Читать книгу Tauche tiefer, wenn du schon im Fettnäpfchen schwimmst - Paul Strohmaier - Страница 5
ОглавлениеKapitel 2
Nachdem ich geendet hatte, fühlte ich mich wohler. Wie es Linda beim Lesen meiner ganz privaten Tragödie ging, war mir relativ egal. Ich hatte sie geteilt, damit war mir schon geholfen. Nun konnte ich so halbwegs in Ruhe frühstücken und mich auf meinen Urlaub vorbereiten. Gedanken um einen neuen Job, den ich ja nun benötigte, verschob ich auf die Zeit nach dem Griechenland-Ausflug.
Ich traf Rick um elf Uhr am Flughafen, wo er schon auf mich wartete. Strahlend kam er mir entgegen, merkte aber sofort, dass ich ihm nicht viel Positives mitzuteilen hatte. „Schon wieder nicht?“, fragte er. „Nein“, antwortete ich kleinlaut und blickte zu Boden. „Mann! Du hast es drauf, Klausi! Beim nächsten Mal!“ Diese Nummer kannte ich doch schon. „Es wird kein nächstes Mal geben, Rickie. Weil es nur ein nächstes Mal geben kann, wenn es vorher überhaupt ein erstes Mal gegeben hat!“, schnauzte ich ihn an. „So schlimm gewesen?“ „Schlimmer. Es war ein Albtraum.“
Bei einem Aufmunterungs- und Vorurlaubsbierchen erzählte ich ihm die Geschichte, an deren Ende er aufsprang und mit der rechten Hand in der Luft herumfuchtelte. „So, genau so werden wir dem Didi die Eier abschneiden!“ Er sprang in die Luft, zog die Beine blitzschnell an und ließ seine Absätze auf den Boden krachen, dass sich alle im Flughafenrestaurant zu uns umdrehten. „Und so werden wir darauf herumspringen, bis nur noch Brösel und Schleim übrig sind.“ Ich musste grinsen, das war Rick, wie er leibte und lebte. „Was wir mit der Sabrina-Tussi machen, werd ich mir noch überlegen. Mir wird schon was einfallen.“ Da machte ich mir keine Sorgen, Rick fiel immer was ein.
Wir waren nun doch schon recht spät und beeilten uns zum Check-in-Schalter. Im Gedränge dort stieß Rick mit einer Frau zusammen. Er entschuldigte sich höflich, und da sah ich, was bei ihr zu passieren schien. Der Blick, den ich bemerkte, sprach Bände. Sie wollte sich zuerst wohl aufregen über den pöbelnden Jungen, aber dann verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln, ihre Augen wanderten über den Frauenversteher und blieben einen Augenblick zu lange auf ihm, als dass es mir nicht aufgefallen wäre. „Ist ja nichts passiert!“, meinte sie beiläufig, während sie versuchte, drei große Koffer gleichzeitig zum Schalter zu ziehen. „Wir können Ihnen doch helfen. Komm Klaus, du nimmst den roten, ich den schwarzen Koffer.“ Und bevor sie sich weigern konnte, hatte Rick den Koffer schon einige Meter verlagert. „Gibt’s ein Problem?“, fragte jemand hinter mir. „Nein, Schatz. Diese Jungs waren so nett und haben mir mit den Koffern geholfen.“
Ich drehte mich um und sah Rot. Viel Rot. Ich brauchte einige Gedankenlängen, um zu verstehen, dass das ein T-Shirt war. Der Körper, der in diesem Shirt steckte, war nicht gerade wenig trainiert, und der Kopf, der aus dem Kleidungsstück ragte, war so hoch oben, dass ich meine Hand vor die Stirn legen musste, um noch was zu erkennen. Der Koloss von Rhodos kehrte wohl in seine Heimat zurück. Und Rick hatte ihn anscheinend gerade ein wenig gereizt. Ich lächelte und zog den Schwanz ein, was mir gar nicht schwerfiel. Rick dagegen schüttelte dem Monster-Mann die Hand und entschuldigte sich noch einmal bei der Frau, an deren Hand ein Ehering glitzerte. Im Schatten des Riesen spielten seelenruhig zwei Mädchen, die wohl dazugehörten.
Oh Gott, hoffentlich bemerkt Rick nicht, dass die Frau verheiratet ist! Wenn ja, dann kann das nur böse enden!
An manchen Abenden hatte Rick es sich nämlich zum Ziel gesetzt, nur verheiratete Frauen aufzustöbern, das erhöhte laut ihm die Herausforderung. Diese seien härter zu knacken – die meisten zumindest, manche hätten in der Hinsicht ja gar keine Schale –, aber wenn man sie einmal geöffnet hätte, dann entlade sich eine sexuelle Explosion, die sich in der jahrelangen Eintönigkeit aufgestaut haben müsse. Rick wusste, wovon er sprach; der Abend, als er zum ersten Mal mehr oder weniger unabsichtlich diese Erfahrung machte, ist mir noch sehr gut in Erinnerung.
Wir hatten uns an einem Samstagabend in die Provinz aufgemacht, um Freunde und ein Zeltfest zu besuchen. Während Rick seine Runden drehte, hatte ich es mir mit unseren Freunden an der Theke bequem gemacht. Er suchte nach hübschen Mädels, die sich irgendwo in diesem Zelt wohl versteckt haben mussten. Inzwischen unterhielt ich mich mit unseren Kumpels und den unerwartet doch recht amüsanten Eingeborenen. Einer davon war besonders auffallend, da er alle vorbeirauschenden Frauen um ihre Oberweite befragte. Er wurde von jedem Wesen ignoriert, brüllte aber immer hinterher, dass alles unter Körbchengröße C „nicht zum Anschauen wäre“. Alle rund um ihn amüsierte das furchtbar.
Erst als mir erklärt wurde, dass dies der einzige Priesterseminarist der Ortschaft war, wurde mir klar, warum sich viele Menschen junge Priester wünschen. So ein Pfarrer haucht dem ganzen Gefasel doch wieder Leben ein. Wenn man dauernd in der Wüste lebt wie so ein Mann, dann kann man sich doch in einer Oase nicht mit dem Trinken zurückhalten! Da könnte ich doch auch glatt wieder zum Katholiken mutieren.
Nach zwei Stunden kam Rick atemlos, mit zerrissenem Hemd und verfolgt von einer etwa dreißigjährigen Trachten-Tante, an die Bar und flehte darum, endlich nach Hause zu fahren. Ricks Saat war hier wohl auf äußerst fruchtbaren Boden gefallen, denn die trachtige Dame war zu allem bereit. Sie zerrte und zog an dem Armen, dass das Zusehen Freude machte, sie hatte an dem Abend wohl Ausgang, denn ihr Mann passte auf die drei kleinen Kinder auf, wurde uns erzählt. Augenscheinlich wollte sie ein viertes folgen lassen, zumindest hätte sie gern die notwendigen Übungen dazu erledigt.
Diesmal ließ ich Rick ein wenig zappeln. Obwohl er bettelte, hatte ich alle Zeit der Welt. Während er sich ihrer Küsse und zärtlichen Ganzkörper-Streicheleinheiten kaum erwehren konnte, musste ich mal in Ruhe mein Getränk leeren und freute mich insgeheim über diesen Terroranschlag.
Seither will er gar nicht mehr auf Zeltfeste, er hat wohl Angst, dass ihn die Landmädels fertigmachen könnten. Dabei habe er der Frau damals nur ein paar Komplimente gemacht wie: „Du siehst wirklich sehr gut aus!“ oder „Wenn ich dir beim Tanzen zusehe, fühl ich mich wie im Himmel!“, erzählt er immer wieder. Dass die dermaßen darauf abfuhr, konnte er ja nicht ahnen. Die war schlimmer als der unverwüstliche Hulk in einer wilden Phase. Seither weiß er, dass man verheirateten Frauen gegenüber mit Komplimenten vorsichtig umgehen muss, denn die seien das nicht gewohnt. Verheiratete Frauen kriegen keine Komplimente, zumindest nicht von ihren Ehemännern. Da kann es schon vorkommen, dass einer dann diese Schmeicheleien zu Kopf steigen.
Seine Wirkung auf Frauen war aber unverkennbar und für mich nicht zu erklären. Er war natürlich ein sehr gut gebauter junger Mann und auch nicht unhübsch, aber so viel attraktiver als mich fand ich ihn auch wieder nicht. Trotzdem konnte er beinahe jede rumkriegen.
Einmal hatte er eine für ihn schon lange Affäre mit einer achtunddreißigjährigen, auch verheirateten Frau, die er in der Gemüseabteilung eines Supermarktes kennengelernt und angesprochen hatte. Rick hatte die letzte frische Gurke ergattert und war gerade dabei, zur Kasse zu schlendern, als diese gut aussehende Brünette auftauchte und ebenso Gurken kaufen wollte. Es war keine mehr da. Sie zeterte und schimpfte, dass sie erst jetzt zum Einkaufen käme, dass man in diesem Scheißladen aber auch gar nichts bekomme.
Rick hörte sich das Gejammer an, fuhr zu ihr, stellte seinen Einkaufswagen neben den ihren und meinte: „Hallo! Sie können gern meine Gurke haben! Ich brauche sie nicht so dringend wie Sie.“
Diese Aussage brachte die Wütende so sehr zum Lachen, dass sie auf Ricks Frage (in der Wurstabteilung etwa drei Minuten später), ob sie nach dem Einkauf einen Kaffee oder etwas anderes trinken wolle, spontan mit Ja antwortete. Dieses Spiel konnte Rick wirklich gut, nicht umsonst war er der Meister.
Über mehrere Wochen hatten die beiden ein Verhältnis, Rick schwärmte von ihren Fähigkeiten, bis ihr Mann davon Wind bekam und sie das Ganze beendete.
Mich wundert ja, dass Rick noch nie irgendein Problem mit einem Freund, Verlobten, Ehemann hatte. Er scheint sich immer wunderbar aus der Affäre ziehen zu können.
Mein Freund war wohl das beste Vorbild, das man(n) haben konnte. Aber ganz so wie er wollte ich auch nicht sein. Natürlich liegt es in der Natur des Mannes – das sagte uns schon unsere Biologielehrerin –, möglichst viele Frauen zu beglücken, um das Überleben der Art sicherzustellen. Aber Rick betrieb da ja schon Leistungssport, mit seinem Frauenverschleiß konnten wahrscheinlich nicht einmal die Chippendales mithalten, und die waren doch, wenn ich mich nicht täusche, zu fünft.
So wollte ich nie sein, mir schwebte eine harmonische, erfüllte Partnerschaft vor mit einer Frau, die nicht nur meine Frau, sondern auch meine Seelenverwandte und beste Freundin sein sollte. Da ich auch nicht wählerisch war, hatte ich keine großen Vorstellungen von ihrem Aussehen. Ich meine, sie sollte zwei Augen besitzen (Rick hatte mal was mit einer Frau mit Glasauge, uuh), mindestens dreißig der zweiunddreißig Zähne (und die fehlenden nicht unbedingt im Schneidezahnbereich) und so gut kochen können wie Mama. Alles andere würde ich mir dann schon noch ansehen. Es war so wie beim Essen, wie Mama immer sagte. Ich hab schon als Kind immer alles, was mir vorgesetzt wurde, mit Freude und Hingabe aufgegessen. Ich war nie ein Essensverweigerer, ein Kostverächter.
Ein Gedanke an gestern Abend durchzuckte mich und kalter Schweiß brach aus. Aber auch der Riese vor mir brachte mich zum Schwitzen, denn er hatte sich jetzt an mir vorbeigeschoben und mit einer einzigen leichten Handbewegung die anderen zwei Koffer um mehrere Meter nach vorn katapultiert. Seine Frau schmiegte sich an ihn, während sie Rick mit einem vielsagenden Blick anlächelte. Ob er den Ehering entdeckt hatte, kann ich nicht sagen.
Eine Stunde und viele Aufforderungen Ricks, endlich doch noch was zu trinken, später saßen wir endlich im Flugzeug. Mir war heute nicht nach Trinken, ich wollte nur in Ruhe im Flieger sitzen, mich entspannen und das gestrige Erlebnis vergessen. Rick dagegen befand sich bereits im Urlaub, was für ihn hieß, dass er Unmengen an Alkohol in sich reinschüttete und auf der Jagd war. Die Stewardessen waren logischerweise für ihn am verlockendsten. Bis zur Landung ergatterte er drei Telefonnummern, eine davon war die des Stewards Ralf.
Während Rick wie immer seinem schönsten Hobby nachging, versuchte ich ein wenig Klarheit in mein Leben zu bringen und darüber nachzudenken. Mit einem Mal erkannte ich die immer gleichen Muster, die mein Leben beherrschten, und mir fielen lang vergessene und verdrängte Ereignisse ein, die dieses wiederkehrende Verhalten eindrucksvoll bestätigten.
Mit siebzehn war ich wieder einmal verliebt – Bea liebte ich soundso, aber sie antwortete auf meine Briefe nicht und war vergeben – und nach Monaten des Zuwartens nahm ich all meinen Mut zusammen und bearbeitete Rick, ob er sie nicht für mich fragen könne.
„Was soll ich sie denn fragen?“ „Na ja, was schon? Ob sie mit mir …“, ich zögerte. „Mit dir poppen will?“, feixte Rick. „Du Trottel! Nein, ob sie mit mir einmal was trinken möchte.“ Rick trottete hin und ich wartete sehnsüchtig auf Antwort. Diese schlug ein wie ein Blitz, sie hatte zugesagt.
Am nächsten Tag saß ich eine Stunde zu früh im Lokal, in dem wir uns treffen sollten, und versuchte ein perfektes Ambiente zu schaffen. Ich freute mich so sehr, als sie endlich eintraf, nur ihre beste Freundin hätte sie zu Hause lassen können. Das Auftauchen zweier Mädels brachte mich so aus der Fassung, zerstörte meine Pläne so sehr, dass ich gleich einmal, quasi zur Entspannung, zwei weiße Spritzer für mich bestellte. Die Mädchen schauten ein wenig entgeistert, aber es gelang mir klarzustellen, dass dies für mich ein normaler, eigentlich immer praktizierter Vorgang war. Sie bräuchten sich gar nicht zu fürchten, ich würde ihnen wegen zweier Getränke schon nicht vor die Füße kotzen. Geküsst wurde ich an dem Tag dann doch nicht, obwohl ich mir ziemlich sicher gewesen war; die beiden hatten nach zwanzig Minuten plötzlich einen wichtigen Termin, mir blieb zumindest noch ein Spritzer, der mich tröstete.
