Читать книгу Dr. Norden Bestseller Staffel 20 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 9

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Es war ein lauer Frühlingsabend. Die Dämmerung sank herab. Fee Norden rief ihre Kinder, die noch im Garten herumtollten und kein Ende finden konnten, weil es endlich wieder einmal wärmer wurde.

»Kommt jetzt herein, es wird doch schon dunkel«, rief Fee zum zweiten Mal mahnend.

»Schau doch, Mami, es wird schon wieder hell«, rief Anneka.

»Ganz hell am Himmel«, rief nun auch Felix.

»Toll«, gab Danny seinen Kommentar dazu.

Fee blickte hinaus, und sie erschrak. »Feuer«, rief sie aus. »Da brennt es.« Ihr Schrecken war besonders groß, weil in dieser Richtung auch die Leitner-Klinik lag, und schon stürzte sie zum Telefon.

Claudia Leitner meldete sich so rasch, als hätte sie auf den Anruf gewartet.

»Reg dich nicht auf, Fee, das Sägewerk brennt, wir nicht«, sagte sie.

Das Sägewerk, dachte Fee, die Marls sind vom Pech verfolgt. Frau Marl hatte erst vor drei Tagen eine schwere Operation in der Behnisch-Klinik überstehen müssen.

Fee rief in der Praxis an. Da meldete sich Loni, die außer Atem schien.

»Bei den Marls brennt es«, sagte Fee.

»Wissen wir schon. Der Chef ist unterwegs. Es gibt ein paar Verletzte. Da werden Sie heute wieder lange warten müssen.«

Das war Fee Norden gewohnt, jetzt hoffte sie vor allem, dass ihr Mann mit heiler Haut davonkommen würde.

Das Sägewerk brannte lichterloh. Die Feuerwehr bemühte sich, die Flammen vom Wohnhaus fernzuhalten, da der Wind sie genau dorthin trieb.

Es war ein einziges Inferno, als Dr. Norden kam.

»An zwei Stellen hat es angefangen, das ist Brandstiftung«, sagte eine erregte Männerstimme. »Ich habe es genau gesehen.«

»Ich auch«, rief eine Frau, doch es klang an Dr. Nordens Ohren vorbei. Er war hier, um zu helfen, wo Hilfe gebraucht wurde.

Ein zierliches Mädchen kam auf ihn zugelaufen. Schluchzend rief es: »Der Papa und mein Bruder Bobby, sie waren noch im Büro.«

»Ruhig, Marilli«, sagte Dr. Norden, »sie werden schon herausgeholt.«

Er sah jetzt, dass ein paar Gestalten aus dem Anbau gewankt kamen, in dem sich auch das Büro befand. Er kannte sich hier aus. Er schob das Mädchen, ein halbes Kind noch, zur Seite, und eilte auf die Stelle zu, wo jetzt den Verletzten erste Hilfe zuteil wurde.

Er sah Berthold Marl am Boden liegen. Seine Kleider und auch sein Haar waren versengt. Er stöhnte, aber er schlug die Augen auf, als Dr. Norden sich über ihn beugte. Dass Dr. Norden ihm eine schmerzstillende Spritze gab, schien er nicht zu spüren.

»Man will uns vernichten, Dr. Norden«, murmelte er, dann verlor er das Bewusstsein.

»Zur Behnisch-Klinik, schnellstens«, sagte Dr. Norden heiser. »Wo ist Bobby?«

»Hier bin ich«, ertönte eine zitternde Stimme. »Lebt Papa?«

Er war ein schmaler Junge von neunzehn Jahren, gewiss kein Kraftprotz, aber Dr. Norden erfuhr, wie unglaublich mutig er gehandelt hatte, als Ruhe eingekehrt war. Doch jetzt ging alles noch drunter und drüber.

Bobby sah fürchterlich aus, rauchgeschwärzt, und Brandwunden hatte er auch davongetragen. Dr. Norden versorgte ihn, so weit das hier möglich war und sagte dann, dass man ihn auch in die Behnisch-Klinik bringen solle.

»Davon werden’s sich nimmer erholen«, sagte jemand. Diesmal blickte Dr. Norden um und mitten hinein in das faltige Gesicht einer alten Frau. Aber dann sagte schon jemand: »Da wär’ auch noch der Seppi, unser Dummerl. Er hat auch was abbekommen.«

Der Seppi Mösler war schon zwanzig, aber geistig zurückgeblieben. Doch so deppert, wie er oft genannt wurde, war er nicht, wie Dr. Norden wusste. Er wurde von den Marls mit leichten Arbeiten betraut.

Seppi grinste töricht, als Dr. Norden ihn fragte, was ihm denn weh täte.

»Nix weiter, war nix mehr zu machen«, stotterte Seppi. »Alles ist hin, alles, ist ja auch nix wert. Das Haus hat’s nimmer erwischt.«

Aber da kam wieder Marilli, zitternd und schluchzend. »Was soll nur werden, Herr Doktor, was soll denn jetzt nur werden?«, flüsterte sie bebend.

»Es wird sich alles finden. Wo ist Annelore?«, fragte er.

»Bei der Mama in der Klinik. Mama geht es doch noch so schlecht.«

»Sind Burgl und Kaspar da?«, fragte er.

»Schon, aber sie packen alles zusammen was geht, falls das Haus auch noch brennt.«

»Es wird nicht brennen, Marilli«, sagte Dr. Norden tröstend. »Willst du mitkommen in die Klinik?«

Sie nickte. »Wenn Mama das erfährt, ich wag’s nicht zu denken, Herr Doktor. Es geht ihr doch noch gar nicht gut.«

*

Nein, es ging Annemarie Marl nicht gut. Ihre älteste Tochter Annelore, gerade zweiundzwanzig geworden, saß schon zwei Stunden am Bett der Mutter, als Sirenengeheul sie aufschreckte.

»Jetzt kommt der Krieg«, flüsterte Annemarie, »o nein.«

»Es kommt kein Krieg, Mama«, sagte Annelore. »Es wird ein Unfall sein.«

»Es ist die Feuerwehr«, murmelte die Kranke.

Annelore hörte es auch. Sie trat ans Fenster, auch sie sah den Feuerschein, die Richtung, und sie wusste, dass dort das Sägewerk lag. Ihr Herzschlag stockte. Kalkweiß wurde ihr reizvolles junges Gesicht.

»Bevor sie uns alles nehmen, jag ich es in die Luft«, hatte der Vater neulich im Zorn gesagt, als der Gerichtsvollzieher kam.

»Nein, das nicht«, stöhnte Annelore, »das nicht auch noch.«

»Was sagst du, Kind?«, flüsterte Annemarie.

»Du darfst dich nicht aufregen, Mama«, sagte Annelore tapfer, und dann drückte sie auf die Klingel.

Dr. Jenny Behnisch kam herbeigeeilt. Sie wusste auch schon, wo es brannte. Aber an diesem Tag war auch in der Klinik die Hölle los, und sie wussten, dass gleich noch ein paar Verletzte gebracht werden würden.

»Mama regt sich auf wegen der Feuerwehr«, murmelte Annelore.

Große Aufregung konnte für Annemarie Marl den Tod bedeuten. Dr. Jenny Behnisch verabreichte ihr eine Injektion, die sie rasch einschlafen ließ. Dann nahm sie Annelore beim Arm. »Jetzt musst du ganz tapfer sein, Annelore«, sagte sie. Sie konnte du sagen. Sie kannte das Mädchen seit der Schulzeit, als Annelore hier am Blinddarm operiert worden war, und Jenny Behnisch fühlte eine ganz besondere Zuneigung zu diesem stillen, zarten Geschöpf.

»Es brennt bei uns, ich fühle es«, sagte Annelore mit erstickter Stimme. »Der Papa.« Sie unterbrach sich hastig. »Was ist mit Papa?«

»Er wird gleich gebracht. Er scheint nicht schwer verletzt zu sein.«

Annelore blickte sie mit leeren Augen an. »Für Mama könnte es den Tod bedeuten«, schluchzte sie trocken auf.

»Sie wird es jetzt nicht erfahren. Wir sprechen noch darüber, Annelore. Ich muss runter, sie kommen schon.«

Annelore folgte ihr, und sie sah auch gleich ihren bewusstlosen Vater. Es schien, als würde sie zusammenbrechen, doch da stand plötzlich ein kräftiger junger Mann neben ihr und fing sie auf.

»Ruhig, ganz ruhig, es kommt schon alles wieder in Ordnung.«

»Jörg, du bist da. Es ist alles so schrecklich«, weinte Annelore auf.

Jörg Cremer nahm sie in die Arme. »Ich bin bei dir und bleibe bei dir, Lori«, sagte er zärtlich.

Dann schon wurde Bobby gebracht, aber er ließ sich nicht tragen. Auf schwankenden Füßen betrat er die Halle und wankte dann auf Annelore zu. Aus glasigen Augen blickte er sie an.

»Wir haben ganz umsonst gerechnet«, lallte er, »ganz umsonst, alles hin.«

»Er steht unter einem schweren Schock«, sagte er Sanitäter. »Er war mit Ihrem Vater im Büro, Fräulein Marl.«

»Und das Haus?«, fragte Annelore tonlos.

»Es ist unversehrt.«

Jörg führte Annelore zu einem Sessel. »Ich hole dir was zu trinken«, sagte er.

Aber da brachte schon Schwester Martha Wasser und Säfte Annelore zitterte wie Espenlaub. Jörg hielt ihr das Glas an die Lippen, aber sie konnte nur einen kleinen Schluck trinken.

»Es ist aus, Jörg«, murmelte sie, »jetzt ist alles aus. Geh lieber, bevor du auch noch ins Gerede kommst.«

»Was redest du da für dummes Zeug, Lori?«

»Wenn es nun Brandstiftung war?«

»Dann werden sie den Täter suchen und finden.«

Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht, aber sie brachte kein Wort über die Lippen.

*

Für Berthold Marl war es gut, dass seine Bewusstlosigkeit dann gleich in einen tiefen Schlaf überging. Er war ohnehin schon in einem desolaten Zustand gewesen, wie Dr. Norden wusste, und nun noch dieser Schock. Die Familie war seit einem Jahr wirklich vom Pech verfolgt. Zuerst war er einem Betrüger aufgesessen, dem er für eine beträchtliche Summe Holz geliefert hatte, und dann bekam er außer einer ganz geringen Anzahlung keinen Euro mehr. Das Holz war allerdings auch abtransportiert und nicht auffindbar. Dann hatte sein Lastwagenfahrer einen schweren Unfall gebaut, an dessen Folgen er gestorben war. Kosten kamen auf ihn zu, mit denen er wahrhaftig nicht rechnen konnte, und dazu setzte auch noch die Rezession ein. Nun hatte sich Annemarie Marl auch noch dieser schweren Magenoperation unterziehen müssen, nach einer Magenperforation. Noch war die Gefahr für ihr Leben nicht gebannt. Auf keinen Fall durfte sie einer Aufregung ausgesetzt werden. Aber wie sollte man es ihr verheimlichen, warum ihr Mann sie nicht besuchen konnte, warum auch Bobby sichtbare Verletzungen aufwies.

Er beruhigte sich dann wenigstens einigermaßen, als er ärztlich versorgt war und ein Beruhigungsmittel bekommen hatte und Annelore bei ihm saß.

»Es war Brandstiftung, Anne«, sagte er, »ganz bestimmt. Es ging alles so rasend schnell.«

»Sag es nicht so laut«, bat sie.

»Warum nicht?«

»Du weißt doch, was Papa gesagt hat.«

Er starrte sie an. »Denk das doch nicht, um Himmels willen. Was man im Zorn sagt, überlegt man sich letztlich doch. Außerdem saßen wir seit Stunden beisammen und haben gerechnet und immer wieder gerechnet und überlegt, wie wir aus dem Dilemma herauskommen können. Papa hatte ja auch schon mit Kienbaum gesprochen, der unter Umständen bereit ist, zu helfen.«

»Unter welchen Umständen?«, fragte Annelore bebend.

»Ich weiß es nicht genau. Papa hat nur gesagt, dass es der letzte Ausweg wäre. Aber welcher Ausweg bleibt uns jetzt?«

»Jetzt ist es wichtig, dass Mama nichts erfährt. Es geht ihr noch gar nicht gut. Sie hätte schon früher sagen müssen, dass sie Schmerzen hat. Ich weiß auch nicht, wie es weitergehen soll, Bobby. Marilli möchte so gern studieren, und sie ist doch so gescheit. Ich kann mir ja woanders eine Stellung suchen, aber was werde ich anfangs schon verdienen im Büro?«

»Irgendwie müssen wir es schaffen, Anne. Wenn wir zusammenhalten, fangen wir noch mal von vorn an.«

»Aber Mama müsste auch eine Kur machen, und wer weiß, wann Papa wieder gesund wird. Es hat ihn schlimm erwischt.«

»Lass jetzt den Kopf nicht hängen, Anne. Fahr heim und kümmere dich um Marilli. Ich bleibe hier, bis ich weiß, was mit Papa ist.«

Er gab sich mutig, dabei fielen ihm die Augen fast zu und als Annelore gegangen war, schlief er auch in dem Sessel gleich ein.

Freilich wirkte da auch die Injektion, und auch für ihn war es gut, dass sein Denken für einige Zeit ausgelöscht war.

Jörg Cremer wartete noch immer. Er war draußen herumgelaufen, aber sofort zur Stelle, als er Annelore kommen sah.

»Jetzt opferst du auch noch deine Nachtruhe«, sagte sie, und ein Zucken lief über ihr Gesicht. »Dabei musst du doch so früh raus.«

»Es ist kein Opfer, Lori.« Er hatte sie gleich Lori genannt, da die meisten Anne zu ihr sagten. Für ihn war sie etwas Besonderes. Sie kannten sich schon drei Jahre, aber ihre Freundschaft war langsam gewachsen, da Annelore ein sehr zurückhaltendes Mädchen war, und während er längst wusste, dass er sie liebte, hatte er von ihr noch keine Resonanz bekommen, nicht die, nach der er sich sehnte.

Auf der Heimfahrt fasste er Mut, ihr das zu sagen, was ihm so am Herzen lag.

»Ich habe jetzt eine gut dotierte Stellung, Lori. Mit meinem Chef komme ich bestens zurecht, und ich werde auch in absehbarer Zeit Abteilungsleiter werden. Wir können heiraten, wenn du ja sagst.«

Ein Beben durchlief sie. Wie gern hätte sie ja gesagt. »Ich kann meine Eltern jetzt doch nicht im Stich lassen, Jörg«, erwiderte sie stattdessen. »Bei uns sieht es schlimm aus. Wir stehen vor dem Ruin, du kannst es ruhig wissen. Nein, unter solchen Voraussetzungen kann ich nicht ja sagen. Ich habe dich lieb, sehr lieb, und ich bin dir dankbar, dass du dich gleich um mich gekümmert hast, aber ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.«

»Nicht verzagen, Lori. Oft sieht alles viel schlimmer aus, als es ist. Die Versicherung muss doch einspringen.«

»Das dauert ewig. So lange halten wir nicht durch. Papa kämpft schon lange gegen noch unbekannte Widersacher an. Wir wissen nicht, was sie im Schilde führen, aber unser Sägewerk muss jemand ein Dorn im Auge sein. Der Ort ist gewachsen. Viele einflussreiche Leute sind hierhergezogen, die schon ein Sägewerk als Industrie bezeichnen. Mir kommen da manchmal ganz dumme Gedanken.«

»Sprich dich doch aus.«

»Das kann ich nicht. Ich habe keine konkreten Beweise, Papa auch nicht. Wir sind nicht reich. Wir können solche Durststrecken nicht überdauern.«

»Ich werde mich mal umhören, Lori«, sagte er beruhigend.

»Du wirst auch nichts erreichen, Jörg.«

»Ich vielleicht nicht, aber mein Chef. Er ist ein Mann, der großen Einfluss hat. Ich halte sehr viel von ihm.«

»Papa hat leider auch von manchen Menschen zu viel gehalten«, sagte Annelore leise.

»Ich bin realistischer, Kleines. Nichts gegen deinen Vater. Er ist ein ehrenwerter Mann, aber dieser harten Konkurrenz, die wir jetzt haben, nicht gewachsen. Sei mir nicht böse, wenn ich das sage, aber einen Familienbetrieb kann man heute eben nur halten, wenn viel Kapital dahintersteht.«

»Wir hatten viel Pech, Jörg«, flüsterte sie.

»Das weiß ich.«

Sie waren nun am Ziel. Die Feuerwehr war immer noch am Werk. Scheinwerfer beleuchteten die Unglücksstelle. Es sah gespenstisch aus. Das Wohnhaus war hell erleuchtet. Seppi schlich dort herum. Als er Annelore und Jörg sah, zuckte er zusammen.

»Alles hin, alles hin«, murmelte er. »Kann nichts mehr tun.«

»Geh nach Hause, Seppi«, sagte Annelore müde. »Und du fährst jetzt auch heim, Jörg. Ich muss mich um Marilli kümmern.«

»Ich komme morgen Abend vorbei, Lori. Versuch zu schlafen.«

Daraus wurde allerdings nicht viel. Marilli saß mit verweintem Gesicht in der Küche bei Burgl und Kaspar, die völlig versteinert wirkten.

»Wenn nur der Herr wieder gesund wird und es der Frau nicht schadet«, murmelte Burgl.

»Mama darf es nicht erfahren«, sagte Annelore leise. »Es geht ihr nicht gut.«

»Alles kommt zusammen«, flüsterte Marilli. »Was ist mit Papa?«

»Er ist gut versorgt. Bobby bleibt noch bei ihm«, erwiderte Annelore. »Morgen werden wir weitersehen. Irgendwie muss es weitergehen.«

»Der Teufel steckt dahinter«, brummte Kaspar.

*

Wer kann es getan haben, überlegte Bobby, als er am Bett seines Vaters saß. Aber alles Grübeln nutzte nichts, es machte ihn nur noch müder, und dann fielen ihm auch schon die Augen zu. Dr. Behnisch sorgte dafür, dass er auf ein Notbett gelegt wurde. Bobby merkte davon nichts mehr. Er schlief den Schlaf tiefster Erschöpfung.

Dr. Norden stärkte sich indessen schon in seinem behaglichen Heim mit einem heißen Tee, dem Fee einen guten Schuss Rum zugegeben hatte.

»Wer könnte es gewesen sein, wenn es Brandstiftung war?«, fragte Fee nachdenklich.

»Wenn man das wüsste, aber es war Brandstiftung. Zur gleichen Zeit bricht ein Feuer nicht an zwei entgegengesetzten Stellen aus. Marl und Bobby waren im Büro, das steht fest.«

»Du wirst doch keinen von den beiden verdächtigen, Daniel«, sagte Fee erschrocken.

»Weißt du, Feelein, in der Verzweiflung kommt es manchmal doch zu einer Kurzschlusshandlung, aber ich glaube jetzt nicht mehr, dass Marl mit seinen Vermutungen, dass ein Kesseltreiben gegen ihn im Gange sei, so Unrecht hatte, obgleich ich mir schlecht vorstellen kann, dass ein so gutmütiger Mann Feinde haben kann.«

»Das Sägewerk war manchen ein Dorn im Auge«, meinte Fee.

»Immerhin stand es bereits, bevor diese Häuser dort gebaut wurden, und die Käufer wussten davon. Sie konnten es ja sehen.«

»Vielleicht wurde ihnen gesagt, dass es bald verschwinden würde.«

Daniel sah sie bestürzt an. »Aber so verrückt kann doch von diesen Anliegern niemand sein, es anzuzünden, weil es eben nicht verschwunden ist.«

»Es könnte ja auch jemand gewesen sein, dem es nicht gefiel, dass Marl nicht verkaufen wollte.«

»Was du alles denkst, Fee.«

»Es braucht ja nicht zu stimmen, aber man hat in letzter Zeit ja so manches gemunkelt. Das weißt du auch.«

»Nun, es wird untersucht werden, und hoffentlich wird der Schuldige bald gefunden«, sagte Daniel, »aber ich glaube nicht, dass Marl solch Durchstehvermögen hat, noch mal aufzubauen.«

»Soll er sich mit fünfzig Jahren zur Ruhe setzen?«

»Er ist verbraucht, Fee. Ich glaube jetzt, dass man ihn zermürbt hat. Und wenn seine Frau nicht durchkommen sollte …«

»Sag das um Himmels willen nicht!«, fiel Fee ins Wort.

Daniel zuckte die Schultern »Wenn sie das erfährt, sehen wir schwarz. Aber wie soll man es ihr verheimlichen? Darüber zerbrechen sich Dieter und Jenny auch den Kopf.«

*

So war’s. Aber Jenny hatte dann die Idee! »Wir werden Frau Marl sagen, dass ihr Mann und Bobby eine schwere Erkältung haben und sie deshalb nicht besuchen dürfen. Eine Woche können wir überbrücken. Die beiden Töchter müssen eben dichthalten, bis die Krisis überstanden ist. Zeitungen bekommt sie auch nicht, und andere Besucher werden nicht vorgelassen.«

»Du weißt sofort Rat«, sagte Dieter Behnisch bewundernd.

»Ich hatte auch schon ein bisschen mehr Zeit als du, darüber nachzudenken. Bobby lassen wir jetzt schlafen, und du gehst auch zu Bett.«

»Und du bleibst wach. Wir führen eine Ehe«, seufzte er.

»Jedenfalls wird es uns nicht langweilig, und wir fallen uns nicht auf die Nerven.« Aber einen Kuss bekam er von Jenny schon noch. Sie verstanden sich und liebten sich, wenngleich es bei ihnen ein bisschen anders war als bei Daniel und Fee Norden. Als sie sich kennenlernten, war Jenny physisch und psychisch fast am Ende gewesen. Ihre Tätigkeit im Nahen Osten hatte nicht nur ihrer Gesundheit geschadet, sie hatte auch menschliche Erniedrigungen hinnehmen müssen. Und damals war es Daniel Norden gewesen, der ihr die Stellung an der Behnisch-Klinik verschaffte. Dieter und Jenny wurden Freunde, und aus dieser Freundschaft wurde dann auch Liebe, die zu einer Ehe führte, in der es sehr harmonisch zuging. Im Beruf konnten sie sich völlig aufeinander verlassen. Ja, Dr. Dieter Behnisch konnte ruhig schlafen, wenn seine Frau Nachtwache hielt. Umgekehrt war es auch so. Aber in dieser Nacht war Jenny noch mehr beschäftigt als sonst.

Berthold Marl phantasierte. Bobby wachte davon auf, und als gäbe es eine Antenne zwischen den beiden und Annemarie Marl, war diese auch sehr unruhig.

Annelore war daheim auch nach kurzem unruhigem Schlummer aufgeschreckt, und als sie sich überzeugt hatte, dass Bobby nicht heimgekommen war, überfiel sie Angst, und sie rief in der Behnisch-Klinik an. Jenny gelang es, auch sie damit zu beruhigen, dass es für Bobby besser sei, wenn er die Nacht in der Klinik verbringen würde.

Da war es bereits fünf Uhr morgens, und als Annelore den Hörer auflegte, kam Marilli aus ihrem Zimmer.

Mit angstvollen Augen starrte sie die ältere Schwester an.

»Was ist?«, fragte sie bebend.

»Nichts, Marilli. Sie behalten Bobby nur noch diese Nacht in der Klinik, und Frau Dr. Behnisch hat mir gerade gesagt, dass Mama keinesfalls etwas von dem Brand erfahren darf.«

»Aber sie ist gewohnt, dass Papa sie jeden Tag besucht«, sagte Marilli beklommen.

»Man wird ihr sagen, dass Papa und Bobby schwer erkältet sind. Daran müssen wir uns auch halten, und du darfst zu niemandem etwas anderes sagen.«

»Für blöd brauchst du mich nicht zu halten«, sagte Marilli. »Ich möchte jetzt nur wissen, wer das Papa und uns allen angetan hat.«

Annelore schwieg. Sie ging zum Fenster. Die Nacht wich morgendlicher Dämmerung. Das Bild des Schreckens lag vor ihren Augen. Nein, dachte sie, Papa hat es nicht getan. In letzter Verzweiflung hätte er eher sich selbst umgebracht. Niemals hätte er auch Bobby geopfert. Sie konnte schon wieder klarer denken.

Da sah sie eine schattenhafte Gestalt herumschleichen.

Zuerst dachte sie, es wäre Seppi, aber dann konnte sie erkennen, dass die Gestalt größer, breiter war. Aber dann war sie auch schon wieder, wie ein Geist in Schwarz, verschwunden.

»Ich kann nicht mehr schlafen«, sagte Marilli.

»Dann mache ich einen Kaffee«, erklärte sich Annelore sofort bereit.

»Es riecht überall verbrannt«, klagte Marilli. »Meinst du, dass Papa das noch mal aufbauen wird?«

»Nein«, erwiderte Annelore wortkarg. »Es wird lange dauern, bis die Versicherung zahlt, und um Darlehen wird Papa nicht bitten.« Es wird auch kaum Sinn haben, dachte sie weiter. Alle wollten ihm doch einreden zu verkaufen. Aber warum? Gewiss, es entstand tagsüber einiger Lärm durch die Sägen, aber man brauchte nicht jene Verschmutzung zu fürchten, die andere Industriebetriebe oder gar der Autoverkehr verursachen.

