alles für Jim ist, damit er gesund wird. Sie kennen doch Jim. Er sieht doch sehr gut aus. Würden Sie denn glauben, daß es da nicht stimmt?« fragte sie, sich an die Stirn tippend.

»Auf Anhieb nicht. Aber ich weiß nicht, wieviel frei herumlaufen, die ganz normal erscheinen, und uns dann doch eines Tages zu schaffen machen. Da haben dann die Ärzte das letzte Wort.«

»Aber ein Frauenmörder ist er nicht«, sagte Juana, »das kann ich schwören. Was Sex anbetrifft, ist er ganz normal. Da weiß ich auch Bescheid.« Und da mußte sogar Baum lächeln.

»Und Sie sind auch eine ganz normale Frau«, sagte er. »Daran wird niemand zweifeln.«

»Ich möchte auch lieber mit einem ganz normalen, anständigen Mann verheiratet sein, der ein bißchen Geld hat«, sagte sie, als sie bei ihm im Wagen saß.

»Na, wie Sie aussehen, wird sich doch einer finden lassen«, meinte er gutmütig. »Diese Ehe kann annulliert werden oder geschieden. So genau kenne ich Ihre Gesetze nicht.«

»Aber die hunderttausend Dollar Belohnung wären ganz schön gewesen. Damit hätte ich schon was anfangen können«, seufzte sie.

»Vielleicht bekommen Sie eine Belohnung«, sagte der Kommissar. »Nicht von Barnet, sondern von Juanita Ramirez. Aber zuerst müssen wir Barnet haben.«

»Wenn ich den treff’, dann kann er etwas erleben«, sagte Juana.

Er warf ihr einen raschen Seitenblick zu. »Ja, ich könnte mir vorstellen, daß Sie uns eine große Hilfe wären«, stellte er fest.

»Dann mal zu, finden Sie ihn.«

Sie hatte sich zu einer ganz angenehmen Überraschung entpuppt, und wer wollte es ihr verdenken, daß sie den versprochenen hunderttausend Dollar nicht widerstehen konnte. Es war nur eine Frage, ob sie die jemals gesehen hätte, und dieser Gedanke kam Juana nun auch.

»Vielleicht hätten sie mich aus dem Weg geräumt, wenn ich nicht mehr gebraucht wurde«, sagte sie leise. »Wozu haben sie mich eigentlich gebraucht?«

»Sie sollten ihnen zu einem beträchtlichen Erbe verhelfen, das der echten Juanita Ramirez zusteht. Aber um an dieses heranzukommen, hätten sie auch den netten Dr. Keller beseitigen müssen.«

»Madre dios«, stöhnte sie. »In was bin ich da hineingeraten! Ich schwöre Ihnen, daß ich davon nichts wußte.« Und das glaubte ihr der Kommissar aufs Wort, denn Barnet hatte bestimmt nicht mehr Mitwisser haben wollen, als unbedingt nötig waren.

Eine Viertelstunde später lernten sich Juanita Ramirez und Juana kennen. Juanita war schon von Kommissar Baum unterrichtet worden, daß man Juana auch als getäuschtes Opfer betrachten konnte. Sie reichte der andern freundlich die Hand.

Juana war sehr verlegen. »Es tut mir leid, aber ich heiße auch Ramirez«, sagte sie stockend. »Allerdings heiße ich nun leider Stone, aber bestimmt nicht mehr lange. Ich möchte nochmals sagen, daß mir dies alles sehr leid tut. Aber so dumm, wie die gemeint haben, bin ich nun doch nicht. Ich werde schon dazu helfen, daß sie ihre Strafe bekommen.«

»Und Sie werden entschädigt werden, wenn wir alles hinter uns gebracht haben«, sagte Juanita. »Dr. Keller wird das mit Ihnen regeln.«

»Wenn ich hierbleiben könnte«, sagte Juana zögernd. »Es sind hier so freundliche Menschen. Ich könnte die Sprache lernen, und an einer anständigen Klinik arbeiten, wo ich nicht wieder an so einen Arzt wie Dr. Barnet gerate.«

»Wir können mal mit Dr. Behnisch darüber reden. Juana«, sagte Juanita. »Jetzt werden Sie hier auf unsere Kosten Urlaub machen.«

»Jetzt müssen wir aber erst herausbringen, warum Jim mich herkommen ließ«, sagte Juana.

»Wohin sollten Sie kommen?«

»In die Pension Sansibar.«

Und wo die zu finden war, hatte Kommissar Baum schnell herausgebracht. Da er nun wußte, daß Juana ihm helfen wollte, hatte er seine Pläne rasch umgestellt. Es konnte ja möglich sein, daß sie nicht mehr lange nach Barnet zu suchen brauchten, daß er auch in dieser Pension zu finden war. Aber um Zwölf Uhr sollte Carola von Gölltau am Flughafen sein. Sie hatte sich dazu bereiterklärt, wenn auch nur deshalb, um zu beweisen, daß sie mit den Verbrechern nichts zu tun hatte.

Sie war mit einem ganz ähnlichen Köfferchen ausgestattet worden wie jenes, das immer noch im Hotelsafe lag.

Fast wäre alles schiefgegangen, denn Sepp Hoflechner war angerufen worden, und der Anrufer hatte sich als Marian von Eickstedt bezeichnet.

Er hatte angefragt, ob Frau von Gölltau abgeholt hätte, was Senhora Ramirez deponiert hatte.

