Читать книгу Das flammende Kätchen - Paul Oskar Höcker - Страница 5
ОглавлениеFür Heimwehkranke gab’s in den „Nurseries“ der Firma A. F. Dutton in Iver keinen Platz. Katarina hatte sehr bald heraus, dass es hier galt, tapfer die Ellenbogen zu gebrauchen, um sich durchzusetzen. Viele der Volontäre, die die Firma zuliess, kamen überhaupt nicht dazu, die Gelegenheiten zum Lernen zu begreifen: sie verliessen den Riesenbetrieb nach ein paar Monaten wieder, ohne anderes als grobe Arbeit getan zu haben. Den Obergärtnern machte es grossen Spass, die „Studenten“ gerade bei der Jauchemischung, beim Giessen oder beim Packen zu verwenden. Die neueingestellten Damen — ausser der jungen Deutschen noch zwei Engländerinnen, eine Schottin und eine Schwedin — waren ihnen erst recht ein Dorn im Auge. Sie hiessen natürlich die „Suffragettes“, und Mr. Gabb sagte einmal zu Fräulein Lutz: die Gärtner in den „Flowering Plant Houses“ drüben seien allesamt davon überzeugt, dass die Nelkenspezialitäten dieser Saison hinter denen der Vorjahre Zurückbleiben würden, weil die Firma mit dem Monopol der Männerarbeit gebrochen habe.
Ueber die drollige Selbstverständlichkeit, mit der er seine Unverschämtheiten vorbrachte, musste Katarina nun aber doch lachen. Ihre Kolleginnen hier in den Gärtnereien waren sämtlich gutgezogene, stille, freundliche junge Dinger. „Wem von uns trauen Sie den ‚bösen Blick‘ zu, Mr. Gabb?“ fragte sie den jungen Menschen.
Er betrachtete sie lächelnd, drohte ihr mit den Augen und fragte: ob sie noch nichts von der deutschen Gefahr gehört habe?
Immer wollte er mit ihr über Politik reden, besonders über ‚the kaiser‘, die deutsche Flotte, die deutschen Kolonien. Die Vorstellung eines Ueberfalles des Kanalreiches durch hunderttausend deutsche Soldaten spukte in diesen Köpfen noch immer. Nächtens hatte man eine deutsche Luftschiffflotte über den englischen Küsten kreuzen sehen, so berichtete das Wurstblättchen von Iver. Aber auch die grossen Londoner Zeitungen tischten ab und zu ihren Lesern solch haarsträubenden Unsinn auf, der gern geglaubt wurde. Sechzigtausend Kellner aus Deutschland bildeten eine geheime Waffenmacht auf dem Inselreich, um beim Ausbruch eines Krieges sofort über die Einwohnerschaft herzufallen.
„Ja, Mr. Gabb, ich weiss wohl, und ausserdem halten sich hier in England auch noch sechzigtausend junge Sprachlehrerinnen unter dem spitzbübischen Vorwand auf, Englisch zu lernen. Und die bilden ein nicht minder gefährliches Amazonenkorps, denke ich.“
Es war nie festzustellen, wie weit zwischen ihnen Scherz und Ernst reichten. Da sie sich erst bemühte, die englische Konversation zu beherrschen, und er noch in den Uranfängen des deutschen Sprachunterrichts stand, so gab es zudem viel heitere, aber niemals völlig aufzuklärende Missverständnisse.
„Ich glaube, die Gärtnerinnen sind noch viel gefährlicher als die Lehrerinnen,“ sagte er und klopfte seine Maserholzpfeife an seinem Stiefelabsatz aus. „Im vorigen Jahr hatten wir elf Neuheiten: Bonfire, Bright Spot, Gloriosa, Prinzess Charming, Washington, White — —“
„White Wonder,“ fiel sie lachend ein, „o, ich kenne sie alle: Lady Alington, La Mode, Regina, Rese, R. F. Felton.“
„Yes. You know. I see. Aber in dieser Season wir haben noch nicht drei.“
„Und daran ist der mal’ occhio der Suffragetten schuld?“
„Beim Lord Spencer haben sie die Orchideenhäuser demoliert.“
„Neulich sagten Sie, das wären deutsche Stewardessen gewesen.“
„Sagte ich? Indeed? Dann wird es seine Richtigkeit haben. Aber Miss Walker ist ganz sicherlich eine heimliche Suffragette. You know, the lady with the snub nose.“
„Sie ist das gutmütigste Geschöpf unter der Sonne. Was für ein Hasenfuss Sie sind, Mr. Gabb. Ueberall wittern Sie Gefahren.“
„Und Sie sind die allerdringlichste Gefahr von ganz Iver. Mr. Brutt drüben vom Carnation-house Nr. 18 sagt das auch.“
„Sagt Mr. Brutt? Und gerade der ist immer besonders nett zu mir gewesen —“
„Ja, er meint, Sie schmeicheln einem alles ab. Und das ist eben das Bedenkliche. Man ahnt nichts Böses und weiht Sie hier in alle Geheimnisse ein, und dann kehren Sie nach Deutschland zurück und machen uns dort alles nach, und dann hört bald der Export der Firma nach dem Kontinent gänzlich auf —“
„Und eine kleine Spanne Zeit noch, und Mr. Gabb muss selber nach Deutschland ziehen, wenn er seine Talente noch irgendwo will leuchten lassen.“
„Davor wird ihn der Himmel — I hope — bewahren.“