Sie waren hier aufgewachsen und mit den üblichen Geräuschen vertraut, und die Wohnsiedlung, die jetzt seit etwas mehr als einem Jahr fertiggestellt und bewohnt wurde, lag nicht so nahe, dass die Geräusche tatsächlich so sehr stören konnten, wie manche wohl behaupten mochten. Annelore hatte schon viel darüber nachgedacht, besonders, wenn Fritz Kienbaum über solche Beanstandungen mit dem Vater gesprochen hatte.

Kienbaum! Annelore konnte ihn nicht leiden, aber er gehörte nun mal zu den einflussreichen Leuten hier, und er hatte so viel Geld, dass Berthold Marl geradezu ehrfürchtig zu ihm aufblickte.

Viele Gedanken kreisten hinter ihrer glatten Stirn, als sie mit Marilli am Frühstückstisch saß. Die Natur verlangte ihr Recht.

Sie hatten Hunger, da sie am Abend nichts gegessen hatten.

»Ich kann ja von der Schule abgehen und eine Stellung annehmen«, sagte Marilli.

»Nein, das wirst du nicht. Was für eine Stellung denn schon? Es gibt so viele Leute, die eine Stellung suchen.«

»Hausmädchen werden gut bezahlt, schau mal in die Zeitung«, sagte Marilli.

»Als wenn du Talent zum Hausmädchen hättest! Du kannst ja nicht mal dein Zimmer in Ordnung halten«, sagte Annelore. »Ich meine es nicht böse, Marilli, aber den Zahn kannst du dir ziehen lassen.«

»Wenn ich schon so alt wäre wie du, würde ich einen reichen Mann heiraten, der die Karre aus dem Dreck zieht.«

»Und die reichen Männer wachsen auf den Bäumen«, meinte Annelore spöttisch. »Und so schön sind wir nun auch wieder nicht, Marilli.«

»Du schon«, sagte die Jüngere. »Der Kienbaum ist doch so hinter dir her, merkst du denn das nicht?«

Annelore erstarrte. »Würdest du mir so was zumuten?«, fragte sie tonlos.

»Wieso nicht? Er sieht doch ganz propper aus, und es ist immer noch besser, als in Armut zu leben.«

»Solche Einstellung hätte ich von dir nicht erwartet«, fauchte Annelore ihre Schwester an.

»War ja nur ein dummer Scherz, Anne«, wurde sie zugleich beschwichtigt. »Ich wollte nur mal wissen, wie du reagierst. Vielleicht hat sich Papa doch etwas davon versprochen, dass Kienbaum bei uns einheiratet.«

Annelore wurde blass. »Das traust du Papa zu?«, fragte sie tonlos.

Marilli zuckte die Schultern. »Meine Güte, Eltern erhoffen sich für ihre Töchter immer eine gute Partie, und wir haben sehr konservative Eltern, Anne. Fauch mich nicht gleich wieder an. Wir haben liebe Eltern, und wir haben sie ja auch lieb, aber irgendwie sind sie im Althergebrachten doch zu sehr verwurzelt. Papa kann mit dem technischen Fortschritt einfach nicht Schritt halten, dazu fehlt uns das Geld. Sag nicht, dass ich zu jung bin, um da mitzureden. Ich denke schon über so was nach, und der Ulli hat auch einen Durchblick. Sein Vater ist schließlich Baustoffhändler. Der weiß, was gebraucht wird, und wie es läuft.«

»Und sie sind schnell reich geworden«, sagte Annelore bitter.

»Meine Güte, verdreh doch nicht die Tatsachen. Ullis Vater ist clever, das gehört heutzutage dazu, wenn man am Drücker bleiben will. Der fällt auch nicht auf solche Schwindler rein wie Papa.«

»Papa ist zu gutmütig und so seriös, dass er das bei anderen auch voraussetzt«, sagte Annelore.

»Und zahlt immer drauf. Meine Güte …«

»Das sagst du jetzt schon zum dritten Mal, Marilli«, fiel ihr Annelore ins Wort. »Reden wir nicht mehr von dem, was nicht mehr zu ändern ist.«

»Jetzt fehlt nur noch, dass sie uns anhängen, das Feuer selbst gelegt zu haben«, ereiferte sich Marilli. Und da kroch ein Frösteln durch Annelores Körper.

»Jedenfalls wird die Versicherung nicht sobald zahlen«, sagte sie tonlos.

*

Das war auch Berthold Marls erster Gedanke, als er am Morgen erwachte. Bobby war schon von seinem Stöhnen geweckt worden, und er wusste gar nicht, wo er sich befand und meinte, einen bösen Traum gehabt zu haben. Aber es war Wirklichkeit, das wurde ihm jäh bewusst, als er den Kopfverband beim Vater sah.

»Bobby, was ist?«, murmelte der Kranke.

»Ich bin schon wieder okay, Papa. Reg dich nicht auf.«

»Wir sind am Ende. Was ist mit dem Haus?«

»Es steht.«

»Und die Mädchen, Kasper und Burgl?«

»Nichts passiert«, erwiderte Bobby rau.

»Wer ist es gewesen?«

»Ich weiß es nicht, Papa.«

»Du musst dich darum kümmern. Zum Teufel, warum kann ich mich nicht rühren?«

»Weil du allerhand abbekommen hast. Aber Mama darf das nicht erfahren.«

Der Neunzehnjährige wuchs über sich hinaus. Ganz ruhig und besonnen war er jetzt. »Ich geh jetzt nach Hause, Papa. Es muss ja allerhand geregelt werden.«

»Die paar tausend Euro, die wir noch haben, werden nicht lange reichen, Bobby.«

»Mach dir jetzt darüber keine Gedanken, Papa.«

»Sprich doch mal mit Kienbaum. Jetzt, wo alles weg ist, braucht ja nichts mehr abgerissen zu werden.«

»Was meinst du, Papa?«, fragte Bobby aufhorchend.

»Die Baugesellschaft ist doch interessiert an dem Grund.«

»Und was hat Kienbaum damit zu tun?«

»Er wollte das vermitteln. Ich habe Schulden bei ihm, Bobby.«

»Warum hast du das nicht gesagt?« Bobbys Stimme klang rau.

»Jetzt habe ich es gesagt. Es war ein Freundschaftsdienst von ihm, so unter der Hand.«

»Schwarzes Geld?«

»Das hat uns nichts anzugehen, Bobby. Halt deinen Mund. Red nicht darüber. Jedenfalls bin ich ihm verpflichtet.«

Bobby dachte nach. »Um wie viel geht es, Papa?«

»Fünfzigtausend.«

Bobby seufzte schwer. Er wollte nicht aussprechen, was er dachte. Kienbaum hatte seinen Vater also in der Hand. So sah er es, denn er hatte seine eigene Meinung über Fritz Kienbaum.

Jenny Behnisch sprach dann noch mit ihm, und er war nur halbwegs erleichtert, dass sie eine Lösung gefunden hatten, um der Mutter zu erklären, warum sie von Ehemann und Sohn nicht besucht wurde.

Das konnte er dann auch Annelore und Marille berichten, doch die Stimmung blieb verständlicherweise gedrückt.

Um zehn Uhr erschien Fritz Kienbaum. Für seine vierzig Jahre sah er wirklich noch ganz gut aus, aber er hatte etwas in seinem Wesen, was Annelore ebenso störte wie ihren Bruder Bobby.

Das alles sei ja schrecklich, sagte er, aber die beiden trauten ihm dennoch kein echtes Bedauern zu.

Wie es denn passiert sei, wollte er wissen. Ob jemand ein Streichholz oder eine Zigarette weggeworfen hätte.

»Wir sind alle Nichtraucher«, sagte Bobby, »aber da das Feuer an zwei Stellen ausbrach, wird es sich wohl um Brandstiftung handeln.«

»Tatsächlich an zwei Stellen?«, fragte Fritz Kienbaum. »Nun, das wird ja bei der Untersuchung noch genau festzustellen sein. Jedenfalls ist das Haus erhalten und ihr habt ein Dach über dem Kopf. Kann man den Vater besuchen?«

»Jetzt noch nicht«, erwiderte Bobby. »Ihn hat es ziemlich erwischt.«

»Aber du bist wenigstens ganz gut davongekommen. Und wo waren die Mädchen?«

»Annelore war bei Mama in der Klinik und Marilli im Hause. Will man uns schon unterstellen, dass wir das Feuer gelegt haben?«, fragte Bobby unwillig.

»Gott bewahre. Ich möchte euch helfen. Ich werde doch solchem Gerede nicht Gehör schenken. Kommt zum Mittagessen ins Jagdschlössel. Ich lade euch ein.«

»Danke, aber wir essen zu Hause«, erwiderte Bobby. »Ich kann nicht weg, und meine Schwestern müssen Mama besuchen.«

»Weiß sie es schon?«, fragte Fritz Kienbaum.

»Nein, und sie darf jetzt auch noch nichts erfahren.«

Annelore hatte sich zurückgezogen. Bobby war das gar nicht aufgefallen, aber Kienbaum schien es zu ärgern.

»Hat Annelore etwas gegen mich?«, fragte er lauernd.

»Wir müssen viel erledigen.«

»Ich biete gern meine Hilfe an. Ich biete Annelore auch eine gutbezahlte Stellung.«

»Die bekommt sie allweil«, entgegnete Bobby, »aber jetzt ha­ben wir hier selbst noch genug zu tun. Es fällt allerhand Schreibkram an.«

»Ich werde Berthold besuchen, sobald es möglich ist. Er wird meine Hilfe bestimmt gern annehmen«, sagte Fritz Kienbaum ironisch. »Wenn ihr meint, allein zurechtzukommen, will ich mich nicht aufdrängen.«

Annelore trat nicht in Erscheinung, aber Marilli verabschiedete sich freundlich von Kienbaum.

»Ist er endlich weg?«, fragte Annelore dann.

»Ein bisschen freundlicher könntest du schon zu ihm sein«, meinte Marilli.

»Ich kann ihn nicht leiden.«

Bobby verschränkte die Arme über der Brust. »Papa hat sich aber ziemlich abhängig von ihm gemacht«, sagte er dumpf. »Kienbaum hat ihm fünfzigtausend geliehen, aber das bleibt unter uns. Du behältst es auch für dich, Marilli!«

»Meinst du, ich gehe mit unseren Schulden hausieren«, konterte sie schnippisch. »Das fehlt gerade noch. Immerhin ist Kienbaum bisher der Einzige, der Hilfe anbietet.«

»Er wird schon wissen, warum«, sagte Annelore. »Aber jetzt bekommen wir erst mal die Kripo ins Haus. Sie nehmen die Ermittlungen auf. Da kommen sie ja anscheinend schon.«

Es waren zwei Beamte, und dann wurden den Geschwistern Fragen über Fragen gestellt, auch die, ob sie einen Verdacht hegen würden.

Befragt wurde auch Seppi, aber er gab sich noch damischer als sonst. Von Kaspar und Burgl war nichts anderes zu hören, als dass sie mit dem Gartenschlauch das Feuer vom Wohnhaus ferngehalten hätten, und wie nötig das gewesen war, verriet die rußgeschwärzte Ostseite des Hauses.

Doch das war nur der Anfang der Ermittlungen. Die Geschwister ahnten noch nicht, was alles auf sie zukommen würde.

Annelore und Marilli fuhren dann zur Klinik. Mehrmals ermahnte Annelore die Jüngere, sich ja nicht zu verraten.

»Mir kommt es grad so vor, als würdest du mich für blöd halten«, beschwerte sich Marilli.

»Das nicht, Marilli, aber du bist sehr spontan. Du traust ja auch dem tückischen Kienbaum.«

»Wieso tückisch?«, fragte Marilli.

»Er ist doch scheinheilig. Ich traue ihm nicht über den Weg.«

»Ich verstehe dich wirklich nicht, Anne. Der einzige Mensch, der uns helfen will, ist dir ein Dorn im Auge.«

»Es wird sich schon herausstellen, wer recht hat«, sagte Annelore.

*

Jörg Cremer hatte zu dieser Zeit auch eine längere Besprechung mit seinem Chef. Dr. Rambolt hielt sehr viel von seinem jungen Mitarbeiter, der erst seit ein paar Monaten in seinem Ziegelwerk angestellt war.

Das Geschäftliche war besprochen. Dann fasste sich Jörg ein Herz.

»Dürfte ich eine persönliche Frage an Sie richten, Herr Dr. Rambolt?«

»Nur zu.«

»Gestern Abend ist das Sägewerk Marl abgebrannt.«

»Was sagen Sie da?«, fragte Dr. Rambolt erregt. »Ich habe noch nichts davon gehört. Haben sie es jetzt geschafft?«

Jörg sah ihn bestürzt an. »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte er stockend. »Die Marls haben damit nichts zu tun.«

»Das meine ich auch nicht. Marl ist ein sehr seriöser Mann, aber auch sehr konservativ. Ich weiß aber auch, dass eine Baugesellschaft sehr an seinem Terrain interessiert ist.«

»Dann stimmt das also«, sagte Jörg nachdenklich.

»Genaues weiß ich nicht, aber ich kann mich erkundigen, wenn es für Sie von Interesse ist, Herr Cremer. Sie kennen die Familie?«

»Schon lange. Ich bin mit Annelore Marl befreundet und möchte sie gern heiraten. Sie haben viel Pech gehabt.«

»Und welche Hilfe kann ich Ihnen geben?«

»Sie kennen doch Herrn Kienbaum. Ich würde gern wissen, welche Rolle er innerhalb der Baugesellschaft spielt.« Jörg wurde rot. »Es ist sonst nicht meine Art, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll.«

»Ich verstehe Sie schon. Sie haben Grund, misstrauisch gegen Herrn Kienbaum zu sein! Sie dürfen ganz offen zu mir sein, Herr Cremer.«

»Es wird viel geredet, aber etwas habe ich schon erfahren. Ein Freund von mir ist Architekt in der Baugesellschaft. Er deutete mir an, dass Kienbaum da ganz dick beteiligt ist, ohne selbst genannt zu werden.«

»Das könnte stimmen. Aber jetzt informieren Sie mich erst genauer, Herr Cremer. Wie ist es zu dem Brand gekommen?«

Jörg erzählte, was er bisher wusste und was er dachte. Dr. Rambolt hörte ihm sehr konzentriert zu.

»Da haben Sie mich auf etwas gebracht, was ich bisher nicht in Betracht gezogen habe«, sagte er. »Darüber sprechen wir später. Und unser Gespräch wird tatsächlich als ganz privat und diskret behandelt. Ich werde es Sie wissen lassen, wenn ich Erkundigungen eingezogen habe. Sollten Sie mehr erfahren, bitte ich, mir dies mitzuteilen.«

»Sie verübeln es mir nicht?«, fragte Jörg.

»Ganz im Gegenteil. Es war für mich sehr interessant. In dieser Branche ist man vor Überraschungen nicht sicher und es ist immer gut vorgewarnt zu sein.«

Jörg mochte jetzt nicht auch noch fragen, was er damit meinte. Er war erleichtert, dass er keine Abfuhr bekommen hatte. Dr. Rambolt trennte sich mit einem festen Händedruck von ihm. »Es ist immer gut, wenn man weiß, was man von seinen Mitarbeitern zu halten hat, Herr Cremer«, sagte er. »In sechs Wochen verlässt uns Herr Schubert, dann werden Sie Abteilungsleiter.«

»Aber Schubert hat doch gar nicht gekündigt«, sagte Jörg stockend.

»Er wird uns dennoch verlassen. Es braucht darüber nicht gesprochen zu werden.«

Für Dr. Rambolt war es sehr aufschlussreich gewesen, was er von Jörg erfahren hatte, doch der sollte es erst viel später erfahren, wovor er seinen Chef gewarnt hatte.

Ute Rambolt kannte ihren Mann selten so schweigsam wie an diesem Abend.

»Was hast du, Jens?«, fragte sie. »Sorgen?«

Er schrak zusammen, und sie merkte, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders gewesen war.

»Wir sollten Kienbaum bald einmal einladen«, sagte er.

Jetzt war sie erschrocken. »Wieso denn das?«, fragte sie verwirrt, und für diese Verwirrung hatte sie gute Gründe, denn Fritz Kienbaum hatte zu ihren hartnäckigsten Bewerbern gehört. Ute war nicht nur eine sehr aparte Frau, sie hatte auch einen sehr reichen Vater gehabt, der ihr eine erkleckliche Mitgift mitgegeben hatte. Sie hatte sich für Jens Rambolt entschieden, und das nicht nur deshalb, weil er Besitzer dieses gut florierenden Ziegelwerkes war. Sie waren bereits zehn Jahre verheiratet und hatten zwei Kinder.

»Soll ich ihm demonstrieren, wie glücklich wir verheiratet sind?«, fragte sie spöttisch.

»Das brauchen wir ja nicht zu demonstrieren. Wir sind doch glücklich, mein Schatz. Aber ich möchte ihm gern mal auf den Zahn fühlen, wegen seiner Pläne, für die er mich auch gewinnen wollte. Wir könnten ihm doch mal ein bisschen vorgaukeln, wie großartig wir ihn finden.«

»Für mich war er immer das Gegenteil von großartig«, spottete Ute.

»Aber wenn du das zeigst, werden wir ihm nicht die Zunge lösen. Erinnere dich doch mal wieder daran, wie gern du Schauspielerin werden wolltest.«

»Und wenn du dann wieder eifersüchtig wirst?«, fragte sie neckend.

»Werde ich nicht. Du bekommst einen Brillantorden, wenn du ihn zum Schwätzen bringst.«

»Verzichte dankend, wenn du mich davor bewahrst, dass er zu vertraulich wird.«

»Worauf du dich verlassen kannst.«

»Aber ich möchte wissen, um was es geht.«

»Um ein Riesengeschäft. Hast du übrigens gehört, dass das Sägewerk Marl abgebrannt ist?«

»Konkurs?«, fragte sie konsterniert.

»Nein, im wörtlichen Sinne. Gestern Abend.«

»Guter Gott, das ist ein harter Schlag. Ulli Burkhardt ist doch mit Marilli Marl befreundet.«

»Und Jörg Cremer mit Annelore. Habe ich heute erfahren. Und dass Kienbaum scharf auf das Grundstück war, habe ich auch läuten hören. Nun wird er es wohl für ein Butterbrot bekommen, wenn niemand mitmischt.«

»Willst du mitmischen?«, fragte Ute.

»Auf meine Weise, Ute. Ich kann diesen Kienbaum nicht ausstehen.«

Sie lachte leise. »Doch noch eifersüchtig?«

»Wenn ich das sein müsste, wären wir längst geschieden«, bekam sie zur Antwort.

»Gut, zu wann laden wir ihn ein?«, fragte sie.

»Donnerstag?«

»Wenn er Zeit hat? Soll ich ihn etwa anrufen?«

»Das wäre ganz reizend.«

»Und wenn er nein sagt?«

»Wenn du anrufst, wird er nicht nein sagen.«

Fritz Kienbaum sagte nicht nein, als Ute anrief. Er zeigte sich hocherfreut.

»Na, was hat er gesagt?«, fragte Jens.

»Dass es wohl Gedankenübertragung gewesen sei. Er hätte auch schon vorgehabt, eine Verabredung mit dir zu treffen, aber mich wiederzusehen, wäre ihm natürlich noch viel lieber. Alte Liebe rostet nicht.«

»Das hat er auch gesagt? Na, der wird sich wundern.«

»Aber es war nicht meine Idee, liebster Jens.«

»Du wirst dich zu gegebener Zeit um die Kinder kümmern müssen, liebste Ute«, gab er zurück.

»Welch ein Trost«, sagte sie mit leisem Lachen. »Und was kommt dabei heraus?«

»Das allerdings bleibt abzuwarten. Er ist ein schlauer Fuchs.«

»Er überschätzt sich manchmal«, sagte Ute. »Er hat Schwachstellen.«

»Und die kennst du.«

»Eine kluge Frau baut vor, und anscheinend ist er immer an Frauen geraten, die klug waren.«

»Wieso?«

»Sonst wäre er doch sicher schon verheiratet.«

Sie sah ihren Mann verschmitzt lächelnd an. »Eine Dumme, die dazu auch noch kein Geld hat, hätte er nicht genommen.«

»Und was erwartet er? Weißt du das auch?«

»Profit und eine Frau, die ihm nützlich ist, nicht nur ein Hausmütterchen. Aber eine gescheite Frau, die dazu auch noch Geld hat, stellt eben doch andere Ansprüche.«

»Du wirst sicher herausbekommen, ob er seinen Blick jetzt auf eine Bestimmte gerichtet hat«, meinte Jens schmunzelnd.

»Und was soll ich noch herausbekommen?«

»Darüber reden wir noch.«

*

Im Hause Marl sah es recht trostlos aus. Burgl hatte alle Gardinen abgenommen, damit sie gewaschen werden konnten. Der Brandgeruch hing immer noch im Haus, obgleich alle Fenster trotz der kühlen Luft geöffnet waren. Und man schwieg sich an. Niemand wusste so recht, was er sagen sollte.

Eine leichte Besserung war in Annemarie Marls Befinden eingetreten, wenigstens das hatten die beiden Mädchen als Trost mit heimnehmen können. Sie hatten der Mutter gesagt, dass Papa und Bobby stark erkältet wären und dass man sie vor Ansteckung schützen wolle.

Das hätte ihr auch gerade noch gefehlt, hatte sie darauf gesagt und ihre beiden Töchter dann eindringlich gebeten, für das Wohl der beiden zu sorgen.

Nur kurz waren sie dann beim Vater gewesen, der starke Schmerzen gehabt hatte und dann nach einer Injektion bald wieder eingeschlafen war.

Marilli hatte sich kurz mit ihrem Freund Ulli getroffen, der sie aber anscheinend nicht aufgemuntert hatte.

Gegen sieben Uhr kam Jörg. Annelore eilte schnell hinaus, als sie seinen Wagen sah. Bobby folgte ihr. Freundschaftlich begrüßte er Jörg.

»Bei uns ist es ungemütlich«, sagte er.

»Darf ist dich zum Essen einladen, Lori?«, fragte Jörg.

»Gegessen haben wir schon, aber gegen ein Glas Wein habe ich nichts einzuwenden«, erwiderte sie.

»Ich schaue mal nach Seppi. Er hat sich den ganzen Tag nicht blicken lassen«, erklärte Jörg. »Vielleicht hat er doch was abbekommen.«

Jörg blickte sich um. »Die Aufräumungsarbeiten schreiten ja rasch voran«, stellte er fest. »Hat man schon etwas gefunden?«

»Gesagt wurde uns noch nichts«, erwiderte Bobby.

»Eine Frage, Bobby. Würdet ihr jetzt verkaufen?«

»Ich weiß nicht. Das ist Papas Entscheidung, aber es fragt sich, was nun geboten wird.«

»Entscheidet nicht zu schnell«, sagte Jörg warnend. »Es gibt Leute, die eine Notsituation skrupellos ausnutzen. Ich bin schon dabei, mir ein paar Informationen zu besorgen.«

»Geredet wird sehr viel, man weiß ja nicht mehr, wem man trauen darf.«

»Ich hoffe, dass ihr mir traut«, sagte Jörg.

Annelore hatte indessen ihre Jacke geholt. Jörg fuhr mit ihr zu einem kleinen Restaurant, in dem es recht ruhig zuging. Annelore ließ sich überreden, einen Krabbencocktail zu essen. Jörg wusste, dass sie den gern mochte. Nach ein paar Schluck Wein bekam ihr Gesicht auch wieder Farbe.

»Ich möchte es dir auch noch einmal ganz eindringlich sagen, dass ihr euren Vater davon abbringt, jetzt schnell zu verkaufen«, begann er.

»Aber wie, Jörg?«

»Es wird euch schon etwas einfallen. Besprich das mit Bobby. Er hat schon einen Überblick. Ich denke, dass jemand diese Notsituation ausnutzen will.«

»Kienbaum?«

»Vielleicht. Ich habe keine Beweise.«

»Ihm traue ich überhaupt nicht. Aber Papa hat Schulden bei ihm.« Ihr Gesicht verschloss sich. »Ich sollte es für mich behalten.«

»Ich werde darüber bestimmt nicht reden, Lori, aber es ist gut, das zu wissen. Ich habe schon mit meinem Chef gesprochen. Er war sehr nett, und er hat bessere Möglichkeiten, sich Informationen zu verschaffen als ich. Aber ich tue auch, was ich kann, um euch zu helfen. Marilli ist doch mit Ulli Burkhardt befreundet. Dessen Vater müsste doch auch gut über Kienbaum Bescheid wissen.«

»Marilli sieht das alles anders, als ich. Sie meint, dass Kienbaum doch eine gute Partie wäre.«

»Für dich?«, fragte Jörg entsetzt.