Und nur wenige Wochen später, das vorletzte Schuljahr meiner Karriere war noch nicht zu Ende, probierte ich mein Glück bei einem anderen süßen Mädel. Auf Ricks Tipp hin hatte ich versucht, jedes Mal, wenn ich sie sah, zu flirten – mit meinen Blicken, denn sie anzusprechen, wagte ich nicht. Also schaute ich sie durchdringend an, wenn ich sie sah, schwieg aber. Das wirkte Wunder, sie war schon ganz scharf auf mich, da war ich mir sicher.
Und an einem Freitag sollte es passieren, ich würde sie ansprechen. Rick stärkte mir den Rücken, hielt mir sprichwörtlich die Stange, als ich um 7.30 Uhr am Busbahnhof stand und auf ihre Ankunft wartete. Sie stieg endlich aus dem Bus, ihre langen Haare kräuselten sich im Wind, und als sie mich erblickte, schien ein Lächeln über ihr Gesicht zu huschen. Mit zitternden Knien näherte ich mich ihr, sah sie an und fragte mit unsicherer Stimme: „Hallo. Magst du mit mir gehen?“ Sie blickte mich verwirrt an und antwortete, ohne zu zögern: „Nein!“
Was hatte ich Idiot denn jetzt wieder getan? Ich wollte sie eigentlich nur fragen, ob ich sie zur Schule begleiten dürfe. „Ich meinte … ich wollte … nur fragen, ob ich dich zur Schule bringen darf“, stammelte ich verlegen. „Wenn du meinst!“, war ihre vielsagende Antwort. Schweigend stapften wir nebeneinander bis zum Schulgebäude. Sie hat mich erst Jahre später wieder gegrüßt, unterhalten haben wir uns bislang nicht.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, ich wusste nun, was mein größter, mein einziger Fehler gewesen war, den ich jahrein, jahraus begangen hatte. Ich hatte gesprochen. Immer wenn ich den Mund aufmachte, verlor ich; schwieg ich, passierte zwar nichts, aber das war besser, als blamiert zu werden. Ab nun würde ich nie wieder meinen Mund öffnen und einer Frau sagen, was ich für sie empfand. Nie wieder. NIE WIEDER! Das beschloss ich, als wir uns gerade im Landeanflug auf Heraklion befanden.
Die drückende Hitze am Rollfeld warf mich beinahe um, schlimmer aber war die Nachricht, die nach dem Abholen der Koffer folgte. Rick und ich hatten, um Geld zu sparen, eine Roulette-Buchung vorgenommen. Das heißt, wir wussten, in welchen Ort wir verreisten, aber nicht in welches Hotel. Die Typen von der Reisegesellschaft hatten wirklich ganze Arbeit geleistet, das muss man ihnen lassen. So viel Gefühl für die Kundschaft muss man erst einmal aufbringen. Wie kann es sonst passieren, dass man zwei fünfundzwanzigjährige Single-Männer in einen All-Inclusive-Family-Club einquartiert? Das war in etwa so, als würde man den Teufel zwingen, bei einem dreistündigen päpstlichen Ostergottesdienst in der ersten Reihe knien zu müssen. Ich regte mich fürchterlich auf und schnauzte die Reiseleiterin Tina mächtig an.
Sie blieb wirklich cool, das muss ich zugeben – wahrscheinlich kamen solche Szenen öfter vor. Rick drängte mich nach einigen Minuten einfach zur Seite und raunte mir zu: „Verdammt, halt endlich die Klappe. Dort gibt’s sicher ’ne Menge scharfer Hasen, die aufgerissen werden wollen.“ „Ja! Ganz sicher. Neben dem Aufbewahrungskämmerchen für die vollgekackten Windeln ist das Fremdgänger(innen)zimmer. Dort kann man von 9–15 Uhr gratis buchen. Wer mag, findet sich einfach zu jeder vollen Stunde vor der Tür ein, dann gibt’s die Pärcheneinteilung. Hinterher muss man nicht einmal putzen!“, fauchte ich zurück. Rick grinste nur und fragte Tina, wann und wie sie denn erreichbar wäre, falls einmal irgendwelche Fragen auftauchen würden.
Sie käme zweimal die Woche im Klub vorbei, ihre Nummer sei an der Rezeption angeschlagen, man könne sie in Notfällen Tag und Nacht anrufen. „Dann könnte ich dich also auch um 23 Uhr anfunken und auf einen Drink an der Poolbar einladen?“, schäkerte Rick, während ich vor Wut meine Fäuste in den Hosentaschen ballte. „Könntest du!“, war ihre vielversprechende Antwort. „Ahh – ich raste gleich aus.“
Gott sei Dank durften wir dann unser Gepäck verladen. Ein Bus brachte uns zum Hotel. Der Koloss von Rhodos, seine Frau und die beiden Mädchen waren auch eingestiegen. Ob die im gleichen Hotel waren? Der Mann nahm neben dem Fahrer Platz, er hätte sich in keine Reihe quetschen können.
Diese Gelegenheit nahm Rick sofort wahr, er war wie ein Raubtier, das potenzielle Beute kilometerweit witterte. Ich versuchte, ihn diesmal zu ignorieren, obwohl mir sein Mut imponierte. Er musste den Oberarm dieses menschgewordenen Leuchtturmes wohl auch bemerkt haben. Dagegen sah mein Oberschenkel wie ein abgenagtes Hühnerbeinchen aus.
Minuten später hörte der ganze Bus die hübsche Verheiratete so laut lachen, dass der Riese sich umdrehte. Rick hatte wohl seine Pizza-Geschichte erzählt. Er war jahrelang als Pizzabote unterwegs gewesen und hatte so einiges miterlebt. Nach Monaten begann er seinen eigenen Stil der Zustellung zu entwickeln und hatte auch schon bald einige Stammbestellerinnen. Er war eben der „Bote, der oft kommt, aber meist mit kalter Pizza“ (Zitat Rick). Sein Chef wollte ihn gar nicht gehen lassen, als er sich nach drei Jahren etwas anderes suchte. Den Pizzafahrer, der täglich so viel Umsatz machte wie die anderen vier zusammen, konnte man doch nicht einfach so ziehen lassen. Er bot Rick ein Gehalt an, das wahrscheinlich sogar den Bundeskanzler gereizt hätte, seinen Job aufzugeben. Aber als der gute Mann von einem Vögelchen erfuhr, was Rick mit seiner Tochter so alles angestellt hatte, wäre er ihm am liebsten an die Gurgel gegangen.
Seither tat Rick das, was er tun wollte. Er war freischaffender Künstler. Was er dabei frei schaffte, weiß ich nicht. Wie er sich diesen Urlaub ohne ein wirkliches Einkommen leisten konnte, war mir auch schleierhaft.
Murrend bezog ich mit Rick unser Doppelzimmer, vom Balkon aus konnte man wunderbar über den Pool mit den kreischenden Kindern blicken, an dem sich schwangere Frauen und Männer, die genauso schwanger aussahen, tummelten. Jetzt war ich in Trinkstimmung, Tina hatte nämlich erklärt, was eine Umbuchung unseres dreiwöchigen Urlaubes ausmachen würde. Da war ich dann kleinlaut von dannen gezogen.
Rick warf sich aufs Bett und öffnete sein Not-Bier, das er brüderlich mit mir teilte. „Auf einen tollen, erfolgreichen Urlaub!“, prostete er mir zu. Er hatte recht, warum sollte ich Trübsal blasen? Das Leben ging weiter, der Urlaub war zwar überhaupt nicht so eingeleitet worden wie geplant, aber das war nun nicht mehr zu ändern. Also spülte ich das warme Dosenbier runter und war nach einer erfrischenden Dusche bereit für Eroberungen.
Rick stimmte sich auf den Abend damit ein, dass er den Stewardessen (ob unser Steward Ralf da auch dabei war, weiß ich nicht) SMS sendete, um sie für später zu checken. Malia, das Partymekka auf Kreta, war nur einen Steinwurf entfernt, wir würden aber auch ohne Flugbegleitung auf alle Fälle auf unsere Kosten kommen. Ich war mir da nicht so sicher. Schlimmer als am letzten Abend konnte es mir jedoch auf Kreta ja wohl nicht ergehen.
An der Poolbar gönnten wir uns unsere ersten Cocktails, die wirklich verdammt gut waren, und überprüften mal die Frauenlage. Rund um uns waren nur Pärchen, ob verheiratet oder nicht, war nicht immer leicht zu erkennen. Rick meinte, dass die, die besonders energisch stritten, sicher für immer verbunden waren. Ich dachte an meine Eltern und konnte ihm nur zustimmen. Das sah nicht gut aus für Ricks Urlaubspläne, zumindest in diesem Familienklub war wahrscheinlich nicht allzu viel zu holen.
„Hallo Rick!“, flötete eine Stimme hinter uns. „Ah, hallo Sonja!“ Die Frau des altertümlichen Weltwunders stand lächelnd da. „Ich hab mir gedacht, dass du dich hier aufhalten wirst.“ „Weißt eh, ich muss ja überprüfen, was die griechischen Cocktails so hergeben. Das ist übrigens Klaus, der Kumpel, mit dem ich hier gemeinsam Urlaub mach.“ Wie nett, er stellte mich vor, obwohl ich ja schon im Flughafen dabei gewesen war. Ich schüttelte ihre Hand und überlegte, wie sich das wohl anfühlen würde, wenn ihr Ehemann da mal so richtig kräftig zudrückte.
„Ich muss ja schon wieder weiter, die Familie wartet …“ Weg war sie. „Verdammt Rick, pass lieber auf. Ich meine, ich will jetzt nicht klingen wie ein Pfarrer, aber bei der wirst du dir die Finger verbrennen. Bei der werden dir die Finger gebrochen werden – von dem Bizepsmonster-Ehemann.“ „Ich weiß!“, antwortete er und schlürfte seinen Caipi aus. „Hast du ihren Hintern gesehen?“ „Hab ich … Rick, geht’s dir gut?“ „Blendend! Kreta ist super, dieser Klub ist das Beste, was uns passieren konnte. So viele frustrierte Frauen habe ich ja noch nie auf einem Haufen gesehen. Das gibt fette Beute!“ Er musste meinen ungläubigen Blick wohl bemerkt haben, denn er erklärte: „Den ganzen Tag die lästigen, nervigen, alltäglichen Kinder, den lästigen, nervigen, alltäglichen Ehemann vor der Nase – das schreit gerade im Urlaub nach Abwechslung. Da musst du einhaken. Das musst du sein, die Abwechslung. Lieb und nett zu sein, ist zwar toll und wirklich ehrenwert, aber wenn du nicht die Abwechslung, nicht das Abenteuer bist, hast du keine Chance. Also, wenn du in den kommenden drei Wochen den Elfmeter verwerten willst, wenn du dein Rohr mal endlich verlegen willst, dann sei ein Abenteuer, sei genau das, was diese Frauen jetzt brauchen. Nicht alltäglich. Nicht normal. Außergewöhnlich.“
Ich überlegte lange. Hatte er recht? Ich meine, neben Rick, der flippig und ultramodern gekleidet war, sah ich aus wie aus dem Versandhauskatalog. Viel schlimmer – wenn er ein Designermöbelstück war, dann war ich der Schuhschrank vom Schreinermeister Eder (mit ein wenig Pumuckl darin). Das Schränkchen, das nur gebaut worden war, um alte, stinkende, schweißige, nicht mehr benutzte Schuhe aufzubewahren. Rick hingegen wurde gebraucht, um nicht nur das Auge, sondern auch den Frauenkörper zu verwöhnen.
Hin und wieder war er richtig philosophisch, mein bester Kumpel. Auf diese Erkenntnis hin mussten wir uns noch zwei Caipirinhas eingießen, dann verließen wir den Familienklub, um uns mal in Malia umzusehen. Der Ort selbst hatte nicht viel zu bieten, aber an allen Ecken und Enden gab es Klubs, Diskotheken und Lokale. Wie oft wir mit „Hello, my friend!“ zu einem Gratis-Ouzo eingeladen wurden, habe ich vergessen mitzuzählen. Wir hatten doch einige. Irgendwann mitten in der Nacht tauchten dann plötzlich die zwei Stewardessen auf, die Rick kontaktiert hatte. Wir hätten Glück, denn normalerweise müssten sie immer am selben Tag zurückfliegen, nur heute wäre irgendwas mit der Maschine, so könnten sie eine Nacht hierbleiben. Der Abend war gerettet.
Wir tranken, feierten und tanzten beinahe die ganze Nacht. Rick kümmerte sich um Marie, während ich mit Laura scherzte. Das Schöne daran war, dass wir uns immer mehr näherkamen, je später der Abend wurde. So gegen vier Uhr früh klagte sie darüber, dass sie um acht Uhr schon wieder aufstehen müsse und deswegen jetzt gern nach Hause gehen würde. Ihr Hotel sei gleich in der Nähe, ob es mir was ausmachen würde, sie zu begleiten. So spät in der Nacht wäre frau immer ein wenig unsicher. Bei dieser Frage spürte ich eine sanfte Regung in meiner Beckengegend. Würde es mit vierundzwanzig Stunden Verspätung passieren? Hatte ich heute alles Glück dieser Welt?
Mit großer Freude und schmutzigen Hintergedanken erklärte ich mich bereit, sie zum Hotel zu bringen. Rick und Marie wollten noch nicht gehen. Arm in Arm schlenderten wir durch die dunklen Gassen, nach wenigen Minuten blieb sie stehen und meinte: „Da wären wir schon.“ Wir befanden uns vor dem schlecht beleuchteten Eingang des doch etwas schäbigen Hotels „Olympia“. Dass hier eine Stewardess abstieg, hätte ich nicht gedacht. Egal. Vollkommen egal. Es konnte jetzt nicht mehr lang dauern und ich würde den größten Schatz auf Erden erkunden dürfen. Endlich würde ich von meinen Qualen erlöst werden, endlich dürfte ich zum Mann werden. Allein im stillen Kämmerlein hatte ich das ja schon Hunderte Male durchexerziert, aber jetzt …
Mir stockte der Atem, als sie sich zu mir drehte, mich lächelnd ansah und mir dann ganz nahe kam. Sie küsste mich auf die Wange und hauchte in mein Ohr: „Danke für den tollen Abend, es war wirklich lustig mit dir. Gute Nacht!“
Noch ehe ich reagieren konnte, war sie im dunklen Hoteleingang verschwunden. Meine Pechsträhne hatte sich ein weiteres Mal verlängert. Verdammt. Shit. Es war doch immer dasselbe. Ich wollte brüllen, aber kein Ton verließ meine Kehle, so ein Scheiß!