»Da muß ich mal meine Frau fragen«, hatte Sepp erwidert, um Zeit zu gewinnen, aber es war ein Polizeiinspektor gewesen, bei dem er sich erkundigt hatte, was er sagen solle. Der war nämlich vorsichtshalber im Jagdschlössel zurückgeblieben, um Safe und Inhalt zu bewachen. Und so konnte Sepp mit polizeilicher Genehmigung lügen und sagen, daß Frau von Gölltau den Koffer geholt hatte.

Nun wußte der Kommissar allerdings ganz genau, daß auf gar keinen Fall Marian der Mann sein konnte, der Carola von Gölltau treffen wollte. Aber wer würde das sein? Barnet? Oder der noch unbekannte Dritte, den es aller Wahrscheinlichkeit nach gab?

Und dem Kommissar war der Gedanke gekommen, daß Juana diesen Mann erkennen würde. Also fuhr er mit ihr zum Flughafen zurück und erklärte ihr, worum es ging.

»Das ist ja wie in einem richtigen Krimi im Television«, meinte sie.

»Glauben Sie mir, Juana, nur ganz selten stimmt so ein Krimi mit unserer Arbeit überein. Aber diesmal ist es selbst für mich spannend. Sie müssen sich jetzt nur hübsch im Hintergrund halten. Wenn Sie erkannt würden, könnte alles vergeblich gewesen sein, und jener Unbekannte taucht unter. Kennen Sie viele Leute, die mit Stone und Barnet zusammengekommen sind?«

»Viele nicht, aber ein paar schon«, erwiderte sie. »Dabei war ich nie, wenn sie mit anderen zusammentrafen, aber neugierig bin ich auch. Wir haben ja bei der Klinik gewohnt, und gearbeitet habe ich da auch. Da habe ich schon ab und zu etwas mitbekommen. Schwere Fälle hat Barnet ja nicht aufgenommen. Meistens Alkoholiker und Drogensüchtige, und nur Zahlungskräftige, das können Sie glauben. Vor allem waren es Frauen, aber darüber denke ich erst jetzt nach. Wissen Sie, was ich jetzt denke?«

»Sagen Sie es mir, Juana«, meinte der Kommissar mit einem versteckten Lächeln.

»Daß ich froh sein kann, wenn ich da heil herauskomme. Ich verstehe bloß nicht, daß die sich so sicher fühlen.«

»Wahrscheinlich deshalb, weil sich Dr. Barnet sehr überschätzt und uns für blöd hält. Oft genug wird ja auch darüber geschrieben, daß bei uns alles zu bürokratisch zugeht.«

Juana bedachte ihn mit einem fast ehrfürchtigen Lächeln. »Aber so menschlich«, sagte sie leise.

Da lachte er. »Das läuft einem wie Öl herunter. Meistens bekommen wir was anderes zu hören, Juana.«

»Und Sie sprechen so gut englisch«, sagte sie bewundernd. »Sogar richtig amerikanisch.«

»Ich war ein paar Jahre in Amerika, bei Verwandten. Hier habe ich auf der Schule nämlich nicht gespurt, und meine Mutter hatte Angst, daß ich unter die Räder komme, da mein Vater früh gestorben war. Da wurde ich dann in Detroit auf ein College geschickt. Aber dann packte mich der Ehrgeiz und das Heimweh, und da habe ich zu Hause alles nachgeholt, was ich vorher versäumt habe.«

»Und nun sind Sie schon ein wichtiger Mann«, sagte Juana bewundernd.

»Du liebe Güte«, lachte er, »ich bin einer von vielen, Juana, nicht so ein Held aus einer Krimiserie.«

»Aber Sie sind für Gesetz und Ordnung, und das ist auch sehr gut. Und es ist ein verantwortungsvoller Beruf.«

»Sie haben doch auch einen verantwortungsvollen Beruf ergriffen«, sagte er.

»Und bin bei Verbrechern gelandet, weil das Geld gelockt hat. Ich bin so froh, daß ich mit Ihnen reden kann und daß Sie mich nicht einsperren.«

»Dazu besteht nicht der geringste Anlaß. So, Juana, nun begeben Sie sich wieder in Gefahr, das muß ich Ihnen sagen. Sie können es ablehnen, uns zu helfen.«

In ihren Augen blitzte es lustig. »Mir traut doch keiner was zu«, sagte sie. »Wissen Sie, wie gut es tut, wenn einem mal was zugetraut wird?«

»Doch, ich weiß es«, sagte er, und dann drückte er ihr die Hand, als sie die Flughafenhalle betraten.

Die Landung der Maschine aus Frankfurt war schon angekündigt, doch Kommissar Baum hegte Zweifel, daß derjenige, der Carola von Gölltau treffen wollte, tatsächlich mit dieser Maschine kommen würde. Das konnte auch ein Ablenkungsmanöver sein.

Und da packte ihn Juana schon fest am Arm. »Da ist Cook«, flüsterte sie ihm zu. »Der im grauen Ledermantel. Ich verschwinde lieber.«

»Warten Sie beim Zeitungsstand«, raunte er ihr zu. Er hatte Carola von Gölltau bereits entdeckt. Sie wirkte sehr nervös. Das Lederköfferchen hatte sie fest an sich gedrückt. Und nun kamen die Passagiere der Frankfurter Maschine.

Der Mann im grauen Ledermantel ging auf Carola zu und sprach sie an. Kommissar Baum war noch nicht so nahe heran, daß er hören konnte, was er sagte, aber er griff schon nach dem Köfferchen.