»Sie ist den Kinderschuhen noch nicht entwachsen, Jörg. Es fehlt ihr an Erfahrung und Menschenkenntnis.«

»Sie ist aber doch ein kluges Mädchen.«

»Aber auch naiv, anfällig für materielle Vorteile. Allerdings hat sie sich auch bereit erklärt, die Schule zu verlassen und eine Stellung anzunehmen. Das kommt aber nicht infrage.«

»Ich bin ganz deiner Meinung, Lori. Und ich sage es noch mal, seht nicht zu schwarz.«

»Schön wäre es aber schon, einen Lichtblick zu sehen.«

»Es kommt, Lori, hab’ Vertrauen. Verlass dich doch ein bisschen auf mich«, sagte er beschwörend, und dann griff er nach ihren Händen. Ihr wurde es warm ums Herz, und als sie ihn anblickte, wurde sie sich zum ersten Mal genau bewusst, dass sie ihn liebte. Es musste wohl aus ihrem Blick zu lesen sein. Ein zärtliches Lächeln legte sich um Jörgs Mund. »Wir schaffen es, Lori, vertrau mir.«

Sie wollte ihm ja vertrauen, sie wollte hoffen. Sie klammerte sich an ihm, an ihren einzigen Halt, den sie jetzt hatte in dieser Not, mit all den Zweifeln, die sie quälten.

Sie küssten sich so innig wie nie zuvor, als sie sich trennten an diesem Abend, und als Jörg allein durch die Nacht fuhr, waren seine Gedanken noch bei Lori, seiner ersten und einzigen Liebe. Doch jäh schrak er zusammen. Ohne daran zu denken, war er in die Nähe von Fritz Kienbaums Haus gekommen, und da sah er etwas, was ihn sofort hellwach werden ließ. Seppi, das Dammerl, schlurfte die Straße entlang, nicht zu Kienbaums Haus hin, sondern von diesem fort. Er fuhr langsam und er hatte den Gedanken, Seppi anzusprechen, aber diesen ließ er schnell fallen, als er bemerkte, dass Kienbaum sein Haus verließ und zu seinem Wagen ging. Rasch fuhr Jörg in eine Seitenstraße, und als Kienbaum dann in der gleichen Richtung fuhr, wie Seppi ging, folgte er dem Wagen wie unter einem Zwang.

Dann aber begann sein Herz schneller zu schlagen, denn der alte Volkswagen, der jetzt beim Seppi an der Kreuzung hielt, gehörte Bobby. Jörg kannte ihn genau.

Seltsam mutete es ihn an, dass Kienbaum nun Gas gab und schnell vorbeifuhr, obgleich er doch offensichtlich Seppi im Auge behalten hatte. Er selbst hielt an. Ihm war es egal, ob Bobby seinen Wagen erkennen würde. Aber der war ausgestiegen und redete auf Seppi ein, der darauf mit den Armen fuchtelte und abwehrende Bewegungen machte.

Dann aber stieß Seppi Bobby zurück, als dieser seinen Arm ergriff, schlug einen Haken und lief torkelnd von dannen. Bobby stieg in seinen Wagen, doch bevor er losfahren konnte, hatte Jörg ihn schon erreicht.

»Was machst du hier?«, fragte Bobby betroffen, als Jörg auf ihn zukam.

»Eigentlich nichts. Ich habe nur zufällig Seppi gesehen und dann Kienbaum, der in seinen Wagen stieg und Seppi folgte. Ich bin ihm nachgefahren.«

»Und ich war bei Seppis Mutter, aber die redet ja genauso konfus wie Seppi auch. Alles, was recht ist, Jörg, aber solche Frauen dürften wirklich keine Kinder kriegen. Man sieht ja, was dabei herauskommt.«

»Seppi ist doch nicht gemeingefährlich«, sagte Jörg einlenkend.

»Aber er kann sehr aggressiv werden.«

»Ich frage mich, was er mit Kienbaum zu schaffen hat«, meinte Jörg.

»Vielleicht hat der ihm auch angeboten, für ihn zu arbeiten. Annelore hat er doch auch schon eine Stellung angeboten.«

»Davon hat sie mir gar nichts gesagt.«

»Es kommt für sie sowieso nicht infrage. Aber mich würde es auch interessieren, was für eine Rolle Kienbaum spielt. Ich will dich nicht erschrecken Jörg, aber er ist hinter Anne her, so viel ist mir klar.«

»Er soll sie ja nicht anrühren, sonst bekommt er es mit mir zu tun«, sagte Jörg grimmig.

»Da würde sie sich schon wehren, aber er ist tückisch. Er versucht es hintenrum.«

»Hast du etwas herausgebracht aus Seppi?«

»Er redet immer dasselbe. Alles hin, alles hin, aber nun wird alles gut. Jedenfalls hat er Letzteres eben hinzugefügt. Seppi hilft, dass alles gut wird.«

»Und warum ist er jetzt davongelaufen?«, fragte Jörg.

»Ich habe ihn gefragt, ob er jemanden gesehen hätte, der das Feuer möglicherweise gelegt haben könnte. Er sagte, dass er niemand gesehen hat. Er hätte Angst.«

»Sag es genau, Bobby«, drängte Jörg.

»Wie genau, was meinst du?«

»Was Seppi sagte. Wie du gefragt hast.«

»Ich habe gesagt, dass er doch noch da gewesen wäre, und er könnte doch jemanden Fremden gesehen haben. Hilf mir doch, Seppi, habe ich gesagt. Ja, genauso. Und da hat er erwidert, dass niemand da gewesen sei und er hätte gerade heimgehen wollen, als es zu brennen begann. Du weißt doch, wie er redet, du kennst doch sein Gestammel. Wollte gehen, da brennt es, und wie, aber es wird wieder gut, alles wird wieder gut.«

»Du hast mit seiner Mutter gesprochen?«

»So weit das möglich ist.«

»Und was sagt sie?«

»Dass Seppi Angst hat vor dem Feuer, dass er große Angst hatte, dass wir verbrennen und nicht mehr ruhig schlafen kann. Und gejammert hat sie, wer ihm jetzt Arbeit geben könnte.«

»Kienbaum vielleicht?«, fragte Jörg.

»Der? Meine Güte, so ein Menschenfreund ist der nicht.« Er sah Jörg nachdenklich an. »Was denkst du?«

»Ich weiß noch nichts, aber ich werde schon dahinterkommen. Kienbaum spielt eine undurchsichtige Rolle. Hoffentlich macht euer Vater nicht den Fehler, ihm zu sehr zu vertrauen, Bobby.«

Bobby seufzte schwer. »In manchen Dingen ist er unansprechbar, Jörg. Ich komme mir oft richtig blöd vor, wenn ich da schon mehr Durchblick habe, als er, aber in seinen Augen bin ich ja noch ein halbes Kind.«

»Dann warne ihn wenigstens, Bobby. Augenblicklich kannst du wohl nicht mehr tun.«

»Ich frage mich nur, woher Hilfe kommen sollte«, sagte Bobby bekümmert.

»Manchmal schickt sie tatsächlich der Himmel.« Jörg legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du bist ein ganz pfundiger Bursche, Bobby, und schon ein richtiger Mann. Halt die Ohren steif, und wenn du Hilfe brauchst, ruf mich an.«

»Ist es zwischen dir und Annelore ernst?«, fragte Bobby verlegen.

»Von mir aus wäre sie schon bald meine Frau. Ich hoffe, dass sie ja sagt.«

»Mich würde es sehr freuen, wirklich, Jörg.« Und nun konnte Bobby sogar ein bisschen lächeln.

*

Zwei Tage vergingen, ohne dass etwas Besonderes geschah. Im Sägewerk waren noch die Brandfahnder am Werk, aber sie ließen nicht verlauten, wie weit ihre Ermittlungen gediehen waren.

Seppi ließ sich nicht blicken, und so schickte Bobby diesmal Kaspar zu Frau Mösler. Sie lebte mit ihrem geistig zurückgebliebenen Sohn in einem Austragshäusel. Der kleine Bauernhof, der mal ihren Eltern gehört hatte, war schon lange verfallen. Für ein Butterbrot, wie man so sagte, war vor Jahren das Stückl Land verkauft worden, damit sie wohnen bleiben konnten. Man war froh, dass sie nicht der Staatskasse zur Last fielen und billigte ihnen sozusagen Narrenfreiheit zu, obgleich das schäbige kleine Gebäude manchem auch ein Dorn im Auge war. Erna Mösler war mal ein ganz hübsches Mädchen gewesen, wenn auch sehr einfältig, und so war sie schnell zu einem Kind gekommen, aber so schnell war dann auch der Vater des Kindes wieder auf und davon, wurde gesagt, und dann hatte sie ganz zu den Außenseitern gehört.

Zuerst war Seppi ein ganz normales Kind gewesen und ein kräftiger Bub dazu, aber dann war er auf dem Schulweg in ein Auto gelaufen, und seither hatte er sich geistig kaum noch weiterentwickelt. Aber anstellig war er, und die Marls hatten sich seiner angenommen.

Bei manchen Arbeiten zeigte er sich sogar ganz anstellig und er verdiente auch so viel, dass er und seine Mutter keinen Hunger leiden mussten. Was man Seppi sagte, merkte er sich auch.

Als Kaspar kam, wurde er von Erna Mösler auch freundlich empfangen.

»Der Seppi ist krank«, sagte sie. »Fieber hat er und neulich hat ihn ein böser Junge geschlagen.«

Man konnte mit ihr reden, wenn sie nicht gerade ein paar Schnäpse getrunken hatte, und anscheinend hatte sie jetzt nichts im Haus.

Sie fragte Kaspar, ob er ihr eine Flasche Schnaps holen würde.

»Sollst doch nicht so viel trinken, Erna«, brummte er.

»Und wie soll man das Leben ertragen?«, fragte sie klagend. »Ist schon genug, dass das Sägewerk abbrennt, dann schlagen sie auch noch meinen Buben zusammen.«

»Wer hat ihn zusammengeschlagen und wann?«, fragte Kaspar.

»Gestern, nein, es war schon vorgestern, aber der Seppi hat es ja nicht gesehen. Von hinten hat ihn einer überfallen.« Kaspar war an ihre stockende Sprache gewöhnt, die manchmal nur ein Lallen war.

»Ich schau mal nach ihm«, sagte er.

»Er sagt ja nichts, schläft nur immer«, murmelte Erna Mösler.

Kaspar war zwar nicht sehr erfahren in Bezug auf Kranke, aber dass der Seppi nicht nur schlief, sondern bewusstlos war, konnte selbst er feststellen. Und am Hinterkopf hatte er eine blutverkrustete Wunde.

»Hättest einen Arzt rufen müssen, Erna«, sagte er.

»Wer kommt denn schon zu uns. Die kommen doch nur zu den Reichen«, erwiderte sie giftig.

»Er muss aber versorgt werden. Ich schicke einen Arzt«, sagte Kaspar.

»Wennst meinst, dann muss ich gleich putzen«, brummelte sie vor sich hin.

»Aber er wird sich schon gesund schlafen.«

Jedenfalls musste man es ihr lassen, dass sie dieses primitive Häuschen sauber hielt. Es wollte ihr jetzt nur nicht in den Sinn, dass Seppis langer Schlaf tiefe Bewusstlosigkeit war.

Kaspar schwang sich wieder auf sein Rad und fuhr heimwärts, und dann berichtete er Annelore, was Seppi widerfahren war.

Sie runzelte die Stirn. »Ich rufe gleich Dr. Norden an, Kaspar«, sagte sie. »Es geht nicht an, dass Seppi nicht versorgt wird. So weit scheint die Möslerin nicht zu denken.«

»Sie versäuft ihr letztes bisschen Verstand«, sagte Kaspar, »aber derzeit hat sie nichts im Hause. Ich bring ihr jedenfalls nichts.«

»Das tät auch noch fehlen«, sagte Annelore. Dabei rief sie auch schon Dr. Norden an. Ob sie ihn bitten dürfte, mal nach dem Seppi zu schauen, fragte sie an. Und selbstverständlich durfte sie das.

Dr. Norden war entsetzt, als er Seppi untersuchte, und er machte Erna Mösler Vorwürfe, dass sie keinen Arzt gerufen hatte.

»Kommt ja doch keiner«, brummte sie.

»Wie Sie sehen, bin ich gekommen«, erklärte er.

»Wundert mich«, meinte sie gleichmütig.

»Ich bringe Ihren Sohn in die Klinik.«

»Und wer zahlt das?«

»Ihr Sohn ist doch krankenversichert.«

»Weiß ich nicht.«

Dr. Norden seufzte in sich hinein. »Ich bring ihn in die Behnisch-Klinik«, sagte er, sicher, dass Dieter Behnisch sich des Patienten annehmen würde.

»In diese Klinik, in diese feine?« Erna Mösler schlug die Hände zusammen und starrte Dr. Norden töricht an. »Und da lassen’s mich auch eini, wenn ich den Seppi besuchen will?«

»Aber sicher, Frau Mösler.«

»Da muss ich mir doch ein neues Gewand kaufen«, murmelte sie.

Wenn sie keine anderen Sorgen hat, dachte Dr. Norden. Hoffentlich kommt der Bursche überhaupt durch. Er hatte so ein unterschwelliges Gefühl, das er nicht zu deuten vermochte, das er aber doch in Zusammenhang mit dem Brand brachte. Erna Mösler schien sich darüber keine Gedanken mehr zu machen, und besorgt um ihren Sohn war sie auch nicht besonders. Als sie dann für Seppi Nachtwäsche zusammensuchte, fiel Dr. Nordens Blick ganz zufällig auf ein Bündel Geldscheine, die obenauf in einem Schrankfach lagen. Auch Frau Mösler schien überrascht.

»Der Bursch ist ein rechter Geizkragen«, brummte sie. »Er weiß ja nicht, was das tägliche Leben kostet. Hat ja ganz gut verdient beim Marl. Ist wohl nun vorbei, aber vielleicht bekommt er eine Stellung auf dem Bau. Da wird ja wohl nun gebaut werden«, murmelte sie.

Dr. Norden hatte Seppi für den Transport vorbereitet. Da es hier kein Telefon gab, konnte er den Krankenwagen nicht herbeirufen. »Ich schicke den Notarztwagen, Frau Mösler«, sagte er, »und ich fahre zur Behnisch-Klinik voraus, um den Arzt zu informieren.«

»Machen Sie sich auch um arme Leut’ so viel Mühe?«, staunte sie.

»Man fragt nicht als Arzt, ob Kranke arm oder reich sind, Frau Mösler.«

»Da haben wir aber schon anderes erlebt«, brummte sie. »Vergelt’s Gott, Herr Doktor.«

*

Nun kam auch Seppi Mösler in die Behnisch-Klinik, und gleich auf die Intensivstation.

»Die Mutter muss Nerven haben«, brummte Dr. Behnisch.

»Nicht viel Verstand«, sagte Daniel Norden. »Ihrer Meinung nach hat er geschlafen, und sie hat ihn schlafen lassen.«

»Und spätestens morgen wäre er tot gewesen. Anzeige hat sie wohl auch nicht erstattet?«

»Sie hält nichts von Ärzten und auch nichts von der Polizei, wie es scheint. Aber die Frau ist Alkoholikerin und ausnahmsweise mal halbwegs nüchtern. Viel weiß ich dazu auch noch nicht zu sagen. Seppi ist geistig behindert, aber kein Pflegefall. Er ist ganz anstellig.«

»Organisch anscheinend gesund«, stellte Dr. Behnisch fest, »und sehr kräftig. Wenn es eine Rauferei gewesen ist, hätte er sich bestimmt gewehrt und dem Angreifer auch Schaden zugefügt.«

»Seine Mutter sagt, er sei von hinten niedergeschlagen worden. Das hätte er ihr noch gesagt.«

»Einen harten Schädel hat er, sonst wäre er tot«, stellte Dr. Behnisch fest. Dann sah er seinen Freund Daniel forschend an.

»Hängt das mit dem Brand zusammen, Daniel? Hat er den Brandstifter möglicherweise gesehen und erkannt, und ihm das dann womöglich auch noch gesagt?«

»Könnte möglich sein, aber es bleibt bei Vermutungen, Dieter. Wie geht es Herrn Marl?«

»Etwas besser.«

»Und Frau Marl?«

»Da können wir jetzt aufatmen. Aber nach wie vor muss jede Aufregung ferngehalten werden. Die Kinder sind einer gewaltigen Belastung ausgesetzt.«

»Glücklicherweise sind sie sehr vernünftig.«

Doch an diesem Tag hatten sie allerhand auszuhalten. Die Polizei war im Haus Marl. Es war nun einwandfrei erwiesen, dass Brandstiftung vorlag und das Feuer an mehreren Stellen gelegt worden war, nicht nur an zweien. Und dann kamen die Andeutungen über die schwierige Geschäftslage, über die Schulden, über Hinweise aus der Umgebung, dass Berthold Marl sich geweigert hätte, den Betrieb zu verkaufen.

»Hätte Vater es nur getan«, sagte Bobby unwillig, »dann hätten wir all die Sorgen nicht, aber er hing nun mal an diesem Familienunternehmen. Horchen Sie sich doch lieber mal bei den Leuten um, denen das Sägewerk ein Dorn im Auge war, bei der Baugesellschaft, die schon vorgeplant hat, was auf dem Gelände gebaut werden könnte.«

Und noch einmal musste er genau erzählen, wie er, sein Vater und seine Schwestern, aber auch Burgl und Kaspar den Abend verbracht hätten.

In dieses Verhör hinein kam der Anruf von Dr. Norden, dass Seppi mit der Kopfverletzung in die Behnisch-Klinik gebracht worden sei.

Bobby fiel der Hörer beinahe aus der Hand. »Würden Sie das bitte dem Polizeiinspektor selbst sagen, Herr Dr. Norden«, bat er verwirrt. »Wir werden gerade verhört.«

Er reichte den Hörer weiter. Viel sagte der Inspektor nicht, aber nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, schaute er kurz in die Runde.

»Nun, dann werden wir erst einmal diesbezügliche Ermittlungen aufnehmen«, sagte er. »Aber eine Frage habe ich noch. Kennen Sie den Schlüsselanhänger, Herr Marl?«

Der sah aus wie ein Amulett. Bobby sah ihn nicht genau an, denn sein Blick galt mehr dem Schlüssel.

»Den Anhänger kenne ich nicht, aber den Schlüssel – er sieht genauso aus wie unser Büroschlüssel!«, stieß er atemlos hervor. Er griff in seine Jackentasche. »Bitte, vergleichen Sie«, murmelte er nachdenklich.

Annelore betrachtete indessen den Anhänger, aber auch sie schüttelte den Kopf, und da sagte Marilli: »Der Anhänger sieht so aus wie diese Werbedinger von den Burkhardts. Bloß ein bisschen geschrumpft.«

»Zum Glück nicht ganz geschmolzen«, sagte der Inspektor gedankenvoll. Marilli starrte ihn an. »Haben Sie den etwa hier gefunden?«

»Wir nicht, die Brandfahnder«, erwiderte er. »Aber solche Anhänger gibt es sicher eine Menge.«

»Aber von unserem Büroschlüssel gab es nur drei«, erklärte Bobby heiser. »Und einen vermissen wir seit Wochen.«

»Darauf kommen wir noch zurück«, sagte der Inspektor. »Jetzt müssen wir uns um diesen Überfall auf Sepp Mösler kümmern.«

Die drei Geschwister blieben in nachdenklichem Schweigen zurück.

»Merkwürdig ist das«, sagte Annelore. »Hat dir Ulli mal so einen Anhänger geschenkt, Marilli?«

»Mehrere«, erwiderte Marilli tonlos. »Neu sahen sie ganz hübsch aus. Aber ich habe doch den silbernen von dir, Anne, mit dem Anfangsbuchstaben. Ich hatte einen Seppi geschenkt, einen Kaspar, und zwei muss ich noch irgendwo haben.«

»Dann such sie mal, damit wir sehen, wie sie neu aussehen«, sagte Bobby.

»Wollen wir nicht mal Kaspar fragen, ob er seinen noch hat?«, fragte Marilli.

»Ich fühle mich mies«, murmelte Bobby.

Aber Kaspar hatte den Anhänger noch und ein paar Schlüssel hingen daran. Die Geschwister konnten ihn betrachten.

Rund wie ein Geldstück war er, und in der Mitte war ein Haus eingeprägt. Außen herum der Spruch: »Trautes Heim, Glück allein!«

»Wie sinnig«, sagte Bobby spöttisch. Er drehte den Anhänger um. Da stand: Ihr Berater, Burkhardt und Sohn. Marilli entschwand, und tatsächlich kam sie bald darauf mit zwei weiteren Anhängern zurück.

»Sag ja nicht mehr, dass ich unordentlich bin, Anne«, rief sie atemlos. »Bleibt also Seppi, aber wie kommt er zu dem Büroschlüssel?«

»Das frage ich mich auch«, sagte Bobby.

»Und wie kommt der Schlüssel an den Anhänger?«, warf Annelore ein. »Seppi könnte ihn gefunden haben«, sagte Marilli. »Er sammelt doch alles auf, ohne zu wissen, was damit anzufangen ist. Er hat doch nicht alle Tassen im Schrank. Und dann hat er es wieder verloren. Daraus kann man ihm doch keinen Strick drehen.«

»Das wollen wir auch nicht«, sagte Bobby. »Aber seltsam ist es schon. Papa hatte den Ersatzschlüssel immer in seinem Schreibtisch liegen.«

»Und von dem Schreibtisch ist auch nichts mehr übrig geblieben«, sagte Annelore.

Bobby drehte sich um. »Ich überlege, wer Seppi überfallen hat und warum.«

Das allerdings beschäftigte jetzt auch die Kriminalpolizei. Aber Erna Mösler konnte nicht mehr sagen, als das, was sie auch schon Dr. Norden gesagt hatte.

*

Bobby besuchte seinen Vater am Nachmittag. Etwas besser ging es Berthold Marl nun schon. Die Schmerzen waren nicht mehr so arg, und er konnte auch schon etwas klarer denken.

»Gibt es was Neues, Bobby?«, fragte er schleppend.

»Nichts Besonderes, Papa. Kannst du dich erinnern, wann genau der dritte Büroschlüssel verschwunden ist?«

»Ist das wichtig?«, fragte der Ältere.

»Es könnte wichtig werden. Man hat ihn an der Brandstelle gefunden.«

Berthold Marl richtete sich auf, sank aber gleich stöhnend zurück.

»Aufregen darfst du dich nicht, Papa«, sagte Bobby erschrocken. »Es braucht auch gar nicht wichtig zu sein. Hast du ihn vielleicht an so einen Anhänger von Burkhardt gehängt?«

»An was für einen Anhänger?«

Bobby erklärte es ihm und sagte auch, dass Marilli von Ulli ein paar von diesen Anhängern bekommen hätte.

»Ja ich kann mich erinnern, dass sie mir die gezeigt hat und auch fragte, warum wir nicht solche Souvenirs verschenken. Ich habe ihr gesagt, dass sie mir zu teuer sind. Außerdem sind sie doch kitschig. Und der Schlüssel lag immer an seinem Platz. Ich kann nicht mal sagen, wie lange er fort war, als ich ihn vermisste. Wollen sie uns etwa die Brandstiftung anhängen, Bobby? Du musst mir die Wahrheit sagen.«

Bobby erzählte ihm, was Seppi widerfahren war. Sein Vater stöhnte in sich hinein. »Das Dammerl, mein Gott, könnte der wirklich was gesehen haben? Aber wer würde seinem Geschwätz schon glauben. Er redet doch immer Unsinn. Aber er hängt doch an uns, Bobby. Er hat es gut bei uns gehabt.«

»Ich sage ja auch nicht, dass er das Feuer gelegt hat, Papa. Wir tappen völlig im Dunkeln, aber es könnte schon sein, dass es schließlich an uns hängenbleibt.«

»Du meinst, dass die Versicherung nicht zahlen wird?«

»Jedenfalls wird es einige Zeit dauern, bis alles geklärt ist.«

»Ich muss mit Kienbaum reden«, sagte der Kranke tonlos. »So bald wie möglich.«

»Traust du ihm denn so sehr?«, fragte Bobby.

»Er ist der Einzige, der uns helfen kann, Bobby. Hätte ich doch nur auf ihn gehört, als er vorige Woche mit mir gesprochen hat. Anderthalb Millionen hat er mir geboten im Auftrage der Baugesellschaft. Nach allen Verbindlichkeiten wären uns immerhin noch siebenhunderttausend Euro geblieben. Und ich wollte mich ums Sterben nicht trennen vom Sägewerk.«

Und das hat er auch laut genug gesagt, dachte Bobby deprimiert.

»Jetzt sind wir am Ende, Bub«, flüsterte der Kranke.

»Noch nicht, Papa«, sagte Bobby. »Vertrau doch auch mal deinem Sohn, ich bin kein dummer Junge mehr.«

»Was willst du tun, Bobby?«

»Den Schuldigen finden!«

*

Annelore war währenddessen wieder bei ihrer ahnungslosen Mutter.

»Geht es Papa und Bobby besser?«, fragte Annelore.

»Noch nicht so gut, Mutter«, erwiderte Annelore ausweichend.

»Sie könnten aber wenigstens mal anrufen. Es ist doch nicht noch was passiert, Anne?«

Mütter haben den sechsten Sinn, sagte man ja, wenigstens die besorgten Mütter, und Annelore geriet gewaltig in Verlegenheit.