Gott sei Dank, ich hatte meinen iPod eingesteckt, so war ich wenigstens musikalisch versorgt, wenn schon sonst nichts ging. Auch der viele Alkohol dämpfte die Tristesse ein wenig, das war gut.
Gut wäre es auch gewesen, wenn ich mehr auf den Weg geachtet hätte, denn zu unserem Hotel zurück fand ich erst nach langem Suchen. Auch die Taxifahrer kannten diesen neuen Familienklub noch gar nicht. Als ich gegen 5.30 Uhr endlich vor dem Zimmer stand und mich niederlegen wollte, fand ich die Tür versperrt vor. Wir hatten an der Rezeption energisch zwei Schlüssel verlangt, das wäre ja zu viel verlangt gewesen, wenn wir wie ein Ehepaar nur einen Zimmerschlüssel erhalten hätten. Nach langen Diskussionen war das Rezeptionsmäderl so weit gewesen, dass es uns zwei Schlüssel aushändigte. Und jetzt steckte ich meinen Schlüssel ins Schloss, aber die Tür ließ sich nicht öffnen. Ich klopfte. Nichts. Keine Reaktion. Rick war wahrscheinlich noch nicht da, Marie sicher nicht so verklemmt wie Laura. Was sollte ich jetzt tun? Die Rezeption war menschenleer; ich könnte Tina, die Reiseleiterin, anrufen. Die hatte doch gemeint, man könne sie bei Notfällen jederzeit kontaktieren. Außerdem wäre das eine wunderbare Rache für die sauteure, unerschwingliche Umbuchung.
Ich setzte mich hin, lehnte mich gegen die Tür und holte mein Handy heraus. Ach ja, ich hatte ja keine Nummer von ihr. Da müsste ich noch einmal aufstehen und zur Rezeption. Mir kam es so vor, als hätte ich ein Geräusch aus unserem Zimmer gehört. Ich lauschte. Ja, das war nicht falsch gewesen, da drinnen war jemand. Und dann hörte ich leises Seufzen, das einem Rhythmus folgte und langsam lauter wurde. Na super. Rick und Marie. Wenigstens hatte mein Kumpel eine Nummer. Ich setzte mich wieder hin. Das durfte doch nicht wahr sein. Was war das jetzt? Die schwarze Woche? Die Glaub-an-dein-Glück-Entziehungskur?
Nicht einmal im Urlaub hatte ich so viel Schwein, nicht einmal im beschissenen Griechenland durfte ich landen. Und was machte Rick? Versaute mit der Stewardess Marie das Bett, während ich hier draußen saß. Ricks Glück verfluchend und ihm mal ein ähnliches Schicksal wünschend, legte ich mich wie ein Haushund vor die Tür, hörte leise Musik und versuchte zu schlafen.
Marie weckte mich, als sie gegen halb acht die Tür aufriss und über mich stolperte. Sie schien es eilig zu haben, da sie sich nicht einmal entschuldigen konnte. Ich kroch hundemüde und verkatert ins Zimmer, Rick schnarchte auf seiner Seite und ich wälzte mich auf meine – mir war es vollkommen egal, was da in den Stunden zuvor gespielt worden war.
Gegen drei Uhr erwachte ich, mein Kopf fühlte sich an, als wäre er in einem Schraubstock gefangen. Der Durst war riesengroß. Vollkommen verdattert setzte ich mich auf, während Rick schon fröhlich pfeifend durchs Zimmer tänzelte.
„Ah, da ist er ja. Der U-Boot-Kapitän. Hast was versenkt in der Nacht?“ „Haha, sehr witzig. Bin mit einem Bussi auf die Wange nach Hause geschickt worden.“ „Scheiße. Heute Abend versuchst du es wieder. Es wird schon hinhauen, du darfst dir nur nicht zu viel Stress machen.“ Rick, der große Philosoph. „Weißt du was? Lass mich einfach mit dem Scheiß in Ruhe. Ich will davon nichts mehr hören. Ich bin jetzt fünfundzwanzig Jahre wunderbar ohne Frau ausgekommen und das werde ich auch noch in den nächsten Tagen und Wochen, Monaten und vielleicht Jahren!“, herrschte ich ihn an.
Er blickte mich irgendwie überrascht an und meinte: „Du bist verkatert, du brauchst mal ein Frühstück, dann sehen wir weiter.“ Ricks gute Laune und sein unzerstörbarer Optimismus verleideten mir das Aufstehen. Hunger hatte ich wohl, außerdem war mein Durst unerhört mächtig. Also stand ich langsam auf, quälte mich ins Bad und war nach wenigen Minuten fertig, um das Büfett zu plündern. Vielleicht gab es sogar noch Frühstück?
Das war ein Wunsch gewesen, denn um 15.30 Uhr gab es natürlich nicht allzu viel. Rick überredete mich zu einem richtigen Katerfrühstück und wir gönnten uns ein Wiederherstellungsbier.
Die Sonne strahlte vom Himmel und wir machten nach einem kleinen Snack eine Runde durch die Anlage. Vor dem großen Pool, den wir von unserem Zimmer aus beobachten konnten, mühten sich mehrere Animateure, aus den wurstigen Touristen durchtrainierte Aqua-Jogger zu formen. „Die ist doch süß“, raunte Rick mir zu und zeigte auf eine kleine, blonde Animateurin. „Stimmt, die ist süß.“ „Also, worauf wartest du?“ „Ich hab es dir schon gesagt, ich will nichts mehr davon hören. Ich will nur meine Ruhe haben.“ „Okay, okay. Ich hab schon verstanden. Man kann ja niemanden zu seinem Glück zwingen.“ Rick sprang in den Pool und baute sich wenige Meter vor der kleinen Blonden auf.
Ich hingegen schlenderte durch den Klub, beobachtete die Kinder beim Spielen – es war herrlich, ihnen zuzusehen, wie sie sich über die geringsten Kleinigkeiten freuen konnten – und schaffte es endlich auch ans Meer. Dort setzte ich mich unter einen Sonnenschirm und blickte einfach auf die See. Zwischendurch versuchte ich die Wellen zu zählen, es steht ja geschrieben, dass jede siebente davon irgendwie anders sein soll. Mir wäre da nichts aufgefallen. Vielleicht war ich aber auch noch nicht ganz nüchtern.
Irgendwann tauchte Rick auf. „Ach, hier bist du. Ich hab dich schon gesucht. Ich würd jetzt gern mal essen. Kommst mit oder bleibst noch sitzen?“ War es schon so spät? Wie lange war ich denn hier gesessen? Der Hunger meldete sich ganz plötzlich und richtig vehement. „Gute Idee. Ich hab ja eh schon einen Riesenhunger.“
Beim Abendessen war es richtig laut. Da konnte selbst Metallica oder Motörhead bei einem Livekonzert nur schwer mithalten, denn die Kleinen machten einen Lärm, das konnte man sich als Nicht-Kleinkind-Erprobter überhaupt nicht vorstellen. Der einzige Unterschied war, dass man am Ende der Büfettschlacht wenigstens kein Pfeifen in den Ohren hörte. Danach setzten wir uns an die Bar und gönnten uns mehrere Cocktails. Das war richtig gut, das sollte eine tägliche Gewohnheit werden. Nicht nur im Urlaub, sondern überhaupt immer. Ich bin mir sicher, dass es auf der ganzen Welt viel weniger Krieg gäbe, wenn die Menschen mehr Cocktails trinken würden.
„Da sind die zwei Single-Männer, die im Familienklub urlauben!“, unkte eine männliche Stimme hinter uns, die ihren österreichischen Dialekt nur schwer verbergen konnte. Wir drehten uns um. „Hi. Ich bin Steve.“ Ein Animateur. „Rick.“ „Klaus.“ Irgendwie störte der Typ. Er erinnerte mich an den einen Animateur im Film „Popitz“, an den jungen Blonden, der die Dreizehnjährige aufreißen will. „Wisst ihr, so was macht im Klub immer ganz schnell die Runde, denn das ist doch eher selten. Aber manche Frauen warten ja nur auf die Ankunft von Unvergebenen.“ Rick grinste, er hatte einen Bruder im Geiste gefunden, das war ihm sofort klar geworden.
Wir betranken uns gemeinsam, das war dann doch recht lustig, weil Steve die verschiedensten Geschichtchen und Schwänke aus seinem Animateur-Alltag erzählte. Als Achtundzwanzigjähriger hatte er schon beinahe alle verschiedenen Klubs und Ferienanlagen durch, nur im Swingerklub hatte er noch nie animiert. (Das muss wohl sein bester Gassenhauer gewesen sein.)
Plötzlich drehten sich alle in Richtung Tür. Sonja, ihre Kinder und ihr Ehemann, der den gesamten Türrahmen in der Höhe ausfüllte, betraten den Raum. Sie lächelte Rick an und winkte ihm verstohlen, während der Göttergatte sie an der Hand nahm und zu einem weitab gelegenen Tisch führte.
„Die kriegst du niemals!“, meinte Steve. „Was wollen wir wetten?“, konterte Rick. „Da hast du keine Chance, die ist mindestens zwei Nummern zu groß für dich.“ „Was wollen wir wetten?“ Rick klang zornig, Steves Aussage hatte ihn herausgefordert.
„Ich wette, dass ich sie aufreiße, während ihr Mann dich zu Kleinholz verarbeitet.“ Der Animateur legte nach. „Na sicher, hundertprozentig.“ Da braute sich was zusammen. Lakonisch warf ich ein: „Wieso macht ihr denn nicht überhaupt einen Wettbewerb, wer mehr Frauen rumkriegt? Das wäre einmal eine Herausforderung!“
„Da bin ich sofort dabei!“, rief Steve. Auch Ricks positives Echo ließ nicht lange auf sich warten. Ich latschte kopfschüttelnd und grinsend auf die Toilette. Als ich zurückkehrte, hatten die beiden das Prozedere schon ausgehandelt. Sie mussten mir sogleich ihre Beschlüsse mitteilen. So ähnlich müssen sich Journalisten fühlen, wenn Politiker irgendwann mal was beschlossen haben und dann unbedingt alles erzählen wollen.
Die Regeln besagten, dass es im Grunde keine Regeln gab. Alles war erlaubt, die Mädels mussten über achtzehn sein und als Beweis sollte ein oder mehrere Fotos dienen, die mit dem Handy während des Liebesakts geschossen worden waren. Heute Abend sollte es losgehen und über die nächsten zwei Wochen andauern. Wer dann mehr Frauen ins Bett bekommen hätte, würde einen ganzen Abend lang außerhalb des Klubs vom anderen mit Getränken versorgt. Das war hart, denn das konnte richtig teuer werden.
Rick hatte auch für mich eine freudige Nachricht. „Du, Klausi, bist unser Schiedsrichter, du darfst dir jedes Foto ansehen und bestimmen, ob du es zählst oder nicht. Ist das nicht geil?“ „Ich habe mein Leben lang auf nichts anderes gewartet. Das ist die Krönung meines Daseins!“, seufzte ich.
„Wieso soll der Schiedsrichter sein? Das ist unfair! Der manipuliert doch sicher!“ Steves Reaktion konnte ich sogar verstehen, das war doch wirklich naheliegend. „Wartet mal! Bin gleich wieder hier“, maulte er und verschwand. Nur wenige Minuten später kam er mit einem Mädel zurück – der kleinen, hübschen, blonden Animateurin. Die sah ja wirklich auch aus der Nähe süß aus, nicht nur von der Ferne.
„Das ist Lina, meine Freundin. Sie wird das Ganze auch überwachen!“ Rick, der gerade einen Schluck gemacht hatte, spuckte viel von dem Cocktail auf den Boden. Ich stand verdattert da. „Hast du gerade gesagt deine Freundin? Und die würde Schiedsrichterin spielen?“, fragte ich zögerlich.
Steve grinste: „Na klar. Das macht meinem Schatzi nichts aus. Stimmt’s?“ Lina grinste ein wenig und nickte. Ich denke, sie war entweder extrem betrunken oder auf irgendwelchen Drogen. So was gibt’s doch nicht!
„Steve hat mir sein Herz geschenkt, das reicht mir. Was er mit seinen anderen Organen und Körperteilen anstellt, geht mich nichts an“, sprach sie schließlich. Coole Einstellung, das gefiel mir irgendwie. Vielleicht war sie mit ihren Körperteilen genauso offen und frei, ihr Herz brauchte sie mir nicht zu schenken, denn das interessierte mich nicht.
Also zogen wir zu viert los und schon in der ersten Bar verließen uns die Wettkämpfer, um nur keine Zeit zu verlieren. Da saß ich nun mit Lina allein am Tisch und konnte nur an die Körperteil-Aussage denken. Wir tranken schweigend, bis ich mir genügend Mut angetrunken hatte, um sie zu fragen.
„Ich finde, du nimmst das sehr locker. Ich meine, dein Freund macht eine Aufriss- und Sex-Wette und du spielst da auch noch mit.“ „Hab ja schon erklärt, dass er mir sein Herz geschenkt hat – das reicht mir.“ Sie klang gar nicht locker, das überhörte ich. „Dir macht es nichts aus, wenn er in fremden Töpfen stochert?“ Wollte ich sie provozieren? Warum stellte ich diese Fragen? Eigentlich wollte ich ja auf ganz was anderes hinaus. Sie schwieg, aber man sah, dass sie sich innerlich quälte.