Gellend schrie Carola auf. Das war abgesprochen, und Kommissar Baum war zur Stelle und hielt den Mann im grauen Ledermantel fest wie mit Eisenklammern.

»Was wollen Sie von mir?« stieß der wütend hervor.

»Ich habe die Dame nur etwas gefragt.«

»Was haben Sie gefragt, Mr. Cook?« fragte Kommissar Baum, und der andere erstarrte. Und da kam Juana angestürzt.

»Cook«, rief sie, »was ist los?«

»Juana?« Er sah sie fassungslos an.

»Es ist Cook«, sagte Juana.

»Damned wretch«, zischte Cook.

»Das heißt auf deutsch Luder«, sagte der Kommissar zu Carola. »Aber Sie haben Ihre Sache genauso gut gemacht wie Juana.«

»Ich möchte wissen, wieso dieser Mann mich kennt«, sagte Carola.

»Das wird er uns schon noch erzählen«, erwiderte der Kommissar. »Wir erregen Aufsehen, gehen wir lieber.«

»Wohin soll ich gehen?« fragte Juana.

»Wenn Sie keine Angst haben, kommen Sie mit mir. Wir haben noch zwei kräftige Begleiter.«

»Und ich?« fragte Carola.

»Sie sind vorerst mit Dank verabschiedet.«

Der Mann Namens Cook mußte wohl oder übel in den Polizeiwagen einsteigen. Daß er Juana mit den übelsten Schimpfworten belegte, schien sie weniger zu stören als den Kommissar.

»Halten Sie den Mund, sonst kommt zu allem andern, was Ihnen vorgeworfen wird, auch noch übelste Verleumdung dazu«, sagte er.

»Gangster«, zischte Juana. »Cook, Barnet und Stone, Gangster. You can’t go home again, Cook.«

»Führt für Sie auch kein Weg zurück, Juana?« fragte der Kommissar.

»No«, erwiderte sie kurz.

Cook, den dritten Mann, hatten sie nun auch. Nun fehlte nur noch Barnet. Aber Juana stand die Begegnung mit Jim Stone bevor. Und dabei mußte sie nun eine ganz andere Rolle spielen. Da sie aber stolz war, daß man ihr etwas zutraute, spielte sie auch diese genau nach den Anweisungen des Kommissars perfekt. Sie war zugleich besorgte Ehefrau und Krankenschwester.

»Mein armer Jim, was haben sie mit dir gemacht?« flötete sie.

»Du wirst ihnen sagen, wie es wirklich ist?« fragte er. »Du wirst sagen, daß du Juanita Ramirez warst, als ich dich kennenlernte? Was haben sie dich gefragt?«

»Nichts«, erwiderte sie. »Ich habe gesagt, daß ich deine Frau bin und mit dir sprechen will. Was soll ich denn sagen?«

»Barnet soll mich hier rausholen«, brauste er auf. »Du mußt es ihm sagen. Ich habe nichts getan.«

»Mir kannst du alles sagen, Jim«, flüsterte sie. »Ich habe dem Arzt erklärt, daß du manchmal an Bewußtseinstörungen leidest nach einem Unfall.«

Sein Gesicht hellte sich auf. »Du bist doch ein gescheites Mädchen. Hört uns auch niemand zu?« fragte er dann mißtrauisch.

»Aber nein, das brauchst du doch nicht zu denken.«

»Sie wollen mich um mein Erbe betrügen«, murmelte er. »Die Ölfelder sind mein Erbe. Wenn ich nur alles im Kopf hätte, Juana, aber sie haben mich hier fertiggemacht.«

»Sei ganz ruhig, Jim. Ich helfe dir doch«, sagte sie. »Barnet hat mir gesagt, daß es eine Frau gibt, die sich Juanita Ramirez nennt und daß die mit Dr. Keller unter einer Decke steckt.«

Er kniff die Augen zusammen. »Das hat er dir gesagt?« fragte er.

»Ja, aber ich bin deine Frau und die echte Juanita Ramirez.«

»Was ist mit der andern?« fragte er.

»Es geht ihr sehr schlecht. Ich bringe mit Barnet alles in Ordnung, Jim, verlaß dich drauf. Laß dich nicht ganz verrückt machen.«

»Ich bin nicht verrückt, sag ja nicht, daß ich das bin«, brauste er auf.

»Ich glaube, daß du Barnet nicht zu sehr vertrauen solltest«, sagte sie betont.

»Was hat er noch gesagt?« fragte er aufgeregt.

»Daß du diesen Eickstedt umgebracht hast.«

Seine Augen wurden glasig. Mit den Fäusten hieb er auf die Tischplatte. »Er war es, er und Cook. Ich kann doch kein Blut sehen, Juana, das weißt du doch. Ich habe nur den Hund verjagt. Ich habe auf ihn geschossen. Barnet hat gesagt, daß das sein muß, wenn wir unser Geld kriegen wollen. Du willst doch auch Geld.«

Sie richtete sich auf und wich zur Tür zurück. »Nein, ich will kein blutiges Geld, Jim«, sagte sie. »Ich hatte Mitleid mit dir, aber bei so was mache ich nicht mit. Nein, das kann niemand von mir verlangen.«

»Aber ich verlange es«, schrie er. »Es geht um Millionen, um viele Millionen. Du darfst mich nicht im Stich lassen.« Er war aufgesprungen, aber plötzlich sackte er wieder zusammen. Und Juana zitterte am ganzen Körper, als der Kommissar sie durch die Tür hinauszog.

»Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Juana«, sagte er.

»Gut?« fragte sie tonlos. »Das ist doch kein Mensch mehr. Das ist ein Wrack. Der wirklich Schuldige ist Barnet, das müssen Sie glauben. Jim war ein leichter Fall von Schizophrenie, aber der Gedanke an das Geld, an viel Geld wird ihn völlig verrückt machen. Es ist ja nur ein kleiner Sprung. Barnet hatte leichtes Spiel mit ihm gehabt. Ein guter Arzt hatte ihm vielleicht helfen können.«

»Seine Mutter starb auch an einer Nervenkrankheit, Juana«, sagte der Kommissar ernst.

Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Das wußte ich nicht. Gott steh mir bei«, flüsterte sie.

»Ich bringe Sie jetzt zur Behnisch-Klinik zurück«, sagte er mit gepreßter Stimme. »Dort wird man Sie gut betreuen.«

Sie warf ihren Kopf in den Nacken. »Ich brauche keine ärztliche Betreuung. Ich will Barnet finden«, stieß sie hervor. »Wer kann ihm die Wahrheit besser ins Gesicht schreien als ich? Er soll nicht noch mehr Menschen zugrunde richten.«

Und dann begann sie jammervoll zu weinen. Kommissar Baum umfaßte ihre Hände mit festem Griff. »Wir haben Ihnen zuviel zugemutet, Juana«, sagte er.

»Nein, nicht genug. Ich bin blind durch das Leben gegangen, jetzt sehe ich. Bringen Sie mich zur Pension Sansibar.«

*

Daß Barnet der Raffinierteste und zugleich auch Gefährlichste des Trios war, wußte der Kommissar bereits. Es blieb nur zu hoffen, daß er Juana auch jetzt noch als ein williges Werkzeug betrachten wurde, falls er nicht doch schon über alle Berge war.

Juana meinte allerdings, daß er nicht aufgeben würde. »Er hält sich doch für superklug«, sagte sie. »Er wird alles Stone und Cook in die Schuhe schieben. Er wird sagen, daß Jim nicht zurechnungsfähig ist, und hier werden es die Ärzte bestätigen. Und was Juanita anbetrifft, hat er bestimmt auch eine glaubwürdige Erklärung bereit.«

»Er wird erklären müssen, warum er Juanita im Jagdschlössel aufsuchte und ihr erzählte, daß Marian von Eickstedt eine andere Frau heiraten würde.«

»Er wird es bestreiten«, sagte Juana.

»Er kann nicht bestreiten, daß er dort war. Es gibt viele Zeugen dafür. Jeder noch so raffinierte Verbrecher macht einen Fehler, Juana.«

»Aber dennoch bleibt manche Tat ungesühnt«, sagte sie nachdenklich. Und da konnte Kommissar Baum nicht widersprechen. Er dachte an die ungelösten Falle, die ihn und seine Kollegen beschäftigten.

Die Pension Sansibar sah recht seriös aus. Der Kommissar hatte bereits herausgefunden, daß hier überwiegend ausländische Geschäftsleute abstiegen. Ein Dr. Barnet war nicht gemeldet, aber ein Mr. Stone wohnte hier bereits seit einer Woche. Juana erfuhr, daß ihr Kommen bereits angekündigt sei und bereitwillig wurde sie auch zu dem recht hübschen Appartement geführt.

Auf dem Tisch lag ein Umschlag, auf dem ihr Name stand. Mrs. Juanita Stone.

Juana riß ihn hastig auf. Nur eine kurze Mitteilung fand sie daran. Falls ich nicht anwesend sein sollte, komm zur folgenden Adresse: Jägerwinkel 2. Du fährst mit dem Taxi bis… Sie las nicht weiter sondern lief hinaus. Kommissar Baum wartete in seinem Wagen.

Sie reichte ihm das Blatt Papier. »Wie weit ist das?« fragte sie.

»Etwa vierzig Kilometer von hier«, erwiderte er. »Fahren wir?«

»Schnellstens«, erwiderte Juana.

Er griff zum Telefon und gab einige Anweisungen, die Juana in ihrer Aufregung nicht verstand, aber mit einem kleinen Lächeln meinte sie, daß sich die Polizei hier nicht viel von der in Amerika unterscheiden würde, was die fortschrittliche Ausstattung der Wagen beträfe.

»Hinter dem Mond leben wir auch nicht mehr«, erwiderte er mit einem leisen Lachen. »Wie ist Ihnen zumute, Juana?«

»Ein bißchen aufgeregt bin ich schon«, gab sie zu. »Ob das Barnets Versteck ist?«

»Es könnte sein, daß dort Eickstedt versteckt gehalten wurde«, sagte er nachdenklich. »Ich möchte nur gern wissen, wie sie auf diesen Ort gekommen sind.« Falten hatten sich auf seiner Stirn eingegraben. »Ich habe eine Idee«, sagte er plötzlich. »Wir fahren vorher noch zur Behnisch-Klinik.«

Dort wartete allerdings eine Überraschung auf ihn. Jenny Behnisch erklärte ihm, daß Juanita mit dem Baron und Frau Dr. Norden zum Jagdschlössel gefahren sei, um ihren Koffer abzuholen. »Nichts wie hin«, sagte der Kommissar hastig.

Er wußte zwar, daß das Jagdschlössel rund um die Uhr bewacht wurde, aber dennoch war er jetzt besorgt. Doch seine Bedenken erwiesen sich als überflüssig.