»Nein, es ist nichts, Mama. Du musst dir keine Sorgen machen. Du sollst nur daran denken, bald gesund zu werden.«

»Das will ich ja, Anne, aber zur Kur gehe ich nicht. Das kostet zu viel. Ich weiß, dass Papa finanzielle Sorgen hat, auch wenn er nicht darüber redet. Pass mal auf, ich habe da noch ein paar Aktien von meinem Vater. Ich weiß nicht, was sie wert sind, aber vielleicht kann man sie zu Geld machen. Sie liegen im Bankdepot. Wenn Papa Sorgen hat, nimm du das in die Hand. Ein bisschen könnte es schon weiterhelfen. Ich gebe dir dann eine Vollmacht, und du sprichst mit dem Bankdirektor. Ich habe so ein dummes Gefühl, Anne. Aber ich habe halt auch zu viel Zeit zum Grübeln.«

»Du sollst aber nicht grübeln, Mama. Du sollst nur an deine Genesung denken.«

Annelore war es unbehaglich zumute. Sie war eine schlechte Lügnerin. Sie meinte, die Mutter müsse es ihr ansehen, wie unsicher sie war.

»Vielleicht wäre es doch am besten, wir würden verkaufen«, fuhr Annemarie jetzt fort. »Wir könnten ja auf dem Lande etwas anfangen. Die Stadt breitet sich immer mehr aus und niemand will Industrie um sich herum haben.«

»Ein Sägewerk ist doch keine Industrie«, sagte Annelore mit einem traurigen Unterton. »Abgase gibt es bei uns nicht. Holz riecht gut, und es wird überall gebraucht. Daran denken diese komischen Leute wohl nicht.«

»Wer denkt denn überhaupt noch, Anne, nur an Geld, an Karriere wird gedacht, an Reisen in die weite Welt, und natürlich an die unentbehrlichen Autos. Die stören keinen … Es hat sich so viel verändert. Bevor da bei uns drumherum gebaut wurde, haben wir zufrieden und glücklich gelebt.«

»Ist ja gut, Mama, du sollst nicht so viel sprechen, sonst schimpft mich der Dr. Behnisch.«

»Siehst du, Anne, das sind so gute Menschen. Die sind wirklich noch hilfsbereit und verstehen, worum man sich sorgt. Ach, Kind, wir denken doch immer an euch, damit es euch mal besser geht als uns.«

»Wir können für uns selbst sorgen, Mama«, sagte Annelore leise.

»Marilli ist doch noch so jung, und sie möchte so gern studieren. Wenn ich auch nicht verstehe, warum ein Mädchen studieren will, aber ich meine doch, dass man es seinen Kindern möglichst leicht machen sollte.«

»Marilli wird studieren, Mama, bitte, zerbrich dir jetzt nicht den Kopf. Lass dich hier mal verwöhnen, du hast dich genug abge­rackert.«

»Na, das hätte ja nicht sein müssen, Anne.«

»Wenn du es nicht so weit hättest kommen lassen«, sagte Annelore ernst.

»Ich habe halt gedacht, dass es von ganz allein wieder vorbeigeht. Wer denkt denn schon daran, dass es einmal so schlimm werden könn­te.«

»Dr. Norden hat schon recht damit, wenn er sagt, dass die Leute, die dauernd zum Arzt laufen, am ältesten werden und eigentlich am gesündesten sind. Sie lassen die kleinen Wehwehchen gar nicht erst schlimm werden.«

»Er ist ein guter Arzt«, sagte Annemarie. »Jetzt weiß ich ja, dass er mit seinen Ermahnungen recht hatte. Seid mir nicht böse.«

»Sind wir doch nicht, Mama, du musstest leiden«, sagte Annelore weich.

»Ich bin froh, dass du über den Berg bist.«

»Ich machte ja auch noch ein bisschen mitmischen. Und Enkel möchte ich auch noch erleben«, flüsterte Annemarie.

»Triffst du dich mit Jörg?«

»Ja«, erwiderte Annelore.

»Er ist ein anständiger Mann. Ist er mit seiner Stellung zufrieden?«

»Sehr sogar. Aber jetzt mach die Augen zu, Mama. Du bist doch müde. Ich muss heim.«

»Versorg Papa und Bobby gut, aber dir brauch ich das ja nicht zu sagen. Auf dich kann man sich verlassen. Ja, ich bin schon wieder müde. Dass man so viel schlafen kann, ich verstehe es nicht.«

Und schon fielen ihr die Augen zu. Annelore betrachtete das blasse Gesicht voller Kummer. Wie wird es weitergehen, wenn sie alles erfährt, ging es ihr durch den Sinn. Dann ging sie zum Vater, aber der schlief jetzt auch. Und sie war ganz froh, dass sie nicht auch noch ihm Rede und Antwort stehen musste, aber das hatte ihr ja Bobby schon abgenommen. Sie traf ihn in der Halle. Er verabschiedete sich gerade von Dr. Behnisch, der zu einem Patienten gerufen worden war. »Kienbaum war schon hier«, sagte Bobby, »aber man hat ihn nicht zu Papa gelassen.«

»Was denkst du, Bobby?«, fragte Annelore, als sie zum Wagen gingen.

»Vielleicht will er wirklich helfen. Man kann sich ja auch mal in einem Menschen täuschen. Er hat sich auch nach Seppi erkundigt.«

»Ich traue ihm nicht«, sagte Annelore aggressiv. »Du hast doch selbst gesagt, dass es dir komisch vorkam, dass er Seppi nachfuhr.«

»Vielleicht war das gar nicht so. Er ist weggefahren und Seppi ging die Straße lang.«

»Aber er kam von Kienbaums Haus. Jörg hat es gesagt.«

»Seppi hat doch früher manchmal auch bei Kienbaum Gelegenheitsarbeiten gemacht. Wir sollten nicht zu große Vorurteile hegen, Anne.«

»Nun, wenn er Papa wirklich hilft, tut er es bestimmt nicht aus purer Nächstenliebe. Du wirst noch an mich denken.«

Aber noch konnte sie nicht ahnen, was Fritz Kienbaum als Gegenleistung fordern würde. An diesem Abend aber war er Gast bei Dr. Rambolt, so perfekt gekleidet, dass er geckenhaft wirkte. Ute musste sich sehr zusammennehmen, um nicht spöttisch zu lächeln. Doch sie dachte an ihre Mission, und so zeigte sie sich charmant und bewunderte sogar das pompöse Orchideengesteck, obgleich sie Orchideen gar nicht mochte. Fritz Kienbaum konnte sich als gern gesehener Gast fühlen. Anfangs legte er sich vornehme Zurückhaltung auf, doch nach dem zweiten Glas Wein löste sich seine Zunge, als Jens Rambolt das Stichwort »Baugesellschaft«, in den Raum warf.

»Kann man da eigentlich auch investieren?«, fragte Kienbaum interessiert.

»Ich wäre natürlich auch daran interessiert, Aufträge zu bekommen«, erwiderte Jens leichthin, »aber es könnte darüberhinaus eine gute Kapitalanlage sein.«

»Sie meinen in gegenseitiger Aufrechnung? Eine gute Idee. Darüber kann man sprechen. Jedenfalls wird das Projekt in Bälde akut. Sie haben ja sicher von dem Großbrand in dem Sägewerk gehört, jetzt bleibt Marl nichts übrig, als zu verkaufen. Die Familie hat mein Mitgefühl, aber auf diese Weise können die größten Schwierigkeiten noch abgewendet werden.«

»Man spricht von Brandstiftung«, sagte Ute. »Hat sich da schon etwas herausgestellt?«

»Ich habe noch nichts gehört. Marl ist ziemlich schwer verletzt und liegt in der Klinik. Ich wollte ihn besuchen, aber es wurde mir nicht gestattet, und zu allem Unglück hat seine Frau auch erst eine schwere Operation überstanden.«

Nun läutete das Telefon. »Ich gehe schon«, sagte Jens, »unterhalte Herrn Kienbaum inzwischen, Ute.«

Auch das hatte er arrangiert und er hoffte, dass Ute ihren ehemaligen Verehrer besser aushorchen konnte, als wenn er dabei saß. Und so war es auch.

»Wie ich sehe, scheinst du ja glücklich geworden zu sein, Ute«, sagte Fritz Kienbaum. »Wenn ich so an früher denke …« Er seufzte entsagungsvoll. »Aber ich habe anscheinend kein Glück bei Frauen.«

»Vielleicht bist du etwas zu anspruchsvoll, Fritz«, meinte sie ne­ckend.

»Ja, das bin ich schon, ich gebe es zu, aber vielleicht winkt mir nun doch ein persönliches Glück. Im Geschäftsleben hatte ich das ja.«

»Und wen hat der Fritz im Auge?«, fragte Ute schelmisch.

»Ein reizendes, noch recht junges Mädchen.«

»Großes Geheimnis?«, fragte Ute.

»Noch nicht spruchreif, aber du kannst es ja wissen. Es handelt sich um Annelore Marl. Sie hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dir, Ute.« Er verdrehte die Augen, und fast wäre Ute nun doch ein Lacher ausgekommen. Aber sie bewahrte Fassung. »Für mich wärest du die ideale Frau gewesen«, sagte Kienbaum nun hastig.

»Und du willst diese Annelore nur heiraten, weil sie mir ein bisschen ähnlich sieht? Ich habe wirklich nicht geahnt, dass du es damals so ernst meintest, Fritz«, rettete sich Ute mit einem Lächeln über diese Situation hinweg.

»Ich bin halt zu langsam gewesen«, seufzte er. »Aber damit muss man sich abfinden. Es freut mich ja, dass du zufrieden und glücklich bist. Ihr habt zwei Kinder?«

»Stefan und Martina«, erwiderte sie. »Zehn und acht Jahre. Ja, so vergeht die Zeit. Meinst du nicht, dass das Mädchen zu jung für dich ist?«

»Jetzt habe ich so lange gewartet, und nun will ich keine alte Frau haben. Bitte, missversteh mich nicht, du siehst immer noch bezaubernd jung aus.«

»Und du denkst nicht daran, dass sie dich heiraten könnte, weil sie jetzt in einer prekären Situation sind?«

Er warf ihr einen schrägen Blick zu. »Bin ich nicht noch ganz ansehnlich?«, fragte er mit einem eitlen Lächeln. »Und um ehrlich zu sein, Ute, du warst meine einzige Liebe, ich möchte es dir doch einmal sagen.« Er wollte nach ihrer Hand greifen, aber Ute war ganz schnell aufgesprungen. »Trinken wir noch ein Gläschen Sekt auf die Jugendzeit«, sagte sie, und zu ihrer Erleichterung kam da ihr Mann wieder herein.

»So, jetzt habe ich genug von den Geschäften«, sagte Jens. »Jetzt machen wir es uns noch ein bisschen gemütlich. Wir können uns ja zu gegebener Zeit noch über Ihre Pläne unterhalten, Herr Kienbaum.«

»Das sollten wir bald tun. Es gibt eine Menge Interessenten, und schließlich bin ich nicht die Baugesellschaft, wenn ich auch einen gewissen Einfluss nehmen kann«, sagte Fritz Kienbaum.

*

»Ein hinterhältiger Kerl«, sagte Jens, als Kienbaum sich verabschiedet hatte. »Ich musste mich schon arg zusammennehmen.«

»Ich auch«, nickte Ute. »Immerhin habe ich erfahren, dass er Annelore Marl heiraten will.«

»Das hat gerade noch gefehlt«, ereiferte sich Jens. »Sie ist mit Jörg Cremer befreundet. Was bildet sich denn dieser alternde Geck eigentlich ein! Nur gut, dass mich vorhin Burkhardt angerufen hat. Der Drahtzieher bei all den Planungen ist Kienbaum. Er ist die Baugesellschaft, um es genau zu sagen, er hat nur seine Strohmänner plaziert. Geld scheint er wie Heu zu haben.«

»Und warum will er dann ausgerechnet Annelore Marl heiraten? Anscheinend sind sie doch pleite.«

»Was meinst du, welchen Wert das ganze Gelände hat? Er will wahrscheinlich alles an sich bringen. Irgendwie muss er Marl in der Hand haben, und der muss ein gutmütiger und gutgläubiger Trottel sein.«

»Sag das nicht so hart, Jens, er ist wohl noch vom alten Schlag.«

»Aber solchen Aasgeiern überhaupt nicht gewachsen. Es kann durchaus möglich sein, dass Kienbaum auch mit diesem Betrüger, der Marl so hereinlegte, unter einer Decke steckte.«

»Das wäre ja infam.«

»Nicht aufregen. Liebes, ich verfüge auch über gute Beziehungen und weiß nun, wo ich ansetzen muss. Jedenfalls steht fest, dass Kienbaum schon seit einem Jahr Bebauungspläne für Marls Grund fertigen ließ. Pläne für dreißig Häuser, die ihm einen Gewinn von circa sechs Millionen bringen könnten.«

»Könnten, wenn sie verkauft werden«, meinte Ute. »Du wirst da nicht mitmischen.«

»Ich bin ein sehr ernsthafter Interessent, mein Liebes«, sagte er mit einem Augenzwinkern, »aber ich gebe dir die Garantie, dass ich dabei bestimmt nichts verlieren werde.«

»Erklär mir das mal ausführlich.«

»Wenn es spruchreif ist. Morgen werde ich mich erst mal mit Jörg Cremer zusammensetzen. Warum soll ich nicht auch einen Strohmann vorschieben.«

*

Am nächsten Morgen erwachte Seppi Mösler kurz aus der Bewusstlosigkeit. Jenny Behnisch trat an sein Bett. Aus fieberheißen Augen blickte er sie an.

»Es brennt, es brennt«, murmelte er, »nun wird alles gut.«

»Für wen, Seppi?«, fragte Jenny intuitiv.

»Für den Chef, bestimmt, wird ja gebaut, viel gebaut.«

Phantasierte er? Jenny glaubte das nicht. Er sagte, was ihn bewegte. Es war oft so, wenn Schwerkranke erwachten und noch nicht begriffen, was ihnen geschehen war. Sie war eine sehr erfahrene Ärztin.

»Und du wirst weiterhin bei Marl arbeiten können«, sagte sie gedankenvoll.

»Seppi kann arbeiten«, murmelte er, aber dann schlummerte er wieder ein. Jenny betrachtete ihn voller Mitgefühl. Sie hatte immer Mitleid mit allen Menschen, die am Rande der Gesellschaft lebten und die, in welcher Weise auch immer, behindert waren. Rein äußerlich war Seppi durchaus nicht unansehnlich. Auch hatte Jenny das Gefühl, dass in ihm ein guter Kern steckte. Als Dorftrottel waren solche Burschen früher bezeichnet worden, wohl auch jetzt noch, wenngleich ihnen doch etwas mehr Toleranz entgegengebracht wurde. Aber wie leicht solche geistig minderbemittelten Menschen anderen als Werkzeug dienten, wusste Jenny auch. Sie hatte das schon mehrmals erlebt.

Wer hatte Seppi benutzt und ausgenutzt? Berthold Marl nicht.

Er hatte Seppi Arbeit und Brot gegeben. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Seppi gerade ihm hatte Schaden zufügen wollen, wie jetzt von der Polizei schon vermutet wurde. Und Jenny dachte noch weiter. Wer sollte ein Interesse haben, Seppi fast totzuschlagen, wenn er den Brandstifter kannte, und sie hoffte, dass mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen von ihm zu erfahren.

Gegen zehn Uhr kam Fritz Kienbaum, um Berthold Marl zu besuchen, und diesmal mussten sie ihn zu dem Patienten lassen, da dieser um Kienbaums Besuch gebeten hatte.

Dr. Jenny Behnisch hatte dabei ein ungutes Gefühl. Sie ließ sich durch Kienbaums zur Schau getragenes Mitgefühl nicht täuschen. Er erkundigte sich auch wieder nach Seppi. Ob er etwas für ihn tun könne, fragte er.

»Es geht ihm sehr schlecht«, erwiderte Jenny. »Er ist nicht ansprechbar.«

»Und man kann ihm sowieso nicht glauben, was er sagt«, erklärte Kienbaum. »Er ist geistig beschränkt, aber das wissen Sie ja schon. Sie glauben nicht, was er manchmal für Unsinn redet.«

Warum sagt er das, fragte sich Jenny, und sie sah ihn forschend an.

»Aber er kann doch anscheinend recht fleißig arbeiten«, sagte sie.

»Nun ja, man ist nachsichtig mit solch einem Außenseiter und Marl ist ein gutmütiger Mensch. Ich werde Seppi auch eine Arbeit geben, wenn er wieder gesund wird. Weiß man denn schon, wer ihn überfallen hat?«

»Nein, das wird wohl noch ermittelt, aber es ist fraglich, ob man den Täter findet. Seppi kann sich ja an nichts erinnern, wie seine Mutter sagte.«

»Ich werde ihn gern besuchen, wenn es erlaubt sein wird«, sagte Kienbaum höflich.

Jenny blickte ihm sinnend nach. Aalglatt, dachte sie, nicht Fisch, nicht Fleisch. Und warum will ihn Marl jetzt schon sprechen? Sie hätte gern Mäuschen gespielt.

*

Fritz Kienbaum war doch erschrocken, als er an das Bett Berthold Marls trat.

»Ja, jetzt ist es aus, Fritz«, sagte der Kranke leise. »Jetzt haben sie es geschafft. Ich bin am Ende.«

»Du wirst wieder gesund, Berthold, und auf meine Hilfe kannst du dich verlassen. Wir kriegen das schon hin.«

»Aber wie? Die Schulden erdrücken mich. Ich muss doch für meine Familie sorgen. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Wenn du mir auch noch mal Geld leihst, ich weiß nicht, wie ich es zurückzahlen soll.«

»Ich möchte dir einen anderen Vorschlag machen, Berthold. Du weißt, wie gern ich Annelore habe. Ich würde sie heiraten, dann bleibt alles in der Familie. Deine Frau, auch du, ihr braucht Ruhe, müsst euch erholen, und ihr könntet euch zur Ruhe setzen. Bobby bekommt eine gute Stellung bei mir, Marilli kann studieren, ich würde für alles sorgen.«

»Aber ich kann Annelore doch nicht zwingen. Sie ist schon so lange mit Jörg Cremer befreundet.«

»Und was kann er ihr alles bieten? Bedenke das doch auch mal.«

»Aber wenn die Baugesellschaft noch am Kauf interessiert wäre, was würde mir geboten?«

»Du weißt doch, wie das ist, wenn einer in einer Notsituation ist. Da wird der Preis gedrückt. Und dann wäret ihr das Haus auch noch los.«

»Das Haus?«, fragte Berthold Marl erregt. »Das würde Annemarie nicht überleben. Ach, ich darf darüber nicht nachdenken.« Er begann zu zittern, er rang nach Luft, dann schwanden ihm die Sinne.

Fritz Kienbaum presste die Lippen aufeinander. Seine Gedanken überstürzten sich. Aber erst nach langen Sekunden drückte er auf die Glocke, die den Arzt herbeirief.

Es kam Dr. Dieter Behnisch.

Ein zorniger Ausdruck war in seinen Augen, als er Kienbaum anblickte.

»Ich habe angeordnet, dass der Patient in keiner Weise überfordert werden dürfe«, sagte er heftig.

»Wir haben uns ganz ruhig unterhalten und dann schlief er plötzlich ein«, erwiderte Kienbaum. »Ich will den Marls helfen, Herr Doktor. Ihre Vorwürfe treffen den Falschen.«

»Gehen Sie jetzt, bitte«, sagte Dr. Behnisch, aber das »bitte«, kam ihm schwer über die Lippen. Es blieb Kienbaum nichts anderes übrig. Die Schwester kam, ein Tropf wurde angehängt. Berthold Marl war einem Herzinfarkt nahe gewesen, wie Dr. Behnisch feststellen konnte. »Vorerst keine Besuche, auch von der Familie nicht«, ordnete er an.

Und wieder wartete Annemarie Marl vergeblich auf einen Anruf ihres Mannes, obgleich ihr Annelore doch gesagt hatte, dass er sich bestimmt an diesem Vormittag anrufen würde.

Mit Bobby hatte sie gesprochen. Er war auch nicht gerade redselig gewesen und sie hatte das Gefühl gehabt, dass er all ihre Fragen ausweichend beantwortete. Annemarie hatte immer an allen Sorgen teilgenommen, die ihren Mann und ihre Kinder bewegten. Sie hatte ein feines Gespür dafür, wenn etwas nicht stimmte, und da es mit ihr schon aufwärtsging, war dieses Gespür wieder ganz intensiv.

Sie war unruhig. Sie läutete sogar nach der Schwester, was sie sonst nur notfalls tat, und Schwester Martha kam.

»Würden Sie bitte mal bei uns anrufen, Schwester Martha. Ich kann nicht selbst wählen. Ich bin so unruhig und besorgt, weil mein Mann gar nicht anruft. Ist er vielleicht doch kränker, als die Kinder mir sagen wollen?«

Schwester Martha befand sich in einem Gewissenskonflikt, aber sie hatte eine Sternstunde.

»Ihr Mann wollte Sie besuchen, aber Dr. Behnisch erlaubt es nicht, er untersucht ihn gerade, Frau Marl. Es ist gefährlich mit so einer Grippe.«

»Aber doch nicht für meinen Mann«, fragte Annemarie ängstlich.

»I wo, der wird schon wieder gesund. Haben Sie nur ein bisschen Geduld. Der Chef sagt Ihnen dann schon Bescheid.«

Schwester Martha erntete für ihre Geistesgegenwart dann noch ein dickes Lob von Dr. Behnisch, und da konnte sie strahlen. Es war ja nicht so, dass sie sich nur an strenge Vorschriften hielt. Sie dachte auch an das Wohl und Wehe der Patienten. Und wenn man dafür ein bisschen schwindelte, war es keine Sünde.

Zum Glück erwies sich Berthold Marls Kreislaufschwäche als nicht gravierend.

Das Herz musste noch beobachtet werden, aber auch das konnte jetzt Dr. Behnisch über so manche Klippe hinweghelfen, denn er hielt es für angebracht, Frau Marl zu sagen, dass ihr Mann auch einige Tage in der Klinik bleiben müsse. Sehr behutsam brachte er es ihr bei, und sie nahm es dann auch verhältnismäßig ruhig auf.

»Ich habe geahnt, dass er sich aufregt«, sagte sie. »Er ist ja so daran gewöhnt, dass ich mich um das Haus, die Kinder und alles, was so daherkommt, kümmere. Und er ist zu weich für diese grausame Zeit, Herr Doktor. Oft hab’ ich mir das schon gedacht. Er ist nicht so profitgierig wie andere, und er denkt auch nie was Schlechtes, wenn einer ihn aufs Kreuz legen will. Da hat Bobby sogar schon mehr Durchblick. Die jungen Leute wissen besser, wie der Hase läuft. Den Letzten beißen immer die Hunde, das haben wir erfahren. Kümmern Sie sich bitte um meinen Berti, mir geht es jetzt schon wieder besser. Ich brauch’ ihn und er braucht mich auch. Er hat so viele Sorgen, aber es sind ja auch meine. Wenn wir zusammenhalten, stehen wir auch das durch, was nicht aufzuhalten ist.«

»Und was meinen Sie damit, Frau Marl?«, fragte Dr. Behnisch.

»Dass wir das Sägewerk abschreiben müssen. Es hat sich ja viel verändert, aber so viel wird uns schon bleiben, dass wir leben können.«

Eine tapfere Frau, dachte Dr. Behnisch. Und Annelore hatte indessen schon diese Gewissheit.

Sie hatte mit dem Bankdirektor gesprochen. Sie hatte ihm die Vollmacht von ihrer Mutter gebracht.

»Sie wissen, wie sehr wir in Bedrängnis sind«, hatte sie gesagt. »Vielleicht sind die Aktien doch ein bisschen was wert.«

»Ein bisschen?«, fragte er. »Ich habe mich immer gewundert, dass sich Ihre Mutter so wenig dafür interessiert hat, aber sie wollte ja den Gewinn nur für Sie und Ihre Geschwister gutschreiben lassen. Es ist ein erkleckliches Sümmchen zusammengekommen.«

»Wie viel?«, fragte Annelore.

»Fast eine halbe Million.«

»Und wir könnten darüber verfügen?«

»Wir könnten morgen verkaufen, aber übermorgen könnte es noch ein paar Tausender mehr bringen.«

»Nicht auch weniger?«, fragte sie.

»Das glaube ich nicht. Es sind sehr sichere Aktien. Sie sollten bedenken, dass sich der Wert verfünffacht hat.«

»Gibt es das? Ich habe mich damit noch nie befasst.«

»Dann sollten Sie es tun, Fräulein Marl. Aber das Sägewerk ist doch mit einer Million versichert.«

»Es fragt sich nur, wann die Versicherung zahlen wird.« Sie sah ihn offen an. »Und wir haben viele Schulden, das wissen Sie. Papa hatte hier keinen Kredit mehr.«

»Er hätte ihn sofort bekommen, wenn er auf die Aktien zurückgegriffen hätte. Aber das wollte er nicht. In mancher Beziehung ließ er leider nicht mit sich reden, Fräulein Marl. Er scheint keine besonders guten Ratgeber gehabt zu haben. Darf ich Ihnen einen Rat geben?«

»Wenn es ein guter Rat ist?«

Annelore sah ihn erwartungsvoll an.

