Читать книгу Isle of Ely - Unruhige Zeiten - Paula Bergström - Страница 5
1
ОглавлениеJanuar 1900
Schwarz war angeblich keine Farbe, das war jedoch das Einzige, was Caitlin sah. Wie ein undurchdringlicher dunkler Nebel saß sie in ihrem Kopf fest und wollte sich nicht auflösen.
»Timothy.«
Undeutlich hörte sie diesen Namen und konnte ihn nicht zuordnen. Sie wusste, dass er ihr etwas bedeutete, doch es war nur eine hauchfeine Ahnung, die sie nicht greifen konnte.
»Timothy.«
Wieder dieser Name.
»Sie kommt zu sich. Endlich.«
»Schickt nach dem Duke. Er hat angewiesen, sofort Bescheid zu geben, wenn Mylady erwacht. Egal, wie spät es ist.« Das war eine weibliche Stimme, die Caitlin bekannt vorkam. Ein Gesicht zeigte sich ihr. Es gehörte May, ihrer Kammerzofe.
Caitlin wollte ihre Augen offen halten, doch sie war zu schwach. Nun hörte sie eilige Schritte, als liefen Menschen durcheinander.
Plötzlich spürte sie etwas Feuchtes an der Stirn und stöhnte auf. Es war eine Wohltat. Ihr war warm, sehr warm sogar, als würde sie innerlich verbrennen, und diese Kühle wirkte dem entgegen. Stattdessen durchzuckte sie ein Schmerz, der sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hatte. Ein Laut durchdrang ihre Ohren, wie vorher, als sie den Namen gehört hatte, und ihr wurde mit einem Mal bewusst, dass die Laute aus ihrem Mund kamen.
Eine Tür wurde geöffnet.
»May, Sie können sich jetzt zurückziehen. Ich werde mich um Mylady kümmern … Caitlin? Liebes? Der Arzt wird bald hier sein.«
Daniel!
Es war Daniels Stimme, die sie hörte. Caitlin versuchte erneut, die Augen zu öffnen, was ihr auch für einige Sekunden gelang.
»Dani…«
»Gott sei Dank, Caitlin, du bist bei Bewusstsein.«
Warme Hände umfassten ihr Gesicht und milderten den Schmerz in ihrem Körper für eine kurze Zeit ab.
»Daniel.« Ihre Stimme kam als Flüstern über ihre Lippen. »Wo bin ich?«
Sie musste erneut ihre Augen öffnen. Ihr war nicht einmal bewusst gewesen, dass sie ihr wieder zugefallen waren. Nun erkannte sie Daniels wunderschönes Gesicht. Seine schwarzen Haare waren ein wenig zerzaust, die grünblauen Augen blickten sie liebevoll an.
»Wie geht es dir, mein Liebling?«, flüsterte Daniel mit besorgtem Gesichtsausdruck und küsste sie vorsichtig auf die Lippen.
»Ich weiß nicht. Was ist geschehen?« Alles war so verwirrend für Caitlin, sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.
»Du wurdest angeschossen, meine Liebe. Die Kugel hat dich an der Hüfte gestreift. Es ist nur eine Fleischwunde, aus der du sehr viel Blut verloren hast, und du warst einige Tage bewusstlos. Endlich scheint es dir besser zu gehen. Doktor Harfield wird gleich nach dir sehen. Er war Tag und Nacht hier im Haus, damit er sofort zur Stelle ist, falls es dir schlechter geht.«
»Mir ist so heiß, ich habe Durst.« Mit der Zunge befeuchtete Caitlin ihre Lippen.
Daniel legte ihr die Hand auf die Stirn. »Das ist das Fieber. Aber du fühlst dich nicht mehr so heiß an. Das Fieber scheint zu sinken.«
Erneut öffnete sich eine Tür.
»Doktor Harfield, sie ist endlich erwacht.« Daniel rückte ein wenig zur Seite auf dem Bett, auf dem sie lag, und machte einem älteren Mann mit weißem Haar und einer Nickelbrille auf der Nase Platz.
