Читать книгу Semiramis. Ein Märchen für Könige - Paul Althof - Страница 5
Tafel III. Heereszug.
ОглавлениеZwölf Doppelstunden vor der elamitischen Grenze hoffte Allabana auf die Schiffe zu stossen, die ihn gegen Eridu tragen sollten. Doch eine Tagreise von der elamitischen Stadt Bit-Imki entfernt, war noch kein babylonisches Schiff sichtbar, und die Truppen begannen kleinmütig zu werden. Unter schlechten Vorzeichen hatte der Zug gegen Elam begonnen, weil die Königin, die ihre Krieger bisher von Sieg zu Sieg geführt hatte, in Babel zurückgeblieben war. Allabana galt ihnen als Zauderer, und sie glaubten nicht an sein Kriegsglück.
Es war Nacht, die Mannschaft lagerte auf den Flössen, die Ufer wurden hier aus Furcht vor Giftschlangen gemieden. Nur Belnadin, gefolgt von Suggagu, hatte das Land betreten. Sie wandelten durch dunkle Stromauen. Es war Neumond, am Himmel flackerte der Widerschein eines fernen Gewitters.
Manchmal warf sich Belnadin auf das Gras und horchte: „Ich höre ein dumpfes Tosen“.
„Es ist Gott Rammân, der Donnerer, der seine Fäuste schüttelt,“ meinte der Sklave, „es sind die bösen Sieben, die Sturmwinde, die Ea losgelassen hat, um Götter und Menschen zu strafen.“
„Nicht die bösen Sieben vernehme ich. Die bösen Sieben sind weder Mann noch Weib. Aus den Tiefen des Ozeans tauchen sie auf, aus dem Reich der Wolken brechen sie hervor und zerstören Damm und Strasse. Nein, es sind Menschen, ungeheure Menschenhaufen, die da kommen, und Rosse und Streitwagen.“
Da legte auch Suggagu das Ohr auf den Boden, um zu horchen.
Eine Schlange fuhr empor und züngelte ihm ins Gesicht. Suggagu schrie gellend auf.
„Flieh!“ rief Belnadin.
Doch Suggagu, starr vor Entsetzen, konnte nicht von der Stelle. Dicht an des Sklaven Wange sauste das Schwert Belnadins nieder und schlug der Schlange den Kopf ab.
Der schimmernde, zuckende Schlangenleib lag zu seinen Füssen.
Langsam richtete sich Suggagu auf, seinen Retter scheu anblickend: „Wer bist du, o Herr, dass du so leuchtest im Dunkel?“
Belnadin atmete tief. Seine Augen schienen grösser geworden.
„Fürchte dich nicht vor der Helle. Es wird Licht in meiner Seele. Ich weiss jetzt, dass ich die Schlange erschlug vor Urzeiten und dass ich wiederkommen muss, wenn euer Elend mich ruft, um sie zu vernichten zum Heile der Welt. Mein Schwert, das einst die Schlange Tihamat spaltete, muss die Feinde Babels töten. Komm Suggagu, die Nacht ist wie eine verhüllte Braut, und ich will sie mit Kriegsgeschrei erwecken.“
Unangemeldet trat Belnadin in das Zelt des Feldherrn. Auf seiner Schulter hing die tote Schlange, sein schwarzes Haar flog, seine Stimme scholl, als müsse sie in das Reich der Höllengöttin Erischkigal dringen: „Wach auf, Allabana! Du bist verraten. Rüste gegen Elam!“
Der Ruf klang durch das Lager. Die Krieger ergriffen ihre Waffen, Rosse wurden vor die Streitwagen gebracht und angeschirrt, und Maultiere vor die Karren gespannt. An die Spitze des Zuges stellte sich der goldene Streitwagen der Königin Semiramis, den die Bilder des heiligen Stieres und des gebändigten Drachen schmückten. Er sollte den Kämpfern Mut einflössen und die Allgegenwart der königlichen Macht dartun. Die Truppen waren marschbereit. Allabana gab noch die kurze Weisung: „Belnadin, ich ernenne dich zu meinem Hauptmann.“
Schon kam durch die schilfbewachsene Ebene ein elamitischer Reitertrupp näher. Der erste Angriff wurde zurückgeworfen. Aber die Zahl der nachrückenden Feinde war gross, und der Kampf währte erbittert bis zum Morgen. Da geschah es, dass ein elamitischer Bogenschütze den Wagenlenker Allabanas tötete. Die Pferde scheuten, Allabana stürzte zu Boden, und die Räder gingen über seinen Leib.
Belnadin trug den Feldherrn aus dem Getümmel und wusch ihm die Wunden mit Wein. Allabana bewegte die bläulichen Lippen, aber statt der Worte kam Blut aus seinem Munde. Verzweifelt schüttelte er das Haupt.
„Ich fühle, was du sagen willst, Feldherr,“ sprach Belnadin, und seine Stimme klang sanft, als redete er zu einem Kinde. „Du fürchtest die Grausamkeit des Feindes, die selbst Verwundete nicht schont. Sei beruhigt, ich lasse dich in jenes Palmendickicht tragen und gebe dir dreissig Soldaten zur Bewachung.“
Allabana nickte, und plötzlich fuhr seine Hand zitternd über Belnadins Haupt. Es war wie eine Liebkosung.
