Читать книгу Isle of Ely - Gefährliches Glück - Paula Bergström - Страница 5
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ОглавлениеSilvester 1899 Wie sie diesen Tag im Jahr verabscheute. Er war ihr schon seit ihrer Kindheit verhasst und daran hatte sich im Laufe ihres Lebens nichts geändert. Der 31. Dezember hätte nach ihrem Ansinnen aus dem Kalender entfernt werden können. Doch natürlich ging es nicht nach ihr. Ging es nie. Allein was die Haushaltsfragen betraf, hatte sie ein Wörtchen mitzureden, als lebten sie noch im Mittelalter und ständen nicht an der Schwelle eines neuen Jahrhunderts.
Caitlin Taitend, Viscountess of Ely, wandte sich vom Fenster ihres Schlafzimmers ab. Draußen herrschte ein Schneegestöber, wie man es schon lange Zeit nicht mehr erlebt hatte. Der jährliche Silvesterball auf Ely Manor fand am Abend statt, doch es war fraglich, ob sich die Gäste bei diesem Wetter überhaupt aus dem Haus wagten, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Dicke Schneeflocken trieben über die Wege, ein eisiger Wind fegte über die verschneiten weitläufigen Wiesen und Caitlin fror erbärmlich. Das Feuer im Kamin ihres Zimmers war heruntergebrannt und man hatte kein Holz nachgelegt. Alles Feuerholz wurde benötigt, um den großen Festsaal zu heizen, denn die Gäste sollten es schön warm haben, damit niemand Verdacht schöpfte, wie es um die finanzielle Lage des Viscounts of Ely stand. Wie es genau aussah, davon hatte selbst Caitlin keine Ahnung, denn die Geschäfte führte Brigham Taitend, der Viscount of Ely, ihr Ehemann, allein. Frauen hatten davon keine Ahnung, war seine Auffassung, und Caitlin fügte sich seinen Ansichten. Dass er ihre kleine Mitgift mittlerweile durchgebracht hatte, darüber verlor er kein Wort, doch Caitlin kannte die Wahrheit. Sie wusste um die Spielleidenschaft ihres Gatten und dass er kein guter Spieler war, verstand sich von selbst. Dafür hatte er sich viel zu wenig im Griff. Wenn Caitlin ihn schon durchschaute, war es für Berufsspieler ein Leichtes, ihm das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Es wurde Zeit für sie, nach dem Rechten zu sehen, und so begab sie sich zu der breiten Treppe, die ins Erdgeschoss führte. Das große Haus wirkte leer, weil seit Jahren keine neuen Möbel angeschafft werden durften. Wie gern hätte sie die Räume ausgestattet mit edlen Stoffen und Antiquitäten, doch immer wieder winkte Brigham ab, wenn sie ihre Bitte vortrug. Er verlor das Geld dafür lieber an den Spieltischen. Der einzige Vorteil bestand darin, dass Brigham sich oft Wochen lang nicht sehen ließ und Caitlin vor ihm ihre Ruhe hatte.
Als sie Stimmen vernahm, blieb sie am oberen Absatz der Treppe stehen, da sie von hier einen guten Blick auf die Eingangshalle hatte. Burns, der Butler auf Ely Manor, der fast schon zum Inventar gehörte, sprach mit einem Gast, dessen raue, tiefe Stimme zu ihr heraufdrang. Seine Gestalt wurde von der großen Weihnachtsfichte verdeckt, die in der Eingangshalle stand. Auch wenn sie den Besucher nicht sehen konnte, hatte sie gegenwärtig eine Gestalt vor Augen, die sie mit dieser Stimme verband. Einen Mann, groß, stark, mit harten Gesichtszügen und einem düsteren Aussehen. Einen Mann, der ihr Herz heimlich höherschlagen ließ.
Leider bekam sie den Mann nicht zu Gesicht, da Burns ihn direkt in die Bibliothek führte. Als Herr des Hauses kümmerte sich Brigham um den Gast.