»Wenn er an einen Verkauf denkt, soll er sich mit uns beraten.«

»Und wenn wir doch wieder aufbauen wollen, was meinen Sie dazu?«

»Man wird Ihnen sehr viele Steine in den Weg werfen. Das ist aber eine rein persönliche Ansicht. Es würde mir leid tun. Ihr Vater hat nicht die Nerven, sich gegen alle Widerstände zu behaupten.«

Er hätte es auch deutlicher sagen können und noch einiges dazu, aber er durfte es nicht, und so konnte er nur ganz diplomatisch raten und auch warnen.

Annelore spürte es, und sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln.

»Ich werde mit Papa sprechen, wenn es ihm besser geht«, sagte sie leise. »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns bei der Abwicklung der Verbindlichkeiten behilflich sein würden.«

»Sprechen Sie es mit Ihrem Bruder durch. Er ist ein sehr tüchtiger junger Mann. Und sagen Sie es Ihrem Vater ganz eindringlich, dass er keine übereilten Entscheidungen treffen soll, Fräulein Marl.«

Bankdirektor Weber war nicht älter als Fritz Kienbaum, und er fand Annelore reizend. Er aber war glücklich verheiratet. Allerdings wusste er, wie sehr sich Kienbaum für Annelore interessierte, und das gefiel ihm noch weniger, als so manche Machenschaften dieses Bankkunden. Doch seine persönliche Einstellung durfte keine Rolle spielen. Er war der Bank verpflichtet.

*

Dr. Rambolt hatte eine sehr lange Unterredung mit Jörg Cremer. Zuerst hatte er den Jüngeren in größte Verlegenheit gestürzt, als er ihn fragte, ob er wisse, dass Kienbaum Annelore heiraten wolle.

»Da sei Gott vor«, entfuhr es Jörg. »Nein, das wird ihm nicht gelingen.«

»Ich muss mich auf Ihre Diskretion verlassen, Herr Cremer, wenn ich Ihnen jetzt meine Pläne erkläre.«

»Mein Ehrenwort, Herr Dr. Rambolt«, erwiderte Jörg mit ernstem Nachdruck.

Dann kam er aber aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Aber Annelore weiß doch, dass ich kein Geld habe, jedenfalls nicht so viel«, sagte er.

»So kann man Kienbaum mit seinen eigenen Waffen schlagen. Sie überbieten ihn, das Geld gebe ich. Ich bin überzeugt, dass er Marl unter Druck setzen wird, und dass der tatsächlich nur den einen Ausweg sieht, seine Tochter zur Heirat mit Kienbaum zu bewegen.«

»Er kann Annelore doch nicht verschachern!«

»So wird er es nicht sehen. Kienbaum ist eine glänzende Partie. Manche Eltern haben nichts anderes im Sinn, als ihren Töchtern materielle Sicherheit zu verschaffen. Aber wir wollen dies jetzt nicht aufbauschen. Ich bin sicher, dass es Kienbaum vor allem darum geht, so billig wie möglich an dieses wertvolle Grundstück zu kommen und die hübsche Tochter eine angenehme Beigabe ist. Meine Meinung über ihn möchte ich nicht kundtun, sonst würde ich einige böse Worte gebrauchen. Aus diesem Grunde habe ich mich entschlossen, als Interessent für diesen Besitz mitzubieten.«

»Und was würden Sie damit anfangen? Darf ich das fragen?«

»Das muss noch wohlüberlegt werden. Auf jeden Fall werde ich bedacht sein, den Marls ihr Heim zu erhalten, falls unser Plan von Erfolg sein wird. Für ein Sägewerk, sollte es für Herrn Marl so lebenswichtig sein, wäre hier mehr Platz. Meinen Sie das nicht auch? Hier würde er keinen Anfeindungen ausgesetzt sein.«

»Warum wollen Sie das tun?«, fragte Jörg.

»Weil es mir gar nicht gefällt, wenn ein anständiger Mensch verschaukelt wird. Die seltsamen Methoden des Herrn Kienbaum sind mir schon längere Zeit ein Dorn im Auge. Und jetzt kommt noch hinzu, dass ich Sie gern enger an unseren Betrieb binden möchte.«

Jörgs blass gewordenes Gesicht bekam wieder Farbe. »Verbindlichen Dank«, sagte er, »es freut mich sehr, und ich werde alles tun, um Sie nicht zu enttäuschen.«

»Dann werden wir mal in den Clinch gehen«, sagte Jens Rambolt lächelnd. »Herr Kienbaum soll das Fürchten lernen. Ich denke, wir werden bald herausfinden, warum er eine so enge Bindung zur Familie Marl wünscht. Vielleicht ist es um seine Finanzen gar nicht so gut bestellt, wie er alle glauben machen will.«

»Und ich möchte sehr gern wissen, welche Verbindung zwischen ihm und Seppi Mösler besteht«, sagte Jörg nachdenklich.

Dr. Rambolt war ganz Ohr, was Jörg diesbezüglich zu berichten wusste.

*

Über Seppi machte sich Kienbaum einstweilen keine Gedanken. Er meinte, seine Eisen schmieden zu müssen, solange sie heiß waren, und so hatte er sich entschlossen, Annelore aufzusuchen.

Burgl hatte ihm die Haustür geöffnet. Sie ließ sich rasch von ihm einschüchtern, als er nach Annelore fragte. Im Bauernzimmer war ein provisorisches Büro eingerichtet, und Annelore saß am Schreibtisch, als Kienbaum eintrat. Burgl hatte er einfach zur Seite geschoben.

Seine Augenbrauen schoben sich zusammen, als er die dicken Bücher sah, die vor ihr lagen.

»Hallo«, sagte er, »ist doch einiges erhalten geblieben?« Aber seine Stimme klang unsicher.

»Wichtige Sachen hat Papa hier aufbewahrt«, erwiderte sie. »Was wünschen Sie, Herr Kienbaum?«

»Warum immer noch so förmlich, Annelore?«, fragte er. »Ich bin doch ein Freund der Familie.«

»Ich bin nicht fürs Duzen«, entgegnete sie trotzig.

»Ich möchte sehr gern helfen«, sagte er theatralisch. »Wir müssen uns darüber unterhalten, Annelore. Mein Freund Berthold macht sich große Sorgen, wie es weitergehen soll. Ich konnte mich nur kurz mit ihm unterhalten, aber er kann noch nicht viel verkraften.«

»Er soll sich nicht aufregen«, sagte Annelore.

»Aber es muss euren Eltern doch das Schlimmste erspart bleiben. Wenigstens das Haus muss euch erhalten bleiben.«

»Dafür ist gesorgt«, erwiderte sie kühl.

Momentan verschlug es ihm die Stimme. »Gibt die Bank doch Kredit?«, fragte er.

»Wir haben noch ein paar Sicherheiten zu bieten, aber das ist nicht Ihre Angelegenheit, Herr Kienbaum, sondern unsere. So schnell lassen wir uns nicht unterkriegen. Ich glaube, dass man bald herausfinden wird, wer hinter dieser Brandstiftung steckt.«

»Ich habe da auch schon meine Vermutungen«, sagte er. »Es könnte Seppi gewesen sein, aber ziehen Sie nicht auch die Möglichkeit in Betracht, dass er von Ihrem Vater angestiftet wurde? Mein Gott, ich habe doch alles Verständnis für eure Notlage und ich bin bereit, euch selbst in diesem Fall aus der Klemme zu helfen.«

Eisig war der Blick, mit dem Annelore ihn jetzt ansah. »Wenn es Seppi gewesen ist, mein Vater hätte ihn bestimmt nicht angestiftet«, sagte sie mit klirrender Stimme. »Würden Sie jetzt bitte gehen, Herr Kienbaum.«

»Annelore, ich bitte Sie«, sagte er heiser, »Ihrem Vater würde es nicht gefallen, wie Sie mit mir reden. Es ist sein größter Wunsch und seine Hoffnung, dass Sie meine Frau werden, und das ist auch mein Wunsch. Damit wären alle Probleme aus der Welt geschafft.«

»Meinen Sie? Nicht das Problem, dass ich niemals ja sagen würde. In einen solchen Kuhhandel lasse ich mich nicht ein.«

»Das werden Sie noch bereuen«, sagte Fritz Kienbaum zornig. Er konnte sich nicht mehr beherrschen, zu tief war er in seiner Eitelkeit gekränkt.

»Ich werde es nicht bereuen«, erwiderte Annelore. »Wir werden mit unseren Schwierigkeiten allein zurande kommen. Und die fünfzigtausend Euro, die Sie Papa geliehen haben, überweise ich morgen auf Ihr Konto.«

Kienbaum wurde fahl. »Das war ein rein privates Abkommen, ein Freundschaftsdienst«, sagte er hastig. »Eine Angelegenheit, die ich mit meinem Freund Berthold allein klären werde.«

»Sie meinen, dass dieser Betrag nicht verbucht wurde«, sagte Annelore spöttisch. »Ich weiß schon recht gut Bescheid, wie das läuft. Aber Sie werden das Geld bekommen, gegen Quittung.«

»Was habe ich Ihnen denn eigentlich getan, Annelore?«, fragte er, noch einen Versuch unternehmend, ihren Widerstand zu brechen.

Sie legte den Kopf zurück. »Wenn Sie es genau wissen wollen, Herr Kienbaum, ich mag Sie nicht. Ich habe Sie nie gemocht, und mich kann man nicht so leicht beschwatzen, wie meinen Vater. Früher, als Sie noch jung waren, war es vielleicht so, dass man Ehen arrangieren konnte, aber ich gehöre schon einer anderen Generation an als Sie.«

Das traf ihn sehr hart. Deutlicher hatte es Annelore nicht sagen können, dass sie ihn alt einstufte. Er ging grußlos.

Wenig später kam Bobby. Sein Gesicht war düster. »Ich habe allerhand mitbekommen, Anne«, sagte er tonlos. »Das war starker Tobak. Wie willst du das vor Papa verantworten?«

»Wir werden Kienbaum nichts schuldig bleiben, gar nichts«, entgegnete sie ruhig. »Er bekommt sein Geld, und alles andere wird sich regeln lassen. Oder würde es dir gefallen, dass ich Frau Kienbaum werde, um ihm auch diesen Triumph zu gönnen?«

Bobby starrte sie an. »Was meinst du mit Triumph?«, fragte er heiser.

»Er will unser Anwesen. Er steckt hinter der Baugesellschaft. Mich kann er nicht mehr für dumm verkaufen. Wie geht es Papa?«, lenkte sie ab.

»Nicht gut. Kienbaum war bei ihm, und danach hat sich sein Zustand wieder verschlechtert.«

»Und das macht dich nicht stutzig? Wer weiß, was Kienbaum ihm geflüstert hat. Aber ich werde es herausbringen, und dieser falsche Kerl wird es büßen, das schwöre ich dir. Sieh doch endlich klar, Bobby. Er wollte mich heiraten, um sich alles unter den Nagel zu reißen, sozusagen als Mitgift. Der große Wohltäter, der meint, uns alle für dumm verkaufen zu können. Aber wenn wir verkaufen, wird er Konkurrenz bekommen und mich bekommt er nicht als Zugabe, dessen kannst du sicher sein. Ich liebe Jörg, und ich werde nur ihn heiraten.«

»Müssen wir nicht auch an Papa und Mama denken, Anne?«, fragte Bobby stockend.

»Ich denke an sie, dessen kannst du auch sicher sein. Für mich gibt es keinen anderen Weg, als für unsere Ehre zu kämpfen, als Kienbaums schändliches Spiel aufzudecken.«

»Was meinst du denn damit?«, fragte Bobby konsterniert.

»Er wird sich nicht scheuen, es Papa anzuhängen, dass er Seppi angestiftet hat, den Brand zu legen.«

»Ich bitte dich, Anne, verrenne dich doch nicht in solche Vermutungen.«

»Er hat es durchblicken lassen, lieber Bruder. Hinterhältig wie er ist, wollte er mich damit wohl einschüchtern, aber zum Glück habe ich inzwischen schon einige Informationen bekommen, die mich sehr misstrauisch gemacht haben.«

»Von wem?«

»Das sage ich nicht.«

»Aber du vertraust diesen Informationen?«

»Ja.«

»Und wenn sie darauf zielen, Kienbaum nur deshalb auszuschalten, weil sich ein anderer ein gutes Geschäft nicht entgehen lassen will?«

Annelore dachte ein paar Sekunden nach. Ihr Gesicht war verschlossen.

»Wenn es nur ums Geschäft geht, werden wir an denjenigen verkaufen, der das meiste bietet. Aber es wird auf jeden Fall so viel dabei herausspringen, dass ich mich nicht auch verkaufen lassen muss. Ich hoffe, dass du diesbezüglich meiner Meinung bist, oder würdest du mich lieber als Opferlamm sehen?«

»Wie kannst du nur so was denken, Anne«, stieß er hervor.

»Immerhin hat Marilli mir bereits zu verstehen gegeben, dass Kienbaum doch ein ganz annehmbarer Mensch wäre.«

»Sie ist doch noch ein dummes Kind.«

»Sie ist nicht dumm, Bobby. Mich hat es aber sehr erschreckt, dass sie sich für eine gute Partie verkaufen würde.«

»So ernst musst du doch das Geschwätz nicht nehmen. Mir gefällt es nur nicht, dass durch deine Haltung auch Kienbaum unser Feind geworden sein könnte.«

»Er war immer unser Feind«, sagte Annelore. »Mir ist das ganz klar. Er hat sich schon längst ausgerechnet, wie viel Millionen er verdienen kann, wenn hier gebaut wird. Die Pläne sind schon fertig, nur das Sägewerk musste erst verschwinden. Und nun kannst du darüber nachdenken, warum es verschwinden musste.«

»Das ist eine ungeheuerliche Vermutung, Anne«, sagte Bobby.

»Du konntst dich doch immer am besten mit Seppi verständigen, Bobby. Versuch doch mal, mit ihm darüber zu reden, was er von dem Brand weiß. Vielleicht trägt das zur Klärung bei.«

»Man kann doch nicht ernst nehmen, was er sagt, Anne. Das weißt du doch.«

»Manches erkennt er ganz richtig. Das weißt du so gut wie ich. Und wenn er etwas tut, ist er sehr gründlich. Er macht genau das, was ihm angeschafft wird.«

Als sie es ausgesprochen hatte, hielten sie beide den Atem an.

»Wenn ihm etwas angeschafft wird, macht er es sehr gründlich«, wiederholte Bobby schleppend. Dann fuhr er sich durch sein struppiges Haar. »Aber Seppi würde uns doch niemals Schaden zufügen. Er hängt sehr an uns, vor allem an Papa.« Er griff nach Annelores Arm. »Wir dürfen das nicht denken, Anne.«

»Mir kommt ein anderer Gedanke, Bobby. Könnte ihm nicht jemand eingeflüstert haben, dass uns geholfen werden könnte, wenn alles niederbrennt? Und wenn es uns helfen kann, ist das doch kein Unrecht, so, wie er denkt. Und wir müssen doch auch darüber nachdenken, warum er überfallen wurde. Ich glaube nicht, dass dies zufällig geschah.«

»Und dann unser Büroschlüssel mit dem Anhänger«, überlegte Bobby. Da platzte Marilli herein. »Worüber wird diskutiert?«, fragte sie.

»Über Seppi«, erwiderte Bobby.

»Über Seppi?«, staunte Marilli. »Nicht über Kienbaum. Ich habe da eine Neuigkeit erfahren.«

»Von wem?«

»Natürlich von Ulli. Wir haben uns ausgesprochen. Ich weiß, warum er neulich so komisch war.«

»Warum?«

»Weil das Gerücht ging, dass du Kienbaum heiratest.«

Annelore tauschte einen langen Blick mit Bobby. »Da siehst du, wie man ins Gerede gebracht wird«, sagte sie. Aber dann wandte sie sich an Marilli. »Du fandest doch auch, dass das die beste Lösung wäre«, meinte sie anzüglich.

»Quatsch, so wörtlich musst du das doch nicht nehmen. Ernsthaft habe ich das doch nie in Betracht gezogen. Tut mir leid, wenn du es in die falsche Kehle bekommen hast, Anne. Ullis Vater sagt auch, dass Kienbaum ein ganz hinterhältiger Geschäftemacher ist. Und Ulli hat mir gesagt, dass hier schon bald gebaut werden soll, hier, auf unserem Grundstück. Und nach den Plänen, die schon fertig sind, soll unser Haus auch verschwinden. Was sagt ihr jetzt?«

»Mir ist das bereits klar«, erwiderte Annelore. Bobby und Marilli starrten sie an. »Aber ihr könnt beruhigt sein, so weit wird es nicht kommen. Wir müssen uns nur einig sein und Papa überzeugen …« Sie konnte nicht weiterreden, denn das Telefon läutete. Annelore nahm es auf. Alles Blut wich aus ihrem Gesicht. »Ich komme sofort«, sagte sie tonlos.

Dann sprang sie auf. »Jemand hat Mama gesagt, dass es hier gebrannt hat«, flüsterte sie. »Ich muss zu ihr.«

»Wir kommen mit«, sagten Bobby und Marilli sofort.

»Nein, ihr bleibt hier. Und ihr passt auf, dass nicht noch was passiert. Denkt daran, dass unser Haus gewissen Plänen im Wege ist. Es scheint mir jetzt so, als hätte jemand einkalkuliert, dass wir obdachlos werden und in Dankbarkeit zerfließen, wenn wir aufgenommen werden von einem Menschenfreund.«

Und schon war sie an der Tür. »Seid wachsam«, rief sie den Geschwistern zu.

*

Dr. Jenny Behnisch war bei Annemarie Marl, als Annelore kam, aber das Mädchen fand ihre Mutter in einem merkwürdig ruhigen Zustand vor.

»Warum habt ihr es mir verschwiegen, Anne?«, fragte sie.

»Wir haben verlangt, dass Sie geschont werden, Frau Marl«, sagte Jenny sanft, »das habe ich Ihnen doch schon gesagt.«

»Nun weiß ich es, und nun will ich alles wissen«, sagte Annemarie. »Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.«

»Wer hat es dir gesagt, Mama?«, fragte Annelore.

»Jemand am Telefon. Mir wurde zuerst gesagt, dass Bobby mich sprechen wolle. Aber dann war da eine fremde Stimme.«

»Du hast sie nicht erkannt?«, fragte Annelore.

»Sie klang so, wie wenn Bobby sein Radio überdreht. Ich kann es nicht erklären. Nein, erkannt habe ich die Stimme nicht. Er hat mir nur gesagt, dass das Sägewerk vernichtet ist und Papa schwer verletzt wurde. Ich habe es nicht geglaubt. Ich habe den Hörer hingelegt, und dann kam Frau Dr. Behnisch, weil ich geläutet habe. Und sie hat es mir schonend beigebracht, dass es stimmt. Dass etwas nicht stimmt, habe ich ja geahnt, Anne, und inzwischen konnte ich mit Papa telefonieren. Er ist wieder über den Berg. Er hat mir gesagt, dass wir alles in Ruhe besprechen wollen, wenn wir wieder beisammen sind. Ich rege mich nicht mehr auf. Ich will nur alles genau wissen.«

Annelore blickte Jenny Behnisch fragend an.

»Ja, Sie können es Ihrer Mutter sagen, Annelore! Wenn etwas sein sollte, läuten Sie.«

Annelore erzählte. Sie wurde nicht unterbrochen. Erst dann, als Annelore sagte, dass Kienbaum sie heiraten wolle und das Gerücht schon verbreitet sei.

»Nie, niemals hätte ich das gebilligt«, flüsterte Annemarie.

»Ich hätte auch nie ja gesagt, Mama«, meinte Annelore beschwichtigend.

»Dass Berthold sich so beschwatzen ließ, ich verstehe das nicht, Kind. Aber es ist auch mein Fehler, dass ich mich nie eingemischt habe. Was sollte ich denn tun? Wenn ich auch noch gezeigt hätte, dass ich an seinen Entscheidungen zweifle, hätte er doch alles Selbstvertrauen verloren. Er ist zu gut für diese Welt, Anne. Er kann nicht Schritt halten mit dieser Entwicklung, mit den brutalen Methoden im Existenzkampf. Ich habe mir schon meine Gedanken gemacht, aber ich wollte nie mit ihm streiten. Das hätte ich wohl doch besser tun sollen. Dann müsste ich mir jetzt nicht diese Vorwürfe machen.«

»Du brauchst dir doch keine Vorwürfe zu machen, Mama. Du hast dir doch nichts gegönnt.«

»Es geht doch nicht darum, Anne. Eine Frau muss auch die beruflichen Sorgen ihres Mannes teilen. Ich war mit allem zufrieden, solange es gutging. Und auch dann war ich nicht unzufrieden, als es weniger gutlief. Nach fetten Jahren muss man auch magere hinnehmen. Aber was da wirklich hinter unserem Rücken gespielt wurde, habe ich nicht mitgekriegt. Das hat Papa für sich behalten. Da stand er schon unter Kienbaums Einfluss und redete davon, dass andere schuld sind, wenn die Aufträge ausblieben. Nur Kienbaum nicht. Auf den ließ er nichts kommen. Der war für ihn der Größte, weil er überall verdiente und immer reicher wurde. Und denk mal nach, wann das anfing. Ich weiß es genau. Vor vier Jahren, als die neuen Häuser gebaut wurden. Ein Stückerl Grund hat da auch Kienbaum gehört. Und sein Aufstieg begann. Und wir haben zehnmal so viel.«

»Genau fünfzehnmal so viel, Mama, ich habe es nachgerechnet. Und wir werden nicht alles verkaufen. Ich habe mit dem Bankdirektor gesprochen. Herr Weber vertritt unsere Interessen.«

»Wenn ich doch auch nur so vernünftig wie du gewesen wäre«, sagte Annemarie leise. »Ich habe meinen Mann für klüger gehalten als er ist, Anne. Aber er war immer ein vorbildlicher Ehemann und Vater. Das zählte für mich in erster Linie.«

»Und wir lieben ihn, Mama«, sagte Annelore. »Er ist herzensgut, und das zählt letztlich mehr als Geld. Er ist ein Opfer seiner Gutgläubigkeit, und nun müssen wir ihm helfen, dass er nicht an sich selbst verzweifelt.«

»Wenn ihr so denkt, ich bin zu allem bereit, Anne«, sagte Annemarie leise.

»Jedenfalls bekommt Kienbaum sein Geld zurück, und einen Korb hat er schon von mir bekommen.« Jetzt gelang Annelore sogar ein flüchtiges Lächeln. »Und ich bin sehr erleichtert, dass wir dir nichts mehr verheimlichen müssen.«

Auch Annemarie lächelte tapfer. »Es wird wohl recht gewesen sein, dass ich es nicht sofort erfahren habe, Anne. Jetzt bin ich über den Berg. Papa wird mich ja noch brauchen.«

»Wir dich doch auch, Mama«, sagte Annelore weich.

»Und Jörg hält zu dir?«

»Er hilft mir sehr.«

»Ich möchte ja nur, dass du glücklich wirst, mein Kind.«

Glücklich konnte Annelore noch nicht sein. Zu viele Sorgen bedrückten sie einstweilen noch. Aber sie wusste, dass sie sich auf Jörg verlassen konnte, und dass sie ihn liebte.

»Jetzt geh zu Papa und sage ihm, dass ich alles weiß und dass ich ihn bald besuchen werde. Das wird ihn schon aufmuntern«, sagte Annemarie.

Doch es schien so, als könne den Kranken nichts aufmuntern. Er stöhnte und wurde gar nicht richtig munter.

»Papa, ich bin bei dir, Anne. Was hast du? Sag es doch. Quält dich etwas? Was hat Kienbaum dir gesagt?«

»Sie werden uns auch das Haus nehmen, Anne. Bitte, heirate ihn, das ist unsere einzige Rettung.«

»Nein, Papa, das ist nicht die einzige Rettung. Niemand kann uns das Haus nehmen. Hör mir gut zu. Wir verkaufen die Aktien, Mama hat darauf bestanden, und sie sind jetzt sehr viel wert, mehr als fünfhunderttausend Euro. Wenn du mit Herrn Weber gesprochen hättest, wäre dir viel erspart geblieben.«

»Die Aktien, die einzige Sicherheit für euch, der Notgroschen«, murmelte er.

»Wir brauchen keinen Notgroschen. Jetzt reiß dich zusammen, Papa, damit du gesund wirst, dann findet sich alles.«

»Ich will dich ja nicht zwingen, Fritz zu heiraten, Anne, aber er mag dich doch so sehr.«

»Als Zugabe zu dem Grundstück«, sagte sie. »So musst du es sehen. Und wenn er beides hätte, würdest du ihn bestimmt auch richtig kennen lernen. Lass dich von ihm doch nicht einschüchtern. Dazu besteht kein Grund. Wenn er noch mal aufkreuzt oder anruft, dann sagst du ihm, dass es einen Interessenten gibt, der drei Millionen bietet.«

»Aber das kann ich doch nicht tun, Anne«, widersprach er.

