Читать книгу Dir versprochen - Paula Bergström - Страница 5
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ОглавлениеSie wollte geliebt werden. Etwas anderes als eine Liebesheirat kam für sie nicht infrage, dessen wurde sich Fawn Midwater in diesem Moment bewusst. Sie beobachtete ihre Cousine Edith Blyditt, die zu ihrer Vermählung mit dem 5. Earl of Esher, Fenton Shipsell, eingeladen hatte. Edith sah wunderschön aus in ihrem Brautkleid mit dem Schleier aus Brüsseler Spitzen. Der zarte Elfenbeinton unterstrich ihren Porzellanteint und die sanften blauen Augen. Die Seide schmiegte sich eng an ihren zarten Körper. Edith sah äußerst zerbrechlich aus.
Im Grunde tat Edith Fawn leid. Denn jedem der Gäste war klar, dass Edith es nur auf den Titel des Earls abgesehen hatte. Fenton Shipsell war nicht besonders gut aussehend und für seine Herzlosigkeit bekannt. Der strenge Zug um seinen Mund ließ den Unwillen erkennen, mit dem er diese Zeremonie über sich ergehen ließ. Er war auf einen Erben aus, mehr steckte für ihn nicht hinter dieser Eheschließung. Und es war fraglich, ob Edith eine Schwangerschaft überstehen würde, bei ihrer zarten Konstitution. Es war allgemein bekannt, dass der Earl wegen seines fortgeschrittenen Alters sobald als möglich ein Kind zeugen wollte. Doch all das schien Edith egal zu sein. Ihr war nur wichtig, wie viele neue Kleider sie sich schneidern lassen konnte und zu welchen Bällen sie eingeladen werden würde. Dabei hätte sie eine wesentlich bessere Partie machen können, wenn sie sich nur ein wenig mehr Zeit gelassen hätte. Immerhin war sie mit neunzehn Jahren noch jung genug, um auf einen geeigneten Kandidaten zu hoffen.
Fawn schüttelte heimlich den Kopf über solch antiquierte Ansichten, denen zufolge eine Frau nur gut versorgt sein musste, um glücklich zu sein. Sie würde nur heiraten, wenn sie sich sicher war, dass der Mann sie liebte und ehrte. Dass er sie um ihretwillen ehelichte, nicht um die Konventionen einzuhalten oder des Geldes wegen.
Im großen Salon des Stadthauses der Familie Shipsell hatte sich alles eingefunden, was Rang und Namen hatte. Die Shipsells waren sehr vermögend und man suchte ihre Bekanntschaft. Der Salon war üppig mit Blumen ausgestattet, Lakaien reichten Getränke in edlen Kristallgläsern, und ein Buffet mit lauter Köstlichkeiten wurde geboten. Diese Hochzeit würde noch Tage, nein Wochen in aller Munde sein. Ebenso Edith und dieser Traum von einem Hochzeitskleid.
Unauffällig blickte Fawn sich um und schlüpfte durch eine halb offene Tür, die in den Garten führte. Sie hatte genug gesehen und musste sich ablenken, damit niemand ihre Abscheu gegen diese Verbindung bemerkte. Die Gesellschaft an ihrem Tisch kam auch ohne sie aus. Ihre Bindung zu Edith war bei Weitem nicht so eng, wie ihre Cousine es gern sah. Zum einen lag es daran, dass Fawn Edith für töricht hielt, zum anderen hegte sie eine Abneigung gegenüber Ediths Mutter, der verwitweten Baroness of Warnham, der Schwester ihres so sehr geliebten Vaters. Lady Minerva war eine kleine gehässige Frau, die alles in ihrer Macht Stehende veranlasst hatte, damit ihre Tochter einen Earl heiratete. Vermutlich wäre ein Duke ihr lieber gewesen, doch anscheinend hatte man beschlossen zu nehmen, was kam. Fawn seufzte leise.
Tief atmete Fawn die laue Nachmittagsluft ein. Sie liebte den Frühling in London. Es war einer dieser Tage, an denen die Sonne schien und es bereits so warm war, dass Fawn keinen Umhang benötigte. Der Garten war einer der schönsten, die Fawn je betreten hatte. Überall gab es üppige Blumenbeete, und ganz besonders die Rosenstöcke hatten es ihr angetan. Die Blütenpracht war überwältigend, eine reinste Farbenexplosion. Vereinzelt zierten Steinfiguren, die aus China stammen mussten, den Weg. Sie waren grazil gemeißelt und sahen exotisch aus. Man konnte über die Shipsell sagen, was man wollte, aber Geschmack hatte sie.