Mr. Gabb war gleichaltrig mit ihr, man konnte ihn aber ebensogut für sechzehn oder sechsundzwanzig halten. Lang aufgeschossen, bartlos, semmelblond, vom Sport und von der Arbeit im Freien braungebrannt, zudem in seinem Wollanzug mit dem Wollhemd und der Wollmütze unterschied er sich äusserlich kaum von einem der Gartenarbeiter. Er war aber Student in Oxford gewesen und lernte hier praktisch, weil ein Onkel von ihm, der eine Gärtnerei in Leicester besass und seinen Sohn durch einen Unglücksfall verloren hatte, ihn zu seinem Nachfolger einsetzen wollte. Die körperliche Betätigung machte dem jungen Volontär viel Spass, auch in Oxford hatte er mehr Gefallen am Rudern und an den Tennismatches gefunden als an den Wissenschaften, und Katarina zwang es oft das höchste Staunen ab, ihn in den Warmhäusern oder bei den Frühbeeten arbeiten zu sehen. Er hatte sich in den technischen Hilfsgriffen eine grosse Gewandtheit angeeignet. Wenn es hiess, ein paar tausend Pflänzchen aus den Dreizoll-Töpfen in Fünfzoll-Töpfe umzutopfen, so machte er sich mit riesigem Behagen an die Arbeit. All das ging ihm flink und geschickt von der Hand. Aber für die „höhere Gärtnerei“, wie er sich ausdrückte, hatte er nicht die geringste Begabung. Vor allem verdrossen ihn die vielen lateinischen Namen, die er sich hier merken sollte.
„Latein war immer meine schwache Seite. Wenn ich hätte Latein treiben wollen, dann ich hätte in Oxford bleiben können.“ Er war wütend darüber, dass Fräulein Lutz für all die lateinischen Namen ein so vorzügliches Gedächtnis hatte: in dem Abendkurs, den ein junger Botaniker aus Cambridge, ein Verwandter des Hauses Dutton, für die Volontäre der Firma abhielt, schnitt sie am allerbesten ab.
Katarina war in demselben Boarding-house untergekommen wie Mr. Gabb. Es bildete so den richtigen englischen Provinzdurchschnitt. Die Verpflegung war reichlich, derb und geschmacklos. Wenigstens genügte die Wohnung Katarinas Ansprüchen. Ihr winziges Schlafzimmerchen grenzte an eine gedeckte Veranda, die zu ihrer alleinigen Benutzung stand. Hier hatte sie immer blühende Blumen in Gläsern und Vasen. Und bald richtete sie sich mit den bescheidensten Mitteln eine kleine Lehr- und Versuchsgärtnerei ein. Sie kaufte sich eine ganze Reihe von Stecklingen besonders entwicklungsfähiger Nelkenspezialitäten und begann mit eigenen Züchtungsversuchen. Mr. Gabb sprach öfters die Vermutung aus, dass sie in der kleinen Hexenküche Bomben fabriziere für die deutsche Suffragetten-Abteilung. Eines Sonntags lud sie ihn mit den andern Kollegen und Kolleginnen, die hier in Pension lebten, zum Tee in ihren wunderhübsch blühenden und frühlingsmässig duftenden „Wintergarten“ ein. Natürlich erweckten nun ihre geheimnisvollen, gelehrten Versuche den Neid und die Eifersucht des bombenwitternden jungen Engländers.
„Im nächsten Jahr das Haus Dutton wird überhaupt keine Neuheiten haben, die es auf den Markt bringen kann; dann Sie werden der Firma mit Ihren Neuzüchtungen aushelfen und schlagen die ganzen Kosten Ihres Aufenthalts mit einem Hieb heraus. Ich sag’ es ja immer schon: die deutsche Gefahr!“
Es war faustdicker Spott — aber Katarina wurde von diesen Arbeiten doch immer stärker gefesselt. Es war ihr eine wahre Wohltat, dass sie darüber nicht zum Nachdenken über ihr Schicksal kommen konnte. Auf Viktors letzten Brief hatte sie nicht mehr geantwortet. Kein Wort darin schien ihr persönlichen Klang zu haben. Das allmächtige Rispetersche Geld hatte ihn völlig zum Sklaven gemacht. Selbst seinen Groll liess er sich von seiner Stiefmama diktieren.
An einem der langen englischen Sonntage schrieb sie einmal ausführlich über alles, was sie inzwischen erlebt hatte, an den Geheimrat Erck. Und der vielbeschäftigte Mann in der Villenkolonie Grunewald bei Berlin setzte sich darauf wirklich hin und antwortete ihr in einem vier Seiten langen Brief. Er ging auch auf die Grundstücksangelsgenheit ein, über die sie sich ausgesprochen hatte. Es sei unverantwortlich, meinte er, wenn sie dieser habgierigen Frau Troilo unter den völlig veränderten Bedingungen das Stück Land überlassen wolle. Sie solle ihm alles Material schicken, das sie über den Abschluss des Handels besass, oder ihm noch genauere Aufzeichnungen zukommen lassen. Er werde die Sache dann mit einem Juristen durchsprechen und ihr mitteilen, ob eine gerichtliche Klage gegen Frau Troilo auf Rückgabe des Grundstücks oder auf eine höhere Abfindung begründete Aussicht auf Erfolg habe.
