Читать книгу Dr. Norden Bestseller 38 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 4

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»Ich mag sie auch, aber man kann ihr doch nicht wehtun.«

»Es ist besser, wenn ihr jetzt die Augen geöffnet werden, nachher ist es zu spät. Es langt schon, dass ihr Vater so ein Saukerl ist.«

Mit harten, unverblümten Worten sparte sie nicht. Nichts in ihrem Benehmen, ihrer Kleidung, ihrem ganzen Auftreten ließ darauf schließen, dass ihr Vater zu den ganz Prominenten zählte, vor denen alle dienerten. Nur seine Tochter nicht.

Bei Florentine war der Abnabelungsprozess vom Elternhaus so weit gegangen, dass sie sich schwerhörig stellte, wenn man sie fragte, ob sie mit dem Baulöwen Häussler verwandt sei. Dann brachte sie es fertig, ihren Vater zu verleugnen, obgleich sie sich familiär mit ihm weit besser verstand, als Monika sich je mit ihrem Vater verstanden hatte. Florentine wollte nur nicht als die Tochter ihres einflussreichen Vaters bewertet werden.

Sie hatte ihre eigene Wohnung und auch ihren eigenen Freundeskreis. Sie lebte ihr Leben, und das war ein sehr bewusstes Leben. Sie hatte sich in jungen Jahren bereits zu einer Persönlichkeit entwickelt, und das wohl auch deshalb, weil ihr Vater ihr keine Schranken setzte.

Über Herbert Richter und auch über Monikas Verlobten wusste sie mehr, als sie bisher verlauten ließ, aber nun hatte sie sich doch nicht mehr beherrschen können. Sie hatte Monika einfach zu gern.

»Vielleicht kommt sie nun doch heute Abend«, sagte Florentine zu Carlo. »Wenn nicht, sehe ich ganz schwarz für sie. Über kurz oder lang wird sie doch erfahren, mit wem ihr Vater sich eingelassen hat, und dann kommt das dicke Ende nach. Man muss ihr doch wenigstens das Gefühl geben, dass sie Freunde hat, Carlo.«


Sie ahnten nicht, wie bald Monika wirklich gute Freunde brauchen könnte. Carola Buchner jedenfalls brachte Monika keine freundschaftlichen Gefühle entgegen.

Sie war schon im »Goldenen Lamm« und wartete ungeduldig auf Monikas Erscheinen. Sie war hübsch genug, um Männerblicke auf sich zu ziehen. Sie hatte ein gewisses Etwas, das aufreizend auf Männer wirkte, obgleich sie das zumindest jetzt nicht beabsichtigte.

»Vielen Dank, dass Sie gekommen sind, Fräulein Richter«, sagte sie zur Begrüßung. »Ich muss mich kurz fassen, da meine Mittagspause bald zu Ende ist.«

»Ich konnte leider nicht früher hier sein«, erwiderte Monika. »Worüber wollten Sie mit mir sprechen?«

»Über Wilfried.«

Monikas Augen weiteten sich staunend. Begreiflicherweise war sie befremdet, dass Carola ihren Verlobten beim Vornamen nannte. Ein Kribbeln rann über ihren Rücken.

»Über Wilfried?«, wiederholte sie fragend.

»Sie sind erstaunt«, sagte Carola ironisch, »er hat natürlich nicht erwähnt, dass wir früher befreundet waren, nicht einmal das.«

»Es ist mir neu«, erwiderte Monika steif, »aber Sie haben sicher einen Grund, mich davon in Kenntnis zu setzen.«

»Ja, gewiss, einen sehr triftigen Grund. Die Verlobung mit Ihnen kam durch Vermittlung Ihres Vaters zustande, weil er sich Chancen bei Ihnen ausrechnete. Es war für Wilfried natürlich ein verlockendes Angebot. Zu eigenen Entschlüssen ist er ja nicht fähig. Immerhin kam er von mir nicht los. Der langen Rede kurzer Sinn: Ich erwarte ein Kind.«

Monika war wie erstarrt. Augenblicklich empfand sie gar nichts. Es war wie ein betäubender Schlag gewesen, der aber keinen Schmerz verursachte.

