Читать книгу Hanna im Herzland - Paul Stefan Wolff - Страница 4

2.

Оглавление

Sie war in der Frühe mit ihrem Hund Eddie 500 Meter Gassi gewesen, vor der Arbeit, der Morgen war mild und verlockend.

Vielleicht hatte sich das Besondere schon angekündigt? Auf der vierspurigen Straße vom Bus zur Arbeit befand sich ein Pflasterstein, und zwar auf der zweiten Spur in die Richtung, in die sie ging. Sie bemerkte ihn, als der Unterboden eines Autos daran hörbar schleifte. Würde das nächste Auto sich den Unterboden aufreißen an dem Ding? Danach fuhr ein Reisebus darüber, der hat eine respektable Höhe. Direkt nach dem Bus waren der roten Ampel wegen längere Sekunden Zeit keine Autos mehr gekommen, nun, sie half gerne, wo und wenn sie was sah. Daher sprang sie behende zu dem Pflasterstein und schaffte das Monstrum unter den neugierigen Blicken der im Stau Wartenden beiseite. Da donnerten schon wieder Autos heran, sie musste sich beeilen. Als sie auf dem Gehsteig überlegte, wohin damit, hatte sie eine Idee.

Helfen ist nicht unproblematisch, klärte sie mich auf, halb geholfen ist manchmal halb falsch gemacht. Sie sah eine Pfütze, ließ den Quader daneben fallen, rumpelte ihn dort hinein. Auch Randalierer meiden Pfützen. Die Leute sind pingelig mit eigenen kleinen Unannehmlichkeiten wenn man anderen große bereiten will.

In der Arbeit war nichts Besonderes passiert. Bis auf die Alarmglocken, aber die waren aus gutem Grund. Und Rosa erschien am Nachmittag, auch nichts Besonderes.

„Ich bin Rosa“, hatte die gesagt. „Du bist sicher Hanna.“

„Ja. Wie sind Sie auf Schulz Öle, aufmerksam geworden?“

„Der Sohn hat mich gefunden bei einem Headhunter“, hatte die geantwortet. „Und es stellte sich heraus, ich spiele im selben Verein Tennis wie der Senior.“ Die hatte also auch beim Senior ein Stein im Brett. Nichts Besonderes.

Und zum Einstieg hatte diese blöde Rosa die Idee, mit hochwertigen Ölen kann man ja abnehmen. Ist auch so. Und also könnten sie fürs Marketing der hochwertigen Schulz-Öle einen Tennis-Cup ins Leben rufen – ein Wettbewerb für ältere Spieler ab 35.

„Sehr gute Idee“, hatte Senior gesagt. „Ältere sind sensibilisierter für hochwertige Lebensmittel, sie haben auch eher das Geld dazu. Das könnte man überlegen...“

„Altersklassen“, warf Rosa noch ein. „Sie, Herr Schulz, würden die Ü65 sicher gewinnen.“

„Danke“, antwortete der geschmeichelt lächelnd. „Ich genieße unsere Öle auch jeden Tag...“

„Perfekt! Das sieht man auch...“

Kurz, sagte Hanna in der Bar, diese Rosa war absoluter Schleimkotzbrocken.

Abends wieder Gassigehen, nichts Besonderes.

„Wenigstens einen Witz beim Junior angebracht: Was ist der Unterschied zwischen Gott und Manager? Gott spart mit Worten, gibt überreich, wenn man um etwas bittet. Der Manager gibt überreich Worte, spart, wenn man um etwas bittet. - Er hat ihm gefallen, hat gekontert: Wenn Literaturstudenten ihr eigenes Buch schreiben wollen, wenn Psychologiestudenten ihre eigene Seele heilen wollen, wenn die Studenten der Sozialen Arbeit ihre eigenen Kinder erziehen wollen – was machen dann angehende Zahnärzte falsch? - Hanna dann gleich noch einen: Gott opferte seinen Sohn für alle Menschen. Der Manager opferte alle Menschen für seinen Sohn. - Der war grenzwertig, aber er hat laut losgelacht. Ja, Junior hat Selbstironie. Und er hatte auch noch einen: Was ist der Unterschied zwischen Rentnern und Studenten? Die Rentner haben sich ihr Nichtstun und ihr Geld selbst verdient.“

„Die Frage ist doch“, fragte ihre Freundin Natalie beim nächsten Treffen, einem Kaffee-und-Kuchen bei Natalie mit lecker-cremigem Zitronenkuchen. „Wessen Herz ist es?“

„Meines. Die haben ganz deutlich gesagt: das Herz ist reparierbedürftig.“

„Hanna!“, die Freundin sah sie vorwurfsvoll an.