Nur zögernd kam sie der Aufforderung nach, denn die Vorstellung, sich um das Erbe ihres Vaters mit Frau Troilo vor den Gerichten herumzanken zu sollen, weckte ein nicht gelindes Grauen in ihr. Aber: was blieb ihr sonst übrig? Mit dem kleinen Stück Land, das ihr geblieben war, konnte sie nach dem Wegzug des Pächters nichts anfangen. Die Zinsen ihres winzigen Kapitals reichten zum Leben nicht hin noch her. So hatte sie also die Aussicht, dauernd in bezahlter Stellung bei fremden Leuten zu leben. Wenn sie nicht heiratete —!
Erst an der Schwere der Enttäuschung war sie gewahr geworden, wie tief und wie fest die Liebe zu ihrem Jugendfreund in ihrem Herzen gewurzelt hatte. Er war den Schmerz gar nicht wert — so sagte sie sich immer wieder vor, um ihre Seele zu befreien — denn er hatte ja kaum den Versuch gemacht, um sie zu kämpfen. Die Abhängigkeit, in der er sich befand, entschuldigte ihn in ihren Augen nicht. Im Gegenteil. Wäre er ein ganzer Mann gewesen, so hätte er seiner Stiefmutter getrotzt und sein Schicksal auf eine einzige Karte gesetzt. Ihrer hätte er gewiss sein können. Sie wäre durch dick und dünn mit ihm gegangen. Sie hätte ihm damals ja so gern bewiesen, dass ihr’s nicht auf die ‚brillante Partie‘ ankam, sondern dass sie ihm wirklich von Herzen gut war.
Nun war dies alles vorbei. Endgültig. Und sie fühlte sich nach ihrer schweren Kindheit und Jugend nicht mehr leicht genug, um vor sich selber auch nur die Möglichkeit zuzugeben, dass eine neue Begegnung sie in neue Fesseln schlagen könnte.
Heute gehörte ihr Herz den Pflanzen — den wundervollen Spezialitäten der Firma A. F. Dutton.
Die Arbeitssaison lief vom März bis zum August und dann wieder vom August bis zum März. Als sie das erste Jahr ihrer Volontärzeit hinter sich hatte, erlebte sie zum erstenmal die grosse Sensation der Neuheitenausgabe. Die Ausstellung, die die Firma veranstaltete, war von unzähligen Fachleuten, Agenten, Reisenden und Liebhabern besucht. Im Inselreich war das Interesse für Blumenzucht viel, viel stärker entwickelt als auf dem Kontinent. Katarina hatte das schon oftmals festgestellt. Die pensionierten Offiziere und Beamten aus den Kolonien, die in Iver lebten und mit geringeren Mitteln haushalten mussten, hielten doch sämtlich für ihren Garten eine besondere Hilfskraft. Und wahre kleine Paradiese lernte sie in den Gartenstädten der Nachbarschaft kennen. Eine Duttonsche Neuheit mit auszuprobieren erforderte hier natürlich der Lokalstolz. So hatte das Haus schon in der allerengsten Heimat einen starken Bedarf zu befriedigen. Farben von seltener Leuchtkraft, Pflanzen von besonders kräftigem Wuchs, Blüten von unerhörtem Umfang gab es unter den neuen Nelken zu sehen. Katarinas Lieblinge freilich waren die Neuheiten in Weiss. Neben der vorjährigen Alma Ward, der blendendweissen Nelke, die die überraschende Eigentümlichkeit hatte, bei dunklem Wetter sich zartrosa zu färben, so dass sie in ihrem ganzen Eindruck der Catleya-Orchidee glich, bevorzugte sie die mächtigen, in Deutschland noch nie gesehenen schneeweissen Riesenblüten der White House und White Wonder. Sie trieb unermüdlich Studien auf diesem Spezialgebiet, las auch eifrig die deutschen Gartenblätter, die in der Bibliothek gehalten wurden, und wandte sich kühnentschlossen oftmals um Rat an einen der Fachschriftsteller in der Heimat, wenn sie dem jungen Botaniker aus Cambridge sich auf englisch nicht klar genug ausdrücken konnte. Da erfuhr sie denn zu ihrem Leidwesen manchmal, dass viele Versuche, besonders wirkungsvolle Duttonsche Züchtungen in Deutschland einzuführen, durch die gänzlich veränderten klimatischen Verhältnisse schwer beeinträchtigt worden waren. Die merkwürdigsten Zufälligkeiten, für deren Zusammenwirken es kaum eine Erklärung gab, hatten auch manchmal einen unerwarteten Erfolg zustande gebracht.
Sie lag nach wie vor ihren eigenen Züchtungsversuchen mit unvermindertem Eifer ob. Gerade das Geheimnisvolle reizte sie. Freilich sprach sie über ihre Arbeiten hier mit keinem der Angestellten oder der andern Volontäre mehr, weil man sie immer wieder zur Zielscheibe des Spottes gemacht hatte.
„Wie geht es in der Hexenküche, Miss Lutz?“ fragte wohl ab und zu noch Mr. Gabb, die Pfeife zwischen den Zähnen.
Sie lachte dann nur, gab aber über nichts bestimmte Auskunft.
Uebrigens erwartete er die gar nicht. Er Halle auch im zweiten Jahr seines Volontärdienstes bei der Firma das Wesen der Botanik noch nicht begriffen.
