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Kapitel 2

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Als Calhoun wieder wach wurde, war der Himmel blaurot. Er lächelte, während er aus dem Rundfenster seiner Gästekoje schaute. Am Horizont erstreckten sich dicke Wolken, doch die aufgehende Sonne tränkte sie in dunkle Pastelltöne. Nach solchen Morgen verzehrte er sich förmlich.

Auf der Förderinsel stank es nach Dieselkraftstoff, Schmiermittel und Metall – oder anders gesagt: genauso wie auf jeder dieser Anlagen überall auf der Welt. Der Wind fügte dem Geruchscocktail noch den Duft von Salzwasser hinzu. Als die violetten Abstufungen langsam zu Orange ausbleichten, zog sich Calhoun an und kehrte auf das obere Deck zurück, allerdings nicht ohne sich vorher eine Tasse Kaffee besorgt zu haben.

Aus der Höhe blickte er auf den Ozean und in die Ferne. Inmitten der rumorenden, brummenden Maschinen der Plattform hörte er die Besatzung am Führungsschacht der Schraube arbeiten. In etwa einer Stunde würde man damit beginnen, ihn zum Bohrlochkopf hinunterzulassen.

Schon bevor JP und Standlee vor knapp einer Woche auf die Insel gekommen waren, hatten Vraebel und seine Männer mit dem Prozedere angefangen, die Stelle vorzubereiten. Die Leinen, ein Notfallverschluss und andere Gerätschaften waren bereits versenkt; alles lag nun tiefer als dreißigtausend Fuß unter der Oberfläche. Abgesehen von M2 besaß der Graben keinen richtigen Namen, doch aus frühen seismischen und magnetischen Untersuchungen ging hervor, dass sie in der Lage sein sollten, an jeder Stelle im Bett zu bohren und auf Öl zu stoßen.

Catfish hatte seine Drohnen tauchen lassen, um den Boden zu filmen und sich zu vergewissern, dass ihr Rüstzeug dort platziert war, wo es hingehörte. Laut Simpson, dem stellvertretenden Projektleiter von PPE, handelte es sich bei Vraebels Crew um die Beste der Branche. Sie hatte es ohne jegliche Hilfe durch elektronische Überwachungsgeräte geschafft, die Sachen genau richtig zu positionieren. Catfish gestand es zwar nur ungern, aber er war wirklich beeindruckt. Der Aufseher mochte einen Stock im Arsch haben, verstand aber offensichtlich eine Menge von seinem Metier.

Die Mannschaft hatte über vier Stunden gebraucht, um das Versorgungsschiff zu entladen. Die Kräne arbeiteten zügig und leistungsstark. PPE hatte eine Stange Geld dafür bezahlt, um zu gewährleisten, dass jeder Aspekt des Unterfangens vom bestmöglichen Personal betreut wurde. Allein schon die ganzen Betriebsmittel auf die Plattform zu schaffen, hätte normalerweise mindestens sieben Stunden gedauert, doch Vraebels Mannschaft hatte es relativ kurzfristig bewerkstelligt.

Hinterher hatten sie insgesamt sechs Stunden lang Pause machen dürfen, ehe sie zum Frühstück und schließlich wieder zur Arbeit angetreten waren. JP, Catfish und Shawna hatten sich ebenfalls hingelegt, sobald die Crew fertig gewesen war. Calhoun hingegen war noch zwei Stunden länger aufgeblieben, um alle Berichte und Aufnahmen der AUVs und des ROVs durchzugehen.

Vier Stunden Schlaf? Völlig ausreichend für den ersten Tag, fand er. Falls er Glück hatte, würde er sich sehr lange ausruhen können, wenn die Bohrung erst einmal in die Wege geleitet und im Gange war, zumindest nach den ersten paar Stunden.

Wenn das Team die Testbohrung lancierte, wollte Thomas wach sein und über jede Kleinigkeit in Kenntnis gesetzt werden. Falls etwas schiefging, musste er es schließlich so früh wie möglich erfahren. Der Unterschied, den perfekten Punkt zu erwischen oder einen gefährlichen Gaseinschluss aufzubohren war schwindend gering. Geologen und Schichtenanalysten behielten die Auslesebögen ununterbrochen im Auge, damit ja nichts passierte, auch wenn von zeitnaher Kontrolle nur schwer die Rede sein konnte.

Einige Bauunternehmen hatten Millionen und Abermillionen Dollar investiert, um Werkzeuge, Sensoren und Software für den Echtzeiteinsatz zu entwickeln, um die Entscheidungsfindung zu vereinfachen, doch diese waren auch nicht idiotensicher. Shawna hatte gelernt, stärker auf ihre Instinkte zu vertrauen als auf irgendein Computerprogramm oder technischen Apparat, und Thomas verließ sich auf sie. Im Rahmen ihrer gemeinsamen Arbeit hatten die beiden beim Bohren noch nie einen Patzer gemacht, jedenfalls keinen folgenschweren.