„Ich meine nicht das Übliche. Schau, du hast das normale Frauen-Problem. Alleinerziehend mit Kind wollen die Männer hauptsächlich Sex. Das ist 08/15. Ich habe ein BESONDERES Problem.“

„Danke, dass ich so NORMAL bin!“

„Entschuldige. Aber du hast dich damit abgefunden. So halb.“

„Nein. Nicht so halb. Ganz!“

„Siehst du! Ich habe mich in der Frühe in ihn verguckt. Und am nächsten Tag hat mir der Senior gesteckt, dem Junior seine Ex war auch schwarzhaarig. Ich bin BLOO-HOND!“

„Wie bist du an DIE Info gekommen?“

„Ganz unschuldig habe ich getan“, Hanna formte einen unschuldigen Schmollmund. „Ob dem seine Partnerin in die Firma reinschneit, habe ich gefragt. Und wie ich seine Ehefrau erkenne, habe ich untertänigst drangehängt. Und darauf der Senior: Er ist nicht verheiratet. Es gibt nur eine Ex. Und die hätte die gleichen schwarzen Haare wie die Rosa und einen ähnlichen Langhaarschnitt. Und einen spanischen Akzent, wie die Rosa, die Marcela käme nämlich aus Kolumbien. Hätte also ein spanisches Äußeres. Und würde gar nicht kommen, die wäre in Amerika, hat er drangehängt.“

„Dann hätte ich gute Chancen bei ihm...“, resümierte Natalie schließlich.

Mit einem Seufzen lehnte Hanna ihre Stirn auf die Schulter ihrer Freundin: „Ach Menno!“

Da musste ich in der Bar in die Erzählung einhaken:

„Es ist dein Herz?“ fragte ich. „Ich dachte, ein anderes Herz hat dich reingelassen?“

„Ja, das habe ich so gesagt. Aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte“, sagte sie. „Und mal abgesehen davon, ist es nicht großartig, in ein Herz gelassen zu werden? Und ist aber das wichtigste Herz deines Lebens nicht immer dein eigenes Herz? Wäre die Geschichte weniger großartig, wenn es dein eigenes Herz wäre? Manche sind mit anderen wesentlich nachsichtiger als mit sich selber. Wobei das natürlich nicht die ganze Wahrheit ist...“

„Nein, du hast recht. Erzähl weiter.“

Das nächste Mal im Herzen fand sich Hanna, als sie wieder aus dem Turm draußen waren. Sie hielt ein Notizbuch in den Händen, es hatte aber nur wenige Seiten und sie hatte keinen Stift.

„Was ist das für ein Geschenk vom Sternengucker? Ein Notizblock ohne Stift.“

„Das ist Noti“, sagte Blume Blu. „Ein sprechendes Notizbuch. Frage ihn.“

„Noti, wieso kriege ich so viele Hilfsmittel?“

„Du trägst sie bei dir. Das alles sind Lebewesen, die in deinem Leben eine Rolle gespielt haben.“

Sie wurden jäh gestört, von Hufgetrampel hinter sich, der Geruch von Pferden kam auf. Zwei Reiter, der eine blickte finster drein, der andere schwenkte seinen Hut. Elegante Reitanzüge in schwarz, edle Reithandschuhe. Alleine der Rechte hatte einen Säbel an der Hüfte hängen und dann sah man es genauer, seine Brust wurde durch einen metallenen Panzer geschützt.

Der andere aber hatte vor sich eine Art Rucksack, nur vorne, er war es, der sprach.

„Wer seid ihr?“, fragte er, während er die Melone lüftete. „Seid sicher, wir sind bewaffnet.“

„Wie?“, antwortete naiv Blu.

„Ich habe Papier und Stift. Das sind die schärferen Waffen… Nun?“

Sie stellten sich vor.

„Wir sind Agenten“, sagte der sprechende Reiter.

„Des Königs?“ fragte Hanna.

„Der Zeitung“, der Melonenmann lächelte breit. „Ich bin Agent-Redakteur. Mein weniger beredter Freund ist ähm Agent-Kämpfer. Wir sammeln Informationen, was im Herzen so passiert. Geben alle Arten von Gefühlen weiter.“

„An wen?“

„Ans Gehirn, ähm. An wen denn sonst?“

„Ihr habt also nur einen einzigen Leser?“ Hanna bemühte sich zu verstehen.

„Soviel ich weiß sind das Gehirn mehrere Milliarden Leser ähm“, der Redakteur schien etwas angegriffen, so energisch kam die Antwort. „Und an den ganzen Körper. Die Herzlage eines Menschen wird in seinem gesamten Körper reflektiert. Und uns ist ein Eindringling gemeldet worden. Sie, werte Dame.“

„Was wollt ihr wissen?“ fragte Hanna .