Caitlin blickte auf die hohe Standuhr, schritt die Treppe vorsichtig hinunter, denn der eng geschnittene Rock ließ ihr nicht viel Beinfreiheit. Das edle Spitzenkleid in der Sans-Ventre-Linie geschnitten, war der letzte Schrei in der Modewelt. Das enge und steife Korsett betonte ihre schlanke Gestalt. Der moderne Schnitt, die edlen Stoffe in dunkellila und die aufwendig gearbeitete Spitze schmeichelten ihrem Teint. Die grauen Stiefeletten, die unter dem knöchellangen Saum sichtbar wurden, gaben einen modischen Kontrast ab. Caitlin legte stets viel Wert auf ein elegantes Aussehen und nutzte es wie einen Schutzschild, hinter dem sie sich verstecken konnte. Es gab ihr die nötige Sicherheit und lenkte häufig von den Blutergüssen ab, die auf ihrer Haut zu sehen waren, wenn Brigham mal wieder betrunken nach Hause kam und seine Wut über ein verlorenes Kartenspiel an ihr ausließ.
Die Dienerschaft hatte alles vorbereitet, die Gäste konnten eintreffen. Im Ballsaal leuchteten hunderte von Kerzen, die den Raum in ein warmes, schimmerndes Licht tauchten, das von den Spiegeln an den Wänden zurückgeworfen wurde. Auf den Tischen funkelte das Kristall im Kerzenschein wie Diamanten und auch die Blumengestecke fügten sich harmonisch in das Bild ein. Es sah alles perfekt aus, Brigham würde Gefallen daran finden und sie wäre für diesen einen Abend in Sicherheit.
»Thomas! Haben wir genug Champagner kalt gestellt?«, rief sie dem Hausdiener zu, der geschäftig ihren Weg kreuzte.
»Jawohl, Mylady. Dafür hat Mister Burns schon gesorgt.« Thomas verneigte sich höflich und lief zur Treppe, die in die Küche hinunterführte. Arthur Burns war Butler und die gute Seele des Hauses, neben Mabel Gray, der obersten Hausdame. Er lebte schon mehr als vierzig Jahre in diesem Haus und war bei den Bediensteten hoch angesehen. Caitlin konnte sich auf ihn verlassen, was sie auch immer auf dem Herzen hatte. Er wusste um ihr Leid, auch wenn er nie ein Wort darüber verlor, was Caitlin zu würdigen verstand.
Das Klopfen an der Tür verkündete die ersten Gäste und Caitlin straffte den Rücken und setzte ein Lächeln auf – auch wenn es einstudiert wirkte, es würde den Gästen eh nicht auffallen.
»Meine Liebe! Lady Caitlin, was für ein wunderschönes Kleid«, rief Lady Victoria, die Viscountess of Brighton, als sie die Halle betrat, nachdem Burns die Tür geöffnet hatte.
Sie begrüßte die vielen Gäste, die ihr Mann zu der Silvesterparty eingeladen hatte. Den Großteil der Gäste kannte sie nicht einmal, den ein oder anderen glaubte sie schon mal gesehen zu haben. Die Gäste unterhielten sich angeregt miteinander und ihren Mann bekam sie an diesem Abend kaum zu Gesicht. Nach dem Essen wurde zur Musik getanzt und gelacht. Die Gäste schienen sich zu amüsieren und augenscheinlich hegte keiner den Verdacht, dass es finanziell um das Haus Ely nicht gut bestellt war. So weit lief alles gut und Caitlin stieß mit den Gästen auf ein Glas Champagner an.
*
»Wie kommen Sie in den Besitz dieser Urkunde?« Brigham Taitend blickte auf das Dokument, das seine Unterschrift trug. Er legte es aus der Hand und schaute Daniel Greatstoke fragend an.