Schrauben konnten brechen, Maschinen Fehlfunktionen erleiden und Teile verschleißen. So sah es in der Realität aus. Geschah dies, besserte man sie aus und fuhr fort. Solange die Anlage und der Plan stimmten, konnte man sich jedem Problem stellen und es überwinden – außer natürlich, wenn es vor Ort kein Öl gab.

Aus den seismischen und magnetischen Abtastungen ging allerdings deutlich hervor, dass hier welches vorhanden war.

Die beiden einzigen Fragen lauteten: Wie viel Wasser befand sich noch unter dem Gestein, und wie hochwertig war das Rohöl?

Die Echolote stießen nirgendwo auf Wasser, und das war gelinde gesprochen äußerst merkwürdig – das eine, winzige Detail, das die Neugier von PPE und Calhoun geweckt hatte. Denn sollte sich unter dem Bett des Grabens kein Wasser, geschweige denn Salzwasser abgelagert haben, war dies ein beispielloser Fund auf hoher See; das Rohöl würde sich so einfach und kostengünstig raffinieren lassen.

Calhoun zog kräftig an seiner Zigarre und behielt den Qualm einen Augenblick im Mund. Die Stumpen waren abgesehen von einem guten Single Malt Whiskey sein einziges Laster. Verbrachte man die meiste zeit seines Lebens mit dem Ölfördern, wurde Rauchen zu einem Privileg. Er hatte vor langer Zeit erkannt, dass es auf jeder Bohrinsel mindestens einen Fleck für Raucher gab.

Auf größeren sogar noch mehr, doch auf einer kleinen wie Leaguer musste er eben mit der höchsten Deckebene vorlieb nehmen. Bei Sturm war das suboptimal, aber immer noch handhabbar. Er musste seinem Drang also gezwungenermaßen sparsam nachhängen. Dieser Monat mochte sich lange hinziehen – und noch länger dauern, falls sie nicht sofort fündig wurden und den Idealpunkt suchen mussten.

Shawna hatte jedoch ein gutes Gefühl und er auch. Dies sollte ihr großer Coup werden – der Riesenfund, nach dem er sich zur Ruhe setzen konnte. Dann würden Catfish und er für den Rest ihres Lebens nur noch immer bessere AUVs und ROVs entwerfen, während Shawna tun durfte … na ja, wozu auch immer sie Lust hatte. Und JP? Der Pfundskerl würde sich voraussichtlich in die Keys zurückziehen oder vielleicht auf Hawaii, um dort bis ans Ende seiner Tage zu tauchen.

Als Calhoun einen Ruf von der unteren Ebene hörte, musste er grinsen. Die Roughnecks verrichteten ihre Arbeit. Der Führungsschacht würde am frühen Mittag bereit sein, und dann würde der Spaß losgehen.

***

Selbst hoch oben auf der Brücke bekam man den Aufruhr am Deck mit. Stämmige Männer gingen mit Schraubschlüsseln von der Größe eines Baseballschlägers herum, andere zogen Leinen und Trosse. Die Maschinerie wurde in Gang gesetzt, und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Förderanlage zum Einsatz kam.

Vraebel nippte wieder mal an einer Tasse Kaffee. Das gemeinsame Abendessen mit Calhoun war … durchaus interessant gewesen. Sie hatten sich gegenseitig die üblichen Kriegsgeschichten erzählt, Thomas jedoch ausgiebiger als er. Der ältere Ingenieur war anscheinend schon überall auf der Welt gewesen, auch in Algerien, Nigeria und Südafrika. Vraebel schätzte sich glücklich, diese Brennpunkte so weit ausgespart zu haben.

»Thomas«, hatte er zu ihm gesagt, »wie in Gottes Namen ist jemand wie Sie an Harvey und Standlee geraten?«

Calhoun hatte gelacht. »Harvey ist der Umgänglichere der beiden. Ich habe ihn kennengelernt, als er einen Vortrag über Unterwassersprengungen, um brennende Bohrköpfe zu löschen, gehalten hat. Außerdem arbeitete er schon für Boots & Coots, daher war er mir ein Begriff. Es dauerte nicht lange, bis er sich entschloss, bei mir einzusteigen.« Der ältere Mann hatte eine Pause gemacht und mit den Fingern auf die Tischplatte getrommelt. »Standlee?« Ein Kopfschütteln. »Der Bastard ist von sich aus zu mir gekommen.«

Das hatte Vraebel überrascht. »Von sich aus?«

»Ja, vor ungefähr fünfzehn Jahren«, fuhr Calhoun fort, »gab ich ein Seminar über AUV-Technologie und deren Zukunftsaussichten. Irgendein langhaariger Rotzbengel löcherte mich mit Fragen über künstliche Intelligenz und automatisierte Sensortechnik.« Er grinste. »Standlee bewarb sich damit im Grunde genommen um eine Stelle bei mir oder hatte sich das zumindest so gedacht.«

»Er ist allein dort gewesen?«, hatte Vraebel gefragt und einen Schluck Kaffee getrunken.