„Ich bin zu lang in die Höhe geschossen, Miss Lutz,“ sagte er einmal, als sie sich vergeblich bemühte, ihm eine naturwissenschaftliche Erkenntnis aus dem Abendkurs zu vermitteln. „Bis es zu mir ins Gehirn kommt, ist es immer schon eine Weisheit von gestern.“
„In Ihren Gedanken sind Sie masslos faul, Mr. Gabb.“
Er steckte sich ein Pfeiflein an und liess sich bequem vor dem mit Torf geheizten, immer räucherigen Backsteinkamin des allgemeinen Wohnzimmers nieder, hoch die Beine übereinanderschlagend. „Was sollte ich mit flinken Gedanken anfangen, Miss Lutz, wenn ich erst in Leicester sitze, als der Nachfolger meines Onkels? Das wird dort alles gemacht wie seit fünfzig Jahren. Wer da etwas ändern will, verdirbt nur.“
„Wann reisen Sie nach Leicester?“
„Vielleicht morgen. Vielleicht in zehn Jahren. I don’t know. Ich muss noch ein bisschen warten.“
„Worauf warten?“
„Bis mein lieber Onkel Tom das Zeitliche gesegnet hat. Aber da kann ich alt und schwach werden, denn er hat gottlob eine ideale Gesundheit, scheint mir.“
„Könnten Sie sich nicht schon zu seinen Lebzeiten in Leicester nützlich machen?“
„No, Miss Lutz. Onkel Tom wäre der Gedanke unerträglich, dass ich mit meiner haarsträubenden Talentlosigkeit und Unbildung sein Nachfolger werden soll, — und dann würde er mich sicher enterben. Wenn ich hier in Iver als sein lachender Erbe sitze, dann stört ihn das weniger.“
„Sein lachender Erbe.“ Katarina wiederholte es nicht wenig amüsiert, denn Mr. Gabb machte dabei ein tief unglückliches Gesicht. „So, so. Also gedenken Sie als Volontär der Herren A. F. Dutton in Iver zu bleiben, bis Sie alt und schwach werden. Und davor graut es Ihnen nicht?“
„Was soll ich sonst tun? Als Obergärtner stellt mich niemand an. Ich bin zu dumm dafür. Nein, ehrlich, im Ernst, Miss Lutz. Und als Hausverwalter mit Gartenarbeit kann sich der lachende Erbe von Onkel Tom in Leicester doch auch nicht verdingen. Wissen Sie vielleicht, wie ich die Zeit totschlagen kann?“
„Kommen Sie nach Deutschland.“
„Wollen Sie mich engagieren, Miss Lutz?“
Sie lachte. „Ich werde mein eigener Obergärtner sein. — Und ein Haus, das es zu verwalten gäbe, habe ich nicht. Ich bin arm wie eine Kirchenmaus.“
„Wer wird bei Ihnen die Mistbeete packen? Umtopfen? Und Erde karren? He?“
„Ich nehme mir einen jungen Arbeitsburschen, den ich allmählich anlerne.“
„Nehmen Sie mich. Ich bin schon angelernt.“
„Aber Sie gehorchen mir ja nicht.“
„Nein.“
„Nun also.“
Er ereiferte sich. „Das ist nun wieder so echt deutsch, Miss Lutz. Wozu immer Herr und Diener? Warum nicht ehrliche Arbeitsteilung? Wenn zwei sich freuen, ein junges Anwesen vorwärts zu bringen, dann ist’s doch nicht nötig, zu befehlen und zu gehorchen. Man muss sich bloss verständigen. Sagen Sie, ich soll kommen, dann komme ich, Miss Lutz.“
„Ist das nun Ihr Ernst? Wie sind Sie auf diese Idee verfallen?“
„Ei, ich denke mir, hier wird es mörderlich langweilig werden, wenn Sie erst fort sind. Da ist es besser, ich folge Ihnen.“
„Aber Sie können die Deutschen doch nicht leiden?“
„Nein. Sie sind die einzige Ausnahme.“
„Sehr schmeichelhaft.“
„Und was denken Sie über mich, Miss Lutz?“
„Als Gärtnergehilfe wären Sie ein Juwel. — Als Mensch sind Sie ein Greuel.“
Er lachte.
In den folgenden Wochen kam er noch manchmal auf dieses Gespräch zurück. Katarina begann allmählich ganz ernsthaft mit der Vorstellung zu rechnen. Wenn sie ihren Prozess gewann und das Stück Land zurückbekam, so dass ihr die Einrichtung einer eigenen Gärtnerei ermöglicht ward, so wäre ja solch eine Hilfskraft wie die des Mr. Gabb unbezahlbar gewesen. Er war ‚spleenig‘ genug, seinen Vorsatz auszuführen.