»Es musste wohl gesagt werden«, tönte Carolas Stimme an ihr Ohr.

»Ja, das musste wohl gesagt werden«, erwiderte Monika tonlos. »Es wäre wohl besser gewesen, ich hätte es von Wilfried erfahren.«

»Er weiß es noch nicht. Unter gewissen Voraussetzungen wäre ich auch bereit, es ihm zu verschweigen.«

»Unter welchen Voraussetzungen?«, fragte Monika.

»Dass ich und das Kind finanziell abgesichert werden.«

»Das erwarten Sie von mir? Nicht von Wilfried?«

»Ihnen würde jedenfalls eine Blamage erspart bleiben«, erklärte Carola kühl.

»Sie meinen, dass ich ihn unter diesen Umständen noch heiraten würde? Sie können ihn gernhaben«, erwiderte Monika eisig.

Fassungslos blickte Carola Monika an. »Es macht Ihnen gar nichts aus?«

»Nein, es macht mir überhaupt nichts aus.«

»Es scheint Sie auch nicht zu interessieren, dass Ihr Vater dieses Arrangement traf, um mich von Wilfried zu trennen.«

»Nein, auch das interessiert mich nicht«, sagte Monika gleichmütig, obgleich heißer Zorn in ihr emporstieg. »Wir können diese Unterhaltung beenden. Es wäre angebracht, wenn Sie Herrn Schaeffers baldmöglichst von diesem Gespräch informieren.«

Sie stand auf und ging, und nun war es Carola, die wie erstarrt sitzen blieb.

So springen sie also mit mir um, dachte Monika. So, als wäre ich eine Marionette, die man nur zu dirigieren braucht.

Zorn auf sich selbst erfasste sie nun. Was hatte sie denn für Wilfried empfunden? Eigentlich nichts, wenn sie es nun nüchtern überlegte. Es war ja nicht ihre Entscheidung gewesen, sich mit ihm zu verloben. Sie hatte sich so schrecklich einsam gefühlt nach dem Tod ihrer Mutter.

Wilfried war ein netter, höflicher, zurückhaltender junger Mann, der ihr in keiner Weise zu nahe getreten war.

Verliebt war sie noch nie gewesen. War sie überhaupt tiefer Gefühle fähig?

Auch das fragte sie sich jetzt, während sie durch die Straßen lief. Was für ein Mensch war ihr Vater eigentlich? Ein so tiefer Widerwillen erfüllte sie plötzlich, dass ihr ganz schlecht wurde.

Dann stand sie vor ihrem Wagen und wusste gar nicht, wie sie dorthin gelangt war. Dem Wirrwarr ihrer Gefühle folgte eine entsetzliche Gleichgültigkeit. Sie setzte sich ans Steuer und fuhr los. Sie konzentrierte sich ganz auf den Verkehr, um nicht weiter nachdenken zu müssen.

Sie fuhr hinaus aus der Stadt, hin zum Friedhof, auf dem ihre Mutter ihre letzte Ruhestätte gefunden hatte. Sie musste einen Entschluss fassen, wie sie ihr Leben nun künftig gestalten wollte. Vielleicht war hier, in dieser Stille, diesem Frieden, der richtige Platz.

»Du hast es gut, Mutti«, sagte sie leise, »du weißt nichts mehr von diesem Elend. Doch wer weiß, was du gelitten hast, ohne dass du es mir sagtest, ohne dass ich eine Ahnung hatte.«

Ja, wie mochte ihr Vater gewesen sein, als die geliebte Mutti ihn kennen lernte, als sie so jung war wie sie, Monika, jetzt auch gerade war.

War er auch ein höflicher, zurückhaltender Mann gewesen? Hatte er auch eine reiche Mitgift im Auge gehabt? Hatte er sich erst später so verändert?

Tränen strömten über Monikas Wangen. Es war zu schrecklich zu denken, dass Ehen aus solchen Motiven geschlossen wurden, und dass sie selbst auch solche Ehe eingegangen wäre, wenn ihr Carola Buchner nicht reinen Wein eingeschenkt hätte. Eigentlich musste sie ihr doch dankbar sein, dass sie ihr die Augen geöffnet hatte.