Calhoun hatte den Kopf geschüttelt. »Er hatte sich als Vertreter seines eigenen Unternehmens eine Karte für die Konferenz gekauft: Catfish Technologies. Er hatte in Houston einen Abschluss in Ingenieurswesen gemacht und hielt sich für ganz toll.« Thomas’ schelmisches Grinsen war zurückgekehrt. »Und das zu Recht. Ich wusste überhaupt nicht, wie sich das, was ich vorschlug, umsetzen ließ. Ich meine, mir war schon klar, wie man die AUVs konstruieren musste – das ist ziemlich leicht –, aber die Programmierung?« Er hatte die Fingerspitzen aneinandergelegt und sein Kinn aufgestützt. »Die geht größtenteils auf Standlee zurück.«

»Das ist mittlerweile schon mehr oder weniger Standardkram«, hatte Vraebel entgegnet. »Ich arbeite schon seit Jahren mit ROVs auf meinen Inseln.«

Calhoun hatte genickt. »Und viele Patente, die bei deren Bau Anwendung finden, gehen auf diesen schnoddrigen Langhaardackel zurück.« Thomas hatte einen Schluck aus seinem halbleeren Glas Eistee genommen und gelächelt, bevor er sagte: »Der Rest stammt von mir. Davon mal abgesehen ist es egal, mit welchen AUVs oder ROVs sie mal gearbeitet haben; diese waren mit Sicherheit nichts im Vergleich zu denjenigen, die auf unser Konto gehen.« Calhoun hatte mit einem Zeigefinger auf den Tisch geklopft. »Unsere Modelle lassen sich mit nichts auf eine Stufe stellen, was es zuvor gegeben hat, und morgen werden sie auch erfahren, warum.«

»Unfug« war eigentlich das, was Vraebel hatte antworten wollen; stattdessen hatte er nur genickt und den Ingenieur weitersprechen lassen. Von Simpson war dem Aufseher immer wieder vorgebetet worden, dass Calhouns Techniker der beste im Geschäft sei.

»Auf Gedeih und Verderb«, hatte der leitende Angestellte in seinem breiten texanischen Akzent betont. »Er wird das Öl finden, und dann machen wir alle eine Menge Geld!«

Nachdem Vraebel seine Tasse leergetrunken hatte, stellte er sie auf die Konsole. Die Crew arbeitete zügig. Sie musste sich nicht mit dem Bohraufsatz abmühen, denn Calhouns Entwicklung ließ sich einfach befestigen. Vielleicht steckte der alte Mann am Ende doch nicht voller Scheiße.

»Chief, bitte an Deck kommen«, quäkte auf einmal das Funkgerät.

Er schaute verärgert auf den Lautsprecher. Die Stimme gehörte ohne Zweifel Standlee.

Thomas streckte sich nach dem silberfarbenen Mikrofon auf seinem Stativ aus. »Vraebel hier, sind Sie das, Standlee?«

»Jawohl, Sir.« Der andere klang hochachtungsvoll, doch der Aufseher spürte seine unterschwellig respektlose Haltung. »Wollte mir nur Ihr Okay einholen, um eines der AUVs loszuschicken. Wir wollen sie tauchen lassen.«

Vraebel grinste. Ausnahmsweise bat der kleine Scheißkerl mal um Erlaubnis. Calhoun will sein Versprechen wohl einhalten. »Aye, Sie dürfen das Zodiac zum Ziehen nehmen. Wissen Sie, wie lange es ungefähr dauern wird?«

Eine Pause. »Wir müssen jede Sonde ungefähr fünfhundert Yards weit hinausfahren lassen, und zwar eine nach der anderen. Folglich wird es ein paar Stunden dauern.«

»Verstanden, Sie haben mein Okay. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie fertig sind.«

»Aye, aye«, erwiderte Standlee.

Vraebel steckte das Mikro wieder auf das Stativ. Wenigstens rafften sich Harvey und Standlee endlich auf, etwas zu bewirken, wobei es ihm am wichtigsten war, dass die beiden nicht auf der Plattform sein würden.