Mit langsamen Schritten lief Fawn tiefer in den Garten hinein und nahm auf einer steinernen Bank Platz, die unter einer großen Kastanie stand.
»Lady Midwater, welch eine Freude, Ihnen zu begegnen. Ich nehme an, Ihnen ist die Luft im großen Salon auch zu stickig geworden.«
Fawn blickte auf und sah in das Gesicht des Earls of Croyden. Er war ein guter Bekannter ihres Vaters, obwohl er nur wenig älter als sie selbst war. Sie glaubte, sich zu erinnern, dass er vor einigen Monaten in der gleichen Woche seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hatte, in der Fawn dreiundzwanzig geworden war.
»Mylord, wie schön, Sie zu sehen.« Sie erhob sich, ging ein paar Schritte auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Shamus Woodblank nahm ihren behandschuhten Arm und deutete einen Handkuss an.
»Wenn ich mich richtig erinnere, war ich früher immer Shamus für Sie, Fawn.«
Sie nickte und errötete leicht. »Wie recht Sie haben, Shamus. Ich muss es über all die Jahre, die wir uns nicht gesehen haben, vergessen haben. Seit wann sind Sie wieder in London?«
»Ich bin vor zwei Monaten aus Übersee zurückgekehrt, da die Geschäfte meiner Familie dort abgeschlossen sind. Gerade rechtzeitig, um der Hochzeit meines Freundes, des Earls of Esher, beizuwohnen. Er kann sich glücklich schätzen, Ihre reizende Cousine zur Frau zu bekommen.«
Fawn lächelte gequält. »Wie man es nimmt. Ich persönlich finde Edith zeitweilig ein wenig anstrengend, aber ich muss ja auch nicht mein Leben mit ihr teilen.«
Shamus brach in Lachen aus. »Ich habe Ihre Ehrlichkeit schon immer zu schätzen gewusst, liebe Fawn. Sind Sie ohne Begleitung hier?«, fragte der Earl und blickte sich suchend um.
»Ich begleite meinen Vater. Sein Rheuma plagt ihn seit Tagen, daher hat er sich vorübergehend zurückgezogen. Und Sie? Wo haben Sie Ihre Begleitung gelassen?«, fragte Fawn freiheraus. Sie war neugierig darauf zu erfahren, ob es eine Frau an Shamus’ Seite zu entdecken gab. Er war seit Jahren einer der begehrtesten Junggesellen der Londoner Gesellschaft und alle Welt wartete darauf, dass endlich eine Heiratskandidatin an seinem Arm auftauchte.
»Oh, meine Begleitung kommt mit schnellen Schritten auf uns zu.« Er deutete mit dem Kinn über Fawns Schulter hinweg und sie drehte sich neugierig um. Als sie die Person erkannte, griff sie nach Shamus’ Arm, aus Angst, ihre Knie könnten nachgeben.
»Das ist doch …« Sie brachte den Satz nicht zu Ende, er blieb ihr regelrecht im Halse stecken.
»Mein lieber Bankbain, hast du es auch nicht länger ausgehalten?«, rief Shamus seinem Freund Francis zu. Der 7. Duke of Addington kam ihnen lächelnd entgegen, doch als er Fawn erkannte, verblasste das Lächeln, als hätten sich die Wolken vor die Sonne geschoben. Auch seine Schritte verlangsamten sich, als wollte er auf dem Absatz kehrtmachen.
Fawn blickte bei dieser Reaktion beschämt zu Boden und wünschte, sie könnte sich in Luft auflösen. Ihre Wangen brannten heiß und sie atmete hektisch. Über eine lange Zeit hinweg hatte sie sich immer wieder vorgestellt, wie das erste Zusammentreffen nach dem Ereignis, mit dem der Duke sie vor den Augen der ganzen Welt brüskiert hatte, ablaufen würde. Doch dann hatte er sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Fawn hatte nicht damit gerechnet, ihm nun so unerwartet gegenüberzustehen.
»Lady Midwater.«
Francis nickte ihr mit versteinerter Miene zu.
»Euer Gnaden.« Fawn blickte ihm kurz in die Augen, reckte ihr Kinn und schaute dann zu Shamus. »Ich denke, ich hatte für heute genügend frische Luft. Meine Herren, wenn ich mich verabschieden darf.« Sie versuchte sich an einem Lächeln, raffte den Rock ihres Kleides und lief in Richtung Haus. Sie musste sich zusammenreißen, damit ihre Beine sie nicht zu schnell dem Haus entgegentrugen und so der Eindruck entstehen könnte, sie rannte vor etwas davon.