Juanita war freudig von den Hof-lechners begrüßt worden, aber noch freudiger von den beiden Hunden. Chérie hatte sich von einem Tag zum andern schnell erholt. Jetzt waren sie nur erstaunt, daß der Kommissar mit Juana kam.

Betroffen blickte Juanita dann auf den Bogen Papier, den ihr der Kommissar gab.

»Sagt Ihnen der Jägerwinkel etwas, Juanita?« fragte er.

Sie sah ihn staunend an. »Haben Sie den siebenten Sinn?« fragte sie. »Das Haus gehörte meiner Großmutter. Sie hatte es nicht verkauft, sondern einer früheren Angestellten überlassen. Sie starb im Alter von dreiundneunzig Jahren, und wir bekamen die Nachricht kurz vor Mamas Tod. Mama hat mit Barnet darüber gesprochen.«

»Ich wußte davon nichts«, sagte der Baron. »Warum hast du davon nichts gesagt, Juanita?«

»Ich habe nicht gedacht, daß dieses Haus in diesem Geschehen auch eine Rolle spielen könnte«, sagte sie schuldbewußt. »Ich konnte nicht ahnen, was Barnet plante. Ich reime mir so langsam alles zusammen.«

Ihre zarten Hände legten sich auf den kleinen Koffer.

»Da drinnen sind alle wichtigen Dokumente«, sagte sie leise. »Dr. Keller ist bei Marian. Kommen Sie mit zur Klinik?« fragte sie den Kommissar.

»Wir fahren jetzt zum Jägerwinkel«, erwiderte er. »Können wir Chérie mitnehmen?«

»Wozu?« fragte Juanita. »Sie muß noch geschont werden.«

»Ich nehme an, daß Marian von Eickstedt in diesem Haus gefangengehalten wurde.«

»Aber ich hatte ihm davon noch nichts gesagt«, flüsterte Juanita.

»Dann hat ihn Barnet dorthin gelockt«, sagte Kommissar Baum. »Die ganze Wahrheit können wir nur von ihm erfahren. Barnet wollte Marian ausschalten, aber er hatte in seinen Plan nicht einkalkuliert, daß Sie nach Deutschland kommen würden, Fräulein Ramirez. Ich erkläre das alles später. Jedenfalls wird Chérie uns den Beweis geben können, daß sie dort war mit ihrem Herrchen.«

Nun, Chérie allein konnten sie nicht mitnehmen. Wastl ließ sie nicht im Stich.

Zwei große weiße Hunde nahmen auf dem Rücksitz Platz, als Kommissar Baum mit Juana die Fahrt zum Jägerwinkel antrat.

Für Juanita, den Baron, die Hof-lechners, und auch für Fee Norden war es augenblicklich nur ein großer Trost, daß ihnen auch Polizeischutz zuteil werden würde.

Es war alles bestens organisiert. In der kleinen Stadt wartete ein Taxi, in das Juana umstieg, und das sie zum Jägerwinkel brachte.

Es war ein altes, von Efeu umranktes Haus, ganz romantisch anzusehen, umgeben von einem großen, verwahrlosten Garten.

Obgleich Juana sich wachsam umschaute, fiel ihr überhaupt nicht auf, daß schon Wachposten eingesetzt waren.

Allerdings sah es auch nicht so aus, als wäre jemand im Haus. Langsam ging sie auf dieses zu, aber da tat sich wie von selbst die Tür auf.

»Endlich kommst du«, sagte Barnet. »Warum so spät?« Und schon schloß er die Tür.

Kommissar Baum hatte indessen große Mühe, Chérie zurückzuhalten, so aufgeregt gebärdete sich die Hündin. Und das sagte ihm genug. Er konnte jetzt nur hoffen, daß Juana aus diesem gefährlichen Unternehmen heil hervorgehen würde.

*

Sie gab sich ganz unbefangen. »Was soll das alles eigentlich bedeuten, Doc?« fragte sie. Immer hatte sie ihn Doc genannt. »Wo ist Jim?«

»Keine Ahnung. Hoffentlich macht er nicht Blödsinn«, sagte Barnet. »Er hat sich leider in Schwierigkeiten gebracht, Juana.«

»Wieso?«

Er musterte sie mißtrauisch. »Hast du Cook getroffen?« fragte er.

»Nein, ist der auch hier?« fragte sie. »Ich weiß doch gar nicht, was gespielt wird, Doc.«

»Gut, ich sage es dir. Es geht um Jims Erbe. Er soll darum betrogen werden. Er hat sich mit den deutschen Verwandten leider nicht einigen können, aber du weißt ja, wie unberechenbar er ist. Er hat sich töricht benommen. Der langen Rede kurzer Sinn: Ich kann mich nicht mehr für ihn verwenden. Ich kann nicht meine Existenz aufs Spiel setzen. Du bist die einzige, die mit ihm zurechtkommt, Juana.«

»Und was soll ich tun, Doc?« fragte sie naiv. Es gelang ihr überzeugend, die Unwissende zu spielen.

»Du wirst jetzt hierbleiben und auf Jim und Cook warten«, sagte er. »Es ist doch ganz gemütlich hier. Hat dich eigentlich jemand angesprochen?« fragte er dann lauernd.