Er erhob sich und schaute auf das Deck hinunter. Das Führungsrohr wurde gerade durch die vorgesehene Öffnung hinuntergelassen. Man senkte behutsam ein fünfzig Fuß langes Segment in das Loch, bevor man ein zweites daran befestigte. Vraebel hatte noch nie erlebt, wie ein Schacht aus so langen Rohrstücken zusammengefügt wurde. Im Allgemeinen maßen sie sechsundvierzig Fuß weniger, doch diese entsprachen nun einem neuen Typ: dem von Calhoun.

Der Aufseher war zuerst beunruhigt gewesen, als es geheißen hatte, man werde moderne Betriebsmittel, moderne Technik – alles aus dem aktuellen Stand verwenden. Es gab viele Schauergeschichten über neue Geräte, die man mit katastrophalen Folgen auf Fördereinrichtungen getestet hatte. Öl bohren war gefährlich genug, auch ohne Komponenten in der Versuchsphase heranzuziehen und zu versuchen, sie umgehend im realen Alltag anzuwenden.

Calhoun eilte jedoch ein ruhmreicher Ruf voraus. Der Techniker des Mannes hatte sich noch nie einen Unfall zuschulden kommen lassen. Egal, mit welcher Erfindung er an einer Bohrstelle zu Werke gegangen war, es hatte einfach immer funktioniert; zumindest erzählte man es sich so.

Vraebel glaubte an das Prinzip Risikominderung. Nachdem man bezeugt hatte, wie ein Mann seine Hand beim Ausüben der einfachsten Pflicht auf einer Förderplattform verlor, sah man ein, wie heikel dieser Job in Wirklichkeit war. Also eignete man sich Gewissenhaftigkeit an.

Er hatte schon auf Inseln gearbeitet, deren Personal von ihren Chiefs zu verbissen angetrieben worden war. Fühlte sich eine Crew gehetzt, unterliefen ihr Fehler; Fehler bedeuteten Verletzungen oder sogar den Tod.

Egal wie hart Simpson oder Calhoun die Quelle angehen wollten, egal wie viel Öl sich unter dem Gestein befinden mochte: Vraebel würde seine Männer nicht hetzen. Gomez und er arbeiteten seit über fünf Jahren zusammen. Der Bohrmeister verstand etwas davon, sich Zeit zu nehmen. Kam es zu Verzögerungen, sollte dies eben so sein.

Als Aufseher einer Förderanlage hatte Vraebel noch nie einen seiner Schützlinge verloren, und diese Erfolgsbilanz aufs Spiel zu setzen, lag ihm fern.

Die Crew legte sich oft wochenlang am Stück in Schichten zu jeweils zwölf Stunden ins Zeug. So weit draußen vom Festland entfernt galt nicht der gewöhnliche Dienstplan von abwechselnd zwei Wochen Arbeit und zwei Wochen Urlaub; es waren je drei, wobei sich einige seiner Männer nicht einmal dann dazu bemüßigt sahen, nach Hause zu fahren. Sie kehrten bloß an die Küste zurück, bezogen einen der betriebseigenen Bungalows und schwärmten von dort wohin auch immer aus. Diejenigen mit Familie brauchten fast sechsunddreißig Stunden, um zu ihren Lieben zurückzugelangen, und legten diese Strecke dann nach zweieinhalb Wochen abermals zurück, um ihre Arbeit wiederaufnehmen zu können. Dies war ein extrem raues Leben, aber sie wurden auch anständig dafür entlohnt.

Vraebel nahm seine Kaffeetasse und trat vor die hintere Wand. An die westliche hatte er die topografischen Karten gehängt, die anhand der AUV-Aufzeichnungen erstellt worden waren; mehrere Sicherheitsschilder und Tafeln mit Verfahrensvorschriften nahmen die Wand nach Süden und Westen hin ein. Und an der Nördlichen? Da stand die Kaffeemaschine!

Nachdem er ein Kaffeepad eingelegt hatte, drückte er auf den Startknopf und wartete, bis die schwarze Flüssigkeit in die Tasse gelaufen war. Bis zur Mittagszeit sollten die Männer den Bohrschacht wohl weitestgehend zusammengesetzt haben; danach würden sie den Nachmittag damit verbringen, die Anlage für die Entnahme einer Kernprobe herzurichten.

Vraebel war so umsichtig gewesen, Letzteres bis auf morgen zu verschieben. Er hatte die Mannschaft während der letzten vierundzwanzig Stunden arg strapaziert. Sie waren nach dem Ausladen des Versorgungsschiffs und vor dem Zusammenbau des Schachts nicht hinreichend zur Ruhe gekommen.