Wenn sie in der Frühstücks- oder Teepause mit ihm durch die Riesenanlagen schlenderte, baute sie schon Luftschlösser. Natürlich wollte sie sich in Sonnenberg auch auf die Nelkenspezialitäten verlegen: sie konnte allmählich auf diesem Gebiet eine gar nicht zu unterschätzende Konkurrenz des Hauses Viktor H. Troilo werden. Mit dem Duttonschen Riesenbetrieb hielt auch das Troilosche Anwesen keinen Vergleich aus. Die Firma Dutton besass fünfzehn grosse Treibhäuser von je siebzig Meter Länge, in denen zu gleicher Zeit je sechstausend Nelkenpflanzen zur Blüte gebracht wurden; wieder andere, in denen bis zu 25 000 Stück in kleinen und mittleren Töpfen des Auspflanzens harrten. Ganz neu waren für Katarina die besonders angelegten Häuser mit kühlerer Temperatur für die Stecklingsvermehrung. Die Duttons erzielten durchweg starke, widerstandsfähige, für die Ausfuhr gut geeignete Pflanzen. Und eine Pause im Blühen gab es überhaupt nicht mehr. Die Hauptproduktion freilich ward in die Uebergangszeiten verlegt, in denen es im freien Land keine Blüten gab.
Allmählich war Katarina mit allen Obergärtnern gut Freund geworden. Für eine ‚Suffragette‘ hielt sie im Ernst niemand mehr. Da sie sich nun auch in der Landessprache schon ganz leidlich ausdrücken konnte, so waren die Gespräche mit diesen Fachleuten von grossem Wert für sie. Auch in den Büros suchte sie sich über besonders wichtige Fragen des geschäftlichen Verkehrs zu unterrichten. Mr. Gabb hatte schon verraten, dass sie zum nächsten Herbst sich drüben selbständig machen und ihn als ‚Gärtnergehilfen‘ anstellen wolle. Sie würden auf dem Kontinent für die Duttonschen Züchtungen grosse Reklame machen, wenn man ihnen gute Bedingungen stellte, sagte er. So schwerfällig Mr. Gabb in botanischen Dingen war, so fix war er in der Erfassung geschäftlicher Vorteile. Katarina versicherte ihm hinterher lachend, er sei ein Rechengenie. Der Generalagent des Hauses Dutton hatte nämlich mit ihr gesprochen und ihr auf Grund der Ausführungen von Mr. Gabb ein Anerbieten gemacht. Es ward ihr auch ein nicht unbedeutender Kredit in Aussicht gestellt. Den verdankte sie freilich mehr dem vorzüglichen Eindruck, den ihr fast fanatischer Arbeitseifer und ihre ernste Lebensauffassung während dieses ersten Volontärjahres hervorgerufen hatten. Vom April ab ward ihr sogar ein kleiner Gehalt bewilligt, was viel Staunen hervorrief.
Aber ihre Zukunft war doch noch mehr als unsicher, solange nicht der Prozess, den sie auf Geheimrat Ercks Anraten gegen Frau Dora Troilo hatte einleiten lassen, entschieden war. In der ersten Instanz war sie mit ihren Ansprüchen abgewiesen worden. „Sie gewinnen schliesslich doch, liebes Kind, verlieren Sie den Mut nicht, Ihre Sache liegt für jeden einsichtigen Richter sonnenklar,“ hatte der Geheimrat geschrieben, „die erste Entscheidung muss umgeworfen werden!“ Auch der Justizrat, an den ihr früherer Brotherr sie verwiesen hatte, war des Erfolges ziemlich sicher.
Da traf Anfang Oktober — drei Wochen, bevor sie Iver hatte verlassen wollen — die Kabeldepesche für sie ein, nach der ihre persönliche Vernehmung im letzten Termin vor dem Landgericht unerlässlich war. Sie musste Hals über Kopf abreisen, traf morgens in Wiesbaden ein, hatte kaum Zeit, in der billigen Pension sich einzurichten, weil sie um elf Uhr schon geladen war, wartete dann unerträglich lang im Gerichtsgebäude, kam endlich gegen zwei Uhr schachmatt zur Aussage, — und als sie an des Justizrats Seite das feierliche Landgerichtsgebäude verliess, brachte der, so schonend er konnte, ihr bei: dass sie ihren Prozess aller Voraussicht nach endgültig verloren habe.
So war es denn auch.
Mit dem Groll darüber mischte sich nun die Scham. Und mit der Scham die schmerzliche Trauer.
Sie kam auf ihrem ersten Rundgang durch das soeben vom Pächter verlassene Grundstück nicht aus dem Weinen heraus. Während ihrer Abwesenheit war an der Troiloschen Grenze ein hoher, undurchsichtiger Zaun aufgeführt worden, eine dünne Ziegelwand mit rauhem Bewurf, die einem Teil ihres Gartenlandes alle Sonne wegnahm. Es waren ihr kaum zwei Morgen Land geblieben. Das einstöckige Wohnhaus und der Stall waren sehr ausbesserungsbedürftig.
Zunächst mussten Scheuerfrauen, Erdarbeiter und Zimmerleute kommen. Der Maurerpolier Wentzel, ein alter Freund ihres Vaters, half ihr mit Leuten aus. Aber sie musste von früh bis spät auf den Beinen sein, um die Aufsicht zu führen. Natürlich legte sie überall selbst Hand mit an.