Es war nicht so, dass sie über Wilfried enttäuscht war. Nein, zu ihrer Verwunderung war das nicht der Fall. Es war nur so schrecklich demütigend gewesen. Aber hätte sich nicht schon damals ihr Stolz regen müssen, als ihr Vater diese Verlobung forcierte? Hätte sie sich nicht da schon auflehnen müssen?

Warum nur hatte sie es nicht getan?

Lange blieb sie auf der Bank sitzen. Vögel zwitscherten, Eichhörnchen sprangen munter zwischen den Bäumen herum. Sonst hatte Monika immer ihren Spaß an ihnen, wenn sie ganz nahe kamen, und sie hatte auch stets einige Haselnüsse dabei.

Heute war alles anders. Die Welt hatte sich für Monika verändert. Sie sah die Menschen mit anderen Augen, denn sie war sich ihrer eigenen Persönlichkeit bewusst geworden.

Und nun dachte sie an Florentines Einladung. Noch ein kurzer Kampf mit sich selbst, dann war sie entschlossen, zu dieser Party zu gehen.

Sie fuhr nach Hause. Sie sah den morschen, verwahrlosten Zaun am Nebengrundstück, und in einer jähen, zornigen Aufwallung riss sie eine lose Latte ganz heraus.

Sie verspürte einen stechenden Schmerz, dann Blut, das an ihren Fingern herunterfloss. Es war nicht nur ein Schiefer in ihre Hand gedrungen wie bei Melanie, sondern ein rostiger Nagel hatte ihr einen tiefen Riß zugefügt.

Einmal hatte sie gelesen, dass ein Mann gestorben war, weil er sich mit einem rostigen Nagel verletzt hatte, und ihr kam der Gedanke, was wohl ihr Vater sagen würde, wenn es ihr ebenso ergehen würde.

Aber nein, so einfach wollte sie es ihm und auch sich selbst nicht machen. Sie wollte schon noch beweisen, dass sie nicht einfach ein törichtes Mädchen war, das sich herumschubsen ließ.

Sie ging gar nicht erst ins Haus, sondern nahm aus ihrem Verbandskasten eine Mullbinde, die sie um die Hand schlang. Dann fuhr sie zu Dr. Norden.


Dr. Daniel Norden hatte eben seine Sprechstunde beendet und wollte nun noch Hausbesuche machen, als Monika kam.

Er kannte sie, aber schon längere Zeit hatte sie keine ärztliche Hilfe nötig gehabt. Er konnte vorerst nur feststellen, dass sie sich äußerlich nicht viel verändert hatte. Noch genauso jung sah sie aus.

Sie hielt ihm die Hand entgegen. »Nanu, was haben wir denn da gemacht?«, fragte er.

»An diesem verfluchten Zaun habe ich mich verletzt«, stieß sie erbittert hervor. »Ihnen muss er doch auch ein Dorn im Auge sein, wie allen andern auch.«

Dr. Norden war ein guter Menschenkenner. Er spürte, dass sie mit diesen Worten auch noch andere Aggressionen abreagieren wollte.

»Die kleine Dondl hat sich auch einen Splitter eingezogen, aber bei Ihnen sieht es schon noch ein bisschen schlimmer aus, Fräulein Richter«, sagte er. »Sie wussten doch, wie leicht man sich daran verletzen kann.«

»Mich hat die Wut gepackt«, gab sie zu. »Aber jetzt werde ich selbst etwas unternehmen. Ich bin nicht mehr still. Ich lasse mich nicht mehr ducken.« Sie schluchzte trocken auf, und er spürte, dass es mehr der seelische Schmerz war als der körperliche, der diesen Ausbruch herbeiführte.

Regungslos ließ sie über sich ergehen, was er tun musste, um sie vor nachhaltigen Folgen zu bewahren. Die Tetanusspritze schien sie gar nicht zu spüren. Als er die Hand sorgfältig verbunden hatte, fragte er: »Was kann ich noch für Sie tun?«

»Jetzt nichts«, erwiderte sie leise. »Ich habe mich aufgeregt. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich ausfallend wurde.«

»Na, so schlimm war das doch nicht. Man kann nicht alles hineinschlucken, man soll es auch nicht. Aber seien Sie nicht so zornig, dass Sie den ganzen Zaun einreißen.«

Das Blut stieg wieder in ihre blassen Wangen. »Ich lasse mich sonst nicht so schnell gehen«, sagte sie leise. »Ich schäme mich.«

»Sie brauchen sich nicht zu schämen«, sagte Daniel.