Die Maschine stieß eine Dampfwolke aus, als der Kaffee fertig war. Er nahm seine Tasse und schlürfte daraus. Perfekt; wie immer.

Als er sich zum Brückenfenster umdrehte, stockte er kurz beim Trinken. Unten an Deck stand Calhoun etwas abseits des Bohrteams. Er schaute zu, wie sie das Rohr zusammenfügten, und lächelte sonderbar. Vraebel stöhnte; die Gerüchte stimmten also.

Er hatte gehört, dass Calhoun kein herkömmlicher Ingenieur war. Statt sich in den Quartieren zu verkriechen, fernzusehen und darauf zu warten, dass ihn jemand über eventuelle Schwierigkeiten unterrichtete, ging der Mann angeblich über das Deck, bevor die Bohrung begann, und blieb auch währenddessen. Er zog es vor, bei der Crew zu sein für den Fall, dass sich ein Problem auftat.

»Und noch etwas, das mir verdammt nochmal Kopfschmerzen bereiten wird«, sagte Vraebel laut. Sollte sich PPEs Star unter den Ingenieuren im Zuge dieses Projekts auch nur geringfügig verletzen, verlor der Aufseher zweifellos seinen Posten.

Thomas war jedoch weit genug von der Crew entfernt. Er stand in der Nähe der Schutzkabine aus Stahl, die man für Notfälle vorgesehen hatte. Kam es zu einem derart schweren Unfall, dass es ihn dort zerriss, war sowieso die ganze Mannschaft tot. Vraebel schüttelte sich, verdrängte ein Frösteln und trank noch einen Schluck Kaffee.

Genau so sollte es sein: Sobald der Schacht stand, ordnete er eine Pause für seine Männer an, und zwar eine lange. Er würde sich beim Abendessen mit Gomez unterhalten, damit er sich eine Rumpfbesatzung herauspickte, die aufpassen sollte, falls es zu Komplikationen kam. Calhoun konnte warten; PPE konnte warten. Vraebel beschlich die ganze Zeit schon ein ungutes Gefühl, und solange es nicht verflog, wollte er jede nur mögliche Vorsichtsmaßnahme ergreifen.

***

Catfish saß an seinem Bedientisch. Auf dem Schreibtisch neben dem Monitor lagen die Verpackungen zweier Energieriegel neben drei leere Dosen Monster. Strahlend weiß-bläuliches Licht erhellte die Rechnerplätze ringsherum. Als Catfish entdeckt hatte, das sein Arbeitsbereich beleuchtet war wie ein Großraumbüro mit Waben, hatte er sich eine Trittleiter besorgt und alle Glühbirnen unmittelbar über ihm herausgedreht. Dies dämpfte die Helligkeit allerdings nicht vollständig, doch jetzt stand sein Tisch wenigstens nur noch in einem Kegel Zwielicht.

Jeder Trottel wusste, dass sich Leuchtstoffe nicht für dauerhafte Sitzungen am Computer eigneten. Sie strahlten von den Bildschirmen ab, selbst wenn diese mattiert waren, und strengten die Augen an und ermüdeten sie. Catfish zog es vor, im Dunkeln zu arbeiten. Die Hintergründe all seiner Konsolen waren schwarz, die Buchstaben grün. Seine eigens für die Steuerung und Überwachung der AUVs und des ROV entworfene Software ließ sich farblich in allen Bereichen anpassen. Dieses Schema allerdings hatte er allein für sich zusammengestellt.

Die vier 27-Zoll-Monitore ergaben ein Panorama aus Warnmeldungen und Spurerfassungsdaten. Auf den ersten beiden liefen die Messwerte der Sonden durch, wohingegen das andere Paar Einsatzbefehlen beziehungsweise der Steuerprogrammierung vorbehalten war.

Die fünf Roboter tauchten immer noch. Bis er den Funkkontakt zu ihnen verlor, konnte es nicht mehr lange dauern. Nachdem er sich mit JP hier eingefunden hatte, war der ehemalige SEAL unter die Plattform geschwommen, um die Sendeverstärker und WiFi-Sensoren zu installieren. Zusätzliche Bandbreite und verbesserter Empfang würden Catfish vorübergehend dabei helfen, die Einstellungen für diesen Tauchgang anzupassen, doch sobald das AUV tiefer als fünfzehntausend Fuß hinabstieg, durfte er sich im besten Fall auf Aussetzer in der Übertragung gefasst machen; nach zwanzigtausend konnte er von Glück reden, wenn er überhaupt noch ein Statussignal erhielt.