»Das kannst du wohl, denn so viel ist es wert und das weiß er genau. Du bist oft genug verschaukelt worden, Papa, damit muss Schluss sein. Jetzt passe ich auf. Und du wirst Ruhe geben, damit Mama auch weiterhin der Entwicklung gelassen entgegensehen kann.«

»Gelassen?«, fragte er staunend.

»Du kannst dir ein Beispiel an deiner Frau nehmen. Für Mama ist es am wichtigsten, dass dir und Bobby nichts passiert ist.«

»Und es geht ihr wirklich besser?«

»Sie wird dich bald besuchen. Also rappele dich auf, damit du nicht gar so erbärmlich ausschaust.«

Er blickte sie mit verwunderten Augen an. »Du kommst mir plötzlich so erwachsen vor, Anne«, sagte er nachdenklich.

»Ich bin schon einige Zeit erwachsen, Papa, du hast es nur nicht zur Kenntnis genommen. Man kann sich erst beweisen, wenn man gefordert wird.«

»Ich habe immer noch nicht ausgelernt«, seufzte er.

»Man lernt nie aus, lieber Papa. Aber nun geht es wieder aufwärts.«

»Und womit, Anne? Ich kann mich doch nicht zur Ruhe setzen. Dann käme ich mir erst recht überflüssig vor.«

»Auch das wird sich finden. Überlass es jetzt mal deinen Kindern, zu planen.«

»Ihr seid doch noch so jung.«

»Du warst auch nicht viel älter, als du das Sägewerk übernommen hast.«

»Aber ich übernahm einen gesunden Betrieb, und es waren solidere Zeiten.«

»Andere haben auch zu kämpfen. Aber Holz wird immer gebraucht. Wir können anderswo auch neu anfangen. Sei nicht so skeptisch.«

»Hoffentlich bist du nicht zu optimistisch«, brummte er.

*

Als Annelore heimkam, vernahm sie erregte Stimmen. Sie blieb an der Tür stehen. Fritz Kienbaum und Bobby diskutierten lautstark. Nein, es war keine Diskussion, es war eine Auseinandersetzung.

»Wenn du schon so gönnerhaft tust, dann erklär mir doch mal, wieso die Bebauungspläne für unser Areal schon vor fast einem Jahr erstellt wurden«, sagte Bobby heftig.

»Wer hat euch denn das eingeflüstert? Ich habe auch noch anderen Grund, aber wenn ihr mir so kommt, könnt ihr von mir nichts mehr erwarten. Seht zu, wie ihr zurandekommt.«

»Wir sind jedenfalls nicht so leicht zu beschwatzen wie Papa«, sagte Bobby.

»Ich würde gern wissen, wer euch gegen mich aufgehetzt hat«, versuchte Kienbaum nun einzulenken. Da aber trat Annelore ein.

»Uns hat niemand aufgehetzt, wir haben uns nur informiert«, sagte sie ruhig. »Wir werden verkaufen, aber an den Meistbietenden.«

Kienbaums Gesicht verzerrte sich. »Da bin ich aber sehr gespannt, wer mich überbieten würde.«

»Das werden Sie zu gegebener Zeit erfahren«, sagte Annelore ruhig. »Jedenfalls weiß Papa jetzt, dass man uns unser Haus nicht wegnehmen wird. Und hier sind Ihre fünfzigtausend Euro. Bitte, quittieren Sie den Empfang.«

Zuerst wurde Kienbaums Gesicht fahl, dann aber wurde es dunkelrot. »Kannst du deine Schwester nicht mal zur Vernunft bringen, Bobby«, stieß er heiser hervor. »Ich will das Geld jetzt nicht zurückhaben.«

»Aber wir wollen es«, erwiderte Bobby. »Und ich finde, dass Annelore durchaus vernünftig ist.«

»Mit so viel Geld herumzufahren, ist doch unvernünftig«, widersprach Kienbaum heftig.

»Sie wollten es nicht auf das Konto überwiesen haben«, erklärte Annelore spöttisch. »Also habe ich es von der Bank geholt. Ich weiß schon, dass es Ihnen nicht gefällt, dass wir nicht am Hungertuch nagen.«

»Ich bin nicht so verrückt, so viel Geld mit mir herumzuschleppen«, sagte Kienbaum.

»Und wie haben Sie es Papa gegeben? Es ging doch auch nicht von Konto zu Konto. Ich habe die Bücher genau geprüft.«

»Ich habe es schon einmal gesagt, dass es ein Freundschaftsdienst unter Männern war. Aber da Sie so mutig sind, mit einer Tasche voller Geld herumzufahren, können Sie es mir morgen bringen«, sagte er mit einem schiefen Lächeln.

Annelore warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Gut, ich bringe es, aber ich komme nicht allein, Herr Kienbaum. Dazu bin ich wiederum zu vorsichtig.«

Er wandte sich ab. »Sie machen einen großen Fehler, mich so zu brüskieren, Annelore. Ich kann nur hoffen, dass Sie das einsehen und einlenken. Und letztlich hat doch immer noch Berthold zu bestimmen. Er will es mit mir bestimmt nicht verderben, sonst würde ich mich doch noch gezwungen sehen, der Polizei einen Hinweis zu geben, dass er Seppi angestiftet hat, den Brand zu legen.«

Bobby wollte sich auf ihn stürzen, aber Annelore packte ihn am Arm und hielt ihn zurück.

»Soll er es doch tun, Bobby«, sagte sie eisig. »Dann wird Papa endlich begreifen, was für ein feiner Freund er ist. Wir haben nichts zu fürchten, wir nicht«, betonte sie. Und da ging Kienbaum.

»Und wenn es doch stimmt, Anne?«, fragte Bobby tonlos.

»Denk doch mal logisch, Bobby. Papa wäre mit dir bestimmt nicht so ruhig im Büro gesessen. Zumindest dich hätte er weggeschickt, wenn er wirklich auf diese absurde Idee gekommen wäre. Ich habe alles überdacht, auch diese Möglichkeit, das gebe ich zu. Aber dich hätte Papa nicht in Gefahr gebracht.«

»Aber Seppi war doch gern hier. Er fühlte sich zu Hause bei uns.«

»Und jemand kann ihm eingeflüstert haben, dass es uns helfen würde, wenn alles abbrennt, weil dann die Versicherung zahlen muss. Für ihn ist es doch so schwer, Recht von Unrecht zu unterscheiden. Er wusste nicht, dass ihr noch im Büro seid. Um diese Zeit ist doch Papa immer schon in der Klinik bei Mama gewesen.«

»Es ist ein scheußlicher Gedanke, dass Seppi es gewesen sein könnte«, sagte Bobby beklommen.

»Du musst mit ihm sprechen. Du musst ihn zum Reden bringen, Bobby.«

»Aber wie?«

»Du sagst ganz direkt, dass du wüsstest, dass er uns helfen wollte, und dass er dafür nicht bestraft würde.«

»Versuchen kann ich es ja, aber wohl ist mir nicht dabei.«

»Mir erst recht nicht bei dem Gedanken, dass Seppi in seiner Einfältigkeit so missbraucht wurde. Nun wird er womöglich noch als gemeingefährlich eingestuft und in eine Anstalt gebracht.«

»Wenn er es war, Anne. Es gibt noch keinen Beweis.« Aber beide dachten sie schon, wer Seppi angestiftet haben könnte. Was sie aber nicht wussten, war, dass die Ermittlungen schon beachtliche Erfolge zu verzeichnen hatten.

Im Haus war es wieder gemütlicher, da Burgl die Vorhänge aufgesteckt hatte, und es roch auch nicht mehr so stark nach Rauch. Bobby war in die Klinik gefahren, Marilli hatte sich mit Ulli getroffen, und ganz überraschend kam nun Jörg. Ganz spontan fiel ihm Annelore um den Hals, und man konnte ihm ansehen, wie glücklich ihn das machte. Ganz zärtlich hielt er sie in den Armen und küsste sie immer wieder.

»Es kommt alles ins Rollen, Liebes«, sagte er zwischendurch. »Kienbaum ist schon ganz hektisch.«

»Er weiß es schon? Aber als er vorhin hier war, gab er sich noch sehr arrogant, und er hat uns auch gedroht.«

»Gedroht? Womit?«

»Dass Papa Seppi angestiftet hätte.«

»Er setzt alles auf eine Karte«, sagte Jörg sarkastisch, »aber damit wird er nicht durchkommen. Überlassen wir alles der Polizei, Lori. Ich glaube, Kienbaum wird jetzt die Angst im Nacken haben.«

»Du denkst ebenso wie ich«, sagte sie sinnend.

»Von Anfang an habe ich das gedacht.«

»Aber er wird doch Seppi nicht selbst überfallen haben«, murmelte Annelore.

»Er ist kräftig, und es ist gar nicht so schwer, einen Menschen hinterrücks niederzuschlagen, wenn der nichtsahnend durch die Dunkelheit geht. Aber es wird sich alles herausstellen, ich bin ganz sicher.«

»Wenn keine Zeugen vorhanden sind …« Annelore geriet ins Stocken.

»Vielleicht sind welche vorhanden. Ich denke, dass Kienbaum einen entscheidenden Fehler gemacht hat.«

»Welchen?«

»Er hat Erna Mösler eine hirnlose Schlampe genannt.«

»Von wem weißt du das?«

»Von ihr selbst. Zerbrich dir jetzt nicht mehr dein hübsches Köpfchen, Lori. Morgen sind wir bei meinem Chef zum Essen eingeladen. Da wirst du mehr erfahren.«

»Du bist so lieb, Jörg, ich weiß gar nicht mehr, was ich sagen soll.«

»Ich liebe dich, Lori, und ich wünsche mir nur, dass du mich auch liebst«, sagte er innig.

Sie lächelte scheu. »Es hat ziemlich lange gedauert, bis es mir bewusst geworden ist.«

»Gut Ding will Weile haben, mein Liebling. Die schnellen Entscheidungen sind nicht immer die besten.«

*

Bobby traf Dr. Norden am Eingang der Behnisch-Klinik, und der lächelte zuversichtlich.

»Jetzt geht es mit den Eltern ja wieder aufwärts, Bobby«, sagte er. »Die Mama hat gerade ein langes Telefongespräch mit dem Papa geführt, und übermorgen kann sie ihn besuchen.«

»Das ist gut«, sagte Bobby, »aber was ist mit Seppi?«

»Er phantasiert, aber man möchte fast meinen, dass er im Fieber manches durchlebt, was er sonst verdrängt.«

Bobby sah ihn forschend an. »Glauben Sie, dass Seppi klarer Gedanken fähig ist?«

»Ich denke zumindest, dass er sich normal entwickelt hätte, wenn man mehr darum bemüht gewesen wäre. Organisch ist er gesund, körperlich kräftig und ein Pflegefall war er auch nach dem Unfall nicht. Er hatte eben nur das Pech, ein armer Junge zu sein, und dass der schuldige Autofahrer nie ermittelt werden konnte.«

»Darf ich Ihnen eine ganz vertrauliche Frage stellen, Herr Doktor?«

»Wollen Sie wissen, ob es Seppi zuzutrauen ist, dass er das Feuer gelegt hat?«

»Können Sie Gedanken lesen?«, fragte Bobby verblüfft.

»Ich habe mir darüber auch schon den Kopf zerbrochen. Es könnte möglich sein, wenn man ihm eingeredet hat, dass es kein Unrecht ist und Ihrer Familie nur helfen könnte. Um Ihnen zu schaden, hat er es bestimmt nicht getan.«

»Ich möchte mit ihm sprechen, aber ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll, um ihm keine Angst einzujagen.«

So, wie es Annelore gesagt hatte, behagte es Bobby nicht, und er sah Dr. Norden erwartungsvoll an.

Der überlegte ein paar Sekunden.

»Also, ich würde es so formulieren: Hör mal, Seppi, da hat jemand gesagt, du hättest das Feuer gelegt, um uns aus der Klemme zu helfen.«

»Und wenn er sich aufregt?«

»Er regt sich nicht auf. Sie dürfen ihm nur nicht sagen, dass es Ihren Vater so bös erwischt hat. Er fragt dauernd, ob der liebe Herr Marl ihn mal besucht.«

»Darf ich jetzt noch zu ihm?«

»Es könnte gerade günstig sein. Ich hoffe, dass sich bald alles aufklärt, Bobby.«

Und so, wie es Dr. Norden vorgeschlagen hatte, machte es Bobby.

Es fiel ihm gar nicht schwer, denn Seppis Gesichtsausdruck zeigte Freude, als er sich zu ihm ans Bett setzte.

»Es geht ja schon wieder besser, Seppi, das freut uns alle«, sagte Bobby.

»Wird nun gebaut?«, fragte Seppi.

»Sicher bald. Du wolltest uns wohl helfen, damit es schneller geht?«

»Der Kienbaum hat’s gesagt«, flüsterte Seppi. »Dann bekommt ihr viel Geld von der Versicherung, Bobby, und abgerissen wird sowieso alles, hat er gesagt. Aber du musst auch den Mund halten.«

»Der Kienbaum hat mit mir gesprochen, Seppi. Ist alles in Ordnung.«

»Er hat es mir gezeigt, wie man das machen muss, aber dann hat das Büro auch gebrannt, und ich konnte die Sachen nicht mehr holen. Ich habe den Schlüssel verloren, den der Kienbaum mir gegeben hat. Er ist doch nicht mehr böse?«

»War er böse, als du neulich abends bei ihm warst?«, fragte Bobby.

Seppi war verwirrt. »Das weißt du auch?«

»Natürlich.«

»Über den Schlüssel soll ich nicht reden, sonst lochen sie mich ein. Aber das tun sie nicht, gell, das lasst ihr nicht zu. Ich bin euer Freund, ein braver Seppi. Aber Mutter hat gesagt, dass Kienbaum ein Lumpenkerl ist. Ist doch aber auch euer Freund, gell?«

Ängstlich blickte er Bobby an. »Ich glaube nicht, dass er unser Freund ist, Seppi, aber du brauchst keine Angst zu haben. Du musst nur alles so sagen, wie du es eben zu mir gesagt hast. Kienbaum wird es anders sagen.«

»Das kann er nicht, dann sagt Mutter, dass er mir Geld gegeben hat, weil ich jetzt keinen Lohn bekomme. Und sie sagt, dass er mich auf den Kopf gehauen hat.«

»War er es?«

»Weiß ich nicht, Mutter sagt es. Sie hat den Knopf.«

»Welchen Knopf, Seppi?«

»Den hab’ ich abgerissen, wie ich gefallen bin.«

»Du hast dich gewehrt.«

»Konnte ich nicht, Bobby, hab’ bloß nach seinem Arm gepackt. Ich bin kein Depp, wie alle sagen, nicht so ein Depp.«

»Wir haben nie gesagt, dass du ein Depp bist, Seppi. Du warst immer fleißig und hast alles getan, was dir gesagt wurde.«

»Alles hab’ ich getan für den guten Herrn Marl. Und du bist mein Freund, Bobby.«

»Ich bin dein Freund.«

»Sie werden mich nicht einlochen?«

»Nein, wir bringen dich in ein ganz gutes Sanatorium, damit du ganz gesund wirst.«

»Bin der brave Seppi, Herr Marl sagt es.«

»Ja, du bist der brave Seppi. Und nun schläfst du.«

»Du bist nicht böse?«

»Nein, ich bin nicht böse, Seppi.«

»Ich hab’ die Wahrheit gesagt. Ich lüge nicht. Will nicht in die Hölle kommen, Bobby.«

»Kommst ja nicht in die Hölle, Seppi. In ein schönes Sanatorium kommst du, wo du ganz gesund wirst.«

»Und der Kienbaum kann mich dann nicht mehr schlagen.«

»Dafür wird er bestraft werden.« Aber das hörte Seppi schon nicht mehr. Er war eingeschlummert. Und Bobby dachte, dass Seppi nie so klar gesprochen hatte. Er konnte sich das nicht ausgedacht haben, dazu fehlte es ihm an Verstand. Die Geschichten, die er manchmal erfunden hatte, über die man lachte oder den Kopf schüttelte, klangen ganz anders. Aber wie sollte man Kienbaum zu fassen kriegen? An Hand eines Knopfes, den Seppi abgerissen hatte? Bestimmt hatte Kienbaum die Jacke oder den Mantel längst verschwinden lassen. Bobby war überzeugt, dass Seppi die Wahrheit gesagt hatte, aber er wollte dennoch seine Mutter fragen und so fuhr er trotz der späten Stunde zu Frau Mösler.

Und da sah er Kienbaums Wagen zwar in gemessener Entfernung von dem Häuschen, aber Bobby konnte sich nicht vorstellen, dass Kienbaum hier jemand anderen aufsuchen wollte.

Er hielt dicht vor dem Haus, und da hörte er schon Erna Möslers kreischende Stimme.

»Du Lump, du verfluchter, meinst nicht, dass ich nicht weiß, dass du es damals warst, der Seppi angefahren hat. Jetzt halt ich den Mund nimmer.«

Bobby wartete nicht mehr, als er danach gequälten Aufschrei hörte.

Er stürzte durch die Tür, die nicht verschlossen war, und er war oft genug hier gewesen, um zu wissen, wie leicht sie aufzudrücken war.

Und da sah er, wie Kienbaum auf Erna Mösler einschlug. Er warf sich auf ihn und entwickelte dabei so viel Kraft, dass er den an sich größeren und stärkeren Mann zurückreißen konnte, da Kienbaum jetzt völlig überrascht war.

Wahrscheinlich war es auch dieser Schock, der Kienbaum dann wehrlos machte. Stöhnend lag er am Boden, kraftlos und blaurot im Gesicht.

»Der Hundling, der verfluchte«, lallte Erna Mösler. »Jetzt langt’s. Dich hat der Himmel geschickt, Bobby. Umbringen wollt er mich, das schwör’ ich. Die Jugendsünd aus dem Weg schaffen und den Buben dazu.« Sie versetzte dem am Boden Liegenden einen Tritt.

Kienbaum lag jetzt stumm und leblos da. In Bobbys Kopf überstürzten sich die Gedanken. Begriffen hatte er noch nicht, was Erna Mösler gesagt hatte. Doch auch sie presste jetzt die Lippen aufeinander.

»Ich muss den Arzt anrufen«, sagte Bobby heiser.

»Wenn er doch hin wäre, wenn er endlich hin wäre«, lallte Erna Mösler. Bobby überfiel kaltes Grausen.

»Rühren Sie ihn nicht mehr an«, stieß er hervor. »Es könnte schlimm für Sie ausgehen.«

»Wär mir auch egal, aber er soll büßen, er soll zur Hölle fahren, aber vorher noch büßen.«

Bobby rannte zu seinem Wagen und fuhr zur nächsten Telefonzelle. Er rief Dr. Norden an und berichtete atemlos, was geschehen war. Nur von Erna Möslers wirren Reden sagte er nichts. Begreifen konnte er die noch immer nicht.

Als er zurückkam, saß sie am Tisch und trank aus einer halbleeren Flasche.

»Auch ’nen Schnaps?«, fragte sie. »Weißt ja nicht, was ich durchgemacht hab’, Burschi«, lallte sie. »War ja mal jung und hübsch und hatte meine Träume, und er war nicht der große Kienbaum, son­dem ein armer Hund. Ihr werdet schon noch alles erfahren. Jetzt hält die Mösler-Erna nicht mehr die Klappe.«

»Trinken Sie doch nicht so viel«, bat Bobby. »Dr. Norden kommt gleich.«

»Ist doch egal, ist doch alles egal, Burschi.« Sie kicherte, doch dann brach sie in haltloses Schluchzen aus.

Diesmal kam Dr. Norden gleich mit dem Sanitätswagen. Und schnellstens wurde Fritz Kienbaum auf die Trage gehoben und weggefahren, während Dr. Norden sich um Erna Mösler bemühte.

»Ich werd’ alles sagen, alles«, murmelte sie nur immer wieder.

»Ich kann sie nicht allein lassen«, sagte Dr. Norden zu Bobby. »Ich muss sie auch ins Krankenhaus bringen. In der Behnisch-Klinik ist kein Bett mehr frei.«

»Ich geh nicht«, sagte Erna Mösler. »Ich bleib hier. Er kann mir nichts mehr tun.«

»Sie kommen mit zu uns, Frau Mösler«, sagte Bobby, der sich mächtig wunderte, wie klar sie trotz allem denken konnte. »Sie schlafen sich bei uns richtig aus. Ist es recht so, Herr Doktor?«

»Mir wäre es schon recht«, erwiderte Dr. Norden.

»Die Burgl wird’s nicht haben wollen«, murmelte Erna Mösler.

»Warum denn nicht?«, sagte Bobby.

Erna deutete auf die Schnapsflasche. »Deswegen.«

»Die brauchen Sie jetzt nicht, Frau Mösler«, sagte Dr. Norden freundlich. »Sie bekommen etwas aus einer anderen Flasche. Das schmeckt auch gut, und Sie werden gut schlafen.«

»Wenn Sie es sagen«, brummte sie. Dann ließ sie sich von Bobby widerstandslos hinausführen, und erstaunlicherweise ging sie recht sicher: »Sie wird schlafen«, raunte Dr. Norden Bobby zu. »Sie darf jetzt nur nichts mehr trinken.«

»Da passe ich schon auf, aber wenn alles stimmt, was sie gesagt hat, verstehe ich es schon, dass sie durchgedreht ist. Ich erzähle es Ihnen morgen. Mit Seppi habe ich übrigens auch gesprochen.«

»Ich komme nachher noch mal vorbei. Muss nur noch zwei dringende Besuche machen«, erwiderte Dr. Norden. »Sie werden ja zu Hause Hilfe haben.«

Bobby nickte. Hilfe brauchte er allerdings, denn Erna Mösler war schon eingeschlafen. Burgl setzte zuerst eine abweisende Miene auf, aber sie erklärte sich dann doch bereit, ein Bett herzurichten, und Jörg, der noch immer da war, half Bobby, die Schlafende ins Haus zu tragen. Sie wachte nicht auf. Dr. Nordens Mittel wirkte. Und als sie dann im Bett lag, wurde sie von Burgl und Annelore entkleidet.

»Eigentlich ist sie ja ein armes Luder«, sagte Burgl. »War früher mal ein ganz sauberes Dirndl.«

»Du kanntest sie schon früher, Burgl?«, fragte Annelore erstaunt.

»Freilich. Ist ja hier aufgewachsen, aber dann weggegangen, und als sie dann mit dem Kind zurückkam, ging es bergab mit ihr. Man redet ja nicht gern von früher, wenn jemand so abrutscht.« Sie seufzte. »Sie hat sich ja auch nichts sagen lassen.«

Annelore fragte sie nicht aus. Sie wollte jetzt lieber von Bobby wissen, was geschehen war. Und das war dann auch aufregend genug. Da war auch Jörg ganz Ohr, und als Dr. Norden kam und Bobby es ihm auch erzählte, war der Arzt starr vor Staunen.

»Wenn das stimmt, kann ich mich nur fragen, warum Frau Mösler das nie erwähnt hat«, sagte er nachdenklich. »Sie hätte doch vor Gericht gehen können.«

»Kienbaum wird schon etwas in der Hand gehabt haben, um sie zum Schweigen zu bringen«, meinte Annelore. »Aber warum hat er sich ausgerechnet hier niedergelassen, hier, wo sie auch lebte?«

»Sie wird es wohl schon noch preisgeben«, meinte Bobby.

»Lebt er eigentlich schon lange hier?«, fragte Dr. Norden.

»Ich weiß es nicht so genau«, sagte Bobby.

»Ich war jedenfalls schon achtzehn, als er das erste Mal ins Haus kam«, sagte Annelore, »und ich wollte, dass er Sie zu mir sagt. Ich hab’ ihn von Anfang an nicht gemocht. Aber so großspurig, wie er aufgetreten ist, kann man ihn nicht mit Frau Mösler in Einklang bringen.«

»Manch ein Emporkömmling hat mal ganz klein angefangen«, warf Jörg ein. »Wir werden Frau Rambolt morgen mal fragen, wann sie ihn kennenlernten.«

»Frau Rambolt?«, fragte Annelore irritiert.

»Er gehörte mal zu ihren Verehrern, bevor sie meinen Chef geheiratet hat. Das hat mir Dr. Rambolt verraten.«

»Und dieser Dr. Rambolt tritt jetzt als Hauptinteressent an diesem Grundstück auf«, sagte Dr. Norden.

»Das wissen Sie schon?«, fragte Jörg staunend.

»Ich habe auch meine Beziehungen«, erwiderte Dr. Norden lächelnd. »Aber ich gestehe ein, dass mich die Umstände des Brandes so interessieren, dass ich mich auch ein bisschen umhöre. Aber was ich heute Abend hier hörte, klingt fast nach einem Krimi, wenn Kienbaum tatsächlich der Vater von Seppi sein sollte.«

»So wenig ich Kienbaum mag, das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Annelore nachdenklich.