»Ich schäme mich für meinen Vater. Es ist erbärmlich, wie er diese Menschen behandelt. Aber ich werde nicht mehr zusehen.«

Sie musste einen Schock bekommen haben, einen gewaltigen Schock sogar. Ein Mädchen wie sie riss nicht einfach eine Zaunlatte heraus, sagte nicht zornige Worte, und unter normalen Voraussetzungen schon gar nicht, dass sie sich ihres Vaters schäme.

Monika war ein hochintelligentes Mädchen, wenn auch nicht sehr selbstbewusst und zudem sehr schüchtern. So hatte Dr. Norden sie gekannt, doch jetzt hatte sie ganz anders auf ihn gewirkt, erwachsener, reifer, sogar hübscher in ihrem Zorn.

»Sie kommen morgen wieder, damit ich nachschauen kann«, sagte er.

»Ja, gewiss. Ich danke Ihnen, Herr Dr. Norden. Die Rechnung für Melanie Dondl schicken Sie bitte an mich.«

»Aber die Eltern sind versichert«, sagte er.

»Ich möchte wenigstens dafür aufkommen«, sagte Monika trotzig. »Außerdem kann sie Schmerzensgeld beanspruchen. Das stimmt doch.«

»Ihnen würden die Dondls bestimmt keine Schuld geben«, meinte Dr. Norden begütigend.

»Es ist mein Grundstück. Ich habe bisher nur noch nicht von meinen Rechten Gebrauch gemacht. Das wird anders werden. Ja, es wird bestimmt anders.«

»Sie sind sehr erregt, Fräulein Richter«, sagte Daniel. »Soll ich Ihnen nicht lieber ein Beruhigungsmittel geben?«

»Nein, das bestimmt nicht. Es wird Zeit, dass ich den Mund aufmache. Es muss einmal heraus. Sie haben doch selbst gesagt, dass man nicht alles schlucken soll. Sie dürfen ruhig wissen, dass ich mich nicht mehr ducke, ich bin mündig, ja, ich bin mündig!«

Aber sie muss es sich erst noch einreden, dachte Daniel Norden. Doch er wusste nicht, wie er ihr dabei helfen könnte, sich tatsächlich zu behaupten. Er kannte auch Herbert Richter. Es musste ein Wunder geschehen, wenn sie sich gegen ihren Vater behaupten konnte. Doch er wünschte es ihr.


Als Monika heimkam, war ihr Vater schon da. Er war gerade dabei, sich in den Abendanzug zu stürzen.

»Binde mir die Krawatte«, sagte er.

»Die musst du dir schon selbst binden«, erwiderte Monika. »Ich habe eine schlimme Hand.«

»Was hast du gemacht?«, fragte er mehr beleidigt als teilnahmsvoll.

»Ich habe eine lose Latte aus dem Zaun gerissen und mich dabei verletzt.«

»So blöd kannst auch nur du sein«, sagte er wütend.

»Ich war noch blöder, aber damit ist es jetzt vorbei«, entgegnete Monika kalt.

Er war konsterniert. »Was ist das für ein Ton?«

»Der Ton, den du hoffentlich verstehst. Ich bin nicht mehr deine gehorsame Tochter, oder besser gesagt: deine dressierte Tochter, die sich in eine Verlobung hetzen lässt, die Betriebswirtschaft studiert, anstatt Kunstgeschichte, die dir deine Krawatten bindet und sich alles Gerede, was über dich im Gange ist, widerstandslos anhört.«

Herbert Richter wurde fahl. »Was redest du für einen Unsinn«, stieß er hervor. »Hast du dich schlimm verletzt?«

»Nun tu bloß nicht teilnahmsvoll«, sagte Monika mit klirrender Stimme. »Mir ist einfach nur ein Licht aufgegangen. Jemand hat es mir gesteckt. Wilfried hat wohl noch nicht mit dir gesprochen?«

»Wilfried? Er ist doch heute auswärts. Was ist denn los? Gibt es Differenzen?«

»Ach, er ist auswärts«, sagte Monika tonlos. »Deshalb hat die Buchner sich mit mir verabredet.«

»Was ist mit der Buchner?«, fragte ihr Vater aufgebracht.