„Bist du eigentlich auch so locker wie Steve?“ „Wie meinst du das?“ „Na ja, hast du ihm dein Herz geschenkt und nichts dagegen, deinen Körper auch anderen Männern zum Verzehr zu gönnen?“ Ich hatte lange überlegt, wie ich diesen Satz über die Lippen bringen könnte, und ich finde, er war mir gut gelungen. Der Inhalt passte und er war schön verpackt. Wozu die Arbeit in der Werbeagentur doch gut war!
Nur die eifersuchtsfreie Lina schien ihn nicht zu verstehen. Wahrscheinlich war sie doch auf Drogen. Sie sah mich auf eine Art und Weise an, die mich an die Schafe erinnerte, die meine Oma mal gehalten hatte. „Määh.“ Anstelle von Mäh gluckste sie ein „Hä?“. Ich musste direkter werden. Nach einem kurzen Zögern – eine Animateurin wird das schon aushalten, eine so hübsche Animateurin muss sich ganz sicher jeden Tag sehr viele sexuelle Anspielungen anhören – legte ich ein wenig nach: „Ich wollt nur wissen, ob du wie dein Freund auch gern auswärts isst.“ Schafsblick. „Ob du deinen See auch für fremde Taucher öffnest. Ob du auch fremde Golfer über deinen heiligen Rasen wandeln lässt.“ Verdammt, der Alkohol machte mich ja richtig lyrisch und mir fiel ein Gedicht von Novalis ein, das von einem Quellchen handelte, in dem ein junger Mann sein Flämmchen kühlen wollte. Lange war das her, dass ich das gelesen hatte. Mein Deutschlehrer hatte immer so von Novalis geschwärmt und ich hatte nie wirklich verstanden, warum. Jetzt wusste ich es.
Da sie noch immer nicht geantwortet hatte (ich nehme an, dass sie ihren Mund nur öffnete, um ihr Gehirn besser zu durchlüften), ging ich jetzt aufs Ganze: „Ich wollte ja nur fragen, ob du, während dein Freund versucht, so viele fremde Frauen wie möglich abzuschleppen … Ob du dir vorstellen könntest, mit mir Sex zu haben.“ Jetzt war es heraußen, ich fühlte mich irgendwie erleichtert, schämte mich aber trotz der knappen 1,8 Promille, die ich wieder einmal hatte.
Ihre Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. „Na klar. Können wir gern machen.“ Ihr Blick hatte sich um keinen Deut verändert. Sie sprach von Sex wie ein Schaf, dem frisches Almgras vorgelegt wurde. Määh. Trotzdem spürte ich, wie sich mein Blut in Richtung Becken aufmachte, so schnell – das war wie eine Megaklospülung in meinem Inneren. Flusch! „Gleich hier auf der Toilette oder magst ins Hotel zurück?“ Jetzt stockte mir der Atem. Ich räusperte mich. „Ähem – also … Ich würde da schon das Hotel vorziehen.“ Dabei kratzte ich mich verlegen am Kopf. „Du bist so ein Arsch – ihr Männer seid doch alle gleich.“ Mit einer Geschwindigkeit, die ich ihr gar nicht zugetraut hatte, war sie aufgesprungen und hatte mir ihren Caipirinha über das T-Shirt geleert. Danach entschwand sie.
Ich war zu verwirrt, um überhaupt irgendetwas zu sagen. War das Schaf jetzt doch nur gespielt gewesen? Langsam stand ich auf und machte mich auf den Heimweg. Das Shirt klebte an mir und das war unangenehm. Das Ganze war mir doch mächtig peinlich, nicht nur das Gespräch mit Lina, auch dass alle nun meinen ganz persönlichen Schwimmreifen bewundern konnten, behagte mir gar nicht. Aber ich war im Urlaub, also zog ich das T-Shirt einfach aus und warf es in den nächsten Mülleimer. So richtig gefallen hatte es mir ohnehin nicht.
Das hatte ich ja wieder einmal richtig gut hinbekommen – da konnte ich mir nur selbst gratulieren. Viel idiotischer geht es gar nicht. Ich trottete zurück zum Hotel, für heute hatte ich genug. Mein Frust hielt sich aber irgendwie in Grenzen, ich hatte auch nichts anderes erwartet. Ich war froh, dass in dem Klub um die Uhrzeit nicht mehr viel los war, denn meinen bauchfreien Caipirinha-Anblick wollte ich vor allem den Kindern ersparen. Vielleicht gab es aber an der Bar noch was? Es war ja erst knapp nach zwei. Nein, da waren schon alle Rollbalken heruntergelassen, nur neben dem Speisesaal brannte noch Licht. Diese Ecke war mir bisher noch nicht aufgefallen, das konnte auch daran liegen, dass ich bislang nur die Bar und den Speisesaal bemerkt hatte. Es war weit und breit niemand zu sehen, nur ein PC lief und eine Lampe brannte. INTERNET stand groß auf einem Plakat.
Das war doch eine Idee, das könnte ich doch noch machen. Ich könnte mich doch wieder einmal in den unendlichen Weiten des weltweiten Netzes verlieren. Nebenbei könnte ich auch nachsehen, ob Linda mir geschrieben hatte.
Neben dem PC stand ganz perfide ein Getränkeautomat und ich kratzte ein paar Münzen zusammen, um mir zwei Bier aus dem Gerät zu drücken. Warum hatte ich jetzt gleich zwei genommen? War ein Bier denn nicht auch genug? Warum musste ich denn jetzt überhaupt noch etwas Alkoholisches trinken?
Ähnliche Fragen hatten mich in letzter Zeit öfter durchzuckt, ich stand vor diesem Apparat und in mir kamen merkwürdige Erinnerungen hoch. Alle hatten mit dem Dämon Alkohol zu tun. Die EAV wusste, was Sache war. Die Macht dieses Dämons ist wahrlich groß, ich konnte auch darüber sprechen. Denn die Abende, an denen ich leicht bis mäßig illuminiert ins Bett stieg, konnte ich gar nicht mehr zählen; diejenigen, an denen ich auf dem Bett lag und zumindest ein Bein auf den Boden drücken musste, um den Drehwurm oder die Hubschrauberfahrt in meinem Kopf zu besiegen, gingen sicher auch in die Hunderte. Das waren aber wahrlich nicht die Highlights.
Zwei für mich beispielhafte Nächte fielen mir blitzartig ein und ich sah sie plastisch vor mir – zumindest das, woran ich mich noch erinnern konnte. Einmal war ich stockbetrunken nach Hause gewankt, hatte dabei eine Abkürzung durch einen Park genommen und war – die Hände tief in die Manteltaschen gesteckt – mit dem Gesicht auf den Schotterweg geklatscht. So richtig bemerkt habe ich das erst am nächsten Morgen, komischerweise haben mir alle die Geschichte vom Sturz mit den Inlineskates abgenommen. Es war doch recht einfach, wenn man als Tollpatsch durchs Leben stolperte. Nur meine Mutter war sofort dahintergekommen und hatte mir die Leviten gelesen, während mein Vater anscheinend aus Erfahrung berichten konnte, dass man bei einem solchen Nachhausemarsch niemals die Hände zu tief in die Taschen stecken dürfe.
Auch das zweite Erlebnis hatte mit meiner Mutter zu tun. Zumindest am Rande. Sie hatte mich nämlich mal um sechs Uhr früh im Blumenbeet vor der Haustür gefunden. Ich war in meinem Heimatdorf auf ein Fest gegangen, in meinem Zustand wohl gegen den Aufbau des Vordaches gekracht und hatte dann wohlig zwischen den Tulpen geschlummert. Während meine Mutter Tage brauchte, um sich vom Schock zu erholen, grinste mein Vater verstohlen – aber nur, wenn Mama nicht dabei war.
So konnte es doch nicht weitergehen, da musste sich doch was ändern, das war mir klar. Ich hatte mich ja ohnehin schon gebessert, Wodka trank ich nur mehr selten und meistens konnte ich mich sogar daran erinnern, was ich beim Fortgehen so alles von mir gegeben hatte. Ich war also auf dem richtigen Weg. Da war ich mir sicher. Ich nahm selbstzufrieden einen großen Schluck aus der einen Flasche (verdammt, schmeckte das heute wieder gut!), stellte die zweite neben den PC und startete den Browser.
Dreiundvierzig ungelesene E-Mails in nur zwei Tagen – wer vermisste mich denn da so sehr? Neununddreißig davon waren Werbemails, Spams und anderes Gerümpel, das ich sofort löschte. Die restlichen vier waren von Linda, Herbert, Moni und Sabrina. Sabrina? Welches sollte ich zuerst öffnen? Ich versuchte eine Reihung zu erstellen. Was war denn am unwichtigsten?
Herberts Mail – das würde ich zuerst lesen. Er hatte es auf meine Privatadresse geschickt, weil ihm wohl klar war, dass ich meine Firmen-Mailadresse nie wieder ansehen würde.
Lieber Klaus!
Ich habe Dein Kündigungsmail erhalten und sofort gelöscht. Denn diese Spielchen dürfen kein Grund dafür sein, dass Du meine Agentur verlässt. Findest Du mal einen Boss, der Dir das Dreifache bezahlt, dann lass ich Dich gehen, aber nicht wegen so etwas.
Didi, den Drahtzieher, habe ich wieder zum Plakatkleber zurückgestuft. Im Grunde war er nie etwas anderes. Er wird in den nächsten Monaten im Lande unterwegs sein und alle unsere Aufträge per Hand an die Wände pinseln. Das hat er verdient. Sabrina ist jetzt selbst im Urlaub, die wird auch noch ihr Fett abbekommen. Die Fotos habe ich Didi abgenommen, er hat sie ja mit einer Kamera der Firma geschossen.
Du brauchst Dir auch keine Sorgen darüber zu machen, dass viele oder gar alle diese Aktion mitbekommen haben. Ich weiß, dass sie den meisten nicht einmal aufgefallen ist.
Ich brauche Dich, meine Firma braucht Dich! Denke an die Kinder unserer Mitarbeiter, die durch Dein Ausscheiden vielleicht Hunger leiden müssen. Denn Du bist der beste Texter, den man finden kann. Also – ich zähle auf Dich.
LG Herbert
PS: Wenn Du in den nächsten Wochen lieber von zu Hause aus arbeiten möchtest, um ein wenig Gras über die Sache wachsen zu lassen, dann kannst Du das gerne tun. Eine Kündigung werde ich nicht akzeptieren! Die Käse-Trottel brauchen Deine Kreativität, und wir alle diesen Auftrag!
PPS: Schöne Grüße übrigens auch von meiner Frau. Die dauerschwätzende Ingrid, die ganz zufällig Deine Fotos entdeckt hat, meinte, dass Du eigentlich als Unterhosenmodell arbeiten solltest. (Fendrichs „Macho, Macho“ lässt grüßen!) Du weißt ja, dass sie in puncto Farben immer etwas auszusetzen hat. Sie mokierte, dass Du statt der schwarzen doch besser weiße Pants hättest anziehen sollen, das hätte, ich zitiere, „das Segel noch viel besser hervorgehoben“. Wir beide wünschen Dir noch einen schönen Urlaub. Vergiss alles, was davor geschehen ist, und komm erholt und frisch wieder.
Verdammt. Das war nicht gut. Nicht nur, dass der Typ anscheinend genau wusste, wie man mit mir reden muss; damit ich nicht kündige, hat seine Frau auch noch die Fotos von mir gesehen. Das war peinlich, einfach nur peinlich.
Es war ja irgendwie nett, dass Didi nun wieder mit Plakaten arbeiten darf, das war doch immer sein Traumjob gewesen. Und ich – der beste Texter, Mensch, der Typ konnte schleimen. Eine Entscheidung zu diesem Thema verschob ich auf die nächsten Wochen, im Urlaub hatte ich genügend Zeit, um über meine weitere Vorgehensweise nachzudenken.
Welches E-Mail sollte ich denn als Nächstes öffnen? Mir blieben Moni, Linda und Sabrina. Warum mir Sabrina wohl geschrieben hatte? Es juckte schon sehr in meinen Fingern, gleich genauer nachzulesen, aber ich hatte mich für Moni entschieden.
Lieber Klaus!
Schade, dass Du am Freitag so schnell verschwunden bist. Ich hätte mich wirklich gern mit Dir unterhalten und betrunken. Habe aber soeben erfahren, was Dir auf der Eröffnung widerfahren ist, und verstehe, dass Du schnellstens das Weite gesucht hast. Didi wirst du wohl die Eier abschneiden – das habe ich übrigens auch mit Ralph, dem Arsch, vor. Vielleicht könnten wir uns ja zusammentun und diesen Schnitt gemeinsam setzen. Gestern hat mich der Idiot übrigens angerufen und gefragt, ob ich die gemeinsam von uns angeschafften, sauteuren und äußerst raren Bob-Marley-Live-CDs noch brauchen würde, er hätte sie gern und würde sie auch bezahlen. Nach einem Augenblick des Überlegens und Zögerns sagte ich zu, ich würde sie ihm an seine neue Adresse schicken. Er klang richtig erleichtert. Weißt Du, was ich dann gemacht habe? Ich habe alle seine CDs (es sind sicher an die zweihundert) auf dem Boden verstreut und wollte zuerst meine Stilettos anziehen, aber bei der Suche danach habe ich seine Steigeisen oder Schneeschuhe oder was auch immer das ist, gefunden, über meine Turnschuhe gestülpt und bin dann auf den CDs herumgetrampelt. Für jeden Sonntagnachmittag einen Tritt, für jede Tantra-Qual (es war eine Qual, weil der Sex mit Ralph nicht nur überhaupt nicht gut, sondern auch überhaupt nicht Tantra war) eine geborstene Scheibe, für jede Lüge ein splitterndes mindestens 15 €-Geräusch. Es hat richtig gutgetan. Du glaubst ja gar nicht, wie schwer sich manche CDs zerstören lassen, die wollen überhaupt nicht kaputtgehen, da kannst du mit voller 55 kg-Wucht draufspringen, da verstauchst du dir vorher den Knöchel. Ich habe dann alle Teile, die ich von Bob Marley finden konnte, sorgsam in ein Kuvert gesteckt und an ihn geschickt. (Diese CDs habe ich mir schon vor Tagen auf den PC überspielt, das wollte er nie, für ihn war es Blasphemie, wenn man CDs auf einen Computer spielt. Das könne man einem kreativen Produkt doch nicht antun, das wäre das Schlimmste überhaupt, bla, bla, bla.)