Sobald die Küche und zwei Wohnzimmer einigermassen „menschlich“ geworden waren, siedelte sie in das väterliche Haus über. Die paar Möbel, die seinerzeit nicht verkauft worden waren, weil der Händler doch nur den Preis für Gerümpel zahlen wollte, wurden vom Speicher heruntergeholt. Nur die allernotwendigsten Anschaffungen leistete sich Katarina für die kleine Wirtschaft. Tagelang galt es, auf Leitern stehend oder auf den Knien herumrutschend, zu hämmern, zu flicken, anzustreichen ... Und immer wieder trieb es sie dann hinaus in ihr Gartenland ... Ach, das arme, kleine Anwesen war so völlig ausgesogen und verwahrlost, eingezwängt zwischen lauter Troiloschen Besitz, sie fragte sich immer wieder, ob es denn überhaupt einen Sinn hatte, mit der Bewirtschaftung dieses winzigen Fleckchens zu beginnen. Manchmal packte sie der Trotz und sie fasste Mut, dann entwarf sie Pläne, stellte in Gedanken ein paar Gewächshäuser mitten in das Grundstück und richtete einen Betrieb nach Duttonschem Muster ein: mit wertvollen Nelkenspezialitäten, von denen der grossspurige Nachbar noch keine Ahnung hatte. Aber bei den Besprechungen mit dem alten Wentzel, der ihr die ersten flüchtigen Kostenanschläge machte, erstarb ihr wieder alle Unternehmungslust. Es blieb ihr für das erste Jahr ja fast kein Betriebskapital übrig, wenn sie gleich alles bar bezahlte. Und konnte sie von Wentzel Kredit beanspruchen? War überhaupt seiner Ehrlichkeit zu trauen? Er nannte sich ihres Vaters Freund. Aber hatte nicht auch Frau Dora Troilo, als ihr Vater schwerkrank im Sanatorium lag und von Geldsorgen bedrängt wurde, unter dem Schein der Freundschaft Dinge getan, Dinge ... Oh, sie durfte an all die Heuchelei gar nicht zurückdenken!
Inzwischen gingen die Arbeiten zusehends vorwärts. Sie hatte ein Alleinmädchen aus dem Badischen angenommen, das sie in ihrer kleinen Wirtschaft anleitete, so dass sie mehr und mehr die Hände für ihre Gärtnerei freibekam. Was das „Marieche“ kochte, war keine Meisterleistung, wobei Katarina noch das allergrösste Unheil meistens abzuwenden wusste; aber wenigstens war das junge Ding bescheiden und arbeitswillig und immer guter Laune, denn „hier ischt allweil ebbes los“, meinte sie.
Das Stallgebäude hatte sich mit geringen Kosten zu Katarinas erstem Treibhaus verwandelt. Nach Süden war die Wand herausgebrochen und ein heizbarer, ziemlich umfangreicher Glasanbau errichtet worden. Ausgediente Gasröhren, Bauglas und anderes Material aus Abbrüchen in Sonnenberg hatten dafür herhalten müssen. Der alte Wentzel hatte über die Pläne der jungen Unternehmerin zuerst immer den Kopf geschüttelt, aber dann überzeugte er sich doch, dass sie für ein Provisorium nicht übel waren. Wenigstens gewann sie so einen Raum, in dem sie ihre aus Iver mitgebrachten Züchtungsversuche und die ersten beiden Sendungen der Firma Dutton sachgemäss unterbringen und pflegen konnte.
Ein wundervoller Herbst unterstützte die Bauarbeiten. Noch in der ersten Hälfte des November hatte man hier im Sonnenberger Tälchen wahrhaft sommerliche Tage.
Einmal stand sie in einer Arbeitspause mittags vor dem Treibhaus und liess ihren Blick über ihr kleines Gartenland schweifen. Geradezu und nach rechts traf er auf die vier Meter hohe Ziegelwand, hinter der das Reich von Frau Dora und ihrem Stiefsohn Viktor begann. Nur nach links hin war der alte, niedrige Lattenzaun geblieben. Hier lag das grosse Gemüsefeld des alten Balthasar Troilo, des Vaters von Viktor H. Troilo, dem Begründer des Versandgeschäfts. Natürlich würde über kurz oder lang die Ausdehnungssucht der Frau Dora sich auch dieses letzten Stückchens Bauernland bemächtigen. Dann ragte auch hier die Grenzmauer in die Luft, und darüber sah man dann bald die Glasdächer neuangelegter Treibhäuser blitzen ...
„Gute Morche, Katrinche!“ rief eine helle Stimme plötzlich, die sie aus ihrem Hinbrüten aufschreckte.
Verwirrt sah sie sich um. Am Lattenzaun stand ein uralter Mann mit verwittertem Gesicht, einer mächtigen Hakennase und einem struppigen, weissen Ziegenbärtchen. Kohlschwarze, grosse, fast jugendlich blitzende Augen standen in dem Greisenkopf. Der Alte trug eine blaue Gärtnerschürze und einen grossen, gelben Strohhut. In der Hand hielt er eine Rosenschere. Langvergessene Kindheitsbilder tauchten in ihrer Erinnerung auf. Wenn sie mit Viktor drüben auf verbotenem Gelände gespielt hatte und plötzlich irgendwo der gelbe Strohhut mit dem braunen Gesicht und den schwarzen Augen erschien, dann nahmen sie im Bewusstsein ihrer Schuld stets schleunigst Reissaus. Gewiss hatten sie beim Versteckspiel oder beim Haschen eine Rabatte niedergetreten, ein Radieschenbeet zerstampft — oder Viktor hatte sie verführt, sich mit an die Spalierpfirsiche seines Grossvaters zu halten. Ein gutes Gewissen hatten sie ja me. So war der alte Balthasar in ihre Träume als der Kinderschreck übergegangen. Und nachdem der erbitterte Streit zwischen Viktors Vater und dem Grossvater ausgebrochen war, hatte sie jede Begegnung mit dem alten Mann vorsichtig vermieden. Auch nach Viktor H. Troilos Tod. Er sei ganz wunderlich und bösartig geworden, sagte Viktor, der es von seiner Stiefmama wusste.