»Frau Mösler hat gesagt, dass er ein armer Hund gewesen sei«, sagte Bobby. »Jetzt müssen wir herausbringen, wie er zu Geld gekommen ist.«

Dr. Norden lächelte flüchtig. »Heutzutage braucht man doch nur im Lotto zu gewinnen, und schon ist man Millionär.«

»Wenn er auf solche Weise zu Geld gekommen sein sollte, bleibt erst recht die Frage, warum er sich ausgerechnet hier niedergelassen hat, direkt vor Erna Möslers Nase«, meinte Annelore nachdenklich. »Alte Liebe, die nicht rostet, kann man das doch bestimmt nicht nennen.«

»Es geschehen Dinge zwischen Himmel und Erde, die schwer zu begreifen sind«, meinte Dr. Norden, »aber es wird sich schon herausfinden lassen, wie viel man Frau Mösler glauben kann.«

»Aber in der Vergangenheit muss etwas zwischen den beiden gewesen sein«, sagte Bobby nachdenklich, »es muss etwas geschehen sein, was Hass in ihr erzeugt. Warum hat sie so lange geschwiegen, wenn sie so viel über Kienbaum weiß.«

»Dafür gibt es eine einfache Erklärung«, erwiderte Dr. Norden. »Sie und ihr Sohn sind Außenseiter der Gesellschaft, in der Kienbaum eine Rolle spielt, und wer hätte ihr schon Glauben geschenkt? Sie hatte sicher Angst vor ihm. Wir haben ja erlebt, wie er sie einzuschüchtern verstand.«

»Aber jetzt ist ihr der Kragen geplatzt«, sagte Bobby.

»Als sie ihn hilflos am Boden liegen sah«, erklärte Dr. Norden. »Da fühlte sie sich plötzlich stark. Mal sehen, ob sie morgen auch noch rebelliert. Gehen Sie behutsam mit ihr um. Sie ist so oft getreten und geschlagen worden.«

*

Dr. Dieter Behnisch war nicht gerade erbaut gewesen, als auch Kienbaum in seine Klinik gebracht wurde, und das sagte er auch seinem Freund Daniel, als dieser erschien.

»Es ist wichtig, ihn unter Kontrolle zu haben, Dieter, sonst hätte ich dir das nicht auch noch zugemutet.« Und dann erzählte er ihm in Stichworten, was geschehen war.

»Guter Gott, das artet ja in eine Tragödie aus«, murmelte Dr. Behnisch.

»Wenn du eine Blutbestimmung bei Kienbaum und bei Seppi durchführst, müsste doch eigentlich festzustellen sein, ob er als Seppis Vater infrage kommt.«

Jetzt starrte Dieter Behnisch Daniel fassungslos an. »Das doch nicht auch noch«, stöhnte er. »Das ist ja zum Verrücktwerden. Kienbaum ist vierzig, und Seppi wird übermorgen einundzwanzig …«

»Und Erna Mösler ist zweiundvierzig«, fiel ihm Daniel ins Wort. »Es hat schon jüngere Väter gegeben, und auch bedeutend ältere Frauen, die sich mit einem jungen Burschen eingelassen haben. Wir müssen das ganz nüchtern betrachten.«

»Aber wenn Kienbaum der Vater von Seppi sein sollte, hätte ihn die Mösler doch auf Unterhalt verklagen können.«

»Vielleicht hat sie welchen bekommen. Wir wissen noch zu wenig, Dieter. Jedenfalls hat Kienbaum Seppi angestiftet, den Brand zu legen, und dafür soll der Junge nicht allein büßen. Was ist nun eigentlich mit Kienbaum?«

»Ein Schlaganfall. Wir müssen ihn erst noch durchchecken. Das EEG ist nicht gut. Es ist durchaus möglich, dass eine Nervenlähmung zurückbleibt. Aber momentan kann ich noch gar nichts sagen. Jedenfalls interessiert mich der Fall nun doch.«

»Und du kündigst mir nicht die Freundschaft?«

»Blödsinn, mir wollte es nur nicht gefallen, dass Kienbaum und Marl auf einer Station liegen, und ich muss gestehen, dass ich Patienten, die mir nicht sympathisch sind, nicht gerade freudig behandele, wenngleich ich mir auch niemals nachsagen lassen werde, dass ich etwas unterlassen hätte, um auch solchen zu helfen.«

*

Fee Norden hatte wieder mal lange auf ihren Mann warten müssen, aber nun erfuhr auch sie interessante Neuigkeiten. Aber sie konnte auch mit welchen aufwarten.

»Ich habe heute beim Einkaufen die alte Frau Brandis getroffen. Sie hat sich nach Herrn Marls Befinden erkundigt und mir erzählt, dass sie beim Sägewerk vorbeigekommen sei, als es brannte. Nachdem man ihr das Häuschen abgehandelt hatte, lebt sie ja im Altenwohnheim.«

»Ja, ich erinnere mich jetzt, dass ich sie flüchtig sah«, erklärte Daniel. »Sie hat auch eine Bemerkung gemacht, an die ich mich aber nicht mehr erinnere.«

»Ich habe sie zu einer Tasse Kaffee eingeladen und allerhand erfahren. Sie hat ja ewig in der Gegend gewohnt und kennt auch Erna Mösler. Dort, wo die neue Siedlung gebaut wurde, gehörte noch ein Stück von dem Land den Eltern von Erna Mösler. Sie sei die Erste gewesen, die es verkaufte, sagt Frau Brandis, für ein Butterbrot, wie es heißt oder wie man sich erzählte. Ein nettes Mädchen sei sie gewesen, die Erna, recht brav, wenn auch kein Geisteslicht. Als Bedienung in einem Landgasthof hätte sie dann aber gutes Geld verdient, aber dann wäre sie mit dem Buben zurückgekommen und ledig.«

»Das wissen wir ja schon, Feelein«, sagte Daniel.

»Aber jetzt kommt der Clou, mein Schatz. Frau Brandis sagt, dass Kienbaum damals das Stück Land von Erna Mösler gekauft hat. Sie hat zu jener Zeit auf der Gemeinde gearbeitet, und sie hat die Grundbucheintragung gesehen. Und später hat er ihr dann auch ihr Häusle abgehandelt. Allerdings hat er da bedeutend mehr zahlen müssen. Es kommt noch besser. Frau Brandis behauptet, dass Kienbaum der Neffe von jenem Wirt sei, bei dem Erna Mösler damals als Bedienung gearbeitet hätte.«

»Und da haben sie sich dann kennen gelernt. Ja, so könnte es gewesen sein. Dann hat er ihr das Land abgeluchst und sie mit dem Kind sitzenlassen.«

Fees Augen wurden ganz weit. »Du denkst, dass Kienbaum Seppis Vater ist?«

»Es könnte möglich sein.«

»Und das soll Erna Mösler für sich behalten haben, nachdem Kienbaum dann hier den großen Fritz spielt? Das glaube ich nicht, Daniel. Nein, das will mir nicht in den Sinn.«

»Er könnte ja etwas in der Hand haben, das sie zum Schweigen gebracht hat. Er ist schlau und skrupellos, wie wir jetzt wissen, Fee. Mir geht da manches im Kopf herum, ich finde nur keine Zusammenhänge, jetzt noch nicht. Aber vielleicht wird sie jetzt reden. Wir müssen abwarten.«

*

Als Erna Mösler am nächsten Morgen erwachte, wusste sie nicht gleich, wo sie sich befand, und sie konnte sich auch nicht sofort erinnern, was am gestrigen Tag geschehen war.

Sie konnte auch nicht gleich nach einer Flasche greifen. Das große Zittern kam und dann die Schweißausbrüche. Aber als Annelore eintrat, wurde sie verlegen, und jäh war die Erinnerung wieder da.

»Ihr seid so freundlich mit mir«, murmelte sie. »Ich verschwind’ gleich.«

»Nein, Sie bleiben jetzt, Frau Mösler«, sagte Annelore. »Ich bringe Ihnen das Frühstück.«

»Das fehlt noch, dass ich bedient werde.«

»Dr. Norden kommt nachher, und wir haben ihm versprochen, gut für Sie zu sorgen.«

»Mir fehlt nichts. Ich bin nicht krank. Ich bin zäh. Hab’ ich wieder Unsinn geredet?«

»Ich glaube nicht, dass es Unsinn war«, sagte Annelore ruhig. »Kienbaum ist in der Klinik, von ihm haben Sie nichts mehr zu fürchten.«

Erna Möslers Augen wurden schmal. »Das sagen Sie. Sie kennen ihn nicht so gut wie ich.«

»Ich mochte ihn nie«, sagte Annelore aus einer Eingebung heraus. »Wissen Sie, dass er beabsichtigte, mich zu heiraten?«

Erna Mösler lachte schrill auf. »Er spinnt, ich hab’s immer gesagt. Der ist irre, Fräulein Annelore. Aber Sie sind ja nicht so eine blöde Urschel wie ich. Was ist mit Kienbaum?«

»Er hat einen Schlaganfall. Er liegt in der Klinik, Frau Mösler.«

»Der Schlag hat ihn getroffen«, kicherte sie. »Das hab’ ich ihm gewünscht. Der Herrgott sorgt schon dafür, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen, und wenn er mich dafür in die Hölle schickt, ich wünsch dem Kienbaum, dass er elend verreckt.«

Annelore fröstelte es. »Wäre es nicht gut, wenn Sie sagen würden, was Sie wissen, Frau Mösler. Auch um Seppis willen?«, fragte sie beklommen.

Ein wachsamer Ausdruck kam in Erna Möslers Augen. »Ja, warum eigentlich nicht? Was hab’ ich denn noch zu verlieren. Ich werd’ mich jetzt anziehen. Bedienen lasse ich mich nicht, Fräulein Annelore. Ich weiß es sehr zu schätzen, wenn jemand so freundlich zu mir ist.«

Annelore staunte, wie sie sich auszudrücken verstand, und als sie Erna nun genau betrachtete, entdeckte sie auch die Reste eines verblühten, ehemals hübschen Mädchens. Schöne Zähne hatte sie immer noch, und der volle Mund mochte ebenso wie die rehbraunen Augen verlockend gewirkt haben. Unwillkürlich dachte sie auch an die Titelschönheiten, die auf den Illustrierten prangten und die gewiss auch nicht immer mit Geistesgaben gesegnet waren.

»Mir wäre es recht, wenn der Dr. Oswald dabei sein würde, wenn ich alles erzähle«, sagte Erna stockend.

»Dr. Oswald? Der Anwalt?«, fragte Annelore erstaunt.

»Ja, der. Er weiß manches besser, als ich es beurteilen kann. Und wenn ich auf ihn gehört hätte, wäre manches wohl anders gekommen.«

»Sie können Dr. Oswald anrufen, Frau Mösler, aber erst sollten Sie frühstücken.«

»Wenn Sie Dr. Oswald anrufen, wäre es mir lieber. Ich kann nicht reden, wenn ich die Leut’ nicht sehe, mit denen ich spreche.«

*

Eine Viertelstunde später saßen sie unten am Frühstückstisch. Annelore hatte Dr. Oswald angerufen, der so überrascht war, dass er ein paarmal fragte, ob Frau Mösler das wirklich wünsche. Dann hatte er erklärt, dass er um elf Uhr kommen könnte.

»Er wird froh sei, wenn er das auch hinter sich hat«, sagte Erna Mösler. »Aber jetzt ist der Seppi ja eh gleich einundzwanzig.« Rätselhafte Worte, aber mehr sagte Erna nicht dazu.

»Ist alles nicht einfach«, murmelte sie, während sie eine Tasse Kaffee nach der andern trank. Ein trockenes Brötchen hatte sie auch gegessen.

Bobby betrachtete Erna Mösler nachdenklich, und jetzt ohne Vorurteile. Er hatte in den vergangenen erlebnisreichen Tagen auch dazugelernt.

»Ja, der Seppi wird nun bald einundzwanzig«, sagte sie. »Hätt’ ich auch nicht gedacht, dass er das erlebt.« Sie blickte auf. »Er wird doch am Leben bleiben?«, fragte sie.

»Es geht ihm ganz gut«, erwiderte Bobby stockend.

»Wird er eingesperrt?«, fragte Erna.

»Ich habe ihm gesagt, dass er in ein Sanatorium kommt.«

Ernas Hände verkrampften sich. »In eine Anstalt«, murmelte sie. »Und Kienbaum ist schuld, an allem ist er schuld, aber ich auch. Dann sollen sie mich doch einsperren. Könnt’ ich nicht ein Glaserl Schnaps haben? Ich stehe es sonst nicht durch. Ist nun mal so, nichts mehr dran zu ändern.«

»Sie machen sich ganz kaputt damit, Frau Mösler«, sagte Annelore.

»Ist doch nicht schad um mich. Hab’ doch nichts mehr zu verlieren. Wenn man alles verkehrt gemacht hat, kriegt man schon seine Strafe, aber der Kienbaum bekommt sie auch.«

Der Gedanke schien sie wieder zu beleben, und sie bekam dann ein Glas Sekt vorgesetzt, nachdem Annelore mit Dr. Norden telefoniert hatte.

Und dann kam Dr. Oswald, ein alter grauhaariger Herr, dem man ansehen konnte, dass ihm alles andere als wohl zumute war.

»Ich möchte jetzt alles geklärt haben«, sagte Erna Mösler, plötzlich ganz ruhig und gefasst. »Man weiß nie, ob man den nächsten Tag noch erlebt. Gestern hab’ ich gedacht, es ist aus, und den Triumph gönn ich dem Kienbaum nicht, dass er sich doch noch ins Fäustchen lachen kann, auch wenn ihm jetzt erst mal das Lachen vergangen sein mag. Unter Zeugen will ich es sagen, nicht dass man mir nachsagen könnt’, dass die Erna Mösler ihr Leben lang feige gewesen ist.«

Wie sie reden kann, dachten Annelore und Bobby. Und da haben alle gedacht, dass sie nicht bis drei zählen könnte.

Und nun sah sie den Anwalt an mit wachen Augen.

»Sie helfen mir weiter, Herr Anwalt, wenn ich was vergessen haben sollte«, sagte sie.

»Also, es fing alles damit an, dass ich mir eine Stellung suchen musste und zum Poldi kam, zum Ströbele, dem der ›Rote Ochs‹ gehörte. Sechzehn war ich da. In der Schul’ war ich ja net gut, aber schaffen konnt ich schon.« Sie bemühte sich dann, nicht mehr in ihren Dialekt zu verfallen, weil sie da hastig und undeutlich sprach, und Dr. Oswald sie bat, alles recht deutlich zu sagen.

»Die Meta, die Frau vom Ströbele, war krank und konnte nicht mehr helfen, aber eine gute Frau war sie«, fuhr Erna fort. »Und als ich schon vier Jahre da war, da starb sie. Anständig hab’ ich verdient und wollt’ auch bleiben, und der Ströbele mochte mich halt auch. Wir haben uns gut verstanden, und er wollt’ dann auch ein bissel mehr. Warum auch nicht, dachte ich, er redet ja auch, dass er mich heiraten würde. Aber dann kam der Fritz Kienbaum, der Neffe von seiner Frau, ein junger Kerl, und er wollte in die Gastronomie. Ja, so hat er es gesagt. Da war ich schon schwanger, und der Poldi hat den schweren Unfall gehabt, und er hat gemeint, dass der Fritz ruhig bei ihm arbeiten könnte. Er hat das auch ganz gut gemacht, so jung wie er noch war, und bis ich gemerkt hab’, dass er aufs Geld aus ist, da war es schon zu spät. Da hat er mich schon eingewickelt gehabt, und der Poldi musste im Rollstuhl sitzen. Ich habe mit dem Kienbaum nichts gehabt, bis der Bub geboren war, das schwör ich, aber Poldi ging es immer schlechter, obgleich er so viel Freud an dem Kind hatte. An Heirat wollte er nicht mehr denken, aber er sagte, dass für den Buben gesorgt sein würde. Aber als er dann starb, da hat er die Gastwirtschaft doch dem Fritz hinterlassen gehabt.«

»Aber der sollte Ihnen einen angemessenen Lebensunterhalt zahlen, Erna«, warf Dr. Oswald ein.

»Es warf ja angeblich nichts mehr ab«, sagte Erna. »Zweihundert hat er mir gezahlt, aber ich war ihm ja schon verfallen. Ja, ich geb’ es zu, dass er mich rumgekriegt hat. Und er war so verdammt schlau, der Bursch. Den Bauernhof hat er mir auch abgehandelt. Mit so einer blöden Urschel, wie ich es war, konnte er das ja machen. Aber für den Seppi hat der Poldi doch vorgesorgt. Aber erst, wenn er einundzwanzig ist, soll er das Geld bekommen, so ist es doch richtig, Herr Anwalt?«

»Ja, das stimmt«, erwiderte Dr. Oswald.

»Ich weiß ja immer noch nicht, wie viel es sein wird«, sagte Erna, »aber wenn der Seppi was versteht, dann ist es das, wie man das Geld zusammenhält. Wenn er wenigstens noch was davon hat, mein Gott, ich hab’ doch das alles nicht voraussehen können. Der Kienbaum hat damals ja gesagt, dass er mich heiraten würde, aber dann würde Seppi das Erbe verlorengehen, und dann hat er mir auch noch das Testament gezeigt, das er selbst aufgesetzt hat, falls ihm was passiert. Dann würde ich alles bekommen. Aber so deppert bin ich dann doch nicht, dass ich das noch geglaubt habe.«

Nun machte sie eine Pause und da fragte Annelore: »Kienbaum ist also nicht Seppis Vater?«

Mit geradezu kindlichem Staunen sah Erna sie an. »Gott, bewahre, der Poldi war Seppis Vater. Wie kommt’s ihr denn darauf, dass der Kienbaum es sein könnt’?«

»Weil sie von der Jugendsünde gesprochen haben, Frau Mösler«, warf Bobby ein.

»Na ja, für ihn war ich halt die Jugendsünde, aber das hätte er dann wohl gern ungeschehen gemacht, als er ein feiner Herr wurde. Dann hat er mir dreihundert im Monat gezahlt und verlangt, dass ich schweige, weil ich sonst nichts mehr bekommen würde.«

»Sie haben auch gesagt, dass er es war, der Seppi damals überfahren hat«, sagte Bobby leise.

»Hab’ ich das gesagt? Nun, zutrauen würde ich ihm auch das, und ich war wohl so in Wut, dass ich alles rausgeschrien habe, was ich geschluckt hab’ in all den Jahren, und was mir so oft durch den Kopf ging. Beweisen könnte ich das nicht, aber beweisen kann ich, dass er Seppi niedergeschlagen hat, weil ich ja den Knopf von seinem Mantel habe, und dass der Poldi Seppis Vater gewesen ist, das weiß der Herr Anwalt auch. Aber was hätte ich denn gegen den Kienbaum machen sollen? Wenn ich ihn ruiniert hätte, dann hätte ich doch gar kein Geld mehr von ihm bekommen. Nur solange, wie ich darüber schweige, das hat er gesagt, würde er mir was geben. Aber er hätte mich nicht Schlampe nennen sollen und gestern, wie er auf mich losgegangen ist, da habe ich wirklich gedacht, dass er mich umbringen wird.«

»Ich habe Frau Mösler seinerzeit geraten, vor Gericht zu gehen, um ihr Geld einzuklagen«, sagte nun Dr. Oswald. »Für das Grundstück hat er ihr ja auch nur fünftausend Euro gegeben.«

»Und das in Raten«, sagte Erna, »und gesund hat er sich gestoßen. Aber ich konnte doch nicht denken, dass er so gemein ist. Die Gastwirtschaft hat er auch gleich verkauft. Aber wie hätte ich denn vor Gericht gehen sollen? Sollte ich den Poldi, Gott hab’ ihn selig, da auch noch mit hineinziehen?«

»Er war doch schon tot, Frau Mösler«, sagte Dr. Oswald.

»Er war ein guter, anständiger Mensch«, erklärte sie fast feierlich. »Ich war es ihm schuldig, dass sein Name sauber bleibt. Und den Seppi wollte ich nicht um sein Erbe bringen.«

Ihm wäre wohl mehr geholfen gewesen, wenn er nicht bis zum einundzwanzigsten Lebensjahr darauf hätte warten müssen, sagte später Dr. Norden, als er davon erfuhr.

Dr. Oswald hatte Erna mit zu sich genommen, um einiges mit ihr zu besprechen. Jörg hatte Annelore abgeholt und sie trafen sich mit Dr. Rambolt und seiner Frau im Schlosshotel, und da hatten sich die beiden Paare viel zu erzählen. Ute kam Annelore so herzlich entgegen, dass sie schnell ihre Hemmungen verlor, die sie nicht leugnen konnte, da Dr. Rambolt schließlich Jörgs Chef war.

Aber das kehrte Jens nun wahrhaftig nicht heraus. Er gab es deutlich zu verstehen, wie gern er Jörg hatte und wie bedacht er war, ihm eine Lebensstellung zu geben.

Ute erzählte, wie sie Kienbaum kennen gelernt hatte, und da klang beißender Spott mit.

»Er muss schon etwa Dreißig gewesen sein. Für sein Geburtsdatum habe ich mich nie interessiert«, begann sie. »Er gab schrecklich an, aber er muss schon recht betucht gewesen sein. Er fuhr einen teuren Wagen und kleidete sich nach der letzten Mode. Aber Erfolg hatte er nur bei einer bestimmten Art Frau. Er bezeichnete sich großspurig als Finanzmanager. Ich war ja noch sehr jung damals.« Sie warf ihrem Mann einen schrägen Blick zu und lächelte verschmitzt.

»Und ein richtiger Kobold«, warf er ein, »aber ich dachte doch, dass Kienbaum mit seinem forschen Auftreten Erfolg haben könnte.«

»Jens war sauer«, lachte Ute. »Aber als Kienbaum eines Tages bei uns aufkreuzte und um meine Hand anhielt, da ist mir das Lachen vergangen und mein Vater fiel aus allen Wolken, bis ich ihn überzeugen konnte, dass ich Kienbaum keineswegs ermutigt hätte. Er hat es noch einige Male versucht, mich zu beschwatzen, und dann war er tödlich beleidigt, als ich mich mit Jens verlobte.«

»Ich war heilfroh, dass er dann in der Versenkung verschwand«, sagte Dr. Rambolt. »Aber clever ist er, das muss man ihm lassen. Jetzt, da wir wissen, dass er kein Kapitalistensproß ist, kann ich mich nur wundern, wie schnell er reich wurde.«

»Indem er andere betrog«, sagte Annelore sarkastisch. »Ich darf gar nicht daran denken, dass auch mein Vater ihm auf den Leim kroch, dass er ihn sogar als Schwiegersohn akzeptiert hätte.«

»Tragen Sie es ihm nicht nach, Annelore«, sagte Ute. »In einer verzweifelten Situation greift man nach dem rettenden Strohhalm. Man muss ja zugeben, dass er ein überzeugendes Auftreten hat, und er ist reich. Geld verschafft Sicherheit und Macht.«

»Umso unverständlicher ist es doch, dass er unseren Besitz auf solche hinterhältige Weise an sich bringen wollte«, sagte Annelore leise.

Jens und Ute Rambolt blickten sie nachdenklich an. »Er wollte wahrscheinlich Sie um jeden Preis«, sagte Ute. »Er wollte endlich eine Frau, die seinen Vorstellungen entsprach. Aus guter Familie, gebildet, attraktiv, und zudem rechnete er sich aus, was an finanziellem Gewinn auch noch herausspringen könnte. Besitzgier kann zu einer Manie werden.«

»Und kriminell«, warf ihr Mann ein. »Nach allem, was wir jetzt wissen, bot sich zudem eine Gelegenheit für ihn, diesen armen Jungen über die Klinge springen zu lassen.«

»Und er glaubte, Erna Mösler in der Hand zu haben«, sagte Annelore tonlos. »Doch er hat sich getäuscht. Diesmal hat er falsch kalkuliert.«

»Und er wird einer gerechten Strafe nicht entgehen«, sagte Jörg.

»Werden Sie verkaufen?«, fragte Dr. Rambolt.

»Das wird Papa entscheiden, wenn er gesund ist. Wir haben erst mal Luft und können abwarten.«

»Ich bin ernsthaft interessiert«, sagte Dr. Rambolt. »Ich habe mit Jörg bereits darüber gesprochen, dass bei uns Platz für ein Sägewerk ist. Wir könnten Hand in Hand arbeiten. Es würde mich sehr freuen, wenn solche Pläne zu realisieren wären.«

Annelores Wange begannen zu glühen. »Das wäre wunderbar«, sagte sie bebend vor Freude. »Aber Kienbaums Bebauungspläne sollen doch nicht auch realisiert werden?«

»Da habe ich andere Ideen«, erklärte Dr. Rambolt. »Wir werden darüber zu gegebener Zeit sprechen. Wir bleiben doch in enger Verbindung«, meinte er verschmitzt lächelnd.

*

»Ich bin richtig glücklich«, sagte Annelore, als Jörg sie heimbrachte. »Du hast einen so netten Chef, und seine Frau ist reizend.«

»Und es stimmt mit der Ähnlichkeit.«

»Mit welcher Ähnlichkeit?«

»Die du mit Ute Rambolt hast.«

»Das ist aber ein tolles Kompliment für mich«, freute sie sich.