»Sie bekommt ein Kind. Ein Kind, dessen Vater Wilfried ist, oder vielleicht auch du? Hast du es nicht auch auf sie abgesehen gehabt?«

Herbert Richter schnappte nach Luft. Dann sank er auf den nächsten Sessel. Fast hätte er ihn verfehlt.

Monika lachte blechern auf, als er torkelte und sich dann an den Hals griff.

»Dieses Miststück«, schrie er, »was hat sie dir erzählt?«

»Dass sie mit Wilfried sehr eng befreundet war und du sie auseinandergebracht hast. Wenigstens wolltest du das, aber sie ist reizvoller als ich. Wilfried hat die Beziehung nicht aufgegeben. Du wolltest sie für dich haben, das stimmt doch?«

»So ein Schmarr’n. Das nimmst du ihr ab? Sie ist doch so ein käufliches Luder, das …«

»Nein, das ist sie nicht«, fiel ihm Monika ins Wort. »Ich hätte gewiss keinen Grund, sie in Schutz zu nehmen, aber wir wollen bei den Tatsachen bleiben. Ich glaube ihr. Ja, schau mich nur an. Dass du ein Schürzenjäger bist, weiß ich schon lange, und es ist eine Schande, dass ich immer meinen Mund gehalten habe. Jetzt ist das Maß voll. Es tut mir nicht weh, dass Wilfried mich hintergangen hat, aber du, du, der mein Vater ist, dass du so gemein bist, gibt mir den Rest. Ich halte meinen Mund nicht mehr.«

Und als er die Hand hob, lachte sie wieder. »Schlag mich doch, schlag mich meinetwegen tot. Du hast für Mutti nichts übrig gehabt. Du hast dir nur ihr Geld unter den Nagel gerissen. Und für mich hast du auch nichts übrig. Du wolltest mich auf billige Art loswerden, mich einfach nur verheiraten. Ja, ich war blöd, aber das ist aus. Ich werde nicht heiraten, aber ich werde mein Erbteil beanspruchen. Morgen gehe ich zu Dr. Reimer, und dann wird alles geregelt. Mit Wilfried ist es aus, hörst du? Ich werde nie heiraten. Ich will nicht auch das durchmachen, was Mutti durchgemacht hat. Ich werde jetzt meine Sachen packen und gehen.«

»Du bist übergeschnappt, Monika«, sagte Herbert Richter.

»Das würde dir passen, aber ich war nie so bei Verstand wie jetzt. Und nun kannst du gehen, zu wem immer du willst, denn eines Tages wird dich auch ein billiges Mädchen teuer zu stehen kommen.«

»Du kleines Biest, halt endlich deinen Mund«, schrie er sie an.

»Noch nicht. Wie viel Geld wendest du denn für dein Vergnügen auf? Für Muttis Grab hast du nicht mal eine Blume gebracht. Ich krieche nicht weiter vor dir. Ich beanspruche mein Recht.

Und jetzt gehe ich zu einer Party«, schloss sie tonlos.

»Und morgen wirst du wohl dann wieder normal sein«, sagte Herbert Richter. »Du hast nur noch nicht begriffen, dass man die Männer in Atem halten muss. Glaub doch nicht den Unsinn, den die blöde Buchner dir erzählt hat. Sie probiert es doch bei jedem Mann, und nun sucht sie einen Dummen, falls sie wirklich ein Kind kriegt. Du hast dich überrumpeln lassen von einer Schlaueren. Du musst Erfahrungen sammeln, Monika.« Er hatte wieder Oberwasser, weil Monika schwieg. »Wilfried liebt dich doch, er kann es nur nicht so zeigen, weil du ein scheues Reh bist«, fuhr er fort. »Wilfried ist ein anständiger Junge, sonst hätte ich doch nie gestattet, dass er um dich wirbt.«

»Du Heuchler!«, sagte Monika, und dann rannte sie hinaus und schlug die Tür so laut hinter sich zu, wie er es am Morgen getan hatte. Sie schloss sich in ihrem Zimmer ein. Er klopfte ein paarmal an ihre Tür, rüttelte an der Klinke, aber sie gab keine Antwort. Dann hörte sie, wie er mit aufheulendem Motor davonfuhr.