Oh Gott, ich langweile Dich sicher mit diesen Geschichten, es tut mir leid, Du hast ja selbst genug um die Ohren.
Genieße Deinen Urlaub, mach Dir nicht allzu viele Gedanken über den Freitag, vergiss ihn einfach.
LG, bis bald
Moni
PS: Ganz zufällig habe ich Fotos von Dir zu Gesicht bekommen. Ich will ja nicht meckern, aber weiße Pants wären besser gewesen … J
Während ich beim Lesen des Textes noch schmunzelte, schlief mir zum Schluss das Gesicht ein – wer hatte meine Fotos denn außer Herbert und seiner Frau noch zu Gesicht bekommen? Konnte ich zu Hause überhaupt noch auftauchen? Musste ich umziehen?
Schlimme Visionen von meinen Eltern, die in der Zeitung zu lesen und zu sehen bekamen, dass ihr Sohn wie ein am Bahnhof vergessenes Fahrrad mit aufgeklapptem Ständer vergebens auf die Abholung wartete, peinigten mich. Sollte ich es mit STS halten und irgendwann dort-, also hierbleiben? Und war dieses Irgendwann jetzt? Auch diese Entscheidung verlegte ich auf die kommenden Urlaubstage – mir würde schon eine Lösung einfallen – ich war ja beispielsweise auch noch niemals in New York gewesen, dahin könnte ich notfalls auch flüchten.
Sabrina oder Linda – was würde ich zuerst lesen? Linda musste noch ein wenig warten, sie war mir aber auch am wichtigsten.
Lieber Klaus,
ich kann gar nicht ausdrücken, wie sehr ich mich schäme. Dafür, was ich Dir angetan habe, dafür mich nicht sofort bei Dir entschuldigt zu haben. Es tut mir leid, es tut mir so wahnsinnig leid. Dass ich so viel – viel zu viel – getrunken hatte, verfluche ich seither, es lässt sich aber leider nicht mehr ändern.
Ich weiß, dass ich Dir nie wieder in die Augen schauen werde können, dass ich nie wieder Deinen Sinn für Humor bewundern werde können, ohne an meine Schandtat zu denken.
Vielleicht kannst Du mir irgendwann verzeihen …
Sabrina
Ich musste erst mal durchatmen, die Ereignisse dieser Nacht spielten sich wieder vor meinem inneren Auge ab. Es hatte sich anfangs so wunderbar angefühlt, so echt, so real. Ach was – vergiss es! Es hatte keinen Zweck, darüber auch nur einen Gedanken zu verlieren. Vergebene Liebesmüh. „Sabrina hat dir am Freitagabend gezeigt, was sie von dir hält. Verbringe deine Zeit mit und vergeude deine Gedanken an die genauso irreale, weil virtuelle Linda!“
Lieber Klaus,
Dein E-Mail hat mich zu Tränen gerührt! Wie können Menschen derart gemein sein? Ich habe mich als Frau für diese Sabrina geschämt – das nennt wohl sich fremdschämen, aber so wie sie Dich an der Nase herumgeführt hat, so schlimm bin ja nicht einmal ich in meinem Leben verarscht worden. (Und glaub mir, das ist mir nicht nur einmal passiert!)
Und dieser Didi …
Ich hoffe, Du kannst Deinen Urlaub trotzdem genießen; ich bin in Gedanken bei Dir.
Linda
Linda, Linda, Linda. Du verstehst mich. Du weißt, wie es mir geht. Du bist die Einzige.
Und Sabrina? Also Courage hat sie, denn so eine Entschuldigung zu schreiben, ist sicher auch nicht einfach.
Ich nahm einen Schluck aus der Flasche und musste feststellen, dass sie bereits leer war. Da musste das zweite Getränklein her. Ich wollte Linda antworten, aber mir fiel irgendwie nichts ein. Also trank ich erst mal – nach wenigen Minuten und Schlucken war das Fläschchen leer. Jetzt spürte ich die Müdigkeit aufsteigen, es war schon drei Uhr vorbei. Ich sollte wohl ins Bett gehen, ein wenig Schlaf würde mir nicht schaden. So raffte ich mich auf und schlurfte durch das einsame Hotel zu meinem Zimmer.
Ah – endlich konnte ich mich mal so richtig ausstrecken, mich ins Bett kuscheln und würde am Vormittag entspannt und nüchtern aufwachen. Das würde ein toller Tag werden, das konnte einfach nur so sein. Nach dem ganzen Scheiß in den letzten Tagen würde wohl auch für mich mal die Sonne aufgehen müssen.
Ich stand vor der Tür, versuchte den Schlüssel ins Schloss zu stecken, aber wie letzte Nacht schaffte ich es nicht. Rick? RICK! „Hat der mich auch heute Nacht ausgesperrt?“
Ich lauschte an der Tür. Zuerst hörte ich nur meinen Atem, aber dann war eindeutig ein Kopulationsgeräusch zu hören. Shit! Diese Wette ging mir jetzt schon auf die Nerven. Ich wollte in mein Bett und klopfte. Nichts. Ich versuchte es stärker. Keine Reaktion. Ermüdet und enttäuscht sank ich vor der Tür zu Boden und kuschelte mich in den Überwurf eines Sessels, der auf dem Gang stand. Ohne T-Shirt wurde es langsam ganz schön frisch.
Irgendwann wurde die Tür meines (!) Zimmers aufgerissen und eine blonde Schönheit stolperte über mich. Da wachte ich auf, hörte ihre Entschuldigung und krabbelte vollkommen betäubt ins Bett, in dem Rick sich breitgemacht hatte. Es musste sich etwas ändern! Dringend. Ganz dringend.
Als ich am Vormittag erwachte, war diese Idee in meinem Kopf. Sie war ja nicht zum ersten Mal erschienen, hin und wieder hatte sie mich bereits besucht. Aber heute sollte es so weit sein. Bisher war ich immer der EAV-Typ gewesen, der eine Änderung seines Lebens immer auf morgen verschoben hatte. „Ich wach auf am Nachmittag, der Sodbrand ist enorm. Ja, gestern war ich wieder groß in Form … Morgen, ja morgen fang ich ein neues Leben an! Und wenn net morgen, dann übermorgen …“, dröhnte es in meinem Kopf.
Aber heute würde ich es tun, heute würde ich mein Leben in die Hand nehmen, heute würde ich es endlich schaffen. Ich würde zum ersten Mal in meinem Leben joggen, laufen, rennen, leichtfüßig dahinschweben. Heute würde ich es tun. Das war doch viel einfacher, als Frauen zu erobern, fürs Laufen braucht man keine Frauen, das können Männer allein. Dafür muss man sich nicht einmal unterhalten, da ist man(n) nicht auf irgendwelche unvorhergesehenen Reaktionen der weiblichen Gegenseite angewiesen.
Da das doch die ursprünglichste Fortbewegungsart des Menschen ist, kann das jeder, also auch ich.
Ich sprang aus dem Bett, Rick beäugte mich gespannt, bevor er mir sein Handy vor die Nase hielt und rief: „Nummer 1! Magst schauen?“ „Danke, die blonde Schönheit ist über mich gestolpert, das reicht mir als Beweis. ‚Trivial Pursuit‘ wirst ja wohl nicht mit ihr gespielt haben, oder?“ Er lachte. „Wie wär’s mit Frühstück?“ Es war zehn Uhr vorbei, die Sonne strahlte vom Himmel. Nein, heute nicht, heute und jetzt werde ich laufen. „Nein, jetzt nicht. Ich gehe joggen!“, antwortete ich bestimmt. Diesmal schüttelte er sich vor Lachen. „Ja klar!“ „Du wirst sehen, dass ich das jetzt mache!“ „Na, der wird sich anschauen, wie ich am Strand vor den scharfen Bräuten auf und ab laufe wie Paavo Nurmi, wie ich meine Kilometer in den Sand stampfe wie die tschechische Lokomotive Emil Zátopek.“ Ich schlüpfte ins Sportgewand, zog meine Sportschuhe an, nahm meine Uhr und sagte gereizt: „In einer Stunde bin ich wieder da.“ Rick grinste. „Magst nicht vorher noch was gegen den Brand tun?“ Gute Idee – ein Glas Wasser sollte reichen.
Endlich vor der Tür, wandte ich mich in Richtung Strand und rannte los. Haile Gebrselassie konnte nicht schneller und ästhetischer unterwegs sein; so fühlte es sich also an, wenn man jegliche Bindung zum Boden verlor, wenn man schwebte. Das Gefühl der Freiheit setzte ja doch schon nach wenigen Metern ein. Was ich noch fühlte, war das Geschwabbel an meinem Bauch, aber was sollte das schon gegen das Runner’s High ausrichten? Am Strand war ich schon einigermaßen außer Atem, ich spürte, wie mein Kopf so richtig heiß lief. Es war ja wohl auch schon ein wenig heiß. Ich wandte mich nach links, bis zum Ende der Liegestuhlreihe lief ich, dann drehte ich um – es sollte nun bis zum anderen Ende gehen. Die erste Kehre erwischte ich wunderbar, aber der Weg zur zweiten erwies sich als unüberwindbar. Ich meine, wenn jemand schon mal am Strand gelaufen ist, der wird wissen, wie das ist, wenn jeder Schritt zur Qual wird, wenn der Atem pfeift und die Muskeln schmerzen. Ich war jetzt seit knappen fünf Minuten unterwegs und musste mich hinsetzen. Ich warf mich vor einer Familie auf den Boden und japste.
„Geht es Ihnen gut?“, fragte mich eine Frau. „Jaja, alles bestens. Ich bin nur ein wenig aus der Puste!“ „Mama, ist das nicht der Mann, der immer vor der Zimmertür liegt, wenn wir zum Frühstück gehen?“ „Nein, Schatzi, nein. Ist er nicht.“ „Doch, das ist er. Ganz sicher.“ Lächelnd erhob ich mich, das Mädchen zeigte mit ausgestreckter Hand und Finger auf mich. Wusste es nicht, dass man nicht mit nacktem Finger auf angezogene Leute zeigt? „Das ist er!“, brüllte es. Ich lächelte und rannte weiter, besser gesagt, marschierte weiter.
Für den Anfang war das ja gar nicht mal so schlecht, oder? Fünf Minuten – für ’nen Marathon reichte es noch nicht, aber besser als nichts war das schon mal gewesen. Jetzt schnell unter die Dusche und dann könnte ich mir ein richtig großes Frühstück gönnen nach dieser Anstrengung. Verdammt, was hatte ich Rick gesagt? Eine Stunde?
Dann werd ich wohl zuerst frühstücken, sonst kann er auch noch beim Sport über mich lachen. Also begab ich mich in den Speisesaal. Dort herrschte kein reges Treiben, sondern eher schon die Ruhe vor dem Mittagssturm. Rick war nicht da, wie ich vermutet hatte.
An einem Tisch saßen die Animateure, unter ihnen Steve und Lina. Shit. Ich versuchte mich unbemerkt aus dem Raum zu schleichen, aber Steve hatte mich schon entdeckt. Er winkte mir. Jetzt musste ich wohl oder übel hingehen. Der Oberanimateur grinste breit, Lina sah mich mit ihrem Schafsblick an. Ob die sich heute schon einen Joint genehmigt hatte? Ihr Freund presste mir wie Rick sein Handy beinahe auf die Nase.
„Da, schau! Numero uno! Die war aber nicht schlecht, bist du narrisch!“ Er lachte laut. Ich grinste verlegen. „Wie schaut’s mit dem Schwachmatiker aus, der sich mit mir messen will? War er erfolgreich?“ „Ja, durfte auch landen in der Nacht.“ „Schau, das hätte ich ihm gar nicht zugetraut. … Übrigens – wenn ich in deiner Situation gewesen wär, hätt ich die Lina auch gefragt, ob sie Lust hat. Ist ja ganz klar. Brauchst deswegen kein schlechtes Gewissen zu haben. Die Lina ist das gewohnt, der macht das nichts aus.“
Na ja, da hatte ich aber einen anderen Eindruck, aber wenn er meinte. „Warst laufen?“ „Ja, hab ich zumindest versucht.“ „Ja, laufen ist toll. Vor allem danach ins Meer springen, das ist das Beste überhaupt.“ „Stimmt, das ist eine gute Idee, das mach ich doch sofort. Bis später!“ Ich stibitzte eine trockene Semmel vom Animateur-Tisch und machte mich wieder auf den Weg zum Strand. Heute war auch der Tag, an dem ich gegen das Bauchgeschwabbel vorzugehen begann, hatte ich eben beschlossen. Also – kein Frühstück. Heute war ein besonderer Tag.
„1:1 steht’s! Sag das Rick!“, brüllte er mir nach.
Am Strand zog ich meine Schuhe und mein Shirt aus und sprang ins kühle Nass. Das war ja wirklich herrlich. Danke, Steve! Nach einigen Schwimmzügen hatte ich genug geplantscht und legte mich zum Trocknen auf eine Liege. So stellte ich mir richtigen Urlaub vor, genau so. Genau das dachte ich, als ich von den Auswirkungen der langen Nacht noch ein wenig ermüdet sanft einschlummerte. Ich träumte von sanften Hügeln, wunderschönen Frauen, Wüste und Hitze und wachte mit pochenden Kopfschmerzen auf. Die Sonne knallte vom Himmel, es hatte circa siebzig Grad Celsius, und dann bemerkte ich es. Mein Kopf dröhnte und mein Rücken fühlte sich an wie im Backrohr. Shit, ich war in der Sonne eingeschlafen, ich, der ich doch so leicht einen Sonnenbrand kriegte. Mein Kopf, mein Rücken. MEIN RÜCKEN! Ich raffte mich auf und wankte ins Hotel. In meinem Kopf hämmerte Lars Ulrich von Metallica eine unbekannte Melodie. Ich sah einige Männer grinsen, einige Frauen schüttelten ihre Köpfe, als ich durch die Lobby schlenderte.
Gott sei Dank kam ich in mein Zimmer. Ich trank drei Gläser Wasser, nahm eine Kopfwehtablette und legte mich aufs kühle Bett.