»Wer denn schon? Warum bist du so nervös, Doc?«

»Ich mache mir nur Sorgen, daß Jim durchdreht. Bei ihm weiß man ja nicht, was er alles redet. Was hat er dir erzählt?«

»Von Ölquellen hat er geredet, und daß wir reich sein würden«, sagte sie leichthin. »Und ich soll aufpassen, daß du dir nicht alles unter den Nagel reißt. Aber ich habe ihm schon gesagt, daß er sich auf dich verlassen kann. Es stimmt doch?« fragte sie lauernd.

»Zweifelst du daran, Juana?«

Sie zuckte die Schultern. »Mich interessiert nur, was ihr mir versprochen habt. Ich habe immer alles genauso gemacht, wie du es angeordnet hast, Doc. Ich bin auch gleich gekommen, als ich das Telegramm erhielt. Aber man kann sich allein schwer zurechtfinden, wenn man nicht die Sprache der andern versteht. Ich will wieder nach Hause.«

»Wir fliegen bald zurück, Juana. Ich organisiere alles. Ich fahre jetzt nach München und du wartest hier solange.«

»Wie lange? Ich habe nicht mehr viel Geld, Doc.«

»Du wirst bald viel Geld haben«, sagte er großspurig. »Ich hole dich ab oder schicke dir ein Taxi. Okay?«

»Hoffentlich bald. Mir ist es unheimlich hier«, sagte sie. »Der Taxifahrer hat lange suchen müssen, bis er herfand. Und all dieser Schnee. Ich habe nicht gedacht, daß es so viel Schnee gibt.«

»Aber du siehst doch etwas von der Welt, Juana«, sagte er spöttisch. »Du bekommst deine Chance.«

Er zog seinen Ledermantel an und Juana bemerkte, daß in Taillenhöhe ein kleines Stück mit dem Knopf

herausgerissen war. Ihr wurde es eiskalt.

»Dir fehlt ein Knopf«, sagte sie tonlos.

»Ich bin wo hängengeblieben«, sagte er.

»Schade um den schönen Mantel.«

»Du bist eine Kleinkrämerin«, meinte er lässig. »Ich kaufe mir einen neuen. Und bevor wir zurückfliegen, bekommst du einen schönen, warmen Pelzmantel, damit du nicht frierst. Auf bald, Juana.«

Er ging zur Tür. Er öffnete sie vorsichtig, aber da drängte sich schon ein weißer Hundekopf in den Spalt. Barnet war so verblüfft, daß ihm jede Reaktion fehlte.

Zitternd lehnte Juana an der kalten Mauer, als Barnet Handschellen angelegt wurden, aber dann wurde sie durch die beiden Hunde abgelenkt, die schnüffelnd durch die Räume liefen.

»Ist ja gut, Chérie«, sagte Kommissar Baum mit ruhiger Stimme. »Wir wissen Bescheid. Kommen Sie, Juana.«

»Ihm fehlt der Knopf im Mantel«, stammelte sie. »Sie haben mir doch so etwas gesagt.«

»Und wir haben es schon bemerkt«, erwiderte er lächelnd. »Ich bin sehr gespannt, wie er sich da herausreden will.«

*

Dr. Barnet konnte sich nicht mehr herausreden. Es war ja nicht der Knopf allein mit dem Stück Leder, das als Beweismittel diente, es waren auch Juanitas kostbare Ringe, die man noch bei ihm fand. Er hatte seine Überzeugungskraft überschätzt. Er hatte nicht damit gerechnet, daß Juanita überleben würde, und schon gar nicht damit, daß auch Marian von Eickstedt gegen ihn, Jim Stone und Cook aussagen könnte.

Zwei Tage mußten sie darauf noch warten, doch bis dahin hatte Barnet sich unter der erdrückenden Beweislast in so viel Widersprüche verwickelt, daß er selbst schließlich nicht mehr wußte, was er eigentlich alles gesagt hatte.

Kommissar Baum bezeichnete es drastisch so: »Jetzt haben wir drei Verrückte am Hals und können nur froh sein, wenn sie in ihre Heimat abgeschoben werden.«

»Bin ich etwa die Dritte?« fragte Juana beklommen.

»Guter Gott, nein, normaler als Sie kann man nicht sein, Juana«, erwiderte er. »Ich meine Cook. Er spinnt auch, aber mit normalen Menschen hätte Barnet diese Unternehmen ja gar nicht planen können. Ihn hat seine Geldgier dahin getrieben, daß er den Boden unter den Füßen verloren hat. Aber gegen ihn liegt auch drüben so viel vor, daß wir zumindest ihn loswerden. Und Cook kann er mitnehmen. Der hat nachweislich in Frankfurt gesessen, als sich hier die Untaten abspielten. Er war früher mal Angestellter bei Ramirez und wurde gefeuert, weil er Unterschlagungen begangen hat. Barnet hat gemeint, sich die richtigen Leute ausgesucht zu haben, aber da hat er sich verkalkuliert. Aber Geldgier hat schon manchen ins Unglück gebracht.«

»Mich beinahe auch«, gab Juana offen zu.

»Aber Sie haben noch rechtzeitig die Kurve gekratzt, wie man bei uns sagt.«

»Werde ich nun auch abgeschoben? Ich habe doch kein Geld mehr für den Rückflug«, sagte sie kleinlaut.

»Darüber sprechen Sie mal mit Ihrer Namensschwester und Dr. Behnisch. Sie haben doch mal gesagt, daß Sie gern hierbleiben würden.«

»Und wenn das möglich ist, legen Sie dann ein gutes Wort für mich ein?« fragte sie leise.