»Da ist ja unsere Patientin wieder. Sie sind eine sehr starke Frau, Mylady.« Er blickte Caitlin mit gutmütigen Augen an und fühlte nach ihrem Puls. Dann zog er ein Stethoskop aus der Arzttasche, die zu seinen Füßen stand, und horchte ihr Herz ab.
»Hmh, das klingt alles sehr gut. Ihr Fieber ist auch gesunken. Wir werden noch ein paar Wadenwickel auflegen, und ich denke, einige Schlucke Tee werden der Patientin guttun. Morgen früh werde ich wieder den Verband wechseln.« Erst jetzt bemerkte Caitlin die Bandage um ihre Hüfte »Sie ist noch sehr müde und wird sicher erneut einschlafen, doch die Wachphasen werden bald immer länger werden«, erklärte Harfield, während Daniel erleichtert nickte.
»Doktor, ich bin Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet.« Daniel senkte sein Haupt.
»Da gibt es nichts zu danken, Euer Gnaden. Das hat die Patientin ganz allein hinbekommen. Sie ist eine junge, starke Frau. Bald wird sie diesen feigen Anschlag verwunden haben.«
»Aber was ist denn passiert?« Caitlin sah Daniel Hilfe suchend an.
»Man hat auf dich geschossen. Auf dem Ball des Earl of Chigwell. Weißt du es denn nicht mehr?«
»Angeschossen? Nein, ich weiß nicht.« Sie konnte sich an keinen Schuss erinnern. Und doch … langsam wanderten einige Fetzen ziellos in ihrem Kopf umher. Sie erinnerte sich an den Ball, den sie mit Daniel, seiner Schwester und der Dowager besuchte. Dann … ein kleines Feuer blitzte auf, Schreie. Zum Schluss sah sie Timothy. Gott, was war mit ihrem Sohn?
»Wo ist Timothy?«
»In Sicherheit. Er schläft in seinem Zimmer, ihm geht es gut, und er wartet ungeduldig darauf, dass es Ihnen bessergeht.«
»Aber ich kann mich an nichts Konkretes erinnern.«
Beruhigend strich der Doktor über ihre Hand. »Mylady, das ist vollkommen normal und kein Grund zur Sorge. Nach so einem Vorfall vergisst unser Kopf Dinge, um uns zu schützen. Ich werde Ihnen etwas gegen die Schmerzen geben, das sollte helfen, wieder klarer zu denken.«
»Ich habe Schmerzen an der Hüfte, werden die vergehen? Es brennt wie Feuer«, stöhnte Caitlin auf.
»Natürlich. Wenn die Schmerzmittel erst einmal wirken, wird es Ihnen besser gehen, und bald wird dieser Vorfall vergessen sein. Sie werden sehen.«
*
Als Caitlin das nächste Mal die Augen öffnete, brannte nur eine Kerze auf dem Nachttisch im dunklen Raum. Diesmal waren ihre Augenlider nicht mehr ganz so schwer. Caitlin sah Daniel auf einem Sessel neben ihrem Bett sitzen. Er trug einen Morgenmantel, darunter einen seidenen Schlafanzug. Während er schlief, konnte sie in aller Ruhe seine Züge studieren. Dunkle Bartstoppeln breiteten sich auf dem Gesicht aus, ließen ihn älter wirken als seine dreiunddreißig Jahre. Als spürte er ihre Blicke, öffnete er die Augen und lächelte, als er bemerkte, dass sie ihn ansah.
»Mylady ist wach? Wie lange beobachtest du mich schon?«
»Nur eine kurze Weile«, entgegnete Caitlin und erwiderte das Lächeln.
»Wie geht es dir?« Daniel erhob sich und setzte sich auf ihr Bett.
»Besser.« Für einen Moment schloss sie die Augen, dann blickte Caitlin ihn wieder an. »Ich habe Durst«, wisperte sie und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
Daniel nahm die Teetasse, die auf dem Nachttisch stand, und hielt sie ihr an die Lippen. Mit langsamen Zügen trank Caitlin die Tasse halb leer.
»Das hat gutgetan, vielen Dank. Wie spät haben wir es?« Ihr Blick ging hinüber zum Fenster. »Es sieht beinah hell da draußen aus.«
»Es ist zwei Uhr nachts. Aber es hat geschneit, und alles ist weiß, deshalb wirkt es so hell.«
»Hast du die ganze Zeit in diesem Sessel verbracht?« Sorgenvoll blickte Caitlin Daniel an.