Sie warf Kleider und Wäsche in einen Koffer und kleidete sich um. Sie betrachtete sich im Spiegel. Ein fremdes Gesicht blickte ihr entgegen. »Schluss mit der Sentimentalität«, sagte sie laut. Dann ging sie in den Keller und nahm sechs Flaschen des besten Weines aus dem Regal. Florentine sollte wenigstens eine Freude haben.

Das Telefon läutete, als sie das Haus verließ. Monika warf den Kopf in den Nacken. Sie ahnte, dass es Wilfried war, denn er rief immer um diese Zeit an, wenn er nicht selbst kommen konnte.

Oder wollte, dachte sie jetzt. Er hatte anscheinend sehr oft etwas Besseres vorgehabt.

Gestört hatte es sie nie, wenn er nicht kommen konnte. Gedanken hatte sie sich auch nicht gemacht. Jetzt dachte sie nur, dass Carole Buchner schauen sollte, wie sie mit ihm zurechtkam, und bei dem Gedanken musste sie sogar lächeln.

Sie schüttelte sich, fühlte sich plötzlich frei und so jung, wie sie noch nie gewesen war.


Florentine war leicht aus der Fassung gebracht, als Monika vor ihr stand. Ganz verlor sie die Fassung, als sie die sechs Flaschen betrachtete.

»Die sind doch ein Vermögen wert«, sagte sie. »Hast du davon überhaupt eine Ahnung, Moni?«

»Und wenn schon«, erwiderte Moni lächelnd. »Für mich ist es ein großer und wertvoller Tag.«

»Inwiefern?«, fragte Florentine irritiert.

»Ich bin frei.«

»Wieso frei?«, fragte Florentine atemlos.

»Ganz frei. Nicht mehr verlobt und auch von meinem Vater geschieden. Sagt man das so?«

»Man könnte es so sagen, wenn es stimmt«, erwiderte Florentine.

»Es stimmt. Ab heute beginne ich ein neues Leben.«

Florentine betrachtete Monika mit einem forschenden, nachdenklichen Blick.

»Hast du etwa schon einen gekippt?«, fragte sie.

»Gott bewahre. Ich bin vollkommen nüchtern.«

»Und was ist mit deiner Hand?«

Die wahrheitsgemäße Erklärung, wie das passiert war, gab Florentine zu denken. Der folgende Ausbruch noch mehr.

Die sonst so sanfte Monika war nicht wiederzuerkennen.

»Für miese Weiber wirft er das Geld zum Fenster hinaus, aber den Zaun lässt er nicht richten, und überhaupt benimmt er sich schäbig den Mietern gegenüber. Ich ertrage es nicht mehr. Ich bin fertig mit ihm.«

Jäh hielt sie inne und schaute Florentine verwirrt an. »Bin ich die Erste?«, fragte sie verlegen.

»Ja, und das wird gut sein. Ich mixe uns einen Drink. Mach es dir bequem, Moni.«

»Hübsch hast du es hier, Flo. Bist du eigentlich mit deinem Vater auch nicht zurechtgekommen?«

»So will ich es nicht sagen. Wir haben uns arrangiert. Er hat eingesehen, dass man zu einem gewissen Zeitpunkt selbstständig werden muss.«

»Bist du finanziell unabhängig? Darf ich das fragen?«

»Du darfst alles fragen. Ich habe mein eigenes Konto. Vater ist nicht gerade kleinlich, aber auch nicht sonderlich großzügig. Einen teuren Sportwagen würde er mir jedenfalls nicht schenken.«

»Den wollte ich auch nicht haben, aber man kann so nach außen hin auch ein schlechtes Gewissen beruhigen«, sagte Monika bitter.

»Was willst du jetzt tun?«, fragte Florentine.