»Hundert«, erwiderte er lächelnd. »Und ich werde mich auch immer informieren, wie weit Ihre Sprachkenntnisse gediehen sind.«

»Und wenn ich Geld verdiene, ehrliches Geld, darf ich Sie dann auch mal zum Essen einladen, Herr Kommissar?«

»Das bin ich Ihnen ja wohl früher schuldig, Juana. Ohne Ihre Hilfe wäre ich nicht so schnell zum Ziel gekommen. Wir sind doch recht gute Freunde geworden, denke ich.«

»Meinen Sie das ernst?«

»Baum ist Ihr Freund«, erwiderte er.

»Und wie heißt Baum mit Vornamen?« fragte sie da mit einem glücklichen Lächeln.

»August«, erwiderte er mit einem tiefen Seufzer. »Ich kann nichts dafür, meine Eltern fanden den Namen schön.«

»Ich finde ihn auch schön«, sagte Juana.

»Meine Freunde nennen mich Gustl«, sagte er.

»Ich werde erst deutsch lernen«, lächelte sie.

*

Marian war der Verband von den Augen genommen worden. Er konnte Juanita sehen, sie konnte in seine Augen blicken. Da war alles viel leichter, und er gewöhnte sich schnell an das Licht, das ihr Gesicht umgab.

»Ich hatte immer Angst, daß du doch nicht da bist, wenn ich sehen kann«, sagte er leise. »Ich dachte, alles wäre nur Traum. Ich war schon fast in einer anderen Welt.«

»Ich weiß«, sagte sie unter Tränen, »und nun bin ich glücklich, daß du in die Wirklichkeit zurückkehrst, liebster Marian.«

Man ließ ihnen Zeit, bis Marian sich dann an alles erinnerte, was er erlebt hatte.

»Barnet rief mich an«, begann er stockend. »Er sagte mir, daß er sich große Sorgen um Juanita mache, da Dr. Keller gegen uns arbeite. Er wollte mir alles erklären, und wir trafen uns in der Stadt. Ich hatte Chérie bei mir.« Er sah seinen Vater an.

»Von unserem Streit weiß Juanita wohl schon?« fragte er.

»Ja, ich habe ihr alles gesagt«, erwiderte der Baron.

»Das gehört wirklich der Vergangenheit an, Marian. Ich habe Papa sehr lieb gewonnen.«

Dafür erntete sie einen dankbaren Blick von ihrem zukünftigen Schwiegervater.

»Im Grunde habe ich mir alles selbst zuzuschreiben«, sagte Marian, »aber am schlimmsten ist es, daß ich dich in Gefahr brachte, Juanita. Als ich mit Barnet zusammentraf, fragte er mich, wann ich die letzte Nachricht von dir bekommen hätte, und ich sagte ihm, daß du bereits auf dem Wege zu mir wärest, und daß wir uns im Jagdschlössel treffen wollten. Darauf erklärte er mir, daß du bereits im Jägerwinkel wärest.«

»Ein geistesgegenwärtiger Bursche«, warf Kommissar Baum ein. »Auf alles vorbereitet.«

»Ich muß ein Brett vor dem Kopf gehabt haben«, sagte Marian. »Ich war nicht mißtrauisch, als er davon sprach, daß dieses Haus Tante Amelie gehört hätte und Juanita mich damit überraschen wolle. Wenn du es mir gesagt hättest, Liebes…« Er sah Juanita an, aber sie fiel ihm ganz rasch ins Wort: »Da wußte ich das doch selber noch nicht. Ich habe alle Dokumente Onkel Theo heimlich weggenommen. Er hat es mir aber bereits verziehen.«

»Wir hätten uns alle viel ersparen können, wenn du deinen einundzwanzigsten Geburtstag abgewartet hättest, Juanita«, sagte Dr. Keller.

»Ich weiß es ja. Jetzt weiß ich es«, sagte sie schuldbewußt.

»Jeder von uns hat Fehler gemacht«, warf der Baron ein.

»Nun, ich hätte Barnet gegenüber mißtrauischer sein müssen«, sagte Marian. »Ich wußte, daß Juanita ihn nicht mochte. Verzeihst du es mir, Liebling, daß ich dachte, du wärest ungerecht wegen des tragischen Todes deiner Mutter?«

»Ich habe mich falsch benommen. Aber erzähle jetzt, warum sie dich so mißhandelt haben, Marian.«

»Sie wollten mich aus dem Weg räumen, aber es sollte so aussehen, als wäre es ein Unfall. Aber dann haben sie wohl gemerkt, daß sie mich nicht mehr ans Steuer setzen konnten und haben mich dann an die Stelle gebracht, wo ich gefunden wurde. Und sie waren überzeugt, daß ich die Nacht nicht überleben würde. Chérie muß wohl schon vorher weggelaufen sein, um Hilfe zu holen, aber sie war wohl zu schwach, zu ausgehungert.«

»Und sie muß meilenweit gelaufen sein«, sagte der Baron, »nur zu mir ist sie nicht gekommen.«

»Wahrscheinlich, weil wir uns gestritten hatten, Papa«, sagte Marian. »Nun können wir uns zusammenreimen, was wir noch nicht wissen.«

»Ich kann mich nur wundern, daß Barnet nicht überlegt hat, daß man den Überfall auf Juanita und den auf Marian in Zusammenhang bringen würde«, sagte Fee.

»Er hat nicht daran gedacht, daß beide überleben würden«, sagte der Kommissar grimmig.