Ich erwachte gegen 16 Uhr, als Rick gar nicht leise reinkam. „Verdammt, was ist denn mit dir passiert? Dein Rücken sieht aus wie ein frisch aufgeschnittenes Schnitzel. Bei der Farbe musst aufpassen, dass sie dich nicht irgendwo als Laterne aufstellen.“ Haha, der war ja wirklich lustig. Die Haut auf meinem Rücken spannte und brannte, das war nicht lustig. Zumindest aber waren die Kopfschmerzen verschwunden. Einen Sonnenstich hatte ich schon mal nicht. Aber einen Sonnenbrand! Ich schlurfte ins Bad – und betrachtete das Malheur. Ich sah ja aus wie so ein typisch englischer Griechenlandurlauber – kreideweiß am Bauch und rot, nein eher schon lila am Rücken. Ich brauchte eine After-Sun-Creme. „Rick, kannst du mir mal einen Gefallen tun?“ Keine Antwort. „Rick?“ Nichts. Er war schon wieder verschwunden. Also musste ich wohl selbst von irgendwoher eine Creme organisieren.
Vorsichtig streifte ich mir ein T-Shirt über (ah, au, ah!) und latschte durch die Lobby; auf und in meinem Rücken befand sich ein Heizstrahler, der unablässig arbeitete und schmerzte.
In einer Ecke der Lobby saß Rick mit einer Frau – Sonja. Die beiden turtelten wie zwei Halbwüchsige, Rick hatte den Arm um sie gelegt und schien ihr irgendetwas zu erklären. Stören wollte ich sie jetzt nicht, das tut man(n) nicht. Also wandte ich mich zur Rezeption, die wieder einmal nicht besetzt war, als plötzlich lautes Gebrüll von der Seite der Lobby, auf der Rick und Sonja sich unterhielten, zu hören war. Das Monster, der Goliath-Ehemann, stand vor den beiden und brüllte wie der einäugige Polyphem, dem Odysseus gerade das Augenlicht ausgebrannt hatte. Schrill kreischte die sichtlich erschrockene Sonja: „Ich dachte, du machst eine Radtour, Schatz!“ „Was heißt da Schatz? Sei lieber still!!“ Rick räusperte sich und versuchte den Wildgewordenen zu beruhigen. „Ähem. Es ist … Es war … Da ist nichts gewesen, ehrlich.“ „Dich Bürschchen werde ich mir jetzt vorknöpfen. Das hätte ich schon am Flughafen tun sollen.“ „Bertram, hör auf mich. Bitte! Es ist nichts passiert!“, flehte Sonja. Bertram? Rick lachte laut auf. Das war nicht gerade klug. Der Hüne stampfte auf, sprang zum Tisch, packte Rick am Shirt und schleuderte ihn wie ein Püppchen durch die Lobby.
„Lauf, Rick! Sieh, dass du wegkommst!“, rief ich. Er hörte nicht auf mich, sah mich aber an. In seinem Blick lag etwas Bedrohliches, eine Aggressivität, die ich bisher bei ihm noch nie gesehen hatte. Ich kannte ihn ja schon seit dem Kindergarten, er war nie durch besondere Brutalität oder Ähnliches aufgefallen. Jetzt aber erinnerte mich sein Gehabe, das Leuchten in seinen Augen an den Hund, den meine Eltern einmal gehabt hatten, den kleinen Cairn Terrier Benji, der aussah wie ein Stofftier, aber jeden Kampf annahm und nicht beendete, bevor er ihn gewonnen hatte. Dieses Tier war so irre gewesen, das hatte sogar ausgewachsene Igel ins Maul genommen und bitterböse geknurrt, wenn man es nur ansprach und versuchte, ihm diese Beute abzunehmen. Dieses Tier während einer solchen Jagd auch nur anzufassen, hätte keiner gewagt. Seine Schnauze war dann monatelang voller Stacheln, das war ihm egal.
Dieser Hund war so verrückt, trotzdem hätte sich kein Einbrecher Sorgen machen müssen, denn er biss ausschließlich Familienmitglieder. Mich hat er einmal ins Bein gebissen, als ich zufällig meine Beine unter dem Tisch ausstreckte, was er überhaupt nicht mochte. Seither mied ich dieses Kampfmonster wie der Teufel das Weihwasser.
Ganz gefährlich war für die Familie und für Bekannte vor allem das Verlassen der Wohnung, da stellte sich das kleine Haarbüschel vor die Tür und knurrte wie verrückt. Wollte man ihn dann zur Seite schieben, schnappte er einfach zu. Ich hätte den Köter schon gleich nach dem ersten Auftauchen dieser Krankheit einschläfern lassen, aber meinen Eltern war das Biest ans Herz gewachsen, die hatten ihre Freude daran.
Genau dieser Irrsinn lag nun in Ricks Blick.
Mein Freund stand auf, stellte sich breitbeinig hin und rief: „Na komm schon her, du Penner! Hier haben wir Platz!“ Das ließ sich der große Bertl nicht zweimal sagen. Er baute sich vor Rick auf, blies dabei seine Muskeln auf Monstergröße auf und grunzte zufrieden. Wie gebannt starrte ich auf Rick, der scheinbar emotionslos das Theater des Kolosses betrachtete. „Wird das gut gehen? Kann ich ihm irgendwie helfen? Wie sollte das funktionieren?“
Noch bevor ich eine dieser Fragen auch nur ansatzweise beantworten konnte, ließ der Bizeps-Kerl ein Brüllen los und preschte auf Rick zu, der immer noch ruhig dastand. Es konnte sich nur mehr um Bruchteile von Sekunden handeln, bis Ricks Schicksal besiegelt war. Intuitiv hatte ich mein Handy schon in der Hand, um schnellstens Sanitäter rufen zu können. Was war mit Rick los? Anstelle davonzulaufen oder sich eine passende Abwehrstrategie zu überlegen, schnitt er Grimassen und machte obszöne Gesten.
Der Riese stürmte heran, packte den eigentlich nicht so schmächtigen Rick mit einer Hand und wollte ihm augenscheinlich die Brust zerdrücken. Plötzlich und wie vom Donner gerührt krachte der Megalosaurus auf den Boden, ging in die Knie wie ein tödlich getroffenes Tier, wimmerte und jammerte gekrümmt am Boden liegend. Rick ließ grinsend von ihm ab. Was war passiert?
Sonja kam kreischend angerannt. „Bertram? Was ist mit dir? Rick, was hast du gemacht?“ Rick lachte laut. „Dein Göttergatte hat mein Knie gespürt, an einer Stelle, wo er diese Erfahrung niemals hat machen wollen!“ Aah – Rick hatte sich an die zaundürre Bärbel erinnert.
„Du bist ein Arsch! Das ist doch unfair!“, keifte nun Sonja. „Wieso? Er wollte mich töten, und ich habe mich gewehrt. Ich finde das nicht unfair.“ Sie kniete sich hin und bemitleidete ihren Gatten. „Komm, Schatz! Steh bitte auf. Lass mich dich aufs Zimmer bringen, ich werde dir helfen. Ich schwöre, da war nichts. Ich liebe doch nur dich!“ Er stöhnte schon etwas weniger verärgert.
Rick kam zu mir und grinste: „Mir ist die Bärbel eingefallen, die hat das doch in der Volksschule auch immer so gemacht, wenn der dicke Günther sie packte. Das ist eigentlich ganz einfach!“ Wir lachten und er klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter.
Oh, verdammt. Das hätte er nicht machen sollen, denn der Schmerz durchfuhr mich wie ein Blitz. Ich ging stöhnend in die Knie.
„Klausi, was ist los?“ „Mein Sonnenbrand“, fauchte ich zerknirscht, „ich brauche dringend eine After-Sun-Lotion!“
„Geht es Ihnen gut? Kann ich Ihnen helfen? Ich bin Krankenschwester!“ Die Fragen galten mir, ich brauchte ein wenig, um das zu kapieren. „Nein, es geht schon“, presste ich hervor, Rick aber raunte mir zu: „Hör auf, die Mitleidsmasche ist manchmal äußerst hilfreich!“ „Ja, mein Freund hier hat einen Sonnenbrand, mit dem er auf jedem Hautärztekongress auftreten könnte. Haben Sie eine Idee, wie man dies behandeln könnte?“
„Sie haben Glück, ich war mal eine Zeit lang auf einer dermatologischen Abteilung. Zeigen Sie mal her!“ Ich zog mein T-Shirt ein wenig nach oben, wagte es gar nicht, die Frau dabei anzusehen, ihr Schreck war nicht zu überhören.
„Oh Gott! Was haben Sie gemacht?“ Kleinlaut musste ich zugeben, dass ich nach dem Joggen in der Sonne eingeschlafen war. „Kommen Sie mit, ich habe in meinem Zimmer eine Creme, die diese Verbrennungen zumindest ein wenig lindern kann.“ Rick zwinkerte mir aufmunternd zu, was so viel wie: „Vielleicht geht da was!“ bedeuten sollte. Ich konnte aber nicht einmal ansatzweise an Sex denken, auch wenn ich hätte wollen. Mein Rücken schmerzte viel zu sehr.
Sie nahm mich wie einen alten Mann am Arm, ich spürte ihren Körper an meiner Seite, was doch eine erotische Erregung in mir auszulösen begann, und während sie mich zu ihrem Zimmer führte, malte ich mir aus, was man in so einem Raum zu zweit alles anstellen könnte. Ich träumte von Zärtlichkeiten, Liebesgeflüster, Küssen, streichelnden Händen und vielem mehr. Vielleicht sollte ich sie fragen, ob sie sich das auch vorstellen konnte? Vielleicht sollte ich mein Glück versuchen? Vielleicht war sie gar nicht abgeneigt? Nur meinen Rücken und meine Schulter durfte sie nicht anfassen. „Hallo? Du Idiot! Diese Frau will dir helfen! Sie nimmt dich mit auf ihr Zimmer, weil dein Rücken einen Rotstich hat, gegen den ein Formel-1-Ferrari blass ist. Außerdem solltest du daran denken, was du dir im Flugzeug geschworen hast – du wirst mit Frauen nicht mehr über diese Dinge sprechen. Du hast dich ja ohnehin nicht wirklich daran gehalten, aber jetzt musst du es tun!“
Ich musste mich auf ihr Bett legen, nachdem ich mich aus dem Shirt geschält hatte. Die Haut auf meinem Rücken würde es mir bald nachmachen und sich auch recht anständig abtrennen. Aber das war mir im Moment egal, denn ich durfte den wunderbaren Duft dieser Frau atmen. Ihr Bett, ihr Polster, ihre Decke hatten ihn angenommen und ich versank ganz tief in diesem Wohlgeruch.
Sarah, so hieß meine Retterin, bestrich meinen knallroten Rücken mit einer Spezialcreme, die sie für ihren fünfjährigen Sohn im Sommer immer dabei hatte. Ich durfte mich dreißig Minuten nicht bewegen, was mir nicht nur sehr gut gefiel, sondern ich auch hervorragend konnte. Deutlich besser als ihr Fünfjähriger, musste sogar Sarah zugeben. Die dreißig Minuten waren auch notwendig, denn sie hatte mich mit einer solchen Zärtlichkeit angefasst, dass die romantischen Gefühle, die ich schon auf dem Weg zum Zimmer verspürte, dazu führten, dass ich nicht hätte aufstehen können. Herberts Frau hätte wieder was von Segeln und Masten gesagt, das war sicher.
Sie war wirklich nett, eigentlich die erste Frau in meinem Leben, die einfach so freundlich zu mir war, die mir half, die für mich da war – außer Mama natürlich. Mit dreizehn oder vierzehn, ich weiß es nicht mehr ganz genau, da war einmal ein Mädchen auch sehr nett zu mir. Zumindest hätte sie es sein können. Wieso fallen mir immer in den unpassendsten Momenten diese Geschichten ein?
Ich glaube, ich war schon vierzehn, als mir diese Königin, Martha, zum ersten Mal auffiel. Wochenlang schmachtete ich sie an, bis der Elternsprechtag in der Schule vor der Tür stand. Dort sollte ich es erfahren, Rick hatte beschlossen, dass ich an diesem Tag zumindest kusstechnisch entjungfert werden sollte. Von ihr. Ihm vertraute ich blind, und wenn er sagte, das würde so sein, dann glaubte ich es auch. Er verlangte nur von mir, mich in der Garderobe, die im Keller des Schulgebäudes untergebracht war, zu verstecken, dort zu warten und im richtigen Moment zuzuschlagen. Dann würde ich die Schule an diesem Abend zwar noch mit meinen Eltern, aber als Mann, als Abgenabelter verlassen können.
Ich schlüpfte zum vereinbarten Zeitpunkt unbemerkt von allen in die Garderobe und wartete darauf, dass sie auch auftauchte. Und tatsächlich, sie erschien. Ich stand auf, musste mich aber sofort wieder hinsetzen, weil meine Knie so stark zitterten. Ich weiß noch ganz genau, wie sie sich neben mich setzte und meine Hand nahm. Ich atmete neben ihr, meine Hände schwitzten, ich wagte nicht, sie auch nur anzusehen. Als wir so eine halbe Ewigkeit verbracht hatten, nahm ich meinen Mut zusammen und drehte mich zu ihr. Sie lächelte mich an und schloss die Augen. Ihre für mich allzu großen Erwartungen kann ich noch heute vor mir sehen, denn in dem Moment, als ich sie auf den Mund küssen wollte, rannten lärmende Erstklässler durch die Garderobe und zerstörten den Augenblick. Auch diese Chance habe ich vergeben, denn sie stand durch den Krach erschrocken auf, zwinkerte mir zu und verließ die doch ein wenig nach schweißigen Kinder- und Jugendlichenschuhen duftende Kleideraufbewahrung.
Als wir uns am nächsten Morgen in der Aula sahen, blickten wir beide verlegen zu Boden, seither habe ich sie nie wieder gesehen.
Sarah setzte sich nach einer Weile auf den Stuhl neben dem Bett.
„Ich habe dich jetzt schon länger beobachtet. Du bist nicht so wie dein Freund. Wie heißt der schnell noch mal?“
„Du meinst den unten in der Lobby? Das war Rick.“ Ich schluckte, sie hatte mich beobachtet. „Wie hast du mich beobachtet? Und warum?“
„Also, beobachtet ist vielleicht das falsche Wort, ich habe dich immer wieder einmal gesehen. In so einem Klub ist das ja eigentlich unvermeidlich. Vor allem wenn es genau nur zwei Single-Männer hier gibt, über die sich so wundervoll tratschen lässt.“
„Was tratschen, wer tratscht?“ Ich spürte eine gewisse Unruhe in mir aufsteigen.