»Du hättest mir sagen müssen, dass sie heute anwesend ist«, knurrte Francis und blickte seinen Freund wütend an.
»Ich dachte, das wäre dir bekannt, wo die Braut nun mal Fawns Cousine ersten Grades ist. Aber ich vergaß, dass dich die feine Gesellschaft Londons schon seit Jahren nicht mehr interessiert. Allerdings ist Edith bereits seit zwanzig Jahren Fawns Cousine, und das hast selbst du gewusst. Also schieb mir nicht den schwarzen Peter zu, nur weil du ihr über den Weg gelaufen bist.«
»Ich wusste, dass es eine ganz schlechte Idee ist, mich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Ich hätte nicht mitkommen sollen. Mir liegt nichts an der feinen Gesellschaft Londons oder irgendeiner anderen Stadt.«
»Francis, wie lange willst du noch den Einsiedler spielen? Deine Trauerzeit ist seit zwei Jahren vorbei, du kannst dich nicht ewig verstecken. Du hättest auf meinen Rat hören und Fawn heiraten sollen anstatt Ivy. Es gab immer Gerüchte, dass du nicht der Vater ihres ungeborenen Kindes warst, und deine Frau auf dem Totenbett hat diese bestätigt. Du bist dieser hässlichen Erpressung nur durch ihren und den Tod des Kindes entgangen. Eine Fügung des Schicksals, wenn du mich fragst …«
»Ich wollte einen Erben, deshalb habe ich Ivy geheiratet«, unterbrach Francis seinen Freund grob. Dieses Thema war für ihn abgeschlossen. Er wollte nicht an Ivy und das Kind denken, das alle ins Unglück gestürzt hatte. Egal, ob es nun sein Erbe gewesen wäre oder nicht. Doch Ivy war während der Geburt gestorben. Und das Ungeborene mit ihr. Nun hatte Francis nichts mehr. Keine Ehefrau, keinen Erben. Dafür die Erinnerungen an eine Jugendliebe, die ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte, der er die Ehe versprochen hatte und die er durch seine Heirat mit Ivy öffentlich gedemütigt hatte. Eine Frau, die gerade praktisch vor ihm weggerannt war.
Nicht ein Tag verging, an dem er nicht an Fawn Midwater dachte. Die Frau, die ihm seit Kindheitstagen versprochen, die für ihn vorbestimmt gewesen war, und die er verlassen hatte für eine Frau, die ihm ein Kuckuckskind unterjubeln wollte. Er hatte Ivy in einer Nacht-und-Nebel-Aktion geheiratet, ohne vorher mit Fawn darüber zu sprechen. Von seiner Vermählung hatte sie nur durch ihre Freundin erfahren und war daraufhin für mehrere Monate aufs Land geflüchtet. Aus zuverlässigen Quellen wusste er, dass es ihr sehr schlecht ergangen war. Sie hatte kaum etwas gegessen oder getrunken, und das über Monate, sodass die Ärzte das Schlimmste befürchtet hatten. Doch irgendwann war sie zur Vernunft gekommen und hatte sich wieder dem Leben zugewandt. Bowen Midwater, Fawns Vater, hatte ihm eine Nachricht zukommen lassen, in der er ihm mitteilte, dass es ihr wieder besser ginge und er sich keine Vorwürfe zu machen brauchte.
Doch genau das tat er. Er hatte die einzige Frau, die je sein Herz berührt hatte, vor der Londoner Gesellschaft bloßgestellt und blamiert. Das würde sie ihm wohl ihr Leben lang nicht verzeihen. Und Francis konnte es ihr nicht verdenken.
Ihre unverhoffte Begegnung hier hatte ihn auf dem falschen Fuß erwischt. Er hatte Fawn um Verzeihung bitten oder zumindest mit freundlichen Worten begrüßen wollen, doch es war ganz anders verlaufen. Ein Grund mehr, sich wieder in seine eigenen vier Wände zu begeben, dorthin, wo ihn niemand mit strafenden Blicken verurteilen und er keinem anderen Leid zufügen konnte.
»Bankbain, lass uns ein Glas auf die Braut und den Bräutigam trinken. Ich glaube, du kannst es vertragen. Und ich auch«, schlug Shamus vor.