»Und er hat auch nicht bedacht, daß Hunde oft mehr Instinkt haben als Menschen.«

»Und er ahnte nicht, daß er an die Dokumente nicht herankommen würde«, sagte Juanita.

»Jedenfalls wird er nun viel Zeit haben, über alle Fehler nachzudenken, die er machte«, sagte Dr. Keller.

»Besonders über den, daß er Juana für so einfältig hielt, daß sie nichts anderes im Sinn haben könnte, als das versprochene Geld. Wo ist sie überhaupt?« fragte Kommissar Baum.

»Jenny führt sie schon durch die Klinik«, sagte Fee lächelnd. »Sie wird vier Wochen intensiv deutsch lernen und dann hier eine Anstellung bekommen.«

»Und von mir bekommt sie die versprochene Belohnung«, sagte Juanita. »Dann sollten Sie aber lieber ein bißchen aufpassen, Herr Kommissar, daß sie nicht diesmal an einen Mitgiftjäger gerät.«

»Da ist mir gar nicht bange«, erwiderte der Kommissar lächelnd.

»Warum schauen Sie mich so an?« fragte Marian. »Denken Sie, ich bin ein Mitgiftjäger?«

»O nein, ich wollte nur noch fragen, wann die Hochzeit stattfindet, damit ich mir einen Tag Urlaub nehmen kann, denn eingeladen möchte ich schon werden.«

»Zuerst muß er mal gesund werden«, sagte Juanita. »Aber Sie bekommen rechtzeitig Bescheid, das ist versprochen. Sie würden uns eine große Freude bereiten, wenn Sie Trauzeuge sind.«

»Sehr gern«, erwiderte er.

»Und gefeiert wird natürlich im Jagdschlössel«, sagte Juanita.

*

Darauf konnten sich Sepp und Kathi Hoflechner zwei Monate vorbereiten, und so viel Zeit brauchten sie auch, denn bei diesem Fest sollte alles bestens stimmen, und kein Fremder sollte im Hause sein.

Im Nachhinein erschien alles wie ein böser Traum, der vergessen war, als Marian von Eickstedt und Juanita zum Traualtar schritten. Da war es wie in einem Märchen. Alle Schrecken waren vergessen. Voller Andacht lauschte auch Juana den Worten des Pfarrers, und sie konnte alles verstehen.

»Wunderschön ist Juanita«, sagte sie zu Kommissar Baum, »gell, das findest du auch, Gustl.«

Lustig und rührend zugleich klang das, aber er konnte in ihren Augen lesen, daß auch sie von innen heraus glücklich war. Gute Freunde waren sie geworden, und vielleicht würde aus dieser Freundschaft eines Tages auch noch mehr werden, meinte Fee Norden.

Vorerst konnten die Behnischs sehr zufrieden sein mit ihrer neuen Krankenschwester. Und als sie an diesem Abend kamen, um mitzufeiern, konnten sie sich über eine glückstrahlende Juanita freuen, die mit ihrem Mann den Brautwalzer tanzte.

»Tanzen kann er, lachen kann er, was wollen wir mehr«, sagte Dieter Behnisch.

»Und das haben wir Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin zu verdanken«, sagte Joachim von Eickstedt. »Darf ich bitten, gnädige Frau?«

»Da sieh mal einer an, wie charmant er sein kann«, sagte Daniel Norden schmunzelnd.

»Ich bin ganz froh, wenn ich nicht tanzen muß«, sagte Dieter. »Das Essen war phantastisch.«

Das fanden auch Wastl und Chérie, die sich an Leckerbissen laben konnten, die sie sich reichlich verdient hatten, wie Kathi meinte.

Als dieses Fest nach Mitternacht ausklang, konnten die Ärzte ganz sicher sein, daß sie zumindest nicht wegen Juanita oder Marian aus der wohlverdienten Nachtruhe geschreckt werden würden.

Fee und Daniel wurden allerdings mit einem freudigen Gewinsel begrüßt, als sie heimkamen, denn seit zwei Wochen gehörte ihnen ein weißes »Bärle«, das zwar noch klein und tapsig war, aber schon wachsam.

»Morgen bekommst du auch einen ganz schönen Knochen, Bärle«, sagte Fee, »aber jetzt wird geschlafen.«

Und gehorsam trottete er zu seiner Schlafecke, legte sich nieder und grummelte behaglich, als Daniel ihn kraulte.

»Wie schnell man sich doch an so ein Tierchen gewöhnen kann«, sagte er.

»Aber verwöhnt wird er nicht«, meinte Fee energisch.

»Ich habe es vernommen«, lachte Daniel leise.

»Aber der Mensch hat zwei Ohren. Und ich bin gespannt, wer sich daran hält. Auch Tiere brauchen liebevolle Zuwendung.«

Er zog sie in seine Arme. »Nun, wie fühlt man sich, da alles ein Happy-End gefunden hat?«

»Himmlisch«, sagte Fee träumerisch.

»Aber auch auf Erden kann es wunderschön sein«, raunte er ihr ins Ohr. »Ich habe immer an unsere Hochzeit denken müssen.«

»Bei uns ging es vorher wenigstens nicht so dramatisch zu, und nun ist es schon so lange her.«

»Wenn die beiden in zehn Jahren auch noch so glücklich sind wie wir…«

»Ganz bestimmt«, sagte Fee. »Und dann werden sie auch ein paar Kinder haben. Ich glaube, daß der Baron ein sehr lieber Großpapa wird.«

Und auch damit sollte sie recht behalten.

Dr. Norden Bestseller Staffel 18 – Arztroman

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