Mit ferngesteuerten Sonden verhielt es sich dagegen ganz anders. Sie waren durch besondere Kabel mit der Anlage verbunden, die Steuerung und Datenaustausch fast in Echtzeit ermöglichten. Die höhere Bandbreite bedeutete, dass ROVs sogar Videoaufnahmen aus aberwitziger Tiefe übermitteln konnten, wenn auch nur mit zehn Bildern pro Sekunde. Der einzige Pferdefuß dabei war, dass die Kabel ständig im Auge behalten und geführt werden mussten. Die Sonden zu manövrieren und darauf zu achten, dass sie sich nicht um den Bohrschacht wickelten oder mit der Verkabelung in der Tiefseefauna und -flora verfingen, war sehr zeitaufwendig.

Catfish steuerte ROVs allerdings unheimlich gern. Es erinnerte ihn an Videospiele, bei denen man Sensordaten berücksichtigen musste, um zu eruieren, wie man sich weiterbewegen konnte. Die Bedienelemente zur Drehung, für Höhenruder und Schub waren auf einer Metallplatte neben seinem Arbeitsplatz angebracht. Diese zählte ebenfalls zu Calhouns Erfindungen und ließ Catfish die Fahrzeuge genauso manövrieren wie in üblichen Videospielen. Das ging so geschmeidig vonstatten, dass bestimmt jeder andere Kollege im Geschäft, der ferngesteuerte Drohnen handhaben musste, vor Neid erblassen würde – vorausgesetzt, er bekam sie jemals zu Gesicht.

Es waren Prototypen. Alle Entwicklungen, die sie auf dieser Mission benutzten, waren komplett neu. Sie hatten sie im Labor getestet, aktiv im Golf von Mexiko eingesetzt und schließlich mit hierher gebracht. Worin bestand der Unterschied zu den anderen? Er war mit den AUVs und dem ROV noch nie tiefer als zehntausend Fuß hinabgestiegen; daher auch die wochenlange Einarbeitungsphase.

Catfish hatte jeden Roboter überprüft, indem er mit ihm bis zum Bett des Grabens vorgestoßen war. Die AUVs mussten grob dreißigtausend Fuß zurücklegen, bevor sie auf den höchstgelegenen Grund stießen. Mit der Steuerung des ROVs hatte er gespielt, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie träge sie bei einer maximalen Tiefe von zwanzigtausend wurden. Aufgrund der Verzögerung zwischen den elektronischen Impulsen, die durch die Kabel nach unten wanderten, und dem Antwortsignal der Sonden musste man bei dem, was man tat, ein bis zwei Sekunden vorausdenken. Andernfalls war man genötigt, zu übersteuern, und dies konnte die Teile schnell beschädigen oder Schlimmeres anrichten.

R3, seine erste Wahl unter den ferngesteuerten Fahrzeugen, tauchte gleichmäßig und ohne Vorkommnisse. Die Übertragung zeigte einen Tiefseevampir, der durch das Bild huschte. Gewiss hatte der Vorderscheinwerfer der Sonde den seltsam aussehenden Tintenfisch angelockt. Er schwirrte immerzu im Kreis herum, vermutlich unsicher darüber, ob irgendeine Komponente des Roboters essbar sei. Catfish schmunzelte. Das ROV befand sich schon achtzehntausend Fuß weit unter der Meeresoberfläche. In dieser Tiefe herrschte vollkommene Dunkelheit und die Temperatur lag knapp über dem Gefrierpunkt. Die einzigen Geschöpfe, die dort leben konnten, waren uralte Wunderwesen der Evolution.

Einen Tiefseevampir hatte er so weit unten noch nie gesehen. Normalerweise hielten sie sich aus der tiefen Mitternachtszone des Ozeans fern, doch hier schwamm nun einer. Catfish speicherte ihn im Hinterkopf ab; die NOAA würde bestimmt von jeglichen biologischen Fundstücken erfahren wollen, auf die er beim Tauchen und Erkunden stieß. Der Höflichkeit halber achtete er stets darauf, der Behörde Bericht zu erstatten. Immerhin machten ihre Forschungsgelder solche Entdeckungen überhaupt erst möglich.

Ein Warnfenster öffnete sich nun auf dem linken Bildschirm. Catfish warf einen Blick darauf, ohne den Kopf zu drehen. AUV 1 war außer Reichweite geraten, und eine Sekunde später geschah dasselbe mit den anderen. Sie hatten die tiefe Mitternachtszone nun erreicht und würden erst wieder von sich hören lassen, wenn sie zur Oberfläche zurückkehrten. Als er den Kontakt zu Zicke verlor, stieß Catfish einen schweren Seufzer aus und widmete sich wieder der Übertragung des ROVs.