»Ja, aber ich sollte mich um dich sorgen, nicht andersherum.«
»Mir geht es gut, wenn es dir gut geht«, sagte sie leise, als Daniel nach ihrer Hand griff.
»Deine Haut fühlt sich kühl und trocken an, ich denke, du hast das Fieber überstanden.«
Caitlin strich sich nervös über die Stirn. »Was ist nur passiert? Ich kann mich an nichts erinnern. Wo ist Timothy?«
»Er schläft. Es geht ihm gut. Ich habe ihm erklärt, dass du dich erkältet hast und Ruhe brauchst. Er sollte von den Vorfällen nichts erfahren, er ist noch so jung.«
»Von welchen Vorfällen sprichst du?«
Ein wenig verstört blickte Daniel sie an. »Erinnerst du dich, dass Brigham erschossen wurde?«
Nachdenklich nickte sie. »Ja, das ist mir noch präsent und auch der Ball, aber was auf der Terrasse geschehen ist, ist sehr verschwommen.«
»Jemand hat auf uns aus dem Dunkeln geschossen, und du wurdest getroffen. Ich dachte schon, ich hätte dich verloren. Doch wir hatten Glück, bis auf den Streifschuss ist dir nichts passiert.«
Erleichtert lächelte Caitlin. »Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll, Daniel. Hat man schon eine Ahnung, wer hinter diesem feigen Angriff stecken könnte?« Vorsichtig setzte sie sich auf. Die Wunde unter ihrem Verband schmerzte nur noch leicht.
Daniels Blick ging hinüber zum Fenster. »Nein, noch nicht. Der Schütze konnte entkommen. Gäbe es Spuren im Schnee, wurden sie nun durch den erneuten Schneefall verwischt. Der Constable wird sich einfinden und dich befragen wollen, sobald ich nach ihm schicke.«
»Wird das jemals ein Ende nehmen? Erst Brigham, jetzt ich. Wer kommt als Nächstes? Tim oder du? Wer will uns Schaden zufügen?« Verzweifelt ließ Caitlin sich wieder in die Kissen fallen.
»Darling, du darfst nicht verzweifeln. Wir werden den Täter finden.« Daniel schob die Bettdecke ein wenig zur Seite, setzte sich näher zu ihr.
»Ich brauche dich so sehr«, flüsterte Caitlin und sah ihn bittend an.
Ohne lange darüber nachzudenken legte Daniel sich neben sie und schlang seine Arme um sie, wobei er darauf achtete, sie nicht zu viel bewegen. Dann berührte er ihr Gesicht, streichelte es, als würde er sie zum ersten Mal sehen. Behutsam küsste er ihre Augenlider, die Wangen, ihre Kinnlinie. Caitlin konnte sich nicht erinnern, wann ein Mann jemals so zärtlich zu ihr war.
»Daniel, ich habe Angst. Da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu und ich weiß nicht, was es ist. Wer will uns etwas Böses?«
»Ich weiß es nicht, meine Liebste, doch ich werde alles daransetzen, es herauszubekommen. Fürs Erste möchte ich nicht, dass du und dein Kind das Haus ohne Begleitung verlasst. Es ist im Augenblick zu gefährlich.«
Ein Zittern erfasste ihren Körper.
»Ganz ruhig, Caitlin. Du bist bei mir in Sicherheit.«
»Ich muss Timothy sehen«, flüsterte sie eindringlich.
»Wenn es dir besser geht, werde ich ihn zu dir bringen. Er weiß, dass du krank bist. Du bist eine gute Mutter, aber höre auf, dir Sorgen zu machen. Ich möchte, dass du schnell wieder gesund wirst.« Sie nickte. Daniel hatte recht.
Timothy wäre verstört, würde er mitbekommen, wie schwach sie noch war. Noch schmerzten ihre Bewegungen, so war es besser, wenn der Junge es nicht mitbekam. Es würde nicht mehr lange dauern, dann wäre sie wieder wohlauf.