„Ich danke dir, Feldherr,“ sagte Belnadin ernst. „Wenn alle wüssten, wie schwer die Stunde des Abschieds unsere Seele bedrückt, es wäre mehr Liebe in der Welt. Ich will dir einen Freundschaftsdienst erweisen, wenn ich am Leben bleibe und aus diesem Feldzug nach Babel zurückkehre. Ich will der Königin sagen, dass ich dich heldenhaft sterben sah.“
Ein bitteres Lächeln ging über das Gesicht des Mannes, der niemals gelächelt hatte.
„Nur die Lebenden sind Helden. Die Sterbenden wissen nicht, wohin sie gehen müssen. Sie tasten im Dunkel. An den trüben Wassern des Todes werden sie getränkt und Staub ist ihre Speise. Wie Blinde sind sie. Sie tasten, sie tasten ...“
„Sei getrost, Allabana, die Männer, die im Kampfe fallen, werden dort klaren Trunk schlürfen, sie werden Vater und Mutter umarmen, und ihr Weib wird an ihrem Lager knien ...“
„Du tröstest einen Trostlosen, Hauptmann. Ich habe eine Schlacht verloren!“
„Noch nicht, mein Feldherr. Du sollst nach Bit-Imki ziehen. Auf den Schildern erschlagener elamitischer Fürsten werden wir dich dahin tragen.“
Belnadin bestieg den Streitwagen der Königin. Die Pferde zitterten vor Unruhe, warfen ihre kleinen Köpfe mit den funkelnden Goldtroddeln zurück und bedeckten sich mich Schaum. Endlich das Lockern der Zügel fühlend, griffen sie aus und rasten über die Ebene, dass die goldenen Wagenräder wie zwei kreisende Sonnen schienen.
Die babylonischen Krieger, dem Pfeilregen schon fast erliegend, sahen Belnadin zu Silagar, dem Statthalter von Bit-Imki vordringen und Wagen an Wagen mit ihm kämpfen. Die Augen des Jünglings waren jetzt wie schmale Abgründe, aus welchen der Blick auf die Blössen des Feindes lauerte. Silagar, ein Riese an Wuchs und Stärke, stand trotz eines Lanzenstiches, der ihm die Schulter zerrissen, zum Hiebe ausholend, als ihm Belnadins Schwert in die Kehle fuhr. Der Getroffene brüllte und sank über die Wagenbrüstung. Belnadin aber bahnte sich den Weg weiter zu Addahusu, der die feindlichen Reiter befehligte, warf ihm ein Netz über den Kopf, riss ihn vom Pferde und schleifte ihn hinter dem Wagen her. Da ging ein Lustschrei durch die babylonischen Truppen. Tod und Schrecken verbreitend, lichteten sie die Reihen der Elamiter. In wilder Flucht stoben die führerlosen Feinde dahin.
Doch plötzlich sprang ein elamitischer Krieger auf den Königswagen und zückte den Dolch gegen Belnadin. Dieser wich dem Stosse aus, hieb dem Angreifer die Waffe aus der Hand und traf ihn mit solcher Wucht, dass sein Brustschild zerschellte. Die hageren Brüste eines Weibes wurden sichtbar, aus welchen dunkles Blut quoll.
„Bist du die Hexe Labartu?“ schrie Belnadin, „die mit vergifteten Waffen unsere Männer mordet?“
„Schone mich!“ stöhnte das kriegerische Weib.
„Bist du die Pestbringerin, die mit ihrem Hauch blühendes Land in Wüste verwandelt?“
„Lass mich los, und ich will meine Waffen gegen deine Feinde kehren. Will sie töten durch Gift, Fieber und Hungersnot.“
„Ich schliesse kein Bündnis mit dir. Fahre hinab zu den Utukki, den Dämonen, deinen Brüdern und Schwestern! Mit meinem Schwerte opfere ich dich der Königin Semiramis von Babylon!“
„Fluch über sie und ihr Geschlecht!“ röchelte das Weib mit erlöschenden Augen.
War es bloss die Kühle des Morgens, die über seinen feuchten Körper strich? Ihn schauderte. Er wusste, dass Flüche Gestalt annehmen und leben.
Aber er war stark, stärker als alle und wollte die Königin schützen.
Er sammelte die Krieger, teilte sie in ein Landheer und in eine Truppe, die Bit-Imki zu Wasser angreifen sollte, und sandte Kundschafter voraus in die feindliche Stadt. Eine Nacht harrte er schlaflos ihrer Rückkehr. Auf dem Floss, das er mit Suggagu und den andern Sklaven gerudert hatte, stand er als Befehlshaber, und Allabana lag tot im Zelt auf den erbeuteten Waffen.
Drei Tage später erstürmte Belnadin die elamitische Grenzstadt und bemächtigte sich der babylonischen Schiffe, die durch Verrat in die Gewalt der Elamiter gefallen waren. Im Palaste des Statthalters von Bit-Imki begrub er Allabana.
Macht und Reichtum war ihm plötzlich geworden. Seine Krieger brachten ihm Beute an Gold, Gewändern, Zugtieren, wertvollen Hölzern, Edelsteinen und Frauen.
Sie brachten ihm die Statuen der Stadtgötter und den Thron der Liebesgöttin Ninna, der aus Lapis Lazuli geschnitten war.
Aber seines Sieges nicht froh, sehnte er sich nach Eridu. Eine brennende Ungeduld trieb ihn an das Meer.