Er näherte sich allmählich dem Druckgrenzwert, auf den sie ausgerichtet war. Wagte er sich noch dreitausend Fuß weiter hinab, setzte er den Roboter damit aufs Spiel. Seit Mass Jahre zuvor eine unbemannte Sonde im Zuge einer unvorhergesehenen Dekompression verloren hatte, befürchtete Catfish ständig, irgendwann den gleichen Fehler zu begehen. Es bedurfte nur einer winzigen Luftblase an der falschen Stelle, dann konnte einen keine noch so ausgefuchste Bauform mehr retten: Das zwei Millionen Dollar teure Spielzeug würde sich dann einfach in einen Wirbelsturm aus Tiefseetrümmern verwandeln.

Catfish unterbrach den Abstieg des ROVs und ließ es schweben. Den Koordinaten zufolge würde es, wenn es niederging, weit von dem Bohrschacht entfernt sein, doch Vraebel, der Blödmann, hatte dessen Zusammenbau bis zur Frühschicht am nächsten Morgen vertagt. Anscheinend machte er sich Sorgen darüber, dass die Männer sich erschöpfen könnten. Catfish knurrte missbilligend. »Wenn ihr tot seid, könnt ihr immer noch pennen«, sagte er laut.

Als er noch einen Schluck aus seinem dritten Fitmacher nahm, bemerkte er, dass er unkontrolliert mit einem Fuß wippte.

Zu viel Koffein, dachte er. Vielleicht sollte ich mich auch mal ein wenig aufs Ohr hauen.

Er hatte die AUVs so programmiert, dass sie in der Nähe des Bohrlochkopfs anfingen, Videos und Messdaten aufzuzeichnen. Diesen Auftrag würden sie ausführen, obwohl der Schacht noch nicht vollständig niedergelassen worden war. Ihm blieb also sowieso nichts Anderes übrig, als zu warten, bis sie wieder auftauchten oder in Funkreichweite kamen, um sie auf den gleichen vorprogrammierten Strecken wieder zurückzuschicken.

Was Zicke tun würde, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Nummer 5 hatte ihm beim Navigieren solche Querelen bereitet, dass es an ein Wunder grenzen würde, wenn er nun keine weiteren Bugs mehr ausbügeln musste.

Catfish schaute auf seine Uhr; es war kurz nach fünf am Nachmittag. Vraebel hatte über die Lautsprecheranlage angekündigt, man dürfe sich niederlegen und solle um 0600 zur Fertigstellung am Schacht antreten. Das bedeutete, dass die Nachtschicht nur leichten Arbeiten auf der Plattform nachzugehen brauchte und am Morgen von der anderen Mannschaft abgelöst wurde.

Standlees Magen knurrte. Er hatte schon zu lange nichts mehr gegessen, Punkt. Als er und JP mit den AUVs auf das Meer hinausgefahren waren, hatte er kurz vorher sein Frühstück zu sich genommen. Nachdem sie drei Stunden damit verbracht hatten, die Roboter dorthin zu ziehen und in Bewegung zu setzen, hatte sich Catfish geplättet und wie ausgehungert gefühlt. Statt sich allerdings eine Pause zu gönnen, war er gleich wieder zur Beobachtung übergegangen, sobald sie das Zodiac ins Trockene gebracht hatten.

Nummer 5 war ihnen nicht zuwidergelaufen, als sie die Sonde zu Wasser gelassen hatten. Sie war wie programmiert getaucht, doch was das anging, hatte ihnen diese eine sowieso noch nie Schwierigkeiten bereitet.

Catfish rieb sich die Augen und sein Magen grummelte erneut. Das ROV schwebte nun auf der Stelle. Er spielte kurz mit dem Gedanken, es auf Autopilot zu stellen, damit es diese Position hielt, entschied sich aber dann doch dazu, es aufsteigen zu lassen. Denn dabei konnte er die Segmente des Führungsrohrs überprüfen, die schon ausgefahren worden waren. Wenn sich sonst nichts unternehmen ließ, würde er wenigstens imstande sein, Calhoun und Vraebel über etwaige Probleme informieren zu können.

Er nahm seine Hände von der Steuerung, langte in eine Schublade und zog einen weiteren Proteinriegel aus der Schachtel. Auf der Verpackung stand »Schokolade mit Erdnussbutter«, aber er schmeckte trotzdem beschissen. Nun ja, es musste genügen, bis er das ROV für die Nacht hochgezogen hatte.

***

Die tiefsten Bereiche des Meeres werden aphotische Bereiche oder Mitternachtszone genannt. Bis dorthin dringt kein Sonnenlicht von der Oberfläche. Das Leben in der Finsternis knapp über dem Gefrierpunkt grenzt an ein evolutionäres Wunder, das durchaus auf eine Zeit noch vor den Dinosauriern zurückgehen könnte.