Er dachte an Kienbaum, sie nicht. Kienbaum hatte die Niederlage, die Ute ihm bereitet hatte, wohl noch nie ganz verwunden, und er wollte eine Frau haben, die ihrem Typ entsprach. Das gab es ja öfter. Aber nun hatte er zu viel riskiert und damit alles aufs Spiel gesetzt. Wie sie von Bobby hörten, hatte sich Kienbaums Zustand verschlechtert, und außerdem waren die polizeilichen Ermittlungen so weit gediehen, dass kein Zweifel daran bestehen konnte, dass sich Kienbaum vor und auch nach dem Brand beim Sägewerk aufgehalten hatte.

Es hatten sich einige Zeugen gefunden, die das unabhängig voneinander bestätigten. Und auch Erna Mösler hatte ihre Aussage gemacht, nachdem Dr. Oswald ihr erklärt hatte, dass Seppi nicht ins Gefängnis kommen würde, sondern in psychiatrische Behandlung. Ganz vernünftig hatte sie erklärt, dass sie dann mit ihm in eine Klinik gehen würde, um eine Entwöhnungskur zu machen.

Unklar blieb nur, was Seppi aus dem Büro hatte holen sollen. Berthold Marl ahnte, was das gewesen sein konnte. Kienbaum hatte ihm am Morgen des Unglückstages einen Aktenkoffer zur Verwahrung übergeben, den er angeblich auf einer kurzen Geschäftsreise nicht mitnehmen wollte. Aber diesen Koffer hatte er im Safe in seinem privaten Arbeitszimmer verschlossen.

Er wurde nicht gefragt, und er sagte darüber nichts. Bei allen Zweifeln an Kienbaum, die ihm genug Sorgen bereiteten, wollte er diesem doch sein Eigentum unbeschadet zurückgeben.

Inzwischen hatte er erfahren, dass Fritz Kienbaum ebenfalls in der Behnisch-Klinik lag, und dass es ihm sehr schlecht gehe.

Er raffte sich auf, Dr. Behnisch zu fragen, ob man mit Kienbaum sprechen könne, doch der Arzt verneinte es.

»Der Schlaganfall hat sich als schwerer erwiesen, Herr Marl, als wir anfangs dachten. Hinzu kommt, dass der Patient schon einige Zeit an einer Herzmuskelentzündung leidet, und die damit verbundenen Schmerzen wohl mit den falschen Medikamenten bekämpfte.«

»Wird ihm zu helfen sein?«, fragte Berthold Marl beklommen.

»Das kann ich noch nicht sagen. Es würde jedenfalls sehr lange dauern, bis er ansprechbar ist und auch selbst wieder sprechen kann.«

Berthold Marl konnte sprechen und denken, aber auch seine Genesung machte nur langsam Fortschritte. Dagegen erholte sich Annemarie jetzt überraschend schnell. Der Wille in ihr war übermächtig, ihrem Mann zu helfen. Sie besuchte ihn jeden Tag, vermied es aber auch, nur andeutungsweise über Kienbaum zu sprechen, bis er sich in Selbstvorwürfen erging, dass er sich hatte blenden lassen.

»Mach dir jetzt darüber keine Gedanken, Berti«, sagte sie. »Annelore hätte ihn niemals geheiratet. Solch ein Opfer hätten wir auch nie annehmen dürfen. Sie liebt Jörg, und sie wird ihn heiraten.«

»Sie hat aber nie gesagt, dass sie ihn liebt.«

»Darüber ist sie sich wohl auch jetzt erst klar geworden. Sie ist nicht so ein Mädchen, das Feuer und Flamme ist, sich in eine Bindung stürzt und dann erst nachzudenken beginnt. Und Jörg wollte auch erst eine Position haben, die es ihm ermöglicht, eine Familie zu gründen. Wir wollen froh und dankbar sein, dass er ein so anständiger, ehrlicher Mann ist.«

»Ich habe Kienbaum auch für ehrlich und anständig gehalten, Annemarie.«

»Jetzt wissen wir es besser«, sagte sie ruhig. »Und er ist gestraft genug. Was hat er nun von all dem Geld, das er gescheffelt hat. Und Seppi hat er auch noch hineingezogen.«

»Wie konnte sich der Junge nur so beschwatzen lassen?«

»Er glaubte, dass uns damit geholfen werden könnte. Guter Gott, er hat doch nicht viel Verstand. Er war immer gewohnt, das zu tun, was man ihm sagte, und das hat er gründlich getan. Und wie überzeugend Kienbaum reden konnte, weißt du doch selbst am besten.«

Eine Weile trat Schweigen ein, dann fragte der Kranke, ob An­nemarie bald nach Haus gehen kön­ne.

»In ein paar Tagen, denke ich. Jetzt bin ich ganz froh, so nahe bei dir zu sein, Berti.«

»Es geht um den Koffer im Safe, Annemarie. Er gehört Kienbaum. Ich weiß nicht, was drin ist, aber ich möchte damit nichts mehr zu schaffen haben.«

»Ich weiß doch nicht, wem ich den Koffer geben könnte, Berti. Der Polizei?«

»Ich weiß nicht. Ich weiß überhaupt nicht, warum er ihn bei mir gelassen hat. Ich nehme nur an, dass Seppi ihn aus dem Büro holen sollte. Mir kommt das jetzt doppelt seltsam vor.«

»Mir auch, Berti. Nach allem, was geschehen ist, traue ich Kienbaum nur noch Schlechtes zu.«

»Da habe ich uns in eine böse Sache manövriert, Annemarie. Wenn ich doch wenigstens mit ihm sprechen könnte.«

»Meinst du, dass er Buße tun würde? Er wollte doch Seppi hereinlegen.« Da kam ihr ein Gedanke. »Er hat nicht damit gerechnet, dass du und Bobby noch so spät im Büro sitzen würdet. Er wusste ja, dass du mich abends immer besuchst. Aber Seppi sollte ins Büro gehen und er war gewohnt, alle Anweisungen zu befolgen. Und dann brannte es schon überall und Seppi – nein, so gemein kann er doch nicht sein, dass er auch das einkalkuliert hat, dass Seppi aus dem Büro nicht mehr entkommen konnte.«

»Wir haben es auch gerade noch geschafft, Annemarie«, murmelte Berthold. »Der Inspektor soll kommen. Ich werde ihm alles sagen. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Dass es so weit kommen konnte, ist schließlich meine Schuld, meine Schuld allein, weil ich seine Geschäftstüchtigkeit bewundert habe, die ich nie hatte.«

»Mir ist es lieber, dass du ein anständiger Mensch bist, Berti«, sagte Annemarie liebevoll.

Die Sache mit dem Koffer bereitete allerdings noch einiges Kopfzerbrechen, denn Kienbaum konnte dazu keine Aussage mehr machen. Er starb drei Tage später an einem Nierenversagen.

Berthold Marl hatte den Beamten genau erklärt, wie sich alles verhalten hatte. In dem Koffer wurden fünfzig­­­tausend Euro in Hunderteuroscheinen gefunden und der Schuldschein, den Marl vor Wochen unterzeichnet hatte.

Konsterniert erklärte Berthold Marl, dass er jene fünfzigtausend Euro damals schon erhalten hätte, und Annelore erklärte, dass sie diesen Betrag Kienbaum zurückgeben wollte, wozu es dann jedoch nicht mehr gekommen sei.

Da half nur noch kriminalistischer Spürsinn und Kombinationsgabe, da Annelore die Geldbündel auch vorweisen konnte. Und sie half mit dem Kombinieren.

»Kienbaum lässt diesen Koffer im Büro zurück«, sagte sie nachdenklich. »Mein gutgläubiger Vater denkt sich nichts dabei, schließt ihn aber vorsichtshalber drüben im Haus ein. Und am gleichen Abend brennt es, wie geplant, aber Seppi verliert in der Aufregung den Schlüssel, den Kienbaum ihm gegeben hat. Glücklicherweise, muss man wohl sagen, und es war auch ein Zufall, dass Papa und Bobby so lange im Büro saßen. Für sie hätte es bös ausgehen können«, fügte sie mit zitternder Stimme hinzu.

Mit der Kombinationsgabe wären sie jedoch nicht viel weitergekommen, wenn nicht Erna Mösler ganz plötzlich die Erinnerung gekommen wäre, warum Kienbaum sie an jenem Abend so misshandelt hatte, und wenn nicht auch Seppi einen lichten Moment gehabt hätte.

Kienbaum hätte von einem Koffer geredet, den Seppi gestohlen hat, sagte Erna Mösler, und er hätte sie beschuldigt, den versteckt zu haben.

»Aber ich hab’ nichts von einem Koffer gewusst, ich schwöre es, und der Seppi hat keinen ins Haus gebracht.«

Einen Psychiater brauchten sie nicht, um Seppi dann auch das zu entlocken, was er bisher nicht gesagt hatte. Dr. Norden gelang es, Klarheit zu schaffen.

Dr. Behnisch sagte später, dass er mit Seppi geredet hätte, als wäre er der liebe Gott persönlich, denn er war als Zeuge dabei. Seppi sollte nicht eingeschüchtert werden.

Und so verlief diese Unterhaltung, als gäbe es keinen dramatischen Hintergrund.

»Über das Feuer wollen wir nicht mehr reden, Seppi«, begann Dr. Norden. »Wir wissen, dass du den Marls helfen wolltest, und sie finden das auch sehr nett von dir.«

»Hat Bobby auch gesagt«, erwiderte Seppi. »Kann jetzt gebaut werden?«

»Bald, aber erst musst du gesund werden. Sie brauchen dich doch. Aber wie das mit dem Koffer war, das hast du noch nicht erzählt.«

»Muss ich das? Ist doch alles hin«, sagte Seppi.

»Aber wir sind sehr gespannt, wie du das anstellen solltest. Du sollst dafür doch noch eine Belohnung bekommen.«

»Geld?«, fragte Seppi hektisch. Geld war für ihn die einzige Realität. Das konnte er sehen und unterscheiden, weil er es für das bekam, was er an Arbeit geleistet hatte.

»Wie wäre es mit hundert Euro?«, fragte Dr. Norden, der schnell geschaltet hatte.

»Aber ich konnte den Koffer nicht holen. Der Kienbaum war sehr böse, weil ich den Schlüssel verloren habe. Hätte ihn doch gar nicht holen können, wo der Chef und Bobby drin waren. Musste da doch helfen. Warum waren sie drin, wenn sie wussten, dass es brennen würde?«

»Das wussten sie doch nicht. Das wussten nur Kienbaum und du.«

Seppi kniff die Augen zusammen. »Kienbaum hat gesagt, dass sie es wissen, und dass keiner da ist. Sagt er es jetzt anders?«

»Er kann nichts mehr sagen, Seppi. Er ist gestorben.«

Ungläubig nickte Seppi ihn an. »Er war nicht alt und er war stark«, murmelte er. »Und er hatte doch viel Geld.«

»Auch reiche Leute müssen manchmal früh sterben. Gott hat ihn gestraft, weil er nicht gut zu dir war.«

»Aber er hat mir Geld gegeben und er hat gesagt, dass ich Marls helfe.«

»Das hat er gesagt, aber nicht so gemeint. Du hättest verbrennen können, wenn du ins Büro gegangen wärst.«

»Dann wäre ich auch tot«, sagte Seppi schleppend. »Mutter hat gesagt, Kienbaum wollte mich umbringen.«

»Dich bringt so schnell nichts um, Seppi«, sagte Dr. Norden, »du darfst jetzt nur nicht mehr so was machen. Du hast es doch nicht gern, wenn es so brennt.«

»Nein, es ging so schnell, ich hatte Angst, deshalb habe ich doch den Schlüssel verloren.«

»Aber er war an deinem Anhänger. Den hattest du doch von Marilli bekommen.«

Seppi nickte. »Hübscher Anhänger, aber Kienbaum hat gesagt, dass ich den Schlüssel anhängen soll, dann geht er nicht verloren, aber ich hab’ ihn doch verloren.«

»Du lebst«, sagte Dr. Norden gedankenvoll.

»Und ich geh auf den Bau und verdiene viel Geld«, sagte Seppi naiv.

Geld hatte er allerdings genug, da er nun einundzwanzig Jahre alt war. Erna Mösler konnte mit ihrem Sohn in eine Spezialklinik gehen, wo ihrer beider Leiden bestens behandelt werden konnte. Dr. Norden hatte diese vermittelt. Aber die große Überraschung kam noch nach, als Fritz Kienbaums Testament eröffnet wurde. Das hatte er allerdings schon vor zwanzig Jahren gemacht, und wie Dr. Oswald sagte, unter dem Druck seines Onkels Leopold, der ihm nur unter der Voraussetzung die Gastwirtschaft und was noch an Grund und Boden dazugehörte, vermachte, wenn Kienbaum gleichzeitig bestimmte, dass im Falle seines Todes Erna und Sepp Mösler seine Erben sein würden.

Für ein anderes Testament hatte Fritz Kienbaum wohl keine Zeit gefunden, sicher auch nicht daran gedacht, dass die beiden ihn überleben würden, und so kamen Erna und Sepp zu so viel Geld, wie sie es sich niemals hätten träumen lassen. Aber es sprach für Erna Möslers anständigen Charakter, wer immer ihr diesen auch hatte absprechen wollen, dass sie sich sofort bereiterklärte, aus Kienbaums Nachlass den Schaden zu ersetzen, der den Marls durch den Brand entstanden war. Aber es sprach auch wiederum für den Charakter Berthold Marls, dass er dies nicht annehmen wollte. Doch da redeten Dr. Oswald und auch Dr. Norden mit, und sie sagten ihm, nicht so töricht zu sein, darauf zu verzichten, da es ja schließlich um Kienbaums Geld ging. Und Erna Mösler sagte, dass es ihr Gewissen erleichtern würde, Seppi wenigstens von einer materiellen Schuld befreit zu wissen.

Sie selbst wurde überraschend schnell von ihrer Alkoholsucht geheilt. Mit Kienbaums Tod schien der Teufel, der sie verfolgte, verschwunden zu sein. Mit eiserner Energie ging nun auch sie daran, ihrem bisher so armseligen Leben einen Sinn zu geben.

Seppi wurde so gezielt behandelt, dass er Recht und Unrecht zu unterscheiden wusste und er lernte fleißig, aber er wollte arbeiten, etwas schaffen. Das konnte er dann auch, als das neue Sägewerk neben Dr. Rambolts Ziegelei gebaut wurde. So fleißig und unermüdlich war er, dass keiner ihn mehr »Dammerl«, nennen wollte.

Und auch das neue Haus für die Marls wuchs aus dem Boden und ein hübscher Bungalow für Jörg und Annelore. Heiraten wollten sie erst, wenn auch dieser fertiggestellt war. Sie ließen sich Zeit. Sie waren sich ihrer Liebe sicher. Und sie waren jung, so herrlich jung, dass sie sich unbeschwert auf ihre gemeinsame Zukunft freuen konnten.

Marilli hatte zuerst ein bisschen gemault, dass sie in eine neue Schule wechseln sollte, aber dann meinte sie, dass es vielleicht ganz gut wäre, weil sie sich doch nicht mehr so gut mit Ulli verstünde. Sie war ja noch viel zu jung, um schon genau zu wissen, was sie nun eigentlich wollte und es hing ihr schon nach, dass sie ihrer Schwester den Fritz Kienbaum hatte schmackhaft machen wollen, als alle seine Machenschaften bekannt geworden waren. Es war nur tröstlich für sie, dass ihr Papa und auch Ullis Vater von Kienbaum getäuscht worden waren, aber sie hatte begriffen, dass man viel lernen musste, wenn man jung war.

Nun sollte ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Burgl und Kaspar fiel der Abschied vom alten Haus nicht schwer. Sie mochten gar nicht mehr auf den öden Hof schauen und freuten sich, ins Grüne zu kommen, und auch darauf, dass sie mitgehen durften.

Für Annemarie und Berthold war es nicht so einfach, Abschied zu nehmen von ihrem alten Heim. Hier hatten sie glückliche Jahre verbracht, hier waren ihre Kinder aufgewachsen. Das konnte man nicht so einfach aus dem Gedächtnis streichen.

Doch zu alt fühlten sie sich doch nicht, noch einmal Wurzeln zu schlagen, weit weg von jenen Menschen, die hergezogen waren und ihnen das Leben schwermachten.

»Es hätte schlimmer kommen können, Berti«, sagte Annemarie, als sie dann die Tür hinter sich zuschlugen. »Du wirst schon sehen, wie schnell wir uns eingewöhnen werden, und auf Dr. Rambolt ist Verlass.«

Berthold Marls Gesicht war von Narben gezeichnet. Sie würden verblassen, das hatten die Ärzte gesagt, aber sie würden ihn auch immer an die schlimmste Zeit seines Lebens erinnern. Aber er hatte eine tapfere Frau zur Seite, und drei Kinder, auf die er sich ebenso verlassen konnte. Es lohnte sich für ihn, noch einmal mit aller Kraft einen Neubeginn zu wagen.

*

»Heute sind sie umgezogen«, sagte Fee Norden zu ihrem Mann, als er abends heimkam.

»Ich weiß, mein Schatz. Ich habe ihnen Adieu gesagt. Ich hatte grad in der Gegend zu tun.«

»Es kann ja auch ›auf Wiedersehen‹ heißen«, sagte Fee. »So weit weg sind sie ja nicht. Und was gibt es da nun für Pläne?«

»Die Wohnanlage wird genehmigt werden, wie ich hörte, mit viel Grün und einem großen Kinderspielplatz. Nur fünfzehn Häuser, statt dreißig, und erschwinglich auch für Familien mit drei und vier Kindern, oder noch mehr.« Er lachte plötzlich auf.

»Was freut dich besonders?«, fragte Fee.

»Dass manche, die so gegen das Sägewerk rebelliert haben, sich nun über den Lärm, den Kinder machen, echauffieren werden, aber die graulen sie nicht weg. Ein bisschen Schadenfreude wird doch erlaubt sein.«

»So hat es sich Dr. Rambolt wohl auch gedacht«, sagte Fee.

»Und Frau Mösler wird Hausmeisterin«, sagte Daniel.

»Hat sie das noch nötig?«, staunte Fee.

»Danach fragt sie wohl nicht. Ich habe sie vorhin gesprochen. Kienbaums Geld ist nicht ihr Heilmittel, hat sie gesagt, aber es soll Segen bringen. Sie hat es dafür investiert, damit die Preise für die Häuser auch für weniger Bemittelte erschwinglich bleiben. Da soll nur noch einer was gegen sie sagen!«

»Dann bekommt er es mit dir zu tun«, sagte Fee.

»So wahr ich Daniel Norden heiße.«

»Der Sohn seines Vaters«, sagte sie zärtlich. »So kann auch hier eine Insel der Hoffnung entstehen.«

»Dr. Rambolt hat schon einen anderen Namen. Kinderparadies!«

»Unsere Kinder werden das ja gern hören, aber was meinst du, wie viel da wieder protestieren, Daniel?«

»Sollen sie doch protestieren. Das Sägewerk war ihnen ein Dorn im Auge, dann wird es auch ein Kinderparadies sein. Manche Menschen sind und bleiben immer der Überzeugung, dass sie allein Daseinsberechtigung haben und begreifen nie, dass sie die eigentlichen Störenfriede sind. Aber um dieses Paradies werden hohe Bäume wachsen und es abschirmen. Ich freue mich darauf.«

»Und der Dr. Norden wird wieder noch mehr Arbeit bekommen«, sagte Fee.

»Wir haben doch ein paar gute Kinderärzte hier, Feelein«, sagte er lächelnd.

»Aber den Eltern fehlt hin und wieder auch was.«

Er küsste sie auf die Nasenspitze. »Wenn ich arbeitslos wäre, würde es mir auch nicht gefallen, mein Schatz, aber ich bin sehr froh, dass Annemarie und Berthold Marl uns jetzt keine Sorgen mehr bereiten. Erna und Seppi Mösler auch nicht. Weißt du, ich bin froh, dass ihr das Geld nicht in den Kopf gestiegen ist.«

»Und dass Seppi Arbeit, mit der er Geld verdienen kann, wichtiger ist, als das Geld, was ihm in den Schoß gefallen ist. Aber glücklicherweise kann er, trotz aller Behandlung, nur bis tausend zählen.«

»Dein Humor ist nicht zu übertreffen, Daniel«, lachte Fee.

»Nur durch dich«, gab er zurück.

»Mir fällt augenblicklich aber nichts Lustiges ein.«

»Gar nichts?«

»Findest du es lustig, dass Anneka noch an den Klapperstorch glaubt, obgleich wir sie aufgeklärt haben?«

»Du hast sie aufgeklärt, aber vielleicht hast du es falsch angefangen?«

»Was soll ich denn machen, Daniel. Sie sagt, wenn ich kein Kind mehr kriege, bringt ihr der Klapperstorch vielleicht doch noch ein Schwesterchen, und da hat sie Zucker aufs Fensterbrett gelegt, und der ist verschwunden.«

»Du hast ihn weggenommen?«

»Nein, und Lenni auch nicht.«

»Die Buben?«

»Die auch nicht, sie glauben bestimmt nicht mehr an den Klapperstorch, und Anneka wird ganz narrisch, wenn sie sie deswegen necken. Und sie würden ganz schön dumm schauen, wenn sie doch noch ein Schwesterchen bekommen würden, da der Zucker verschwunden ist.«

Daniel lachte zärtlich. »Aber du glaubst nicht an den Klapperstorch«, fragte er.

»Aber vielleicht an ein Baby«, sagte sie leise. »Und dann werde ich beten, dass es ein Mädchen wird, unserer Anneka zuliebe.«

»Und ich würde in diesem Fall nur beten, dass alles gut geht, mein Allerliebstes«, sagte Daniel verhalten, und dann nahm er sie zärtlich in die Arme und küsste sie.

»Behalt deinen Humor«, flüsterte Fee.

*

Im Sommer, als Jörg und Annelore Hochzeit feierten, konnte man es Fee noch nicht ansehen, dass ein Baby unterwegs war, aber sie und Daniel hatten bei dieser feierlichen Trauung die Hände fest ineinander verschlungen in der innigen Hoffnung, dass Annekas Wunsch nach einem Schwesterchen in Erfüllung gehen möge, als sie Anneka so andächtig zu Füßen des Altars sitzen sahen, mit gefalteten Händchen. Seit Tagen redete sie nichts anderes mehr, als dass der Storch den Zucker doch geholt hätte und dann, nach der Trauung, sagte sie: »Vielleicht bringt er das Baby doch zuerst zu Annelore, weil sie noch keins haben. Vielleicht denkt aber der liebe Gott auch, dass drei Kinder genug sind, weil alles so teuer ist.«

»Meinst du nicht, dass wir auch noch ein viertes Kind ernähren können, Anneka?«, fragte Daniel.

»Jetzt sind nicht mehr so viele Leute krank, hat Lenni gesagt, weil sie sonst arbeitslos werden. Hier haben sie viel Arbeit und auf dem Bau jetzt auch. Meinst du, dass es im Kinderparadies auch viele Kinder geben wird, Papi?«

»Ganz bestimmt, Schätzchen.«

»Stefan und Martina möchten auch gern noch ein Baby haben, damit sie drei sind. Stefan will einen Bruder und Martina eine Schwester.«

»Man kann es nicht vorher bestimmen«, sagte Daniel.

»Und wenn der Klapperstorch nun alle Kinder ins Kinderparadies bringt, Papi? Dann kriegen wir keins mehr ab.«

»Es dauert ja noch eine ganze Weile, bis die Häuser im Kinderparadies fertig sind. Und du weißt doch genau, dass der Storch die Babys nicht bringt.«

»So genau weiß ich das nicht«, sagte Anneka. »Jedenfalls hat er mein Zuckerl geholt. Und Martina hat auch eins auf ihr Fenster gelegt und eins auf Annelores. Gucken wir mal nach, ob sie noch daliegen?«

»Jetzt fliegt der Storch doch nicht herum, wo hier Hochzeit gefeiert wird«, sagte Fee. »Der kommt erst, wenn es dunkel wird, wenn ihn keiner sieht.«

»Dein Humor ist der beste, Feelein«, sagte Daniel, als sich Anneka damit zufriedengegeben hatte.

»Ich weiß ja schließlich, dass wir ein Baby bekommen«, flüsterte sie. »Und eine Hochzeitsnacht soll ja oft auch erfolgreich sein.«

»Das wird ein ereignisreiches Jahr werden«, sagte er. »Aber den langsamen Walzer könnten wir doch auch noch tanzen, Fee.«

Sie tanzten ihn mit den anderen, die nicht weniger glücklich waren als sie, zu dem sich auch Berthold und Annemarie Marl auf die Tanzfläche gewagt hatten, aber als Jörg mit einem hübschen jungen Mädchen und Marilli mit ihrem neuen Freund Andy herumwirbelten, schauten sie lieber zu.

»Denken wir an den Nachwuchs«, sagte Jens Rambolt lä­chelnd.

»Sieht man mir etwa schon was an?«, raunte Annelore ihrem frischgetrauten Mann zu. »Wie bringen wir es den Eltern bei?«

»Die werden es schon merken«, gab er leise zurück. Und Fee hatte die Ohren gespitzt. »Es wird bestimmt ein ereignisreiches Jahr, Daniel«, sagte sie mit leisem Lachen.

Dr. Norden Bestseller Staffel 20 – Arztroman

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