Daniel stützte sich auf seinen Gehstock, nicht weil er sich langweilte, sondern, weil ihm das Bein schmerzte. Sein Stolz ließ es nicht zu, um einen Stuhl zu bitten, so verharrte er aufrecht vor dem Schreibtisch des Viscounts. »Das Wie tut nichts zur Sache, mein lieber Taitend, einzig dass ich im Besitz dieser Urkunde bin und sie hiermit einlöse, zählt.«
»Ich wüsste nicht, was Ihnen diese Vertrautheit erlaubt, aber ich bin ganz sicherlich nicht Ihr lieber … was erwarten Sie, Mister Greatstoke? Dass ich Haus und Hof innerhalb von einer Stunde verlasse? Wir haben für heute Abend Gäste eingeladen, wie stellen Sie sich das vor, Greatstoke?« Taitend war aufs Äußerste gereizt, doch Daniel dachte gar nicht daran, Rücksicht auf dessen Empfindlichkeiten zu nehmen.
»Zum einen habe ich das nicht von Ihnen verlangt, zum anderen ist die standesgemäße Anrede: Euer Gnaden. Wenn ich mich vorstellen darf, Daniel Greatstoke, Duke of Newbury.«
Ein Erkennen flackerte über Taitends Gesicht. Auch wenn sie sich noch nie persönlich begegnet waren, so hatte der Viscount gewiss von ihm gehört.
»Sie sind der Duke of Newbury? Ich dachte, Sie wären gefallen …« Abrupt verstummte Taitend, als ihm bewusst wurde, wie unsensibel seine Bemerkung war.
»Ja, Gerüchte verbreiten sich schnell, aber wie Sie sehen, wurde ich in diesem unsinnigen Krieg nur verwundet. Zu Ihrem Leidwesen bin ich also noch am Leben und hier, um meinen Besitz in Augenschein zu nehmen, außer … Sie sind imstande, den Schuldschein zu begleichen.« Daniels Stimme war gleich dem kalten Wetter draußen vor der Tür.
»Sie wissen genau, dass ich nicht imstande bin, die Summe aufzutreiben. Als wenn ich das nicht schon versucht hätte«, brüllte Taitend und Daniel bekam einen Eindruck von Brigham Taitends Jähzorn, der überall in der Gegend bekannt war.
Davon ließ Daniel sich nicht beeindrucken. Er stand still, sah auf Taitend hinunter, der hinter seinem Schreibtisch Platz genommen hatte. Vielmehr hatte er sich auf den Stuhl fallen lassen und blickte Daniel verzweifelt an, fuhr sich mit den Händen durch das dünne Haar.
»Bitte, Euer Gnaden«, flüsterte er, »ein Skandal muss verhindert werden. Lassen Sie die Feierlichkeiten heute Abend stattfinden. Alles ist vorbereitet. Seien Sie heute Abend mein Gast. Morgen werde ich meine Frau und das Personal in Kenntnis setzen, dass wir unsere Sachen packen. Ich möchte, dass diese Angelegenheit so diskret wie möglich abgewickelt wird.«
Taitends Stimme hatte einen anderen Ton angenommen, fast schon weinerlich. Wenn Daniel etwas hasste, dann waren es Männer, die kein Rückgrat besaßen und weinten wie ein altes Waschweib, wenn man sie in die Enge trieb. Dieses jämmerliche Bild vor Augen, ließ Daniel Milde walten. »Vielen Dank, ich nehme Ihre Einladung an, Viscount. Ich kann mir vorstellen, dass mein Erscheinen, gerade heute, für Sie äußerst ungelegen kommt. Nur ist dieser Schuldschein mehr als ein Jahr überfällig. Sie hatten Zeit genug, Vorkehrungen zu treffen.«
»Ich weiß, Euer Gnaden. Bitte haben Sie ein Einsehen. Nur dieser eine Abend, damit meine Gäste nichts mitbekommen. Ein Skandal muss unter allen Umständen vermieden werden.«
Das hielt Daniel zwar für unmöglich, doch er nickte wohlwollend. »Natürlich, ich bin ja kein Unmensch.«