Sarah plauderte munter weiter. „Na ja, du bist der, der schon zweimal vor der Tür schlafen musste, während sein Freund sich mit einer Frau vergnügte. Stimmt’s?“ Dabei lachte sie schallend. Ich nickte zerknirscht.
„Das lässt du dir gefallen? Ich meine, ich hätte ihm schon längst die Meinung gegeigt. Der kann doch zu den Mädels ins Zimmer, der muss ja nicht dein Bett belegen.“
Ich räusperte mich und war verlegen. Das Segel hatte sich soeben von selbst eingeholt, das war zumindest positiv.
„Ja, also …“, stotterte ich, „das ist so, dass … Unter Männern … Kann ja bei mir auch vorkommen, dann muss er …“
Sie kicherte. „Glaubst das wirklich?“ Ich sprang auf, mein Rücken brannte wie das heißeste Feuer der Hölle. „Hey, leg dich sofort wieder hin!“ Verdammt, hatte die einen Krankenhauston drauf, da musste man ja gehorchen.
„Wenn das bis morgen nicht besser wird, musst du zum Arzt. Entschuldige bitte mein Gelächter, aber ich denke nicht, dass du der Typ für so etwas bist.“ „Ach so? Glaubst du? Woher willst du das wissen? Woher?“ Ich fühlte Ärger in mir aufsteigen. Da saß eine Frau, die mich erst seit einigen Augenblicken kannte – und die mich vollkommen, wirklich vollkommen durchschaut hatte. Ich kam mir vor wie mit runtergelassenen Hosen, und das gefiel mir gar nicht. Vor allem nicht nach dem Ereignis mit Sabrina, und schon gar nicht, wenn die Hosen nicht zu einem bestimmten Zweck runtergelassen wurden.
„Frauen spüren so etwas“, war ihre schwammige Antwort. „Ach so? Frauen spüren das. Was spüren Frauen denn noch? Erzähl mal! Was habe ich heute gefrühstückt? Welches Duschgel verwende ich? Wann pflege ich in der Früh aufzustehen? Bin ich Links- oder Rechtsträger?“ Sie lachte laut auf, mir war aber gar nicht nach Lachen zumute.
„Es tut mir leid, ich kenne dich ja überhaupt nicht und maße mir ein Urteil über dich an. Und außerdem geht es mich ja auch gar nichts an.“ Das klang schon besser.
Ich wollte gerade losschimpfen, was sich manche Menschen erlauben, als mir auffiel, dass sie zu weinen begonnen hatte.
Was hatte ich jetzt angestellt? Da hilft mir diese wunderbare Frau und ich bringe sie zum Weinen!
„Entschuldige bitte, ich wollte nicht so …“, stotterte ich betroffen. „Das hat nichts mit dir zu tun.“ Sie blickte verlegen zu Boden und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen vom Gesicht. „Hab ich was Falsches gesagt?“ „Nein, nein. Überhaupt nicht.“
Sie sah unglücklich aus, das konnte sogar ich erkennen. „Darf ich dich heute noch zu einem Drink an der Bar einladen? Falls ich überhaupt ein T-Shirt anziehen kann …“ Ich wollte sie ablenken. „Also … nein danke. Du weißt, ich habe meinen Sohn mit, der jetzt gerade mit den Animateuren herumtollt, sonst hätte ich ja keine Zeit. Und abends, wenn er schläft, bin ich hundemüde.“
Ich stellte mir gerade vor, was Steve dem Kleinen da alles beibrachte – einen oder mehrere österreichische Aufrisssprüche. Einen Alpen-Aufriss-Rap mit Jodeleinlage. Oder Lina spielte Schaf … Ich musste schmunzeln.
„Was ist da jetzt witzig?“ „Ach nichts, ich musste gerade an die Animateur-Truppe denken. Vielleicht morgen? Ich muss mich irgendwie revanchieren. Ich meine, du hilfst mir, obwohl du mich überhaupt nicht kennst. Das ist wirklich nett.“
„Vielleicht morgen“, murmelte sie, „heute kannst du unter die Dusche springen und die Tinktur mal abwaschen.“
Ich stand auf, bedankte mich artig und huschte in mein Zimmer, zu dem ich um die Uhrzeit zumindest Zutritt hatte. Nach der erfrischenden Dusche schlüpfte ich in das weiteste Shirt, das ich finden konnte, und stapfte zum Abendessen. Die Hitze am Rücken machte mir schon zu schaffen. So sehr, dass ich nach dem Essen beschloss, heute mal im Klub zu bleiben, während Rick und Steve ihren Wettbewerb fortführen wollten. Es waren ja nicht einmal mehr zwei Wochen.
Beim Automaten holte ich mir noch ein Gutenachtbierchen; der Internet-PC war umlagert von Facebook-Kindern, die ihren Freunden in der Heimat unbedingt das heutige Menü posten mussten.
Grinsend und kopfschüttelnd schlich ich aufs Zimmer, während die Animateure – von Lina angeführt – mit den kleineren Kindern um den Pool tollten und alberne Liedchen sangen. Das Bier nippend saß ich auf dem Balkon und dachte über mein Leben nach. Diese Suche musste ein Ende haben, das wusste ich. Sie würde mich zerstören, weil ich so verbissen daran festhielt. Vielleicht hatte ich die Wünsche-Bücher nicht richtig gelesen, vielleicht hatte ich etwas falsch verstanden. Von Verbissenheit war darin nämlich nie die Rede, eher von Freude, Lockerheit.
Mit einigen Vorsätzen im Kopf legte ich mich schlafen – und das ausnahmsweise auf dem Bauch und nüchtern. Mama wäre stolz auf mich.
Wenn es im Zimmer nicht so heiß gewesen wäre, hätte man mich als Heizung gebrauchen können. – Wäre das vielleicht eine Marktlücke? Hm …
Nach wenigen Atemzügen riss mich etwas aus dem Schlaf. „Alter! Klausi! Wach auf!“ „Was ist los? Was ist passiert?“ Ich sprang aus dem Bett. Rick keuchte: „Mann, ich hab zwei scharfe Hasen hier, kannst du nicht das Zimmer räumen? Bitte!“ „Du spinnst wohl! Wie kannst du mich so erschrecken! Ich hab gedacht, es wäre was Schlimmes passiert!“ „Klausi! Bitte! Du weißt, dass ich damit in Führung gehen kann. Komm, lass mich nicht hängen!“ Verdammt. „Wo soll ich schlafen? Hä?“ „Es ist das letzte Mal, versprochen. Aber die beiden sind mit ihren Freunden hier, es geht nicht anders.“ „Shit! Rick, du weißt, was du da von mir verlangst? Wie spät ist es eigentlich?“ Es war knapp vor drei Uhr, die zwei Püppchen warteten im Vorraum, ich konnte sie kichern hören.
Scheiße, wieso war ich so gutmütig? Ich schnappte meine Decke, stapfte aus dem Zimmer. Mir blieb der Stuhl am Gang oder der Strand oder eine Liege beim Pool. Schöne Aussichten waren das nicht, aber was tut Mann nicht für seine Freunde?
„Du bist der Beste, Klausi!“ Rick jubelte, die zwei Frauen waren auch glücklich. „Es steht 3:1! Vergiss das nicht“, raunte Rick mir noch zu. „Ja, ja. Schon klar!“ Leise schlich ich durch das stille Hotel, ich war hundemüde. Rund um den Pool standen die Liegestühle, die ich mir zum Ziel gemacht hatte. Vorsichtigst legte ich mich hin, deckte mich zu und überlegte mir im Einschlafen, welche Gegenleistung ich von Rick fordern wollte.
„Guten Morgen! Schon wieder ausquartiert worden?“ Die Stimme kam mir bekannt vor. Sarah. Sie lachte, sie lachte mich aus. „Nein. Also. Na ja. Ja.“ „Du bist einfach zu gutmütig.“ Ich seufzte. „Du hast ja recht.“ „Wie geht es deinem Rücken? Lass mal sehen.“ Sie betrachtete meine Heizhaut lange. „Es sieht nicht so schlimm aus, heute noch mal eincremen, dann sollte eine normale After-Sun-Lotion auch reichen.“ „Wirklich? Das ist doch mal was! Was machst du so früh schon auf? Du hast doch auch Urlaub, oder?!“
„Ich kann nicht schlafen, mein Kleiner schnarcht noch vor sich hin, da wollte ich mal kurz frische Luft schnappen.“ „Du solltest am Abend ein Gutenachtbierchen trinken, das hilft! Kannst mir glauben!“ Sie grinste zaghaft. „Vielleicht sollte ich das.“
„Warum kannst du nicht schlafen? Also, wenn du es mir erzählen willst, leg los. Musst aber nicht.“ „Das ist nicht so einfach. Oder doch? Ich meine … Also.“ Sie blickte traurig zu Boden.
„Mein Mann hat mich vor zwei Monaten verlassen. Einfach so. Von einem Tag auf den anderen. Ohne Vorwarnung. Ich weiß auch nicht, warum er das getan hat, was ihm nicht gepasst hat. Er hat nicht mit mir gesprochen. Er hat überhaupt nicht mehr mit mir gesprochen. Ist in der Früh aufgestanden, hat seine Sachen gepackt und ist einfach gegangen. Nur vom Kleinen hat er sich verabschiedet. Seither kann ich nicht mehr schlafen.“ Sie weinte und auch ich blickte betreten zu Boden und räusperte mich.
„Es tut weh, es tut einfach nur weh. Ich blicke meinen Sohn an und sehe ihn, meinen Mann. Oder besser Ex-Mann.“ Jetzt schluchzte sie laut. Das Einzige, was mir jetzt einfiel, war, meinen Arm um sie zu legen, da sie sich neben mich gesetzt hatte. „Das tut mir leid“, stammelte ich. Was soll man in so einem Moment sagen? Wie kann man einem Menschen in diesem Augenblick helfen? Hilft gemeinsames Schweigen? Zuhören? Zustimmen? Den anderen ausreden lassen? Ablenken?
„Dieser Arsch! Dieser verdammte Arsch! Vor drei Monaten noch hat er diesen Urlaub gebucht und wollte wohl jetzt allein – oder mit seiner neuen Flamme – hierher. Aber das gönne ich ihm nicht, das nicht. Also hab ich den Kleinen eingepackt und wir sind jetzt im Urlaub.“ „Du meinst, er hat eine andere?“, flüsterte ich. „Ja was denn sonst? Gibt ja keine andere Erklärung! Kann nur so sein!“
Wir saßen nun schweigend nebeneinander, sie weinte leise. Nach einigen Minuten stand sie auf, wischte die Tränen ab. „Danke dafür, dass du mir zugehört hast. Das hat gutgetan. Ich muss jetzt aber nach meinem Sohn schauen. Komm so gegen zehn Uhr vorbei, dann folgt die zweite Behandlung!“ Ich nickte. „Bis später!“
Ich blieb sitzen, es war erst sechs Uhr. Rick und seine Gespielinnen zu wecken, machte jetzt überhaupt keinen Sinn. Leider hatte ich meinen iPod nicht dabei, da hätte ich Musik hören können. Sarahs Schicksal ging mir nicht aus dem Kopf. Ich spazierte zum Strand, wo schon erste Morgenjogger ihre Runden drehten. „Sex ist eine Schlacht, Liebe ist Krieg!“, singt die Band Rammstein – ob das stimmt? Wenn ich an Sarah dachte, dann vielleicht. Ich selbst konnte das ja nicht einmal beurteilen …
Gegen acht warf ich Rick aus dem Bett; die Mädels hatten ihn schon in der Nacht allein gelassen; dass er sich nicht freute, war mir vollkommen egal. Sollte er sich nur ärgern. Ich machte ihm auch klar, dass dies der letzte derartige Freundschaftsdienst gewesen war. Er durfte also nicht mehr damit rechnen, dass ich mein Bett räumte. Auch das gefiel ihm nicht unbedingt, aber ich glaube, dass er verstand.
Nach dem Frühstück, das im mit mindestens dreihundert Dezibel von brüllenden, kreischenden, singenden und weinenden Kindern beschallten Saal eingenommen wurde, ging ich mit klopfendem Herzen zu Sarah, die mich nett und freundlich lächelnd begrüßte. Auch diese Behandlung rief bei mir die gestrige Reaktion hervor, was mir diesmal noch deutlich peinlicher war. Gott sei es gedankt, dass ich eine halbe Stunde liegen durfte. Aber auch das war gar nicht so leicht.
„Entschuldige bitte meine Beichte heute Morgen. Ich wollte dich nicht mit meinen Problemen belasten.“ Sie hatte sich neben mich gesetzt. „Du hast mich nicht damit belastet, ich hab es dir erstens angeboten und zweitens tut es gut, wenn man über seine Sorgen sprechen kann. Da gibt es doch dieses alte Sprichwort: ‚Geteiltes Leid ist halbe Freud!‘ oder so ähnlich.“ Sie lachte. „Du bist nett, wirklich nett, Klaus. Mich wundert ja, dass deine Freundin dich mit Rick in Urlaub fahren lässt.“ Ich räusperte mich, das erinnerte mich an meine Mutter. „Ich habe keine Freundin“, krächzte ich. „Au, ach so, entschuldige!“ „Da gibt’s nichts zu entschuldigen, konntest ja nicht wissen.“ Die restlichen Minuten schwiegen wir.
Als ich ging, fragte ich sie, ob sie heute Abend mit mir an der Bar was trinken wolle, so quasi als Wiedergutmachung für die entgangene Urlaubszeit. Sie sagte zu, was mich sehr freute. Außerdem fiel mir auf, dass ich es zum ersten Mal in meinem Leben gewagt hatte, eine Frau ohne die Hilfe von Rick um ein Date zu fragen. Mit stolzgeschwellter Brust schritt ich durch die Halle. „Herr Böhmer! Klaus Böhmer!“, rief jemand. Ich brauchte eine halbe Ewigkeit, bis ich merkte, dass ich gemeint war. Die Rezeptionstussi wachtelte mit einem antiken Telefonhörer. „Ihre Mutter ist in der Leitung! Können Sie mal kommen?“
Ging es noch lauter? Vielleicht sollte sie das über den Lautsprecher verkünden! Ich sah das verschmitzte Grinsen der anderen Touristen, das mitleidige Nicken der Junggebliebenen.