„Nichts. Niemand im Herzen will von irgendwas wissen. Das Wissen ist in sehr vielen Fällen der Feind vom Fühlen. Wer nicht fragt, wird nicht angelogen. Wir machen uns ein Bild.“

„Ihr schießt also Fotos?“

„Schon erledigt. Der Bericht ist auch schon geschrieben.“ Er drehte sich zum Kämpfer um. „Ich lasse Ihnen den Kämpfer da, ähm nur ohne Pferd. Ich reite dann, habe bald Redaktionsschluss.“

„Im Herzen gibt es Redaktionsschluss?“ fragte Hanna verwundert.

„Sicher nicht. Aber dieser Satz ist der Grund, warum ich diese Ausbildung ergriffen habe. Damit kann man alles beenden... Ich muss, ehe die Mondblüte anfängt. Außerdem bricht da hinten gerade ein Vulkan aus. Hüa.“ Und ritt fort.

Es donnerte und bebte und aller Aufmerksamkeit richtete sich der Richtung zu, in die der Redakteur gedeutet hatte und sahen am Horizont einen roten Schweif in die Höhe schießen.

„Noti, was bedeutet ein Vulkanausbruch in einem Herzen?“ fragte Hanna. „Ist das ein Herzinfarkt?“

„Ein Vulkan bricht aus, wenn Wut oder Eifersucht das Herz befällt. Die Asche ist mit Untergrundöl gemischt, mit Unterbewusstem. Untergrundöl sind entflammbare Ängste.“

„Meine Ängste sind also ausgebrochen“, Hanna verzog den Mund. „Diese Rosa ist mir ihre Wirkung nicht schuldig geblieben.“

Und da war die Aschewolke auch schon da. Kleine schwarze Flocken fielen herunter.

„Schnell, unter die Bäume“, sagte Blu.

Alle rannten sie hin, aber auch alle anderen hatten schon was abgekriegt. Blu machte nur noch „MMH“, ihr Mund war verklebt. Hanna nahm sie, putzte die Blüte an ihrem Hemd und versteckte die Blume. Die Intensität steigerte sich, zunehmend heiße Asche fiel herab und entfachte nach und nach auf der Wiese leichte Brände. Diese Wiese war zwar grün, aber gegen die Asche-Öl-Mischung war sie machtlos. Neben dem Wald floss ein Bach, kaum war der aus der Deckung heraus, platschte der Ascheregen hinein und tötete flussabwärts die Fische.

„Heilige Sch...“, stieß Hanna hervor. Aber sie hatte keine Zeit, denn von oben knackste es. Sie sahen alle zum Baum, die Blätter waren alle schon über und über mit schwerer öliger Asche. Die ersten Blätter konnten sich nicht mehr halten und fielen herab, im gesamten Wald. Dann schoss schon der erste Ast herab, dicht vor ihnen krachte er in den Bach. Heißes Wasser bespritzte sie, sie waren alle über und über mit Schlammwasser vermischt mit Asche-Öl. Dann krachte der nächste Ast herunter, der brannte dabei schon, war schon deutlich größer.

„Hoffentlich fängt der Baum nicht Feuer“, flehte Hanna. „Bitte, lieber Gott.“

Nach und nach sausten voll mit Asche bedeckte Äste herab, auf ihnen heiß dampfende Blätter. Der Kämpfer war nicht untätig, er holte aus seinem Rucksack ein Grammophon heraus, er schraubte den Hörtrichter ab und legte ihn über seinen Kopf, den er so eng an Hannas Kopf drückte, dass sie auch darunter passte.

Das war nicht zu früh, denn jetzt fing der Baum neben ihnen an zu brennen, die Wiese brannte auch schon lichterloh, das Feuer schwelte näher an sie heran.

„Wir stellen uns in den Bach“, sagte Hanna und schritt sogleich ans Ufer, das Wasser war schon heiß. Der Bach fing an zu dampfen.

„Ich wusste, diese Rosa ist ein ganz schlimmer Vulkan“, Hanna sah die brennende Wiese, Blumen flammten auf, die Bäume um sie herum brannten auch schon.

Aber dann hörte es auf. Die Wiese brannte nun nicht mehr so schlimm, das Feuer konnte sich auf der blühenden Fläche voller lebendem Grün nicht ohne große Kraft ausbreiten, die es jetzt nicht mehr hatte. Der schwarze Boden wurde an vielen Orten sichtbar, die Vegetation war auf großer Fläche zu großen Teilen ausradiert.

„Die Menschen tun den Leuten in ihrem Herzen einiges zumuten, die doch ihre Gäste sein sollten“, Hanna sah gedankenverloren die anderen zwei an. „Ich habe das bislang noch nicht so klar gesehen. Ich werde versuchen, das zu ändern.“ Und damit war Hanna wieder im Jetzt. Und war nach dem dösigen halbwachen Gefühl der Herzreise eingeschlafen.

Hanna im Herzland

Подняться наверх