Einige Fische halten dem unvorstellbaren Druck der Tiefe überrachenderweise stand und schaffen es sogar, aufzutauchen. Niemand weiß, was diese befremdlichen Kreaturen dazu treibt, ihre Geburtsstätte zu verlassen und sich dem Druck zu widersetzen, um die Helligkeit der Sonne zu erfahren.

Sie haben ihre Körper nicht nur dahingehend entwickelt, dem unfassbaren Druck standzuhalten, sondern auch ihre inneren Schwimmblasen irgendwie so umgebildet, dass sie zur warmen Meeresoberfläche auftreiben. Ob Wunder der Schöpfung oder prähistorische Verstoßene: Diese Kreaturen sind hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und körperlichen Beschaffenheiten bemerkenswert.

AUV 5 war ähnlich gebaut wie die Geschöpfe, denen es in den extremen Tiefen des Ozeans begegnete. Während es von oben herab in die untere Mitternachtszone sank, stieß es jegliche Restluft aus. Falls auch nur eine einzige Blase in ihrem Maschinenkörper zurückblieb, würde der unglaubliche Atmosphärendruck dieser Zone zu einer verheerenden Dekompression führen.

Seine beiden Gewichte, die aussahen wie Schiffshalter-Fische aus Stahl und an der Unterseite befestigt waren, füllten sich mit Meerwasser, um den Tauchgang bis zum Ozeangrund zu beschleunigen. Kam dann die Zeit zum Wiederaufstieg, würde das AUV ein Regelventil öffnen und den Inhalt wieder hinauslassen. Der plötzliche Auftrieb der Tanks würde sie so beim Hochkommen unterstützen.

Nummer 5 war so programmiert, dass sie langsam und träge um den Bereich kreiste, an dem sich der Bohrschacht befinden sollte. Die anderen AUVs waren weiter entfernt, und ihre Kameras zeigten auf ein Ziel, das nicht vorhanden war. Die Wärmeimpuls- und Blaulichtkameras nahmen die vorgesehenen zehn Bilder pro Sekunde auf und sammelten sie auf mehreren internen SSD-Festplatten. Dies würden sie fortsetzen, bis ihr Speicherplatz entweder zuneige ging, oder der Moment zum Aufstieg kam.

Der gelb lackierte Roboter, der in der pechschwarzen Dunkelheit unsichtbar war, setzte seinen Abstieg fort, bis er den Bohrlochkopf erreichte. Er untersuchte dann die voraussichtliche Eintrittsstelle; Nummer 5 scannte das Gebiet ab, wertete die Daten aus und trug nach ihrem besten Können Sorge dafür, dass die Messdaten wie erwartet ausfielen. Da der Bohrschacht noch nicht hinuntergelassen worden war, nahm sie nichts von einem Metallrohr oder einem Blowout-Preventer wahr, einer Absperrvorrichtung für den Fall eines unkontrollierten Ölaustritts.

Stieß sie auf ein unerwartetes Problem, wurde normalerweise ein Unterprogramm aktiviert, das sie aufsteigen ließ, bis sie wieder Funkkontakt herstellen konnte, doch Standlee hatte die Roboter so konfiguriert, dass sie das Fehlen des Rohrs nicht berücksichtigten. Nummer 5 war demnach so zufrieden, wie sich so etwas von einer Maschine sagen ließ. Keines ihrer Alarm- oder Notfallprogramme hatte sich gemeldet. Solange dies so blieb, würde sie einfach warten und aufzeichnen. Während es die Bilder auf die Festplatten bannte, gab das AUV eine weitere Schallwelle auf Fels und Sand in der Umgebung der Bohrstelle ab. Was zurückgeworfen wurde, war … sonderbar.

Nummer 5 speicherte die Messung zwar, doch die Daten zu analysieren überstieg ihr Rechenvermögen bei Weitem.

Der Roboter lotete das Areal weiter aus, während er auf erneute Anomalien achtete. Vielleicht handelte es sich bei dem seltsamen Echo ja um einen leichten Defekt in seinem System – oder etwas unter dem Felsen bewegte sich. So oder so setzte es seine Suche fort und sammelte so viele Daten wie nur möglich. Solange nichts Erhebliches dazwischenfunkte, würde sie ihren Aufstieg nicht vor 0400 beginnen. Sie achtete weiterhin auf ihre innere Uhr und zählte die Sekunden, bis ihre Rückkehrfunktion wieder aktiv wurde.

THE BLACK - Der Tod aus der Tiefe

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