Und nun stand der Kinderschreck im gelben Strohhut am Zaun und nickte ihr zu.
Nur flüsternd hatte sie den Gruss zu erwidern gewagt.
„Ha, kennst mich denn nimmer, Katrinche? Gelt, so tust Du doch heisse? Die kloi’ Lutz bist doch? Oder net?“
„Kätchen Lutz.“
Wahrhaftig, sie hatte geknickst. Unwillkürlich, wie als Schulmädel. Und artig war sie zum Zaun gekommen, dem Grossvater die Hand zu geben.
„Arg gross bist Du geworden, Kätche. Wie alt bist denn jetzt, he?“
„Ich werd’ zweiundzwanzig.“
„Hotzblitz. Ich denk als, es ist keine drei Jahr her, dass D’ mit dem Viktor in meine Erdbeere gesesse hast. No, und den Babba hat’s behalte. Jetzt bist Du ein Waisenmädchen. Guck emol her. Aber der Wentzel-Franz hat einem ja nette Sache von Dir erzählt. Da wird eins ja neugierig. Die junge Mädcher von heutzutag. Also auf der Gärtnerinneschul’ bist gewesen. Und in England. Du Krott. Ich seh Dich noch in Deinem rote Röckche und Deine rote Strümpfche, und das ein’ Strümpfche, das war immer übers Stiffelche ’runtergerutscht. Ha, so wachse die Leut heran.“
Er war zu drollig, der Alte. Sein Auge, sein Blick imponierten, aber seine Art zu reden war sehr gutmütig, trotz des polternden Nebentons. Sie fasste schnell Zutrauen zu ihm. Freundlich sah sie ihn an.
„Aber Sie haben sich jetzt gar nicht verändert, Herr Troilo. Wirklich. Und wenn ich Sie mir einmal vorgestellt hab’, in der Zeit bisher, da hab’ ich Sie auch immer in dem Hut da gesehen — und mit der Rosenscher’ ...“
Balthasar Troilo rückte an seinem mächtigen Strohdach. „Der ist aber gar nit so alt. Ein Freund hat ihn mir einmal aus Mexiko mitgebracht. Ha, wann wird denn das gewesen sein? Wo sie den Porfirio Diaz zum zweitenmal zum Präsident gemacht haben.“
Sie lachte hell auf. „Oh, Herr Troilo, das war doch im Jahr Vierundachtzig!“
„Ha, woher weisst denn Du das, Du Krott?“
„Aus der Schul’, Herr Troilo.“
Nun lachte er mit seiner hellen, dünnen Stimme mit. „E nette Schul’, wo die Mädcher lerne müsse, wie alt dass den andere Leut ihre Hüt’ sind!“ Und über diesen eigenen Witz konnte er sich hernach lange nicht beruhigen.
So war die Freundschaft zwischen ihnen hergestellt.
Er traf sich mit ihr nun alle Tage. Der alte Wentzel hatte ihm über all ihre Massnahmen Bericht erstatten müssen. Er interessierte sich ausserordentlich dafür. Für ihr Treibhaus und ihre englischen Errungenschaften in erster Reihe. Auf dem Holzzaun sitzend, schwang er einmal das rechte, dann das linke Bein herüber — kaum dass er sich festhalten musste, denn er war trotz seiner achtzig Jahre erstaunlich gelenkig — und kam in Katarinas Reich.
Für eine einzige Sekunde fiel dabei ein Schatten über ihre Stimmung. Sie sagte sich: immerhin ist er Viktors Grossvater, und was er hier sieht, weiss morgen Frau Dora. Und sie wusste nicht, ob sie einen Vorwand suchen und ihm das Betreten des Häuschens verwehren sollte. Aber derlei lag ihr nicht. Und er hatte für sie, die so ganz allein im Leben stand, doch so viel Patriarchalisches, dass sie sich unmöglich feindselig gegen ihn stellen konnte.
So sah er sich also Katarinas Nelkenzüchtungen eingehend an — und sie erklärte sie ihm.
Er war von der Schönheit der Farben ganz benommen. Auch die Blütenfülle der verschiedenen neuen weissen Nelken erklärte er für ganz unwahrscheinlich. Er hätte solche Riesenexemplare überhaupt noch nicht gesehen, versicherte er. Sie musste dann ihr Pflanzenbüchlein holen, worin sie sich schon in England Eintragungen über die Kreuzungsversuche gemacht hatte. „Aha, das Pedigree!“ sagte er. Dass ihr zwei wirkliche Neuheiten gelungen waren, stand fest, die eine schneeweisse und die orangerote Nelke bildeten wertvolle Spezialitäten, die im Duttonschen Verzeichnis nicht vorkamen. Es fragte sich aber, ob sie genug Stecklinge abgaben, um sie auch geschäftlich ausnutzen zu können. Katarina hatte von den neugewonnenen Urpflanzen die erste Nachkommenschaft in reinen Sand gepflanzt gehabt und erst kürzlich in winzigen Töpfen in ihrem vorläufigen Treibhaus untergebracht.