„Hallo?!“
„Klaus! Was fällt dir ein, dich nicht zu melden! Dein Vater und ich sind vor Sorge beinahe umgekommen. Wieso sagst du denn nicht Bescheid? Du hattest es doch versprochen! Nur Sorgen muss man sich um dich machen! Was glaubst, wie viele Euro ich vertelefoniert habe, nur um dich überhaupt mal zu finden.“
„Aber Mama, ich habe es vergessen. Wirklich. Es war so viel los in den letzten Tagen, da habe ich mal die Ruhe gebraucht. Es ist alles in Ordnung, nichts passiert.“
„Lässt Rick dich wohl in Ruhe den Urlaub genießen? Cremst du dich wohl jeden Tag öfter ein? Mindestens einen 15er-Lichtschutzfaktor, hörst du?“
„Ja, Mama. Alles in Ordnung“, raunzte ich genervt in den Hörer, „es wollen jetzt noch andere Leute telefonieren!“ An der Rezeption wartete niemand, auch die Lobby war menschenleer.
„Mein Schatz, du meldest dich jetzt jeden Tag. Wir müssen wissen, ob es dir gut geht. Ja?“ „Nein, Mama. Ich werde mich melden, aber sicher nicht jeden Tag. Bis bald!“ Wütend warf ich den Hörer zurück. „Die spinnt doch, ich bin doch nicht zwölf und bei einem Jungschar-Ausflug!“
Ich stampfte ins Zimmer, die Tür krachte ins Schloss. „Das gibt’s doch nicht, was stellt die sich denn vor?“ Voller Wut schlüpfte ich in meine Laufschuhe und rannte los. Ich muss zugeben, dass es diesmal besser ging als beim letzten Mal. Ich schaffte schon sieben Minuten am Stück, bevor ich japsend auf einen Liegestuhl plumpste. Aber ich habe mich während dieser Minuten so wohlgefühlt – abgesehen von den Schmerzen in den Muskeln, Gelenken, Beinen und Füßen –, dass ich mir geschworen habe, ab nun so oft wie möglich zu laufen.
Den Nachmittag verbrachte ich entspannt am Strand – mit einem Männer-Magazin in der Hand und meinen iPod-Stöpseln im Ohr. Steve, der mehrmals an mir vorbeigeschlendert war, blieb heute überraschend still. Er konnte mir auch keine Erfolgsmeldung liefern. Es stand nun wirklich 3:1 für Rick. Als ich ihm das mitteilte, war er sichtlich betrübt.
Der Abend kam näher, meine Aufregung stieg. Sarah wollte mit mir was trinken! Mit mir! Ich konnte es kaum glauben. Ich meine, sie war natürlich kein Topmodel, aber wer wollte schon so ein verhungertes Gör? Sie alle hatten wunderbare Beine, bei deren Anblick einem heiß werden konnte, aber war das das Wichtigste? Ein kurzer Blick in mein Magazin zeigte mir – manchmal schon …
Aber Sarah war nicht nur nett, sie sah auch verdammt gut aus. Ihre schulterlangen brünetten Haare hatte sie zusammengebunden, ihre Augen strahlten Güte aus und ihr Lächeln war bezaubernd. Ihr Körper war genau passend, alles wunderbar angeordnet, an den richtigen Stellen verteilt – so stellte ich mir eine Frau vor. Oh Gott, hatte ich mich verliebt? „Nein, das darf nicht passieren. Sie ist nur nett, weil ich Idiot meinen Rücken auf den Sonnengrill gelegt habe, mehr nicht. Und heute Abend werde ich mich dafür bedanken – mit Gratisgetränken an der All-inclusive-Bar. Mehr nicht.“
Ich begann um 18 Uhr mit den Vorbereitungen, duschte mich zweimal, um auch den letzten Schweißgeruch loszuwerden, und schwitzte dann im dampfenden Bad. Das schönste T-Shirt, das ich mithatte, nahm ich zur Hand. Ich sprühte mich mit Deo ein, bis der Duft auch noch ins Badezimmer der Nachbarn gestiegen war. Schon um acht Uhr saß ich nach einem hinuntergeschlungenen Souvláki an der Bar und wartete. Ich war ja nicht so nervös, trotzdem gönnte ich mir mal drei Bierchen, damit die Anfangsunruhe ein wenig verging.
Kurz nach neun kam sie. Sie trug einen Trainingsanzug und Turnschuhe und sah aus, als wollte sie joggen gehen oder als käme sie gerade von einer Laufrunde. In der Hand trug sie ein weißes Handy, das doch recht klobig wirkte.
„Tolles Teil!“, scherzte ich. Sie gab mir zu verstehen, dass dies das Babyphone sei, mit dem sie ihren Sohn überwachte. Der schlief nämlich bereits und sie lasse ihn ungern allein im Zimmer. Man wisse ja nie, was da so alles passieren würde. Sie brauche nur an die kleine Maddie zu denken, die aus dem Hotelzimmer der Eltern entführt worden war.
„Du siehst aber gut aus heute Abend!“, meinte sie dann. Ich merkte, wie mir das Blut in den Kopf schoss und der Schweiß auf die Stirn. Ich hätte vielleicht ein drittes Mal duschen sollen!
„Danke, du auch!“, antwortete ich verlegen. „Also wenn ich gewusst hätte, dass du dich so in Schale wirfst, hätte ich mich auch anders angezogen“, legte sie nach. Meine Verlegenheit stieg und stieg.
Sie bestellte sich einen Aperol Spritz und dann plauderten wir los über Gott und die Welt. Ich wollte sie ablenken, wollte ihren Blick und ihre Gedanken von ihrem Mann lösen. Das hatte ich mir vorgenommen. Wenn ich sonst schon nichts konnte, dann musste ich das versuchen. Das war ich ihr schuldig. Sie trank recht schnell und bestellte sich sogleich einen zweiten Aperol. Als wir miteinander anstießen, tauchte plötzlich Steve auf. Er war betrunken und sah drein wie ein niedergeschlagener, geprügelter Hund. Neben mir war Platz, er lehnte sich an die Bar.
„Verdammt, Rick ist sicher auf der Pirsch, oder?“ Ich musste ihm sagen, dass Rick schon längst aufgebrochen war. „Shit. Ich wär ja auch unterwegs, aber die Lina, die spinnt plötzlich rum. Das kannst dir nicht vorstellen!“ „Echt? Was ist los?“ „Na ja, sie zickt wegen dieser Wette. Ich solle sie bleiben lassen, ich stelle mich an wie ein Dreijähriger, ich breche ihr das Herz, wenn ich das mache. Das Schlimme ist ja, dass das bisher nie ein Problem gewesen ist. Wir hatten eine offene Beziehung, für mich war da immer alles offen.“ Ich klärte Sarah über die Wette der beiden auf, sie verzog ihren süßen Mund zu einem zaghaften Grinsen. „Diese Buben …“ Mehr war ihr nicht zu entlocken.
„Sie will mich jetzt nur für sich haben, ohne andere Frauen. Wie soll denn das gehen?“ Er schluchzte, trank sein Bier aus und schaute in Richtung Meer.
Sarah legte plötzlich los, auch sie hatte bereits das dritte Getränk in Händen und war hörbar leicht beschwipst. „Also, mein Mann kannte nur zwei Stellungen, alles andere war für ihn nicht zu machen. Und wenn er die zwei wenigstens beherrscht hätte, dann wäre ich ja glücklich gewesen. Oben, unten. Oben, unten. Und immer in der Reihenfolge, ich wusste ja schon, wenn er nur seinen „Ich hätte jetzt gern Sex“-Blick auflegte, was folgte. Er hat der Einfachheit halber den einzelnen Abwechslungen Nummern gegeben und nur mehr die Nummer angesagt. Weil er meist schon oben nicht mehr konnte, hat er sich das unten für die drei Tage später stattfindende Runde aufgespart. Alle zwei bei einem Mal hat er nur einmal geschafft, da hat er dann jahrelang von seinen Fähigkeiten geschwärmt. Und was ihr Männer für eine Obsession mit dem Blasen habt, konnte ich noch nie verstehen. Ist das so toll, so erfüllend, dass das alle immer wollen?“ Sie blickte mich an, ich riss die Augen auf, trat unmerklich einen Schritt zurück, wurde ganz rot und stotterte: „Na ja, ja, doch. Sicher, ist so.“ „Hallo? Diese Frau spricht so offen über Sex, da werde ich rot dabei. Wie soll ich denn diese Frage beantworten? Ich habe keine Ahnung.“
Steve hatte Sarahs Frage auch gehört und blickte sie nun sichtlich interessiert und alkoholisiert brünstig an. „Ja, das ist super!“, lallte er mit hörbarem Zittern in der Stimme. „Also meine erste Erfahrung damit machte ich mit siebzehn – auf einem Rockfestival. Da habe ich auch meine Unschuld verloren. Das Ganze hat, glaube ich, genau fünf Sekunden gedauert. Also das Unschuldverlieren. Das Blasen war dann einen Tag später.“ Er lachte, ich staunte. „Es ist anscheinend wirklich noch kein Meister vom Himmel gefallen.“ „Ich war fertig, bevor es richtig losgegangen ist. Mann, war mir das peinlich, aber das Mädchen war so betrunken, die hat das nicht einmal richtig bemerkt!“ „Mein Mann war auch oft schon ausgelaugt, bevor ich überhaupt wusste, was er von mir wollte“, krächzte Sarah, nur um dann von einem Moment auf den anderen zu weinen zu beginnen. „Das muss wirklich frustrierend sein!“, lispelte Steve. „Vielleicht kann ich dir ein wenig helfen?“ In meinem Inneren brach ein Sturm los, ich hätte dem Oberanimateur am liebsten meine Faust in die Zähne gerammt, ich herrschte ihn an, dass das jetzt aber so was von unpassend gewesen war. „Wieso?“
Oh Gott, der Besoffene checkte aber auch gar nichts mehr. Sarah stand auf, bedankte sich bei mir für die Drinks, die ich ja ohnehin nicht bezahlt hatte, und meinte in aller Ruhe zu Steve: „Damit du eines weißt, ich lasse mich auf keinen Fall in eure Wette einbauen. Auf keinen Fall! Verstanden?“ Da war der Krankenhauston wieder, mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. Da möchte ich aber nicht unartiger oder lästiger Patient sein. Auch Steve verstand jetzt, gab klein bei und verabschiedete sich.
„Ich habe gesehen, dass du heute joggen warst. Hast Lust, mit mir morgen eine Runde zu drehen? Ich bin aber doch ein wenig außer Form, du wirst dich also zurückhalten müssen!“ Hatte sie mich wirklich gesehen? Das mussten meine guten Sekunden am Beginn gewesen sein.
Natürlich sagte ich zu.
Am nächsten Morgen trafen wir uns um acht, Sarah sah einfach zum Anbeißen aus in ihrem Fitnessdress, in kurzen Tights und mit einem hautengen Shirt. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, leider war ihr kleiner Sohn dabei, der uns mit seinem Fahrrad begleiten sollte.
„Nein, mir macht das nichts aus, dass Max mit dabei ist.“ „Die Animateure sind um die Uhrzeit noch nicht im Dienst, sonst könnte er ja ein wenig spielen. Er hat aber versprochen, brav neben uns herzufahren. Nicht wahr, Max?“
Der Kleine nickte bockig und startete los wie Lance Armstrong in seinen besten Dopingzeiten. Sarah sprintete hinterher. Bis ich richtig verstand, was passierte, waren die beiden schon ein gutes Stück unterwegs. Mir gefiel ja der Ausblick auf Sarahs Hintern, aber ganz so weit zurück wollte ich auch nicht bleiben. Der kleine Max trat in die Pedale wie ein Fahrradprofi bei der Tour de France und war wohl gerade dabei, den Etappensieg in Alpe d’Huez zu holen, so strampelte er. Sarah sprang ihm locker hinterher, während ich schon nach wenigen Metern aus dem letzten Loch pfiff. Das war wohl nichts mit einem gemütlichen Lauf, bei dem wir uns unterhalten konnten.
Nach, so glaube ich, zwanzig Kilometern machten Max und Sarah eine Pause und ich wäre beinahe ins Koma gefallen.
„Mama! Der Mann ist aber sehr langsam. Nicht einmal Oma schnauft so, wenn sie laufen muss!“ Der kleine Bengel war ja ganz schön frech.
„Du läufst wohl nicht so oft, oder?“ „Na ja, nein. Habe gerade erst begonnen“, japste ich.
„Dann sollten wir lieber umkehren, denn mehr als fünf Kilometer werden wir dir nicht antun.“ „Fünf haben wir schon?“ „Nein, das waren jetzt circa zweieinhalb. Den Rückweg müssen wir noch addieren.“ Oh Gott, noch einmal diese Strecke.
„Komm schon!“ Sarah gab mir einen Klaps auf den Hintern. Das gab mir Kraft, sehr viel Kraft, und vor allem spürte ich wieder einmal mein Hirn in die Hüfte rutschen. Ihr knackiger Po bewegte sich vor meinen Augen auf und ab, hin und her – das war ein wirklich hypnotisierender Rhythmus. So sollte man immer laufen, so ein Lauf beruhigt alle Männerhirne in gewisser Weise. Obwohl das Wort beruhigen hier falsch ist, so ein Lauf lässt Männerhirne sich konzentrieren – auf eine Sache. Das ist noch besser als die Cocktails. So ein Lauf mit diesem Ausblick weckt in jedem Mann Mahatma Gandhi, da gäbe es keine Kriege, nur mehr Friede und Meditation. Vor Gandhi käme vielleicht noch Hugh Hefner, nein, sicher. Aber nach Hefner Gandhi. Unbestritten.
Während ich darüber nachdachte und Hefner und Gandhi in meinen Gedanken zu einer Person verschmolzen (zu einer Art „Make love, not peace“-Prediger), waren wir zum Hotel zurückgekehrt. Ich verabschiedete mich schnaufend von den beiden, warf mich unter die Dusche und musste erst einmal ein paar Stunden Schlaf nachholen.