»Mir eine Wohnung suchen.«

»Hier ist noch eine frei. Das Haus gehört meinem Vater. Du würdest Sonderkonditionen bekommen, wenn es dir ernst ist.«

»Es ist mir ernst. Ihr traut es mir wohl nicht zu, dass ich mich auf eigene Füße stelle?«

»Wenn ich ehrlich sein darf, es überrascht mich«, gab Florentine zu. »Was du über deinen Vater sagtest, konnte mich allerdings nicht mehr überraschen. Das pfeifen die Spatzen ja von den Dächern. Es beruhigt mich, dass es dich nicht zu Boden wirft, Moni.«

»Ich war so naiv zu glauben, dass er zu vorsichtig ist, sich nicht ins Gerede zu bringen. Aber jetzt Schluss damit, es hat geläutet.«

Florentine bedauerte es, dass sie ein Dutzend Leute eingeladen hatte. Gern hätte sie den Abend mit Moni allein verbracht, der sie sich innerlich verwandt fühlte. So burschikos, wie sie sich immer gab, war sie nicht, sondern bedeutend gefühlvoller, als man ihr zutraute. Und ein bisschen abergläubisch war sie auch. Als Carlo, der sich sehr freute, dass Monika gekommen war, feststellte, dass sie dreizehn waren, fragte sich Florentine betroffen, ob es ein schlechtes Omen war.

Vorerst aber ging es recht heiter zu, und Monika gab sich große Mühe, mit den andern Schritt zu halten. Da sie sonst nie Alkohol trank, hatte sie bald einen kleinen Schwips und sah alles in rosarotem Licht, was bisher trübe und grau erschienen war.


Dr. Daniel Norden musste seiner Frau eine betrübliche Eröffnung machen. Er musste an diesem Abend als Notarzt einspringen, weil der Kollege, der dafür eingeteilt war, plötzlich selbst erkrankt in eine Klinik eingeliefert werden musste.

»Es muss nun ja nicht so sein, dass ich die ganze Nacht unterwegs bin«, meinte er tröstend.

»Wenn du Dienst hast, ist bestimmt wieder allerhand los«, orakelte Fee, und so war es auch, obgleich sich der Abend zuerst ruhig anließ.

Kurz nach neun Uhr wurde Daniel zu einem Patienten beordert, der einen schweren Herzanfall hatte. Er blieb eine Stunde aus, war dann aber guter Stimmung, weil seine Bemühungen um den Kranken von Erfolg gekrönt waren.

Weniger guter Stimmung war zu diesem Zeitpunkt Herbert Richter. Er konnte zwar alles abschütteln, was ihm nicht behagte, und das Gespräch mit Monika beschäftigte ihn nicht nachhaltig. Seine Freundin Kitty verstand es außerdem, ihn in Atem zu halten. Sie war eine rassige, temperamentvolle Person, manchmal ziemlich vulgär, aber das störte ihn nicht, weil er im Grunde genauso war.

War er sonst der jeweiligen Verhältnisse überdrüssig geworden, bei Kitty war das anders. Sie hatte ihn raffiniert umgarnt, aber wenn sich ihr die Gelegenheit bot, flirtete sie auch mit anderen Männern, und an diesem Abend hatte es ihr einer besonders angetan.

Für Herbert Richter war das ein Bürschchen, doch Kitty fand den jungen Mann sehr attraktiv, schick, und außerdem war er auch noch der Juniorchef eines bekannten Unternehmens mit klangvollem Namen.

Sie war ganz in ihrem Element, doch verderben wollte sie es mit Herbert Richter nicht. Ihn betrachtete sie sozusagen als ihre Lebensversicherung.

Als er ihr unmissverständlich erklärte, dass sie sich zum Teufel scheren könne, wenn sie das Spiel zu weit treibe, lenkte sie ein.

»Mach doch aus einer Mücke nicht einen Elefanten, Berti«, säuselte sie. »Man kann sich doch ein bisschen amüsieren, wenn du schon schlecht gelaunt bist.«

»Ich war nicht schlecht gelaunt«, widersprach er.

»Mir kannst du doch nichts vormachen. Ich kenne dich zu gut.«

Dr. Norden Bestseller 38 – Arztroman

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