„Ich will Dir emal ’was sagen, Kätche,“ begann er, als sie das Treibhaus wieder verliessen, „Du bist ein klug’ Mädche — und doch arg geschäftsdumm. Wenn eins so ein Glück hat und es fallt ihm so ein Gottesgeschenk in den Schoss, wie jetzt Dir die beiden neuen Sorten, ha, da lasst man doch nicht den neidischen Nachbar’ neingucken, sondern da sperrt man sein Häusche hübsch zu, setzt seine Heimlichkeiten unter die Glasglock’ und sagt: ich dank’ schön für die Nachfrag’, aber meine Spezialitäten zeig’ ich erst, wenn ich sie auf den Markt bringen kann.“
Sie schlug voll und offen den Blick zu ihm auf. „Zu meinen Nachbarn sollt’ ich freilich kein Vertrauen mehr haben. Es ist mir von Ihrer Frau Schwiegertochter arg mitgespielt worden, Herr Troilo. Ich hab’ schon ganz verzweifelt an der Welt. Und der Viktor ... Aber wo Sie doch immer so gut zu mir gesprochen haben ...“ Sie zögerte, brach ab. Für einen Augenblick presste sie die Hände gegen die Stirn. Ein Weinen wollte sie anpacken.
Er sass schon wieder im Reitsitz auf dem Holzzaun. Mit der Rosenschere schnipselte er an einer Ranke wilden Weins herum. „Zu mir kannst immerhin Vertrauen haben, Kätche. Dei’m Babba bin ich auch immer gut gewesen. Und wo ich gesehn hab’, wie sie da hüben den Zaun aufgeführt hawwe, und wo ich gehört hab’, wie Euch der giftige Drachen, die Rispetersche, Euer bissche Land abgeknöpft hat, da hab’ ich eine arge Wut gekriegt. Ja, guck, und da bist Du hergekomme, und was Du anpackst, ist gescheit, und Talent hast für Dein Fach, und die echte Lieb’ ist dabei, und ordentlich regen tust Du Dich, und eine glückliche Hand hast Du auch, — ja, und da sag’ ich mir, hotzblitz, die verdient die Unterstützung doch viel eher als der faule Viktor, der geschniegelte und gebügelte, der von seinem Grossvater im ganzen Leben gar nix anderes will als erben.“ Er steckte die Rosenschere in die Schürzentasche, nahm den grossen Strohhut ab und fuhr sich mit der braunen, leicht zitternden Hand über den gleich einer Kegelkugel blanken, gelblichen Schädel. „Also guck, Kätche, das Stück Land da, wo an Dein Gärtche grenzt, — da links, — das haben die Rispeterschen auch schon immer haben wollen. Erst vorgestern war der Kommissionär wieder da. Und da hab ich ihn ’rausgeschmissen.“ Er lachte und setzte den Hut wieder auf. „Aber jetzt, wenn Du das Stück haben willst, Kätche, dann kannst es kriegen.“
Sie fuhr ordentlich zusammen. „Herr Troilo —!“
„Ha, no, ich bin alt, ich brauch’s nimmer, es macht mir auch zu viel zu schaffen. Ich hab’ genug da hinne in meinem Rosengärtche zu schuften. So arg viel Läus’. Und der Meltau. Da heisst’s spritze, spritze, spritze. Ja, und dass die Rispetersche sich nach meinem Tod da auf mei’m Gemüsefeld breit machen soll, ach neu, das will ich nicht, das duld’ ich nicht. Also billig kannst es haben. Was hat Dein Babba von der Rispeterschen für den Morgen gekriegt? Wir wollen emal Nachsehen. Es sind zwei und ein halber Morgen, das dahier. Guck — bis zu dem Streifen Winterspinat reicht’s. Um die Hälft’ von dem, was Dein Babba drüben bezahlt’ kriegt hat, sollst es haben. Das ist kein schlechter Handel, Kätche. Greif’ zu. Und bar brauchst mir nix zu berappen. Der Kaufschilling bleibt stehn. Zwei Jahr lang zinslos. Und hernach — da wirtschaftest Du ja zehnmal mehr heraus, als ich jetzt. Ha, so sag doch ’was, Du Krott.“
„Ach — Herr Troilo — ich bin ja noch ganz fassungslos ... So ein Glück, wenn ich das bekäm’!“
„Ha, freilich kriegst es. Musst bloss zupacken!“
Nun sprang sie jubelnd auf den Grossvater zu, es war, als wollte sie ihn umarmen.
„Ach neu, ach neu, nit so wild. Du! Musst schon vorsichtig sein, wenn Du mit so einem alten Mann Geschäftche machen willst. Sonst kratzt er Dir noch ab, bevor dass wir beim Notar waren. Und das wär’ doch schad.“ Er lachte pfiffig. „Besonders den Rispeterschen, denen tät ich’s doch nit gönnen. Ha, die sollen Augen machen. Die da hüwwe.“ Er schwang leicht aufstöhnend sein rechtes Bein über den Zaun. „Komm zum Vesper ’rüber, Kätche, ich lass den Justizrat rufen. Das ist der, wo auch mein Testament verwahrt. Aber pünktlich um vier.“
„Ich komm’, ich komm’, Herr Troilo!“ versicherte sie, noch ganz atemlos. „Guten Morgen, Herr Troilo!“
„Gute Morche, Katrinche!“